Sonne der Wahrheit/Jahrgang 6/Heft 5/Text

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SONNE

DER

WAHRHEIT
Heft V JULI 1926
ORGAN DES DEUTSCHEN BAHAI-BUNDES STUTTGART


[Seite 64] Abdu’l-Bahás Erläuterung der Bahai-Prinzipien.


1. Die ganze Menschheit muss als Einheit betrachtet werden.

Baha’u’lláh wandte Sich an die gesamte Menschheit mit den Worten: „Ihr seid alle die Blätter eines Zweigs und die Früchte eines Baumes“. Das heißt: die Menschheit gleicht einem Baum und die Nationen oder Völker gleichen den verschiedenen Aesten und Zweigen; die einzelnen Menschen aber gleichen den Blüten und Früchten dieses Baumes. In dieser Weise stellte Baha’u’lláh das Prinzip der Einheit der Menschheit dar. Baha’u’lláh verkündigte die Einheit der ganzen Menschheit, er versenkte sie alle im Meer der göttlichen Gnade.


2. Alle Menschen sollen die Wahrheit selbständig erforschen.

In religiösen Fragen sollte niemand blindlings seinen Eltern und Voreltern folgen. Jeder muß mit eigenen Augen sehen, mit eigenen Ohren hören und die Wahrheit suchen, denn die Religionen sind häufig nichts anderes als Nachahmungen des von den Eltern und Voreltern übernommenen Glaubens.


3. Alle Religionen haben eine gemeinsame Grundlage.

Alle göttlichen Verordnungen beruhen auf ein und derselben Wirklichkeit. Diese Grundlage ist die Wahrheit und bildet eine Einheit, nicht eine Mehrheit. Daher beruhen alle Religionen auf einer einheitlichen Grundlage. Im Laufe der Zeit sind gewisse Formen und Zeremonien der Religion beigefügt worden. Dieses bigotte menschliche Beiwerk ist unwesentlich und nebensächlich und verursacht die Abweichungen und Streitigkeiten unter den Religionen. Wenn wir aber diese äußere Form beiseite legen und die Wirklichkeit suchen, so zeigt sich, daß es nur eine göttliche Religion gibt.


4. Die Religion muss die Ursache der Einigkeit und Eintracht unter den Menschen sein.

Die Religion ist für die Menschheit die größte göttliche Gabe, die Ursache des wahren Lebens und hohen sittlichen Wertes; sie führt den Menschen zum ewigen Leben. Die Religion sollte weder Haß und Feindschaft noch Tyrannei und Ungerechtigkeiten verursachen. Gegenüber einer Religion, die zu Mißhelligkeit und Zwietracht, zu Spaltungen und Streitigkeiten führt, wäre Religionslosigkeit vorzuziehen. Die religiösen Lehren sind für die Seele das, was die Arznei für den Kranken ist. Wenn aber ein Heilmittel die Krankheit verschlimmert, so ist es besser, es nicht anzuwenden.


5. Die Religion muss mit Wissenschaft und Vernunft übereinstimmen.

Die Religion muß mit der Wissenschaft übereinstimmen und der Vernunft entsprechen, so daß die Wissenschaft die Religion, die Religion die Wissenschaft stützt. Diese beiden müssen unauflöslich miteinander verbunden sein.


6. Mann und Frau haben gleiche Rechte.

Dies ist eine besondere Lehre Baha’u’lláhs, denn die früheren Religionen stellen die Männer über die Frauen. Töchter und Söhne müssen gleichwertige Erziehung und Bildung genießen. Dies wird viel zum Fortschritt und zur Einigung der Menschheit beitragen.


7. Vorurteile jeglicher Art müssen abgelegt werden.

Alle Propheten Gottes kamen, um die Menschen zu einigen, nicht um sie zu trennen. Sie kamen, um das Gesetz der Liebe zu verwirklichen, nicht um Feindschaft unter sie zu bringen. Daher müssen alle Vorurteile rassischer, völkischer, politischer oder religiöser Art abgelegt werden. Wir müssen zur Ursache der Einigung der ganzen Menschheit werden.


8. Der Weltfriede muss verwirklicht werden.

Alle Menschen und Nationen sollen sich bemühen, Frieden unter sich zu schließen. Sie sollen darnach streben, daß der universale Friede zwischen allen Regierungen, Religionen, Rassen und zwischen den Bewohnern der ganzen Welt verwirklicht wird. Die Errichtung des Weltfriedens ist heutzutage die wichtigste Angelegenheit. Die Verwirklichung dieses Prinzips ist eine schreiende Notwendigkeit unserer Zeit.


9. Beide Geschlechter sollen die beste geistige und sittliche Bildung und Erziehung geniessen.

Alle Menschen müssen erzogen und belehrt werden. Eine Forderung der Religion ist, daß jedermann erzogen werde und daß er die Möglichkeit habe, Wissen und Kenntnisse zu erwerben. Die Erziehung jedes Kindes ist unerläßliche Pflicht. Für Elternlose und Unbemittelte hat die Gemeinde zu sorgen.


10. Die soziale Frage muss gelöst werden.

Keiner der früheren Religionsstifter hat die soziale Frage in so umfassender, vergeistigter Weise gelöst wie Baha’u’lláh. Er hat Anordnungen getroffen, welche die Wohlfahrt und das Glück der ganzen Menschheit sichern. Wenn sich der Reiche eines schönen, sorglosen Lebens erfreut, so hat auch der Arme ein Anrecht auf ein trautes Heim und ein sorgenfreies Dasein. Solange die bisherigen Verhältnisse dauern, wird kein wahrhaft glücklicher Zustand für den Menschen erreicht werden. Vor Gott sind alle Menschen gleich berechtigt, vor Ihm gibt es kein Ansehen der Person; alle stehen im Schutze seiner Gerechtigkeit.


11. Es muss eine Einheitssprache und Einheitsschrift eingeführt werden.

Baha’u’lláh befahl die Einführung einer Welteinheitssprache. Es muß aus allen Ländern ein Ausschuß zusammentreten, der zur Erleichterung des internationalen Verkehrs entweder eine schon bestehende Sprache zur Weitsprache erklären oder eine neue Sprache als Weltsprache schaffen soll; diese Sprache muß in allen Schulen und Hochschulen der Welt gelehrt werden, damit dann niemand mehr nötig hat, außer dieser Sprache und seiner Muttersprache eine weitere zu erlernen.


12. Es muss ein Weltschiedsgerichtshof eingesetzt werden.

Nach dem Gebot Gottes soll durch das ernstliche Bestreben aller Menschen ein Weltschiedsgerichtshof geschaffen werden, der die Streitigkeiten aller Nationen schlichten soll und dessen Entscheidung sich jedermann unterzuordnen hat.

Vor mehr als 50 Jahren befahl Baha’u’lláh der Menschheit, den Weltfrieden aufzurichten und rief alle Nationen zum „internationalen Ausgleich“, damit alle Grenzfragen sowie die Fragen nationaler Ehre, nationalen Eigentums und aller internationalen Lebensinteressen durch ein schiedsrichterliches „Haus der Gerechtigkeit" entschieden werden können.


Baha’u’lláh verkündigte diese Prinzipien allen Herrschern der Welt. Sie sind der Geist und das Licht dieses Zeitalters. Von ihrer Verwirklichung hängt das Wohlergehen für unsere Zeit und das der gesamten Menschheit ab.

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SONNE    DER  WAHRHEIT
Organ des Bahai-Bundes, Deutscher Zweig
Herausgegeben vom Verlag des Bahai-Bundes, Deutscher, Zweig Stuttgart
Verantwortliche Schriftleitung: Alice Schwarz - Solivo, Stuttgart, Alexanderstraße 3
Preis vierteljährlich 1,80 Goldmark, im Ausland 2.– Goldmark.
Heft 5 Stuttgart, im Juli 1926 6. Jahrgang

Inhalt: Bahaikongress. — Die Ziele und bisherigen Wirkungen der Bahailehre. — Bahá’u’lláh und das Neue Zeitalter. — Report about the lectures on the Bahai-Congress.


Motto: Einheit der Menschheit — Universaler Friede — Universale Religion




Was die Vereinigung der Menschheit bewerkstelligen wird ist die Wiedererkenntnis der gemeinsamen geistigen Grundlage aller Glaubensbekenntnisse. Diese Erkenntnis wird eine einheitliche Sache sein und zu einer Zusammenfassung der moralischen und geistigen Gesetze aller Glaubensbekenntnisse in eine einheitliche Religion führen durch die Macht des Heiligen Geistes.

'Abdu'l-Bahá.



Der Geist dieses Zeitalters verlangt die Einsetzung des universalen Friedens. Keine Macht der Erde kann sich diesem widersetzen. Gott hat es bestimmt, daß Friede herrschen muß in diesem Zeitalter und es wird so werden. Laßt die Vertreter für den Frieden mit noch größerem Eifer und noch größerem Mut arbeiten, denn der Herr der Heerscharen ist ihr Helfer.

In diesem strahlenden Jahrhundert und in diesem Zeitalter der Gnade ist das Gehör geschärft, sind die Herzen erweckt, die Augen sehend geworden und das allgemeine Gewissen aufgerüttelt. Das Zeitalter der Entfremdung ist abgelaufen. Das Jahrhundert der Freundschaft ist angebrochen. Die trüben Stunden sind vorüber und das Ziel der Vereinigung dämmert auf. Jetzt ist es Zeit erleuchtet zu sein von den Strahlen der Sonne der Solidarität des Menschengeschlechts. Dies ist die Stunde der Selbstaufopferung zum Besten der Menschheit.

'Abdu'l-Bahá.


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Bahai-Kongreß 22.—24. Mai 1926.

Beginn des Kongresses am Samstag, 22. Mai, Nachmittags 3 Uhr.

Fräulein Stäbler singt die Arie „Höre, Israel“, begleitet am Klavier von Herrn Josef Tyssen. Hierauf begrüßt der Präsident des Nationalrats, Herr Konsul Schwarz, die Anwesenden mit folgenden Worten:

„Im Namen unseres geliebten Meisters, 'Abdu'l-Bahá, im Namen des Beschützers der heiligen Sache, Shoghi Effendi, heiße ich Sie alle hier herzlich willkommen. Zahlreich sind die Freunde zu diesem Kongreß hierher geeilt. Wir wollen auch derer gedenken, die heute nicht unter uns weilen können und derer, die nicht mehr zu uns kommen können. Wir wollen unseren Meister zu uns sprechen lassen und das Beratungstablet zur Verlesung bringen.“

Nachdem Herr Herrigel das Beratungstablet verlesen hatte, fährt Herr Konsul Schwarz fort:

„Kann es etwas zu Herzen gehenderes geben, als dieses Tablet? Wir müssen uns die Anweisungen unseres Herrn zu eigen machen, uns in unsere Seele diese unvergänglichen Worte tief einprägen.

Wir haben für die Kongreßtage das Pfingstfest gewählt — Pfingsten, das zum Gedenken der Ausgießung des Heiligen Geistes in der Christenheit gefeiert wird; wir stehen heute hier in des großen Meisters Namen und bitten, daß sich eine ähnliche Gnade an uns vollziehe.

Wir wählten den morgigen Tag auch deshalb, weil der Geburtstag 'Abdu'l-Bahás auf den 23. Mai fällt, wie auch die Verkündigung von Ali Mohammed El Báb.

Wenn ich mir erlaube, als unwürdiger Diener des Meisters diesen Kongreß zu eröffnen, so möchte ich Sie bitten, mir zu folgen, um einen Rückblick zu halten über das vergangene Jahr.

Als wichtigste Arbeit ist die Herausgabe des Buchs von Thornton Chase „Die Bahái-Offenbarung“, nach Uebersetzung und Ueberprüfung in Deutsch. Dann ist der 5. Jahrgang der „Sonne der Wahrheit" mit Illustrationen erschienen, es war der Wunsch von Shoghi Effendi, das Bahái-Organ mit Bildschmuck zu versehen. Derzeit wird fortlaufend das wertvolle Buch von Esslemont in der S.d.W. veröffentlicht, das Buch als solches kommt demnächst in Druck. Aus Hamburg kam die Anregung zu der Herausgabe von Rundschreiben als Bahái-Nachrichten. Solche Mitteilungen sind von großem Wert für die in der Welt allerorts wohnenden Bahái; wenn auch die Mitteilungen nur in gedrängter Kürze veröffentlicht werden können, so geben sie doch ein Bild der Entwicklung und regen zu neuer Tätigkeit da und dort an. Der Geistige Nationalrat hat sich entschlossen, nach dem Wunsch von Shoghi Effendi „Bahái-Nachrichten“ gedruckt einmal monatlich nach dem In- und Ausland zu versenden. Esperanto wurde im Sinn des geliebten Meisters gepflegt. La nova Tago, eine Bahái-Zeitschrift, erscheint in Hamburg. Der letztjährige Esperanto-Kongreß wurde mit gutem Erfolg von Herrn Dr. Mühlschlegel besucht. Ferner hat Herr Herrigel in monatelanger Tätigkeit eine Anzahl von Großstädten besucht, Vorträge gehalten und neue Freunde für die heilige Sache gewonnen.

Es sind anderthalb Jahre seit dem letzten Kongreß ins Land gezogen, wir haben die Erinnerungstage, Neujahrsfeiern, Kinderfeste, Trauerfeiern im Kreis der Freunde gefeiert und unsere Zusammengehörigkeit empfunden.

Unser Hilfskommitee trat mehrfach in Tätigkeit, wir konnten denen helfen, die schwer am Leben tragen.

Unsere Aufgabe ist es, der Heiligen Sache Freunde zuzuführen, daß wir, wenn wir wieder zu einem Kongreß zusammenkommen, einen weit größeren Saal benötigen. Wir wollen keine Proseliten machen, aber alle, die diese Sehnsucht nach Licht im Herzen tragen, sollen und werden kommen. Wir müssen arbeiten und wirken mit Klugheit und mit Geist. Es spielt die wichtigste Rolle, wie wir an die Menschen herantreten. Es ist unsere Pflicht, die heilige Lehre immer weiter zu tragen, bei jeder Gelegenheit davon zu sprechen. Gewiß werden viele Menschen erstaunt sein, davon zu hören, sie werden gepackt, und einmal tiefer interessiert, werden sie auch Anhänger der heiligen Lehre werden.

'Abdu'l-Bahá verkörperte in Sich die Liebe, Er brachte uns die Einheit, auch wir müssen einig sein, müssen völlige Offenheit üben und ganzes Vertrauen zueinander haben, wir müssen uns alles in freundlicher Weise sagen. Wie wir hier bei dem Kongreß vereint sind, wollen wir auch im Herzen einig sein und reines Vertrauen im Sinn unseres Meisters zueinander haben. Hat eines von uns Differenzen mit irgend einem der Freunde, so sollen sie heute einig werden und alle Differenzen aufgehoben sein.

Es sind jetzt 13 Jahre, da stand an dieser Stelle 'Abdu'l-Bahá, und ich durfte Ihn damals begrüßen. Wie erschüttert waren wir von Seiner Persönlichkeit; Seine Gegenwart [Seite 67] in Stuttgart wird denen, die einst den großen Vorzug genossen, Ihn zu sehen, unvergeßlich sein. Er sprach damals über San Francisko und über Seine Rede in der Synagoge daselbst. Sein Geist umgibt uns heute und Sein Segen wird stets mit uns sein und auf unserer Arbeit ruhen. Wir werden dann in Seinem Geiste handeln, um den Anspruch erheben zu können, Bahái zu sein.

Zurückblickend möchte ich der Besuche gedenken, die wir im verflossenen Jahr hier begrüßen durften, es war dies Ali Akbar Ramanow, ein Russe aus Eschkabat, er erzählte uns in warmer Schilderung von den Freunden in Südrußland und von seiner Tätigkeit als Lehrer.

Unser alter Freund Azizullah Bahadur war monatelang hier, um Heilung durch eine Operation zu suchen und zu finden.

Miß Martha Root weilte hier in ihrer nimmermüden Tätigkeit für die heilige Sache.

Mrs. Jane Stannard, die in Genf ein Internationales Bureau errichtet hat, hielt hier einen öffentlichen Vortrag und sprach im Freundeskreis, eine prächtige Vertreterin der heiligen Sache.

An diesem Tage ziemt es uns aber ganz besonders, derer zu gedenken, die aus unserem Kreis für immer gegangen sind, es sind dies Herr Oberlehrer Schwaderer - Eßlingen, Herr Otto Halbach in Ronko-Oberitalien, unser unvergeßlicher Freund, Herr Dr. Arthur Brauns - Karlsruhe, der einer der Besten im Nationalrat war und Herr Rektor Jäger, gleichfalls in früheren Jahren ein Mitglied des Nationalrats und hochgeschätzter Arbeiter bei den ersten Jahrgängen der Sonne der Wahrheit. Dann Dr. Esslemont, der uns das schon erwähnte Buch „Bahá’u’lláh und das neue Zeitalter“ geschenkt hat. Wollen wir uns zu ehrendem Gedenken dieser Unvergessenen von unseren Sitzen erheben.

Liebe Freunde, ich möchte Ihnen für diese Kongreßtage die besten Wünsche aussprechen, mögen es frohe, sonnige Tage sein, und uns allen geistiges Glück geben.

Der Nationalrat hat, wie vielleicht manche Menschen denken, nicht besonders viel zu tun. Uns allen ist es eine hohe und heilige Pflicht, für den Meister zu wirken. Trotzdem nicht so viel der Arbeit in die Oeffentlichkeit gelangt, ist es eine Fülle von Arbeit, die geleistet wird im Kreise des Nationalrats, ohne manchmal besonders hervorzutreten. Die Protokolle liegen jederzeit zur Einsicht vor.

Shoghi Effendi sagt ausdrücklich, daß der Nationalrat die oberste Behörde ist und daß dessen Anordnungen befolgt werden müssen. Befolgt sie in größter Liebe und Freundlichkeit, wie auch jedermann seine Ansicht in Offenheit und Freundschaft zum Ausdruck bringen soll. Nicht nur die Delegierten, die die Wahl vornehmen, sollen Vertrauen genießen, sondern alle Freunde sollen volles Vertrauen dem Nationalrat entgegenbringen. Die Mitglieder des Nationalrats sind sich ihrer hohen Aufgabe und Pflicht bewußt, ihnen ist die größte Verantwortung auferlegt und jedem Einzelnen ist diese Ehrenpflicht heilig. Ebenso arbeiten die Kommitees im engen Zusammenhang mit dem Nationalrat.

Es ist mein Wunsch, daß dieser Kongreß wieder eine weitere Etappe bilde zur Verwirklichung der heiligen Lehre Bahá’u’lláhs. Gesegnet sei uns die Stunde! Allah’o’Abhá!


Morgenfeier am Sonntag, 23. Mai, vormittags 11 Uhr.

Verlesung eines Gebets von 'Abdu'l-Bahá.

Fräulein Stäbler singt darauf die Pfingstkantate von J. S. Bach, begleitet am Klavier von Herrn Tyssen.

Hierauf erfolgte die Gedenkrede für den hohen Festtag — den Geburtstag 'Abdu'l-Bahás und die Erklärung des Báb von Frau Alice Schwarz:

Liebe Schwestern und Brüder!

Es ist ein wundervolles Zusammentreffen, daß wir heute am Pfingstsonntag den Geburtstag unseres geliebten Herrn, 'Abdu'l-Bahá feiern dürfen und dies im großen Kreis Seiner Diener. Und nicht allein Ihn feiern wir, sondern gleichzeitig die Verkündigung Ali Mohammed’s El Báb. Auf den gleichen Tag im Jahre 1844, und fast zur gleichen Stunde, da 'Abdu'l-Bahá dieser Welt geschenkt wurde, trug sich dies historische Ereignis zu. — Wenn wir uns das Leben unseres großen Meisters vor Augen führen, in welch überragender Größe und doch zugleich unbeschreiblicher Schlichtheit Er vor uns stand, so wird auch Jesus Christus ganz lebendig in unserer Seele, so daß wir bekennen müssen: Es ist ein Reich unseres großen Vaters im Himmel und wieder wurde aus ihm durch des Erwählten Mund Sein Wunsch und Wille der Menschheit bekannt gegeben. Die Baháilehre ist die große Lehre der Einheit, sie lehrt die Einheit des Menschengeschlechts, sie lehrt die Zusammenfassung aller Religionen zu einem Gottesdienst für unseren allmächtigen Gott, sie lehrt uns aufs Neue die Gottes-Ehrfurcht und die Nächstenliebe, die Freundlichkeit, die Güte, die jede Stunde und jede Minute Gott der Herr uns erzeigt und die wir so häufig nicht gewahren, weil wir an Seinen Wundern und den Zeichen Seiner unerfaßbaren Größe mit geschlossenen Herzenstüren vorübergehen. Damit sich unsere Herzen wieder [Seite 68] öffnen und unser geistiges Ohr sich schärfe, hat Gott uns Seinen Gesandten Bahá’u’lláh und dessen Sohn 'Abdu'l-Bahá gesandt. Er hat uns diese große Gnade widerfahren lassen, damit wir, die wir in dieser bedeutungsvollen Zeit auf Erden wandeln dürfen, Seine Jünger seien.

Bahá’u’lláh und 'Abdu'l-Bahá haben die Lehre Christi in einem neuen Licht und in klarsten Richtlinien gebracht. Christus sagte: „ich werde wiederkommen zur Rechten meines Vaters.“ Nicht die Persönlichkeit Jesus Christus ist wiedergekommen, sondern der Geist Gottes sprach aus ihnen, der zu allen Zeiten das wirklich Bestehende gewesen ist, und der durch alle Gottesgesandten, durch Moses, Christus, Mohammed, Buddah und andere zu den Menschen gesprochen hat. Diese alle waren erfüllt vom heiligen Geist, überragend, schauend in die Vergangenheit und in ferne Zukunft zeitlich und doch ewig in ihrem Wort und ihrer Lehre. Von der Quintessenz dieser heiligen Lehren wird durch die Baháilehre kein Wort genommen und keine Verkleinerung geschieht an ihnen, im Gegenteil, sie erfahren durch sie eine so vollständige Erfüllung, daß wir Glück über Glück empfinden müssen, daß die Baháilehre die Bekenntnisse aller Völker vereint und alle Menschen zu Brüdern macht.

So stehen wir denn im Beginn eines neuen Zeitalters, des Zeitalters der Einheit!

„Laßt die Menschheit eine Brudergemeinde in Frieden und Liebe sein und begrüßt euch über alle Grenzen hinweg als Geschöpfe seelisch belebt durch Gott!“ 'Abdu'l-Bahá hat einst in diesem Saal zu uns gesprochen. Der Tod brauchte Sein Gedächtnis nicht zu verklären, denn Er war durch all Sein Leben hindurch — ein vollkommener Mensch und eine Widerstrahlung des göttlichen Lichts und trotz Seiner Stufe wie schlicht u. einfach stand Er vor uns! Alle Ehrenbezeugungen lehnte Er ab.“ Und wieder sagte Er: „Seht nicht auf die Lampe, sondern auf das Licht, das durch die Lampe leuchtet!“ Dies Licht wird leuchten in allen Jahrhunderten der kommenden Zeiten. Ganz abgesehen davon, ob wir wissen oder nicht wissen von dem neuen Licht, das eine ist doch klar, daß ein grenzenloser Umsturz, eine ausgesprochene Umwandlung sich auf jedem Gebiet vollzieht, und dies wird immer mehr erscheinen, je stärker der Geist Bahá’u’lláhs über die Welt hinziehen wird mit dem neuen Wort: „Es werde!“

Mit welcher Schlichtheit und Natürlichkeit, aber auch mit welcher Innigkeit hat Er in der Synagoge zu San Francisco, hat Er in den verschiedenen Moscheen und Kirchen im Orient und in Amerika zu den Menschen gesprochen! Ein Zug der größten, selbstlosesten Menschenliebe geht durch Seine Worte, Die Menschen waren vor Ihm wie Blumen, die sich vor den Strahlen der Sonne öffnen. Ihre Herzen empfanden Seine große Liebe, und dieser Liebe gaben sie sich hin. Stellen wir uns deutlich und klar vor Augen, was es heißt, daß uns eine neue Gnade zuteil wurde, daß eine Gabe ohne gleichen der Welt geschenkt ist, so werden wir in demütiger Dankbarkeit heute des Meisters gedenken und in demütiger Dankbarkeit den Segen unseres Herrn auf uns herabbitten, daß auch heute ein Pfingstfest in unserer Seele sei, und daß wir unwürdige Diener einmal Seine wahren Jünger werden dürfen.

Es ist eine große und beglückende Freude für uns, daß wir dies Fest zugleich mit einem Kongreß in Deutschland feiern dürfen, und wir möchten nur von ganzer Seele wünschen, daß in Jahren oder sei es in Jahrzehnten viele tausend Menschen diesen Kongreß besuchen und der Gnade des Herrn teilhaftig sein dürfen.

Was wir von Bahá’u’lláh und 'Abdu'l-Bahá an Büchern und Schriften besitzen, birgt eine so ungeheure Fülle und ist für künftige Zeiten so groß, daß wir hoffen dürfen, daß aus den gegenwärtigen traurigen Zeiten eine schöne, beglückende Zukunft erstehen wird. Dazu aber muß jeder von uns seinen Posten mit Pflichterfüllung und Verantwortungsgefühl ausfüllen, in jedem Beruf; in jedem Tagewerk müssen wir im Geiste des Meisters handeln, in aufrichtiger Gewissenhaftigkeit und Treue. Was das Wort Treue bedeutet, erfahren wir am besten durch das Leben 'Abdu'l-Bahás. Aus den Büchern von Phelps und Dr. Esslemont sehen wir, daß das Leben des Báb, Bahá’u’lláhs und 'Abdu'l-Bahás eine Kette von ungeheuer schweren Erlebnissen gewesen ist, von Prüfungen, die von uns kurzsichtigen Menschen über sie gekommen sind. Aber so ist es jedem Gottesgesandten ergangen. Immer hat sich die Menschheit gegen das Wort Gottes aus Menschenmund widersetzt, da sie die wunderbare Wahrheit nicht erkennen konnten. So wie Jesus Christus in höchster Treue sein Leben für seine Berufung beschlossen hat, so hat auch Bahá’u’lláh und 'Abdu'l-Bahá bis zum letzten Atemzug das bitterste Leid gekostet. Wie leicht wäre es 'Abdu'l-Bahá gefallen, nach der Kerkerhaft von 40 Jahren sich der Sonne, der Blumen zu erfreuen! Aber dann erst hat Er den schwersten Teil seines Lebens auf sich genommen. Er ging in die Welt hinaus, machte die anstrengendsten Reisen und sprach das Wort, das Ihm gegeben war. Und wenn wir heute in unserem Herzen nicht die leuchtende Dankbarkeit empfinden für Seine Treue, für Seine Liebe, dann sind wir zu den Toten zu rechnen.

Geliebte Geschwister, lassen wir den Tag nicht vorübergehen, ohne uns in innigster Vertiefung die Wirklichkeit klargemacht zu haben, was die [Seite 69] Gottesoffenbarung bedeutet! Oeffnen wir unsere Herzen weit, wenden wir unsere Seele dem Licht entgegen, dann wird dies Pfingstfest eine beglückende Kraft für uns alle bedeuten. Sofern wir uns reinen Herzens dem Thron des Herrn nahen, erhalten wir die Kraft verliehen, segensreich in Seiner Arbeit tätig zu sein.

Mit dem Beschützer der heiligen Lehre — Shoghi Effendi — dem Enkelsohn unseres Meisters, wollen wir uns gemeinsam in den Dienst der heiligen Sache stellen. Ihm ist eine ungeheure organisatorische Arbeit auferlegt, nachdem die Gottesverkündigung mit unseres Meisters Heimkehr beendet war; zu ihm kommen aus der ganzen Welt Briefe und Anfragen, die er zu entscheiden hat.

Der Geistige Nationalrat, der auf Wunsch unseres geliebten Meisters für jedes Land von Shoghi Effendi eingesetzt worden ist, wendet seine ganze Kraft auf, um das Richtige zu finden, was der hl. Sache dienlich ist. Mit größtem Verantwortungsgefühl und mit Ablegung des eigenen Selbst seien wir bemüht, gemeinsamen Menschheitsdienst zu erfüllen. Es soll keine Spur eines Schattens über uns sein. Nichts soll zwischen uns stehen als reines Vertrauen, sonst sind wir des Vertrauens nicht würdig, das 'Abdu'l-Bahá in uns gesetzt hat. Er hat gesagt: „Ich vertraue euch, daß durch euch in Deutschland der heilige Baum Wurzel schlage.“

Weiter und weiter wollen wir uns zu dem emporentwickeln, wozu uns der Allmächtige schuf. Wir wollen unserem Vater das anvertraute Pfand in Seine heiligen Hände zurücklegen, Ihm, vor Dessen Herrlichkeit wir geblendet stehen, den wir zu erkennen glauben und doch nur den Saum Seines Gewandes gestreift haben.


Hierauf sprach Wilhelm Herrigel:

Geliebte Freunde!

Zunächst habe ich das Vergnügen, Ihnen recht herzliche Grüße von unserem Hüter Shoghi Effendi zu bestellen, von dem heute ein Brief angekommen ist für Frau Hasler-Kobler, Zürich, die dort die Sache sehr eifrig pflegt, und mich. Er läßt alle lieben Freunde recht herzlich grüßen. Ferner ist eine Karte von Freund Emil Jörn, Warnemünde, angekommen mit herzlichsten Glückwünschen zum heutigen Tage.

Nachdem meine liebe Vorrednerin, Frau Konsul Schwarz, so warmen Herzens über 'Abdu'l-Bahá und sein Wirken gesprochen hat, will ich mir gestatten, noch eine kurze Rede hinzuzufügen, die sich auf den heiligen Geist und seine Wirkung beziehen soll.

O heiliger Geist, kehr’ bei uns ein

Und laß uns deine Wohnung sein,

O komm, du Herzenssonne!

Du Himmelslicht, laß deinen Schein

Bei uns und in uns kräftig sein

Zu steter Freud und Wonne!

Sonne, Wonne, Himmlisch Leben

Willst du geben, wenn wir beten;

Zu dir kommen wir getreten.


Victor Blüthgen sagt in seinem Gedicht „Pfingstgedanken":

„Wo weilst du, der die Menschheit benedeit,

Daß sie vereint ans Ewige gebunden?

Der Geist der Lüge schlug ans Kreuz die Zeit,

Noch blickt sie her, im Haupt voll Blut u. Wunden,

Noch ist die Welterlösung nicht vollbracht,

Die zu der Hölle schleudert die Dämonen,

Daß nur der Weg zum Himmel frei gemacht.

Komm, heil’ger Geist — die Orgel singt so schön

Zweitausend Jahr hast du der Welt gepredigt:

Nur Hand in Hand geht’s zu der Menschheit Höh’n —,

Und nimmer ist die Sendung scheint’s erledigt.

Weltpfingsten, holder Traum, da unbezirkt

Die Völker sich zum Bruderpfande fanden,

Der Himmel neu das alte Wunder wirkt,

Daß sie in allen Sprachen sich verstanden.

Und eine Stimme spricht: Ich bin dir nah!

Das Wunder kommt, nach Tagen — guten, bösen.

Es braucht mehr als ein einzig Golgatha;

Die Welt ist nicht auf einmal zu erlösen.

Nach jedem Winter gibt’s ein Frühlingswehn,

Und immer schöner, reicher wird die Erde!

Kein Ostern ohne Tod und Auferstehen -

Auch dieser Weltkampf ist ein: Stirb und werde!


Wie wunderbar hat uns unser geliebter Meister 'Abdu'l-Bahá die Stellung des heiligen Geistes erklärt, die er in der Tat einnimmt und die eine ganz verschiedene ist von der Auffassung, die in der christlichen Kirche herrscht. Die Bahailehre weicht grundsätzlich von der kirchlichen Auffassung ab, daß Gott dreieinig sei. Auch Goethe sagt bereits, er könne es nicht verstehen, daß drei eins und daß eins drei sein sollen. 'Abdu'l-Bahá vergleicht die Gottheit mit der Sonne. Wie die Sonne ihre Strahlen zu uns herabsendet, um allem Licht und Leben zu geben, so sendet Gott als himmlische Sonne Seine Strahlen zu uns herab, und diese Strahlen sind der heilige Geist. So wie die Strahlen der materiellen Sonne nicht die Sonne selbst sind, so ist auch der heilige Geist nicht die Gottheit selbst. 'Abdu'l-Bahá sagt weiter: „Wenn wir der materiellen Sonne einen reinen, feingeschliffenen Spiegel entgegenstellen, so wird dieser Spiegel die Sonne am Firmament in ihrer Klarheit und Schönheit wiederspiegeln, ja selbst ihre Wärme, ihre Hitze, wird uns von diesem Spiegel entgegengestrahlt. So war auch jeder Gottgesandte ein feingeschliffener, reiner Spiegel, der uns die Gottheit widerspiegelte.“ Jeder von [Seite 70] uns — sagt Er — soll ein reiner Spiegel werden, durch den sich der heilige Geist gleich den Sonnenstrahlen widerspiegeln könne. Bahá’u’lláh ist so ein wunderbarer Spiegel gewesen, der uns Gott in einer Klarheit und Reinheit widerspiegelte, wie es nur durch die früheren Gottesgesandten geschehen ist. Ja, noch stärker konnte Er die Gottheit widerspiegeln, weil die Menschen durch die Lehren der früheren Gottesgesandten vorangekommen sind und vorbereitet waren, mehr zu empfangen und mehr in sich aufzunehmen, als es z. B. zu Christi Zeiten der Fall war. Christus selbst sagte zu seinen Jüngern: „Ich hätte euch noch vieles zu sagen, aber ihr könnt es jetzt noch nicht tragen!“. Wie wunderbar hat auch 'Abdu'l-Bahá diese göttliche Sonne widergespiegelt! Wer reinen und suchenden Herzens in Seine Nähe kam, auf den wirkte der Reflex dieser Widerspiegelung derart stark, daß er glaubte, nicht mehr auf dieser Erde zu sein, sondern in ein himmlisches Reich entrückt zu sein. Aber es kamen auch einige zu Ihm, die mit verschlossener Herzenstüre vor Ihm standen und ihren Spiegel nicht gereinigt hatten. Von diesen sagt 'Abdu'l-Bahá: „Ein Stein wird die Sonne nur sehr schlecht widerspiegeln können!“ Diese haben nichts empfunden von der wunderbaren Fülle des Geistes, die durch Seinen Spiegel auf uns herableuchtete.

Wie aber können wir unsern Herzensspiegel reinigen, daß auch er imstande ist, diesen heiligen Geist widerzuspiegeln? Wir können die heiligen Lehren der Bibel, die Worte Bahá’u’lláhs täglich studieren, wir können sie auswendig lernen, und doch werden wir nicht auf diese Stufe gelangen, wenn wir nicht wirklich und wahrhaftig beten lernen und uns in eine Stellung zu Gott begeben, in der wir willig unser ganzes Ich in den Hintergrund stellen und aus aufrichtigem Herzen zu Gott beten. Es genügt nicht immer, meine lieben Freunde, ein Gebet aus dem Buch zu lesen, sondern wir müssen dahinkommen, daß unser Herz zu Gott schreit und sich danach sehnt, mit ihm in innige Verbindung zu kommen. Erst dann werden wir unsern Spiegel blank bekommen, erst dann wird die Fülle des heiligen Geistes über uns kommen. Diesen Rat möchte ich allen denen geben, die Lust und Liebe haben, an der hl. Sache zu arbeiten. Wir können uns bemühen Lehrer auszubilden, so viel wir wollen, es wird uns nicht gelingen, rechte Lehrer zu bekommen, wenn sie sich nicht in dieser Weise zu Gott wenden und den Spiegel ihres Herzens vor Gott reinigen. Wohl können wir daran arbeiten und unsere Erfahrungen kundgeben, um jüngere Kräfte heranzuziehen, aber die müssen auch die Erfahrungen beherzigen und annehmen, andernfalls wird es unmöglich sein, ein wirklicher Lehrer zu werden.

Wenn Victor Blüthgen in seinen „Pfingstgedanken‘ sagt:

„Es braucht mehr als ein einzig Golgatha;

Die Welt ist nicht auf einmal zu erlösen‘“,

so dürfen wir sagen, daß es mehr als ein Golgatha war, was Bahá’u’lláh und 'Abdu'l-Bahá durchgemacht haben. Um dies zu erkennen, brauchen wir uns nur in ihre Lebensgeschichte zu vertiefen. Es ist leichter, ein Golgatha von drei oder zehn Stunden durchleben zu müssen als ein ganzes Leben hindurch dies Elend der Welt auf sich zu nehmen. Der schwerste Kerker und die härteste Verfolgung war ihnen beschieden. Und dabei sagte Bahá’u’lláh noch: „Nicht Mein Gefängnis und die Leiden, die Ich in ihm zu erdulden habe, sind mein Kummer, sondern die Taten derer, die sich Meine Freunde nennen und in ihren Taten dem Satan dienen“. Das ist Sein größtes Golgatha gewesen und unser Herz möchte bluten, wenn wir diese Stelle lesen. Das gleiche hat auch 'Abdu'l-Bahá durchgemacht. Wie mancher Schrei ist aus Seinem Herzen gekommen, weil Er wußte, daß Seine Freunde nicht das in ihren Taten zeigten, was ihr Mund sagte. Aber wir wollen uns aufmachen und den Weg betreten, der uns dahinführt, daß wir wirklich imstande sind, den heiligen Geist durch unser ganzes Wesen widerzustrahlen. Er sucht Einlaß in jedes Menschenherz zu jeder Stunde, in jedem Augenblick, nur Öffnen müssen wir uns ihm. Jeder einzelne von uns, der an der Sache ernstlich arbeitet, muß ebenfalls eines solchen Golgathas gewärtig sein, und wir sollen uns freuen, wenn wir um dieser Sache willen Schwierigkeiten über uns ergehen lassen dürfen. Es ist manchmal schwer, dies auf uns zu nehmen, aber auch Christus hat gesagt: „Selig sind, die Verfolgung leiden um der Gerechtigkeit willen, denn ihrer ist das Himmelreich.“ Niemand lasse sich abhalten, vorwärtszustreben. Keine Furcht sollen wir haben vor dem, was kommen mag, denn es steht auch geschrieben: „Wie Eure Tage, so wird auch Eure Kraft sein!“ Die Wahrheit dieser Worte wird jeder empfinden dürfen, der sich ernstlich in dieser Weise auf das Kommen des heiligen Geistes eingestellt hat. — 'Abdu'l-Bahá sagt, daß wir alle getauft werden müssen mit dem Wasser der Erkenntnis Gottes, mit dem Feuer der Liebe Gottes und mit dem Heiligen Geist. Wer diese Taufe erlangt hat, der wird ein wahrer Lehrer der hl. Gottessache sein. Wenn er reden muß, wird er sich nicht darum sorgen brauchen, wie und was er reden soll, denn es wird ihm, wie Christus sagt, zur selben Stunde gegeben werden. Möge Gott heute ein solches Pfingsten auf uns herabkommen lassen, möge Er uns taufen mit Seinem Heiligen Geist, damit wir alle würdige und erfolgreicher Diener an Seiner hl. Sache werden. [Seite 71]


Die Ziele und bisherigen Wirkungen der Baháilehre.

Öffentlicher Vortrag von Wilhelm Herrigel beim Bahái-Kongreß am 23. Mai 1926 im Oberen Museum-Stuttgart.

Meine sehr verehrten Anwesenden und lieben Freunde!

Wir haben uns hier heute abend zusammengefunden, um zunächst etwas über die Ziele der Bahaibewegung und über ihre bisherigen Erfolge in der ganzen Welt zu hören. Manchem mag von der Bahailehre noch nichts oder wenig bekannt sein, manche mögen noch Vorurteile in ihrem Herzen tragen gegen eine neue Lehre. Es war aber immer so, so oft ein Gottgesandter in die Welt kam, so oft brachte seine Lehre einen neuen Namen, jedoch der Name selbst tut nichts zur Sache. Ich bin dessen gewiß, daß unsern Vorfahren in Deutschland bei Einführung des Christentums der Name Christ und Christus genau so unbekannt war, wie Ihnen heute der Name Bahai oder Bahá’u’lláh, der Name des Gründers und Stifters dieser Lehre. Aber diese Namen sind nebensächlich. Wir müssen uns immer mehr daran gewöhnen, von den äußeren Dingen abzusehen und auf den inneren, wahren Gehalt einer Lehre zu blicken. Durch Vorurteile werden wir oft von dem Besten abgehalten. Aber wir müssen uns freimachen von Vorurteilen und unsere Herzen öffnen für das Hohe, Gute, Schöne, für das, was die Menschheit auf eine höhere Stufe zu führen imstande ist, was ein neues Leben einführt, neue Gedanken, neue Ideale bringt, ohne die alten guten Gedanken zu verwischen, sondern daran anknüpft. Jeder Gottgesandte hat dies noch immer getan. Christus brachte seinerzeit den Menschen mehr, viel mehr als Mose, und dennoch verwies er immer wieder auf das, was Mose gebracht hatte. Er führte das angefangene Werk weiter und höher, und er verhieß, daß die Zeit kommen werde, in der es nur noch eine Herde und ein Hirte sein werde. Er wußte auch ganz genau, daß sein Zeitalter noch nicht das Zeitalter sein werde, in dem die Menschheit das Höchste, was ihr gegeben werden kann und von Gott für sie vorbereitet ist, zu verstehen imstande gewesen wäre. Das geht ganz deutlich aus seinen eigenen Worten hervor: „Ich hätte euch noch vieles zu sagen, aber ihr könnt es jetzt noch nicht tragen. Wenn aber jener, der Geist der Wahrheit kommt, der wird euch in alle Wahrheit leiten, denn er wird nicht von sich selbst reden, sondern was er hören wird, das wird er reden und was zukünftig ist, das wird er euch verkündigen. Derselbe wird mich verklären.“ Man hat uns in der Christenheit gelehrt, daß dieser Geist der Wahrheit, von dem Christus gesprochen hat, zu den ersten Christen gekommen sei am Pfingsttage, den wir heute in der ganzen Christenheit feiern. Aber glauben wir, daß die Jünger Christi imstande gewesen wären, was sie 50 Tage vor dem Pfingstfest noch nicht verstehen konnten, dies alles 50 Tage später zu verstehen? Das ist für unsere Zeit vorbehalten, und wenn wir jetzt unsere Augen und Ohren verschließen wollen gegen diese erhabene Lehre, wie sie die Welt noch nicht gesehen hat, so universal und groß, um alles Elend aus der Welt zu schaffen, wenn wir uns dazu nicht entschließen können, dann geht die Menschheit ihrem Abgrund entgegen. Schauen wir uns um! Was geht in der Welt vor? Ueberall sehen wir politischen Haß, Eifersucht, Ländergier und Blutvergießen, und mit welchen furchtbaren Mitteln werden heute Kriege geführt! Man weiß ja gar keinen Weg mehr, um aus dem Labyrinth von Elend herauszukommen. Regierung um Regierung wird gestürzt und keine geht den Weg, der uns so wunderbar gegeben ist von Gott durch seinen Gottgesandten Bahá’u’lláh.

Was bringt uns die Bahailehre? Sie bringt uns die Wahrheit im neuen Gewand, die eine Wahrheit, die schon immer da war. Aber sie bringt noch dazu das, was unsere Zeit am allernotwendigsten gebraucht, um die Menschheit auf die Stufe zu führen, auf der sie glücklich werden kann. Sie strebt in erster Linie an, alle Religionen der Welt zu vereinigen, Gehässigkeiten, Trennungen und Spaltungen zwischen den Religionen aufzuheben und alle Menschen zu lehren, daß sie die Kinder eines Vaters sind. Der Stifter dieser erhabenen Lehre, Bahá’u’lláh, drückt dies so wunderschön mit den Worten aus: „Ihr seid alle die Früchte eines Baumes und die Blätter eines Zweiges!" Warum diese Unterschiede selbst im Höchsten, was der Menschheit gegeben ist, in der Religion? Dies kommt daher, daß zu den verschiedenen Zeiten jedem Volk in der Welt ein anderer Gottgesandter geschickt wurde. Irgendeiner aus ihrer Mitte war auserwählt zu dem Werkzeug, durch das Gott sich an die Menschheit wandte, und wodurch sie das erhielt, was für sie zu ihrer Zeit am notwendigsten war. Da — wie wir wissen — die Menschen in ihrem Auffassungsvermögen so grundverschieden sind und die Vorstufen ihrer Ausbildung so sehr voneinander abweichen, sandte Gott den einzelnen Völkern immer wieder einen aus ihrer Mitte, der ihnen sein Wort in einem solchen Gewande brachte, daß sie es recht verstehen und auffassen konnten. Jedem Volk wurde ein solcher Lehrer gegeben. Aber immer sagten die verschiedenen Völker: „Die Lehren der andern sind vom Teufel“, weil sie in ihren Aeußerlichkeiten anders sind als ihre eigene. Jedoch [Seite 72] der Kern, die Wahrheit ist immer dieselbe gewesen, ohne die Beiwerke, die für die einzelnen Völker vielleicht notwendig waren, damit sie die Wahrheit besser verstehen und annehmen konnten. Wir können durchaus nicht sagen, daß alle diese Beiwerke, die ihnen gegeben wurden, falsch waren, denn sie waren für ihre Zeit notwendig. Nach und nach wurden aber diese Beiwerke, diese Aeußerlichkeiten von den Menschen als Hauptsachen angesehen, und sie vergaßen darüber das Wichtige, den inneren Kern der Religion. Darum kam immer wieder ein anderer Gottgesandter, der die Aeußerlichkeiten wieder aufhob, so daß die Menschen nicht weiter verflachten, sondern innerlich bereichert wurden. So hat Christus die Juden seinerzeit gescholten um ihrer Aeußerlichkeiten willen. Er sagte: „Aeußerlich halten sie die Schüssel rein, inwendig aber ist sie voll Unrat.“ Und was brachte ihn ans Kreuz? Nicht unsere Sünden von heute, sondern die Sünden seiner Zeitgenossen, die die Aeußerlichkeiten für das höchste hielten und die Innerlichkeit verloren hatten. Als ich noch ein Knabe von 12 Jahren war, dachte ich über Christi Sterben nach und machte mir meine Gedanken. Ich fragte mich: „Was würde wohl heute unserem Herrn Jesus geschehen, wenn er wieder in die Welt kommen würde? Ob er wohl wieder gekreuzigt würde? Nein — dachte ich — er würde wohl nicht gekreuzigt werden, er würde vielleicht in ein Irrenhaus oder gar in ein Gefängnis kommen.“ Und tatsächlich, dieser Gottgesandte Bahá’u’lláh, was hatte er zu erdulden? 40 Jahre Gefängnis und Elend! Ich will über das Elend dieses Gottgesandten und seines Sohnes, 'Abdu'l-Bahá (Diener Gottes) nicht weiter sprechen, das wird Ihnen in dem anschließenden Lichtbildervortrag erläutert werden. Ich möchte Ihnen etwas über die Lehre sagen. Die Ziele der Bahailehre werden uns klar, wenn wir uns ihre 12 Grundprinzipien betrachten:

1. Die ganze Menschheit muß als Einheit betrachtet werden.

2. Alle Menschen sollen die Wahrheit selbständig und vorurteilslos erforschen.

Die Menschen sollen nicht blindlings den Lehren ihrer Eltern und Voreltern nachfolgen und sagen: „Darauf bin ich getauft, und dabei bleibe ich auch!“ Nein, der Mensch soll aufwachen und selbständig nach der Wahrheit forschen, und durch die Bahailehre wird er gelehrt werden, was Wahrheit ist. Jedem ernstlichen Sucher wird diese Frage beantwortet werden.

3. Alle Religionen haben eine gemeinsame Grundlage.

Dies finden wir nicht bei den bisherigen Religionen. Im Gegenteil, jede sagt: „Wir allein haben die richtige, und die andern, das sind Heiden“. Aber Bahá’u’lláh lehrt uns, daß alle Religionen der Welt eine gemeinsame Grundlage haben, und diese Grundlage sei die Wahrheit, und es gäbe nur eine Wahrheit, nicht viele. Das, was verschieden aussieht, das seien die Aeußerlichkeiten, die Zutaten seitens der Menschen.

4. Die Religion muß die Ursache der Einigkeit und Eintracht unter den Menschen sein.

Wir finden in der Kirchengeschichte, daß dies bisher nicht der Fall war, sondern bisher hat die Religion vielmehr die schwersten Kriege im Gefolge gehabt. Allein bei den Streitigkeiten zwischen Evangelischen und Katholiken haben mehr als 900000 Menschen ihr Leben hingegeben, ganz abgesehen von den furchtbaren Zwistigkeiten der andern großen Religionen der Welt, die zum Teil so scharf waren, daß sie einander oft ermordet haben, und sich mit Feuer und Schwert bekämpften. Dies ist aber niemals in den Lehren Christi oder der andern großen Religionsgründer enthalten gewesen.

5. Die Religion muß mit Wissenschaft und Vernunft in Uebereinstimmung sein.

Das stand bisher in keinem Religionsbuch. Was ist aber die Ursache, daß so viele der Besten unseres Volkes der Kirchenreligion den Rücken gekehrt haben? Die, die sich abwenden, sind meistens die in der Wissenschaft am weitesten Vorangeschrittenen. Warum geschieht dies? Weil sie mit dem dogmatischen Kirchenglauben ihre Wissenschaft, die sie als wahr erkannt haben, nicht in Verbindung bringen können. Sie wollen und können sich nicht von Dogmen, von Formeln tyrannisieren lassen. Man hat kurzerhand den Stab darüber gebrochen und hat gesagt, sie seien Atheisten. Ich habe aber Gelegenheit gehabt, mit manchen zu reden und habe gefunden, daß sie absolut keine Gottesleugner sind, sondern daß sie in ihrem Herzen eine tiefe Frömmigkeit haben, die oft schöner und reiner ist als die derer, die sich an die Dogmatik klammern und darüber oft das Innere und Heilige vergessen. Wenn aber die Wissenschaftler die Schriften der Bahailehre richtig studieren, so sagen sie: „Eine solche Religion können wir unterschreiben und annehmen.“ Denn es ist ein großer Unterschied zwischen dogmatischem Kirchenglauben und wahrer Religion.

6. Mann und Frau haben gleiche Rechte.

Dies stand noch in keinem der Religionsbücher der Welt zuvor, und wie notwendig ist dies Prinzip doch gerade für unsere Zeit! Man wird sagen: Das haben wir ja schon! Aber denken wir einmal darüber nach, daß Bahá’u’lláh diese Lehre vor mehr als 60 Jahren gegeben hat, und was war damals bekannt von gleichen Rechten zwischen Mann und Frau?

7. Vorurteile jeglicher Art müssen abgelegt werden.

[Seite 73] Ueber die Bedeutung dieses Prinzips habe ich bereits im Anfang meines heutigen Vortrags gesprochen.

8. Der Weltfriede muß verwirklicht werden.

Dies Kriegführen, dies menschenunwürdige Blutvergießen kann nicht mehr so weitergehen! Wenn jetzt noch einmal ein Weltkrieg ausbrechen sollte, dann bedeutet es den Untergang der Menschheit! Mit den grausamen Zerstörungsmitteln, die heute in den chemischen Laboratorien hergestellt werden, gibt es kein Kämpfen mehr von Mann zu Mann, da gibt es nur noch ein grausames, schamloses Vernichten ganzer Städte, ganzer Landstreifen ohne Rücksicht auf Frauen, Kinder und Greise. Wird aber die Bahailehre angenommen und betätigt und ihre Organisation über die ganze Welt verbreitet, dann wird der Krieg völlig aus der Welt geschafft.

9. Beide Geschlechter sollen die beste geistige und sittliche Bildung und Erziehung genießen.

Dies ist eins der ernstesten Gebote Bahá’u’lláhs, denn Bahá’u’lláh sagt: „Die Mutter ist die erste Erzieherin ihres Kindes, und wenn sie nicht entsprechend vorbereitet ist, kann sie auch ihrem Kinde keine gute Grunderziehung angedeihen lassen. Bei Gott — sagt Bahá’u’lláh gibt es keinen Unterschied der Geschlechter, bei ihm sind alle gleich.“ Auch diese Lehre haben wir bisher noch in keinem Religionsbuch gefunden.

10. Die sozialen Fragen müssen gelöst werden.

In keinem der verschiedenen Religionsbücher der Welt ist der sozialen Frage ein solches Maß von Wichtigkeit beigelegt, wie in der Bahailehre, und es ist auch hier wie bei dem Weltfrieden, daß, wenn die Bahailehre angenommen wird, die Armut und das Elend aus der Welt geschafft ist. — Es ist mir unmöglich, in diesem kurzen Vortrag näher auf dies alles einzugehen. Ich verweise daher auf die Donnerstagabendversammlungen im hiesigen Bürgermuseum, in denen auch Fragen gestellt werden können.

11. Es muß eine Einheitssprache und Einheitsschrift eingeführt werden.

Um die Verbreitung dieser großen Lehre zu erleichtern, hat Bahá’u’lláh dies angeordnet. Die Menschen auf der ganzen Welt sollen imstande sein sich zu verständigen, sie sollen nicht ihre eigene Muttersprache aufgeben, aber mit der Einheitssprache sollen sie imstande sein, sich mit allen Menschen der verschiedensten Länder zu verständigen, damit Streitigkeiten, wie sie so oft durch Mißverständnisse im Sprachengewirr verursacht werden, nicht mehr vorkommen sollen.

12. Zur Schlichtung internationaler Streitigkeiten muß ein Weltschiedsgerichtshof eingesetzt werden.

Dieser Weltschiedsgerichtshof ist nicht gemeint etwa wie der Weltschiedsgerichtshof im Haag oder wie man heute davon spricht im Völkerbund. Wir wollen aber diese Bestrebungen durchaus nicht tadeln, sondern wir wollen uns freuen, daß der Geist Bahá’u’lláhs auf der ganzen Welt wirkt, daß alle Bestrebungen vorhanden sind, die helfen, das eine oder andere dieser Prinzipien zur Durchführung zu bringen.

Um dies große Werk in der Welt vollbringen zu können, muß man zunächst zugestehen, daß es bei dem heutigen Zustand der Menschheit einen weiten Weg erfordern würde, wenn wir, die wir bewußt an der Sache arbeiten, dies allein zustandebringen müßten. Dadurch aber, daß wir für jedes einzelne dieser Prinzipien auf der ganzen Welt Mitarbeiter haben, die unbewußt an den großen Zielen der Bahailehre arbeiten, wissen wir, daß wir in ernsthafter Bestrebung die hohen Ziele durchsetzen werden. Die Bahailehre bringt z. B. das Gebot der Einheitssprache. Es ist nicht damit gesagt, daß wir unsere Muttersprache aufgeben sollen, aber zum internationalen Verkehr soll diese Einheitssprache in den Schulen der ganzen Welt gelehrt werden, während jedes Volk seine Muttersprache in seinem Lande weiter sprechen kann. Dies Gebot wurde von Bahá’u’lláh im Jahre 1868 in die Welt hinausgegeben. Anfang der 70er Jahre hat Pfarrer Schleyer das Volapük, eine Weltsprache geschaffen, ohne daß er je von Bahá’u’lláh gehört hat. Es kam nicht zum Durchbruch mit dieser Sprache. Später trat Dr. Zamenhof in Warschau auf und gründete das Esperanto, das heute einen Siegeslauf über die Welt nimmt. Es ist interessant, einem solchen Weltkongreß der Esperantisten beizuwohnen. Ich hatte 1923 hierzu in Nürnberg Gelegenheit, und es machte einen großen Eindruck auf mich, Menschen der verschiedensten Völker gemeinsam Lieder zum Lobe dieser Einheitssprache singen zu hören. Diese Weltsprachenbewegung ist eine bedeutende Wegbahnung für die Lehre Bahá’u’lláhs. Der Geist Bahá’u’lláhs wirkt gleich drahtlosen Telegraphiewellen oder gleich den Wellen des Radio, und wo irgendwo ein Menschenherz dafür abgestimmt ist, um diese Wellen zu empfangen, da wird es durch Gottes Macht dazu veranlaßt, etwas ins Leben zu rufen, um das eine oder das andere dieser Prinzipien zur Durchführung zu bringen. So haben wir auch die Friedensgesellschaft in der Welt, die nicht weiter zurückdatiert als bis zur Mitte des vorigen Jahrhunderts. Wohl haben schon Philosophen wie Kant es in ihren Werken geschrieben, aber praktisch betätigt wurde es erst im Zeitalter Bahá’u’lláhs. So ist es auch mit der Frauenbewegung und vielem anderen.

[Seite 74] Die Bahailehre hat ihren Ausgang genommen in einem Lande, das wir oft mit Geringschätzung betrachtet haben, Persien. So, wie zu Christi Zeiten gesagt wurde: „Was kann von Nazareth Gutes kommen?“, sagt man heute: „Wozu brauchen wir diesen Persernamen” Haben wir ein Recht, wir armen Menschenkinder, unserem allmächtigen Schöpfer vorzuschreiben, aus welchem Land er jene zu Seinen Lampen wählen soll, durch die Er Sein Licht über die Menschheit ausgießen will? Haben wir ein Recht zu sagen: „Wir haben diese Lampe in Jesus, wir brauchen keine Lampe mehr?“ Das, was in Jesus als der Christus wirkte, den als erster Petrus in ihm entdeckt hat, das ist jenes Element aus Gott geboren, das ist der Geist Gottes, der in der Person Jesu, der reinen feingeschliffenen Lampe leuchtete. Derselbe Geist Christi hat schon von alters her durch die Propheten gesprochen, wie es deutlich aus den Worten in 1. Petri, 1. Vers 11 hervorgeht. Aber die Menschen haben sehr gern die Lampen angebetet und das Licht oft nicht wahrgenommen, sonst müßten wir andere Zustände in der Welt haben, zum mindesten in christlichen Ländern! Sollte man es für möglich halten, daß in Europa, das doch in der Hauptsache von Christen bewohnt wird, ein solcher Krieg ausgefochten werden konnte? Heißt das Christi Gebot erfüllen? Sind das seine Nachfolger? Wir sind weit von Christi Wegen abgewichen und haben darum gerade heute zum mindesten die Erneuerung seiner Lehre nötiger als je.

Hier in der Bahaiwelt sehen wir, wie diese Sache sich in kurzer Zeit ausgebreitet hat. In der ganzen Welt fallen ihr Anhänger zu, nicht in großen Massen, sondern in kleinen Gruppen, die sich aber stetig vergrößern. 20000 Märtyrer haben in Persien ihr Leben für die Bahaisache hingegeben. Eine Sache, die mit so viel Blut besiegelt ist, der so viele freiwillige Opfer gebracht wurden, wird niemals untergehen. Trotz des ungeheuren Elends, das über die ersten Anhänger dieser Lehre und über den Gottgesandten selbst gekommen ist, hat sich der Kreis der Nachfolger Bahá’u’lláhs mehr und mehr erweitert gleich den Ringen im Wasser, wenn ein Stein hineingeworfen wird. Der Ring erweitert sich fast bis ins Unendliche hinaus. So ist es auch hier gegangen. Als im Anfang in Persien so viele Helden des Glaubens ihr Leben hingegeben hatten, glaubte man, die Bewegung ausgerottet zu haben, aber heute finden wir, daß in Persien mindestens ein Drittel der Bevölkerung Bahai geworden ist. Und von Freunden, die uns aus Persien besuchten, hörten wir, daß sie in Indien Bahaiversammlungen beigewohnt haben, die zu Tausenden zählen.

Gerade in Persien können wir beobachten, was für eine Bedeutung für die Entwicklung des Landes das 9. Prinzip der Bahailehre: „Beide Geschlechter sollen die beste geistige und sittliche Bildung und Erziehung genießen“ gehabt hat. Man ist erstaunt, wenn man sieht, daß in einem Lande, wo die Mädchen nicht lesen und schreiben lernen durften, Mädchenschulen gegründet wurden, in denen sie zu Hunderten ausgebildet werden. Ob arm oder reich, je nach ihrer Fähigkeit werden sie dort geschult und können es bis zur Universitätsreife bringen.

Das Merkmal, an dem wir die wahren Bahai auf der ganzen Welt erkennen können, ist die universale Liebe, in der sie miteinander verbunden sind und die sie betätigen. Hat Jesus Christus uns nicht gelehrt, daß es die Liehe sei, an der wir den wahren Gläubigen erkennen können? Hat er nicht gesagt: „Es werden nicht alle, die zu mir sagen, „Herr, Herr“ in das Himmelreich kommen, sondern die den Willen tun meines Vaters im Himmel?“ Hat er nicht ferner gesagt: „Ihr seid meine rechten Jünger, wenn Ihr Liehe untereinander habt?“ Wenn wir nun unter den Bahai diese brüderliche Liebe finden und wenn ihre Taten mit den Worten Christi übereinstimmen, muß man dann nicht sagen, daß dies mehr bedeutet, als die kirchlichen Riten und Zeremonien, die im allgemeinen als bestes Förderungsmittel zur ewigen Seligkeit angesehen werden?

Man hört von christlicher Seite leicht Einwendungen in Bezug auf die Versöhnungslehre, die sie in der Bahailehre vermissen. In dieser Hinsicht stellte mir einmal ein Stadtpfarrer die Frage: „Wie erklären Sie sich nun die Worte Jesu am Kreuze, als er zu dem Schächer sprach: „Heute wirst du mit mir im Paradiese sein!“? Ich antwortete ihm mit der Gegenfrage: „Haben wir Kenntnis davon, was das Vorleben dieses Schächers war? Nein. Es ist zehnmal für einmal anzunehmen, daß dieser Schächer, der bei Christus um Gnade flehte, eine gute und edle Mutter gehabt hat, die ihn in frommer Weise erzog. Ein unüberlegter Streich, zu dem er wahrscheinlich von andern verführt worden war, mag ihn ans Kreuz gebracht haben, denn es brauchte damals wohl nicht sehr viel, um ans Kreuz zu kommen. Vielleicht hat er in der letzten Nacht noch Buße getan. Hätte Christus dies nicht wahrgenommen, dann hätte er ihm auf die Bitte: „Herr, denke an mich, wenn du in Dein Reich kommst!“ nicht diese Antwort gegeben. Auf der andern Seite dürfen wir auch nicht annehmen, daß der Schächer im Himmelreich dieselbe Stufe einnahm wie Christus. Daß aber jene Stufe, die er einnahm, schon das Paradies war, das wissen wir bestimmt, und er wird sich auch auf jener Stufe schon glücklich gefühlt haben. Die Bahailehre lehrt uns, daß die Menschen so viel [Seite 75] Fortschritte machen können, wie sie wollen, aber die Stufe Christi werden sie nie erlangen.“ Der Theologe sagte mir: „Ich bin sehr befriedigt über Ihre Auskunft. Glauben Sie mir, daß ich nicht Ihre Lehre angreifen will. Ich glaube sogar selbst, daß Ihr Meister 'Abdu'l-Bahá ein großer Gottesmann war.“

Wenn ein Bahai nach Japan kommt, nach Amerika, nach Aegypten oder nach andern fernen Ländern, so wird er überall in den Bahai Brüder und Schwestern finden und in einer Harmonie mit ihnen leben, wie man sie im christlichen Leben vergebens sucht. Wenn die Bahai ernstlich versuchen, diese Lehre zu leben, dann leben sie in erster Linie das Leben eines Christen, und außerdem leben sie das Leben eines Bahai. Denn die Bahailehre ist die Krönung des Christentums, in ihr erfüllt sich die Prophezeiung Christi: „Es wird alsdann nur eine Herde und ein Hirte sein!“

Von Völkern, die auf einem tiefen Bildungsniveau stehend, jede Bibel, die ihnen in die Hand gedrückt wurde, verbrannten, hörten wir von Mrs. J. Stannard, daß sie, wenn sie zum Bahaiglauben gekommen waren, stets die Bibel auf ihrem Tisch liegen hatten, die sie sehr verehren. Durch die Bahailehre wird überall Christus mit eingeführt, sodaß sich das Apostelwort erfüllt: „Ihm werden sich alle Kniee beugen, im Himmel und auf Erden.“ Alle Bahai der Welt ehren und lieben Christus in einer Weise, daß sie viele Christen beschämen, es ist ihnen aber kein Unrecht, den neuen Gottgesandten zu lieben‚ denn diese sind nicht aufeinander eifersüchtig, sie sind hoch erhaben über das Denken eines gewöhnlichen Menschen. Von Christus heißt es, daß er mit seinen Jüngern auf die Spitze des Berges Tabor stieg und dort mit Mose und Elias zusammentraf. Die geistige Atmosphäre, die dort herrschte, muß eine wunderbar harmonische gewesen sein, denn Petrus sagte: „Herr, hier ist’s gut sein, lasset uns hier Hütten bauen!“ Diese Zusammenkunft hat für uns eine große Bedeutung, nämlich uns zu zeigen, daß unter diesen Gottgesandten eine absolute Einigkeit und Harmonie herrscht. Menschliche Eifersucht liegt ihnen durchaus fern. Jeder Gottgesandte weist auf den nächstfolgenden hin. Mose wies auf Christus hin und Christus auf Bahá’u’lláh. Aber er sagte: „Wenn des Menschen Sohn kommen wird, wird er auch Glauben finden unter den Menschen auf Erden?“ Die Christen im allgemeinen erwarten ihn kommend in den materiellen Wolken des Himmels. Dann aber müßten wir noch länger auf ihn warten, als die Juden bisher auf ihren Messias warteten. Christus sagte uns, des Menschen Sohn werde kommen wie ein Dieb in der Nacht, und der Dieb werde im Hause sein, ohne daß ihn der Hausvater merke. Das ist eine ganz andere Lesart als die, daß er in den materiellen Wolken kommen werde. Die Bahailehre sagt uns, daß diese Wolken die Wolken der geistigen Finsternis sind, die zur Zeit des Kommens des Gottgesandten in der Welt herrschen werde. Was als geistiges Licht in der Lampe Jesu auf die Menschheit geleuchtet hat, das ist in unserer Zeit wieder in einem neuen menschlichen Tempel unter einem neuen Namen erschienen. In der Offenbarung Joh. 3 Vers 12 lesen wir, daß er kommen werde unter einem neuen Namen. Darum warnt Christus im Matthäus 7 so eindringlich vor falschen Propheten, die kommen werden, und sich Christus nennen, denn er wußte, daß der wahre Prophet nicht mehr Christus heißen, sondern einen neuen Namen tragen werde. Es sind seither viele gekommen, die ihr Ich riesengroß geschrieben haben, und manche haben es freiweg gesagt, sie seien Christus, der Verheißene. Doch wohin ist ihre Herrlichkeit gekommen? Die Bahailehre aber feiert einen Triumphzug über die Welt. In Amerika schweigt die Presse sie nicht tot, wie es hier bei uns in Deutschland geschieht, sondern dort werden aus Vorträgen über die Bahailehre nicht nur Spalten, sondern ganze Seiten abgedruckt. Bei uns aber ist es bisher mit wenigen Ausnahmen so gewesen, daß man glaubt, der Menschheit den besten Dienst zu erweisen, wenn man die Lehre lächerlich macht. Aber die Presse sollte sich mehr zusammennehmen und bedenken, daß alle Artikel, die sie über die Lehre schreibt, in den Archiven der Bahaizentren gesammelt werden und einmal Zeugnis ablegen dafür, auf welchem Geistesniveau die Presse zu unserer Zeit gestanden hat. Viele Millionen Menschen aus allen Nationen und Völkern haben sich in der Bahailehre die Hand gegeben. Sie lieben Gott, sie lieben Christus, und sie lieben auch die andern Propheten, die in die Welt gekommen sind und den geistigen Aufstieg der Menschheit gefördert haben. Sie lieben Bahá’u’lláh als ihren großen Herrn und Meister, der ihnen den Weg weist, die Schäden unserer Zeit zu heilen, aber sie verehren Gott als Einheit, denn sie sind gelehrt, zu Gott zu beten und nicht die menschliche Persönlichkeit Bahá’u’lláhs anzubeten. In den „Verborgenen Worten“ werden Sie am Schluß eine Anzahl von Bahá’u’lláh selbst verfaßter Gebete finden, in der die Bahai gelehrt werden, zu dem einigen Gott zu beten.

Als 'Abdu'l-Bahá im Jahre 1913 in Stuttgart weilte, sprach er auch hier an dieser Stelle zu einer großen Versammlung. Auch im großen Saal des Bürgermuseums und ebendaselbst in unserem Versammlungslokal verkündigte er die frohe Botschaft vom gekommenen Königreich Gottes. In welcher Weise er diese Botschaft verkündigte, [Seite 76] ist am besten aus der Broschüre „Das neue Zeitalter“ Seite 5—7 zu ersehen, wo wir lesen: „Seid ihr euch dessen bewußt, in welch großer Zeit ihr lebt?.....

Zum Schluß möchte ich noch Ihr Augenmerk darauf richten, was sich seit dem Jahre 1844 ereignete. Blicken wir uns um in der Geschichte! Was für Erfindungen und Entdeckungen sind seit dem Beginn dieses neuen Zeitalters, seit 1844 gemacht worden! Gerade heute stehen wir in einem Stadium der Erfindungen, daß es unermeßlich und unausdenkbar erscheint, was, noch vor uns liegen mag. Hat man je derartiges in der Menschheitsgeschichte gefunden? Alle diese großen Erfindungen haben mit Ausnahme derer, die für Kriegszwecke Verwendung fanden, zur raschen Verbindung der Völker der Erde und zur schnellen Verbreitung dieser großen Lehre gedient. Heute sind wir schon beim Radio angekommen, und von verschiedenen Punkten der Erde sind durch Radio Bahaivorträge in die Welt hinausgesandt worden. Auch von Stuttgart aus sind solche Vorträge hinausgegangen, auf die wir selbst von Königsberg Anfragen erhielten. Es ist nicht unsere Absicht, durch solche Vorträge die Menschen schnell zu unserer Lehre zu bekehren, wir wollen ihnen nur die Botschaft verkündigen und ihnen sagen, daß das Heilmittel für die Welt da ist. Den Glauben an die Sache wird man erst recht bekommen, wenn man die Lehre selbst ansieht und wenn man anfängt, von Tag zu Tag mehr in sich aufzunehmen und im täglichen Leben zu verwirklichen. Wer dies tut, der wird bald finden, daß die Bahailehre mit der wahren Religion Christi durchaus im Einklang steht. Um aber einmal die wahre Religion Christi recht zu erkennen, möchte ich jedem Christen den Rat geben: „Lesen Sie einmal nichts anderes, als die Lehre Jesu Christi, das was er selbst gelehrt hat, ohne das, was die Apostel zu ihrer Zeit zu lehren für notwendig fanden.“ Aber die Bahailehre ist nicht nur identisch mit der Lehre Christi, sondern sie enthält und lehrt gerade das, was zur Heilung der Schäden unserer Zeit notwendig ist. Mit der Annahme der Bahailehre wird sich das erfüllen, was im alten Testament verheißen ward: „Sie werden ihre Schwerter zu Pflugscharen und ihre Spieße zu Sicheln machen. Kriege werden nicht mehr sein und Friede wird unter der ganzen Menschheit wohnen.“

Gebe Gott, daß unser deutsches Volk bald mehr Interesse für diese große Lehre zeigen wird, denn wenn das deutsche Volk erst einmal aufwacht dazu, dann wird es große Fortschritte machen. 'Abdu'l-Bahá sagte, das deutsche Volk, das Volk der Dichter und Denker sei gut für diese Lehre vorbereitet, denn das deutsche Herz und Gemüt sei empfänglich für alles Gute und Hohe; wenn die Lehre erst einmal in Deutschland recht festen Fuß gefaßt habe, dann werde sie von Deutschland aus über alle Länder Europas verbreitet werden.

Ich hoffe, daß unser deutsches Volk bald dazu erwachen wird, sodaß wir durch diese edle Sache der Menschheit den größten Dienst erweisen können, und daß es bald dahin kommen möge, daß sich die Verheißung des Psalmisten erfülle: „daß Güte und Treue sich begegnen, Gerechtigkeit und Friede sich küssen werden.“

Stenogr. v.E.G.


Baha’u’lláh und das Neue Zeitalter.

Von Dr. J. E. Esslemont. Uebersetzung v. W. Herrigel.

VII. Kapitel.

Gesundheit und Heilung.

„Sein Gesicht Gott zuzuwenden bringt Heilung für den Leib, den Geist und die Seele. —

'Abdu'l-Bahá.


Körper und Seele.

Nach der Bahailehre dient der menschliche Körper einem vorübergehenden Zweck, nämlich dem der Entwicklung der Seele, und wenn er diesem Zweck gedient hat, wird er beiseite gelegt. Es ist genau wie mit der Eierschale, die in der Entwicklung des Küken (jungen Hühnchens) einem vorübergehenden Zweck dient, und wenn dieser Zweck erfüllt ist, zerbrochen und abgelegt wird.

'Abdu'l-Bahá sagt:

„Der physische Körper ist nicht geeignet für die Unsterblichkeit, weil er eine aus Atomen und Molekülen aufgebaute Zusammensetzung ist, die gleich allen Dingen, die zusammengesetzt sind, mit der Zeit der Auflösung anheimfällt.“

Der Körper sollte der Diener der Seele und niemals ihr Herr sein. Er sollte ein williger, gehorsamer und tüchtiger Diener sein und sollte mit der gleichen Rücksicht behandelt werden, wie man einen guten Diener behandelt. Wenn er nicht richtig behandelt wird, so ist das Resultat Krankheit und Unglück mit ihren schlimmen Folgen, sowohl für den Herrn als für den Diener.


Die Einheit alles Lebens.

Die unbedingte Einheit all der Myriaden von Formen und Graden des Lebens ist eine der [Seite 77] fundamentalen Lehren Baha’u’lláhs. Unsere physische Gesundheit ist so mit unserer moralischen und geistigen Gesundheit und ebenso mit dem individuellen und sozialen Wohlbefinden unserer Nebenmenschen, ja selbst mit dem Leben der Tiere und der Pflanzen verbunden, daß jedes von diesen in einem weit größeren Maße durch das andere beeinflußt wird, als man gewöhnlich denkt. Es gibt kein Gebot des Propheten, auf welchen Teil des Lebens es sich auch ursprünglich beziehen mag, das nicht ebenso die körperliche Gesundheit angeht. Manche der Lehren stehen natürlich mehr in direkter Beziehung zur physischen Gesundheit als die andern, und diese sind es, die wir nun vor allem erforschen wollen.


Einfaches Leben.

'Abdu'l-Bahá sagt:

„Wie kompliziert ist das Leben in der jetzigen Zeit, und wie viel komplizierter machen wir es täglich! Die Bedürfnisse der Menschen scheinen kein Ende nehmen zu wollen. Je mehr die Menschen ansammeln, desto mehr möchten sie haben. Es gibt nur einen Weg, davon frei zu werden, nämlich den, unsere Augen gegenüber den Dingen, die unsern Geist ablenken, zu schließen. Das Gemüt eines zufriedenen Menschen ist immer im Frieden und sein Herz in Ruhe. Er gleicht einem Monarchen, der über die ganze Welt gebietet. Wie glücklich greift ein solcher Mensch nach seiner einfachen Speise! Wie friedlich schläft er!“

(Aus Mirza Ahmad Sohrabs Tagebuchnotizen Sept-Okt. 1913 und Aug. 1914).

Fleischnahrung ist nicht verboten, aber eine einfache vegetarische Kost ist sowohl aus menschlichen als auch aus hygienischen Gründen anempfohlen. Während 'Abdu'l-Bahá zugibt, daß unter den jetzigen Umständen etwas Fleisch in der Kost notwendig oder ratsam ist, sagt er:

„Die zukünftige Nahrung der Menschen wird in Früchten und Getreide bestehen. Die Zeit wird kommen, da kein Fleisch mehr gegessen wird. Die medizinische Wissenschaft befindet sich noch in ihrer Kindheit, dennoch hat sie bereits gezeigt, daß unsere natürliche Nahrung in dem besteht, was aus dem Boden hervorwächst.“

(Aus: Zehn Tage im Lichte Akkas, von Julia Grundy).


Alkohol und Betäubungsmittel.

Der Gebrauch von berauschenden und betäubenden Mitteln, mit Ausnahme in Krankheitsfällen, ist von Baha’u’lláh streng verboten. 'Abdu'l-Bahá schreibt:

„O Freunde Gottes! Die Erfahrung hat gezeigt, wie sehr die Enthaltsamkeit von Tabak, Wein und Opium Gesundheit, Kraft, geistige Freude, ein scharfes Urteilsvermögen und physische Lebenskraft mit sich bringt.“

(Tablette 'Abdu'l-Bahás B. 3 S. 351-585).


Lebensfreude.

Die Bahailehre beruht auf Mäßigkeit, nicht auf Kasteiung. Sich der guten und schönen Dinge im materiellen und geistigen Leben zu erfreuen ist nicht nur anempfohlen, sondern zur Pflicht gemacht. Baha’u’lláh sagt:

„Beraubt euch selbst nicht dessen, was für euch erschaffen wurde.“

Ferner:

„Es ist euch zur Pflicht gemacht, daß Freude und Frohsinn aus eurem Gesicht leuchte.“

'Abdu'l-Bahá sagt:

„Alles, was erschaffen ist, ist für den Menschen, den Gipfel der Schöpfung, da, und er muß dankbar sein für die göttlichen Gaben. Alle materiellen Dinge sind für uns da, damit wir in Dankbarkeit erkennen lernen sollen, daß das Leben eine göttliche Wohltat ist. Wenn uns das Leben entleidet ist, sind wir undankbare Menschen, denn sowohl unsere materielle als unsere geistige Existenz sind die äußeren Beweise der göttlichen Gnade. Daher müssen wir glücklich sein und in der Wertschätzung aller Dinge Zeit unseres Lebens loben und danken.“

(Divine Philosophy S. 104).

Als 'Abdu'l-Bahá gefragt wurde, ob das Bahaiverbot des Spielens und Lotteriespielens auf alle Arten von Spielen Anwendung finde, antwortete er:

„Nein, manche Spiele sind harmlos, und wenn sie zur Kurzweil gespielt werden, schaden sie nichts; die Gefahr liegt nur darin, daß die Kurzweil ausartet in Zeitvergeudung. Zeitvergeudung sollte es aber in der Sache Gottes nicht geben; jedoch Erholungsspiele, die zur Kräftigung des Körpers dienen, wie Leibesübungen, sind wünschenswert.“

(A heavenly Vista S. 9.)


Reinlichkeit.

Baha’u’lláh sagt im Buche Aqdas:

„Seid das Muster der Reinlichkeit unter den Menschen... richtet euch unter allen Umständen nach den edelsten Sitten... laßt keine Spur von Unreinlichkeit auf euren Kleidern sein... Badet in reinem Wasser, ein Wasser, das schon benutzt ist, darf nicht mehr benutzt werden...

[Seite 78] Wahrlich, unser Wunsch ist, euch als die Offenbarungen des Paradieses auf Erden zu sehen, damit das von Euch ausströmen möge, wodurch die Herzen der Begünstigten erfreut werden.“

Mirza Abul Fazl beschreibt in seinem Buch „Bahaibeweise“ S. 89, wie außerordentlich wichtig diese Gebote besonders für einige Gegenden des Ostens sind, wo faules Wasser, das jeder Beschreibung spottet, für Haushaltungszwecke, zum Baden und selbst zum Trinken verwendet wird, wodurch schreckliche unsanitäre Zustände herrschen, die viele, sonst vermeidbare Krankheiten und Uebel verursachen. Diese Zustände, von denen in gewissen Fällen anzunehmen ist, daß sie von der vorherrschenden Religion gut geheißen werden, können unter den Orientalen nur durch Gebote eines solchen Menschen beseitigt werden, von dem sie glauben, daß er göttliche Autorität hat. Auch in verschiedenen Teilen des Westens würden wunderbare Veränderungen stattfinden, wenn man die Reinlichkeit nicht nur ansehen würde, als käme sie gleich nach der Frömmigkeit, sondern wenn man sie als einen wesentlichen Teil der Frömmigkeit betrachten würde.


Die Wirkungen des Gehorsams den Geboten der Propheten gegenüber.

Der Einfluß auf die Gesundheit dieser, sich auf einfaches Leben, Hygiene, Enthaltsamkeit von Alkohol und Opium beziehenden Gebote ist zu einleuchtend, um eine weitere Erklärung zu benötigen, obschon ihre außerordentliche Wichtigkeit der größten Mißachtung ausgesetzt ist. Wenn sie allgemein beachtet würden, dann würden die meisten ansteckenden Krankheiten und ein großer Teil der anderen unter den Menschen verschwinden. Die Wirkung der Krankheiten, verursacht durch Vernachlässigung der einfachsten hygienischen Vorsichtsmaßregeln und durch das Tabaks- und Opiumfrönen, ist ungeheuer. Ueberdies würde der Gehorsam diesen Geboten gegenüber nicht nur einen günstigen Einfluß auf die Gesundheit haben, sondern auch eine ungemein gute Wirkung auf den Charakter und den Lebenswandel ausüben. Alkohol und Opium beeinflussen des Menschen Bewußtsein, längst bevor sie seinen Gang beeinflussen oder eine offenbare körperliche Krankheit verursachen, sodaß der moralische und geistige Gewinn, der von ihrer Enthaltsamkeit abgeleitet würde, noch größer wäre als der physische. In bezug auf die Reinlichkeit sagt 'Abdu'l-Bahá:

„Obschon die äußerliche Reinlichkeit nur etwas physisches ist, hat sie doch einen großen Einfluß auf die geistige Natur... Die Tatsache, einen reinen und fleckenlosen Körper zu haben, übt einen Einfluß auf des Menschen Geist aus.“

(Tablette 'Abdu'l-Bahás S. 585.)

Wenn die Gebote der Propheten in Bezug auf Keuschheit in sexueller Hinsicht allgemein beachtet würden, dann würde eine andere sich stets fortpflanzende Krankheitsursache beseitigt sein. Die ekelhaften venerischen Krankheiten, welche die Gesundheit so vieler Tausende, sowohl Schuldiger als Unschuldiger, kleiner Kinder als Eltern, vernichten, würden sehr bald der Vergangenheit angehören.

Würden die Gebote der Propheten in Bezug auf Gerechtigkeit und gegenseitige Hilfe, als Erfüllung der Worte: „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst", betätigt, wie könnten alsdann Arbeit in überfüllten, ungesunden Räumen und tiefste Armut einerseits, zügellose Genußsucht und niedriges Wohlleben andererseits noch weiter geistigen, moralischen und physischen Untergang verursachen?

Der einfache Gehorsam gegenüber den hygienischen und moralischen Geboten Moses, Buddhas, Christus, Mohammeds oder Baha’u’lláhs würden auf dem Wege der Verhütung von Krankheiten mehr bewirken, als alle Aerzte und alle öffentlichen Gesundheitsvorschriften der Weit auszurichten vermögen. Es scheint in der Tat gewiß zu sein, daß, sofern ein solcher Gehorsam allgemein da wäre, gute Gesundheit ebenso allgemein werden würde. Anstatt daß das Leben durch Krankheit vernichtet oder in der Kindheit, der Jugend oder in voller Lebenskraft abgeschnitten wird, wie es jetzt so häufig vorkommt, würden die Menschen zu einem hohen Alter heranreifen, wie gesunde Früchte, die ausreifen, bevor sie vom Zweige fallen.


Der Prophet als Arzt.

Wir leben in einer Welt, in der, seit man zurückdenken kann, der Gehorsam gegenüber den Geboten der Propheten mehr Ausnahme als Regel war, wo die Eigenliebe mehr Leitmotiv war als die Liebe zu Gott, wo Einzel- und Parteiinteressen den Interessen der ganzen Menschheit vorgehen, wo materielle Besitztümer und sinnliche Vergnügungen der sozialen und geistigen Wohlfahrt der Menschheit vorgezogen werden. Daraus sind rücksichtslose Wettbewerbe und Konflikte, Unterdrückung und Tyrannei, Gegensätze, wie Reichtum und Armut, entstanden. Zustände wie diese sind es aber, die sowohl geistige als physische Krankheiten hervorrufen, und als eine Folge dieser bis jetzt herrschenden Zustände ist der ganze Baum der Menschheit krank, und jedes Blatt dieses Baumes hat unter dieser allgemeinen Krankheit zu leiden.

(Fortsetzung folgt.)

[Seite 79]

Report of the lectures at the Bahai Congress on 22nd and 23nd of May.

On 22nd of May 1926 at six o’clock in the afternoon, the president of the National Bahai Body, Consul A. Schwarz, opened the 3rd German Bahai Congress in Stuttgart. This opening was preceded by a musical recital of the air: „Höre Israel“, performed by Miss Julia Stacbler, accompanied on the piano by Mr. Joseph Tyssen. The president welcomed the numerous friends from all parts of Germany in the name of our great Master 'Abdu'l-Bahá. Then the Tablet of inspiration was read. Refering to this Consul Schwarz went on speaking about the importance of Whitsuntide as the pouring out of the Holy Ghost, and the concvidity of this day with 'Abdu'l-Bahás birthday.

Then he gave a general view of the last year and the work which was donc: the edition of the book „the Bahai-Revelation“ by Thornton Chase, and the translation of the precious book of Dr. Esslemont, publshed in the „Sun of Truth‘, and the edition of the printed circular letters since the beginning of the new Bahai-year.

Esperanto was taught in the sense of our great Master, and at Hamburg was founded a Bahai-Esperanto-Jourmal „La Nova Tago“. The Esperanto Congrosses were visited by Bahai and supported by lectures and pamphlets.

Mr. Herrigel gained new friends for the Holy Cause by public lectures in several cities.

The „Helping Committee" could act in different cases. The president remembered the year 1913, when 'Abdu'l-Bahá spoke to a great auditory at the same place and proclaimed the Holy Laws of Baha’u’lláh. All friends, who had come during the last year from Persia, America, South-Russia and Geneva, were remembered.

In honouring remembrance of our dear ones, who passed away during the last year, the president asked to rise from the seats.

The members of the Spiritual National Body are conscious of their high task, and this honouring duty is holy to each one.

The Spiritual Assembly and its committecs are working in connection with the National Body and this again with the guardian Shoghi Effendi. The president finished his speech by imploring the blessing of Baha’u’lláh and 'Abdu'l-Bahá for these important days of congress. Reports of the different groups joined: .

Freudenstadt Mr. Hermann, Gera Mr. Döring, Göppingen Mr. Motzer, Hamburg Dr. Grossmann, Heilbronn Mr. Brosi, Karlsruhe Mr. Renftle, Leipzig Miss Sieg, Schwerin Miss Gierloff, Zuffenhausen Mr. Schweizer, Wien Mr. Pöllinger, Stuttgart Miss E. Horn.

These reports were enjoyed by two musıcal recitals.

Telegrams and letters of congratulation were read, from Gera, Dresden, Zurich, Warnemünde, Rostock and Geneva, and from Miss Martha Root.

On Saturday evening the election of the National Body took place, the next day at 9h the first session and election of committees was held. A new committee was added to the former ones, in order to enable regular visits at thc several groups, that the interest may keep alive and new friends may be gained.

On Sunday at 11h the memory of the birthday of 'Abdu'l-Bahá was celebrated. The Whitsuntide Cantabile by J. J. Bach, performed by Miss Julia Stachler, and accompanicd on the piano by Mr. Joseph Tyssen, was followed by alecture by Mrs. Schwarz in remembrance of this high festival. She spoke about the birthday of the Master, and the declaration of the Bab, which likewise took place on the 23rd of May in 1844. This lecture gave to the friends and the newly interested a spiritual picture of the three chief personalities of the Bahai Cause and its superior universal power.

The speaker called the friends to conscientious work in His Holy Confederation, to help truely bear the heavy burden of the Guardian of the Holy Cause, Shoghi Effendi, the grandson of our dear Master.

On Sunday afternoon several lectures were held, and in the evening at 7.30 a great many Friends came to the hall, to hear of the Bahai Cause.

Mr. Herrigel lectured about „The purposes of the Bahai Cause and its results up to date" The speaker explained to the audience the 12 chief principles of Baha’u’lláh, and added some historical dates and events of the preceding century and the present. He told from his own life, and said, that a Bahai loves Jesus-Christ so much, that many Christians could be ashmed. The Bahai Cause fulfils and perfects all religions [Seite 80] and leads them to the true loving God. He finished by wishing that our German people should be led to the true loving God. He interested, for 'Abdu'l-Bahá said, the German people would be well prepared to understand the Holy Cause, and if the Cause would be established in Germany, it would soon be spread throughout Europe.

As second part of the evening a photolecture by Mrs. A. Schwarz followed. She led the audience to the holy places of Haifa and Acca. She spoke from her own impressions in Palestine and from the spiritual atmosphere which moves the hearts of the friends there, chiefly on the Mount Carmel in the mausoleum, and at Bahajee the residence of Baha’u’lláh. The lecture was animated by different events in the life of these great leaders.


Verlag des Deutschen Bahai-Bundes Stuttgart

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In unserem Verlag sind erschienen:

1. Die Geschichte der Bahai-Bewegung, von S. S. Deutsch von Wilhelm Herrigel. Dritte Ausgabe . . . -.20

2. Bahai-Perlen, Deutsch von Wilhelm Herrigel . . . . -.20

3. Ehe Abraham war, war Ich, v. Thornton Chase. Deutsch v. W.Herrigel . . . . -.10

4. Das heilige Tablet, ein Sendschreiben Baha’o’llahs an die Christenheit. Deutsch von Wilhelm Herrigel . . -.10

5. Die Universale Weltreligion. Ein Blick in die Bahai-Lehre von Alice T, Schwarz . . . . -.50

6. Die Offenbarung Baha’u’llahs, von J.D. Brittingham. Deutsch von Wilhelm. Herrigel . . . -.50

7. Verborgene Worte von Baha o’llah. Deutsch v. A. Braun u. E. Ruoff . . . 1.--

8. Baha’u’llah, Frohe Botschaften, Worte des Paradieses, Tablet Tarasat, Tablet Taschalliat, Tablet Ischrakat. Deutsch von Wilhelm Herrigel, in Halbleinen gebunden . . . 2.--

in feinstem Ganzleinen gebunden . . . . . 2.50

9. Einheitsreligion. Ihre Wirkung auf Staat, Erziehung, Sozialpolitik, Frauenrehte und die einzelne Persönlichkeit, von Dr. jur. H. Dreyfus, Deutsch von Wilhelm Herrigel. Neue Auflage . . . -.50

10. Die Bahaibewegung im allgemeinen und ihre großen Wirkungen in Indien, von Wilhelm Herrigel . . . . -.50

11. Eine Botschaft an die Juden, von Abdul Baha Abbas. Deutsch von Wilhelm Herrigel . . . -.15

12. Abdul Baha Abbas, Ansprachen über die Bahailehre. Deutsch von Wilhelm Herrigel,

in Halbleinen gebunden . . . . . 2.50

in feinstem Ganzleinen gebunden. . . . . 3.--

13. Geschichte und Wahrheitsbeweise der Bahaireligion, von Mirza Abul Fazl. Deutsch von W. Herrigel,

in Halbleinen geb. . . . . 4.--

In Ganzleinen gebunden . . . . 4.50

14. Abdul Baha Abbas’ Leben und Lehren, von Myron H. Phelps.

Deutsch von Wilhelm Herrigel, in Ganzleinen gebunden . . . . 3.50

15. Das Hinscheiden Abdul Bahas, ("The Passing of Abdul Baha") Deutsch von Alice T. Schwarz . . . -.50

16. Das neue Zeitalter von Ch. M. Remey. "Deutsch von Wilhelm Herrigel —.50

17. Die soziale Frage und ihre Lösung im Sinne der Bahailehre von Dr. Hermann Grossmann . . —.20

18. Die Bahai-Offenbarung, ein Lehrbuch von Thornton Chase, deutsch von W. Herrigel, kartoniert M. 4.--, in Halbleinen gebunden M. 4.60


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Druck: Wilhelm Heppeler, Stuttgart.


[Seite 81]

Geschichte und Bedeutung der Bahailehre.

Die Bahai-Bewegung tritt vor allem ein für die „Universale Religion" und den „Universalen Frieden“ — die Hoffnung aller Zeitalter. Sie zeigt den Weg und die Mittel, die zur Einigung der Menschheit unter dem hohen Banner der Liebe, Wahrheit, Gerechtigkeit und Barmherzigkeit führen. Sie ist göttlich ihrem Ursprung nach, menschlich in ihrer Darstellung, praktisch für jede Lebenslage. In Glaubenssachen gilt bei ihr nichts als die Wahrheit, in den Handlungen nichts als das Gute, in ihren Beziehungen zu den Menschen nichts als liebevoller Dienst.

Zur Aufklärung für diejenigen, die noch wenig oder nichts von der Bahaibewegung wissen, führen wir hier Folgendes an: „Die Bahaireligion ging aus dem Babismus hervor. Sie ist die Religion der Nachfolger Baha ’Ullahs, Mirza Hussein Ali Nuri (welches sein eigentlicher Name war) wurde im Jahre 1817 in Teheran (Persien) geboren. Vom Jahr 1844 an war er einer der angesehensten Anhänger des Bab und widmete sich der Verbreitung seiner Lehren in Persien. Nach dem Märtyrertod des Bab wurde er mit den Hauptanhängern desselben von der türkischen Regierung nach Bagdad und später nach Konstantinopel und Adrianopel verbannt. In Bagdad verkündete er seine göttliche Sendung (als „Der, den Gott offenbaren werde") und erklärte, daß er der sei, den der Bab in seinen Schriften als die „Große Manifestation", die in den letzten Tagen kommen werde, angekündigt und verheißen hatte. In seinen Briefen an die Regenten der bedeutendsten Staaten Europas forderte er diese auf, sie möchten ihm bei der Hochhaltung der Religion und bei der Einführung des universalen Friedens beistehen. Nach dem öffentlichen Hervortreten Baha ’Ullahs wurden seine Anhänger, die ihn als den Verheißenen anerkannten, Bahai (Kinder des Lichts) genannt. Im Jahr 1868 wurde Baha ’Ullah vom Sultan der Türkei nach Akka in Syrien verbannt, wo er den größten Teil seiner lehrreichen Werke verfaßte und wo er am 28. Mai 1892 starb. Zuvor übertrug er seinem Sohn Abbas Effendi (Abdul Baha) die Verbreitung seiner Lehre und bestimmte ihn zum Mittelpunkt und Lehrer für alle Bahai der Welt.

Es gibt nicht nur in den mohammedanischen Ländern Bahai, sondern auch in allen Ländern Europas, sowie in Amerika, Japan, Indien, China etc. Dies kommt daher, daß Baha ’Ullah den Babismus, der mehr nationale Bedeutung hatte, in eine universale Religion umwandelte, die als die Erfüllung und Vollendung aller bisherigen Religionen gelten kann. Die Juden erwarten den Messias, die Christen das Wiederkommen Christi, die Mohammedaner den Mahdi, die Buddhisten den fünften Buddha, die Zoroastrier den Schah Bahram, die Hindus die Wiederverkörperung Krischnas und die Atheisten — eine bessere soziale Organisation.

In Baha ’Ullah sind alle diese Erwartungen erfüllt. Seine Lehre beseitigt alle Eifersucht und Feindseligkeit, die zwischen den verschiedenen Religionen besteht; sie befreit die Religionen von ihren Verfälschungen, die im Lauf der Zeit durch Einführung von Dogmen und Riten entstanden und bringt sie alle durch Wiederherstellung ihrer ursprünglichen Reinheit in Einklang. In der Bahaireligion gibt es keine Priesterschaft und keine religiösen Zeremonien. Ihr einziges Dogma ist der Glaube an den einigen Gott und an seine Manifestationen (Zoroaster, Buddha, Mose, Jesus, Mohammed, Baha ’Ullah),

Die Hauptschriften Baha ’Ullahs sind der Kitab el Ighan (Buch der Gewißheit), der Kitab el Akdas (Buch der Gesetze), der Kitab el Ahd (Buch des Bundes) und zahlreiche Sendschreiben, genannt „Tablets“, die er an die wichtigsten Herrscher oder an Privatpersonen richtete. Rituale haben keinen Platz in dieser Religion; letztere muß vielmehr in allen Handlungen des Lebens zum Ausdruck kommen und in wahrer Gottes- und Nächstenliebe gipfeln. Jedermann muß einen Beruf haben und ihn ausüben. Gute Erziehung der Kinder ist zur Pflicht gemacht und geregelt. Niemand ist mit der Macht betraut, Sündenbekenntnisse entgegenzunehmen oder Absolution zu erteilen.

Die Priester der bestehenden Religionen sollen den Zölibat (Ehelosigkeit) aufgeben, durch ihr Beispiel predigen und sich im praktischen Leben unter das Volk mischen. Monogamie (die Einehe) ist allgemein gefordert, Streitfragen, welche nicht anders beigelegt werden können, sind der Entscheidung des Zivilgesetzes jeden Landes und dem Bait’ul’Adl oder „Haus der Gerechtigkeit“, das durch Baha ’Ullah eingesetzt wurde, unterworfen. Achtung gegenüber jeder Regierungs- und Staatseinrichtung ist als einem Teil der Achtung, die wir Gott schulden, gefordert. Um die Kriege aus der Welt zu schaffen, ist ein internationaler Schiedsgerichtshof zu errichten. Auch soll neben der Muttersprache eine universale Einheits-Sprache eingeführt werden. „Ihr seid alle die Blätter eines Baumes und die Tropfen eines Meeres“ sagt Baha ’Ullah.

Es ist also weniger die Einführung einer neuen Religion, als die Erneuerung und Vereinigung aller Religionen, was heute von Abdul Baha erstrebt wird. (Vgl. Naveau Larousse, illustré supplement, p. 66.)