SONNE DER WAHRHEIT | ||
Heft I | VII.JAHRG. | MÄRZ 1927 |
ORGAN DES DEUTSCHEN BAHAI-BUNDES STUTTGART |
Abdu’l-Bahás Erläuterung der Bahai-Prinzipien.
1. Die ganze Menschheit muss als Einheit betrachtet werden.
Baha’u’lláh wandte Sich an die gesamte Menschheit mit den Worten: „Ihr seid alle die Blätter eines Zweigs und die Früchte eines Baumes“. Das heißt: die Menschheit gleicht einem Baum und die Nationen oder Völker gleichen den verschiedenen Aesten und Zweigen; die einzelnen Menschen aber gleichen den Blüten und Früchten dieses Baumes. In dieser Weise stellte Baha’u’lláh das Prinzip der Einheit der Menschheit dar. Baha’u’lláh verkündigte die Einheit der ganzen Menschheit, er versenkte sie alle im Meer der göttlichen Gnade.
2. Alle Menschen sollen die Wahrheit selbständig erforschen.
In religiösen Fragen sollte niemand blindlings seinen Eltern und Voreltern folgen. Jeder muß mit eigenen Augen sehen, mit eigenen Ohren hören und die Wahrheit suchen, denn die Religionen sind häufig nichts anderes als Nachahmungen des von den Eltern und Voreltern übernommenen Glaubens.
3. Alle Religionen haben eine gemeinsame Grundlage.
Alle göttlichen Verordnungen beruhen auf ein und derselben Wirklichkeit. Diese Grundlage ist die Wahrheit und bildet eine Einheit, nicht eine Mehrheit. Daher beruhen alle Religionen auf einer einheitlichen Grundlage. Im Laufe der Zeit sind gewisse Formen und Zeremonien der Religion beigefügt worden. Dieses bigotte menschliche Beiwerk ist unwesentlich und nebensächlich und verursacht die Abweichungen und Streitigkeiten unter den Religionen. Wenn wir aber diese äußere Form beiseite legen und die Wirklichkeit suchen, so zeigt sich, daß es nur eine göttliche Religion gibt.
4. Die Religion muss die Ursache der Einigkeit und Eintracht unter den Menschen sein.
Die Religion ist für die Menschheit die größte göttliche Gabe, die Ursache des wahren Lebens und hohen sittlichen Wertes; sie führt den Menschen zum ewigen Leben. Die Religion sollte weder Haß und Feindschaft noch Tyrannei und Ungerechtigkeiten verursachen. Gegenüber einer Religion, die zu Mißhelligkeit und Zwietracht, zu Spaltungen und Streitigkeiten führt, wäre Religionslosigkeit vorzuziehen. Die religiösen Lehren sind für die Seele das, was die Arznei für den Kranken ist. Wenn aber ein Heilmittel die Krankheit verschlimmert, so ist es besser, es nicht anzuwenden.
5. Die Religion muss mit Wissenschaft und Vernunft übereinstimmen.
Die Religion muß mit der Wissenschaft übereinstimmen und der Vernunft entsprechen, so daß die Wissenschaft die Religion, die Religion die Wissenschaft stützt. Diese beiden müssen unauflöslich miteinander verbunden sein.
6. Mann und Frau haben gleiche Rechte.
Dies ist eine besondere Lehre Baha’u’lláhs, denn die früheren Religionen stellen die Männer über die Frauen. Töchter und Söhne müssen gleichwertige Erziehung und Bildung genießen. Dies wird viel zum Fortschritt und zur Einigung der Menschheit beitragen.
7. Vorurteile jeglicher Art müssen abgelegt werden.
Alle Propheten Gottes kamen, um die Menschen zu einigen, nicht um sie zu trennen. Sie kamen, um das Gesetz der Liebe zu verwirklichen, nicht um Feindschaft unter sie zu bringen. Daher müssen alle Vorurteile rassischer, völkischer, politischer oder religiöser Art abgelegt werden. Wir müssen zur Ursache der Einigung der ganzen Menschheit werden.
8. Der Weltfriede muss verwirklicht werden.
Alle Menschen und Nationen sollen sich bemühen, Frieden unter sich zu schließen. Sie sollen darnach streben, daß der universale Friede zwischen allen Regierungen, Religionen, Rassen und zwischen den Bewohnern der ganzen Welt verwirklicht wird. Die Errichtung des Weltfriedens ist heutzutage die wichtigste Angelegenheit. Die Verwirklichung dieses Prinzips ist eine schreiende Notwendigkeit unserer Zeit.
9. Beide Geschlechter sollen die beste geistige und sittliche Bildung und Erziehung geniessen.
Alle Menschen müssen erzogen und belehrt werden. Eine Forderung der Religion ist, daß jedermann erzogen werde und daß er die Möglichkeit habe, Wissen und Kenntnisse zu erwerben. Die Erziehung jedes Kindes ist unerläßliche Pflicht. Für Elternlose und Unbemittelte hat die Gemeinde zu sorgen.
10. Die soziale Frage muss gelöst werden.
Keiner der früheren Religionsstifter hat die soziale Frage in so umfassender, vergeistigter Weise gelöst wie Baha’u’lláh. Er hat Anordnungen getroffen, welche die Wohlfahrt und das Glück der ganzen Menschheit sichern. Wenn sich der Reiche eines schönen, sorglosen Lebens erfreut, so hat auch der Arme ein Anrecht auf ein trautes Heim und ein sorgenfreies Dasein. Solange die bisherigen Verhältnisse dauern, wird kein wahrhaft glücklicher Zustand für den Menschen erreicht werden. Vor Gott sind alle Menschen gleich berechtigt, vor Ihm gibt es kein Ansehen der Person; alle stehen im Schutze seiner Gerechtigkeit.
11. Es muss eine Einheitssprache und Einheitsschrift eingeführt werden.
Baha’u’lláh befahl die Einführung einer Welteinheitssprache. Es muß aus allen Ländern ein Ausschuß zusammentreten, der zur Erleichterung des internationalen Verkehrs entweder eine schon bestehende Sprache zur Weitsprache erklären oder eine neue Sprache als Weltsprache schaffen soll; diese Sprache muß in allen Schulen und Hochschulen der Welt gelehrt werden, damit dann niemand mehr nötig hat, außer dieser Sprache und seiner Muttersprache eine weitere zu erlernen.
12. Es muss ein Weltschiedsgerichtshof eingesetzt werden.
Nach dem Gebot Gottes soll durch das ernstliche Bestreben aller Menschen ein Weltschiedsgerichtshof geschaffen werden, der die Streitigkeiten aller Nationen schlichten soll und dessen Entscheidung sich jedermann unterzuordnen hat.
Vor mehr als 50 Jahren befahl Baha’u’lláh der Menschheit, den Weltfrieden aufzurichten und rief alle Nationen zum „internationalen Ausgleich“, damit alle Grenzfragen sowie die Fragen nationaler Ehre, nationalen Eigentums und aller internationalen Lebensinteressen durch ein schiedsrichterliches „Haus der Gerechtigkeit" entschieden werden können.
Baha’u’lláh verkündigte diese Prinzipien allen Herrschern der Welt. Sie sind der Geist und das Licht dieses Zeitalters. Von ihrer Verwirklichung hängt das Wohlergehen für unsere Zeit und das der gesamten Menschheit ab.
SONNE DER WAHRHEIT Organ des Bahai-Bundes, Deutscher Zweig Herausgegeben vom Verlag des Bahai-Bundes, Deutscher Zweig, Stuttgart Verantwortliche Schriftleitung: Alice Schwarz - Solivo, Stuttgart, Alexanderstraße 3 Preis vierteljährlich 1,80 Goldmark, im Ausland 2.– Goldmark. |
Heft 1 | Stuttgart, im März 1927 Bahá (Herrlichkeit) 83 |
7. Jahrgang |
Inhalt: Göttliche Philosophie. — Die zwei strahlenden Leuchten. — Gottesverehrer und Menschenfreunde der französischen Revolution. — Die neue Erde.
Motto: Einheit der Menschheit — Universaler Friede — Universale Religion
O Menschenkind!
Meine Größe ist Meine Gabe für dich. Meine Majestät ist Meine Gnade gegen dich, aber das, was Mir gehört, kann sich niemand ausdenken noch es verstehen.
Baha’u’lláh.
Gebet.
O mein Gott, o mein Gott! Du bist mein Geliebter und meine Hoffnung, mein ersehntes Ziel und mein Wunsch! Mit größter Demut und ganzer Hingebung flehe ich zu Dir, mache mich zum Leuchtturm Deiner Liebe unter Deinen Kreaturen und zum Banner Deiner Gaben in Deinem Königreich. Mache mich zu einem Deiner Anbeter und zu einem, der sich von allem außer Dir löst und sich selbst über alle weltlichen Dinge erhebt und von allen Fehlern des Argwohns befreit.
Laß meine Brust durch den Geist der Bestätigung aus Deinem Königreich erfüllt sein. Erleuchte mein Angesicht, daß ich die Heerscharen des Erfolgs von Deiner Allmacht herniederkommen sehe.
Du bist der Allmächtige, der Unüberwindliche, der Kraftvolle.
Abdu’l-Bahá.
Aus technischen Gründen kann mit dem Abdruck der Uebersetzung aus „Beantworteten Fragen“
erst im Aprilheft begonnen werden.
Göttliche Philosophie.
Reden 'Abdu'l-Bahás. Uebersetzt von Wilhelm Herrigel.
„Wahrlich, Wir offenbarten dies gemäß deiner Fähigkeit und deinem Wahrnehmungsvermögen und nicht gemäß Meinem Zustand und Meiner Wirklichkeit.“
(Bahá’u-llah, Verborgene Worte.)
1. Kapitel.
Die göttlichen Manifestationen.
Gott sei Dank, daß die Sonne der Wirklichkeit am Himmel der Religion aufging. Scharen um Scharen kommen von allen Teilen der Welt unter ihre Strahlen, und binnen kurzem werden sich diese Strahlen über die ganze Welt verbreiten.
Ich wünsche euch einen allumfassenden Patriotismus. Ein sich hochaufschwingender Vogel hängt sein Herz nicht an sein irdisches Nest. Zur Zeit der Morgendämmerung singt er stets eine neue Melodie und jeden Abend trillert er die Weisen der göttlichen Geheimnisse in einer andern Wiese. Manchmal schwingt er sich empor und überfliegt die Gipfel der grünen Berge, ein andermal breitet er seine herrlichen Schwingen über Wüsten und Ebenen aus, und wieder ein andermal läßt er ideale Melodien ertönen und singt die lieblichen Geheimnisse Gottes. Er hängt sein Herz nicht an seine Heimat und an seine Bequemlichkeit, noch beschränkt er sich auf sein Nest und seine Wohnung. Nein, er ist vielmehr berauscht von dem Wein der Liebe Gottes und singt die Hymnen und das Lob des Allmächtigen. Dies ist die Lebensweise und der Brauch der himmlischen Vögel; solcher Art ist das Betragen der Nachtigall aus dem Rosengarten des Barmherzigen!
Heute ist Festigkeit im Bündnis das Mittel zur Verbreitung des Wortes Gottes, und diese Festigkeit verleiht den Worten des Lehrers Kraft. Wenn sich an diesem Tag jemand erhebt, um das Königreich Abhás zu verkünden, so wird dadurch eine magnetische Kraft erzeugt, welche die Strahlen der Bestätigung anzieht; die „Allerhöchsten Heerscharen“ werden ihn — sofern er aufrichtig ist — siegreich machen und die Macht des Heiligen Geistes wird ihm beistehen.
Jede Religion lehrt, daß ein Mittler notwendig ist zwischen dem Menschen und Gott — eine Persönlichkeit, die das Licht und den göttlichen Glanz in Fülle empfängt und diese wieder auf die Menschheit ausstrahlt, wie die irdische Atmosphäre die Wärme der Sonnenstrahlen empfängt und sie wieder nach allen Richtungen hin verbreitet. Dieser Mittler zwischen Gott und der Menschheit hat verschiedene Benennungen (Namen), obschon er immer dieselben geistigen Befehle bringt.
In einem Zeitalter ist es Abraham, in einem andern Jesus und wieder in einem andern Mohammed. Die Anhänger eines jeden wenden sich, um Kraft zu empfangen, an die göttliche Wirklichkeit. Die Anhänger Moses anerkannten diesen als den Mittler; die Anhänger Zoroasters nahmen diesen als ihren Mittler an; aber alle Israeliten verleugnen Zoroaster und die Zoroastrier leugnen Mose. Sie verfehlen, in beiden die eine göttliche Wirklichkeit zu erblicken. Hätten die Zoroastrier das Wesen Zoroasters erkannt und begriffen, dann hätten sie auch Mose und Jesus verstanden. Leider hängt sich die Mehrzahl der Menschen an die Namen der Mittler, wodurch ihnen der Blick für den wirklichen Zweck des Kommens dieser Botschafter Gottes verloren geht. Deshalb rief Bahá’u’lláh aus: „O Gott, errette uns aus der See der Namen!“
Der Mensch muß sich zum Licht wenden. Er darf nicht denken, die Lampe sei die
Hauptsache, denn die Lampe mag gewechselt werden; aber wer sich nach Licht sehnt,
bewillkommnet das Licht, einerlei aus welcher Lampe es hervorleuchtet. Wenn die
Juden Mose wirklich verstanden hätten, dann hätten sie Christus angenommen; aber sie
waren mehr mit dem Namen als mit der Wahrheit beschäftigt, und als dieser Name
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verändert wurde, verleugneten sie die Wirklichkeit.
Dasselbe ist heute bei den Christen der Fall. Wie bedauerlich ist es, daß sie einen Titel, einen Namen anbeten! Sie sehen nur das Gewand. Wenn jemand einen König nur an seinen Kleidern erkennt, so wird er ihn nicht mehr erkennen, wenn er andere Kleider trägt.
Wer ist der Christus? Wenn jemand die Christuseigenschaften aus einer andern Lampe hervorleuchten sieht, dann muß er doch das Licht erkennen. Wir können sagen, diese Blume sei sehr schön, wir dürfen aber nicht sagen, daß sie die einzige schöne Blume sei. Ihre Schönheit und Vollkommenheit ist der göttlichen Gabe zuzuschreiben, einer Gabe, die in ihrer Offenbarung universal und unbegrenzt ist. Diese wunderbaren Gaben Gottes sind fortdauernd, d.h. sie sind keiner Unterbrechung ausgesetzt. Wenn die Ausgießung des Lichts unterbrochen würde, dann würden wir in der Finsternis sitzen. Aber wie könnte es zurückgehalten werden? Wenn die göttlichen Gnaden unterbrochen wären, dann würde die Gottheit selbst unterbrochen sein. Sogar der Mensch bittet um Fortbestand.
Wir haben Augen und wünschen uns dennoch ewiges Gesicht. Blindheit ist eine Unvollkommenheit. Wir haben Ohren, daher ist Taubheit ein offenbarer Mangel. Wenn wir diese Mängel schon in der Menschenwelt als Unvollkommenheiten betrachten, wie viel größere Mängel müßten sie sein, wenn wir sie in der göttlichen Welt sehen würden? Die Gaben Gottes sind ohne Anfang und ohne Ende.
Mazandaran, Ruines de la forteresse Nouri.
Die Ruinen der Festung Nur, dem Geburtsort Baha’u’lláhs.
Wir müssen Verehrer der Sonne der Wirklichkeit sein; einerlei an welchem Horizont
sie auch aufgehen mag. Wir dürfen nicht nur den Horizont verehren; denn wenn
wir unsere Aufmerksamkeit einem Punkt des Horizonts zuwenden, mag es vorkommen,
daß die Sonne an einem andern aufgeht, wodurch wir der Segnungen der Sonne
verlustig gehen. Diese Segnungen bestehen in den göttlichen Gaben, sowie in der
Führung und Gunst Gottes. Dies ist geistiger Fortschritt.
Ich bete für eure Gesundheit und Glückseligkeit. Betrachtet die weite Ferne, aus
der ich zu euch kam. Ich empfand eine große Sehnsucht, mit euch zusammenzukommen.
Gelobt sei Gott, durch Dessen Gunst diese Zusammenkunft ermöglicht wurde. Wir sind
glücklich, uns hier in dieser Versammlung zusammengefunden zu haben.
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Meine größte Glückseligkeit aber ist, zu wissen, daß wir uns im Königreich Abhás
begegnen werden, wie wir uns hier begegneten. Möge der Glanz der Herrlichkeit
Gottes jeden von euch überfluten.
Preis sei Gott, daß durch die Leiden Bahá’u’lláhs so viele Seelen erzogen wurden. Manche von ihnen leuchten am Horizont des ewigen Ruhmes; besonders die, welche alles opferten, sogar ihr Leben, und die, welche die Macht Bahá’u’lláhs widerspiegelten, indem sie selbst unter dem Schwert noch strahlend vor Freude ausriefen: „Ja Bahá El Abhá!“ Aus Liebe zu ihm tranken mehr als 20000 den Kelch des Märtyrertums. Während sie sich unter den Schwertern ihrer Peiniger befanden, tanzten sie noch triumphierend vor Freude. Europäische Geschichtschreiber bezeugten diese Tatsache, und selbst die Feinde des Glaubens berichteten dies Märtyrertum. Sie behaupten, Bahá’u’lláh habe eine überirdische Macht auf diese Menschen ausgeübt.
Nun möchte ich euch die Geschichte von zwei Märtyrern erzählen. Einer von ihnen war ein persischer Edelmann, ein Begünstigter am Hofe, der großen Reichtum besaß und weithin bekannt war. Als man erfuhr, daß er ein Bahái sei, verhaftete man diesen berühmten Mann und warf ihn und einen andern Bahái ins Gefängnis, wo ihnen weder Nahrung noch Wasser verabreicht wurde. Am dritten Tag bat einer von ihnen den Gefängniswärter um eine Tasse Tee. Von seinem menschlichen Gefühl geleitet, entsprach der Gefängniswärter der Bitte. Der Gefangene dankte ihm und sagte: „Es tut mir außerordentlich leid, Ihnen Mühe zu machen; aber haben Sie ein wenig Geduld und erfüllen Sie uns heute Nacht unsere Bitten, denn morgen abend werden wir die Gäste Gottes sein.“
Am vierten Tag wurden sie aus dem Gefängnis geholt; man ließ zwei Bären vor ihnen tanzen, und um sie weiter zu demütigen, wurden auch einige Esel herbeigeholt. Dann wurden Salomon Khan (so hieß der persische Edelmann) und sein Freund in ein Zimmer gebracht; dort wurde ihnen die Brust aufgeschnitten und in die klaffenden Wunden brennende Kerzen gesteckt. Diese Art der Folter wird in Persien als die erniedrigendste betrachtet.
In diesem Aufzug führte man die beiden Gefangenen durch die Stadt. Salomon Khan blickte um sich und sagte: „Es liegt kein Grund vor für einen solchen Tumult. Warum macht man so viel Aufhebens wegen unseres Todes? Wahrlich, dies ist unser Hochzeitsfest, deshalb sind wir sehr glücklich.“ Umringt von einer Horde Menschen und gefolgt von einer Menge Neugieriger, führte man diese Opfer durch die Bazare und Straßen der Stadt. Manche stachen sie mit langen Nadeln und sagten: „Tanzet vor uns!“ Mit unentwegtem Mut und mit Frohlocken wanderten sie so vom Morgen bis zum Abend durch die Stadt. Wenn die Kerzen niedergebrannt waren, steckten die Gefängniswärter wieder neue in die Wunden.
Während dieser ganzen Zeit blieben unsere Helden ruhig und zeigten glückliche Gesichter; sie lächelten während des Marsches die links und rechts neben ihnen gehenden Leute an, blickten dann wieder himmelwärts und murmelten Gebete. Endlich gelangten sie am äußersten Stadttor an, wo dann jeder der beiden in vier Stücke gehauen wurde.
Teheran hat vier hohe Tore. An der Seite eines jeden dieser Tore wurde ein Teil der Körper dieser Märtyrer aufgehängt. Salomon Khan hatte selbst in dem Augenblick, da er zerstückelt wurde, noch zu Gott gebetet und ihn um Beistand angefleht. Die Geschichte dieser Märtyrer ist in einem Bericht, den ein Feind der Baháisache geschrieben hat, zu finden; denn alle derartigen Vorkommnisse wurden durch die Geschichtsschreiber des Schah niedergeschrieben. Am Schluß des Berichts erwähnte der Geschichtsschreiber in bezug auf Salomon Khan: „Dieser Mann war von einem bösen Geist besessen.““
Mit diesem Bericht möchte ich euch nur zeigen, wie sehr die Gläubigen Gottes bereit sind ihr Leben hinzugeben, wie selbstaufopfernd, fest und standhaft sie sind. Diese wunderbaren Seelen sind das Ergebnis des Lichts, das von Bahá’u’lláh ausgeht und sie mit einer solch wunderbaren Macht zum Königreich Gottes anzieht, daß diese Märtyrer gleich den Fixsternen für immer am Horizont El Abhás leuchten werden.
Denket über diese Geschichte nach, damit ihr die geheimnisvolle Macht der [Seite 5]
Aufopferung und der Treue verstehen lernt und erkennet, wie diese Märtyrer von den
frohen Botschaften des Königreiches hingerissen waren.
Laßt uns nun einen Vergleich mit den Tagen von Christus anstellen. Christus hatte nur elf Apostel, denn der zwölfte wurde mit zur Ursache seiner Kreuzigung. Der Führer der Apostel war Petrus, und doch wurde in der Nacht vor der Kreuzigung Christi sein Glaube derart erschüttert, daß er Christus dreimal verleugnete, obschon er hernach fest wurde. Außer Maria Magdalena waren zur Zeit der Kreuzigung alle erschüttert. Sie aber war ein wahrer Löwe. Sie versammelte die andern und sagte: „Warum seid ihr so erschüttert? Hat euch Christus nicht seine Kreuzigung vorausgesagt? Raffet euch auf und seid getrost! Alles, was sie töteten, war sein Körper; die Wirklichkeit kann niemals sterben, denn sie ist ewig, das Wort Gottes, der Sohn Gottes. Warum seid ihr also bekümmert?“ So wurde diese Heldin zur Ursache der Wiederaufrichtung des Glaubens der Apostel.
„Ich hoffe, daß jeder von euch werde wie Maria Magdalena; denn diese Frau war allen Männern ihrer Zeit überlegen, und ihr Wesen leuchtet für immer am Horizont Christi. Seid rein! Rein sein, heißt selbstlos sein.“
Der Tag der Erklärung des Báb.
Der Báb, der erste Punkt der neuen Schöpfung, erklärte am 23. Mai 1844, daß er der Vorläufer dessen sei, den Gott offenbaren werde (Bahá’u’lláh). Am gleichen Tag wurde 'Abdu'l-Bahá geboren.
Der Tag der Erklärung des Báb und der Geburt 'Abdu'l-Bahás hat also eine doppelte Bedeutung und ist daher der köstlichste Tag der Bahái im ganzen Jahr. In diesem Jahr hatten die Pariser Bahái die Ehre, 'Abdu'l-Bahá gerade an diesem Tag in ihrer Mitte zu haben. Vom frühen Morgen an versammelten sich die Freunde um Ihn; sie brachten Ihm bei der Begrüßung lieblich duftende Blumen, die Er sehr liebt. Diejenigen, welche früh genug kamen, hatten das Glück, von Ihm zu einer Tasse persischen Tees eingeladen zu werden.
Abends wurde im Hause von Herrn und Frau Dreyfus die übliche Freitagsversammlung gehalten, und bei dieser Gelegenheit wurde uns wieder besondere Freude zuteil.
Die Versammlung wurde eröffnet von Mirza Mohammed, der in persischer Sprache ein Gebet sang, von dem Herr Dreyfus sagte, daß es in Persien immer an diesem Tag gesungen werde. Dann sprach Herr Dreyfus über das tiefe Mysterium der zwei Ereignisse, die auf diesen Tag fielen, und von der großen Freude, 'Abdu'l-Bahá zu dieser Zeit unter uns zu haben. Er sprach davon, daß 'Abdu'l-Bahá ruhig und scheinbar ohne besondere Tätigkeit unter uns lebe, aber dennoch eine große geistige Kraft aussende, die die ganze Welt stärke.
'Abdu'l-Bahá ließ dann von dem Zimmer aus, in dem Er sich ausruhte, Frau Bernard bitten, etwas zu uns zu sprechen. Sie sprach: „Der größte Beweis von des Meisters erhabener Stufe ist, daß Er bei jedem, der zu Ihm kommt, entdeckt, was er nötig hat und wessen er fähig ist. Seine Lehren unterscheiden sich von den religiösen Lehren der Vergangenheit an folgendem Merkmal: Die früheren Offenbarer sagten: „Gehe aus und lehre die Menschen, daß sie Brüder sein sollen“, wohingegen diese Offenbarung befiehlt: „Gehe und sei jedem Menschen ein Bruder!“ Heute abend haben wir das lebendige Vorbild dessen unter uns, der diese Vorschrift praktisch lebt.
'Abdu'l-Bahá trat ein. Wir alle erhoben uns und Er sprach:
„Heute ist der Gedenktag der Erklärung des Báb -— Friede sei auf Ihm! An diesem Tag erklärte der Báb Seine Mission in Schiras (Persien). Die Offenbarung des Báb gleicht der Morgendämmerung, denn diese geht der Sonne voran. Die Morgendämmerung des Báb verhieß das Aufgehen der Sonne der Wahrheit, die kam, um die ganze Welt zu entwickeln.
Der Báb sagte: „O mein glorreicher Herr! Ich opfere mich gänzlich Dir. Mein
einziger Wunsch ist ein Märtyrer für Deine Liebe zu werden. Du genügst mir!“ Sein
Wunsch ging in Erfüllung. Die herrliche Krone des Märtyrertums wurde ihm auf sein
Haupt gesetzt. Das Leuchten ihrer Edelsteine ist in der ganzen Welt zu sehen.
Zuerst wurde er in Schiras gefangengenommen. Nach seiner Freilassung ging er nach
Isfahan. Später wurde er wieder gefangen genommen und nach der Burg Maku verbracht
und schließlich wurde er auf einem öffentlichen Platz in Täbris erschossen; aber
dies erhabene Märtyrertum erhob sein
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Banner noch höher und erhöhte die Macht der göttlichen Manifestation.
„Die Wirklichkeit, welche diese Manifestationen widerspiegeln, ist die gleiche von Anfang an. Christus war von Anfang an das Wort Gottes. Mohammed sagte: „Ich war Prophet, ehe Adam war“, und Bahá’u’lláh sagte: „Im Anfang, der keinen Anfang hat, liebte ich dich.“
„Die Sonne ist immer die Sonne; wenn sie zu einer gewissen Zeit kein Licht gegeben hätte, so wäre sie in dieser Zeit nicht die Sonne genannt worden, denn die Kennzeichen der Sonne sind Licht und Wärme. Die heiligen Manifestationen befinden sich von allen Zeiten her in ihrer glorreichen Stufe, ihre Wirklichkeit leuchtet von Anfang an. Es ist jene Wirklichkeit, die verursacht, daß die göttlichen Vollkommenheiten sichtbar werden; aber der Tag ihrer Offenbarung ist der Tag, an dem sie sich als Gottgesandte erklären.
„Der Báb gab in seinen Schriften die frohe Ankündigung vom Kommen Bahá’u’lláhs. An einer Stelle sagte er: ‚Im neunzehnten Jahr werdet ihr in eurer Begegnung mit Gott zur vollkommenen Wohlfahrt gelangen. Der Horizont wird erleuchtet sein, der unendliche Geist wird sein stilles sanftes Säuseln vernehmen lassen, die göttliche Verkündigung wird ertönen!‘
„Als sich dann Bahá’u’lláh neunzehn Jahre nach des Bábs Erklärung als die „Herrlichkeit Gottes“ erklärte, glaubten die Anhänger des Báb, mit Ausnahme weniger, an Ihn. Sein Glanz strahlte hervor wie der Glanz der Sonne. Schon vor Seiner Erklärung wurde Seine Macht erkannt; am Tag Seiner Erklärung aber wurden alle sie gewahr und alle waren verwundert über Seine Vollkommenheit. Bedenket in welch kurzer Zeit Er Seine Sache verbreitete, obwohl Er ein Verbannter und ein Gefangener war. Zwei Könige planten Seinen Tod, und doch wurde Seine Macht Tag für Tag größer. In der Dunkelheit Seines Gefängnisses leuchtete Er wie ein Stern. Je mehr von Seinen Anhängern getötet wurden, desto mehr wuchs ihre Zahl; für jeden getöteten Nachfolger Bahá’u’lláhs erhoben sich hundert neue. Niemand kam in Seine Gegenwart, ohne von Ehrfurcht ergriffen zu werden. Die Gelehrten, welche zu Ihm kamen, waren erstaunt über Sein Wissen und doch hatte Er niemals eine Schule besucht, noch wurde Er sonst von jemand gelehrt. Alle Seine Freunde und Seine ganze Familie bezeugen dies, und dennoch sind Seine Lehren die Seele dieses Zeitalters.
„Die Sonne gibt aus sich selbst Licht, sie bezieht es nicht von andern Quellen. Der Mond bezieht sein Licht von der Sonne. Die göttlichen Lehrer haben das Licht in sich selbst, sie erlangen es nicht von anderer Seite; sie haben eigenes Wissen und verstehen alle Dinge im Weltall. Die übrige Welt empfängt ihr Licht von ihnen, und durch sie werden Künste und Wissenschaften erworben.
„Abraham und Mose besuchten keine Schule. Jesus genoß weder Schulbildung noch hatte er einen sonstigen Lehrer. Mohammed hatte keine Unterrichtsstunde und der Báb und Bahá’u’lláh hatten keine Professoren. Leset die Bücher, die Bahá’u’lláh schrieb, die Philosophen und Weisen des Orients werden euch Seine Beredsamkeit und Gelehrsamkeit bezeugen. Im Orient wird dies als ein Beweis Seiner Göttlichkeit betrachtet. Dort sagen sie: „Wenn jemand imstande ist, einen Brief so zu schreiben wie Bahá’u’lláh, dann kann Bahá’u’lláhs Göttlichkeit geleugnet werden." Nicht einer hat es gewagt, sich mit Ihm zu messen.
„Wie können nun diejenigen, welche in bezug auf ihren Lebensunterhalt von Sterblichen
abhängig sind, göttliche Botschafter sein? Wie kann eine Lampe, die angezündet werden
muß, ewig sein?“ Die göttlichen Manifestationen erwerben sich ihre Vollkommenheit
nicht, denn dieser Baum des Lebens ist von Geburt an ein Fruchtbaum, er wird
es nicht erst durch Veredlung. Dies ist der heilige Baum, der seinen Schatten über die
ganze Welt ausbreitet. Solches ist die Mission Bahá’u’lláhs. Unter diesem Baum werden
alle Fragen gelöst. Ich beglückwünsche euch an diesem heiligen Tag, dem Gedenktag
der Erklärung des Báb, dem Tag, an dem Bahá’u’lláhs Name zum ersten Mal auf
dieser Erde genannt wurde und die Morgendämmerung der neuen Zeit in dieser Welt
am Horizont erschien. Möget ihr alle gesegnet sein und zur Ursache der Freude
und des Wiederaufflammens des Feuers der Liebe Gottes in allen Herzen werden.“
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Die folgenden Worte wurden von 'Abdu'l-Bahá in der Fastnachtswoche in Paris gesprochen. Mirza Ali Akbar, ein Bahái aus Teheran, war soeben von Persien angekommen, um sich der Gruppe, die sich jeden Morgen um 'Abdu'l-Bahá versammelte, anzuschließen. Auf Wunsch 'Abdu'l-Bahás sang der Neuangekommene ein Gebet in seiner Muttersprache. Dann sprach 'Abdu'l-Bahá:
„In dem Gesang, den wir soeben hörten, erklärte Bahá’u’lláh, daß alle Augen schlafen und alle Menschen auf den Betten der Bequemlichkeit und der Nachlässigkeit ruhen, während Er allein auf der Erde wachend und betend auf Seinem Posten stehe. Es sei Mitternacht und Er warte darauf, daß die achtlose Welt erwache. Dasselbe ist hier in Paris während dieser Tage des Karnevals der Fall. Die Menschen gehen ins Theater, sie suchen ihr Vergnügen im Besichtigen von Sehenswürdigkeiten, jeder ist darauf bedacht etwas für sich zu erhaschen; sie tanzen, sie singen, sie spielen, sie musizieren, sie gehen spazieren, sie unterhalten sich, sie sind erfüllt von irdischen Gedanken, sie sind versunken im Materialismus, sie vernachlässigen Gott.
„Gott sei Dank! Diese Versammlung hat eine göttliche Bedeutung. Während andere von materiellen Dingen angezogen sind, seid ihr es, Gott sei Dank! von den geistigen. Alle hiesigen Einwohner belustigen sich mit irdischen Träumen und maskieren sich in diesen Tagen mit fantastischen Gewändern; aber ihr seid mit Gott beschäftigt. In jedem Theater hört man irdische Lieder; aber euer Lied ist die Erwähnung Gottes. Laßt uns Gott dafür danken, daß Er uns bis hieher führte und uns für die Erwähnung Seines Namens erwählte. Er hat das Licht des Königreichs auf uns gelenkt. Laßt uns außer dieser Verherrlichung keine anderen Gedanken hegen, damit unsere völlige Glückseligkeit darin bestehe: Ihm zu dienen. Laßt uns Gott danken und Ihn beständig anflehen, uns täglich mehr zu erleuchten, damit wir mehr geistige Anziehungskraft erlangen und imstande sind, in der Erwähnung Gottes größere Dienste zu leisten. Mögen uns unsere Taten derart kennzeichnen und wir in unserer Sittenreinheit so auffallen, daß von einem jeden von uns gesagt werde: „Dies ist ein wahrer Bahái.“ Laßt uns an der göttlichen Schwelle darum bitten und flehen, daß die Erde von den reinen Düften El Abhás durchduftet wird, und daß die aus den Rosenknospen der göttlichen Gunst kommenden Lüfte durch unsere Herzen wehen mögen, damit wir auch am Hofe Gottes so geeinigt seien, wie wir hier in der Liebe, die nie stirbt, geeinigt sind.
„Die Menschheit ist im Materialismus versunken; sie beschäftigt sich mit allem, nur nicht mit der Erwähnung Gottes; es wird von allem gesprochen, nur nicht vom himmlischen Königreich; man hört auf alles mögliche, nur nicht auf den Ruf Gottes. Was das Erkennen des Göttlichen betrifft, so ist es damit, als ob manche Menschen in der Erde begraben wären, und als ob sie immer mehr und mehr in der Finsternis der Erde versänken und nicht die geringste Kenntnis von den Dingen auf der Erde hätten.
„Ich hoffe, daß die wenigen hier versammelten Freunde, die größten Anstrengungen machen, daß sie Tag und Nacht arbeiten werden, damit in dieser Beziehung Besserung erzielt wird. Vielleicht wird Europa des dumpfen Materialismus dieser Welt müde und sucht nach seinem Anteil am himmlischen Ruhme.
„Europa hat außerordentliche materielle Fortschritte gemacht. Was für dauernde Ergebnisse können aber erzielt werden, wenn die Eigenschaften dieses Fortschritts alles mit dem Staub gemein haben? Das erstrebenswerte Ideal ist im höchsten Horizont zu suchen — es ist das, was ewig ist. Das Erdinnere bildet nur eine Heimat für die Würmer und die Maulwürfe; was aber die Ursache der Freude ist, ist ein Nest, erbaut auf dem höchsten Zweig.
„Tut was ihr könnt, und strebet Tag und Nacht, damit es euch möglichst gelingt, die Achtlosen zu erwecken, den Blinden Gesicht und den Toten Leben zu geben; erfrischet die Müden, bringet Hoffnung den Verzweifelnden und Licht und Glanz den in Dunkelheit Weilenden!
„Wenn die Hoffnung des Menschen auf die materielle Welt beschränkt wäre, zu welchem
Endzweck arbeitet er dann? Einem auch nur mit wenig Verstand ausgestatteten
Menschen muß es einleuchten, daß er ein
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Leben führen sollte, das sich wesentlich unterscheidet von dem der Würmer, die sich
an die Erde halten, in welcher sie zuletzt begraben werden. Wie kann der Mensch befriedigt
sein mit einer solch niederen Stufe? Wie kann er in ihr seine Glückseligkeit finden?
Ich hoffe, daß ihr frei werdet von der materiellen Welt und daß ihr darnach
strebet, die Bedeutung der himmlischen Welt zu verstehen, damit euer Leben nicht
unfruchtbar sei; denn das Leben des materiellen Menschen zeitigt keine Früchte der
Wirklichkeit, aber durch die himmlische Existenz werden bleibende Resultate hervorgebracht.
„Wenn ein Mensch von dem göttlichen Funken berührt wird, so wird er — selbst wenn er ein Verbannter und Unterdrückter ist — glücklich sein, und diese Glückseligkeit kann niemals sterben.
„Was der Mensch auch unternimmt, irgend ein Resultat wird er erzielen. Er wird seine Bemühungen belohnt sehen, einerlei, ob sich diese auf seine Dienste als Staatsmann, in der Wissenschaft, im Handel, in der Landwirtschaft usw. erstrecken. Bedenket daher, was das Ergebnis derer sein wird, die in der universalen Sache arbeiten!
„Die Belohnung der Erkenntnis der Wirklichkeit besteht im ewigen Leben; dies ist jene Lampe, die nie mehr ausgelöscht werden kann. Betrachtet, zu welcher Herrlichkeit das einfache Bauernmädchen Maria Magdalena gelangte! Ein weiser Mensch findet keine Befriedigung in der materiellen Welt; er begnügt sich nicht damit, zu sein wie irgend eines der andern Geschöpfe der Erde. In der Welt des göttlichen Glanzes wird er ewiges Leben finden und entflammt werden mit dem Feuer der Liebe Gottes — der größten Quelle des unsterblichen Königreiches, und sein Haupt wird geschmückt sein von einer Krone mit ewigen Juwelen. Die Verkündigung des Königreiches Abhás wird mit Kraft und Macht eine neue Zivilisation gründen und die Menschheit umwandeln. Die toten Körper werden lebendig, der verdunkelte Himmel klar und leuchtend; die blinden Augen werden sehend, die tauben Ohren hörend, die Stummen werden sprechen und die Gleichgültigen mit den Blumen der göttlichen Zivilisation geschmückt werden. Ich hoffe, daß die lichten Wolken dieser göttlichen Zivilisation auf uns herabkommen!“
Die zwei strahlenden Leuchten.
Eine Erzählung von Jenabi Fazl Masenderani.
Aus dem „Star of the West“ vom Dezember 1922 übersetzt von Wilhelm Herrigel.
Die folgende Geschichte ist von dem bekannten und hervorragenden persischen Geschichtschreiber und Philosophen Jenabi Fadil in der bilderreichen Sprache des Orients niedergeschrieben. Der persische Originalbericht ist in derselben Nummer des „Star of the West“ enthalten.
„Die beiden Märtyrer, von denen wir hier berichten, waren nach Leib und Seele reine Abkömmlinge Mohammeds. Sie waren wie schöne duftende Rosen aus seinem (Mohammeds) Rosengarten und nach dessen beiden Enkeln, Hassan und Houssein genannt. Isfahan, eine der größten Städte Persiens, war ihre Heimatstadt. Sie waren zwei leuchtende Sterne am Himmel der Sache Bahá’u’lláhs, die sich vor allen anderen auszeichneten durch edle Charaktereigenschaften, was sie sehr beliebt machte.
Als in den Jahren 1844—1845 der Morgen der Wirklichkeit dämmerte, wurde der Horizont ihrer Rasse von dem göttlichen Lichte erleuchtet, auch wurde diese geehrt mit dem Gewand der Führung.
Im Jahre 1846 wurde der Báb infolge des Aufstands, den die Gelehrten verursachten, auf Befehl der Regierung von seiner Heimatstadt Schiras nach Isfahan verbannt. Dadurch wurden die nach dem Wasser der Erkenntnis Dürstenden erquickt und den in der Stadt Isfahan nach der Wahrheit der Religion Suchenden wurde ihr Wunsch erfüllt, denn sie gelangten zur Begegnung mit dem Báb.
Eines Abends lud Mirza Ibrahim, der edle Vater der Brüder Hassan und Hussein, den Báb in
sein Haus ein. Durch seinen Besuch wurde dieses Haus mit dem Lichte seiner Gegenwart erleuchtet;
es flossen in dieser Nacht Ströme aus den Wolken der Gnade hernieder, die göttlichen
Gaben wurden ihnen zuteil und das himmlische Mahl kam ununterbrochen herab. Von da ab
erleuchtete das Licht der Führung das Bewußtsein
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dieser ganzen Familie. Durch ihre Hingabe an diese Sache waren sie neu geboren und wurden
edle und fruchtbare Bäume im göttlichen Garten. Bahá’u’lláh wurde später auf Befehl der Regierung
von Persien verbannt und kam mit Seinen Getreuen im Jahr 1852 in Bagdad an. Auf diese
Weise war diese Stadt elf Jahre lang der Aufgangspunkt des Lichtes der Führung, der
Mittelpunkt der Ausbreitung der Wahrheit und der Wohnort der Angehörigen der reinen Religion und
der Weisheit. Während dieser Zeit hatten diese zwei Brüder das Vorrecht von Isfahan nach Bagdad
reisen zu dürfen, wo sie zur Begegnung mit Bahá’u’lláh kamen und eine Zeit lang von dem reinen
heilsamen Wasser der göttlichen Quelle schöpften. Sie wurden berauscht von dem lebengebenden
Wein der Liebe Gottes, erlangten, was sie gewünscht hatten, und ihre größten Hoffnungen
gingen in Erfüllung. Sie flehten zu der Quelle der Gunst und der Gaben, daß sie zu den Höhen
der Herrlichkeit und des geistigen Reichtums gelangen möchten und dieses Gebet wurde erhört.
Als sie nach Isfahan zurückkehrten, glichen sie zwei Falken mit kräftigen Schwingen, denn sie stiegen auf zum Gipfel materiellen und geistigen Fortschritts. Sie glichen neuen Geschöpfen, und es zeigte sich ein wunderbarer Geist in diesen geheiligten Tempeln. Das Licht, das aus ihren Gesichtern leuchtete, verkündigte die „Frohen Botschaften“ von den Gaben und Wohltaten Gottes. Ihre Herzen widerspiegelten das göttliche Licht. Ihre Gesichter strahlten und leuchteten. Ihre Charaktere glichen einem Rosengarten. Ihre Worte waren zart und ihre Aeußerungen voll köstlicher Edelsteine der Erkenntnis und der geistigen Empfänglichkeit. Sie waren reich im Reichtum Gottes und unabhängig von allem, außer Ihm. Zu alledem zogen sie noch die Aufmerksamkeit auf sich infolge ihres materiellen Reichtums. Ihre Einnahmen flossen reichlich aus dem Geschäft, das sie betrieben, und groß war ihr guter Ruf. Sie hatten ausgedehnte, geschäftliche Beziehungen, so daß sie in ständiger Verbindung mit anderen Städten waren; auch waren ihnen die wichtigsten Angelegenheiten der Stadt anvertraut. Sie verkehrten mit den führenden Persönlichkeiten, den Gelehrten, mit den einflußreichen vermöglichen Kaufleuten und mit den höchsten Beamten. Sie selbst aber wurden aufgesucht von den Bedürftigen und Untergebenen. Sie waren eine Zuflucht für die Armen, ein Schutz für die Waisen, die Witwen und die Schwachen, eine reiche Schatzkammer für die Bedürftigen, ein Heiler für jeden Kranken und eine Hilfe für jeden hungernden Reisenden. Die Bittsteller wiesen sie niemals ab und für die Hoffnungslosen bedeuteten sie die Hoffnung. Das Tor ihrer Freigebigkeit war immer für jedermann geöffnet. Während der Hungersnot in Isfahan gaben daher diese zwei Brüder ihren Reichtum weg, indem sie Lebensmittel einkauften für die Hungernden und diese so vom Tode erretteten.
Zu jener Zeit war der Widerstand gegen die Bahái sehr groß. Die mohammedanischen Gelehrten nannten sie Ungläubige und verurteilten sie zum Tode, und die damalige Regierung mußte das Urteil, ob willig oder unwillig, vollstrecken. Jeden Tag hörte man Neues über die verschiedenen Maßnahmen, über das Einziehen des Eigentums der Bahái, deren Gefangensetzung und Hinrichtung. Isfahan war hinsichtlich dieser Verfolgungen tonangebend für alle anderen Städte. Ein reicher und mächtiger Mulla (mohammedanischer Priester) veranlaßte durch seinen Einfluß und seine Macht die Ermordung einer großen Anzahl von Bahái. Er faßte einen um den andern dieser unschuldigen Menschen, mit seinen Krallen und mit seinen Zähnen zerriß und zerbiß er diese Lämmer und vergoß ihr Blut. Darum wurde er Zi’b, der Wolf, und sein Sohn und Nachfolger, der Sohn des Wolfs genannt. Um diese Menschen zu erwecken und zu führen, schrieb Bahá’u’lláh ein langes und eingehendes Sendschreiben, das jetzt über die ganze Welt verbreitet ist. Es ist genannt: „Das Buch an den Scheich und das Sendschreiben an den Sohn des Wolfs.“
Die Regierung von Isfahan lag zu jener Zeit in den Händen eines grausamen und ungerechten Prinzen, der viele Menschen umbringen ließ, deren Eigentum einzog, und dem es anscheinend ein besonderes Vergnügen machte, das Blut der Unschuldigen und Unterdrückten zu vergießen. Wenn die Ungerechtigkeiten und Greueltaten dieses Gouverneurs alle aufgezählt würden, so würden diese Berichte ein großes Buch füllen.
Zu jener Zeit öffneten die Brüder Hassan und Hussein ihr Haus für alle Bahái. Sie erfüllten all ihre Pflichten und fürchteten niemand; im Gegenteil, sie waren die Standartenträger dieser gesegneten Sache in Isfahan und die Beschützer der Unterdrückten. So oft einer dieser Unschuldigen von den Feinden angegriffen wurde, wandten sie jegliches erdenkbares Mittel an, um diesen zu retten. Ihr Haus wurde als der Mittelpunkt für die Bahái angesehen, denn diese gingen dort ein und aus und trafen sich daselbst zu allgemeinen Versammlungen. Diese beiden Brüder fürchteten auch nicht den Haß der Mullas noch deren öffentliche Angriffe; sie waren so berauscht von dem Wein der Liebe und des Glaubens, daß sie sich völlig selbst vergaßen. Es schien als lebten sie nicht mehr auf dieser Erde, als hätten sie sich in ein unendliches Reich, in eine andere Welt, aufgeschwungen.
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Zur Zeit, als sich Bahá’u’lláh in Bagdad befand, sehnten sich diese zwei Brüder förmlich nach
dem Märtyrertum. Sie sandten eine Bittschrift an Ihn, in der sie Ihn baten, ihr Blut zugunsten des
Baumes der Sache Gottes vergießen zu dürfen, denn sie möchten sich zum Königreiche Gottes erheben.
Im Herzen und im Geiste hatten sie schon dies Ziel erreicht; sie waren schon zum wahren
Märtyrertum — der Trennung von ihrem eigenen Selbst und der völligen Hingabe in den Willen
Gottes — gelangt.
So standen die Angelegenheiten im Jahr 1878, dem Jahr, in dem sich die große Tragödie dieser beiden Brüder abspielte.
In Isfahan lebte damals ein reicher mohammedanischer Führer. Dessen Anhängerschaft war so zahlreich und sein Einfluß so groß, daß selbst der Gouverneur — so mächtig und unabhängig er sonst auch war — sich ihm fügen mußte. Bahá’u’lláh nannte diesen Menschen „Rakscha“ d.h. eine Schlange mit schönen muttermalartigen Flecken, sonst aber voll Giftes. Rakscha schuldete den zwei Brüdern mehr als 20000 Dollar und sein Eigentum war dadurch an sie verpfändet. Im Jahr 1878 baten sie ihn, er möchte seine Schuld begleichen. Darauf ersann er einen teuflischen Plan. Er beschloß sie dadurch wegzuräumen, daß er sie als Bahái anklagte. Er gedachte dadurch seine Schulden los zu werden und möglicherweise noch die Besitztümer der Brüder plündern zu können. Vertraulich enthüllte er diesen schlechten Plan dem Scheich Zi’b, dem Wolf, der in seinem großen Haß und Blutdurst sofort darauf einging und ihm seine Mithilfe versprach. Sie beschlossen ihren schrecklichen Plan zur Ausführung zu bringen und klagten die beiden Brüder beim Gouverneur mit folgenden Worten an: „Infolge ihrer hohen Stellung und mancher Tugenden ziehen diese Brüder das Volk allmählich in die Sache Bahá’u’lláhs hinein und zerstören dadurch die mohammedanische Religion. Deshalb ist es Ihre Pflicht, etwas zu tun, daß wir sie unschädlich zu machen vermögen.“
Zuerst war der Prinz darüber erfreut, aber nachher sagte er: „Niemand hat sie je eine unziemliche Tat begehen sehen, im Gegenteil, sie schmückten sich mit Eigenschaften und Taten, die Gott und seinen Geschöpfen gefallen. Um welches Verbrechens willen könnt ihr sie bestrafen?”
Sie erwiderten: „Es kann kein größeres Verbrechen geben, als die mohammedanische Religion aufzugeben und Schutz unter dem Schatten einer neuen Religion zu suchen.“
Der Prinz sagte: „Es sind direkte Nachkommen Mohammeds, und wir werden vor Gott für sie verantwortlich sein.“
Sie antworteten: „Da wir die wirklichen Mörder sind, so wollen wir die Verantwortlichkeit auf uns nehmen.“
Rakscha, die Schlange, der so ungeduldig und so begierig war, die Brüder umbringen zu lassen, legte dann seine Hand auf seinen eigenen Nacken, um damit zu zeigen, daß die Verantwortung auf ihn fallen würde.
Der Prinz sagte: „Diese zwei Brüder haben in vielen Städten geschäftliche Beziehungen, sicherlich würden durch eine solche Tragödie viele Kaufleute Verluste erleiden, die nachher Protest erheben, wodurch der Schah möglicherweise eine Untersuchung einleiten könnte.“
Sie erwiderten: „Wir nehmen die ganze Verantwortung auf uns und geben Ihnen die schriftliche Zusicherung, daß wir bereit sind, etwaige Fragen des Schah und der Kaufleute zu beantworten.“
Diese Zusicherung gaben sie dann dem Prinzen in einem eigenhändig geschriebenen Schriftstück und versprachen ihm in demselben einen großen Teil der Reichtümer dieser beiden Brüder.
Endlich willigte der Prinz in ihren Plan und bestimmte, daß er ausgeführt werden solle. Er ermahnte sie aber, die Sache geheim zu halten und niemand etwas davon wissen zu lassen.
Zur Zeit des Geburtstags des Propheten Mohammed (moh. Weihnachten) war es Volksbrauch, dem Gouverneur und den Gelehrten zu gratulieren. In jenem Jahr versammelte sich zu dieser Zeit eine große Anzahl Menschen von verschiedenem Rang, einschließlich einer Gruppe Männer, die die Stützen der Regierung bildeten auf dem Versammlungsplatz des Rakscha, der Schlange. Nach den wohlvorbereiteten Plänen des Rakschas und des Mullas sollten die zwei Brüder bei ihrer Ankunft verhaftet werden.
Zwei jüngere Brüder des „Königs der Märtyrer“ kamen zu dieser Versammlung. Als die beiden Platz genommen hatten, um Tee zu trinken, begann Rakscha sie heftig zu schelten und sagte: „Ihr seid Bahái, Ungläubige, ihr Unreinen verführt die Moslems.“ Dann gab er Befehl, ihnen die Teetassen aus den Händen zu schlagen, so daß der Tee verschüttet wurde. Dann schleppten die Diener die beiden vor den Prinzen und fügten ihnen die schwersten Demütigungen zu.
Ohne Kenntnis davon, wo sich der älteste und hervorragendste der Brüder, der „König der Märtyrer“
befand, ließ Rakscha nach ihm suchen. Er befand sich gerade im Hause eines berühmten
Mullas der Stadt. Dieser Mulla liebte ihn sehr und hatte die größte Hochachtung vor seinen
Idealen, seinem Charakter und seiner Erkenntnis. Als der König der Märtyrer zu diesem Mulla kam,
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sagte er zu diesem: „Infolge der Intrigen Rakschas und wegen dessen Gier nach meinen Besitztümern
wird sich heute noch eine entsetzliche Tragödie abspielen. Er hat alle Vorbereitungen
für meinen Märtyrertod getroffen.“
Der Mulla war ein naher Verwandter des Prinzen, und darum glaubte er, sein Haus könnte diesem Mann Schutz bieten. Warmherzig sagte der Mulla: „Ich werde dem Prinzen von den Intrigen des Rakscha sagen und werde niemals zugeben, daß dir ein Leid geschieht.“
Unterdessen waren die geräuschvoll nach dem König der Märtyrer suchenden Häscher des Rakscha im Hause des Mullas angekommen. Der Mulla verständigte seine Angehörigen, die Häscher abzuweisen, worauf diese zu Rakscha zurückkehrten und diesem berichteten, was beim Mulla vorging. Mittlerweile suchten die Boten des Mulla den Prinzen auf; sie erzählten diesem, was sich zugetragen hatte und baten dringend, er möchte doch auf den Rat des Mullas hören. Dieser aber sandte sofort seinen besten und mächtigsten Stellvertreter mit mehr als hundert Mann mit dem strikten Befehl, den „König der Märtyrer“ zu verhaften, in das Haus des Mullas. Der Abgesandte übergab dem Mulla einen Brief, in dem dieser gewarnt wurde, den Gesuchten zu beschützen, denn eine Zwietracht unter den einflußreichen Mullas würde zu schrecklichen Vorkommnissen führen.
Als diese gewalttätigen, grausamen Militär-Beamten das Haus stürmten, sah der Mulla ein, daß hier nichts mehr zu machen sei. Genötigt, zu dem König der Märtyrer zu gehen, erklärte er diesem in größter Besorgnis und Aufregung den Stand der Angelegenheit. Ohne Angst oder Aufregung, ja vielmehr mit höchster Freude eilte dieser aus seinem Versteck hervor, um sich auf dem Altar der Liebe zu opfern. Die Offiziere umzingelten ihn gleich einem Verbrecher und schleppten ihn zum Gouverneur. Auf seinem Leidensweg füllten sich die Straßen mit Menschen, die sich vor Erstaunen und Verwunderung in die Finger bissen. Viele der Zuschauer weinten, aber der König der Märtyrer war so glücklich und so voll Dank, als ob er im Begriff wäre, zu einem Konzert oder einem sonstigen Freudenfest zu gehen.
Als sie in der Stadthalle ankamen, schenkte er dem Vertreter des Gouverneurs seine Uhr und einige seiner schönen Kleidungsstücke. Sich entschuldigend, sagte er noch zu diesem: „Ich bin augenblicklich nicht in der Lage, Ihnen mehr als dies zu geben.“ .
Als er vor den Prinzen kam, sah er seinen Bruder dort. Mit heftigen Worten fing der Prinz sofort an, ihn seines religiösen Glaubens willen zu beschimpfen und zu beleidigen. Aber mit größter Höflichkeit erwiderte der König der Märtyrer: „Wenn Eure Excellenz wüßten, was ich weiß, würden solch unpassende und unzutreffende Bemerkungen nicht über Eure Lippen kommen.“
Darüber wurde der Prinz sehr zornig. Er nahm seinen Spazierstock und schlug damit heftig auf den König der Märtyrer ein und verwundete ihn dadurch am Kopf, im Gesicht und am Körper. Dabei drang er darauf, er solle den Baháiglauben ableugnen und ihn abschwören. Aber der König der Märtyrer schwieg. Der Mulla, welcher ihn so sehr liebte, stund auch dabei, und als er sah, wie trocken die Lippen seines Freundes waren, verlangte er Wasser, mit dem der König der Märtyrer in größter Sanftmut und Bescheidenheit seine Lippen benetzte. Der Prinz war außerordentlich überrascht und sagte zu dem Mulla: „Seltsam ist, daß er unter solchen Umständen noch eine derartige feine Lebensart und Höflichkeit zeigt, die von jeher seine Hauptcharaktereigenschaften waren.“
Kurz, die Stärke ihres Glaubens und ihre Standhaftigkeit in ihrer Religion wahrnehmend, geriet der Prinz in solche Wut, daß er den Befehl gab, die zwei Brüder in ihren Ketten wegzuschleppen, sie ins Gefängnis zu werfen, und ihnen dort die Kleider abzunehmen.
Rakscha aber sandte eine Kompagnie seiner Leute ins Haus der beiden Brüder, wo sie die vor Furcht weinenden Frauen und Kinder angriffen. Sie sperrten sie alle zusammen in einem Raume ein und ließen sie dort lange Zeit Hunger und Durst leiden. Sie plünderten und konfiszierten alles, was im Hause war: Geld, Juwelen und Möbel, ebenso alles, was sie im Laden fanden. Der Prinz sandte auch einen Mann ins Gefängnis mit dem Befehl, die Taschen der beiden Brüder zu durchsuchen und ihm alles, was er finde, Schecks, Banknoten und Quittungen zu bringen. Er nahm ihnen alle Kleidungs- und Ausstattungsstücke, und ebenso ihr Bankguthaben weg. Am gleichen Tage nahm er auch die ganze, zahlreiche Dienerschaft der beiden Brüder weg und beanspruchte sie für sich.
Währenddem sich die beiden Brüder im Gefängnis befanden, liefen beim Prinzen zahlreiche
Telegramme ein, in denen ihm die Kaufleute der verschiedenen Städte mitteilten, daß dieses
Vorgehen für sie ein großer materieller Verlust und ein schwerer Schlag für ihr Geschäft sei.
Es verbreitete sich auch die Kunde, der Schah selbst habe ein Telegramm gesandt, in dem er den
Befehl gab, daß die beiden Brüder nach Teheran zu verbringen seien. Aber der große Reichtum der
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Brüder einerseits und die Furcht vor dem Scheich Zi’b, dem Wolf, und Rakscha, der Schlange,
anderseits, veranlaßten den Prinzen zu dem Entschluß, die beiden Brüder aus der Welt zu schaffen,
die Verantwortlichkeit dafür auf den Wolf und die Schlange zu laden, und dem Schah fälschlich
zu erklären, sein Telegramm sei erst eingetroffen, als die beiden Brüder hingerichtet waren.
RESUMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMM XX
Der Prinz bot alles auf, die beiden großen Seelen zur Ableugnung ihres Glaubens an die Sache Gottes zu bewegen. Er sagte, sie brauchen nur zu sagen: „Wir sind keine Bahái“ und es genüge, ihr Leben zu retten. Aber bei jedem derartigen Versuch riefen diese zwei wunderbaren, standhaften Seelen laut: „Ja Bahá El-Abhá!“ (O Du Abglanz des Allerherrlichsten!) „Unser größter Wunsch ist, daß unser Leben, im Pfade der Liebe dieser Manifestation der Wirklichkeit und für die Verbreitung Seiner Lehre ein Opfer sein möge.“
Zuletzt erbot sich ihnen der Prinz, ihr Leben zu retten, wenn sie ihm dreizehntausend Dollar bezahlten. Der jüngste Bruder, Mirza Ismael solle gehen und das Geld holen. Aber der Scheich, der Wolf, und Rakscha, die Schlange, die darauf brannten, daß jene hingerichtet würden, beriefen am achten Tag nach ihrer Gefangensetzung eine große Anzahl von Mullas und Richtern zusammen, die alle vom Prinzen stürmisch verlangten, daß er das Todesurteil aussprechen und erklären solle, daß sie jegliche Verantwortung in dieser und in der andern Welt auf sich nehmen würden. Darauf sagte der Prinz: „Dann seid Ihr die Mörder.“ Er gab dem Scharfrichter die Weisung, den Wünschen dieser zwei Unterdrückern zu gehorchen, worauf ihn diese anwiesen, die Hinrichtung sofort zu vollstrecken.
Der Scharfrichter erschien in dem Augenblick mit gezogenem Schwert im Gefängnis, als der König der Märtyrer mit seinem jüngeren Bruder sprach und zu ihm sagte: „O mein Bruder, die ursprüngliche Absicht dieser Verfolger war, mich allein umzubringen. Sage deshalb nur: „Mein Bruder ist ein Bahái, ich nicht.“ Dann wird dein Leben erhalten bleiben, und nachdem ich getötet bin, kannst Du für die Familien sorgen und die kleinen Kinder erziehen.“ Der Geliebte der Märtyrer antwortete: „O mein Bruder, der Geliebte wird unseren Hinterbliebenen den besten Schutz angedeihen lassen, und überdies erfordert es die Treue, daß wir beide in allen Welten Gottes beieinander bleiben.
Der Scharfrichter war einer von denen, die sich seit vielen Jahren der Gastfreundschaft und der Freigebigkeit dieser beiden Brüder erfreuten. Er bat sie, sie möchten ihre Religion doch nur mit einem Wort widerrufen, dann werde ihr Leben gerettet sein und er habe nicht nötig, ein solch schreckliches Verbrechen zu begehen.
Der König der Märtyrer antwortete: „Du stehst unter dem Befehl, und es ist deine Pflicht, diesen auszuführen.“
So wurden diese beiden Brüder von den blutdürstigen Tyrannen auf das Feld des Märtyrertums geführt, wo ihnen die Augen dicht verbunden wurden. Während der Zeit einer Stunde hoffte jeder von ihnen, zuerst sterben und vor dem andern aus dieser Welt gehen zu dürfen.
Der Scheich, genannt „Wolf“ und Rakscha, „die Schlange“, begaben sich auf einen erhöhten Punkt und überwachten grausamen Herzens, sprechend und frohlockend diese traurige Szene. Endlich gaben sie dem Scharfrichter das Zeichen, seine Arbeit zu tun, und als die Brüder sich nochmals umarmt, den Größten Namen „Ja Bahá El-Abhá“ ausgerufen und Gott gedankt hätten, hieb ihnen der Scharfrichter den Kopf ab und färbte dadurch ihre gesegneten Körper mit Blut und Staub. Dann band er ihre Füße mit einem Strick zusammen und zog die Leichname nach einem öffentlichen freien Platz, damit sie von dem Pöbel gesehen werden möchten. Hernach wurden die Leichname weggenommen und in eine Grube unter einer großen Mauer gelegt. Diese wurde alsdann zertrümmert, damit niemand imstande sein sollte, sie zu erreichen. Aber in einer dunklen Nacht grub der jüngste Bruder Mirza Ismael mit einigen Dienern die Leichname aus den Steinen und dem Geröll heraus und schaffte sie nach einem Ort außerhalb der Stadt, wo sie dieselben am Ufer des Flusses wuschen und in Leintücher hüllten. Von niemand erkannt, begaben sie sich dann zu den Totengräbern und baten diese, sie möchten im Friedhof zwei Gräber ausheben; aber diese fürchteten, der Wolf und die Schlange könnten davon hören. Somit wurden die Leichname da, wo sie lagen, begraben, worauf die Männer in großer Furcht heimkehrten.
Als Verfolger und Mißachter der Wahrheit, dachten diese Leute, und besonders der Scheich
Zi’b, der Wolf, daß nach Tötung dieser zwei großen Seelen, die Sache Gottes ausgelöscht sei,
und daß nach Ausrottung dieser zwei fruchttragenden Bäume aus dem göttlichen Rosengarten, keine
Spur mehr von dem ewigen Rosengarten übrig bleibe. Nach dieser Tragödie stellten sie
Geheimpolizisten auf. Diese hatten den Befehl, die Bewohner der Stadt auf ihren Glauben zu prüfen,
jeden Bahái, der in die Stadt kommt, niederzumachen und sofortigen Bericht zu geben, wenn
irgendwo eine Baháiversammlung gehalten werde. Um die Körper der zwei Märtyrer zu vernichten,
suchten sie auch eifrig, aber vergeblich, nach ihren Gräbern.
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Die Geduld und Standhaftigkeit dieser großen Märtyrer, die sie während ihrer Leidenszeit und beim Verlust ihrer Familien und ihrer Besitztümer auf dem Pfade Seiner Heiligkeit des Erwählten zeigten, sowie die freudige und willige Hinnahme aller Trübsale ist der größte Beweis von der Macht, dem Einfluß, der Größe und der Wahrheit dieser Sache. Ueberdies kam der mächtige Einfluß, den die Baháilehre auf die geistige Erziehung der Menschheit ausübte, durch diese zwei Märtyrer, infolge der bedeutenden, wichtigen Stellungen, die sie sowohl geistig als materiell begleiteten und durch ihre Bildung, die sie besaßen, klar zum Vorschein. In gleicher Weise kam aber auch die Gottlosigkeit der Führer des Volkes, ihre Tyrannei und Selbstsucht dadurch für jedermann an den Tag. In der Tat, dieses Elend bewegte nicht bloß die Herzen der Bahái, sondern viele, selbst von den fanatischen Leuten trauerten einige darüber und manche brachten ihr Mißfallen durch Singen von Spottliedern zum Ausdruck, wie zum Beispiel: „Der Himmel hat wohl keinen andern als diesen Pfeil in seinem Köcher!“
Bald nach diesen Ereignissen wurden die Beziehungen zwischen Rakscha und dem Prinzen abgebrochen. Rakscha floh und verbarg sich, und bald nachher bekam er im Nacken, an der Stelle, die er vor dem Prinzen mit seiner Hand berührt und gesagt hatte, sie wollten, als die wirklichen Mörder, die Verantwortung auf sich nehmen, einen Abszeß, der so schlimm wurde, daß ihn seine eigene Familie mied und ihn aus dem Hause vertrieb, so daß er außerhalb der Stadt in einem Garten wohnen mußte, wo er dann bald starb.
Scheich Zi’b, der Wolf, und der Sohn des Wolf erlitten schwere Demütigungen und Erniedrigungen und wurden wie fruchtlose und nutzlose Bäume.
Was den Prinzen betrifft, so wurde derselbe vom Schah, der ihn sehr haßte, vertrieben. Er fiel in die Tiefen der Erniedrigung und wurde zuletzt, durch den Bannspruch der persischen Regierung, gezwungen, außerhalb seines Vaterlandes in der Verbannung zu leben. Einmal kehrte er nach Persien zurück, in der Absicht, in seinem Vaterlande von seinem großen Reichtum, den er angehäuft hatte, zu leben. Aber das Volk verhinderte dies, indem es ihn ins Gefängnis warf und ihn sehr schwer bestrafte. Laßt uns in Verbindung mit dem Erwähnten eine Geschichte erzählen:
Während der Zeit der ungerechten Verwaltung dieses Prinzen lebte in Isfahan ein Bahái, der sehr unterdrückt wurde. Er war geradezu ein Ziel für die Peitsche der Mullas. Diese klagten ihn an, er sei ein Ungläubiger und plünderten und konfiszierten ihm sein Eigentum. Voll Furcht verbarg er sich an einem Ort, wo er nicht gefunden werden konnte. Eines Tages appellierte er an den Prinzen. Er erinnerte ihn an die Seufzer und an den Jammer der Unterdrückten, an die, welche gebrochenen Herzens und hilflos waren; auch versuchte er, ihn an seine Verantwortung Gott gegenüber zu erinnern. Der Prinz erwiderte ihm hochmütig und voll Geringschätzung unter anderem: „Gehe zu 'Abdu'l-Bahá und verklage mich bei ihm; laß ihn mit mir anfangen, was er will.“ Eine Verhöhnung seines Meisters, wie diese, tat diesem mit Herzeleid erfüllten Bahái weher, als alles andere. Später, als der Prinz in Ungnade gefallen, angeklagt, gefangen gesetzt, des Landes verwiesen und tief gedemütigt war, reiste dieser Bahái nach der weitentfernten Stadt im fremden Lande, in der der Prinz gefangen saß. Er ging zu dem Prinzen, stellte sich ihm vor und sagte: „Vor einigen Jahren klagte ich Ihnen meine Leiden, die der Grausamkeit und der Unterdrückung zuzuschreiben waren, und ferner, daß mir mein ganzes Vermögen und all mein Eigentum weggenommen worden sei, so, daß ich keinen Ort der Ruhe und der Sicherheit mehr hätte und genötigt sei, aus Furcht vor meinen Feinden mich fortwährend zu verbergen. Sie antworteten mir: „Gehe zu 'Abdu'l-Bahá und verklage mich bei ihm.“ Obschon ich inzwischen bei 'Abdu'l-Bahá war, verklagte ich Sie doch nicht bei Ihm. Dennoch erfordert die Gerechtigkeit Gottes Bestrafung und Belohnung. Aus diesem Grunde sagte Bahá’u’lláh:
„Das Zelt der Ordnung in der Welt ist auf zwei Pfeilern aufgerichtet, sie heißen: Bestrafung und Belohnung.
Darum war das, was über Sie kam, unvermeidlich, es war verordnet.“
Kurz gesagt, diese mächtigen Feinde nahmen ein solch unrühmliches Ende und ihr Licht wurde
ausgelöscht. Aber der „König der Märtyrer“ und der „Geliebte der Märtyrer“ zündeten ein Licht
an, das ewig leuchten wird. Ihr Leben lang bis zum Tag ihres Märtyrertums war der Geruchsinn
der Geistiggesinnten von ihrem Wohlgeruch durchduftet. Während ihrer Lebzeit zeichneten sie sich
durch Tugenden aus; sie waren gerecht und glücklich, auch wurden sie von allen geliebt. Sie hielten
ihre Seelen in ihren Händen, opferten sie im Pfade des wahren Freundes und rückten dadurch
ihre Stufe in die Nähe der großen Barmherzigkeit in El-Abhá, ins allerherrlichste Königreich.
Bahá’u’lláh schrieb zahlreiche Tablets, in denen Er ihre erhabene Stufe und den Kummer, den die
„Allerhöchsten Heerscharen“ ihrer Leiden wegen hatten, erwähnte. Aus der Feder Bahá’u’lláhs
flossen zugunsten dieser Märtyrer solche Juwelen des göttlichen Lobes und der unendlichen Gunst,
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daß diese für Zeit und Ewigkeit bestehen bleiben. Auch die geistigen Titel, der „König der
Märtyrer“ und der „Geliebte der Märtyrer“ wurde ihnen verliehen; und unter diesen Titeln sind
sie jetzt im Osten und im Westen wohl bekannt.
Ein Beweis von der großen Liebe, die 'Abdu'l-Bahá für diese beiden Märtyrer hatte, ist die Tatsache, daß Er diesen verwaisten Familien gegenüber das Wesen der Güte war, und daß Er den Sohn des Königs der Märtyrer, Mirza Jalal (Dschalal) in Seinem eigenen Hause erzog. Diesem gab 'Abdu'l-Bahá später Seine Tochter Ruha Khanum zur Frau.
Aus dem Persischen ins Englische übersetzt von Dr. Zia R. Bagdadi und Emilie Veil.
Gottesverehrer und Menschenfreunde der französischen Revolution.
Von Otto Maria Saenger-Karlsruhe.
Der vorwärtsstrebenden Menschheit ist oft ein Rückblick auf die Vergangenheit sehr von Nutzen, zumal dann, wenn sich ähnliche Konstellationen im politischen und religiösen Leben wiederholen. So finden wir eine Parallele bei fast allen revolutionären Umwälzungen die Zerstörung der Kirche und damit verbunden ein vollständiges Sichlösen von der religiösen Weltanschauung der Vergangenheit, die als ein Machtinstrument der besiegten Klasse verschrieen und verurteilt wird. So war es 1789 in Frankreich, als man versuchte, die Masse allein durch Morallehren sittlich zu verankern, die Massen, die eben noch im Taumel des Blutrausches sich durch die Paläste und Kirchen gewälzt hatten, und mit dem Schrei von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit auch jedes Empfinden für die notwendigen, sittlichen Maßstäbe verlieren mußten. Mitten aus der Leidenschaft heraus vermag kein Volk die Stimme der Moral zu vernehmen und ihr zu folgen, was jahrhundertelang versäumt wurde, kann nicht in einem Jahr revolutionärer Umwälzung in die Herzen des Volkes gelegt werden. Das sah in Frankreich auch mit Beginn des siebten Jahres der Republik selbst die Menge langsam ein. Man wußte wohl, daß die alte Religion vertrieben war, wo aber ließen sich neue Gemütswerte von gleicher sittlicher Antriebsmacht finden? Das Königtum war verschwunden, an seine Stelle trat der Parlamentarismus und die Redegewandtheit der Straßendemagogen. Republik und Vaterland aber sind noch kein Gott, sie können nur zu leicht zum Götzen werden.
So fanden sich bald in Frankreich Männer, die als einigenden Punkt religiöser Sehnsucht aufstellten, ein Wesen, das allein vom Natürlichen erlösen konnte, ein Uebernatürliches, Ewiges. Um die Allgemeingültigkeit der neuen Religion zu veranschaulichen stellte man neben die Lehren Christi, die der alten Römer und Griechen, die eines Confuzius und anderer.
Bereits im Vendemnaire des Jahres V, (September 1796) erschien ein kleines Handbuch der neuen Gottesverehrer, das erzählte, wie einzelne Familien zu Hause ihre Gottesverehrung gestalten. Um weiteren Kreisen solche Vertiefung zu ermöglichen, war man bereit, auch öffentlich solche Veranstaltungen zu unterstützen und gründete bereits im Nivöse des Jahres V (Januar 1797) in der St. Denis-Straße zu Paris die erste Gesellschaft vernünftiger Gottesverehrung. Man einigte sich, keinerlei eigene Gebräuche oder Lehrmeinungen aufzustellen, sondern lediglich aus allen Religionsformen den Kern der Lehre, der sich mehr oder mindert ähnelt, herauszuarbeiten. Ueber dem Altar, auf dem Früchte und Blumen der Jahreszeit prangen, stehen folgende Inschriften:
„Wir glauben an das Dasein Gottes, und die Unsterblichkeit der Seele.“
„Betet Gott an, liebet Euren Nächsten, nützt dem Vaterlande!“
„Gut ist, was auf Erhaltung und Vervollkommnung der Menschheit abzielt.“
„Ehret Väter und Mütter, gehorchet ihnen wilig und gern, tröstet ihr Alter. Väter und Mütter unterrichtet Eure Kinder!“
„Frauen sehet in Euren Männern die Vorsteher Eures Heims!“
„Männer liebet Eure Frauen! Gegenseitig macht Euch glücklich!“
Die Feier wird von einem Laien geleitet, er legt die Grundsätze auf stets neue Weise aus und
zieht die Nutzanwendung auf das augenblickliche Leben und die Bedürfnisse der Mitglieder.
Dazwischen singt die Zuhörerschaft aus einem eigens zusammengestellten Gesangbuch passende
Lieder. Neugeborene werden am Schlusse der Erbauung in die Halle gebracht. Der Vater oder
Pathe verspricht, das Kind in den Lehren wahrer Religion zu erziehen, es zu einem nützlichen
Bürger und guten Menschen heranzubilden. Die Kinder werden in den Lehren der Religion unterrichtet
und haben zu diesem ein kleines katechismusartiges Frag- und Antwortbuch. Zur Eheschließung werden
Braut und Bräutigam mit Blumen umschlungen, deren Kette von den Eltern rechts und links gehalten
wird. Eine kurze Ansprache über die Pflichten der Ehe, und das [Seite 15]
Treuwort des jungen Paares beschließen die Feier. Für die Verstorbenen wird eine Trauerfeier in
der Erbauungshalle abgehalten, vor dem Altar steht eine Tafel mit den Worten: „Der Tod ist
der Beginn der Unsterblichkeit! Die Ansprache behandelt neben einem kurzen Lebensabriß des
Verstorbenen Gedanken von Vergehen und Werden, umrahmt von Gemeinde- oder Chorgesängen.
Die Vorschrift der Menschheitsreligion betont ausdrücklich, diese wolle keine andren Religionsübungen verächtlich machen. Wo sie auf Schwierigkeiten stoßen, sollen die Anhänger um des Friedens willen lieber nur Feiern im engen Familienkreise abhalten. Auch mahnen die Vorschriften davor, neue Ceremonien einzuführen, da hierdurch die Religion entarte, und bei der Einführung der ersten Ceremonie schon neue lauern, so daß es kein Ende gäbe. Streit um Religion ist zu vermeiden, da Religionsstreitigkeiten stets Unheil stiften, ja oft zu Blutvergießen führen.
Es will aber, wenn wir alle Ansätze in der Geschichte, einer mit der Vernunft zu vereinbarenden Religion den Weg zu ebnen, betrachten, scheinen, als sei es stets nur ein kleiner Kreis von Menschen, der aus diesen Quellen zu schöpfen vermag, während die Mehrzahl den Aberglauben sei es in dogmatischem, sei es in atheistischem Gewande vorzieht.
Die Arbeit jedes wirklich religiösen Menschen ist es, um sich Kristallisationspunkte zu schaffen, an denen Suchende sich anklammern können. Soweit ich die Baháibewegung bis jetzt verfolgen konnte, scheint mir in ihr die gleiche Sehnsucht zu flammen, die alle wirklich religiösen Menschen ergreifen muß, und zu allen Zeiten erfaßt hat, aus dem Materialismus der Zeit heraus zu der einzigen Religion der Zukunft zu kommen, die nicht das Trennende der Konfessionen sondern das Einigende aller Gottsucher betont: den Glauben an den Gott, der da ist das Alleine und Ewige!
Die neue Erde.
Von A. Diebold.
Sechzig Jahre sind vergangen, daß durch den Mund von Bahá’u’lláh die Gesetze einer neuen Weltordnung in die Welt geflossen sind. Was Sein Mund aussprach, war der Wille des Einen, in sich selbst Bestehenden. Was über Seine Lippen floß, war der zeugende Logos des siebten Schöpfungstages. Wahrhaftig, was Er verkündete, durchdrang die Erde von einem Ende zum andern und wirkt heute allüberall, indem es alle Zustände neu macht. Und wunderbar sind Gottes Wege. Er wirkt, wie Er will und durch wen Er will. Noch schlummert die Welt und staunt über die gewaltigen Veränderungen, die ringsum vor sich gehen. Sie kann diese geistige Revolution. noch gar nicht in ihrer ganzen Tragweite erfassen. Selbst die, die voranstürmen auf der neuen Bahn, ahnen kaum oder überhaupt nicht die Energiequelle, aus der sie unbewußt den Ansporn für ihre Handlungen bekommen. Aber die „Mächte des Himmels“ sind am Werk.
Wer von der Warte eines vom Geiste Bahá’u’lláhs Erleuchteten, frei aller Vorurteile, frei allen Rassenhasses und frei von engherzigem Nationalismus die „neue Erde“ betrachtet, der wird sie kaum wiedererkennen. Kannte die „alte Erde“ bis vor Kurzem nichts anderes als Kampf und Krieg, einseitige Herrschaft der Besitzenden, ungleiche Erziehung der beiden Geschlechter, Freiheitsbeschränkung des weiblichen Geschlechts, strenge Abgeschlossenheit der Konfessionen, Religionen und Nationen, Untertanen und Gebieter, so sieht die „neue Erde“ eine wachsende Friedensbewegung, Bestrebungen sozialen Ausgleichs, Gleichberechtigung der Frau in der Erziehung sowohl wie im öffentlichen Leben, das Suchen der Konfessionen, Religionen und Nationen nach Zusammenarbeit. Wir erleben ein Locarno, das die Nationen an einem Tisch findet, um den Willen zum Frieden, zur Tat werden zu lassen, wir erleben ein Stockholm, wo christliche Konfessionen einen Weg zur Einheit zu suchen sich bestreben, wir hören in London die Forderung der nichtchristlichen Religionen nach einem Modus der Zusammenarbeit, und täglich mehrt sich die Zahl derer, die sich vom alten Zeitgeist lossagen, um sich der neuen Sonne zuzuwenden, in ihrem zarten Frührot sich zu sonnen.
Doch leider ist die Zahl der Unentwegten, zäh am Alten Hängenden, noch sehr groß. Sie stellen sich der neuen Zeit entgegen und hindern so die rasche Reife der Dinge, die kommen müssen. Sie kleben fest an Ueberlieferungen und machen den Voranschreitenden durch unbarmherzige Kritik den Weg schwer. Ihr Tun gleicht einem Menschen, der die ‚Sonne in ihrem Lauf aufhalten will. Sie verurteilen alles Neue, Sie wollen das aufrecht erhalten wissen, was ihre Väter dachten und taten.
So kommt es, daß immer noch ein großer Teil der Menschheit dem Krieg das Wort redet. Sie
halten den Vorkämpfern des Friedens entgegen, daß Kampf und Streit von Natur gegeben seien,
daß sie bestehen, seit die Erde existiere, und ewig als ein ehernes Gesetz sein werden. Sie
sagen, daß Kampf eine Auswahl der Tüchtigen bedeute. Wer aber die Ergebnisse nur des letzten
Kriegs betrachtet, der muß die Falschheit dieser Theorie erkennen. Selbst wenn wir annehmen,
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daß der Mensch von Natur aus kriegerisch gesinnt ist, so liegt es im Wesen des Krieges selbst, daß
er die Ausrottung oder Dezimierung der überwiegend kriegerisch veranlagten Menschen und Völker
besorgt, also eine Auslese der Unkriegerischen darstellt. Blühendes, gesundes
Menschenmaterial zieht hinaus, um zu verbluten, Greise und Krüppel bleiben erhalten. Wo ist die
Auswahl der Tüchtigen des letzten Krieges? Der Kriegerische und Mutige setzte sich am ehesten
den Gefahren aus und erlitt den Tod, der Feige, Kampfunfähige und -unlustige suchte eine
möglichst große Weite zwischen sich und die Gefahr zu legen und blieb leben.
(Schluß folgt.)
Einbanddecken für den VI. Jahrgang der Sonne der Wahrheit sind wieder zum Preis von Mk. 1.-
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In unserem Verlag sind erschienen:
1. Die Geschichte der Bahai-Bewegung, von S. S. Deutsch von Wilhelm Herrigel. Dritte Ausgabe . . . -.20
2. Bahai-Perlen, Deutsch von Wilhelm Herrigel . . . . -.20
3. Ehe Abraham war, war Ich, v. Thornton Chase. Deutsch v. W.Herrigel . . . . -.10
4. Das heilige Tablet, ein Sendschreiben Baha’o’llahs an die Christenheit. Deutsch von Wilhelm Herrigel . . -.10
5. Die Universale Weltreligion. Ein Blick in die Bahai-Lehre von Alice T, Schwarz . . . . -.50
6. Die Offenbarung Baha’u’llahs, von J.D. Brittingham. Deutsch von Wilhelm. Herrigel . . . -.50
7. Verborgene Worte von Baha o’llah. Deutsch v. A. Braun u. E. Ruoff . . . 1.--
8. Baha’u’llah, Frohe Botschaften, Worte des Paradieses, Tablet Tarasat, Tablet Taschalliat, Tablet Ischrakat. Deutsch von Wilhelm Herrigel, in Halbleinen gebunden . . . 2.--
in feinstem Ganzleinen gebunden . . . . . 2.50
9. Einheitsreligion. Ihre Wirkung auf Staat, Erziehung, Sozialpolitik, Frauenrechte und die einzelne Persönlichkeit, von Dr. jur. H. Dreyfus, Deutsch von Wilhelm Herrigel. Neue Auflage . . . -.50
10. Die Bahaibewegung im allgemeinen und ihre großen Wirkungen in Indien, von Wilhelm Herrigel . . . . -.50
11. Eine Botschaft an die Juden, von Abdul Baha Abbas. Deutsch von Wilhelm Herrigel . . . -.15
12. Abdul Baha Abbas, Ansprachen über die Bahailehre. Deutsch von Wilhelm Herrigel,
in Halbleinen gebunden . . . . . 2.50
in feinstem Ganzleinen gebunden. . . . . 3.--
13. Geschichte und Wahrheitsbeweise der Bahaireligion, von Mirza Abul Fazl. Deutsch von W. Herrigel,
in Halbleinen geb. . . . . 4.--
In Ganzleinen gebunden . . . . 4.50
14. Abdul Baha Abbas’ Leben und Lehren, von Myron H. Phelps.
Deutsch von Wilhelm Herrigel, in Ganzleinen gebunden . . . . 3.50
15. Das Hinscheiden Abdul Bahas, ("The Passing of Abdul Baha") Deutsch von Alice T. Schwarz . . . -.50
16. Das neue Zeitalter von Ch. M. Remey. "Deutsch von Wilhelm Herrigel —.50
17. Die soziale Frage und ihre Lösung im Sinne der Bahailehre von Dr. Hermann Grossmann . . —.20
18. Die Bahai-Offenbarung, ein Lehrbuch von Thornton Chase, deutsch von W. Herrigel, kartoniert M. 4.--, in Halbleinen gebunden M. 4.60
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Druck: Wilhelm Heppeler, Stuttgart.
Geschichte und Bedeutung der Bahailehre.
Die Bahai-Bewegung tritt vor allem ein für die „Universale Religion" und den „Universalen Frieden“ — die Hoffnung aller Zeitalter. Sie zeigt den Weg und die Mittel, die zur Einigung der Menschheit unter dem hohen Banner der Liebe, Wahrheit, Gerechtigkeit und Barmherzigkeit führen. Sie ist göttlich ihrem Ursprung nach, menschlich in ihrer Darstellung, praktisch für jede Lebenslage. In Glaubenssachen gilt bei ihr nichts als die Wahrheit, in den Handlungen nichts als das Gute, in ihren Beziehungen zu den Menschen nichts als liebevoller Dienst.
Zur Aufklärung für diejenigen, die noch wenig oder nichts von der Bahaibewegung wissen, führen wir hier Folgendes an: „Die Bahaireligion ging aus dem Babismus hervor. Sie ist die Religion der Nachfolger Bahá’u’lláhs. Mirza Hussein Ali Nuri (welches sein eigentlicher Name war) wurde im Jahre 1817 in Teheran (Persien) geboren. Vom Jahr 1844 an war er einer der angesehensten Anhänger des Bab und widmete sich der Verbreitung seiner Lehren in Persien. Nach dem Märtyrertod des Bab wurde er mit den Hauptanhängern desselben von der türkischen Regierung nach Bagdad und später nach Konstantinopel und Adrianopel verbannt. In Bagdad verkündete er seine göttliche Sendung (als „Der, den Gott offenbaren werde") und erklärte, daß er der sei, den der Bab in seinen Schriften als die „Große Manifestation", die in den letzten Tagen kommen werde, angekündigt und verheißen hatte. In seinen Briefen an die Regenten der bedeutendsten Staaten Europas forderte er diese auf, sie möchten ihm bei der Hochhaltung der Religion und bei der Einführung des universalen Friedens beistehen. Nach dem öffentlichen Hervortreten Bahá’u’lláhs wurden seine Anhänger, die ihn als den Verheißenen anerkannten, Bahai (Kinder des Lichts) genannt. Im Jahr 1868 wurde Bahá’u’lláh vom Sultan der Türkei nach Akka in Syrien verbannt, wo er den größten Teil seiner lehrreichen Werke verfaßte und wo er am 28. Mai 1892 starb. Zuvor übertrug er seinem Sohn Abbas Effendi ('Abdu'l-Bahá) die Verbreitung seiner Lehre und bestimmte ihn zum Mittelpunkt und Lehrer für alle Bahai der Welt.
Es gibt nicht nur in den mohammedanischen Ländern Bahai, sondern auch in allen Ländern Europas, sowie in Amerika, Japan, Indien, China etc. Dies kommt daher, daß Bahá’u’lláh den Babismus, der mehr nationale Bedeutung hatte, in eine universale Religion umwandelte, die als die Erfüllung und Vollendung aller bisherigen Religionen gelten kann. Die Juden erwarten den Messias, die Christen das Wiederkommen Christi, die Mohammedaner den Mahdi, die Buddhisten den fünften Buddha, die Zoroastrier den Schah Bahram, die Hindus die Wiederverkörperung Krischnas und die Atheisten — eine bessere soziale Organisation.
In Bahá’u’lláh sind alle diese Erwartungen erfüllt. Seine Lehre beseitigt alle Eifersucht und Feindseligkeit, die zwischen den verschiedenen Religionen besteht; sie befreit die Religionen von ihren Verfälschungen, die im Lauf der Zeit durch Einführung von Dogmen und Riten entstanden und bringt sie alle durch Wiederherstellung ihrer ursprünglichen Reinheit in Einklang. Das einzige Dogma der Lehre ist der Glaube an den einigen Gott und an seine Manifestationen (Zoroaster, Buddha, Mose, Jesus, Mohammed, Bahá’u’lláh).
Die Hauptschriften Bahá’u’lláhs sind der Kitab el Ighan (Buch der Gewißheit), der Kitab el Akdas (Buch der Gesetze), der Kitab el Ahd (Buch des Bundes) und zahlreiche Sendschreiben, genannt „Tablets“, die er an die wichtigsten Herrscher oder an Privatpersonen richtete. Rituale haben keinen Platz in dieser Religion; letztere muß vielmehr in allen Handlungen des Lebens zum Ausdruck kommen und in wahrer Gottes- und Nächstenliebe gipfeln. Jedermann muß einen Beruf haben und ihn ausüben. Gute Erziehung der Kinder ist zur Pflicht gemacht und geregelt.
Streitfragen, welche nicht anders beigelegt werden können, sind der Entscheidung des Zivilgesetzes jeden Landes und dem Bait’ul’Adl oder „Haus der Gerechtigkeit“, das durch Bahá’u’lláh eingesetzt wurde, unterworfen. Achtung gegenüber jeder Regierungs- und Staatseinrichtung ist als einem Teil der Achtung, die wir Gott schulden, gefordert. Um die Kriege aus der Welt zu schaffen, ist ein internationaler Schiedsgerichtshof zu errichten. Auch soll neben der Muttersprache eine universale Einheits-Sprache eingeführt werden. „Ihr seid alle die Blätter eines Baumes und die Tropfen eines Meeres“ sagt Bahá’u’lláh.
Es ist also weniger die Einführung einer neuen Religion, als die Erneuerung und Vereinigung aller Religionen, was heute von 'Abdu'l-Bahá erstrebt wird. (Vgl. Nouveau, Larousse, illustré supplement, p. 66.)
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