SONNE DER WAHRHEIT | ||
Heft XI | JAN. 1927 | |
ORGAN DES DEUTSCHEN BAHAI-BUNDES STUTTGART |
Abdu’l-Bahás Erläuterung der Bahai-Prinzipien.
1. Die ganze Menschheit muss als Einheit betrachtet werden.
Baha’u’lláh wandte Sich an die gesamte Menschheit mit den Worten: „Ihr seid alle die Blätter eines Zweigs und die Früchte eines Baumes“. Das heißt: die Menschheit gleicht einem Baum und die Nationen oder Völker gleichen den verschiedenen Aesten und Zweigen; die einzelnen Menschen aber gleichen den Blüten und Früchten dieses Baumes. In dieser Weise stellte Baha’u’lláh das Prinzip der Einheit der Menschheit dar. Baha’u’lláh verkündigte die Einheit der ganzen Menschheit, er versenkte sie alle im Meer der göttlichen Gnade.
2. Alle Menschen sollen die Wahrheit selbständig erforschen.
In religiösen Fragen sollte niemand blindlings seinen Eltern und Voreltern folgen. Jeder muß mit eigenen Augen sehen, mit eigenen Ohren hören und die Wahrheit suchen, denn die Religionen sind häufig nichts anderes als Nachahmungen des von den Eltern und Voreltern übernommenen Glaubens.
3. Alle Religionen haben eine gemeinsame Grundlage.
Alle göttlichen Verordnungen beruhen auf ein und derselben Wirklichkeit. Diese Grundlage ist die Wahrheit und bildet eine Einheit, nicht eine Mehrheit. Daher beruhen alle Religionen auf einer einheitlichen Grundlage. Im Laufe der Zeit sind gewisse Formen und Zeremonien der Religion beigefügt worden. Dieses bigotte menschliche Beiwerk ist unwesentlich und nebensächlich und verursacht die Abweichungen und Streitigkeiten unter den Religionen. Wenn wir aber diese äußere Form beiseite legen und die Wirklichkeit suchen, so zeigt sich, daß es nur eine göttliche Religion gibt.
4. Die Religion muss die Ursache der Einigkeit und Eintracht unter den Menschen sein.
Die Religion ist für die Menschheit die größte göttliche Gabe, die Ursache des wahren Lebens und hohen sittlichen Wertes; sie führt den Menschen zum ewigen Leben. Die Religion sollte weder Haß und Feindschaft noch Tyrannei und Ungerechtigkeiten verursachen. Gegenüber einer Religion, die zu Mißhelligkeit und Zwietracht, zu Spaltungen und Streitigkeiten führt, wäre Religionslosigkeit vorzuziehen. Die religiösen Lehren sind für die Seele das, was die Arznei für den Kranken ist. Wenn aber ein Heilmittel die Krankheit verschlimmert, so ist es besser, es nicht anzuwenden.
5. Die Religion muss mit Wissenschaft und Vernunft übereinstimmen.
Die Religion muß mit der Wissenschaft übereinstimmen und der Vernunft entsprechen, so daß die Wissenschaft die Religion, die Religion die Wissenschaft stützt. Diese beiden müssen unauflöslich miteinander verbunden sein.
6. Mann und Frau haben gleiche Rechte.
Dies ist eine besondere Lehre Baha’u’lláhs, denn die früheren Religionen stellen die Männer über die Frauen. Töchter und Söhne müssen gleichwertige Erziehung und Bildung genießen. Dies wird viel zum Fortschritt und zur Einigung der Menschheit beitragen.
7. Vorurteile jeglicher Art müssen abgelegt werden.
Alle Propheten Gottes kamen, um die Menschen zu einigen, nicht um sie zu trennen. Sie kamen, um das Gesetz der Liebe zu verwirklichen, nicht um Feindschaft unter sie zu bringen. Daher müssen alle Vorurteile rassischer, völkischer, politischer oder religiöser Art abgelegt werden. Wir müssen zur Ursache der Einigung der ganzen Menschheit werden.
8. Der Weltfriede muss verwirklicht werden.
Alle Menschen und Nationen sollen sich bemühen, Frieden unter sich zu schließen. Sie sollen darnach streben, daß der universale Friede zwischen allen Regierungen, Religionen, Rassen und zwischen den Bewohnern der ganzen Welt verwirklicht wird. Die Errichtung des Weltfriedens ist heutzutage die wichtigste Angelegenheit. Die Verwirklichung dieses Prinzips ist eine schreiende Notwendigkeit unserer Zeit.
9. Beide Geschlechter sollen die beste geistige und sittliche Bildung und Erziehung geniessen.
Alle Menschen müssen erzogen und belehrt werden. Eine Forderung der Religion ist, daß jedermann erzogen werde und daß er die Möglichkeit habe, Wissen und Kenntnisse zu erwerben. Die Erziehung jedes Kindes ist unerläßliche Pflicht. Für Elternlose und Unbemittelte hat die Gemeinde zu sorgen.
10. Die soziale Frage muss gelöst werden.
Keiner der früheren Religionsstifter hat die soziale Frage in so umfassender, vergeistigter Weise gelöst wie Baha’u’lláh. Er hat Anordnungen getroffen, welche die Wohlfahrt und das Glück der ganzen Menschheit sichern. Wenn sich der Reiche eines schönen, sorglosen Lebens erfreut, so hat auch der Arme ein Anrecht auf ein trautes Heim und ein sorgenfreies Dasein. Solange die bisherigen Verhältnisse dauern, wird kein wahrhaft glücklicher Zustand für den Menschen erreicht werden. Vor Gott sind alle Menschen gleich berechtigt, vor Ihm gibt es kein Ansehen der Person; alle stehen im Schutze seiner Gerechtigkeit.
11. Es muss eine Einheitssprache und Einheitsschrift eingeführt werden.
Baha’u’lláh befahl die Einführung einer Welteinheitssprache. Es muß aus allen Ländern ein Ausschuß zusammentreten, der zur Erleichterung des internationalen Verkehrs entweder eine schon bestehende Sprache zur Weitsprache erklären oder eine neue Sprache als Weltsprache schaffen soll; diese Sprache muß in allen Schulen und Hochschulen der Welt gelehrt werden, damit dann niemand mehr nötig hat, außer dieser Sprache und seiner Muttersprache eine weitere zu erlernen.
12. Es muss ein Weltschiedsgerichtshof eingesetzt werden.
Nach dem Gebot Gottes soll durch das ernstliche Bestreben aller Menschen ein Weltschiedsgerichtshof geschaffen werden, der die Streitigkeiten aller Nationen schlichten soll und dessen Entscheidung sich jedermann unterzuordnen hat.
Vor mehr als 50 Jahren befahl Baha’u’lláh der Menschheit, den Weltfrieden aufzurichten und rief alle Nationen zum „internationalen Ausgleich“, damit alle Grenzfragen sowie die Fragen nationaler Ehre, nationalen Eigentums und aller internationalen Lebensinteressen durch ein schiedsrichterliches „Haus der Gerechtigkeit" entschieden werden können.
Baha’u’lláh verkündigte diese Prinzipien allen Herrschern der Welt. Sie sind der Geist und das Licht dieses Zeitalters. Von ihrer Verwirklichung hängt das Wohlergehen für unsere Zeit und das der gesamten Menschheit ab.
SONNE DER WAHRHEIT Organ des Bahai-Bundes, Deutscher Zweig Herausgegeben vom Verlag des Bahai-Bundes, Deutscher Zweig, Stuttgart Verantwortliche Schriftleitung: Alice Schwarz - Solivo, Stuttgart, Alexanderstraße 3 Preis vierteljährlich 1,80 Goldmark, im Ausland 2.– Goldmark. |
Heft 11 | Stuttgart, im Januar 1927 | 6. Jahrgang |
Inhalt: Baha’u’lláh und das Neue Zeitalter. — Der Geist der Bahailehre.
Motto: Einheit der Menschheit — Universaler Friede — Universale Religion
Die Erde ist ein großes Buch, jeder mit Begriffsvermögen ausgestattete Mensch kann
aus ihm entnehmen, was im befähigt, auf den rechten Weg und zur „Großen Botschaft" zu gelangen.
Bahá’u’lláh.
O ihr Geliebten des Herrn! O ihr Vertrauenswürdigen!
Wisset, daß wahrlich die Bewohner des Höheren Reiches, die Einwohner der Stätte der Herrlichkeit. die Gemeinschaft der Getreuen auf Erden verherrlichen und lobpreisen die, welche ihre Stimme in einem Akkord erheben und den Lobpreis des Herrn singen und Seinen heiligen Namen rühmen. Erhöht sei der Herr, mein Gott, der Allerherrlichste! Ich schwöre bei der Schönheit Seines Antlitzes, beim Licht, das Sein Gesicht ausstrahlt, beim Dämmern der Herrlichkeit: würden irdische Gemeinschaften den Weg der Unsterblichen in den Höhen wandeln, so würden sie gewißlich die Pracht der himmlischen Heerscharen in all ihrer Schönheit widerspiegeln und die Geheimnisse des Abhá-Königreichs entfalten. Je größer ihre Reinheit, desto größer ihre herrliche Ausstrahlung.
Deshalb wollen wir uns aufmachen und uns anstrengen, und uns vereinigen um die Standarte des Einen wahren Gottes und deshalb laßt uns in den Schatten des geheiligten Baumes treten, unter den Baum, der den Ruf Gottes stimmhaft ertönen ließ und das Wort der Wahrheit sprach. Dies ist in den Augen des Herrn, eures Gottes, des Barmherzigen, ein erhabener und glorreicher Triumph.
Würde der Geist der wahren Liebe die Gemeinschaft der Menschen auf Erden durchdringen, so würden sie wahrlich heranwachsen zu einer himmlischen Perlenkette, sie würden zu einem führenden Sternenbild, das seine Herrlichkeit und Lichtfülle über die ganze Menschheit ergießt.
Die Herrlichkeit Gottes, des Ewig-Lebendigen, des Selbstbestehenden sei mit euch.
Tablet von 'Abdu'l-Bahá.
Bahá’u’lláh und das Neue Zeitalter.
Von Dr. J. E. Esslemont. Uebersetzung v. H. Küstner.
XIII. Kapitel.*)
Durch die Baháibewegung erfüllte Prophezeiungen.
- ) Das XII. Kapitel ist im Jahrgang 1925, Heft IV u. V schon erschienen.
„Was die Manifestation des Größten Namens (Bahá’u’lláh) betrifft: Dies ist Er, den
Gott in allen Seinen heiligen Büchern und Schriften verheißen hat, wie in der Bibel,
den Evangelien und dem Koran.“
'Abdu'l-Bahá.
Auslegung von Prophezeiungen.
Die Auslegung von Prophezeiungen ist anerkannt schwierig, und bei nichts anderem weichen die Meinungen der Gelehrten weiter voneinander ab. Dabei ist nichts Verwunderliches, denn in Uebereinstimmung gerade mit den geoffenbarten Schriften wurden viele von den Prophezeiungen in solcher Form kundgegeben, daß sie nicht vollkommen verstanden werden konnten, bevor die Erfüllung eintrat, und sogar dann nur von solchen, die reines Herzens und frei von Vorurteilen waren. So wurde am Ende von Daniels Gesichten der Seher geheißen:
„Aber du, o Daniel, verbirg diese Worte und versiegle diese Schrift bis auf die letzte Zeit: so werden viele darüber kommen und großen Verstand finden... und ich hörte es, aber ich verstand es nicht und sprach: Mein Herr, was wird darnach werden? Er aber sprach: Gehe hin, Daniel, denn es ist verborgen und versiegelt bis auf die letzte Zeit.“ — Daniel 12, 4/9.
Wenn Gott die Prophezeiungen bis zur verheißenen Zeit versiegelte und die Auslegung nicht einmal den Propheten offenbarte, durch die Er sie aussprechen ließ, so dürfen wir erwarten, daß niemand als der verheißene Botschafter Gottes fähig sein wird, die Siegel zu zerbrechen und die Bedeutungen zu enthüllen, die in der Schatzkammer prophetischer Gleichnisse verborgen sind. Das Nachdenken über die Geschichte der Prophezeiungen und ihre Mißdeutungen in den vergangenen Zeitaltern und Entwicklungsabschnitten, zusammen mit den feierlichen Warnungen der Propheten selbst, sollte uns sehr vorsichtig machen gegenüber der Annahme der Spitzfindigkeiten der Theologen bezüglich der wirklichen Bedeutung dieser Aeußerungen und über die Art ihrer Erfüllung. Wenn andererseits jemand erscheint, der für sich in Anspruch nimmt, die Prophezeiungen zu erfüllen, so ist es wichtig, daß wir diesen Anspruch offenen und unvoreingenommenen Herzens prüfen. Handelt es sich um einen Betrüger, so wird der Trug schon aufkommen, ohne daß Schaden entsteht, aber wehe allen, die achtlos Gottes Boten von der Türe weisen, weil er in einer unerwarteten Gestalt oder zu unerwarteter Zeit kommt.
Das Leben und die Aeußerungen Bahá’u’lláhs bezeugen, daß Er der Verheißene alter Heiligen Bücher ist, der die Macht hat, die Siegel der Prophezeiungen zu brechen und uns einzuschenken den „unter den Siegeln befindlichen reinen Wein“ der göttlichen Geheimnisse. Laßt uns nun eilen, Seine Auslegungen zu hören und in ihrem Licht nochmals die vertrauten, aber vielfach geheimnisvollen Worte prüfen, die von den Propheten vor alters gesprochen wurden.
Das Kommen des Herrn.
Das „Kommen des Herrn in den Letzten Tagen“ ist das eine „weit entfernte göttliche
Ereignis", auf das alle Propheten vorausschauten, das die meisten ihrer herrlichen Gesänge
behandeln. Was ist denn nun gemeint mit dem „Kommen des Herrn"? Gott ist doch zu allen Zeiten
bei Seinen Geschöpfen, in allen, über allen und alle durchdringend. „Er ist heimlicher denn ein
Atemzug, vertrauter denn Hände und Füsse.“ Ja, aber die Menschen können Gott als innewohnend
und äußere Fassungskraft übersteigend weder sehen noch hören, sie können sich seine Gegenwart
nicht vorstellen, bis Er sich selbst offenbart durch eine sichtbare Gestalt und zu ihnen
mit menschlicher Zunge redet. Zur Offenbarung Seiner höheren Eigenschaften hat Gott immer
Gebrauch gemacht von einem menschlichen Werkzeug. Jeder der Propheten war ein Mittler,
durch welchen Gott Sein Volk besuchte und zu ihm sprach. Jesus war solch ein Mittler, und die
Christen haben ganz richtig sein Kommen als das Kommen Gottes bewertet. In ihm sahen sie das
Angesicht Gottes, und von seinen Lippen hörten sie die Heilige Stimme Gottes. Bahá’u’lláh
erzählt, daß das Kommen des Herrn der Heerscharen, des Ewig-Vaters, des Schöpfers und Erlösers
der Welt, das nach allen Propheten „zur Zeit des Endes“ eintreten wird, nichts anderes
bedeutet als Seine Manifestation in einem menschlichen Tempel, wie Er sich durch den
Tempel von Jesus von Nazareth geoffenbart hat, nur zu dieser Zeit mit einer volleren
und herrlicheren Offenbarung, für welche die Herzen und
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Geister vorzubereiten Jesus und alle die früheren Propheten kamen.
Prophezeiungen über Christus.
Weil sie die Bedeutung der Prophezeiungen über die Herrschaft des Messias falsch auffaßten, verwarfen die Juden Christus. 'Abdu'l-Bahá sagt:
„Die Juden warten noch immer auf das Kommen des Messias und beten Tag und Nacht zu Gott, um dasselbige zu beschleunigen. Als Christus kam, verurteilten und töteten sie ihn; sie sagten: „Dies ist nicht der, auf den wir warten. Wenn der Messias kommt, werden es Zeichen und Wunder bestätigen, daß er in Wahrheit Christus ist. Der Messias wird von einer unbekannten Stadt kommen. Er wird auf dem Throne Davids sitzen, er wird kommen mit einem Schwert aus Stahl und mit einem Scepter aus Eisen wird er regieren. Er wird das Gesetz der Propheten erfüllen, er wird den Osten und den Westen besiegen, und sein auserwähltes Volk, die Juden, verherrlichen. Mit ihm wird ein Reich des Friedens kommen, in welchem selbst die Tiere nicht mehr in Feindschaft mit den Menschen sein werden, der Wolf und das Lamm werden an der gleichen Quelle trinken, und alle Geschöpfe Gottes werden im Frieden sein...
So dachten und sprachen die Juden, denn sie verstanden weder die Heiligen Schriften, noch die herrlichen Wahrheiten, welche sie enthalten. Den Buchstaben kannten sie auswendig, aber von dem lebengebenden Geist verstanden sie nichts.
So höret denn, ich will euch die Erklärung geben: Obgleich Jesus von Nazareth kam, welches ein bekannter Ort ist, kam er doch auch vom Himmel. Sein Körper war geboren von Maria, aber sein Geist kam vom Himmel. Das Schwert, das er trug, war das Schwert seiner Zunge, mit welchem er das Gute von dem Bösen, das Wahre von dem Falschen und das Licht von der Finsternis trennte. Sein Wort war in der Tat ein scharfes Schwert. Der Thron, auf welchem er saß, ist der ewige Thron, von welchem aus er regiert immer und ewig; es ist ein himmlischer und kein irdischer Thron, denn die irdischen Dinge vergehen, aber die himmlischen bleiben. Er erklärte und vervollkommnete das Gesetz Moses und erfüllte das Gesetz der Propheten. Sein Wort besiegte den Osten und den Westen. Sein Königreich ist ewig. Er erhob diejenigen Juden, welche ihn anerkannten; es waren Männer und Frauen von niederer Herkunft, aber die Verbindung mit ihm machte sie groß und gab ihnen ewige Würden. Die Tiere, von welchen gesagt ist, daß sie im Frieden miteinander leben werden, sind die verschiedenen Rassen und Sekten, welche sich bisher bekämpften, die aber jetzt in Liebe und Barmherzigkeit beieinander wohnen und zusammen das Wasser des Lebens von dem ewigen Quell Christi trinken werden.“
Ansprachen in Paris, S. 54 ff.
Die meisten Christen nehmen diese Auslegungen der Prophezeiungen vom Messias als auf Christus passend hin. Aber hinsichtlich ähnlicher Prophezeiungen über den letzten Tag des Messias nehmen viele die gleiche Stellung ein wie die Juden und erwarten die Entfaltung eines Wunders auf der materiellen Ebene, das die Prophezeiungen ihrem Wortlaut nach erfüllen wird.
Prophezeiungen über den Báb und Bahá’u’lláh.
Nach der Auslegung der Baháilehre beziehen sich besonders die Prophezeiungen, die von der „Zeit des Endes“, den „letzten Tagen“, dem „Kommen des Herrn der Heerscharen“, dem „Ewig-Vater“ sprechen, nicht auf das Kommen von Jesus Christus, sondern auf das von Bahá’u’lláh. Nehmen wir als Beispiel die wohlbekannte Prophezeiung des Jesaia:
„Das Volk, das im Finstern wandelt, hat ein großes Licht gesehen; und über die da wohnen im Lande unterm Schatten des Todes, hat das Licht hell geschienen... Denn du hast das Joch ihrer Last und die Rute ihrer Schulter und den Stecken ihres Unterdrückers zerbrochen wie zur Zeit Midians. Denn bei aller Rüstung des Kriegs sind verwirrtes Geschrei und blutige Kleider; aber diese werden sein ein Brand und Nahrung des Feuers. Denn bei uns ist ein Kind geboren, ein Sohn ist uns gegeben: und die Herrschaft wird sein auf seiner Schulter, und sein Name wird sein Wunderbar, Ratgeber, der Mächtige Gott,*) Ewig-Vater, Friedefürst. Des Wachsens seiner Herrschaft und des Friedens wird da kein Ende sein auf dem Throne Davids und in seinem Königreich, daß ers zurichte und stärke mit Gericht und mit Gerechtigkeit von nun an bis in Ewigkeit. Solches wird tun der Eifer des Herrn der Heerscharen.“ — Jesaia 9, 2-7.
Dies ist eine der Prophezeiungen, die oft als auf Christus bezüglich angesehen werden, und
viel davon mag ganz richtig so angewendet werden, aber eine kleine Prüfung wird zeigen,
wieviel vollkommener und passender sie auf Bahá’u’lláh bezogen wird. Christus war tatsächlich ein
Lichtbringer und ein Heiland, aber während den nahezu 2000 Jahren seit seinem Auftreten ist die
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große Masse der Menschen fortgefahren, in Finsternis zu wandeln, und die Kinder Israels und
viele andere Kinder Gottes fuhren fort, unter der Rute des Unterdrückers zu stöhnen. Auf der
andern Seite hat während der ersten wenigen Jahrzehnte des Bahái-Zeitalters das Licht der
Wahrheit den Osten u. den Westen erleuchtet, die frohe Botschaft von der Vaterschaft Gottes u. von der
Bruderschaft der Menschen wird auf der ganzen Erde verkündigt, die großen auf das Militär gestützten Selbstherrschaften sind gestürzt worden u. ein Völkerbund ist ins Leben getreten, welcher
zur Hoffnung auf schnelle Hilfe für alle darniederliegenden und unterdrückten Nationen der
Welt berechtigt. Der große Krieg, der eben die Welt durchbrauste, mit seiner noch nie
dagewesenen Anwendung der Feuerwaffen, von flüssigem Feuer, Brandbomben und Feuermaschinen,
ist in der Tat „ein Brand und Nahrung des Feuers" gewesen. Bahá’u’lláh hat, indem er einen
großen Teil Seiner Schriften auf Fragen der Regierung und Verwaltung verwendete und zeigte,
wie sie am besten gelöst werden, „die Herrschaft auf seine Schultern genommen" auf eine
Weise, wie es Christus niemals tat. Bezüglich der Titel „Ewig-Vater“, „Friedefürst" verweist
Bahá’u’lláh nachdrücklich auf sich selbst als die Manifestation des Vaters, von der Christus und
Jesaia sprachen, während Christus immer von sich als dem Sohn sprach; und Bahá’u’lláh erklärt,
daß Seine Sendung ist, den Frieden auf Erden aufzurichten, während Christus sagt: „Ich
bin gekommen, nicht den Frieden zu bringen, sondern ein Schwert“, und tatsächlich gab es
während des ganzen christlichen Zeitalters Kriege und sektiererische Streitigkeiten in Hülle u. Fülle.
- ) Nach der engl. Bibel.
Die Herrlichkeit Gottes.
Der Titel „Bahá’u’lláh" ist das Arabische Wort für „Herrlichkeit Gottes", und dieser nämliche Titel wird häufig gebraucht von den hebräischen Propheten für den Verheißenen, der in den letzten Tagen erscheinen werde. So lesen wir im 40. Kap. von Jesaia:
„Tröstet, tröstet mein Volk! spricht der Herr, euer Gott; redet mit Jerusalem freundlich und predigt ihr, daß ihre Dienstbarkeit ein Ende hat, denn ihre Missetat ist vergeben; denn sie hat Zwiefältiges empfangen von der Hand des Herrn für alle ihre Sünden. Es ist eine Stimme eines Predigers in der Wüste: Bereitet dem Herrn den Weg, macht auf dem Gefilde eine ebene Bahn eurem Gott! Alle Täler sollen erhöht werden und alle Berge und Hügel sollen erniedrigt werden, und was ungleich ist, soll eben, und was höckericht ist, soll schlicht werden: denn die „Herrlichkeit des Herrn“ soll offenbar werden und alles Fleisch miteinander wird es sehen.“ Vers 1-5.
Wie die zuvor erwähnte Prophezeiung wurde auch diese teilweise erfüllt beim Kommen Christi und seines Vorläufers, Johannes des Täufers; aber nur teilweise, denn in den Tagen Christi war die Dienstbarkeit von Jerusalem noch nicht zu Ende; viele Jahrhunderte bitterer Prüfung und Erniedrigung waren ihm noch vorbehalten. Mit dem Kommen des Báb und Bahá’u’lláhs beginnt aber jetzt mehr und mehr die vollkommene Erfüllung in Erscheinung zu treten, denn bereits sind lichtere Tage für Jerusalem angebrochen, u. seine Aussichten auf eine friedvolle und herrliche Zukunft erscheinen jetzt ziemlich gesichert.
Andere Prophezeiungen sprechen von dem Erlöser Jerusalems, der Herrlichkeit Gottes, daß er kommen werde ins Heilige Land von Osten, vom Aufgang der Sonne her. Jetzt erschien Bahá’u’lláh in Persien, das ostwärts von Palästina gelegen ist, gegen Aufgang der Sonne hin, und Er kam nach dem Heiligen Land, wo Er die letzten 24 Jahre Seines Lebens zubrachte. Wäre Er hieher gekommen als freier Mann, möchten die Menschen sagen, daß dies ein Kniff eines Betrügers sei, um den Prophezeiungen zu entsprechen; aber Er kam als ein Verbannter und Gefangener. Er wurde hieher verschickt von dem Schah von Persien und dem Sultan der Türkei, welche schwerlich der Absicht verdächtigt werden können, daß sie Beweise für den Anspruch Bahá’u’lláhs hätten schaffen wollen, Er sei „die Herrlichkeit Gottes“, deren Kommen die Propheten vorhersagten.
Der Tag Gottes.
Das Wort „Tag“ in solchen Ausdrücken, wie „Tag Gottes“ und "letzter Tag" wird dahin ausgelegt,
daß es „Zeitalter" bedeutet. Jeder von den großen Religionsgründern hat seinen „Tag“. Jeder
ist gleich einer Sonne. Ihre Lehren haben ihre Dämmerung, ihre Wahrheit erleuchtet schrittweise
mehr und mehr den Geist und die Herzen der Menschen, bis sie den Zenith ihres Einflusses
erreichen. Dann werden sie nach und nach verdunkelt, verdreht und verdorben, und Finsternis
überschattet die Erde, bis die Sonne eines neuen Tages sich erhebt. Der Tag der allerhöchsten
Manifestation Gottes ist der Letzte Tag, weil es ein Tag ist, der nie endet, und dem die Nacht
nichts wird anhaben können. Seine Sonne wird nie untergehen, sondern sie wird die Seelen der
Menschen in dieser Welt und der kommenden Welt erleuchten. In Wirklichkeit geht keine der
geistigen Sonnen unter. Die Sonnen von Moses, Jesus und Mohammed und aller andern Propheten
scheinen immer noch am Himmel mit unvermindertem Licht. Aber irdische Wolken haben ihre
Strahlen den Menschen verborgen. Die allerhöchste Sonne von Bahá’u’lláh wird endlich diese
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Wolken zerteilen, so daß die Menschen aller Religionen sich in dem Lichte aller Propheten
erfreuen können und in Einem Wohlklang den Einen Gott anbeten, dessen Licht alle Propheten
widergespiegelt haben.
Prophezeiungen über 'Abdu'l-Bahá.
In den Prophezeiungen von Jesaia, Jeremia, Hesekiel und Zacharias gibt es verschiedene Hinweise auf einen Mann, genannt „der Zweig“. Diese sind von den Christen oft angewandt worden, als ob sie sich auf Christus bezögen; sie werden aber von den Bahái als sich besonders auf 'Abdu'l-Bahá beziehend betrachtet. Es ist ein herkömmlicher Brauch in Persien, den ältesten Sohn der Familie den „größten Zweig“ zu nennen, und 'Abdu'l-Bahá als der älteste Sohn Bahá’u’lláhs ist unter den Bahái gemeinhin bekannt unter diesem Titel. Bahá’u’lláh weist in Seinen Schriften häufig auf sich selbst hin als den Baum oder die Wurzel, und auf 'Abdu'l-Bahá als den Zweig. 'Abdu'l-Bahá schreibt von sich selbst:
'Abdu'l-Bahá ist der Mittelpunkt des Bündnisses Gottes, der Zweig, der vom Baume abhängt. Das Wesentliche ist der Baum, die Grundlage ist der Baum, und die universale Wirklichkeit ist der Baum.“
Star of the West Bd. VIII, Nr. 17, S. 325.
Die belangreichste Bibelprophezeiung über den Zweig befindet sich im 11. Kap. von Jesaia:
„Und es wird eine Rute aufgehen von dem Stamm Isai’s und ein Zweig aus seiner Wurzel Frucht bringen, auf welchem wird ruhen der Geist des Herrn, der Geist der Weisheit und des Verstandes, der Geist des Rats und der Stärke, der Geist der Erkenntnis und der Furcht des Herrn... Gerechtigkeit wird der Gurt seiner Lenden sein und der Glaube der Gurt seiner Hüften. Die Wölfe werden bei den Lämmern wohnen und die Parder bei den Böcken liegen. Ein kleiner Knabe wird Kälber und junge Löwen und Mastvieh miteinander treiben... Man wird nirgends Schaden tun, noch verderben auf meinem Heiligen Berge, denn das Land ist voll Erkenntnis des Herrn, wie Wasser das Meer bedecket... Und der Herr wird zu der Zeit zum andernmal seine Hand ausstrecken, daß er das übrige seines Volkes erwerbe, so übrig geblieben ist von Assur, Aegypten, Pathros, Mohrenland, Elam, Sinear, Hamath und von den Inseln des Meeres. Und wird ein Panier unter die Heiden (Nationen) werfen und zusammenbringen die Verjagten Israels und die Zerstreuten aus Juda zu Hauf führen von den vier Enden des Erdreichs.“
'Abdu'l-Bahá bemerkt über diese und andere Prophezeiungen vom Zweig folgendes:
„Eines der großen Ereignisse, die sich in den Tagen dieses unvergleichlichen Zweiges ereignen werden, ist das Hissen der Standarte Gottes unter allen Nationen. Dies bedeutet, daß alle Nationen und Stämme sich unter den Schatten des göttlichen Banners begeben werden, das nichts anderes ist, als der göttliche Zweig selbst, und zu einer einzigen Nation werden. Die Gegnerschaft der Bekenntnisse und Religionen, die Feindschaften der Rassen und Völker, und die Verschiedenheiten des Vaterlandes werden aus ihnen ausgerottet werden. Alle werden eine Religion werden, ein Bekenntnis, eine Rasse und ein einziges Volk, und werden wohnen in einem Heimatland, das die Erdkugel ist. Eintracht und universaler Friede werden unter den Nationen verwirklicht werden. Der unvergleichliche Zweig wird ganz Israel versammeln, was bedeutet, daß sich in diesem Zyklus das jüdische Volk, das sich im Osten und Westen, Süden und Norden zerstreut befindet, im heiligen Land zusammenfinden wird.
Nun sehet: Diese Ereignisse griffen nicht Platz im christlichen Zeitalter, denn die Nationen kamen nicht unter die eine Standarte, d. h. unter den göttlichen Zweig. Aber in diesem Zyklus des Herrn der Heerscharen werden alle Nationen und Völker unter den Schatten dieser Flagge treten. Ebensowenig wurde Israel, zerstreut in alle Welt, im christlichen Zeitalter im Heiligen Lande wiederversammelt. Aber zu Beginn des Zyklus von Bahá’u’lláh hat diese göttliche Verheißung, genau wie es in allen den Büchern der Propheten niedergelegt ist, begonnen, sich zu manifestieren. Ihr könnt sehen, daß von allen Teilen der Welt Judenstämme zu dem Heiligen Lande kommen; sie leben in Dörfern und auf Ländereien, die sie sich erwerben, und Tag für Tag wachsen sie in einem solchen Grad an, daß ganz Palästina ihre Heimat werden wird."
(Some answered Questions S. 75.)
Während der Niederschrift dieses Buchs wurde Palästina den Türken aus den Händen genommen und die „Alliierten und Assoziierten Mächte“ haben ihre Politik darauf gerichtet, in Palästina eine nationale Heimat für die Juden wiederherzustellen.
Seit dem großen Krieg haben wir auch die Aufrichtung eines Völkerbunds erlebt und einen
internationalen Kongreß mit dem Zweck der Durchführung einer gemeinschaftlichen Verminderung
der Rüstungen. Dies alles sind große Schritte hin zur Erfüllung des Teils der Prophezeiungen,
der sich auf den internationalen Frieden bezieht.
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Der Tag des Gerichts.
Christus sprach in Gleichnissen viel über den Tag des Gerichts, wenn „des Menschen Sohn kommen werde in der Herrlichkeit des Vaters; und jedem vergolten wird nach seinen Werken“ (Matth. 16, 27). Er vergleicht diesen Tag mit der Zeit der Ernte, wenn die Spreu verbrannt und der Weizen in die Scheunen gesammelt wird:
„Gleichwie man nun das Unkraut ausjätet und mit Feuer verbrennt, so wird es auch am Ende dieser Welt ergehen: Des Menschen Sohn wird seine Engel senden, und sie werden sammeln aus seinem Reich alle Aergernisse und die da Unrecht tun, und werden sie in den Feuerofen werfen; da wird sein Heulen und Zähneklappern. Dann werden die Gerechten leuchten wie die Sonne in ihres Vaters Reich.“ (Matth, 13, 40 bis 43).
Der Ausdruck „Ende der Welt“, wie er in der autorisierten Uebersetzung der Bibel an dieser und an ähnlichen Stellen gebraucht wird, hat manch einen verleitet, zu denken, daß wenn der Tag des Gerichts komme, die Erde plötzlich zerstört werde; aber dies ist offensichtlich ein Irrtum. Als die richtige Uebersetzung dieses Ausdrucks tritt uns entgegen „die Vollendung oder das Ende des Zeitalters“. Christus lehrt, daß das Königreich des Vaters sowohl auf Erden wie im Himmel aufzurichten sei. Er lehrt uns beten: Dein Reich komme, Dein Wille geschehe auf Erden wie im Himmel“. In dem Gleichnis von dem Weinberg zerstört der Vater, wenn er, der Herr des Weinbergs, kommt, die gottlosen Weingärtner umzubringen, nicht auch den Weinberg (die Welt), sondern tut ihn an andere Weingärtner aus, die ihm die Früchte zu rechter Zeit geben (Matth. 21, 41). Die Erde muß nicht vernichtet, sondern erneuert und wiedergeboren werden. Christus sprach von diesem Tage bei einer andern Gelegenheit als „der Wiedergeburt, wo des Menschen Sohn sitzen wird auf dem Thron seiner Herrlichkeit“. St. Petrus sprach von ihm als den „Zeiten der Erfrischung“, „den Zeiten der Wiederherstellung aller Dinge, welche Gott durch den Mund aller seiner Propheten seit Weltbeginn gesprochen hat.“ Der Tag des Gerichts, von welchem Christus sprach, ist offensichtlich identisch mit dem Kommen des Herrn der Heerscharen, des Vaters, wie es von Jesaia und den andern Propheten des alten Testaments prophezeit wurde, eine Zeit schrecklicher Strafe für die Gottlosen, aber eine Zeit, in welcher Gerechtigkeit aufgerichtet wird und Rechtschaffenheit herrschen soll, auf Erden sowohl wie im Himmel.
Nach der Bahái-Auslegung ist das Kommen jeder Manifestation Gottes ein Gerichtstag, aber das Kommen der allerhöchsten Manifestation von Bahá’u’lláh ist der große Gerichtstag für den Weltzyklus, in welchem wir leben. Der Posaunenruf, von dem Christus und Mohammed und viele andere Propheten sprachen, ist der Ruf der Manifestation, der ausgestoßen wird für alle, die im Himmel und auf Erden sind, für die in den Leibern und für die ohne Leiber. Die Begegnung mit Gott durch Seine Manifestation ist für die, die Ihm zu begegnen wünschen, die Pforte zum Paradies des Ihn-Kennens und Ihn-Liebens und des Lebens in Liebe mit allen Seinen Geschöpfen. Jene zur andern Hand, die ihren eigenen Weg Gottes Weg vorziehen, wie er durch die Manifestation geoffenbart ist, überliefern sich dadurch selbst der Hölle der Selbstsucht, des Irrtums und der Feindschaft.
Die große Auferstehung.
Der Gerichtstag ist auch der Tag der Auferstehung, des Auferstehens vom Tode. St. Paulus sagt in seinem Brief an die Korinther:
„Siehe, ich sage euch ein Gleichnis; wir werden nicht alle schlafen,*) aber wir werden alle verwandelt werden, plötzlich, in einem Augenblick, zur Zeit der letzten Posaune. Denn es wird die Posaune schallen und die Toten werden auferstehen unverweslich, und wir werden verwandelt werden. Denn dies Verwesliche muß anziehen die Unverweslichkeit und dieses Sterbliche muß anziehen die Unsterblichkeit.“
(1. Kor. 15, 51-54.)
Ueber die Bedeutung dieser Stellen über die Auferstehung der Toten schreibt Bahá’u’lláh in dem Buch Ighan:
Unter den Worten 'Leben' und 'Tod', wie sie in den Büchern gebraucht sind, ist zu
verstehen Leben durch Glauben und Tod durch Unglauben. Es rührt von dem Mangel am
Begreifen dieser Bedeutung her, daß bei jeder Manifestation die Allgemeinheit
des Volks sich weigerte, zu glauben, der Sonne der Führung nicht zugetan war und der
Ewigen Schönheit nicht nachfolgte... Jesus sagte: „Ihr müßt wiedergeboren werden“.
An einer andern Stelle sagte Er: „Es sei denn, daß jemand geboren werde von
Wasser und Geist, so kann er nicht in das Reich Gottes kommen; denn was von Fleisch
geboren wird, das ist Fleisch, und was vom Geist geboren wird, das ist Geist“. (Joh.
Ev. 3,6) Die Auslegung hievon ist, wer nicht belebt wird durch das Wasser göttlicher
Erkenntnis und durch Jesu Heiligen Geist, ist nicht fähig, in das höchste Königreich
einzutreten... Die Hauptbedeutung ist, daß denjenigen Dienern, die geboren und belebt
werden durch den Geist und den
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Odem der Erscheinungen der Heiligkeit in jeder Manifestation, zugeschrieben werden
kann: Leben, Auferstehung und Eintritt in das Paradies der Göttlichen Liebe, während
den andern zugeschrieben wird: Tod, Unachtsamkeit und Eingehen in das Feuer des Unglaubens
und des Zornes Gottes... Würdet ihr ein Weniges von dem klaren Wasser der
Göttlichen Erkenntnis kosten, so würdet ihr erkennen, daß das wahre Leben das Leben
des Herzens ist und nicht das Leben des Körpers; denn beide, Tiere und Menschen,
teilen sich in das Leben des Körpers. Aber das Leben des Herzens ist bestimmt für die
Besitzer von strahlenden Seelen, welche trinken aus dem Ozean des Glaubens und teilhaben
an der Frucht der Gewißheit. Diesem Leben folgt nicht Tod, noch Sterblichkeit dieser
Unsterblichkeit, wie gesagt ist: „Ein wahrer Gläubiger gehört schon in diesem Leben
beiden Welten an, dieser Welt und der kommenden Welt.“ Wenn unter „Leben“ äußerliches
Leben des Körpers gemeint wäre, so ist klar, daß dieses dem Tode anheimfällt.“ (S. 80-85).
Nach der Baháilehre hat die Auferstehung nichts zu tun mit dem groben physischen Körper. Dieser Körper, einmal tot, ist damit abgetan. Er verfällt der Auflösung und seine Atome werden niemals wieder zum selben Körper zusammengesetzt. Auferstehung ist die Geburt des Einzelwesens zu geistigem Leben durch die Gabe des Heiligen Geistes, dargereicht durch die Manifestationen Gottes. Das Grab, von welchem es sich erhebt, ist das Grab der Unwissenheit und Nachlässigkeit Gott gegenüber. Der Schlaf, aus welchem sie erwachen, ist der geistige Schlaf, in welchem viele das Dämmern des Tages Gottes erwarten. Die Dämmerung dieses Tags gibt allen, die auf der Erde gelebt haben, ihr Licht, ob sie sich im Körper oder außerhalb des Körpers befinden, aber die, die geistig blind sind, können sie nicht begreifen. Der Auferstehungstag ist kein Tag von 24 Stunden, sondern ein Zeitalter, das jetzt begonnen hat und dauern wird, solange der gegenwärtige Weltzyklus dauert. Der Morgenstern dieses Tages ist der Báb; seine Sonne ist die Allerhöchste Manifestation von Bahá’u’lláh, und Sein Mond ist 'Abdu'l-Bahá, ein Stern, eine Sonne und ein Mond, welche keinen Untergang kennen und zu scheinen fortfahren werden in der geistigen Welt, wenn bereits alle Spuren der gegenwärtigen Zivilisation von der Oberfläche dieser Erde weggewischt sein werden.
- ) Nach der englischen Bibel.
Wiederkehr Christi.
In vielen Gesprächen spricht Jesus von der zukünftigen Manifestation in der dritten Person, in andern wieder ist die erste Person gebraucht. Er sagt: „Ich gehe hin, euch die Stätte zu bereiten. Und wenn ich hingehe, euch die Stätte zu reiten, so will ich wiederkommen und euch zu mir nehmen" (Joh. 14,2). Im ersten Kap. der Apostelgeschichte lesen wir, daß den Jüngern bei der Himmelfahrt von Jesus gesagt wurde: Dieser Jesus, welcher von euch ist aufgenommen gen Himmel, wird kommen, wie ihr ihn gesehen habt gen Himmel fahren" (Vers 11.) Wegen dieser und ähnlicher Aussprüche erwarten viele Christen, daß wenn des Menschen Sohn kommt „in den Wolken des Himmels und mit großer Herrlichkeit", sie den gleichen Jesus in körperlicher Gestalt sehen werden, wie er 2000 Jahre zuvor in den Straßen Jerusalems wandelte, und am Kreuze blutete und litt. Sie erwarten, daß es ihnen vergönnt sei, ihre Finger in die Nägelmale seiner Hände und Füße zu legen, und ihre Hand in die Speerwunde in seiner Seite. Aber sicher wird ein wenig Nachdenken über Christi eigene Worte solch eine Idee zerstreuen. Die Juden zu Christi Zeiten hatten gerade solche Vorstellungen von der Wiederkehr des Elias, aber Jesus legte ihren Irrtum klar, indem er zeigte, daß die Prophezeiung, daß „Elias zuerst kommen müsse“, erfüllt war, nicht durch die Wiederkehr der Person und des Körpers des früheren Elias, sondern in der Person von Johannes dem Täufer, der kam „im Geist und in der Kraft des Elias“. „Und (so ihr’s wollt annehmen) er ist Elias, der da soll zukünftig sein. Wer Ohren hat zu hören, der höre.“ (Matth. 11, 14) Die „Wiederkehr“ des Elias bedeutete daher das Auftreten einer andern Person, geboren von andern Eltern, aber von Gott inspiriert mit dem gleichen Geist und der gleichen Kraft. Von diesen Worten Jesu darf wahrlich angenommen werden, daß sie bedeuten, daß die Wiederkehr Christi in gleicher Weise durch das Erscheinen einer andern Person, geboren von einer anderen Mutter, vollendet werden wird, die aber den Geist und die Macht Gottes gerade so aufweisen muß, wie Christus dies tat. Bahá’u’lláh erklärt, daß das Wiederkommen Christi erfüllt sei in dem Kommen des Báb und in Seinem eigenen Kommen. Er sagt:
„Wenn die Sonne von heute sagte: ‚Ich bin die Sonne von Gestern‘, so ist es wahr.
Und wenn sie gleichwohl wegen ihrer täglichen Aufeinanderfolge sagen würde: „Ich
bin anders als die Sonne von gestern,‘ so ist dies auch wahr. Betrachte ferner die
Tage: Wenn jemand sagte, daß alle Tage dieselben seien, so ist dies korrekt und wahr;
und wenn man sagte, daß sie dem Namen und der Bezeichnung nach einander ungleich
seien, so ist, wie du siehst, dies ebenfalls wahr. Obgleich sie dieselben sind, so hat
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jeder doch einen Namen und eine Eigenschaft und eine Bezeichnung, die verschieden
ist von den andern. Auf dieselbe Art und nach derselben Erklärung verstehe die
Stufen der Trennung, Verschiedenheit und Einheit der Heiligen Manifestationen, so daß
du die Auslegungen der Worte des Schöpfers der Namen und Eigenschaften betreffend
die Trennung und Vereinigung begreifen mögest.“ (Ighan S. 15.)
'Abdu'l-Bahá sagt:
„Wisse, daß die Wiederkehr Christi für ein zweites Mal nicht das bedeutet, was die Leute glauben, sondern vielmehr den einen Verheißenen bezeichnet, der nach ihm kommt. Er wird kommen mit dem Königreich Gottes und mit Seiner Macht, welche die Welt umspannt hat. Diese Herrschaft ist in der Welt des Herzens und Geistes und nicht in der der Materie; denn die materielle Welt ist im Angesicht des Herrn nicht einmal mit einem einzigen Flügel einer Mücke zu vergleichen, wenn ihr zu den Wissenden gehört! Wahrlich, Christus kam mit seinem Königreich von dem Anfang, der kernen Anfang hat, und wird kommen mit seinem Königreich zu der Ewigkeit der Ewigkeiten, umsomehr, als in diesem Sinn der Ausdruck „Christus“ ein Ausdruck für die göttliche Wirklichkeit ist, die einfache Essenz und die himmlische Wesenheit, welche keinen Anfang hat noch ein Ende. Er hat Sein Erscheinen, Sein Auftreten, Seine Manifestation und Sein Niedergehen in jedem Zeitalter." Tabl. Bd. I, 138.)
Die Zeit des Endes.
Christus und seine Apostel erwähnten viele Zeichen, welche die Zeiten der „Wiederkehr“ des Menschensohns in der Herrlichkeit des Vaters kennzeichnen. Christus sagt:
„Wenn ihr aber sehen werdet Jerusalem belagert mit einem Heer, so merket, daß herbeigekommen ist ihre Verwüstung ... Denn dies sind die Tage der Rache, daß erfüllet werde alles, was geschrieben ist... Denn es wird große Not auf Erden sein und ein Zorn über dies Volk, und sie werden fallen durch des Schwertes Schärfe und gefangen geführt werden unter alle Völker; und Jerusalem wird zertreten werden von den Heiden, bis daß der Heiden Zeit erfüllet wird.“ (Luk. 21, 20-24.)
Wieder sagt Er:
„Seht zu, daß euch nicht jemand verführe. Denn es werden viele kommen unter meinem Namen und sagen: „Ich bin Christus" und werden viele verführen. Ihr werdet hören Kriege und Geschrei von Kriegen, sehet zu und erschrecket nicht. Das muß zum ersten alles geschehen; aber es ist noch nicht das Ende da. Denn es wird sich empören ein Volk wieder das andere, und wird sein Pestilenz und teure Zeiten und Erdbeben hin und wieder. Da wird sich allererst die Not anheben. Alsdann werden sie euch überantworten in Trübsal und werden euch töten. Und ihr müsset gehaßt werden um meines Namens Willen von allen Völkern. Und es werden sich viele falsche Propheten erheben und werden viele verführen. Und dieweil die Ungerechtigkeit wird überhandnehmen, wird die Liebe in vielen erkalten. Wer aber beharret bis ans Ende, der wird selig. Und es wird gepredigt werden das Evangelium vom Reich in der ganzen Welt zu einem Zeugnis über alle Völker, und dann wird das Ende kommen.“ (Matth. 21, 4-14.)
In diesen zwei Stellen sagt Christus in klaren Ausdrücken, ohne Schleier oder Verhüllung, die Dinge voraus, die sich vor dem Kommen des Menschensohns ereignen müssen. Während der Jahrhunderte, die verflossen sind, seit Christus sprach, hat sich jedes dieser Zeichen erfüllt. In dem einen Fall die Beendigung der Verbannung der Juden und die Wiederherstellung von Jerusalem, im andern das Predigen des Evangeliums in aller Welt. Es ist überraschend, daß diese beiden Zeichen sich wörtlich erfüllt haben in unsern eigenen Tagen. Wenn diese Teile der Prophezeiung so wahr sind wie das Uebrige, so folgt daraus, daß wir in der „Zeit des Endes“ leben, von der Christus sprach.
Auch Mohammed erwähnt gewisse Zeichen, die bis auf den Tag der Auferstehung aufgespart bleiben. Im Koran lesen wir:
„Da Gott sprach: O Jesus! Wahrlich, ich will machen, daß du stirbst und will dich zu mir erheben und dir klar machen die Stufen derer, die nicht glauben und will setzen jene, die dir folgen (d. h. die Christen) über die, so nicht glauben (Juden und andere), bis an den Tag der Auferstehung; dann wird zu mir eure Rückkehr sein, und ich will richten zwischen euch über das, worin ihr uneins seid.“ (Sure III, Vers 48.)
„Die Hand Gottes, sagen die Juden, sei angekettet! Ihre eigenen Hände werden angekettet
werden, und für das, was sic gesagt haben, werden sie verflucht werden. Nein! Ausgestreckt
sind Seine beiden Hände! Nach Seinem eigenen Gutdünken gibt Er Gaben. Das, was zu dir von
deinem Herrn herniedergesandt wurde, wird sicherlich den Widerstand und den Unglauben von
vielen von jenen wachsen machen; und wir haben Feindschaft und Haß gesetzt zwischen sie,
der dauern soll bis zum Tage der Auferstehung,
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Oft, wenn sie ein Kriegs-Fanal anzünden, wird Gott es löschen.“ (Sure 5, 69.)
„Und von denen, die sagen, ‚wir sind Christen‘, haben wir den Bund angenommen. Aber sie haben einen Teil von dem vergessen, was ihnen gelehrt wurde; darum erregten wir Feindschaft und Haß unter ihnen, der dauern soll bis zum Tage der Auferstehung: und am Ende wird Gott ihnen von ihren Taten sagen." (Sure 5. 17.)
Auch diese Worte haben sich wörtlich erfüllt in der Unterwerfung der Juden unter die christlichen und islamitischen Völker, und in dem Sektenwesen und dem Streit, die sowohl Juden wie Christen unter sich uneins machten während all der Jahrhunderte, seit Mohammed sprach. Erst seit dem Beginn des Baháizeitalters (dem Tag der Auferstehung) fangen die Zeichen des herannahenden Endes dieser Zustände an, sich zu zeigen.
Zeichen im Himmel und auf Erden.
In den hebräischen, christlichen, mohammedanischen und vielen anderen Schriften herrscht eine bemerkenswerte Aehnlichkeit in der Beschreibung der Zeichen, die das Kommen des Verheißenen begleiten.
Im Buch von Joel lesen wir: (Kap. 3,3):
„Und ich will Wunderzeichen geben im Himmel und auf Erden: Blut, Feuer und Rauchdampf; die Sonne soll in Finsternis und der Mond in Blut verwandelt werden, ehe denn der große und schreckliche Tag des Herrn kommt... Denn siehe, in den Tagen und zur selben Zeit, wann ich das Gefängnis Judas und Jerusalems wenden werde, will ich alle Nationen zusammenbringen u. will sie ins Tal Josaphat (Jehovah wird richten) hinausführen und will mit ihnen daselbst rechten wegen meines Volkes und meines Erbteils Israel, weil sie es unter die Heiden zerstreut ..(4,14)... und es werden Haufen über Haufen Volks sein im Tale des Urteils: denn des Herrn Tag ist nahe im Tale des Urteils. Sonne und Mond werden sich verfinstern und die Sterne werden ihren Schein verhalten. Und der Herr wird seinem Volk eine Zuflucht sein.“
Christus sagt:
„Bald aber nach der Trübsal derselbigen Zeit werden Sonne und Mond ihren Schein verlieren und die Sterne werden vom Himmel fallen und die Kräfte der Himmel werden sich bewegen. Und alsdann wird erscheinen das Zeichen des Menschensohns am Himmel. Und alsdann werden heulen alle Geschlechter auf Erden und werden sehen kommen des Menschen Sohn in den Wolken des Himmels mit großer Kraft und Herrlichkeit.“ (Matth. 24, 29—30.)
Im Koran lesen wir:
„Wenn die Sonne bedeckt werden wird,
Und wenn die Sterne fallen werden,
Und wenn die Berge sich vom Platze bewegen müssen,
Und wenn die Seiten des Buchs umgeschlagen werden,
Und wenn die Decke vom Himmel weggezogen wird,
Und wenn der Hölle Pfuhl entflammt wird.“
(Sure 81).
Im Buch Ighan erklärt Bahá’u’lláh, daß diese Prophezeiungen über die Sonne, den Mond und die Sterne, die Himmel und die Erde, symbolischen Charakter tragen und nicht einfach in wörtlichem Sinn zu verstehen sind. Die Propheten beschäftigten sich vorzugsweise mit geistigen, nicht mit materiellen Dingen, mit geistigem, nicht mit natürlichem Licht. Wenn sie, in Beziehung auf den Tag des Gerichts, die Sonne erwähnen, denken sie an die Sonne der Gerechtigkeit. Die Sonne ist die höchste Lichtquelle; so war Moses eine Sonne für die Juden, Christus für die Christen und Mohammed für die Moslims. Wenn die Propheten von der verdunkelten Sonne sprechen, so will damit gesagt werden, daß die reinen Lehren dieser geistigen Sonnen verdunkelt worden sind durch Verdrehung, Mißverstehen und Vorurteil, so daß die Leute sich in geistiger Finsternis befinden. Der Mond und die Sterne sind die Lichtquellen zweiten Rangs, die religiösen Führer und Lehrer, welche die Leute führen und anleiten sollten. Wenn gesagt wird, daß der Mond kein Licht von sich geben wird oder sich in Blut tauchen wird, und die Sterne vom Himmel fallen werden, so ist damit verkündigt, daß die Leiter der Kirchen erniedrigt werden, indem sie sich in Streitigkeiten und Kämpfe einlassen, und daß die Priester weltlich gesinnt werden, irdischen Dingen zugeneigt statt himmlischen.
Die Bedeutung dieser Prophezeiungen wird gleichwohl mit einer Auslegung nicht erschöpft, und es gibt auch andere Erklärungen, mit denen diese Symbole ausgelegt werden können. Bahá’u’lláh sagt, daß im anderem Sinn die Worte „Sonne“, „Mond“ und „Sterne" angewandt werden auf die Verordnungen und Anweisungen, die in jeder Religion gegeben sind. Da bei jeder folgenden Manifestation die Zeremonien, Formen, Gebräuche und Anweisungen der vorhergehenden Manifestation geändert werden in Uebereinstimmung mit den Erfordernissen der Zeit, so verändern sich in diesem Sinn Sonne und Mond und werden die Sterne zerstreut.
In vielen Fällen wird die wörtliche Erfüllung dieser Prophezeiungen dem äußerlichen Sinn nach
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widersinnig oder unmöglich sein; z. B., daß der Mond in Blut getaucht wird oder daß die Sterne
auf die Erde fallen. Der geringste der sichtbaren Sterne ist viele 1000 mal größer als die
Erde, und würde einer auf die Erde fallen, wäre keine Erde mehr vorhanden, auf die ein
weiterer fallen könnte. In anderen Fällen wieder gibt es sowohl eine materielle, wie eine
geistige Erfüllung. Z. B, das heilige Land ist wörtlich viele Jahrhunderte lang wüst und
verlassen gewesen, wie von den Propheten vorausgesagt, aber schon
ist, am Tage der Auferstehung, der Anfang davon zu sehen, daß es „gedeihen und blühen
wird wie eine Rose", wie Jesaia voraussagte. Aussichtsreiche Kolonien sind in der Entwicklung
begriffen, das Land wird gerodet und kultiviert, und Weingärten, Olivenhaine und Gärten blühen,
wo es vor einem halben Jahrhundert nur Sandwüste gab. Es unterliegt keinem Zweifel, daß
wenn die Menschen ihre Schwerter in Pflugscharen verwandeln und ihre Speere in Sicheln,
Wildnis und Wüsten von allen Teilen der Welt verschwinden werden; die versengenden Winde und
Sandstürme, die in diesen Wüsten wehen und das Leben in ihr unerträglich machen, werden
vergangene Dinge sein; das Klima auf der ganzen Erde wird milder und gleichmäßiger; die
Städte werden nicht länger die Luft durch Rauch und giftige Gase verunreinigen, und gerade im
äußerlichen, materiellen Sinn wird es „neue Himmel und eine neue Erde" geben.
Die Art des Kommens.
Was die Art seines Kommens am Ende des Zeitalters anbetrifft, sagte Christus:
„...und werden sehen kommen des Menschen Sohn in den Wolken des Himmels mit großer Kraft und Herrlichkeit. Und er wird senden seine Engel mit hellen Posaunen... Dann wird er sitzen auf dem Stuhle seiner Herrlichkeit und werden vor ihm alle Völker versammelt werden: und er wird sie von einander scheiden, gleich als ein Hirte die Schafe von den Böcken scheidet.“ (Matth. Kap. 24 u. 25.)
Bezüglich dieser und ähnlicher Stellen schreibt Bahá’u’lláh im Buch Ighan:
„Der Sinn des Wortes „Himmel“ ist kein anderer, als die Höhe und Erhabenheit zu bezeichnen, die die Stufe der Erscheinung dieser Aufgangsorte und Dämmerungsplätze der Prä-Existenz ist. Obwohl diese von jeher Existierenden vom Mutterschoß kommen, stammen sie doch in Wirklichkeit aus den Himmeln der Herrschaft; und trotzdem sie auf Erden verweilen, ruhen sie doch auf dem Lager der Bedeutungen; und während sie unter den Dienern weilen, schweben sie in den Himmeln der Nähe. Sie reisen im Lande des Geistes ohne die Bewegung der Füße und fliegen aufwärts zu dem Gipfel der Einheit ohne Schwingen.
Unter „Wolken“ sind zu verstehen Dinge, die der Sucht und den Wünschen der Menschen entgegengesetzt sind, wie in dem früher angeführten Verse erwähnt ist: „Doch deshalb verwerfet ihr, so oft ein Botschafter zu Euch kam mit dem, an das eure Seelen nicht dachten, solchen stolz und klagt ihn an der Betrügerei und des Totschlags.“ (K.S. 2). Solche Wolken sind z. B. das Aendern der Ordnungen, die Erlassung von Gesetzen, die Absetzung althergebrachter Regeln und Zeremonien und der Vorrang jener aus dem gewöhnlichen Volk, die Gläubige werden, über die Gelehrten, die leugnen. Sodann weist die Erscheinung jener ewigen Schönheit die menschlichen Beschränkungen auf, wie Essen, Trinken, Armut, Reichtum, Ruhm, Erniedrigung, Schlafen, Wachen und ähnliche Zustände, die die Leute zu Zweifeln verleiten und sie abhalten, die Manifestation anzunehmen.
„Wie Wolken die Augen der Menschen am Schauen der wirklichen Sonne verhindern, so hindern die oben erwähnten Zustände die Leute an der Wahrnehmung dieser Geistigen Sonne... Weil jene Tempel der Heiligkeit der äußerlichen Dürftigkeit und äußerlichen Widerwärtigkeiten, auch der natürlichen und körperlichen Notdurft preisgegeben sind, wie dem Hunger, Krankheiten und sonstigen Zufällen, läßt sich das Volk irreführen in die Saharas des Zweifels und der Verdächtigung und in die Einöden der Einbildung und Verwirrung, (sich wundernd), wie einer könne von Gott kommen, die Vorherrschaft über alles auf Erden beanspruchen und zuschreiben sich selbst den Antrieb zur Erschaffung der Welt — wie Er gesagt hat —- „Wäre es nicht deinetwegen, hätte ich die Fundamente nicht erschaffen“ — und trotzdem mit solch nichtigen Dingen behaftet sein solle. Hat man doch gehört, wie jeder Prophet und seine Anhänger Widerwärtigkeiten erdulden mußten, wie Dürftigkeit, Krankheiten und Verachtung; wie die Köpfe ihrer Jünger als Geschenke in die Städte geschickt wurden; wie sie an der Vollziehung der ihnen erteilten Befehle verhindert wurden, und jeder von ihnen unter den Händen der Feinde der Religion litt, bis zu einem solchen Grad, daß die letzteren mit ihnen anfingen, was sie nur wollten.
„Der Herr der Macht hat alle diese Verhältnisse, die unreinen Seelen widerwärtig
sind, und den Wünschen der Leute
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entgegenlaufen, geschaffen zur Prüfung und zum Maßstab, wodurch Er seine Diener prüft und
scheidet die Gerechten von den Gottlosen, den Gläubigen von dem Leugner...
„Was seinen Ausspruch betrifft: „Und Er wird senden seine Engel usw.“, so sind diese „Engel“ Seelen, die durch geistige Macht die menschlichen Eigenschaften mit dem Feuer der Göttlichen Liebe verbrannt haben und gekennzeichnet sind mit den Eigenschaften der Höchsten Heerscharen und Cherubim....
„Weil das Volk zu Jesu Zeiten nicht zu dieser Ueberzeugung gelangte, und diese Zeichen sich nicht äußerlich so einstellten, wie es selbst und seine Geistlichen glaubten, glaubte es nicht an die Heiligen Manifestationen von jenem Tag an bis heute; deshalb wurden diese Leute all der geheiligten Gaben beraubt und blieben blind gegenüber den wundervollen Worten der Ewigkeit. So ist die Lage dieser Diener an diesem Auferstehungstag. Sie haben nicht einmal begriffen, daß wenn in irgend einem Zeitalter die Zeichen von einer Manifestation in der wirklichen Welt in Uebereinstimmung mit dem, was in den Ueberlieferungen berichtet ist, sich zeigen würden, niemand würde leugnen dürfen, oder sich ihnen widersetzen, noch die Frommen und die Ungerechten, die Sünder und die Gerechten voneinander unterschieden werden könnten. Sei gerecht: wenn sich z. B. die in den Evangelien prophezeiten Ereignisse wörtlich erfüllen würden, und Engel würden mit Jesus, dem Sohn der Maria, vom sichtbaren Himmel herniedersteigen in einer Wolke, wer vermöchte noch zu leugnen, und wer würde fähig sein zu Zurückweisung und zu Widerspruch? Nein vielmehr, solch eine Aufregung würde sich der Leute auf der Erde bemächtigen, daß sie unfähig wären, ein Wort zu sprechen, geschweige denn zu leugnen oder anzunehmen.“ (Ighan, S. 48-53.)
Nach der vorstehenden Auslegung ist das Kommen des Menschensohns in niedriger menschlicher Form, vom Weib geboren, arm, unerzogen, unterdrückt und für nichts geachtet von den Großen der Erde — ist diese Art des Kommens der wahre Prüfstein, mit welchem Er das Volk der Erde prüft und die Menschen voneinander sondert, wie ein Schäfer die Böcke scheidet von den Schafen. Diejenigen, deren geistige Augen geöffnet sind, können durch diese Wolken blicken und sich „an der Macht der großen Herrlichkeit“, der wahren Herrlichkeit Gottes, erfreuen, die zu offenbaren Er kommt; die andern, deren Augen noch gehalten sind von Vorurteilen und Irrtum, sehen nur die dunklen Wolken und suchen weiter in Trübsinn, beraubt des herrlichen Sonnenscheins.
„Siehe, ich will meinen Engel senden, der vor mir her den Weg bereiten soll, und bald wird kommen zu seinem Tempel der Herr, den ihr suchet; und der Engel des Bundes, des ihr harret... Wer wird aber den Tag seiner Zukunft erleiden können, und wer wird bestehen, wenn er wird erscheinen? Denn er ist wie das Feuer des Goldschmieds und wie die Seife der Wäscher. ... Denn siehe, es kommt ein Tag, der brennen soll wie ein Ofen; da werden alle Verächter und Gottlosen Stroh sein... Euch aber, die ihr meinen Namen fürchtet, soll aufgehen die Sonne der Gerechtigkeit, und Heil unter ihren Flügeln.“
(Maleachi, Kap. 3 u. 4.)
Anmerkung: Die Erfüllung der Prophezeiungen ist von solchem Ausmaß, daß viele Bände für eine angemessene Erklärung benötigt würden. Alles, was in den Grenzen eines einzigen Kapitels gezeigt werden kann, ist, die Hauptumrisse der Bahaiauslegung anzugeben. Die ins Einzelne gehenden Apokalypsen, die durch Daniel und St. Johannes geoffenbart wurden, mußten unberührt bleiben. Der Leser wird verschiedene Kapitel, die sich damit abgeben, in „Some answered Questions“ finden. In dem Buch „Bahaibeweise“ von Mirza Abul Fazl, und in vielen der Tablete von Bahá’u’lláh und 'Abdu'l-Bahá finden sich weitere Auslegungen von Prophezeiungen.
Der Geist der Baháilehre.
Von Dr. Hermann Großmann.
Wenn wir vom Geiste eines Zeitalters, eines Werkes oder eines Dinges sprechen, so meinen wir damit im Allgemeinen den Grundgedanken, aus dem heraus wir es verstehen müssen, auf dem es sich entwickelt und aufbaut und aus dem der Antrieb zur Entwicklung und zum Aufbau erfolgt. In diesem Sinne ist der Ausdruck „Geist“ auch zu fassen, wenn wir im Nachfolgenden vom „Geiste der Baháilehre‘“ sprechen wollen.
Die verschiedenen großen Weltreligionen hatten jede einen besonderen Geist, besondere Grundgedanken, die sie den Menschen zu vermitteln bestrebt waren. So ist z.B. der Geist des Buddhismus die Geringachtung allen Daseins und die innere Loslösung davon, der Geist der mosaischen Lehre die Achtung vor dem als göttlich gebotenen Gesetz und der des Christentums die Nächstenliebe. Der Geist der Bahái-Lehre aber ist der Gedanke der einen großen, allumfassenden Einheit. In ihm ruhen alle Lehren und Verordnungen Bahá’u’lláhs, von ihm allein soll der Geist der ganzen Bahái-Arbeit in der Welt getragen sein.
Was ist Einheit im Sinne der Bahái-Lehre ?
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Bahá’u’lláh sagt in den „Worten der Weisheit" (Absatz 9):
„Die Einheit in ihrem wahren Sinn bedeutet, daß Gott allein als die einzige Macht gedacht werden soll, die alle Dinge belebt und beherrscht, die ja nur Offenbarungen Seiner Schöpferkraft sind.“
Schauen wir die Gestirne an, um dieses Wort zu verstehen: Da sehen wir sie am nächtlichen Himmel scheinbar planlos aufgestellt, als eine Vielheit leuchtender Punkte. Und doch lehrt uns die Astronomie, daß diese planlose Vielheit einheitlichen, in ihrem Ursprung unfaßbaren Gesetzen unterliegt: es sind die Monde, die sich um die Planeten drehen, die Planeten wieder mit ihren Monden, die ihren Weg um die Sonne nehmen, und die Sonne mit ihren Planeten und deren Monden, die den Polarstern umkreist. Wir erkennen zunächst, durch die Gesetzmäßigkeit ihrer Bewegungen verbunden, Planeten und Monde als Einheit, aber im Weiterschauen wird sie wieder ein Glied einer größeren Einheit, in der sie mit anderen gleichen Einheiten, wieder durch die Gesetzmäßigkeit ihrer Bewegungen, verbunden ist. Und wieder im Weiterschauen wird aus dieser größeren Einheit Planeten, Monde und Sonne die Einheit des großen Sonnenreigens um den Polarstern. Weiter und weiter schauen wir in logischer Schlußfolgerung, bis uns zu schwindeln beginnt, weil wir zu keinem Ende zu kommen vermögen. Die Erde wiederum aber mit allem was sie ausmacht, eine Einheit in der Einheit des Weltensystems, wird dem Forscher gleichfalls zu einer unfaßbaren, durch Gesetze verbundenen Vielheit kleiner Einheiten. So lehrt uns die Molekulartheorie, daß aller Stoff aus kleinen winzigen Teilchen zusammengesetzt ist, die sich in ständig schwingender Bewegung befinden. Das Gesetz der Bewegung hält sie beieinander und läßt sie zusammen Eisen, Holz, Silber, Gestein, Wasser und Luft sein. Die Erde selbst und all das, was sie ausmacht, erfüllt und belebt, Mineral, Pflanze, Tier und Mensch werden dadurch auf eine einheitliche Formel gebracht: sie sind alle Aufbau kleinster Stoffeinheiten, die das waltende Gesetz mit verschiedenen Aufgaben begabt hat, wie es die Menschen mit verschiedenen Eigenschaften begabt. Der gewaltige Erdball und der kleine Käfer, scheinbar so grundverschieden — letzten Endes sind sie beide aus gleichem Stoff nach gleichem waltenden Gesetz erschaffen. So ist das ganze Universum als Einheit verbunden, Sonne und Mensch, Blume und Weltall werden zu Brüdern, die von dem gleichen Blute, dem gleichen schaffenden Gesetz belebt sind. Dieser Gedanke der Einheit ist in der Tat so ungeheuer, daß er alles menschliche Fassungsvermögen überschreitet. Er führt uns über die Grenze unserer Vorstellungskraft jenseits Raum und Zeit hinaus und geht so schließlich in dem großen einzigen Unvorstellbaren auf, das wir Gott nennen und von dem Bahá’u’lláh gleichfalls in den „Worten der Weisheit (Absatz 10) sagt:
„Gott, einzig und allein, wohnt an Seinem eigenen Ort, welcher über Raum und Zeit, Erwähnung und Aeußerung, Zeichen, Beschreibung und Erklärung, Höhe und Tiefe heilig ist.“
Dies ist der Begriff der Einheit im Sinne der Lehren Bahá’u’lláh’s und der Inbegriff dessen, was wir als den Geist der Baháilehre bezeichnen können.
Ist für uns Menschen auch die Einheit in ihrer großen Gesamtheit unfaßbar, so kann sie uns doch in ihren Eigenschaften näher kommen und in sich aufnehmen, daß wir uns in ihr vereint fühlen. Und diese Eigenschaften sind Liebe und Harmonie. Harmonie ist die Verbundenheit mit allem Sein, eine völlige Uebereinstimmung und die Ausgeglichenheit aller Gegensätzlichkeiten. Wir finden sie wundervoll ausgedrückt in einem Gebete 'Abdu'l-Bahá’s (Verborgene Worte S. 95):
„O Herr, mein Gott, Du meine Zuflucht in meiner Not! Mein Schild und Schirm in meinem Elend! Mein Asyl und Zufluchtsort in der Zeit der Not und mein Gefährte in meiner Einsamkeit! Mein Trost in meinen Aengsten und mein alleiniger liebevoller Freund in meiner Verlassenheit! Du Beseitiger der Qualen meiner Sorgen und Verzeiher meiner Sünden! Ich wende mich rückhaltlos zu Dir und flehe Dich von ganzem Herzen und von ganzer Seele an, beschütze mich vor allem, was Deinem Willen in diesem Zyklus Deiner göttlichen Einheit zuwiderläuft.“
Aus der Harmonie entspringt die Liebe, die ein Sich-äußern-wollen der Verbundenheit ist. Von ihr sagt 'Abdu'l-Bahá (Phelps S. 210 f.):
„Liebe ist das Geheimnis der Erscheinung Gottes, Liebe ist der herrliche Ausfluß Gottes,
Liebe ist die geistige Gnade, Liebe ist das Licht des Königreiches, Liebe ist der Odem
des Heiligen Geistes, wirkend im Geiste des Menschen. Liebe ist die Ursache, daß die
Wahrheit in der materiellen Welt offenbar wird. Liebe ist das notwendige Band für die
Verbindung, welche zwischen Gott und der Wirklichkeit aller Dinge besteht. Liebe ist die
Quelle der größten Glückseligkeit, sowohl in den materiellen, als in den geistigen Welten.
Liebe ist das Licht, das den Menschen inmitten geistiger Finsternis führt. Liebe ist im Reiche
des Bewußtseins das Verbindungsmittel zwischen der Wahrheit und dem Menschen. Liebe
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ist für alle erleuchteten Menschen das Mittel des Wachstums. Liebe ist das höchste Gesetz
in diesem großen Universum Gottes. Liebe ist das Gesetz der Ordnung zwischen den einzelnen
Bestandteilen, durch das diese in der materiellen Welt im richtigen Verhältnis verteilt und
zu zusammengesetzten Substanzen vereinigt werden. Liebe ist die gewaltige und magnetische
Kraft, welche die im unendlichen Himmelsraum leuchtenden Planeten und Sterne
in ihren Bahnen hält. Liebe verleiht den Antrieb zu jenem angestrengten und unaufhörlichen
Nachdenken, das die Geheimnisse des Weltalls enthüllt.“
Aus dem Geiste der Bahái-Lehre heraus ergibt sich uns das Streben zur Einheit als vornehmstes Gebot, aus ihrer Weltanschauung heraus aber wird es zur Notwendigkeit. Hier trifft sich die Auffassung der Bahái-Lehre mit der buddhistischen Lehre vom Leid und seiner Ueberwindung. Alles in der Welt, so lehrte Buddha, ist leidvoll. Das Leben sowohl wie der Tod bringen dem Menschen Leid, aus unerfüllten Wünschen, Sehnen und Begehren erwächst ihm Leid, bis er es lernt, das Leid zu überwinden, indem er sich innerlich von allem loslöst. Und für die Bahái ergibt sich die innere Loslösung im Streben nach Einheit, nach Harmonie. Solange wir nicht in allumfassender restloser Harmonie sind, das heißt, solange die Harmonie nicht uns selbst und unser Verhältnis zu unserer Umgebung, unser Fühlen, Verstehen, Denken, Wollen und Handeln umfaßt, solange werden wir, haben wir erst einmal begonnen, den geistigen Entwicklungsweg zu beschreiten, eine Unzufriedenheit in uns spüren, die uns weitertreibt. Sie wird uns bei allen unseren Handlungen, allen unsern Gedanken begleiten und darüber wachen, ob sie im Sinne der Harmonie sind. Wir können sagen, daß diese Stimme zu einem Teil mit der Stimme des Gewissens gleichzusetzen ist, und doch ist sie unendlich viel feiner und auch dann wach, wenn die Frage des Gewissens nach dem Recht oder Unrecht unserer Handlungen gar nicht gestellt werden kann; z. B. unter dem Eindruck fremden Unrechts, von dem wir an sich gar nicht berührt zu werden brauchten. Es ist ein ständiges Leiden und Mitleiden, ein Leiden unter der eigenen und ein Mitleiden unter der fremden Disharmonie. Wir sind dann wie ein Stein, der im Bache von den Wellen getrieben wird, der noch voller Ecken und Unebenheiten ist, und sich darum dauernd an den Unebenheiten des Bachbettes stößt. Das Anstoßen ist es, das die Unzufriedenheit weckt und einen Zustand hervorruft, wie ihn die nachfolgenden Verse ausdrücken:
„So geht mein Schiff.
Ein neues Segel hab’ ich aufgezogen,
Und wo mein Blick den Weg zurückgeflogen,
Verschwindet fern das schmale Küstenriff.
Ein voller Becher war’s, der mir bereitgestanden,
Doch wenn ich nippte, war der Inhalt schal.
Ich wollte trinken, und die Lippen fanden
Erquickung doch nicht, aber Trauer im Pokal.
Und Trauer war ein Jugendsehnen,
Das allzufein war und im Wind verweht.
Halb war es Neid, halb Schmerz nach allen jenen,
Bei denen Freude sorgenlos durch Jugendtorheit geht.
Ich weiß, es war ein Gnadenführen,
Das so die Trauer in die Freude flocht,
Doch will mich manchmal noch ein leises Beben rühren
Nach jenem Kelch, den ich zu leeren nicht vermocht.
Es ist mein Fleisch,
Und meine Wunden sind es, die ich sage,
Doch keine Linderung, die ich erheisch’,
Denn auch der Schmerz ist gut, daß er uns aufwärts trage.
So geht mein Schiff.
Ein Heimatfeuer leuchtet durch die Weite
Und schichtet unverzehrt
Zu heller Lohe meinem Wege Scheit um Scheite.“
Gegen diese Unzufriedenheit hilft es auch nicht, daß wir uns in materielle Freuden stürzen und uns an ihnen zu berauschen suchen, wie dies von mancher Seite gerade in der gegenwärtigen Zeit gepriesen wird, die als Zeit geistiger Wende in besonders starkem Maße voll innerer und äußerer Unzufriedenheit ist. Mir kommen die Worte des bereits 1867 verstorbenen französischen Dichters Baudelaire in den Sinn:
„Berauschet euch!
Man muß immer trunken sein. Das ist alles: die einzige Lösung. Um nicht das furchtbare Joch der Zeit zu fühlen, das euere Schultern zerbricht und euch zur Erde beugt, müsset ihr euch berauschen, zügellos.
„Doch womit? Mit Wein, mit Poesie oder mit Tugend, womit ihr wollt. Aber berauschet euch.
„Und wenn ihr einmal auf den Stufen eines Palastes, auf dem grünen Grase eines Grabens, in der traurigen Einsamkeit eures Gemaches erwachet, der Rausch schon licht geworden oder verflogen ist, so fraget den Wind, die Woge, den Stern, den Vogel, die Uhr, alles was flieht, alles was seufzt, alles was vorüberrollt, alles was singt, alles was spricht, fraget sie: „Welche Zeit ist es?“ Und der Wind, die Woge, der Stern, der Vogel, die Uhr werden euch antworten: „Es ist Zeit sich zu berauschen! Um nicht die gequälten Sklaven der Zeit zu sein, berauschet euch; berauschet euch ohne Ende; mit Wein, mit Poesie, oder mit Tugend, womit ihr wollt.“
(Charles Baudelaire, Gedichte in Prosa, im Insel-Verlag, Leipzig)
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Im Grunde ist es die tiefste Verzweiflung, die aus diesen Worten spricht, geboren aus der
unerkannten Disharmonie. So sind heute Millionen und aber Millionen in der Welt, die vom Geiste
dieses neuen Zeitalters berührt worden sind, deren Augen aber noch gehalten sind, daß sie ihn
nicht zu erkennen vermögen. Sie stoßen sich an den Unebenheiten, wissen nicht, daß es die
Unebenheiten sind, die die Schmerzen bereiten und finden darum auch nicht das Mittel zur Heilung.
Die Unzahl der Kabarets und Vergnügungen, der Kampf der Parteien in den Parlamenten, Haß und Hader
zwischen den Nationen, Religionen und Völkern wie zwischen den einzelnen Menschen überall
ist ein gesteigerter Ausdruck für dieses Sich-Berauschen-Wollen. Aber statt die
Unebenheiten, die die Disharmonie schaffen, zu beseitigen, werden sie dadurch nur
vergrößert und die Unzufriedenheit verschlimmert. So wird die Menschheit aus der
Verzweiflung heraus gezwungen zur Harmonie und damit zur Einheit getrieben, weil
darin das einzige Heilmittel liegt. In dem Gefühl der Disharmonie
liegt die Notwendigkeit, zur Einheit zu streben.
Welches aber ist der Weg, der zur Einheit führt? Er liegt in der Tat. Sie allein ist der Weg zur Einheit. Wir müssen dafür arbeiten, daß die Einheit zustande komme. Bahá’u’lláh sagt in den „Worten der Weisheit“:
„Die Bahái müssen dem Herrn mit Weisheit dienen, andere durch ihr Leben belehren und das Licht Gottes in ihren Taten offenbaren. Die Wirkung der Taten ist in Wahrheit mächtiger, als die der Worte“. (Worte d. Weisheit Abs. 12).
„Manche begnügen sich nur mit Worten, aber die Wahrheit der Worte wird durch Taten bezeugt und hängt von der Lebensführung ab. Taten offenbaren die Stufe des Menschen. Die Worte müssen in Uebereinstimmung mit dem sein, was aus dem Munde des Willens Gottes hervorgeht und in den heiligen Schriften berichtet ist.“ (Worte d. Weisheit Abs. 14) Und 'Abdu'l-Bahá führt den gleichen Gedanken in den folgenden Worten aus:
„Welchen Wert hat es, wenn ihr darin übereinstimmt, daß universale Freundschaft gut ist und wenn ihr die Solidarität der menschlichen Rassen in euern Reden als ein großes Ideal hinstellt? Wenn diese Gedanken nicht in die Tat umgesetzt werden, sind sie nutzlos.
„Das Unrecht besteht in der Welt deshalb weiter, weil die Menschen nur von ihren Idealen reden und nicht darnach streben, sie in die Tat umzusetzen. Würden Taten an Stelle der Worte treten, dann würde das Elend in der Welt bald in Wohlergehen verwandelt werden“. — (Ansprachen, Kap. 1, Abs. 8 u. 9)
„Die Gedanken können in zwei Klassen eingeteilt werden:
1. In solche, welche nicht zur Tat werden,
2. In solche, welche durch die Tat zum Ausdruck kommen.
„Manche Menschen zeichnen sich aus durch erhabene Gedanken; wenn aber die Gedanken niemals in Taten umgesetzt werden, dann bleiben sie nutzlos; die Macht der Gedanken hängt davon ab, ob und wie diese in Taten zum Ausdruck kommen. Die Gedanken eines Philosophen vermögen sich — wie dem auch sei — im Laufe der fortschrittlichen Entwicklung von selbst auf die Menschen zu übertragen, — sogar dann, wenn die Philosophen selbst unfähig oder nicht willens sind, ihre großen Gedanken in ihrem eigenen Leben zur Geltung zu bringen. Zu dieser Klasse gehört die Mehrzahl der Philosophen; ihre Lehren stehen hoch über ihren Taten. Die Philosophen, welche zugleich geistige Lehrer sind, unterscheiden sich von denen, welche nur Philosophen sind, durch folgendes: der geistige Lehrer, ist der erste, der seine eigenen Lehren befolgt, er setzt seine geistigen Begriffe und Ideale in die Tat um. Seine göttlichen Gedanken werden der Welt offenbar. Sein Gedanke ist sein eigenes Selbst, von welchem er untrennbar ist. Wenn wir einen Philosophen finden, der die Wichtigkeit und Größe der Gerechtigkeit betont und trotzdem einen ländergierigen Fürsten in seinen Unterdrückungen und seiner Tyrannei ermutigt, so wissen wir sofort, daß er der ersteren Klasse angehört, denn er denkt himmlische Gedanken, bringt aber die mit ihnen korrespondierenden himmlischen Tugenden nicht zur Anwendung.
„Dieser Zustand ist bei geistigen Philosophen unmöglich, denn sie bringen ihre hohen und edlen Gedanken immer in Taten zum Ausdruck.“
(Ansprachen, Kap. 2, Abs. 3—5)
Vergleichen wir mit diesen Worten das, was heute von den meisten Menschen gesprochen und
getan wird! Der Gedanke des Völkerbundes z.B. ist vorzüglich. Er ist eines der Mittel, die
zum endlichen Völkerfrieden führen werden. Aber was heute als Völkerbund besteht, ist in der Tat
nur ein Zerrbild, und obwohl in ihm viel von der Erhaltung des Weltfriedens gesprochen wird,
stehen seine Handlungen im geraden Gegensatz dazu. Ebenso ist es mit den politischen Parteien.
Wenn wir die Programme aller der vielen politischen Parteien in Deutschland durchlesen,
so müssen wir zugeben, daß sie alle von großen und edlen Gedanken getragen sind, deren
Verwirklichung unser Land zu einem Lande größter Zufriedenheit und angenehmsten Wohlergehens
machen würde. Gleichwohl vermag keine der Parteien in Wirklichkeit ihre Versprechungen
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zu halten und in die Tat umzusetzen. Zahllose Bewegungen arbeiten an der Besserung der
Menschheit, zahllose Vorträge werden gehalten, die die Einheit der Menschen preisen,
tatsächlich aber vermögen die meisten dieser Bewegungen aus ihren Lehren nicht einmal
den einfachsten Schluß zu ziehen, daß sie, wenn sie wirklich der Einheit dienen wollen, kein Recht
haben, andere, die gleichfalls der Einheit dienen wollen, zu bekämpfen. Wer in Wahrheit der
Einheit dienen will, muß dulden lernen. Nicht durch Kampf vermag man Gegensätze zu beseitigen,
so wenig, als je Feindseligkeiten zwischen verschiedenen Ländern durch Kriege beseitigt worden
sind, sondern einzig und allein dadurch, daß man durch das Beispiel vorangeht und selber
alle Gedanken der Gegnerschaft in sich austilgt und den andern die Wege zeigt, auf denen sie
sich mit uns vereinigen können.
„Ein Gedanke des Hasses muß zerstört werden durch einen viel mächtigeren Gedanken der Liebe“, sagt 'Abdu'l-Bahá, „verzweifelt nicht, arbeitet beständig! Aufrichtigkeit und Liebe werden den Haß besiegen. Wie viele scheinbar unmöglichen Dinge gehen heute vor sich. Wendet euer Angesicht beständig dem Lichte der Welt zu. Erzeiget allen Menschen Liebe. Liebe ist der Odem des Heiligen Geistes in den Herzen der Menschen. Fasset Mut! Gott verläßt Seine Kinder, welche streben, arbeiten und beten, nicht. Laßt unsere Herzen erfüllt sein mit dem sehnsüchtigen Wunsch, daß Ruhe und Harmonie die ganze sich widerstreitende Welt umfassen möge. Auf diese Weise werden eure Bemühungen mit Erfolg gekrönt sein, und mit der universalen Brüderschaft wird das Königreich Gottes mit „Friede und Wohlgefallen“ kommen.“
(Ansprachen, Kap. 6)
Fragen wir uns nach den Ursachen, warum so wenige Menschen, die von Einheit und Liebe reden, auch in ihren Taten Einheit und Liebe offenbaren, so können wir vor allem drei Ursachen feststellen. Die erste ist Eigennutz und Eigenliebe. Zur Einheit zu streben ist gleichbedeutend mit Dienen, u. Dienen bedeutet, seine eigenen Interessen und Wünsche hinter anderen zurückstellen zu können. Dies ist eine schwere Anforderung, die jeden von uns viel Ueberwindung kostet, denn unsere Eigenliebe wurzelt ja so tief, viel tiefer, als wir es selber ahnen. Wir geben nicht gern unsere Meinung gegen eine andere auf, selbst wenn wir wissen, daß unsere falsch und die andere recht ist, wir hören gern auf Schmeichler, wir sind ehrgeizig und möchten, daß wir in allem im Vordergrund stehen, statt uns bescheiden zurückzuhalten und zu denken, daß unser Gefühl der Erhabenheit über andere nur Dünkel ist, denn es gıbt immer tausend andere, die noch weiter voran geschritten sind, als wir. Möchten wir wohl, daß sie sich vor den andern, die wir mit unserer Erhabenheit blenden, über uns erhaben zeigten und uns erniedrigten ? Das alte Sprichwort „Hochmut kommt vor dem Fall" birgt eine tiefe Wahrheit in sich,
„O Menschenkinder“, so sagt Bahá’u’lláh, „Wisset ihr, warum Wir euch alle aus einem Staub erschufen! Damit sich keiner über den andern erheben soll. Seid immer dessen eingedenk, wie ihr erschaffen wurdet. Weil wir euch alle aus demselben Stoff erschufen, müßt ihr sein, wie eine Seele, wandeln mit denselben Füßen, essen mit einem Munde und leben in einem Lande, damit ihr aus eurem innersten Wesen, durch eure Taten und Handlungen die Zeichen der Einheit und das Wesen der Loslösung offenbart.“
(Arab. Verb. W. Nr. 67)
Die zweite Ursache ist die Unachtsamkeit und Selbsttäuschung. Oft glauben wir, ein Leben zu führen, das mit unseren Anschauungen übereinstimmt, während es ihnen tatsächlich widerspricht. Wir glauben, mit größter Liebe zu handeln und sind in Wirklichkeit lieblos und streng, oder wir widmen unsere Liebe ganz einzelnen Menschen und entziehen sie dafür anderen, die uns näher stehen sollten. Wir glauben der Einheit zu dienen und dienen der Zwietracht, weil wir das Gebot „Liebet eure Feinde, segnet, die euch fluchen und tuet wohl denen, die euch beleidigen und verfolgen‘ vergessen haben. Wir berauschen uns an unseren guten Taten und lassen in unserem Rausch das Unkraut der üblen Taten hervorschiessen und wachsen. Oft besteht diese Selbsttäuschung auch darin, daß wir das, was uns angenehm ist, für das Erstrebenswerte halten oder persönliche Vorzüge eines Menschen für Vorzüge der von ihm vertretenen Sache halten. Darum sagt 'Abdu'l-Bahá
„Es geziemt uns allen, die Wahrheit zu lieben. Laßt uns allezeit und i jedem Land nach ihr suchen und darauf achten, daß wir uns niemals an Persönlichkeiten hängen.“
(Ansprachen, Kap. 40, XI)
Hiergegen gibt es nur ein Mittel: selber fortgesetzt und ernsthaft studieren, in jedem Fall sorgfältig und unabhängig von der Meinung anderer prüfen, als Richtschnur Liebe und Harmonie und den Gedanken der Einheit vor Augen. 'Abdu'l-Bahá empfahl, mindestens jeden Morgen und jeden Abend eine Viertelstunde mit dem Studium der Heiligen Schriften zu verbringen. Wenn wir dies mit aufrichtigem Herzen befolgen, so wird es uns helfen, die Wahrheit zu erkennen und uns vor Selbsttäuschungen bewahren.
Die dritte Ursache, daß unsere Taten nicht
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den Worten entsprechen, ist unsere Schwachheit. Aber wir werden sie überwinden,
wenn wir unsere Gedanken von unserem Streben erfüllt sein lassen, wenn wir die Sehnsucht nach
der Einheit ständig in uns tragen. Dann wird diese Sehnsucht an uns arbeiten und feilen und
uns voran bringen. Und aus der Sehnsucht wird das Gebet als stärkster Helfer
in unserem Streben. 'Abdu'l-Bahá sagt darüber:
„Durch das Gebet werden die irdischen Wünsche vom Herzen entfernt, wie der Staub vom Spiegel durch gründliches Abstauben und Reinigen. Ohne Gebet hört das Herz auf, ein Spiegel der göttlichen Vollkommenheit zu sein; es wird wie ein rauher und unpolierter Stein.
„Die Freude am Gebet trennt das Herz von der Welt. Das Gebet ist der Schlüssel, mit dem die Tore des himmlischen Königreichs geöffnet werden. Es gibt viele Fragen, die für den Menschen schwierig zu lösen sind, aber durch das Gebet werden sie enthüllt. Es gibt nichts, das der Mensch nicht durch das Gebet lernen könnte.“
(Phelps S. 217)
Aber zweierlei sollten wir bei unseren Gebeten beachten: daß wir Gott nicht vorschreiben, wie die Erhörung unseres Gebetes sein soll und daß wir nicht für unseren eigenen Vorteil beten.
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In unserem Verlag sind erschienen:
1. Die Geschichte der Bahai-Bewegung, von S. S. Deutsch von Wilhelm Herrigel. Dritte Ausgabe . . . -.20
2. Bahai-Perlen, Deutsch von Wilhelm Herrigel . . . . -.20
3. Ehe Abraham war, war Ich, v. Thornton Chase. Deutsch v. W.Herrigel . . . . -.10
4. Das heilige Tablet, ein Sendschreiben Baha’o’llahs an die Christenheit. Deutsch von Wilhelm Herrigel . . -.10
5. Die Universale Weltreligion. Ein Blick in die Bahai-Lehre von Alice T, Schwarz . . . . -.50
6. Die Offenbarung Baha’u’llahs, von J.D. Brittingham. Deutsch von Wilhelm. Herrigel . . . -.50
7. Verborgene Worte von Baha o’llah. Deutsch v. A. Braun u. E. Ruoff . . . 1.--
8. Baha’u’llah, Frohe Botschaften, Worte des Paradieses, Tablet Tarasat, Tablet Taschalliat, Tablet Ischrakat. Deutsch von Wilhelm Herrigel, in Halbleinen gebunden . . . 2.--
in feinstem Ganzleinen gebunden . . . . . 2.50
9. Einheitsreligion. Ihre Wirkung auf Staat, Erziehung, Sozialpolitik, Frauenrechte und die einzelne Persönlichkeit, von Dr. jur. H. Dreyfus, Deutsch von Wilhelm Herrigel. Neue Auflage . . . -.50
10. Die Bahaibewegung im allgemeinen und ihre großen Wirkungen in Indien, von Wilhelm Herrigel . . . . -.50
11. Eine Botschaft an die Juden, von Abdul Baha Abbas. Deutsch von Wilhelm Herrigel . . . -.15
12. Abdul Baha Abbas, Ansprachen über die Bahailehre. Deutsch von Wilhelm Herrigel,
in Halbleinen gebunden . . . . . 2.50
in feinstem Ganzleinen gebunden. . . . . 3.--
13. Geschichte und Wahrheitsbeweise der Bahaireligion, von Mirza Abul Fazl. Deutsch von W. Herrigel,
in Halbleinen geb. . . . . 4.--
In Ganzleinen gebunden . . . . 4.50
14. Abdul Baha Abbas’ Leben und Lehren, von Myron H. Phelps.
Deutsch von Wilhelm Herrigel, in Ganzleinen gebunden . . . . 3.50
15. Das Hinscheiden Abdul Bahas, ("The Passing of Abdul Baha") Deutsch von Alice T. Schwarz . . . -.50
16. Das neue Zeitalter von Ch. M. Remey. "Deutsch von Wilhelm Herrigel —.50
17. Die soziale Frage und ihre Lösung im Sinne der Bahailehre von Dr. Hermann Grossmann . . —.20
18. Die Bahai-Offenbarung, ein Lehrbuch von Thornton Chase, deutsch von W. Herrigel, kartoniert M. 4.--, in Halbleinen gebunden M. 4.60
Der Versand erfolgt gegen Nachnahme oder gegen Voreinsendung des Betrages.
Druck: Wilhelm Heppeler, Stuttgart.
Geschichte und Bedeutung der Bahailehre.
Die Bahai-Bewegung tritt vor allem ein für die „Universale Religion" und den „Universalen Frieden“ — die Hoffnung aller Zeitalter. Sie zeigt den Weg und die Mittel, die zur Einigung der Menschheit unter dem hohen Banner der Liebe, Wahrheit, Gerechtigkeit und Barmherzigkeit führen. Sie ist göttlich ihrem Ursprung nach, menschlich in ihrer Darstellung, praktisch für jede Lebenslage. In Glaubenssachen gilt bei ihr nichts als die Wahrheit, in den Handlungen nichts als das Gute, in ihren Beziehungen zu den Menschen nichts als liebevoller Dienst.
Zur Aufklärung für diejenigen, die noch wenig oder nichts von der Bahaibewegung wissen, führen wir hier Folgendes an: „Die Bahaireligion ging aus dem Babismus hervor. Sie ist die Religion der Nachfolger Bahá’u’lláhs. Mirza Hussein Ali Nuri (welches sein eigentlicher Name war) wurde im Jahre 1817 in Teheran (Persien) geboren. Vom Jahr 1844 an war er einer der angesehensten Anhänger des Bab und widmete sich der Verbreitung seiner Lehren in Persien. Nach dem Märtyrertod des Bab wurde er mit den Hauptanhängern desselben von der türkischen Regierung nach Bagdad und später nach Konstantinopel und Adrianopel verbannt. In Bagdad verkündete er seine göttliche Sendung (als „Der, den Gott offenbaren werde") und erklärte, daß er der sei, den der Bab in seinen Schriften als die „Große Manifestation", die in den letzten Tagen kommen werde, angekündigt und verheißen hatte. In seinen Briefen an die Regenten der bedeutendsten Staaten Europas forderte er diese auf, sie möchten ihm bei der Hochhaltung der Religion und bei der Einführung des universalen Friedens beistehen. Nach dem öffentlichen Hervortreten Bahá’u’lláhs wurden seine Anhänger, die ihn als den Verheißenen anerkannten, Bahai (Kinder des Lichts) genannt. Im Jahr 1868 wurde Bahá’u’lláh vom Sultan der Türkei nach Akka in Syrien verbannt, wo er den größten Teil seiner lehrreichen Werke verfaßte und wo er am 28. Mai 1892 starb. Zuvor übertrug er seinem Sohn Abbas Effendi ('Abdu'l-Bahá) die Verbreitung seiner Lehre und bestimmte ihn zum Mittelpunkt und Lehrer für alle Bahai der Welt.
Es gibt nicht nur in den mohammedanischen Ländern Bahai, sondern auch in allen Ländern Europas, sowie in Amerika, Japan, Indien, China etc. Dies kommt daher, daß Bahá’u’lláh den Babismus, der mehr nationale Bedeutung hatte, in eine universale Religion umwandelte, die als die Erfüllung und Vollendung aller bisherigen Religionen gelten kann. Die Juden erwarten den Messias, die Christen das Wiederkommen Christi, die Mohammedaner den Mahdi, die Buddhisten den fünften Buddha, die Zoroastrier den Schah Bahram, die Hindus die Wiederverkörperung Krischnas und die Atheisten — eine bessere soziale Organisation.
In Bahá’u’lláh sind alle diese Erwartungen erfüllt. Seine Lehre beseitigt alle Eifersucht und Feindseligkeit, die zwischen den verschiedenen Religionen besteht; sie befreit die Religionen von ihren Verfälschungen, die im Lauf der Zeit durch Einführung von Dogmen und Riten entstanden und bringt sie alle durch Wiederherstellung ihrer ursprünglichen Reinheit in Einklang. Das einzige Dogma der Lehre ist der Glaube an den einigen Gott und an seine Manifestationen (Zoroaster, Buddha, Mose, Jesus, Mohammed, Bahá’u’lláh).
Die Hauptschriften Bahá’u’lláhs sind der Kitab el Ighan (Buch der Gewißheit), der Kitab el Akdas (Buch der Gesetze), der Kitab el Ahd (Buch des Bundes) und zahlreiche Sendschreiben, genannt „Tablets“, die er an die wichtigsten Herrscher oder an Privatpersonen richtete. Rituale haben keinen Platz in dieser Religion; letztere muß vielmehr in allen Handlungen des Lebens zum Ausdruck kommen und in wahrer Gottes- und Nächstenliebe gipfeln. Jedermann muß einen Beruf haben und ihn ausüben. Gute Erziehung der Kinder ist zur Pflicht gemacht und geregelt.
Streitfragen, welche nicht anders beigelegt werden können, sind der Entscheidung des Zivilgesetzes jeden Landes und dem Bait’ul’Adl oder „Haus der Gerechtigkeit“, das durch Bahá’u’lláh eingesetzt wurde, unterworfen. Achtung gegenüber jeder Regierungs- und Staatseinrichtung ist als einem Teil der Achtung, die wir Gott schulden, gefordert. Um die Kriege aus der Welt zu schaffen, ist ein internationaler Schiedsgerichtshof zu errichten. Auch soll neben der Muttersprache eine universale Einheits-Sprache eingeführt werden. „Ihr seid alle die Blätter eines Baumes und die Tropfen eines Meeres“ sagt Bahá’u’lláh.
Es ist also weniger die Einführung einer neuen Religion, als die Erneuerung und Vereinigung aller Religionen, was heute von 'Abdu'l-Bahá erstrebt wird. (Vgl. Nouveau, Larousse, illustré supplement, p. 66.)
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