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SONNE DER WAHRHEIT | ||
Heft XII | FEBR. 1927 | |
ORGAN DES DEUTSCHEN BAHAI-BUNDES STUTTGART |
[Seite 176]
Abdu’l-Bahás Erläuterung der Bahai-Prinzipien.
1. Die ganze Menschheit muss als Einheit betrachtet werden.
Baha’u’lláh wandte Sich an die gesamte Menschheit mit den Worten: „Ihr seid alle die Blätter eines Zweigs und die Früchte eines Baumes“. Das heißt: die Menschheit gleicht einem Baum und die Nationen oder Völker gleichen den verschiedenen Aesten und Zweigen; die einzelnen Menschen aber gleichen den Blüten und Früchten dieses Baumes. In dieser Weise stellte Baha’u’lláh das Prinzip der Einheit der Menschheit dar. Baha’u’lláh verkündigte die Einheit der ganzen Menschheit, er versenkte sie alle im Meer der göttlichen Gnade.
2. Alle Menschen sollen die Wahrheit selbständig erforschen.
In religiösen Fragen sollte niemand blindlings seinen Eltern und Voreltern folgen. Jeder muß mit eigenen Augen sehen, mit eigenen Ohren hören und die Wahrheit suchen, denn die Religionen sind häufig nichts anderes als Nachahmungen des von den Eltern und Voreltern übernommenen Glaubens.
3. Alle Religionen haben eine gemeinsame Grundlage.
Alle göttlichen Verordnungen beruhen auf ein und derselben Wirklichkeit. Diese Grundlage ist die Wahrheit und bildet eine Einheit, nicht eine Mehrheit. Daher beruhen alle Religionen auf einer einheitlichen Grundlage. Im Laufe der Zeit sind gewisse Formen und Zeremonien der Religion beigefügt worden. Dieses bigotte menschliche Beiwerk ist unwesentlich und nebensächlich und verursacht die Abweichungen und Streitigkeiten unter den Religionen. Wenn wir aber diese äußere Form beiseite legen und die Wirklichkeit suchen, so zeigt sich, daß es nur eine göttliche Religion gibt.
4. Die Religion muss die Ursache der Einigkeit und Eintracht unter den Menschen sein.
Die Religion ist für die Menschheit die größte göttliche Gabe, die Ursache des wahren Lebens und hohen sittlichen Wertes; sie führt den Menschen zum ewigen Leben. Die Religion sollte weder Haß und Feindschaft noch Tyrannei und Ungerechtigkeiten verursachen. Gegenüber einer Religion, die zu Mißhelligkeit und Zwietracht, zu Spaltungen und Streitigkeiten führt, wäre Religionslosigkeit vorzuziehen. Die religiösen Lehren sind für die Seele das, was die Arznei für den Kranken ist. Wenn aber ein Heilmittel die Krankheit verschlimmert, so ist es besser, es nicht anzuwenden.
5. Die Religion muss mit Wissenschaft und Vernunft übereinstimmen.
Die Religion muß mit der Wissenschaft übereinstimmen und der Vernunft entsprechen, so daß die Wissenschaft die Religion, die Religion die Wissenschaft stützt. Diese beiden müssen unauflöslich miteinander verbunden sein.
6. Mann und Frau haben gleiche Rechte.
Dies ist eine besondere Lehre Baha’u’lláhs, denn die früheren Religionen stellen die Männer über die Frauen. Töchter und Söhne müssen gleichwertige Erziehung und Bildung genießen. Dies wird viel zum Fortschritt und zur Einigung der Menschheit beitragen.
7. Vorurteile jeglicher Art müssen abgelegt werden.
Alle Propheten Gottes kamen, um die Menschen zu einigen, nicht um sie zu trennen. Sie kamen, um das Gesetz der Liebe zu verwirklichen, nicht um Feindschaft unter sie zu bringen. Daher müssen alle Vorurteile rassischer, völkischer, politischer oder religiöser Art abgelegt werden. Wir müssen zur Ursache der Einigung der ganzen Menschheit werden.
8. Der Weltfriede muss verwirklicht werden.
Alle Menschen und Nationen sollen sich bemühen, Frieden unter sich zu schließen. Sie sollen darnach streben, daß der universale Friede zwischen allen Regierungen, Religionen, Rassen und zwischen den Bewohnern der ganzen Welt verwirklicht wird. Die Errichtung des Weltfriedens ist heutzutage die wichtigste Angelegenheit. Die Verwirklichung dieses Prinzips ist eine schreiende Notwendigkeit unserer Zeit.
9. Beide Geschlechter sollen die beste geistige und sittliche Bildung und Erziehung geniessen.
Alle Menschen müssen erzogen und belehrt werden. Eine Forderung der Religion ist, daß jedermann erzogen werde und daß er die Möglichkeit habe, Wissen und Kenntnisse zu erwerben. Die Erziehung jedes Kindes ist unerläßliche Pflicht. Für Elternlose und Unbemittelte hat die Gemeinde zu sorgen.
10. Die soziale Frage muss gelöst werden.
Keiner der früheren Religionsstifter hat die soziale Frage in so umfassender, vergeistigter Weise gelöst wie Baha’u’lláh. Er hat Anordnungen getroffen, welche die Wohlfahrt und das Glück der ganzen Menschheit sichern. Wenn sich der Reiche eines schönen, sorglosen Lebens erfreut, so hat auch der Arme ein Anrecht auf ein trautes Heim und ein sorgenfreies Dasein. Solange die bisherigen Verhältnisse dauern, wird kein wahrhaft glücklicher Zustand für den Menschen erreicht werden. Vor Gott sind alle Menschen gleich berechtigt, vor Ihm gibt es kein Ansehen der Person; alle stehen im Schutze seiner Gerechtigkeit.
11. Es muss eine Einheitssprache und Einheitsschrift eingeführt werden.
Baha’u’lláh befahl die Einführung einer Welteinheitssprache. Es muß aus allen Ländern ein Ausschuß zusammentreten, der zur Erleichterung des internationalen Verkehrs entweder eine schon bestehende Sprache zur Weitsprache erklären oder eine neue Sprache als Weltsprache schaffen soll; diese Sprache muß in allen Schulen und Hochschulen der Welt gelehrt werden, damit dann niemand mehr nötig hat, außer dieser Sprache und seiner Muttersprache eine weitere zu erlernen.
12. Es muss ein Weltschiedsgerichtshof eingesetzt werden.
Nach dem Gebot Gottes soll durch das ernstliche Bestreben aller Menschen ein Weltschiedsgerichtshof geschaffen werden, der die Streitigkeiten aller Nationen schlichten soll und dessen Entscheidung sich jedermann unterzuordnen hat.
Vor mehr als 50 Jahren befahl Baha’u’lláh der Menschheit, den Weltfrieden aufzurichten und rief alle Nationen zum „internationalen Ausgleich“, damit alle Grenzfragen sowie die Fragen nationaler Ehre, nationalen Eigentums und aller internationalen Lebensinteressen durch ein schiedsrichterliches „Haus der Gerechtigkeit" entschieden werden können.
Baha’u’lláh verkündigte diese Prinzipien allen Herrschern der Welt. Sie sind der Geist und das Licht dieses Zeitalters. Von ihrer Verwirklichung hängt das Wohlergehen für unsere Zeit und das der gesamten Menschheit ab.
SONNE DER WAHRHEIT Organ des Bahai-Bundes, Deutscher Zweig Herausgegeben vom Verlag des Bahai-Bundes, Deutscher Zweig, Stuttgart Verantwortliche Schriftleitung: Alice Schwarz - Solivo, Stuttgart, Alexanderstraße 3 Preis vierteljährlich 1,80 Goldmark, im Ausland 2.– Goldmark. |
Heft 12 | Stuttgart, im Februar 1927 | 6. Jahrgang |
Inhalt: Auszug aus Notizen von Mrs. M. Maxwell in Haifa. — Bahá’u’lláh und das Neue Zeitalter. - „Warum ich Esperantistin wurde.“ — Das Fastengebet, das jeden Morgen vom 2.—21. März vor Sonnenaufgang gebetet werden soll.
Motto: Einheit der Menschheit — Universaler Friede — Universale Religion
Wir können in dieser Welt die Gnade Gottes nicht begreifen noch Seine Liebe genug schätzen, in der nächsten Welt aber werden wir es vermögen.
'Abdu'l-Bahá.
Bahái-Liebe und Gegenliebe
O ihr Geliebten Gottes !
Sucht so lange wie ihr könnt, die Herzen der Menschen zum Erglühen zu bringen. Fühlt euch zueinander hingezogen und seid wie Nahverwandte. Jeder Einzelne von euch muß die Seele des anderen lieben und muß fähig sein, seinen Besitz und sein Leben für ihn hinzugeben. Er muß mit allen Mitteln darnach trachten, den anderen glücklich und froh zu machen, der andere aber als Empfänger einer solchen Liebe muß ebenso selbstlos und aufopfernd sein. Auf diese Weise wird der neue Sonnenaufgang den Horizont überfluten und alle Menschen erfreuen und beglücken; dieses göttliche Heilmittel wird die Arznei für jede Krankheit sein und dieser Geist der Wirklichkeit wird zur Ursache des Lebens für jede Seele werden.
'Abdu'l-Bahá
aus Tablets nach Amerika Bd. 1 S. 146.
Auszug aus Notizen von Mrs. M. Maxwell in Haifa.
Veröffentlicht im National Bahai-Bulletin Juni 1924
Shoghi Effendi wünscht nicht; daß wir uns in irgend einer Weise an seine Persönlichkeit hängen. Wir sollen es vielmehr halten, wie er es hält und die Liebe und Sehnsucht unseres Herzens der unendlichen Sonne der Wahrheit, dem Báb, Bahá’u’lláh und 'Abdu'l-Bahá zuwenden, um durch Verehrung dieser Göttlich-Geliebten zu einer völligen Liebe für einander zu gelangen, weil dies das Zeichen des wirklichen Glaubens und der aufrichtigen Hingabe ist.
Er sagt: „Jegliche Art von Trennung oder Abzweigung, von Selbstüberhebung, das Unterhalten von einem gewissen Gruppenbewußtsein, oder zu denken, daß Bahái auch in einer Zweiheit gedacht werden könne, ist eine Widerspiegelung der Gedanken der materiellen Welt von heute und nicht des Reiches der Wahrheit und Einheit, das die Bahái nach Gottes Bestimmung widerspiegeln und offenbaren sollen.
Wir müssen derartige begrenzte Vorstellungen gänzlich aus unserem Denken verbannen und bedenken, daß das Baháibewußtsein in absoluter Einheit besteht. Es ist nicht notwendig, daß alle Bahái genau gleich denken und fühlen, es ist aber notwendig, daß alle im Befolgen der göttlichen Verordnungen einig sind, und daß sie im Dienst an der Sache Gottes zusammenarbeiten.
Wir dürfen niemals, auch nicht für einen Augenblick, an solche begrenzten Ideen denken oder über sie sprechen, sondern müssen in uns selbst und in den andern eine Einheit und eine Solidarität der Gedanken und des Handelns schaffen. Dies wird eine mächtige geistige Macht erzeugen, die sich alle begrenzten, engen und verneinenden Vorstellungen und Zustände der Welt unterwerfen wird.
Shoghi Effendi will haben, daß die Bahái für sich selbst und in der Gemeinschaft so leben, daß sie in der Welt das Licht Bahás widerspiegeln.
Ruha Khanum erzählte mir folgende bedeutsamen Worte, die der geliebte Meister zu Seiner Familie sprach. Er sagte in der Hauptsache:
„Ich bin ein liebevoller und nachsichtiger Vater für alle. Ich bin sehr gütig. Ihr kennet nur meine Liebe, meine Barmherzigkeit, meine Vergebung, meine Milde, aber dies wird nicht immer so bleiben. Die Zeit wird kommen, da ich nicht mehr hier sein werde, um diese Liebe so reichlich auszuschütten und zwar deshalb, weil ihr erzogen, diszipliniert, an Gehorsam gewöhnt werden müßt, und weil ihr dahin kommen sollt, göttliche Vorbilder zu werden.“
Shoghi Effendi bespricht die Angelegenheiten und Zustände der Sache mit erstaunlicher Offenheit und Freimütigkeit; er liebt keine Geheimtuerei und sagte uns oftmals, daß diese Offenheit, Freimütigkeit und Wahrhaftigkeit das beste Heilmittel für viele unserer Schwierigkeiten sei. Er selbst gibt uns das Beispiel für eine freie und offene Beratung.
Der Kritisiergeist ist Shoghi Effendi gänzlich zuwider; er will auch nicht einen Hauch der Kritik eines Gläubigen gegen einen andern zulassen, und obschon er die Wahrheit über jede Angelegenheit hören möchte, muß eine solche Aussage auf aufrichtigen Absichten beruhen. Er entdeckt sofort die geringste Unaufrichtigkeit in den Beweggründen und in den Bemühungen, ihn beeinflussen zu wollen.
Als eines Tages die Frage erörtert wurde, ob man sich der Autorität des Geistigen Rates zu unterwerfen habe, sagte Shoghi Effendi: „Der Meister hat hierin keinen Spielraum für persönliche Meinungen gelassen, dies ist nicht Sache der Vernunft, sondern Sache des Glaubens. Manche der Anweisungen und Erlasse mögen unvernünftig scheinen, aber wir müssen eben Glauben und Vertrauen in sie haben und das Zeichen des Glaubens ist Gehorsam.
Die ganze Sache dreht sich um den Glauben, und der Gehorsam ist der Beweis des Glaubens, er ist das Resultat des Glaubens. Wenn wir nicht gehorchen, so kommt dies daher, weil wir nicht an die Gebote unseres Meisters glauben. Ich kann es nicht anders ansehen.“
Eine hier anwesende Gläubige stellte eines Tages folgende sehr klare Frage an den Meister: „Vorausgesetzt, daß der Wille und die Entscheidung der Mehrheit eines Kongresses gegen meine persönliche Ueberzeugung geht, hat sich alsdann meine Ueberzeugung dem Willen der Mehrheit unterzuordnen?“
Der Meister antwortete:
„Die persönliche Ueberzeugung muß dem Willen der Mehrheit nachgeben.“
Der Meister ließ über diesen Punkt keinen Zweifel übrig. Er gab nicht bloß den Befehl, sondern Er erklärte auch den Grund dieses Befehls. Er sagte:
„Wenn jedermann seiner eigenen Ueberzeugung folgen wollte, dann würde kein Resultat erzielt werden, es würde Verwirrung herrschen, weil keine zwei Meinungen übereinstimmen; deshalb muß dem Willen der Mehrheit Folge geleistet werden.“
Bei einer andern Gelegenheit sagte Shoghi Effendi:
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er habe ausführlich nach Amerika geschrieben, daß die Lehrtätigkeit das Allerwichtigste
sei, sie überschatte alles andere, selbst den Bau des Mashriqu’l-Adhkar. Die Gläubigen
sollten zur jetzigen Zeit die Hauptsache und das Wichtigste in die Hand nehmen und ihre
Kräfte nicht nach vielen Richtungen hin zersplittern... Die Freunde müssen dem Nationalrat
Vertrauen schenken und ihm ihre zu lösenden Fragen und das nötige Geld anvertrauen.
Wenn dieses Vertrauen gegenseitig wächst und sich vertieft, wird die Sache Gottes leuchtender
werden. Die Freunde im Osten haben ein großes Vertrauen und Zutrauen und er hoffe, daß
auch die Freunde in Amerika ein gleiches Vertrauen haben.
Straßenbild von Akka.
Shoghi Effendi sagte:
„Die brennendste Frage ist für uns die Verbreitung der heiligen Sache und die
vollkommenste und weise Art, den Menschen die Botschaft zu übermitteln. Die
Menschheit im allgemeinen ist vorbereitet und verlangt nach den göttlichen Lehren und
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die Prinzipien Bahá’u’lláhs denn diese begegnen dem allgemeinen Bedürfnis. Aber dies ist
nicht genügend. Wir müssen die Menschen zu wirklichen Bahái machen, zu Bahái, die
Verfechter der Wahrheit und eifrige Anhänger der Sache Gottes werden. Um ein
Bahái zu werden, müssen gewisse Dinge angenommen werden und zwar vor allem der
Glaube an die Manifestation Gottes durch den Báb, Bahá’u’lláh und 'Abdu'l-Bahá.
Die Prinzipien der Religion Bahá’u’lláhs, welche heute in der Welt verbreitet werden,
sind nur ein Teil der Baháireligion. An diese Prinzipien zu glauben und sie zu lehren,
genügt nicht. Es ist ja notwendig, diese Prinzipien zu lehren, weil die Welt durch sie
erweckt wird und durch sie eine wahre Zivilisation zustande kommt, aber es ist nur
der Glaube an die Manifestation Gottes und die Anerkennung und Verehrung der Quelle
des Lichts, durch die die Welt erneuert wird.“
Bahá’u’lláh und das Neue Zeitalter.
Von Dr. J. E. Esslemont. Uebersetzung v. H. Küstner.
XV. Kapitel.*)
Rückblick und Ausblick.
- ) Das XIV. Kapitel mit der Ueberschrift: „Prophezeiungen von Bahá’u’lláh
und 'Abdu'l-Bahá ist bereits früher in der S. d. W. Jahrg. V S. 20 ff. u. 35 ff. abgedruckt worden.
„Ich bezeuge, o Freunde, daß die Göttliche Gunst vollkommen, das Argument erfüllt,
der Beweis offenkundig und die Tatsache festgestellt ist. Laßt nun sehen, was
für Resultate eure Bemühungen im Pfade der Loslösung vom Irdischen aufweisen. Hat
sich doch Gottes Gnade erfüllt an euch und an den andern im Himmel und auf Erden.
Aller Preis sei Gott, dem Herrn aller Welten.“
Verborgene Worte von Bahá’u’lláh S. 56.
Der Fortschritt der Bewegung.
Leider ist es nicht möglich, in dem uns zur Verfügung stehenden Raum im einzelnen den Fortschritt der Bahái-Bewegung in der ganzen Welt darzulegen. Viele Kapitel könnten diesem fesselnden Gegenstand gewidmet und viele ergreifende Geschichten von den Bahnbrechern und Märtyrern der Sache berichtet werden, aber es muß ein ganz kurzer Ueberblick genügen.
In Persien erlitten die ersten Gläubigen dieser Offenbarung den äußersten Widerstand, die schwerste Verfolgung und Grausamkeit von seiten ihrer Landsleute, aber sie gingen allen Schwierigkeiten und Feuerproben mit höchstem Heldenmut, höchster Standhaftigkeit und Geduld entgegen. Ihre Taufe erfolgte mit ihrem eigenen Blut, denn viele Tausende von ihnen starben als Märtyrer, während Tausende andere geschlagen, eingekerkert, von ihrem Besitztum vertrieben, aus ihrem Heim verjagt oder auf andere Weise mißhandelt wurden. Sechzig Jahre lang und länger setzte jedermann in Persien, der es wagte, dem Báb oder Bahá’u’lláh die Treue zu halten, sein Eigentum, seine Freiheit und sogar sein Leben aufs Spiel. Dieser entschlossene und dauernde Widerstand konnte jedoch den Fortschritt der Bewegung nicht mehr hindern, als eine Staubwolke die Sonne am Aufgehen.
Von einem Ende Persiens bis zum andern sind jetzt fast in jeder Großstadt, jeder Stadt und jedem Dorf Bahái zu finden, sogar unter den Nomadenstämmen. In manchen Dörfern besteht die ganze Bevölkerung aus Bahái und an andern Plätzen ist ein verhältnismäßig großer Teil gläubig. Aus vielen verschiedenartigen Sekten stammend, die einander bitter feind sind, bilden sie jetzt eine große Gemeinschaft von Freunden, die sich zur Bruderschaft bekennen nicht nur untereinander, sondern mit allen Menschen und überall, sie arbeiten an der Vereinigung und Hebung der Menschheit, an der Abschaffung aller Vorurteile und allen Kampfes und an der Aufrichtung des Königreichs Gottes auf Erden.
Welches Wunder könnte größer sein als dieses? Nur eines, nämlich die Vollendung der Aufgabe, der sich diese Menschen gewidmet haben, auf der ganzen Welt. Und es mangelt nicht an Zeichen, daß dieses größere Wunder sich ebenfalls vollzieht.
In Turkestan, in Amerika, in Indien und Burma werden die Bahái bereits nach Tausenden gezählt,
während in Deutschland, Italien, in der Schweiz und in Frankreich sich Bahái-Gemeinden
gebildet haben, deren geistige Wirksamkeit in schnellem Wachstum begriffen ist. In einigen
dieser Länder werden eine oder mehrere monatliche Zeitschriften herausgegeben, die der Sache
gewidmet sind, und in einer Anzahl von ihnen finden regelmäßige jährliche Kongresse statt,
die von Vertretern aller Bahái des betreffenden Landes besucht werden. Ebenso hat Japan eine
monatliche Bahái-Zeitschrift, die in japanisch und Esperanto herausgegeben wird. In vielen andern
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Ländern der Welt, im Osten und Westen, findet man Gläubige, erst wenige noch von der
Bevölkerung, die aber einen Einfluß weit über das Verhältnis ihrer Zahl hinaus ausüben.
Die Bewegung zeigt eine erstaunliche Lebenskraft, und breitet sich, einem Sauerteig gleich,
unter der Menschheit aus, die Menschheit dabei wandelnd.
Jinab-i-Avarih schreibt:
„Bezüglich der Zahl der Bahái zur jetzigen Zeit können sichere Ziffern nicht gegeben werden, da die Bewegung in so schnellem Wachstum begriffen ist, daß Tag für Tag, ja Stunde um Stunde die Sache vorwärts schreitet und alle Glieder der Bewegung mit an der Ausbreitung ihrer Lehren arbeiten. Gleichwohl kann mit Sicherheit gesagt werden, daß, während zur Zeit des Hinscheidens von Bahá’u’lláh Seine Anhänger wahrscheinlich weniger als eine Million zählten, jetzt sowohl orientalische wie abendländische Schriftsteller, die über die Bewegung schreiben, — einschließlich der Gegner der Baháisache, - zugeben, daß die Zahl der Bahái in der Welt nach Millionen zählt.“*)
Das einzige, wirkliche Kennzeichen, ob jemand ein Bahái ist oder nicht, ist, ob er „das Leben lebt“, wie es von Bahá’u’lláh und dem „Mittelpunkt des Bundes“ gelehrt wurde, und der einzige Weg, auf welchem der wirkliche Erfolg der Bewegung gemessen werden kann, liegt nicht in der Zahl ihrer erklärten Anhänger, sondern in der Art und Weise, in der ihre Prinzipien die Welt durchdringen und diese verändern. Daß die Welt seit dem Kommen von Bahá’u’lláh sich unvergleichlich schneller verändert hat, denn je zuvor, kann nicht geleugnet werden. Daß dieser erstaunliche Fortschritt in einem solchen wunderbaren Ausmaß wirklich Platz greift gemäß den von Bahá’u’lláh vor mehr denn einem halben Jahrhundert niedergelegten Richtlinien, muß, denken wir, ebenso klar werden für jeden billig denkenden Leser der vorangegangenen Kapitel. Daß jemand, der diese Aenderungen so klar vorherempfand und sich so energisch für sie einsetzte, ein wichtiger Faktor bei ihrem Zustandekommen gewesen sein muß, ist daher sicherlich eine ganz logische Schlußfolgerung. Lesern, denen die Erscheinungen der Telepathie bekannt sind, oder die Kenntnis besitzen von der wirkenden Kraft des Gebets, wird es nicht schwer werden, auch zuzugestehen, daß jemand, ausgestattet mit der geistigen Macht, die Bahá’u’lláh in so überfließendem Maße zeigte, nicht verfehlen konnte, einen mächtigen Einfluß auf Menschen von gleichempfindendem und empfänglichem Geist auszuüben, unabhängig davon, auf welchem Erdteil sie lebten, oder ob sie von Seinem Vorhandensein je gehört hatten.
- ) Lord Curzon schreibt in seinem Buch „Persien und die persische Frage“, das im Jahr 1892, dem
Todesjahr von Bahá’u’lláh, herausgegeben wurde: „Der niederste Anschlag schätzt die gegenwärtige Zahl der Babis in Persien auf eine halbe Million. Ich bin auf Grund von Unterredungen mit gut unterrichteten Persönlichkeiten zu der Annahme geneigt, daß die Gesamtzahl einer Million nahekommt. Sie sind auf jedem Gebiet des Lebens zu finden, von den Ministern und Vornehmen des Hofs bis zum Strassenkehrer oder zum Stallknecht, und nicht das letzte Feld ihrer Tätigkeit ist die mohamedanische Priesterschaft selbst.
Wenn der Babismus fortfährt, im bisherigen Maße des Fortschritts zu wachsen, so läßt sich sehr wohl eine Zeit denken, in der dieser den Mohamedanismus in Persien aus dem Feld schlagen wird. Dies würde unwahrscheinlich sein, wenn der Babismus in die Schranken treten würde unter der Flagge eines feindlichen Glaubens. Aber weil seine Anhänger gewonnen werden aus den besten Soldaten der Festung, die er angreift, neigt man eher dazu, zu glauben, daß er schließlich obsiegen werde.“
(Band I S. 499-502.)
Prophetenschaft von Báb und Bahá’u’lláh.
Je mehr wir Leben und Lehre von Báb und Bahá’u’lláh studieren, desto unmöglicher erscheint es uns, einen Ausdruck für ihre Größe zu finden, ausgenommen den der Göttlichen Inspiration. Sie wurden auferzogen in einer Atmosphäre des Fanatismus und der Frömmelei. Sie besassen nur die allereinfachste Erziehung. Sie standen in keiner Berührung mit abendländischer Kultur. Sie hatten weder politische noch finanzielle Macht hinter sich. Sie verlangten nichts von den Menschen und erfuhren meist nur Ungerechtigkeit und Widerstand. Die Grossen der Erde übersahen Sie oder widersetzten sich Ihnen. Sie wurden gepeitscht und gefoltert, gefangengesetzt und in der Erfüllung Ihrer Mission den schrecklichsten Schwierigkeiten unterworfen. Sie standen allein gegen die Welt, keine Hilfe hinter sich als die von Gott, aber schon wird Ihr Sieg offenbar und zeigt sich in seiner Pracht.
Die Größe und Erhabenheit Ihrer Ideale, die Vornehmheit und die Selbstaufopferung Ihres Lebens, Ihr unerschrockener Mut und Ihre unerschrockene Ueberzeugung, Ihre in Erstaunen setzende Weisheit, Ihr sicheres Erfassen der Bedürfnisse sowohl der östlichen wie der westlichen Völker, das Umfassende und die Angemessenheit Ihrer Lehren, Ihre Macht, das ganze Herz Ihrer Jünger in Hingabe und Begeisterung zu entflammen, das Durchdringen und die Macht Ihres Einflusses, der Fortschritt der Bewegung, die sie begründeten, sicherlich, das alles sind Beweise der Prophetenschaft, so überzeugend, als sie irgend die Religionsgeschichte aufzuweisen vermag.
Ein herrlicher Ausblick.
Die frohen Bahái-Botschaften enthüllen eine Vision von der Gnade Gottes und dem künftigen
Fortschritt der Menschheit, die sicherlich die größte und herrlichste Offenbarung ist, die je den
Menschenkindern gemacht wurde, die Enthüllung und Erfüllung aller früheren Offenbarungen. Ihr
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Zweck ist kein geringerer als die Wiedergeburt des Menschengeschlechts und die Schöpfung
eines „neuen Himmels und einer neuen Erde“. Es ist dieselbe Aufgabe, der Christus und alle
Propheten ihr Leben gewidmet haben, und unter diesen grossen Lehrern gibt es keinen Wettstreit.
Nicht von der einen oder von der andern Manifestation, sondern von allen miteinander wird
die Aufgabe gelöst, wie 'Abdu'l-Bahá sagt:
„Es ist nicht nötig, Abraham herabzusetzen, um Jesus zu erhöhen. Es ist nicht nötig, Jesus herabzusetzen, um Bahá’u’lláh zu verkündigen. Wir müssen die Wahrheit von Gott willkommen heissen, von woher auch wir sie erhalten. Der Kern der Frage ist, daß alle diese großen Boten kamen, um die Göttliche Fahne der Vollkommenheit aufzurichten. Sie alle scheinen als Gestirne am gleichen Himmel des Göttlichen Willens. Sie alle geben der Welt Licht.“
Star of the West, Band III, Nr. 8, S. 8.
Gott stellt die Aufgabe, und Gott beruft nicht bloß die Propheten, sondern alle Menschen zu Seinen Mitarbeitern bei diesem Schöpfungswerk. Weisen wir Seine Einladung zurück, so werden wir doch das Werk nicht am Vorwärtsschreiten hindern, denn was Gott will, wird sich sicherlich durchsetzen. Wenn wir versäumen, unsern Anteil zu vollbringen, wird Er andere Werkzeuge berufen, Seine Absicht durchzuführen; wir aber werden das wirkliche Ziel und den wirklichen Gegenstand unseres eigenen Lebens verfehlen. Einssein mit Gott, Ihn lieben, Ihm dienen, willige Kanäle und Mittel Seiner Schöpferkraft zu werden, so daß wir uns bewußt werden, daß es in uns kein Leben gibt als Sein göttliches und überfliessendes Leben, dies ist nach der Bahái-Lehre die unaussprechliche und herrliche Vollendung der menschlichen Existenz.
Trotz allem ist die Menschheit im Herzen gesund, denn sie ist gemacht „zum Bild und Gleichnis Gottes“ und wenn sie schließlich die Wahrheit sieht, wird sie nicht verweilen auf dem Abweg der Torheit: Bahá’u’lláh versichert uns, daß binnen kurzem der Ruf Gottes allgemein angenommen werden wird und die Menschheit als Ganzes sich kehren wird zu Rechtschaffenheit und Gehorsam. „Aller Kummer wird dann verwandelt werden in Freude und alle Krankheit in Wohlsein“, und die Reiche dieser Welt werden sein „das Reich unseres Herrn und seines Christus; und er wird regieren von Ewigkeit zu Ewigkeit“ (Offenbarung 11. 15). Nicht nur die Menschen auf Erden, sondern alle in den Himmeln und auf Erden werden eins werden in Gott und sich ewig freuen in Ihm.
Erneuerung der Religion.
Der Zustand der Welt von heute bietet reichlichen Beweis dafür, daß die Menschen aller Religionen, mit seltenen Ausnahmen, es nötig haben, zu dem wirklichen Sinn ihrer Religion wieder erweckt zu werden, und diese Wiedererweckung ist ein Hauptteil des Werkes von Bahá’u’lláh. Er kommt, die Christen zu besseren Christen, die Moslims zu wirklichen Moslims zu machen, alle Menschen zu wahren Kindern des Geistes zu erwecken, der ihre Propheten inspirierte. Er erfüllt so die von allen diesen Propheten gegebene Verheißung einer noch herrlicheren Manifestation, die erscheinen werde in der „Fülle der Zeiten“, um ihre Arbeit zu krönen und zu vollenden. Er gibt eine vollständigere Erklärung der geistigen Wahrheiten als Seine Vorgänger und offenbart den Willen Gottes unter Berücksichtigung all der heute so brennenden Fragen, die das Leben des Einzelmenschen und des Menschen in der Gesamtheit berühren. Er bringt eine universale Lehre, die einen festen Grundstein bildet, auf dem eine neue und bessere Zivilisation aufgebaut werden kann, eine Lehre, angepaßt den Bedürfnissen der Welt in dem neuen Zeitalter, das jetzt beginnt.
Notwendigkeit einer neuen Offenbarung.
Die Vereinigung der Menschheit, das Zusammenschweissen der Welten der verschiedenen Religionen, die Versöhnung der Religion mit der Wissenschaft, die Aufrichtung des allgemeinen Friedens, der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit, eines internationalen Hauses der Gerechtigkeit, einer internationalen Sprache, die bürgerliche Gleichstellung der Frauen, universale Erziehung, die Abschaffung nicht nur der leiblichen, sondern auch der industriellen Sklaverei, der Aufbau der Menschheit als ein einziges Ganzes, unter gebührender Rücksicht auf die Rechte und Freiheiten jedes Einzelmenschen — dies sind Probleme von riesenhafter Größe und erstaunlicher Schwierigkeit im Vergleich zu jenen, an denen die Christen, die Mohammedaner und die Anhänger der andern Religionen festgehalten haben und festhalten, möchten es gleich die verschiedensten und oft einander gewaltsam widersprechenden Ansichten sein; Bahá’u’lláh aber hat klar und fest umrissene Prinzipien geoffenbart, deren allgemeine Annahme die Welt offensichtlich zu einem Paradies machen wird.
Die Wahrheit ist für alle.
Manche Menschen sind gerne bereit zuzugeben, daß die Bahái-Lehre eine herrliche Sache sei für
Persien und für den Orient, bilden sich aber ein,
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daß sie für die Völker des Westens unnötig oder unangebracht sei. Jemandem, der eine solche
Ansicht äusserte, erwiderte 'Abdu'l-Bahá:
„Was die Bedeutung der Sache von Bahá’u’lláh anbelangt, wisse, daß was immer zu tun hat mit dem allgemeinen Wohl, göttlich ist, und was immer göttlich ist, ist für das allgemeine Wohl. Wenn es wahr ist, ist es für alle, wenn nicht, ist es für niemand; deshalb kann eine göttliche Sache für das allgemeine Wohl nicht beschränkt werden auf den Osten oder den Westen, denn die Strahlen der Sonne der Wahrheit erleuchten sowohl den Osten wie den Westen, und Süden wie Norden fühlen ihre Wärme, — hier gibt es keinen Unterschied zwischen dem einen oder andern Pol. Zur Zeit der Manifestation Christi dachten die Römer und Griechen, seine Sache sei besonders für die Juden bestimmt. Sie dachten, sie besässen eine vollkommene Zivilisation und hätten es nicht nötig, von Christi Lehren zu lernen, und infolge dieser falschen Einstellung wurden viele seiner Gnade beraubt. Wisse auch, daß die Prinzipien des Christentums und die Befehle von Bahá’u’lláh miteinander übereinstimmen und daß ihre Pfade die gleichen sind. Jeder Tag hat seinen Fortschritt: es gab eine Zeit, wo dies göttliche Gesetz (der fortschreitenden Offenbarung) noch im Keimzustand sich befand, dann war es neugeboren, dann ein Kind, schließlich ein verständiger Jüngling; aber heute strahlt es in Schönheit und leuchtet im größten Glanz.
Glücklich der, der durch das Geheimnis dringt und festen Fuß faßt in der Welt der Erleuchteten.“
Letzter Wille und Testament von 'Abdu'l-Bahá.
Der neue Entwicklungsabschnitt.
Mit dem Hinscheiden ihres geliebten Führers 'Abdu'l-Bahá trat die Bahái-Bewegung in einen neuen Abschnitt ihrer Geschichte ein. Sie war in einem solchen Maße gewachsen, daß sich eine in sich geschlossene Organisation als notwendig erwies, um die Tätigkeit der Freunde in allen Teilen der Welt gegenseitig einzuordnen und eine größere Geschlossenheit und Wirksamkeit zu erzielen. Der Plan der Organisation ist bereits von Bahá’u’lláh umrissen worden, er wurde aber ausführlicher dargelegt in dem letzten Willen und Testament von 'Abdu'l-Bahá. Die drei hauptsächlichsten Punkte in dem Plan sind:
1. „Der Hüter der Sache Gottes“,
2, „die Hände der Sache Gottes“, und
3, „die Geistigen Arbeitsgemeinschaften, örtliche, nationale und internationale.“
Der Hüter der Sache Gottes.
'Abdu'l-Bahá bestimmte Seinen ältesten Enkel, Shoghi Effendi, für die verantwortungsvolle Stellung des „Hüters der Sache“ (Valiyi-Amru’llah). Shoghi Effendi ist der älteste Sohn von Ziaiyih Khanum, der ältesten Tochter von 'Abdu'l-Bahá. Sein Vater, Mirza Hadi, ist ein Verwandter des Báb (wenn auch nicht ein direkter Abkömmling, da des Bábs einziges Kind im Kindesalter starb). Shoghi Effendi war zur Zeit des Heimgangs seines Großvaters 25 Jahre alt und studierte an dem Balliol-College, Oxford. Die Verkündigung seiner Einsetzung lautet in 'Abdu'l-Bahá’s letztem Willen wie folgt:
„O meine liebenden Freunde! Nach dem Hingang dieses Gequälten liegt den Aesten und Zweigen des Geheiligten Lotosbaums (d. h. den Verwandten von Báb und Bahá’u’lláh), den Händen der Sache Gottes und den Geliebten der Abhá-Schönheit ob, sich Shoghi Effendi zuzuwenden, dem jungkräftigen Zweig, hervorgesproßt aus den zwei geweihten und geheiligten Lotosbäumen (Báb und Bahá’u’lláh), und der Frucht, gereift aus der Vereinigung der zwei Sprossen des Baumes der Heiligkeit, denn Er ist das Zeichen Gottes, der Erwählte Zweig, der Hüter der Sache Gottes, Er ist der, zu dem sich alle Aeste, Zweige, die Hände der Sache Gottes und Seine Geliebten wenden müssen. Er ist der Ausleger der Worte Gottes und nach Ihm wird der Erstgeborene seiner direkten Nachkommen in seine Fußstapfen treten.
Der geheiligte und jugendliche Zweig, der Hüter der Sache Gottes, wie auch das Universale Haus der Gerechtigkeit (Baytu’l-Adl), das universal zu wählen und zu errichten ist, stehen beide unter der Fürsorge und dem Schutz der Abhá-Schönheit, unter dem Schirm und der unfehlbaren Führung Seiner Heiligkeit des Einen Erhabenen. Möge mein Leben für sie beide dargebracht werden! Was immer sie bestimmen, ist von Gott....
O ihr Geliebten des Herrn! Dem Hüter der Sache Gottes liegt ob, im Verlauf seiner
eigenen Lebenszeit denjenigen zu bestimmen, der sein Nachfolger werden soll, damit sich
keine Streitigkeiten erheben nach seinem Hingang. Der, welcher bestimmt wird, muß
in sich die Trennung von allen weltlichen Dingen offenbaren, muß die Reinheit selbst
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sein, muß Gottesehrfurcht, Erkenntnis, Weisheit und Wissen in sich aufweisen. Wenn
der Erstgeborene des Hüters der Sache Gottes nicht auf solche Weise in sich die Wahrheit
der Worte offenbart, daß „das Kind das verborgene Wesen seines Vaters ist“, d.h.
sollte er das Geistige in ihm (dem Hüter) nicht erben, und wäre seine herrliche
Abstammung nicht begleitet von einem schönen Charakter, dann müßte der Hüter der
Sache einen andern Zweig zu seiner Nachfolge erwählen.
Die Hände der Sache Gottes müssen aus ihrer eigenen Zahl neun Personen auswählen, die sich für alle Zeiten dem wichtigen Dienst für die Arbeit des Hüters der Sache Gottes widmen sollen, und diese wieder haben, einstimmig oder mit den Stimmen der Mehrheit, ihre Zustimmung zu geben zu der Wahl Dessen, den der Hüter der Sache Gottes zu seinem Nachfolger erwählt hat. Die Abgabe dieser Zustimmung muß auf solche Weise erfolgen, daß die zustimmenden und die ablehnenden Stimmen nicht unterschieden werden können (d.h. durch geheime Abstimmung).“
Die Hände der Sache Gottes.
Zu Seinen Lebzeiten bestimmte Bahá’u’lláh vier erprobte und vertraute Freunde, um Ihn in der Leitung und Förderung des Werkes der Bewegung zu unterstützen, und gab ihnen den Titel Ayadiyi-Amru’llah (wörtlich: „Hände der Sache Gottes“). Von diesen sind drei nicht mehr am Leben und nur einer ist übrig geblieben. 'Abdu'l-Bahá traf in Seinem Willen Vorsorge für die Errichtung einer dauernden Körperschaft von Arbeitern, die der Sache Gottes dienen und dem Hüter der Sache helfen, und die den gleichen Titel führen sollen. Er schreibt:
„O Freunde! Die Hände der Sache Gottes müssen ernannt und bestimmt werden durch den Hüter der Sache Gottes... Die Aufgabe der Hände der Sache Gottes ist, die Göttlichen Wohlgerüche auszustreuen, die Seelen der Menschen zu erbauen und für alle Zeiten und unter allen Umständen geheiligt und getrennt zu sein von allen irdischen Dingen. Sie müssen Gottesfurcht offenbaren in ihrer Führung, ihren Sitten, ihren Handlungen und ihren Worten.
Diese Körperschaft der Hände der Sache Gottes steht unter der Leitung des Hüters der Sache Gottes. Er muß fortgesetzt in sie dringen, bis zur äußersten Grenze ihrer Fähigkeiten wettzueifern und sich anzustrengen, die süssen Düfte Gottes zu verbreiten und allen Menschen der Welt Führer zu sein, denn es ist das Licht der Göttlichen Führung, das das ganze Universum erleuchten wird.“
Geistige Arbeitsgemeinschaften.
Die örtlichen Geistigen Arbeitsgemeinschaften der Baháibewegung sind in einem früheren Kapitel beschrieben worden; sie befinden sich bereits in Tätigkeit in vielen Teilen der Welt. Daneben hat dann Bahá’u’lláh und 'Abdu'l-Bahá noch Vorsorge getroffen für die Erstellung von nationalen und internationalen Geistigen Arbeitsgemeinschaften. 'Abdu'l-Bahá schreibt in Seinem Letzten Willen:
„Und was jetzt die Geistige Arbeitsgemeinschaft anbetrifft, die Gott verordnet hat als Quelle alles Guten und befreit hat von jedem Irrtum, so muß diese in allgemeiner Wahl gewählt werden, d.h. durch die Gläubigen. Ihre Glieder müssen Offenbarungen der Gottesfurcht sein und Morgenröten der Erkenntnis und des Verständnisses, müssen standhaft sein im Gottesglauben und allen Menschen wohlgesinnt. Unter dieser Arbeitsgemeinschaft ist zu verstehen die Universale Arbeitsgemeinschaft: d.h. für jedes Land muß eine untergeordnete Arbeitsgemeinschaft errichtet werden, und diese untergeordneten Arbeitsgemeinschaften müssen die Glieder der Universalen Arbeitsgemeinschaft wählen.
Dieser Körperschaft müssen alle Dinge unterbreitet werden. Sie erläßt alle Verordnungen und Regelungen, soweit sie nicht in dem deutlichen Heiligen Text selbst zu finden sind. Von dieser Körperschaft müssen alle die schwierigen Probleme gelöst werden und der Hüter der Sache Gottes ist für sein ganzes Leben das geheiligte Haupt und ausgezeichnete Mitglied dieser Körperschaft. Wenn er nicht in der Lage ist, in Person an ihren Beratungen teilzunehmen, muß er jemanden bestimmen, ihn zu vertreten... Diese Arbeitsgemeinschaft erläßt die Gesetze, und die ausübende Gewalt führt sie durch. Die gesetzgebende Körperschaft muß ihrerseits auf die ausübende Gewalt einwirken, die ausübende Gewalt muß helfen und beispringen der gesetzgebenden Körperschaft, damit durch die enge Vereinigung und Harmonie dieser beiden Gewalten die Grundlage der Redlichkeit und Gerechtigkeit fest und stark werden möge, sodaß alle Regionen der Welt wie das Paradies selbst werden.
Zu dem Heiligsten Buch muß jedermann sich wenden und alles, was nicht ausdrücklich
darin festgelegt ist, muß vor die
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Universale Arbeitsgemeinschaft gebracht werden. Was diese Körperschaft, einstimmig
oder mit Mehrheitsbeschluß, vollbringt, ist wahrlich die Wahrheit und der Wille Gottes
selbst. Wer davon abweicht, gehört wahrlich zu denen, welche Mißklang lieben, Bosheit
offenbaren und sich abwenden von dem Herrn des Bündnisses.
Den Gliedern (der Universalen Arbeitsgemeinschaft) liegt es ob, sich ein sicheres Urteil zu erwerben, und sich zu beraten über alle Probleme, die Uneinigkeit verursacht haben, über Fragen, die nicht klar sind, und über Angelegenheiten, die nicht ausdrücklich im Heiligen Buch geregelt sind. Was immer sie bestimmen, hat dieselbe Wirkung, wie der Heilige Text selbst. Und insoweit diese Arbeitsgemeinschaft die Macht hat, Gesetze zu erlassen, die nicht ausdrücklich im Heiligen Buche niedergelegt sind, und Einfluß zu nehmen auf die täglichen Geschäfte, hat sie auch die Macht, solche aufzuheben. Hat z.B. diese Arbeitsgemeinschaft heute ein gewisses Gesetz erlassen und es in Kraft gesetzt, und haben sich 100 Jahre später die Umstände gewandelt und die Zustände geändert, dann wird eine andere Gemeinschaft die Macht haben, dies Gesetz nach den Erfordernissen der Zeit zu ändern. Sie kann dies tun, weil jenes Gesetz keinen Anteil des ausdrücklichen Göttlichen Texts bildet. Der Arbeitsgemeinschaft : steht sowohl die Einführung wie das Aufheben ihrer eigenen Gesetze zu.“
Weitere Auszüge aus dem Testament von 'Abdu'l-Bahá.
Mit Rücksicht auf die schwerwiegende Wichtigkeit des Letzten Willens und Testaments von 'Abdu'l-Bahá, das Gewicht der Vorschriften, die es aufstellt und die tiefe Weisheit, die Seinen Vorkehrungen unterliegt, fühlen wir, daß es für den Augenblick nicht ratsam ist, an eine Besprechung seines Inhalts heranzutreten. Wir geben gleichwohl, als würdigen Abschluß dieses Leitfadens der Bahái-Bewegung, einige weitere Auszüge, welche lebendig den Geist und die Leitgedanken kennzeichnen, die 'Abdu'l-Bahá beseelten und führten und Seinen gläubigen Nachfolgern als reiches Erbe übermittelt werden:
„O ihr Geliebten Gottes! In diesem geheiligten Zeitalter sind Streit und Uneinigkeit in keiner Weise gestattet. Jeder Angreifer beraubt sich selbst der Gnade Gottes. Es liegt jedermann ob, die äußerste Liebe, Geradheit der Lebensführung, Geradsinnigkeit und aufrichtige Freundlichkeit zu allen Menschen und Geschwistern in der Welt zu zeigen, seien sie Freunde oder uns fremd. So stark muß der Geist der Liebe und der Liebesgüte sein, daß der Fremde sich als Freund fühlt, der Feind als wahrer Bruder, und es keinen Zwiespalt zwischen ihnen gibt.
„Denn das Allumfassende ist göttlich und alle Begrenzungen sind irdisch.“
Verkehret deshalb, o meine liebenden Freunde, mit allen Menschen, Geschwistern und Religionen der Welt in äußerster Wahrhaftigkeit, Aufrichtigkeit, Gläubigkeit Freundlichkeit, in Wohlwollen und Güte; damit alle Welt des Daseins erfüllt werde mit dem heiligen Feuer der Gnade Bahás; damit Unwissenheit, Feindschaft, Haß und Groll von der Welt verschwinde, und die Dunkelheit der Entfremdung zwischen den Völkern und den Geschwistern der Welt dem Licht der Einheit den Weg freigebe. Wenn sich andere Menschen und Nationen euch gegenüber als untreu erweisen, laßt eure Treue unter ihnen leuchten; wenn sie ungerecht zu euch sind, erweist ihnen Gerechtigkeit; wenn sie sich fern von euch halten, zieht sie zu euch heran; zeigen sie Feindschaft, so erweiset ihnen Freundschaft; wenn sie euer Leben vergiften, schenket ihren Seelen Süßigkeit; fügen sie euch eine Wunde zu, so seid eine Salbe für ihre Schmerzen. Dies sind die Eigenschaften des Aufrichtigen! Dies sind die Attribute des Wahrhaften!
„O ihr Geliebten des Herrn! Es liegt euch ob, gehorsam zu sein allen Herrschern gegenüber, die gerecht sind, und jedem rechtschaffenen König Treue zu halten. Dienet den Herrschern der Welt in äußerster Wahrhaftigkeit und Rechtlichkeit. Erweist ihnen Gehorsam und seid ihre Freunde. Ohne ihre Erlaubnis und Zustimmung mischt euch nicht in politische Dinge. Denn Untreue gegenüber einem gerechten Herrscher ist wie Untreue gegen Gott selbst. Dies ist mein Rat und der Befehl Gottes an euch. Gut ergeht es dem, der darnach handelt.“
„Herr, du siehst, wie alle Dinge mich weinen machen und wie die, die mir
nahestehen, ob meiner Tränen frohlocken. Bei Deiner Herrlichkeit, o mein Gott! Sogar
unter meinen Feinden haben viele meine Kümmernisse und mein Unglück beklagt,
und einige meiner Neider haben Tränen vergossen ob meiner Sorgen, meiner
Verbannung und meiner Anfechtungen. Sie taten dies, weil sie nichts an mir fanden als
Liebe und Fürsorge, und nichts erfuhren als
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Freundlichkeit und Barmherzigkeit. Als sie mich in die Flut von Trübsal versinken
und wie eine Schießscheibe den Pfeilen des Schicksals ausgesetzt sahen, wurden ihre
Herzen bewegt von Mitleid, Tränen traten in ihre Augen, und sie bezeugten und
erklärten: „Der Herr ist unser Zeuge, nichts haben wir gesehen an ihm als Gläubigkeit,
Edelmut und äußerstes Mitleid.“ Die Verletzer des Bündnisses, die Vorboten des Unheils,
wurden immer grimmiger in ihrem Haß, freuten sich, als ich ein Opfer des
schlimmsten Urteils wurde, wandten sich gegen mich und machten sich lustig über die
herzzerreissenden Geschehnisse um mich her.“
„Ich rufe zu Dir, o Herr, mein Gott, mit meiner Zunge und mit meinem ganzen Herzen, vergelte ihnen nicht ihre Grausamkeit und ihr unrechtes Tun, ihre List und ihre Bosheit, denn sie sind töricht und niedrig, und wissen nicht, was sie tun. Sie können das Gute nicht vom Schlechten trennen, noch das Rechte vom Verkehrten unterscheiden, noch Gerechtigkeit von Ungerechtigkeit. Sie folgen ihren eigenen Wünschen und wandeln in den Fußstapfen der Unvollkommensten und Törichtsten. O mein Herr! Habe Barmherzigkeit mit ihnen, behüte sie vor allen Anfechtungen in diesen bewegten Zeiten und gib, daß alle Prüfungen und Härten das Los dieses Dieners seien, der in diesen dunklen Abgrund gefallen ist. Wähle mich aus für jedes Leiden und mache mich zum Opfer für alle Deine Geliebten! O Herr, du Allerhöchster! Mache, daß meine Seele, mein Leben, mein Sein, mein Geist, mein Alles dargebracht werde für sie! O Gott, mein Gott, bescheiden, demütig und niedergefallen auf mein Angesicht bitte ich Dich, mit aller Glut meiner Anrufung, jedem zu verzeihen, der mich verwundet hat, dem zu vergeben, der gegen mich war und mich angriff, und abzuwischen die Missetaten derer, die mir Unrecht zufügten. Gewähre ihnen Deine herrlichen Gaben, gib ihnen Freude, bewahre sie vor Kummer, verleihe ihnen Frieden und Wohlergehen; gib ihnen Deine Seligkeit und gieße über sie deine Gnade aus. Du bist der Mächtige, der Gnädige, der Helfer in Gefahr, der Selbstbestehende.“
„Die Jünger Christi vergassen sich selbst und alle irdischen Dinge, gaben alle ihre Sorgen und ihre Bedürfnisse preis, reinigten sich vom Selbst und von der Leidenschaft, und mit völliger Trennung zerstreuten sie sich weit und breit, die Menschen der Welt zur Göttlichen Führung rufend, bis sie schließlich aus der Welt eine andere Welt machten, die Oberfläche der Erde erleuchteten und sogar in ihrer letzten Stunde Selbstaufopferung auf dem Pfade des Einen Geliebten Gottes zeigten. Endlich erduldeten sie in verschiedenen Ländern herrlichen Zeugentod. Laß Menschen der Tat in ihre Fußstapfen treten.“
„O Gott, mein Gott! Ich flehe zu Dir, Deinen Propheten und Deinen Boten, Deinen Heiligen und Deinen Frommen, zu bezeugen, daß ich unaufhörlich Deine Beweise unter Deinen Geliebten erklärt und ihnen alle Dinge in klares Licht gesetzt habe, damit sie über Deinem Glauben wachen möchten, auf Deinen geraden Weg achten und Dein strahlendes Gesetz schützen. Du bist wahrlich der Allwissende; der Allweise!“
„Warum ich Esperantistin wurde.“
The Bahái-Magazine vom 17. Oktober 1926, Heft 7 entnommen.
Martha Root.
Die größte Aufgabe dieses 20. Jahrhunderts liegt in der Errichtung des allgemeinen Friedens. Denkende Menschen, die in alle Lebenslagen Einsicht besitzen, wissen, daß für den Zusammenschluß der Welt eine allgemeine Hilfssprache unbedingt erforderlich ist. In diesem Dämmern einer neuen göttlichen Zivilisation, die durch die Lehren Bahá’u’lláh’s angebrochen ist, werden wir belehrt, daß eine der Grundbedingungen für die Einführung des universalen Friedens, eine allgemeine Hilfssprache ist.
Eine allgemeine Hilfssprache versucht sicherlich nicht irgend eine bestehende Sprache oder Literatur zu verdrängen, sie ist ein großer Versuch, die weitesten Gebiete der Gedanken und der Tätigkeit der Mehrzahl zu erschliessen und so ungeheure Summen an Ausgaben und Arbeit zu sparen. Auf geistigem, intellektuellem und wirtschaftlichem Weg kann in dieser neuen Zeit diese Sprachenschwierigkeit nicht überwunden werden.
Es mag vielleicht jemand einwerfen: Englisch wird diese allgemeine Sprache sein. Der Franzose
wird behaupten, daß es seine Sprache sein werde usw. Eine Bewegung, die Englisch oder
eine andere National-Sprache offiziell als allgemeine Hilfssprache wählte, dürfte so viel Ansehen
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u. Einfluß dem Land bringen, dessen Sprache gewählt würde u. somit eine Boycottierung der
begünstigten Sprache von Seiten einer Mehrzahl anderer mächtiger Nationen heraufbeschwören.
Dies würde das ganze Bemühen um den Weltfrieden unwirksam machen, denn dieser ist von
der allgemeinen Annahme von dem weiten Gebrauch einer allgemeinen Hilfssprache abhängig.
Jeder Versuch, Englisch einer Welt aufzunötigen, die es nicht wünscht ist ein weiterer Schritt hin
zu dem Fall jeder Zivilisation.
Sind nicht Führer oder Gruppen mächtig genug, einen weiteren Weltkrieg abzuwenden, der viel totbringender wäre als der letzte, bei dem die verheerenden Umwälzungen von 1914 einem Kinderspiel gleichen dürften.
Der Einfluß der englisch sprechenden Menschen ist erstaunlich, aber im Verhältnis zur ganzen Mehrzahl der zivilisierten Völker sind die englisch Sprechenden in der Minderheit. Die Mehrheit umfaßt viele hochgeistige Völker mit einem stark entwickelten Nationalgefühl, auch sie wollen in der Weltgeschichte eine sehr wichtige Rolle spielen. Deshalb kann aus politischen Gründen eine National-Sprache nicht Weltsprache werden. Ich studierte die Zustände in fast jedem Land und ich empfand, daß viele englisch sprechende Menschen großzügig genug sind, Erkenntnis und Takt genug besitzen, um sich selbst auf den Lebensstandpunkt anderer zu stellen und wichtige Mitarbeiter für eine neutrale Hilfssprache sind.
Dann werden wieder andere sagen: „O, es gab schon viele Hilfssprachen, ich will warten, bis die Regierungen der Welt wirklich eine solche angenommen haben“. Ja, in den letzten drei Jahrhunderten waren es mehr denn 70. Ihre Geschichte zeigt uns, warum ihre Lebensdauer eine so kurze war und warum sie so unbeachtet blieben. Ich bin eine Esperantistin, weil ich finde, daß die Nationen Esperanto jeder andern Hilfssprache vorziehen. Diese hat 39 Jahre der Prüfungszeit standgehalten, nimmt ganz gewaltig zu u. ist der beste Schlüssel, die Menschen Europas mit dem Osten zusammenzuschliessen. Der Esperanto-Bund zählt allein über 8000 Mitglieder und mehr denn 2000 Städte auf den verschiedenen Festländern haben Esperanto-Vereinigungen. Esperanto ist ein überall bekanntes Wort geworden, es ist bereits das sinnverwandte Wort für eine allgemeine Hilfssprache. Ob wir daran glauben oder nicht, es ist doch eine feststehende Tatsache, Esperanto hat sich in der Weit durchgerungen und sein innerer Geist, genannt Esperantismus, schafft die Weltbruderschaft. Dieser tiefe Sinn des Esperanto ist etwas so Schönes, daß es die Idealisten der Welt anzieht. Andererseits finden die rein praktischen Menschen in ihr die beste und einträglichste Methode für internationale Geschäftspropaganda. Als mächtiges Mittel für internationale Vereinigung ist Esperanto unübertroffen; es hat sich einen Vorrang vor jeder bestehenden Nationalsprache geschaffen.
Die Ausdehnung der internationalen Arbeit nimmt von Jahr zu Jahr zu. Es ist sehr schwierig und kostspielig, diese Arbeit in den vielen und schweren Sprachen durchzuführen. Viel besser ist es, eine internationale Sprache zu haben. Dieselben Resultate können auf viel leichtere Art erreicht werden. Auch ist Esperanto von einer Einfachheit, einer Geradheit und einer vollkommenen Deutlichkeit, was für den Austausch wissenschaftlicher Gedanken unschätzbar ist.
Was ist Esperanto?
Das Wort Esperanto ist in der Gegenwart als Hauptwort gebraucht, das Mittelwort der Gegenwart des Zeitworts — esperi — heißt hoffen. Dr. L. Zamenhof, Gründer der Esperanto-Sprache, gebrauchte den Schriftstellernamen Dr. Esperanto (einer der hofft), als er im Jahr 1887 sein erstes Buch in Warschau veröffentlichte, wurde der Name, an und für sich eigenartig, nun gleich für die Sprache gebraucht. Esperanto ist eine Hilfssprache, aufgebaut auf internationalen Wurzeln, die dem größten Teil der Hauptsprachen gemeinsam sind. Es ist musikalisch, harmonisch. Es ist die am leichtesten zu erlernende Sprache, man kann sie in wenigen Monaten auch ohne Lehrer erlernen. Ein Erzieher in Shanghai sagte zu der Schreiberin: „Ich lernte Esperanto fliessend sprechen und schreiben in 6 Monaten und ich lernte Englisch schreiben und sprechen in 6 Jahren.“ Beides sprach er ausgezeichnet. Esperanto dient dazu, jede denkbare Idee auszudrücken. Prof. Ch. Baudouin, einer der größten Denker Europas, sagte der Schreiberin, daß es ihm leichter falle, ein Gedicht direkt in Esperanto zu verfassen als in seiner Muttersprache.
Graf Leo Tolstoj sagt in einem Brief über Esperanto: „Das Lernen und Verbreiten von Esperanto wird dazu verhelfen, das Reich Gottes näher zu bringen."
Ein hervorragendes Mitglied des Völkerbundes, dessen Namen ich vielleicht nicht gebrauchen darf ohne seine besondere Erlaubnis, weil seine Stellung eine so wohlbekannte ist, sagte nach dem Besuch eines Esperanto-Welt-Kongresses: „Es ist meine persönliche Meinung, daß Esperanto für den Weltfrieden mehr leisten wird, als der Völkerbund selbst.“
In vielen Schulen wird als neuer Gedanke versucht, Esperanto in den Lehrplan aufzunehmen.
Prof. R.J.B. Sanderson, Rektor an der Grenn-Lane Council-Scholl, Patrieroft, woselbst
Grundschulkinder verschiedene Jahre schon Unterricht in Esperanto erhielten; sagte folgendes:
"Aus praktischen Erfahrungen heraus kann ich
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versichern, daß der Unterricht von Esperanto auf die Kinder dieselbe Wirkung ausübt, wie das
Lehren von Latein, es gibt ihnen ein Erkennen der vollen Bedeutung des Englischen und auch
eine herrliche Grundlage für die Erlernung anderer Sprachen.“
Knaben und Mädchen werden erfreut sein zu hören, daß Prof. F. Duriens, Schulrat der Schule Montesquieux, Lille, Frankreich, schreibt: „Eines meiner Kinder korrespondiert in Esperanto mit Kindern in den Vereinigten Staaten, Japan, Australien, Oesterreich, und Sibirien — eine Tat, welche mancher Diplomat nicht fertig bringt.“
Prof. Gilbert Murray, Oxford, sagt, daß Esperanto ein köstliches, wundervolles Werk sei. Prof. J.E.B. Mayor Cambridge, behauptet, daß Kinder Esperanto erst lernen sollten und dann zum Erlernen von Französisch, Latein, Deutsch und Griechisch übergehen sollen. Dr. A.E. Scougal, Oberschulrat der Schulen Schottlands, empfiehlt Esperanto als die einzige ergänzende Sprache für Kinder, welche die Schule im Alter von 14 Jahren verlassen. Prof. Sir William Ramsay, London, sagt in seinem Bericht, daß ein englisches Kind in höchstens 6 Monaten Esperanto lernen kann, und imstande ist, es zu lesen, zu schreiben und zu sprechen.
Der erzieherische Vorteil des Lernens von Esperanto ist ein besseres Verstehen der Muttersprache. Es erzieht zu logischem Denken und klarer Ausdrucksweise, es fördert das Interesse an der Schularbeit. Es ist ein Ansporn zu geographischen Studien und erweitert den geistigen Horizont, auch macht es andere Sprachstudien leichter und interessanter. Die Kenntnis von Esperanto ist auch im Geschäftsleben äußerst wertvoll.
Universale Erziehung ist ein weiteres Prinzip Bahá’u’lláhs, welches in diesem Jahrhundert verwirklicht werden wird.
Das ganze Streben der Sprache in der modernen Welt verlangt das Verschwinden des Dialekts und fordert eine allgemeine Hilfssprache.
Die internationalen Esperanto-Kongresse sind die Vorläufer von tausendfachen internationalen Kongressen der Zukunft.
Bei dem Kongreß in Edinburg, Schottland, waren Delegierte von mehr denn 30 Nationalitäten anwesend und über kurz oder lang können Menschen aus 30 Ländern in einer Versammlungshalle sitzen und jedes Wort verstehen! 31 internationale Verbände, die Esperanto sprechen, hatten ihre besonderen Sitzungen während dieses grossen Kongresses.
Esperanto wird heute auf der ganzen Welt gesprochen, und ist die amtliche internationale Sprache der Internationalen Amateur Radio Union und des Amerikanischen Radio Relay Bundes.
Die Könige von Spanien, Belgien und Sachsen, die Präsidenten der Deutschen und Oesterreichischen Republik waren Protektor der Esperanto-Kongresse in ihren betreffenden Ländern. Die Regierungen der Vereinigten Staaten, Belgiens, Spaniens, der Tschechoslowakei u. anderer waren bei den verschiedenen Esperanto-Kongressen vertreten. Das Komittee der Britischen Vereinigung für Internationale Sprachen hat Esperanto empfohlen.
Die amerikanische philosophische Gesellschaft hat im Jahr 1887 als Volapük aufkam, ein Komittee bestimmt, den wissenschaftlichen Wert von Volapük zu prüfen. Das Komittee verwarf Volapük, als zu rückschrittlich und zu eigenwillig in der Zusammensetzung, und als nicht international genug im Wortschatz. Der Bericht brachte jedoch die Bemerkung, daß die Schaffung einer internationalen Sprache dem allgemeinen Streben der modernen Zivilisation entspreche und dies wird nicht nur erhofft, sondern wird sicherlich auch verwirklicht werden!
Dieses Komittee war so ganz und gar von der Wichtigkeit einer internationalen Sprache überzeugt, daß es der philosophischen Gesellschaft den Vorschlag machte, sie solle alle gelehrten Verbände der Welt zur Mitarbeit an der Schaffung einer universalen Sprache einladen. Diese Anregung wurde von der Gesellschaft angenommen und die Einladungen wurden ausgesandt und über 20 Verbände nahmen diese an.
Vor 60 Jahren schrieb Bahá’u’lláh an verschiedene Regenten der Welt und forderte sie auf, aus ihren besten Sprachkennern ein Komittee zu bestimmen, das eine der bestehenden Sprachen wählen oder eine allgemeine Hilfssprache schaffen sollte, die dann angenommen und in allen Schulen der Welt gelehrt werden sollte.
Nun das „Lingva Komitato“ des Internationalen Sprachenkomittees, erwählt von den Esperantisten aller Länder, besteht aus solchen Menschen, die besondere Sprachbegabung haben. Dieses Sprach-Komittee ist keineswegs ein gesetzgebender Körper. Es überwacht die Ausbreitung und Entwicklung der Sprache, pflegt ihre Reinheit und hilft ihr durch richterliche Aufsicht. Einige Zusätze sind durch diese Körperschaft offiziell angehängt worden.
Viele Menschen wünschten Esperanto zu verändern und es mit andern Sprachen zu einer
internationalen Sprache zu vermischen. Die Führer des Esperanto glauben wohlweislich, daß der
Gründer von Esperanto, und Menschen, die die besten Jahre ihres Lebens für diese Sprache geopfert
haben, es am besten wussten. Als eine internationale Sprache ist Esperanto den meisten Menschen
etwas Neues; viele sind der irrigen Ansicht, daß sie dieselbe besser machen, und kritisieren [Seite 189]
können. Dies ist, wie wenn ein Brückenbauer oder sonst ein Sachverständiger im Gefühl seiner
Bedeutung ins Griechische hineinpfuschen und denken würde, er sei durchaus im Stand, den Text
von Sophokles zu verbessern.
Dr. Zamenhof erhob Anspruch darauf, daß sein Werk abgeschlossen sei. Er arbeitete eine Sprache aus für die Völker, überließ sie den Menschen und nachdem Esperanto gegründet ist, wird ein Weltkomittee von Sprachgelehrten es weiterführen und zu der universalen Hilfssprache der kommenden Jahrhunderte entwickeln. Aber Esperanto hat alle die kräftig lebendigen Eigenschaften für diese universale Hilfssprache. Sein Erfolg weckt das Weltbewußtsein.
Wenn es, ehe es fest gegründet ist, von sogenannten Pfuschern in Stücke gerissen werden sollte, wenn Entzweiung eintreten sollte, würde Esperanto an dem Felsen der Zerstörung verloren gehen und mit ihm 50 Jahre Lebensarbeit an einer universalen Hilfssprache. Warum sollte man also dieses Sprach-Komittee nicht trauen und arbeiten für die Regierungen der Welt, und für die großen internationalen Verbände, um diese Sprache zu entwickeln, welche mehr denn jede andere die erwählte der Völker ist!
Esperanto hat eine zunehmende klassische, gelehrte und wissenschaftliche Literatur. Mehr denn 80 Zeitschriften erscheinen ganz in Esperanto. Es ist eine der großen Erfindungen des 20. Jahrhunderts. Eine neutrale Sprache gehört allen und ist nicht Eigentum des Einzelnen. Seine Annahme wird in keiner Weise nationale Empfindlichkeiten stören. Dr. Zamenhof, der seelenvolle Prophet der Sprachen, war ein bescheidener aber sehr tüchtiger Augenarzt, der sein Leben einem ihm von Gott geschenkten Ideal einer universal gesprochenen und geschriebenen Sprache widmete. Er verwarf es immer, einen Nutzen aus ihr zu ziehen. Er gab sie der Welt. Er lehnte beharrlich die Annahme einer Summe ab, welche seine begeisterten Freunde sammelten als einen Beweis für sein selbstloses Werk für die Menschheit. Die Geschichte der Aufopferung, der Armut, der starken, beharrlichen Anhänglichkeit von ihm und seiner Familie an diese Sprache der Bruderschaft, ist eine jener die Herzen anziehender Heldensagen des Geistes, die nicht nur Sterbliche sondern auch den Chor der Unsichtbaren anhalten, um sie zu bewundern u. zu lieben. Als kleiner Knabe hatte er in seinem Geburtsort, dem elenden, durch den Krieg bekannnten Bialystok, einst russisch, jetzt polnisch, eine Vision und teilte diese seiner wundervollen geistreichen Mutter mit. Während des Kriegs war er bemüht, ein Welt-Parlament der Religionen zusammenzurufen und für Frieden zu arbeiten. Bis zu seinem Tode im Jahr 1917 war sein ganzes Leben ein Leben der Arbeit und der Liebe. Immer bescheiden, nahm er auch die Präsidentenschaft des Internat. Esperanto-Kongresses nicht an. Er wollte die erwählten Mitglieder der Körperschaft, die als das Sprachen-Komittee des Internationalen Sprachen-Komittees bekannt ist, nicht beeinflussen.
Gleich Tolstoj und anderen Menschenfreunden betonte Dr. Zamenhof die Tatsache, daß das 20. Jahrhundert die Vereinigung der Völker Asiens mit ihren Pionieren, den Brüdern des Westens, sehen werde.
Als ich durch China und Japan, durch den Balkan, nach Ungarn, Oesterreich und in andere Länder des westlichen Europas reiste, sah ich, wie schnell sich die moderne Zivilisation verbreitet. Sie ist verbreitet nicht allein durch die äusseren Mittel wie Luftschiff, Radio, Kabel, Telegraf — sondern auch durch die inneren Gedanken verfassungsmäßiger Regierungen, der Vertretung gewählter Obrigkeit und Volksherrschaft, durch universale Erziehung, eine universale Hilfssprache, Erziehung der Frauen, gleiche Rechte und Pflichten für beide Geschlechter, der Errichtung einer billigen Presse, so daß jedermann sie lesen kann, durch größere Duldsamkeit der Religion und dem Ablegen unzeitgemäßer Ueberlieferungen.
Die asiatische Welt trat in den Völkerbund ein und kommt dem Weltbild des Interesses und der Tätigkeit näher. Der fähige Mensch des Ostens sieht erstaunt; wie der Asiate in der Führung der Werkzeuge des Westens, im Ergreifen westlicher Erziehung gewandt und fähig wird.
Esperanto ist im Osten volkstümlich. Die Schreiberin dieses fand es auf den Universitäten gelehrt. Im Jahr 1923 traf sie dort persönlich 4000 Esperantisten. Die grossen Universitäten und Hochschulen Chinas haben diese Hilfssprache eingeführt. Es war wirklich schön zu sehen, wie die chinesischen Universitäts-Studenten die zerlumpten kleinen Bengel auf der Straße unsere liebe Hilfssprache lehrten, und diese jungen Burschen, die kaum etwas auf dem Leib hatten, sich bemühten, lächelnd ihre Ergebung ihren grossen Brüdern in fliessendem Esperanto auszusprechen, eine Tatsache die Kaiser seufzen und Könige neidisch machen könnte.
Während der letzten Jahre beständigen Reisens durch Europa betrat ich keine Stadt, wo
die Esperantisten mir nicht entgegengekommen wären, (nicht als zu einem pflichtschuldigen
Gabelfrühstück) sondern mit Blumen und Liebe kamen sie. Das Band unserer gemeinsamen Begeisterung
war Esperanto. In einer Stadt, wo infolge der Revolution die Esperantisten nichts zu essen
hatten, standen sie lächelnd am Bahnsteig mit einigen Tulpen in der Hand. Sie dachten nicht
an ihren Hunger und bereiteten eine
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große Esperantisten-Versammlung vor, in welcher die Prinzipien Bahá’u’lláhs erklärt wurden,
insbesondere Bahá’u’lláhs Lösung der ökonomischen Frage. Hunderte mal sprach ich in Esperanto
in Städten, wo ich nicht ihre und sie nicht meine Sprache verstunden. Einer der Esperantisten der
Versammlung trat gern zur Uebersetzung vor und nicht einmal gab es eine
Stockung oder ein Nichtverstehen der Gedanken. Den vielen Nichtesperantisten, die in der
Versammlung zugegen waren, wurde der Wert des Esperanto bewiesen. Ich kenne keinen Schlüssel
zum Oeffnen für weitere Türen, um eine große Botschaft zu verkünden rund um die Welt,
als diese universale Hilfssprache Esperanto. Ich kenne nichts auf der Reise durch die Welt, was
größere Glückseligkeit schaffen könnnte, denn als Bahái zu reisen, und diese universale Hilfssprache
ist ein Teil des Lebens eines Bahái!
Die Ideale von Romain Rolland sind meine Ideale! Le Messager Bahái de Geneve — offizielles Organ des internationalen Bahái-Büros, organisiert von Mrs. Stannard, Schweiz, bringt einen Auszug aus seinem Brief aus „The seven Arts“ (den sieben Künsten), den ich anführen möchte: „Ich, für meinen Teil rufe laut, daß das intellektuelle Ideal einer einzigen Nation für mich zu eng ist — ich erkläre, daß das Ideal einer ausgesöhnten westlichen Welt zu eng für mich sein würde. Ich erkläre, daß das Ideal eines geeinigten Europas zu eng für mich wäre. Die Stunde ist gekommen, in welcher der Mensch wirklich gesund und neu belebt frei seine Schritte aufwärts den Idealen einer universalen Menschheit entgegen lenken muß, wo die europäische Rasse der alten und neuen Welt die Hände reichen muß, den Repräsentanten der alten nun verjüngten Zivilisationen Asiens, Indiens, Chinas universale Menschheit mit einem allgemeinen geistigen Schatz. Die Gedanken an die Zukunft müssen eine Verknüpfung der grossen Gedanken des ganzen Universums sein.
'Abdu'l-Bahá fasste in Seiner Botschaft an die Esperantisten in Washington, April 1912 alles zusammen, als Er sagte:
Das größte Bedürfnis der Welt der Menschheit ist die Aufhebung der bestehenden Mißverhältnisse unter den Nationen und dies kann erreicht werden durch die Vereinigung der Sprachen. Wenn die Vereinigung der Sprachen nicht verwirklicht wird, kann der größte Friede und die Einheit der menschlichen Welt in einer bindenden Weise nicht erfüllt und aufgerichtet werden.
Durch die Sprache werden die Mysterien und Geheimnisse der Herzen enthüllt. Die Menschen können durch die Sprache international erzogen werden. Sie können durch die Sprache Einblick in die vergangene Geschichte und vergangenen Zeitaltern gewinnen. Das Verbreiten bekannter Tatsachen unter den Menschen hängt von der Sprache ab. Die Erklärung der göttlichen Lehren kann allein durch die Sprache gegeben werden. Weil durch die Verschiedenheit der Sprachen und das Fehlen des Verständnisses anderer Sprachen dies herrliche Ziel nicht verwirklicht werden könnte, ist deshalb der größte Dienst für die Menschheit, eine internationale Hilfssprache zu schaffen. Sie wird die Ursache der Ruhe und des Wohlstandes für die Menschen, die Ursache der Verbreitung der Wissenschaft und Künste unter den Nationen werden. Sie wird zum Fortschritt und der Entwicklung aller Rassen führen.
Wir müssen mit aller Kräften uns anstrengen, daß wir eine internationale Hilfssprache unter den Rassen und Nationen der Welt errichten.“
Deutsche Uebersetzung: Bahái-Arbeits-Gemeinschaft Esslingen.
Das Fastengebet, das jeden Morgen vom 2.—2l. März vor Sonnenaufgang gebetet werden soll.
Im Namen dessen, der vom Horizont des Beyan hervorstrahlte! O Gott, wahrlich ich bitte Dich, bei den größten Zeichen und den Offenbarungen Deiner Gnade unter Deinen Geschöpfen, Du wollest mich nicht am Tor der Stadt Deiner Begegnung ausschließen und mich nicht enttäuschen in der Erreichung der Offenbarung Deiner Barmherzigkeit unter Deinen Geschöpfen.
Du siehst mich o mein Gott, daß ich mich an Deinem Namen halte, dem heiligen, dem leuchtenden, dem köstlichsten, dem größten, dem höchsten, dem Abhá! Und siehst, daß ich mich an den Saum Deines Gewandes anklammere, der ergriffen werden wird von all denen, die in diesem und im nächsten Leben stehen.
O Gott, wahrlich ich bitte Dich bei Deiner süssen Stimme, und bei dem erhabenen Wort,
mich in allen Zuständen Dir nahe zu bringen und mich nicht zu verlöschen an Deinem Thron. Löse
mich nicht vom Schatten Deiner Gnade und von dem Dom Deiner Großmut.
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Du siehst mich o mein Gott, daß ich mich an Deinem Namen halte, dem heiligen, dem leuchtenden, dem köstlichsten, dem größten, dem höchsten, dem Abhá! Und siehst, daß ich mich an den Saum Deines Gewandes anklammere, das ergriffen werden wird von all denen, die in diesem und im nächsten Leben stehen.
O Gott, wahrlich ich bitte Dich beim Strahlenkranz um Deine helleuchtende Stirne und dem blendenden Glanz Deines Antlitzes, das vom erhabenen Horizont herniederstrahlt, mich durch die Wohlgerüche Deines Gewandes anzuziehen und mich von dem reinen Wein Deiner klaren Offenbarungen trinken zu lassen.
Du siehst mich o mein Gott, daß ich mich an Deinem Namen halte, dem heiligen, dem leuchtenden, dem köstlichsten, dem größten, dem höchsten, dem Abhá! Und siehst, daß ich mich an den Saum Deines Gewandes anklammere, das ergriffen werden wird von all denen, die in diesem und im nächsten Leben stehen.
O Gott, wahrlich ich bitte Dich bei Deinem Haar, das sich um Dein Antlitz lockt, wenn Deine erhabene Feder über die Seiten der Tablets gleitet, durch die die Düfte des Miskat, der Bedeutung durch die erschaffene Welt ziehen — mich im Dienst Deiner Sache zu bestätigen auf eine Weise, die kein Nachlassen zur Folge hat, noch durch die Widersetzlichkeit derer eine Verhinderung erfährt, die gegen Deine Strophen reden und Dein Antlitz meiden.
Du siehst mich o mein Gott, daß ich mich an Deinem Namen halte, dem heiligen, dem leuchtenden, dem köstlichsten, dem größten, dem höchsten, dem Abhá! Und siehst, daß ich mich an den Saum Deines Gewandes anklammere, das ergriffen werden wird von all denen, die in diesem und im nächsten Leben stehen.
O Gott, wahrlich ich bitte Dich bei Deinem Namen, den Du zum König aller Namen gemacht hast, durch den alle, im Himmel und auf Erden, angezogen sind, laß’ mich die Sonne Deiner Schönheit erschauen und siehe den Wein Deiner klaren Offenbarungen für mich vor.
Du siehst mich o mein Gott, daß ich mich an Deinem Namen halte, dem heiligen, dem leuchtenden, dem köstlichsten, dem größten, dem höchsten, dem Abhá! Und siehst, daß ich mich an den Saum Deines Gewandes anklammere, das ergriffen werden wird von all denen, die in diesem und im nächsten Leben stehen.
O Gott, wahrlich ich bitte Dich beim Vorhang vor Deiner Herrlichkeit über den Spitzen der Berge und dem Zelt Deiner Sache auf den Gipfeln der Hügel — mir Kraft zu verleihen, wozu Deine Macht mich bestimmt hat und was offenbart ist durch Deinen Willen.
Du siehst mich o mein Gott, daß ich mich an Deinem Namen halte, dem heiligen, dem leuchtenden, dem köstlichsten, dem größten, dem höchsten, dem Abhá! Und siehst, daß ich mich an den Saum Deines Gewandes anklammere, das ergriffen werden wird von all denen, die in diesem und im nächsten Leben stehen.
O Gott, wahrlich ich bitte Dich bei Deiner Schönheit, die vom Horizont der Ewigkeit leuchtet und der, als sie erschien, das ganze Reich der Schönheit huldigte und mit lautem Ruf sie pries — lösche mich aus mit allem, was ich bin und mache mich unsterblich durch das, was du hast.
Du siehst mich o mein Gott, daß ich mich an Deinem Namen halte, dem heiligen, dem leuchtenden, dem köstlichsten, dem größten, dem höchsten, dem Abhá! Und siehst, daß ich mich an den Saum Deines Gewandes anklammere, das ergriffen werden wird von all denen, die in diesem und im nächsten Leben stehen.
O Gott, wahrlich ich bitte Dich bei der Offenbarung Deines geliebten Namens, bei der das Innerste Deiner leidenschaftlich Liebenden brannte und bei dem die Herzen in die Sphären emporstiegen — mir beizustehen, Dich zu erwähnen unter Deinen Geschöpfen und Dich zu loben unter Deinem Volk.
Du siehst mich o mein Gott, daß ich mich an Deinem Namen halte, dem heiligen, dem leuchtenden, dem köstlichsten, dem größten, dem höchsten, dem Abhá! Und siehst, daß ich mich an den Saum Deines Gewandes anklammere, das ergriffen werden wird von all denen, die in diesem und im nächsten Leben stehen.
O Gott, mein Gott, wahrlich ich bitte Dich beim Rauschen des Lotusbaumes und bei dem
Säuseln des Windes Deiner Strophen, in der göttlichen Kraft der Namen — mich zu trennen
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von dem, was Deinem Willen entgegen ist und mich der Stufe näher zu bringen, von der das
Morgenrot Deiner Verkündigung ausstrahlt.
Du siehst mich o mein Gott, daß ich mich an Deinem Namen halte, dem heiligen, dem leuchtenden, dem köstlichsten, dem größten, dem höchsten, dem Abhá! Und siehst, daß ich mich an den Saum Deines Gewandes anklammere, das ergriffen werden wird von all denen, die in diesem und im nächsten Leben stehen.
O Gott, wahrlich, ich bitte Dich bei dem Buchstaben, der, als er aus dem Mund Deines Willens hervorging, den Ozean aufbrausen, die Winde rauschen, die Früchte hervorgehen, die Blumen erblühen, die Spuren verschwinden und die Vorhänge sich zerteilen und die Getreuen dem Licht des Antlitzes ihres Herrn, des Erwählten, entgegeneilen ließ — mich das zu lehren, was in den Schatzkammern Deiner Einsicht verborgen und in den Speichern Deines Wissens eingeschlossen war.
Du siehst mich o mein Gott, daß ich mich an Deinem Namen halte, dem heiligen, dem leuchtenden, dem köstlichsten, dem größten, dem höchsten, dem Abhá! Und siehst, daß ich mich an den Saum Deines Gewandes anklammere, das ergriffen werden wird von all denen, die in diesem und im nächsten Leben stehen.
O Gott, wahrlich ich bitte Dich beim Feuer Deiner Liebe, vor welchem der Schlaf die Augen Deiner Getreuen floh, und bei Deinen Heiligen und bei denen, welche sie beim Morgengrauen zu Deinem Lob und Preis erweckten — mache mich zu denen gehörig, die siegreich dem nachfolgen, was Du in Deinem Buch und durch Deinen Willen offenbart hast.
Du siehst mich o mein Gott, daß ich mich an Deinem Namen halte, dem heiligen, dem leuchtenden, dem köstlichsten, dem größten, dem höchsten, dem Abhá! Und siehst, daß ich mich an den Saum Deines Gewandes anklammere, das ergriffen werden wird von all denen, die in diesem und im nächsten Leben stehen.
O Gott, wahrlich, ich bitte Dich beim Licht Deines Antlitzes das die Nahestehenden den Pfeilen der Bestimmung entgegentrieb und die Getreuen in Deiner Sache in die Schwerter der Feinde jagte — für mich mit Deiner erhabenen Feder niederzuschreiben, was Du für Deine Vertrauenswürdigen und aufrichtig Ergebenen niedergeschrieben hast.
Du siehst mich o mein Gott, daß ich mich an Deinem Namen halte, dem heiligen, dem leuchtenden, dem köstlichsten, dem größten, dem höchsten, dem Abhá! Und siehst, daß ich mich an den Saum Deines Gewandes anklammere, das ergriffen werden wird von all denen, die in diesem und im nächsten Leben stehen.
O Gott, ich bitte Dich in Deinem Namen, durch den Du den Ruf der leidenschaftlich Liebenden vernommen hast, den Schrei der Sehnsüchtigen, die laute Stimme der Nahestehendsten, den zarten Seufzer der Aufrichtigen und die Hoffnung in den Verlangenden verordnet hast und ihnen gewährtest, was sie wünschten — bei Deiner Gnade und Deinem Wohlwollen und bei den Namen, durch die das Meer der Verzeihung vor Deinem Angesicht erbrauste und die Wolke des Edelmuts auf Deine getreuen Diener herabregnete — für den, der sich Dir nähert und dem, der auf Deinen Befehl fastet, die Belohnung derer zu bestimmen, die nur mit Deiner Erlaubnis reden und die alles aufgeben, was sie haben, um Deiner Sache und um Deiner Liebe willen.
Du siehst mich o mein Gott, daß ich mich an Deinem Namen halte, dem heiligen, dem leuchtenden, dem köstlichsten, dem größten, dem höchsten, dem Abhá! Und siehst, daß ich mich an den Saum Deines Gewandes anklammere, das ergriffen werden wird von all denen, die in diesem und im nächsten Leben stehen.
O mein Gott, ich bitte Dich um Deiner selbst, um Deiner Worte, um Deiner klaren Offenbarungen und um der hellleuchtenden Sonne Deiner Schönheit und Güte willen — die Irrtümer derer zu vergeben, die an Deinen Verordnungen hängen und darnach lebten, wie Ihnen befohlen wurde in Deinem Buch.
Du siehst mich o mein Gott, daß ich mich an Deinem Namen halte, dem heiligen, dem leuchtenden, dem köstlichsten, dem größten, dem höchsten, dem Abhá! Und siehst, daß ich mich an den Saum Deines Gewandes anklammere, das ergriffen werden wird von all denen, die in diesem und im nächsten Leben stehen.
Uebersetzt von A. Schwarz.
Anfragen, schriftliche Beiträge und alle die Schriftleitung betreffenden Zuschriften beliebe man an die Schriftleitung: Stuttgart, Alexanderstr.3 zu senden :-: Bestellungen von Abonnements, Büchern und Broschüren sowie Geldsendungen sind an den Verlag des Deutschen Bahaibundes Stuttgart, Hölderlinstraße 35 zu richten.
Druck: Wilhelm Heppeler, Stuttgart
Geschichte und Bedeutung der Bahailehre.
Die Bahai-Bewegung tritt vor allem ein für die „Universale Religion" und den „Universalen Frieden“ — die Hoffnung aller Zeitalter. Sie zeigt den Weg und die Mittel, die zur Einigung der Menschheit unter dem hohen Banner der Liebe, Wahrheit, Gerechtigkeit und Barmherzigkeit führen. Sie ist göttlich ihrem Ursprung nach, menschlich in ihrer Darstellung, praktisch für jede Lebenslage. In Glaubenssachen gilt bei ihr nichts als die Wahrheit, in den Handlungen nichts als das Gute, in ihren Beziehungen zu den Menschen nichts als liebevoller Dienst.
Zur Aufklärung für diejenigen, die noch wenig oder nichts von der Bahaibewegung wissen, führen wir hier Folgendes an: „Die Bahaireligion ging aus dem Babismus hervor. Sie ist die Religion der Nachfolger Bahá’u’lláhs. Mirza Hussein Ali Nuri (welches sein eigentlicher Name war) wurde im Jahre 1817 in Teheran (Persien) geboren. Vom Jahr 1844 an war er einer der angesehensten Anhänger des Bab und widmete sich der Verbreitung seiner Lehren in Persien. Nach dem Märtyrertod des Bab wurde er mit den Hauptanhängern desselben von der türkischen Regierung nach Bagdad und später nach Konstantinopel und Adrianopel verbannt. In Bagdad verkündete er seine göttliche Sendung (als „Der, den Gott offenbaren werde") und erklärte, daß er der sei, den der Bab in seinen Schriften als die „Große Manifestation", die in den letzten Tagen kommen werde, angekündigt und verheißen hatte. In seinen Briefen an die Regenten der bedeutendsten Staaten Europas forderte er diese auf, sie möchten ihm bei der Hochhaltung der Religion und bei der Einführung des universalen Friedens beistehen. Nach dem öffentlichen Hervortreten Bahá’u’lláhs wurden seine Anhänger, die ihn als den Verheißenen anerkannten, Bahai (Kinder des Lichts) genannt. Im Jahr 1868 wurde Bahá’u’lláh vom Sultan der Türkei nach Akka in Syrien verbannt, wo er den größten Teil seiner lehrreichen Werke verfaßte und wo er am 28. Mai 1892 starb. Zuvor übertrug er seinem Sohn Abbas Effendi ('Abdu'l-Bahá) die Verbreitung seiner Lehre und bestimmte ihn zum Mittelpunkt und Lehrer für alle Bahai der Welt.
Es gibt nicht nur in den mohammedanischen Ländern Bahai, sondern auch in allen Ländern Europas, sowie in Amerika, Japan, Indien, China etc. Dies kommt daher, daß Bahá’u’lláh den Babismus, der mehr nationale Bedeutung hatte, in eine universale Religion umwandelte, die als die Erfüllung und Vollendung aller bisherigen Religionen gelten kann. Die Juden erwarten den Messias, die Christen das Wiederkommen Christi, die Mohammedaner den Mahdi, die Buddhisten den fünften Buddha, die Zoroastrier den Schah Bahram, die Hindus die Wiederverkörperung Krischnas und die Atheisten — eine bessere soziale Organisation.
In Bahá’u’lláh sind alle diese Erwartungen erfüllt. Seine Lehre beseitigt alle Eifersucht und Feindseligkeit, die zwischen den verschiedenen Religionen besteht; sie befreit die Religionen von ihren Verfälschungen, die im Lauf der Zeit durch Einführung von Dogmen und Riten entstanden und bringt sie alle durch Wiederherstellung ihrer ursprünglichen Reinheit in Einklang. Das einzige Dogma der Lehre ist der Glaube an den einigen Gott und an seine Manifestationen (Zoroaster, Buddha, Mose, Jesus, Mohammed, Bahá’u’lláh).
Die Hauptschriften Bahá’u’lláhs sind der Kitab el Ighan (Buch der Gewißheit), der Kitab el Akdas (Buch der Gesetze), der Kitab el Ahd (Buch des Bundes) und zahlreiche Sendschreiben, genannt „Tablets“, die er an die wichtigsten Herrscher oder an Privatpersonen richtete. Rituale haben keinen Platz in dieser Religion; letztere muß vielmehr in allen Handlungen des Lebens zum Ausdruck kommen und in wahrer Gottes- und Nächstenliebe gipfeln. Jedermann muß einen Beruf haben und ihn ausüben. Gute Erziehung der Kinder ist zur Pflicht gemacht und geregelt.
Streitfragen, welche nicht anders beigelegt werden können, sind der Entscheidung des Zivilgesetzes jeden Landes und dem Bait’ul’Adl oder „Haus der Gerechtigkeit“, das durch Bahá’u’lláh eingesetzt wurde, unterworfen. Achtung gegenüber jeder Regierungs- und Staatseinrichtung ist als einem Teil der Achtung, die wir Gott schulden, gefordert. Um die Kriege aus der Welt zu schaffen, ist ein internationaler Schiedsgerichtshof zu errichten. Auch soll neben der Muttersprache eine universale Einheits-Sprache eingeführt werden. „Ihr seid alle die Blätter eines Baumes und die Tropfen eines Meeres“ sagt Bahá’u’lláh.
Es ist also weniger die Einführung einer neuen Religion, als die Erneuerung und Vereinigung aller Religionen, was heute von 'Abdu'l-Bahá erstrebt wird. (Vgl. Nouveau, Larousse, illustré supplement, p. 66.)
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