Sonne der Wahrheit/Jahrgang 6/Heft 2/Text

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SONNE

DER

WAHRHEIT
Heft II APRIL 1926
ORGAN DES DEUTSCHEN BAHAI-BUNDES STUTTGART


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Abdu’l-Bahás Erläuterung der Bahai-Prinzipien.


1. Die ganze Menschheit muss als Einheit betrachtet werden.

Baha’u’lláh wandte Sich an die gesamte Menschheit mit den Worten: „Ihr seid alle die Blätter eines Zweigs und die Früchte eines Baumes“. Das heißt: die Menschheit gleicht einem Baum und die Nationen oder Völker gleichen den verschiedenen Aesten und Zweigen; die einzelnen Menschen aber gleichen den Blüten und Früchten dieses Baumes. In dieser Weise stellte Baha’u’lláh das Prinzip der Einheit der Menschheit dar. Baha’u’lláh verkündigte die Einheit der ganzen Menschheit, er versenkte sie alle im Meer der göttlichen Gnade.


2. Alle Menschen sollen die Wahrheit selbständig erforschen.

In religiösen Fragen sollte niemand blindlings seinen Eltern und Voreltern folgen. Jeder muß mit eigenen Augen sehen, mit eigenen Ohren hören und die Wahrheit suchen, denn die Religionen sind häufig nichts anderes als Nachahmungen des von den Eltern und Voreltern übernommenen Glaubens.


3. Alle Religionen haben eine gemeinsame Grundlage.

Alle göttlichen Verordnungen beruhen auf ein und derselben Wirklichkeit. Diese Grundlage ist die Wahrheit und bildet eine Einheit, nicht eine Mehrheit. Daher beruhen alle Religionen auf einer einheitlichen Grundlage. Im Laufe der Zeit sind gewisse Formen und Zeremonien der Religion beigefügt worden. Dieses bigotte menschliche Beiwerk ist unwesentlich und nebensächlich und verursacht die Abweichungen und Streitigkeiten unter den Religionen. Wenn wir aber diese äußere Form beiseite legen und die Wirklichkeit suchen, so zeigt sich, daß es nur eine göttliche Religion gibt.


4. Die Religion muss die Ursache der Einigkeit und Eintracht unter den Menschen sein.

Die Religion ist für die Menschheit die größte göttliche Gabe, die Ursache des wahren Lebens und hohen sittlichen Wertes; sie führt den Menschen zum ewigen Leben. Die Religion sollte weder Haß und Feindschaft noch Tyrannei und Ungerechtigkeiten verursachen. Gegenüber einer Religion, die zu Mißhelligkeit und Zwietracht, zu Spaltungen und Streitigkeiten führt, wäre Religionslosigkeit vorzuziehen. Die religiösen Lehren sind für die Seele das, was die Arznei für den Kranken ist. Wenn aber ein Heilmittel die Krankheit verschlimmert, so ist es besser, es nicht anzuwenden.


5. Die Religion muss mit Wissenschaft und Vernunft übereinstimmen.

Die Religion muß mit der Wissenschaft übereinstimmen und der Vernunft entsprechen, so daß die Wissenschaft die Religion, die Religion die Wissenschaft stützt. Diese beiden müssen unauflöslich miteinander verbunden sein.


6. Mann und Frau haben gleiche Rechte.

Dies ist eine besondere Lehre Baha’u’lláhs, denn die früheren Religionen stellen die Männer über die Frauen. Töchter und Söhne müssen gleichwertige Erziehung und Bildung genießen. Dies wird viel zum Fortschritt und zur Einigung der Menschheit beitragen.


7. Vorurteile jeglicher Art müssen abgelegt werden.

Alle Propheten Gottes kamen, um die Menschen zu einigen, nicht um sie zu trennen. Sie kamen, um das Gesetz der Liebe zu verwirklichen, nicht um Feindschaft unter sie zu bringen. Daher müssen alle Vorurteile rassischer, völkischer, politischer oder religiöser Art abgelegt werden. Wir müssen zur Ursache der Einigung der ganzen Menschheit werden.


8. Der Weltfriede muss verwirklicht werden.

Alle Menschen und Nationen sollen sich bemühen, Frieden unter sich zu schließen. Sie sollen darnach streben, daß der universale Friede zwischen allen Regierungen, Religionen, Rassen und zwischen den Bewohnern der ganzen Welt verwirklicht wird. Die Errichtung des Weltfriedens ist heutzutage die wichtigste Angelegenheit. Die Verwirklichung dieses Prinzips ist eine schreiende Notwendigkeit unserer Zeit.


9. Beide Geschlechter sollen die beste geistige und sittliche Bildung und Erziehung geniessen.

Alle Menschen müssen erzogen und belehrt werden. Eine Forderung der Religion ist, daß jedermann erzogen werde und daß er die Möglichkeit habe, Wissen und Kenntnisse zu erwerben. Die Erziehung jedes Kindes ist unerläßliche Pflicht. Für Elternlose und Unbemittelte hat die Gemeinde zu sorgen.


10. Die soziale Frage muss gelöst werden.

Keiner der früheren Religionsstifter hat die soziale Frage in so umfassender, vergeistigter Weise gelöst wie Baha’u’lláh. Er hat Anordnungen getroffen, welche die Wohlfahrt und das Glück der ganzen Menschheit sichern. Wenn sich der Reiche eines schönen, sorglosen Lebens erfreut, so hat auch der Arme ein Anrecht auf ein trautes Heim und ein sorgenfreies Dasein. Solange die bisherigen Verhältnisse dauern, wird kein wahrhaft glücklicher Zustand für den Menschen erreicht werden. Vor Gott sind alle Menschen gleich berechtigt, vor Ihm gibt es kein Ansehen der Person; alle stehen im Schutze seiner Gerechtigkeit.


11. Es muss eine Einheitssprache und Einheitsschrift eingeführt werden.

Baha’u’lláh befahl die Einführung einer Welteinheitssprache. Es muß aus allen Ländern ein Ausschuß zusammentreten, der zur Erleichterung des internationalen Verkehrs entweder eine schon bestehende Sprache zur Weitsprache erklären oder eine neue Sprache als Weltsprache schaffen soll; diese Sprache muß in allen Schulen und Hochschulen der Welt gelehrt werden, damit dann niemand mehr nötig hat, außer dieser Sprache und seiner Muttersprache eine weitere zu erlernen.


12. Es muss ein Weltschiedsgerichtshof eingesetzt werden.

Nach dem Gebot Gottes soll durch das ernstliche Bestreben aller Menschen ein Weltschiedsgerichtshof geschaffen werden, der die Streitigkeiten aller Nationen schlichten soll und dessen Entscheidung sich jedermann unterzuordnen hat.

Vor mehr als 50 Jahren befahl Baha’u’lláh der Menschheit, den Weltfrieden aufzurichten und rief alle Nationen zum „internationalen Ausgleich“, damit alle Grenzfragen sowie die Fragen nationaler Ehre, nationalen Eigentums und aller internationalen Lebensinteressen durch ein schiedsrichterliches „Haus der Gerechtigkeit" entschieden werden können.


Baha’u’lláh verkündigte diese Prinzipien allen Herrschern der Welt. Sie sind der Geist und das Licht dieses Zeitalters. Von ihrer Verwirklichung hängt das Wohlergehen für unsere Zeit und das der gesamten Menschheit ab.


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SONNE    DER  WAHRHEIT
Organ des Bahai-Bundes, Deutscher Zweig
Herausgegeben vom Verlag des Bahai-Bundes, Deutscher, Zweig Stuttgart
Verantwortliche Schriftleitung: Alice Schwarz - Solivo, Stuttgart, Alexanderstraße 3
Preis vierteljährlich 1,80 Goldmark, im Ausland 1,90 Goldmark.
Heft 2 Stuttgart, im April 1926 6. Jahrgang

Inhalt: Baha’u’lláh, die Herrlichkeit Gottes. Aus Dr. Esslemont: Baha’u’lláh und das Neue Zeitalter. - Qurratu’l-Ayn und ihr Lehrer. — The Master. — Bahái-Kongreß. — Benachrichtigung.



Motto: Einheit der Menschheit — Universaler Friede — Universale Religion



O Völker der Erde!

Schaut auf Meine Wogen und auf meine Perlen der Weisheit und der Aeußerungen, die von Mir ausgingen! Habt Ehrfurcht vor Gott und zählt nicht zu den Achtlosen.

Baha’u’lláh.


Worte von Baha’u’lláh.

O Völker der Erde! Ihr seid die Früchte eines Baumes und die Blätter an einem Zweig. Lebt in größter Nächstenliebe und Harmonie, Zuneigung und im Einklang miteinander. Ich schwöre bei der Sonne der Wahrheit, daß das Licht der Uebereinstimmung alle Länderhorizonte erhellen und erleuchten wird. Die allwissende Wahrheit war und ist Zeuge dieser Worte. Bemüht euch, daß ihr zu dieser hohen, erhabenen Stufe gelangt, denn sie ist die Ebene des Schutzes und der Erhaltung der Menschheit. Dies ist die Absicht des Königs der Absichten und dies ist die Hoffnung des Herrn der Hoffnungen.


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Baha’u’lláh und das Neue Zeitalter.

Von Dr. J. E. Esslemont. Uebersetzung v. H. Küstner.

III. Kapitel.

Baha’u’lláh,1), die Herrlichkeit Gottes.

„O du, der du wartest, harre nicht länger, denn Er ist gekommen. Blicke auf diesen heiligen Tempel und Seine Herrlichkeit, die darin wohnt. Es ist der Ewig-Herrliche mit einer neuen Manifestation.“

Baha’u’lláh.


Geburt und Leben.

Mirza Hussein Ali, der später den Titel Baha’u’lláh (d. h. Herrlichkeit Gottes) annahm, war der älteste Sohn von Mirza Abbas von Nur, eines Vezirs oder Staatsministers. Seine Familie war wohlhabend und angesehen, viele ihrer Familienmitglieder hatten wichtige Stellungen in der Regierung und in den Zivil- und Staatsdiensten Persiens inne. Er war in Teheran, der Hauptstadt von Persien, (zwischen Dämmerung und Sonnenaufgang am 12. November 1817 2) geboren. Er besuchte niemals eine Schule oder ein Kollegium, und der etwa in Frage kommende wenige Unterricht, den Er erhielt, wurde ihm zu Hause erteilt. Trotzdem wurde schon als Kind eine wundervolle Weisheit und Erkenntnis an Ihm wahrgenommen. Während Er noch im Jünglingsalter stand, starb Sein Vater und hinterließ Ihm die Verantwortlichkeit und Sorge für Seine jüngeren Brüder und Schwestern und für die Verwaltung der ausgedehnten Besitztümer der Familie.

Bei Gelegenheit teilte 'Abdu'l-Bahá, der älteste Sohn Bahá’u’lláhs, dem Verfasser dieses Buchs folgende Einzelheiten über Seines Vaters Jugendzeit mit:

„Von Kindheit an war Er außerordentlich gut und edel. Er zeigte große Vorliebe für das Leben im Freien und brachte Seine meiste Zeit im Garten oder auf den Feldern zu. Er besaß eine außerordentliche Anziehungskraft, die jedermann fühlte. Es scharten sich die Menschen immer um Ihn. Minister und Hofleute suchten Seine Nähe und auch die Kinder waren Ihm ergeben. Als Er erst 13 oder 14 Jahre alt war, wurde Er wegen Seines Wissens bekannt. Er konnte Sich über jeden Gegenstand unterhalten und jedes Ihm vorgelegte Problem lösen. In großen Versammlungen konnte Er Dinge mit den Ulemas (den führenden Mullas) erörtern und konnte verwickelte religiöse Fragen klarlegen. Alle pflegten Ihm mit der größten Anteilnahme zuzuhören.

Als Bahá’u’lláh 22 Jahre alt war, starb Sein Vater, und die Regierung wünschte, daß Er in Seines Vaters Stellung im Ministerium einrücke, wie es in Persien üblich war, aber Bahá’u’lláh schlug das Angebot aus. Da sagte der erste Minister: Ueberlaßt Ihn Sich selbst. Eine solche Stellung ist Seiner unwürdig. Er hat höhere Ziele vor Sich. Ich kann Ihn nicht verstehen, aber ich bin überzeugt, daß Er für eine erhabene Laufbahn bestimmt ist. Seine Gedanken sind nicht unsere Gedanken. Laßt ab von Ihm!“

1) Ausgesprochen mit der Betonung auf der 2. u. 4. Silbe, wobei die erste Silbe beinahe stumm ist und die beiden „L“ getrennt gesprochen werden.

2) Am 12. Moharrem 1233 nach der Hedschra.


Als Bábi eingekerkert.

Als der Báb im Jahr 1844 seine Mission erklärte, nahm Sich Bahá’u’lláh, damals 27 Jahre alt, mutig der Sache des neuen Glaubens an, von dem Er bald als einer der mächtigsten und furchtlosesten Vertreter bekannt wurde.

Er hatte schon zweimal Einkerkerung für die Sache erduldet, und einmal hatte Er sogar die Marter der Bastonnade über Sich ergehen lassen müssen, als im August 1852 ein Ereignis eintrat, das schreckliche Folgen für die Bábis mit sich brachte. Einer der Anhänger des Báb, ein Jüngling namens Sadik, hatte sich den Märtyrertod seines geliebten Meisters, von dem er ein Augenzeuge war, so zu Herzen genommen, daß sein Geist sich verwirrte und er aus Rache dem Schah auflauerte und eine Pistole auf ihn abfeuerte 3). Statt mit einer Kugel zu laden, nahm er leichten Schrot, und obgleich ein paar Körner davon den Schah trafen, ergab sich kein ernsthafter Schaden. Der junge Mensch warf damit den Schah von seinem Pferd, wurde aber sofort von der Gefolgschaft Seiner Majestät ergriffen und auf der Stelle getötet. Die Gesamtheit der Bábi wurde ungerechterweise für die Tat verantwortlich gemacht, und schreckliche Metzeleien folgten daraufhin. Achtzig von ihnen wurden sofort in Teheran unter den empörendsten Martern getötet. Viele andere wurden ergriffen und in die Gefängnisse geworfen, unter ihnen Bahá’u’lláh. Er schrieb später hierüber:

„Wir hatten mit der abscheulichen Tat nichts zu tun, und unsere Unschuld wurde vor den Gerichten unwiderlegiich bewiesen. Trotzdem behielten sie uns in Gefangenschaft und brachten uns von Niyawaran, dem [Seite 19] Sitz der Königlichen Residenz, in das Gefängnis nach Teheran; zu Fuß, in Ketten, barhäuptig und barfüßig, denn ein roher Kerl, der uns zu Pferd begleitete, riß mir die Bedeckung von meinem Haupt, trieben uns viele Henkersknechte und Wachen in großer Eile dahin und verbrachten uns für die Zeit von vier Monaten an einen Ort, der seinesgleichen nicht hat. Eine finstere und enge Zelle wäre tatsächlich weit besser gewesen, denn der Ort, wo dieser Unterdrückte und seine Gefährten gefangen gehalten wurden.


Herr, laß mich nicht um niedre Kronen ringen,

Herr, laß mich nicht der Erde niedern Sinn

Hinab ins dunkle Joch der Sünde zwingen,

Zieh’ mich empor, zu Deinem Himmel hin.


M-L. F.


„Als wir nach der Ankunft das Gefängnis betraten, führten sie uns einen schrecklichen Gang entlang, von da stiegen wir drei steile Treppen hinab in den Kerker, der für uns bestimmt war. Der Ort war stockdunkel, und seine Insaßen zählten nahe bei hundertfünfzig — Diebe, Mörder und Straßenräuber. Trotz der großen Anzahl seiner Insaßen hatte der Raum doch keinen Ausgang als den Weg, durch den wir ihn betreten hatten. Die Feder vermag nicht diesen Ort und seinen faulen Gestank zu beschreiben. Viele der Gefährten besaßen weder Kleider zum Anziehen noch eine Matte, um darauf zu liegen. Gott weiß, was wir ausgehalten haben an diesem finsteren und ekelhaften Ort!

„Jag und Nacht dachten wir in diesem Gefängnis an die Lage der Bábis und an ihr Tun und Treiben, wobei wir uns wunderten, daß sie trotz ihrer Seelengröße, ihrer Vornehmheit und Klugheit zu solch einer [Seite 20] Tat fähig sein konnten, wie diesem dreisten Angriff auf das Leben des Herrschers. Damals nahm sich dieser Unterdrückte vor, daß er sich nach dem Verlassen des Gefängnisses mit dem größten Eifer für die Wiedergeburt dieser Seelen einsetzen werde.

„Eines Nachts im Traum hörte ich von allen Seiten das folgende allherrlichste Wort: „Wahrlich, wir werden dir helfen, daß du durch dich selbst und durch deine Feder obsiegst. Gräme dich dessen nicht, was über dich gekommen ist, und fürchte dich nicht! Wahrlich, du gehörst zu denen, die behütet sind. Nicht mehr lang, und der Herr wird die Schätze der Erde offenbaren und Menschen auferstehen lassen, die dir den Sieg geben durch dich selbst und durch deinen Namen, womit der Herr die Herzen der Wissenden belebt hat.“

(Siehe epitre au Fils du Loup. S. 20—22.)

3) Dieser Vorfall ereignete sich etwa 2 Stunden nach Sonnenaufgang am 28. Schawwal 1268 a. H., d.i. am 16. Aug. 1852 n.Chr. (Avarih).


Nach Bagdad verbannt.

Diese schreckliche Einkerkerung dauerte vier Monate. Aber Bahá’u’lláh und Seine Gefährten blieben eifrig und voll Begeisterung, im größten Unglück. Beinahe jeden Tag wurden einer oder mehrere gefoltert oder hingerichtet, und die andern hielten sich vor Augen, daß die Reihe als Nächste an sie kommen werde. Wenn die Henkersknechte kamen, um einen der Freunde zu holen, hüpfte der, dessen Namen aufgerufen wurde, buchstäblich vor Freude, er küßte die Hände von Bahá’u’lláh, umarmte die übrigen seiner Mitgläubigen und eilte dann mit froher Erwartung zum Ort des Märtyrertums.

Es wurde einwandfrei bewiesen, daß Bahá’u’lláh keinen Anteil hatte an dem Anschlag gegen den Scháh, und der russische Gesandte bürgte für die Reinheit Seines Charakters. Er war zudem so krank, daß man glaubte, Er würde sterben. Anstatt Ihn zum Tode zu verurteilen, ordnete der Scháh daher an, daß Er nach Irak-Arabi in Mesopotamien in die Verbannung gehen sollte; und 14 Tage später reiste Bahá’u’lláh, begleitet von Seiner Familie und einer Reihe anderer Gläubiger, auch wirklich dahin ab. Sie litten schrecklich unter der Kälte und andern Beschwerden auf der langen Winterreise und kamen in Bagdád in einem Zustand äußerster Erschöpfung an 4)

Sobald Seine Gesundheit es erlaubte, begann Bahá’u’lláh, Fragestellern Rede und Antwort zu stehen und die Gläubigen aufzurichten und zu erziehen, und bald herrschte Friede und Glück unter den Bábis 5) Leider war dies nur von kurzer Dauer. Bahá’u’lláhs Halbbruder, Mirza Yahya, auch bekannt unter dem Namen Subi-Ezel, kam gleichfalls nach Bagdád, und bald darauf begannen, von ihm im Geheimen angefacht, Zwistigkeiten aufzutreten, ähnlich wie Spaltungen auch unter den Jüngern Christi auftraten. Diese Uneinigkeiten (die später, in Adrianopel, offen zu Tage traten) waren sehr schmerzlich für Bahá’u’lláh, dessen einziger Lebenszweck die Förderung der Vereinigung unter den Menschenkindern war.

4) Die Gesellschaft verließ Teheran im Monat Rabi I 1269 a. H. (Dezember 1852 bis Januar 1853 a. D.) und kam in Bagdad an im folgenden Monat, Rabi II. Die Dauer der Reise betrug zwischen 40 und 50 Tagen. (Avarih.)

5) Dies war anfangs des Jahres 1853, oder 9 Jahre nach des Bábs Erklärung, wodurch gewisse Prophezeiungen des Báb bezüglich des Jahres „9“ in Erfüllung gingen.


Zwei Jahre in der Wildnis.

Etwa ein Jahr nach dem Eintreffen in Bagdád begab Sich Bahá’u’lláh allein in die Wildnis von Suleimania, wobei Er nichts mit sich nahm als einige Kleider zum Wechseln. Ueber diese Periode schreibt Er in Seinem Buch Iqán wie folgt:

„Als dieser Diener nach seiner Ankunft in diesem Land (Bagdad) zum Teil Ereignisse gewahr wurde, die sich später ereigneten, reisten wir ab... in die Wüsten der Einsamkeit und brachten zwei Jahre in der Wildnis der Absonderung zu... Manche Nächte waren wir ohne Nahrung und manchen Tag fand der Körper keine Ruhe. Ungeachtet dieser herniederstürzenden Anfechtungen und fortgesetzten Schwierigkeiten befanden wir uns — bei dem Einen, in Dessen Hand unsere Seele liegt — immer in völliger Glückseligkeit und außerordentlicher Freude. Wir schwören bei Gott, daß wir nicht die Absicht hatten, aus diesem Exil zurückzukehren, noch die Hoffnung auf Wiedervereinigung nach dieser Reise hatten. Unsere einzige Absicht war, zu vermeiden, der Gegenstand von Mißhelligkeiten unter den Geliebten, eine Quelle der Verwirrung für die Gefährten, die Ursache von Kränkung für jemand oder der Grund für Kummer in irgend einem Herzen zu sein. Wir hatten keine andere Absicht und keinen andern Grund. Und doch bildete sich jeder einzelne eine Meinung und Ansicht darüber nach seiner eigenen Meinung. Endlich floß der Befehl zur Rückkehr aus der Quelle des Gebots (d.i. Gott), und wir gehorchten und kehrten daraufhin zurück. Die Feder ist unfähig, zu berichten, was nach unserer Rückkehr über uns kam. Während zweier Jahre hatten sich die Feinde mit äußerster Kraft und Anstrengung bemüht, diesen ergebenen Diener zu vernichten, wie allen gewärtig ist...“


Widerstand der Mullas (mohammedanischen Geistlichen).

Nach der Rückkehr von Seiner Zurückgezogenheit wurde Sein Ansehen größer denn je, und [Seite 21] die Menschen strömten nach Bagdád von nah und von fern, um Ihn zu sehen und Seine Lehren zu hören. Juden, Christen und Zoroastrier sowohl als Mohammedaner wurden von der neuen Botschaft angezogen. Die Mullas (mohammedanische Geistliche) aber legten eine feindselige Aufmerksamkeit an den Tag und beratschlagten, wie sie Ihn unschädlich machen könnten. Bei einer bestimmten Gelegenheit sandten sie einen der ihren, um mit Ihm zu reden und Ihm gewisse Fragen vorzulegen. Der Abgesandte fand die Antworten von Bahá’u’lláh so überzeugend und Seine Weisheit so erstaunlich, obgleich sie ganz offensichtlich nicht durch ein Studium erworben war, daß er sich gezwungen sah, zu bekennen, daß an Weisheit und Verständnis Bahá’u’lláh unerreicht sei. Damit aber die Mullas, die ihn schickten, über die Wirklichkeit von Bahá’u’lláhs Prophetenschaft zufrieden gestellt werden möchten, forderte er, daß Bahá’u’lláh als Beweis ein Wunder verrichten solle. Bahá’u’lláh drückte Seine Bereitwilligkeit aus, dem Verlangen unter gewissen Bedingungen zu entsprechen, und erklärte, wenn die Mullas sich darüber einigen, welches Wunder zu verrichten sei, und ein Dokument des Inhalts unterzeichnen und besiegeln würden, daß sie im Falle des Zustandekommens dieses Wunders die Echtheit Seiner Sendung bekennen und davon ablassen wollten, sich Ihm zu widersetzen, so sei Er bereit, den gewünschten Beweis zu liefern, oder als überführter Betrüger dazustehen. Wäre es der Wille der Mullas gewesen, die Wahrheit zu erfahren, so hätte sich ihnen hier sicher die Gelegenheit dafür geboten, aber ihre Absicht ging auf etwas anderes hinaus. Zu Recht oder zu Unrecht, sie wollten sich eine Entscheidung nach ihrem Gefallen verschaffen. Sie fürchteten die Wahrheit und wichen zurück vor der kühnen Herausforderung. Diese Niederlage spornte sie aber nur an, durch neue Anschläge auf die Ausrottung der unterdrückten Sekte zu sinnen. Der persische Generalkonsul in Bagdád kam ihnen zu Hilfe und sandte wiederholte Botschaften an den Scháh mit der Nachricht, daß Bahá’u’lláh der mohammedanischen Religion mehr denn je schade und immer noch einen schädlichen Einfluß in Persien ausübe. Zugleich beantragte er, Ihn deshalb an einen entlegenen Ort zu verbannen.

Es war charakteristisch für Bahá’u’lláh, daß Er in dieser Krise, als auf die Anstiftung der mohammedanischen Mullas die persische und die türkische Regierung ihre Kräfte vereinigten, um die Bewegung auszurotten, ruhig und heiter blieb, Seine Gefährten ermutigte und begeisterte, und unvergängliche Worte des Trostes und der Führung niederschrieb. ’Abdu’l-Bahá berichtet, daß die „Verborgenen Worte“ zu dieser Zeit geschrieben worden sind. Bahá’u’lláh pflegte oft Seinen Spaziergang entlang des Ufers des Tigris zu machen. Bei der Heimkehr sah Er immer sehr glücklich aus und schrieb diese lyrischen Juwelen und weisen Ratschläge nieder, die Tausenden von schmerzgequälten Herzen Hilfe und Heilung brachten. Jahrelang gab es nur wenige handgeschriebene Stücke der Verborgenen Worte, und diese wurden sorgfältig versteckt, damit sie nicht in die Hände der zahlreichen Feinde fallen möchten, aber jetzt ist dieses kleine Büchlein wahrscheinlich das bekannteste der Werke Bahá’u’lláhs, und wird auf dem ganzen Erdenrund gelesen. Das Buch Iqán ist ein anderes wohlbekanntes Werk von Bahá’u’lláh, das etwa zur selben Zeit gegen das Ende Seines Aufenthaltes in Bagdád (1862 bis 1863 n. Chr.) verfaßt wurde.


Erklärung in Ridwán 6), nahe bei Bagdád.

Nach vielen Unterhandlungen erging auf Verlangen der Persischen Regierung ein Befehl seitens der Türkischen Regierung, der Bahá’u’lláh nach Konstantinopel vorlud. Beim Empfang dieser Nachricht gerieten die Gläubigen in Bestürzung. Sie umlagerten das Haus ihres geliebten Führers derart, daß die Familie sich für 12 Tage in den Garten von Najib-Pascha außerhalb der Stadt zurückziehen mußte, während die Karawane für die lange Reise ausgerüstet wurde. Es war am ersten dieser 12 Tage (21. April bis 3. Mai 1863, das ist 19 Jahre nach des Bábs Erklärung), daß Bahá’u’lláh verschiedenen Seiner Gefährten die frohen Botschaften kund gab, daß Er der Eine sei, dessen Kommen der Báb vorausgesagt habe, der Erwählte Gottes, der Eine Verheißene aller Propheten. Der Garten, wo diese denkwürdige Erklärung vor sich ging, ist unter den Baháis bekannt geworden als der „Garten Ridwán“, und die Tage, die Bahá’u’lláh hier zubrachte, werden gefeiert im „Fest des Ridwán“, das jährlich gehalten wird bei Wiederkehr dieser zwölf Tage. Während dieser zwölf Tage zeigte Sich Bahá’u’lláh, anstatt traurig oder bedrückt zu sein, überaus freudig. Er war voll Würde und Macht. Seine Gefährten wurden glücklich und begeistert, und viele Leute kamen, um ihre Ehrerbietung zu erzeigen. Alle hohen Beamten von Bagdad, sogar der Gouverneur selbst, kamen, um den abreisenden Gefangenen zu ehren.

6) Ausgesprochen Riswan.


Konstantinopel und Adrianopel.

Die Reise nach Konstantinopel dauerte drei bis vier Monate, und die Reisegesellschaft, bestehend aus Bahá’u’lláh mit zwölf Gliedern Seiner Familie und 72 Jüngern, litten schwer unter ihrer Lage. In Konstantinopel angekommen, sahen sie sich als Gefangene in einem kleinen Haus, in dem sie schrecklich zusammengepfercht waren. Später [Seite 22] erhielten sie etwas bessere Unterkunft. Aber nach vier Monaten wurden sie wieder weiter befördert, diesmal nach Adrianopel. Die Reise nach Adrianopel, obgleich sie nur wenige Tage dauerte, war das Schrecklichste, was ihnen bis jetzt zugestoßen war. Es schneite während der Reise außerordentlich stark, und es fehlte ihnen an geeigneter Kleidung und an Speise; ihre Leiden waren fürchterlich. Während des ersten Winters in Adrianopel waren Bahá’u’lláh und Seine zwölf Personen zählende Familie in einem kleinen Haus in drei Zimmern, die jeder Bequemlichkeit entbehrten u. die mit Ungeziefer behaftet waren, untergebracht. Im Frühjahr wies man ihnen eine etwas bequemere Wohnung zu. Sie blieben in Adrianopel über vier und ein halbes Jahr. Hier nahm Bahá’u’lláh die Arbeit an Seiner Lehre wieder auf und scharte eine zahlreiche Anhängerschaft um Sich. Hier verkündete Er öffentlich Seine Mission und wurde von der Mehrzahl der Bábis begeistert angenommen, die von da an als Bahái bekannt wurden. Eine Minderzahl aber unter der Führung von Bahá’u’lláhs Halbbruder, Mirza Yahya, stellte sich Ihm in heftigem Widerstand entgegen und verband sich mit den früheren Feinden, den Schi’iten, in Anschlägen zu Seinem Sturz. Es ergaben sich große Störungen, und schließlich verbannte die türkische Regierung sowohl die Bábis als die Baháis aus Adrianopel, Bahá’u’lláh und Seine Gefährten nach Akka in Palästina, wo sie (nach dem Bericht von Nabil) am 31. August 1868 eintrafen, während Mirza Yahya und seine Gesellschaft nach Cypern verschickt wurde.


Briefe an die Könige.

Um diese Zeit schrieb Bahá’u’lláh die berühmte Serie Seiner Briefe an die gekrönten Häupter von Europa, den Papst, den Scháh von Persien und an die Regierung der Vereinigten Staaten, in denen Er Seine Sendung verkündigt und sie dazu aufrief, ihre Kräfte auf die Aufrichtung von wahrer Religion, auf gerechte Regierung und auf internationalen Frieden zu richten. In Seinem Brief an den Scháh verfocht Er machtvoll die Sache der unterdrückten Bábis und verlangte, denen Auge in Auge gegenübergestellt zu werden, die ihre Verfolgung angestiftet hatten. Es braucht nicht besonders betont zu werden, daß dieses Verlangen nicht erfüllt wurde; Badi, der junge und ergebene Bahái, der den Brief von Bahá’u’lláh überbrachte, wurde festgenommen und unter fürchterlichen Qualen dem Märtyrertod überliefert, indem ihm heiße Steine ins Fleisch gedrückt wurden!

Im gleichen Brief gibt Bahá’u’lláh eine äußerst ergreifende Darstellung Seiner eigenen Leiden und Seiner Sehnsucht:

„O König, auf dem Wege Gottes habe ich gesehen, was noch kein Auge gesehen und noch kein Ohr gehört hat. Freunde haben mich verlassen; Wege wurden mir versperrt; der Teich meiner Sicherheit ist ausgetrocknet; die Ebene der Behaglichkeit ist gelb gebrannt. Wie viele Schwierigkeiten sind herabgekommen, und wieviele werden noch herabkommen! Ich schreite dem Mächtigen, dem Gütigen, entgegen, während hinter mir die Schlange gleitet. Meine Augen weinen, bis mein Lager tränenbenetzt ist; aber mein Kummer gilt nicht mir selbst. Bei Gott, mein Haupt verlangt nach den Speeren um der Liebe Seines Herrn willen, und an keinem Baum gehe ich vorbei, ohne daß ich mich im Herzen an ihn wende und zu ihm sage: ‚O, daß du doch in meinem Namen umgehauen und mein Körper an dir gekreuzigt würde auf dem Pfade Meines Herrn!' O, ich sehe die Menschen irre gehen in ihrem Rausch und sie wissen es nicht; sie haben ihre Lüste auf den Thron gesetzt und ihren Gott beiseite gelegt, als ob sie das Gebot Gottes für ein Gespött, für einen Scherz und für ein Spielzeug hielten; und sie denken, daß sie es recht machen, und daß sie geborgen seien in der Festung der Sicherheit. Die Sache ist aber anders, als sie denken: morgen werden sie erkennen, was sie heute verleugnen.

Wir sind im Begriff, von diesem entlegenen Verbannungsort (Adrianopel) nach der Gefängnisstadt Akka zu ziehen. Nach dem, was man hört, ist dies sicherlich die trostloseste Stadt der Welt, die häßlichste dem Anblick nach, abscheulich in ihrem Klima, mit zersetztem Trinkwasser. Es ist, als ob es die Sammelstadt der Eulen wäre; man hört darin nichts als ihr Geschrei. Und darin wollen sie diesen Diener einkerkern mit der Absicht, vor unserem Angesicht die Tore der Milde zu schließen und uns zeitlebens der guten Dinge des Lebens in dieser Welt zu berauben, während wir deren heute noch einige genießen. Bei Gott, sollte gleich Ermüdung mich schwächen u. Hunger mich vernichten, sollte mein Bett auf hartem Felsen ausgebreitet sein u. mir die Tiere der Wüste als Gefährten beigegeben werden, so will ich nicht zurückschrecken, sondern will, wie die Entschlossenen und Entschiedenen geduldig sein durch die Kraft Gottes, des Königs der Prä-Existenz, des Schöpfers der Völker, und unter allen Umständen bin ich dankbar gegen Gott. Und wir hoffen auf Seine Gnade (Erhaben ist Er)..., daß Er die Gesichter aller Menschen aufrichtig mache gegen Ihn, den Mächtigen, den Gütigen. Wahrlich, Er antwortet dem, [Seite 23] der betet, und Er ist nahe dem, der zu Ihm ruft. Und wir bitten Ihn, Er möge dieses finstere Unglück zu einem Schild machen für den Leib Seiner Heiligen, um sie damit zu schützen gegen die scharfen Schwerter und die durchbohrenden Klingen. Durch Anfechtung hat dies Licht geschienen und hat Sein Preis unaufhörlich gestrahlt; dies war Seine Art in allen verflossenen Zeitaltern und in weit hinter uns liegenden Zeiten.“

Geschichte des Báb, S. 146,147.


Einkerkerung in Akka.

Zu jener Zeit war Akka eine Gefängnisstadt, in welche die schwersten Verbrecher aus allen Teilen des türkischen Reichs verbracht wurden. Bei der Ankunft daselbst, nach einer schlimmen Seereise, wurde Bahá’u’lláh und Seine Gefährten, etwa 80—84 an Zahl, Männer, Frauen und Kinder zusammengerechnet, in den Heeresbaracken eingekerkert. Der Raum war schmutzig und im höchsten Grade bedrückend. Es gab keine Betten noch sonst irgend eine Bequemlichkeit. Die verabreichte Speise war erbärmlich und so ungenießbar, daß nach einiger Zeit die Gefangenen baten, es möge ihnen erlaubt werden, ihr Essen selbst einzukaufen. Während der paar ersten Tage schrieen die Kinder unaufhörlich, und es war beinahe unmöglich, zu schlafen. Malaria, Dysenterie und andere Krankheiten brachen bald aus, und die ganze Gefangenenschar wurde zugleich krank, mit Ausnahme von Fünfen (die den Krankheiten erst später zum Opfer fielen). Vier starben an ihrer Erkrankung, und die Leiden der Ueberlebenden waren unbeschreiblich 7).

Diese strenge Gefangenschaft dauerte zwei Jahre, während derer keiner der Bahái die Gefängnisschwelle überschreiten durfte, ausgenommen vier Männer, die, sorgfältig bewacht, täglich ausgingen, Essen einzukaufen.

Während der Einkerkerung in den Baracken wurden alle Besuche streng abgewiesen. Verschiedene von den Bahái aus Persien wanderten den ganzen Weg zu Fuß zum Zweck, ihren geliebten Führer zu sehen, es wurde ihnen aber der Einlaß durch das Stadttor versagt. Sie pflegten dann an einen Ort auf der Ebene außerhalb des dritten Festungsgrabens zu gehen, von wo aus sie die Fenster von Bahá’u’lláhs Gefängnisraum sehen konnten, und nachdem sie Ihn von fern gesehen hatten, brachen sie in Tränen aus und kehrten heim, angefacht zu neuem Eifer für Opfer und Dienst.

7) „Um zwei von ihnen, die gestorben waren, beerdigen zu können, gab Bahá’u’lláh Seinen eigenen Teppich her, um aus dem Erlös die Auslagen für das Begräbnis zu bestreiten, aber anstatt das Geld für diesen Zweck zu verwenden, unterschlugen es die Soldaten und warfen die Körper in ein Loch im Boden.“ — Avarih. -


Die Beschränkungen werden milder.

Schließlich wurde die Gefangenschaft gemildert. Einer eintretenden Mobilisierung türkischer Truppen wegen wurden die Baracken für Soldaten benötigt. Bahá’u’lláh und Seine Familie erhielten ein Haus für sich allein und der Rest der Gefährten wurde in einer Karawanserei in der Stadt untergebracht. Bahá’u’lláh wurde in diesem Hause weitere sieben Jahre gefangen gehalten. In einem engen Raum neben der Zelle, in der Er gefangen gehalten wurde, mußten sich 13 Angehörige Seines Haushalts beiderlei Geschlechts beieinander einrichten, so gut sie konnten! In der ersten Zeit ihres Aufenthalts in diesem Haus litten sie schwer unter dessen Unzulänglichkeit und Unbequemlichkeit, unter der Verabreichung ungeeigneter Speise und dem Mangel an den einfachsten Lebenserleichterungen. Nach einiger Zeit aber wurden einige weitere Räume zur Verfügung gestellt, und sie konnten nun in verhältnismäßiger Bequemlichkeit leben. Mit der Zeit verließen Bahá’u’lláh und Seine Gefährten die Baracken. Besuchern wurde erlaubt, zu Ihm zu gehen, und nach und nach wurden die strengen Einschränkungen nach den Befehlen der türkischen Regierung als erledigt betrachtet, obgleich sie dann und wann für kurze Zeit wieder in Kraft traten.


Die Türen des Gefängnisses öffnen sich.

Auch während der Zeit der schlimmsten Einkerkerung waren die Bahái nicht entmutigt, und ihr heiteres Vertrauen wurde nicht zu schanden. Schrieb doch Bahá’u’lláh in den Baracken von Akka an verschiedene Freunde:

„Fürchtet euch nicht. Diese Tore werden sich öffnen. Mein Zelt wird auf dem Berg Karmel aufgeschlagen werden, und die herrlichste Freude werden wir erleben.“

Diese Erklärung war eine große Quelle der Tröstung für Seine Gefährten, und im richtigen Augenblick erfüllte sie sich wörtlich. Die Geschichte, wie die Gefängnistüren sich öffneten, ist am besten erzählt in den Worten ’Abdu’l-Bahás, wie sie sein Enkel, Shogi Effendi, übersetzt hat:

„Bahá’u’lláh liebte die Schönheit und das Grün des Landes. Eines Tages bemerkte Er nebenbei: „Ich bin jetzt 9 Jahre lang nicht mehr im Grünen gewesen. Das Land ist die Welt der Seele, die Stadt die Welt des Leibs.“ Als man mir diesen Ausspruch mitteilte, erkannte ich, daß Er sich nach dem Lande sehne, und ich war sicher, daß, was ich auch tun würde, um Seinen Wunsch zu erfüllen, von Erfolg begleitet sein würde. Es gab in Akka zu dieser Zeit einen Mann, namens Muhammed Pascha Safwat, der zu unsern ärgsten Gegnern zählte. Er besaß [Seite 24] einen Palast, der Masra-ih hieß, etwa 4 Meilen nördlich von der Stadt; es war ein lieblicher Ort, von Gärten umgeben, und mit einem Lauf fließenden Wassers. Ich ging und besuchte diesen Pascha in seinem Heim. Ich sagte: ‚Pascha, du läßt deinen Palast leer stehen und lebst in Akka.‘ Er erwiderte: ‚Ich bin gebrechlich und kann die Stadt nicht missen. Wenn ich hinausgehe, ist es mir zu einsam, und ich bin von meinen Freunden abgeschnitten.‘ Ich sagte: ‚Weil du nicht draußen lebst und das Haus leer steht, überlasse es doch uns.‘ Er war erstaunt über den Vorschlag, aber bald war er damit einverstanden. Ich mietete das Haus zu einer sehr niedrigen Miete, etwa fünf Pfund das Jahr, bezahlte diese auf fünf Jahre und schloß einen Vertrag mit ihm ab. Ich schickte Arbeiter, das Haus instandzusetzen und den Garten in Ordnung zu bringen, auch ein Bad ließ ich einbauen. Ich hatte auch ein Gefährt für den Gebrauch der Gesegneten Schönheit vorgesehen. Ich suchte einen Tag aus, an dem ich hinausgehen und den Ort für mich selbst ansehen wollte. Trotz der wiederholten Einschärfungen in späteren Befehlen, daß wir unter keinen Umständen die Grenzen der Stadtmauer überschreiten dürften, wandelte ich durch das Stadttor. Dort standen Wachen, aber sie erhoben keinen Einwand, u. ich begab mich sogleich zu dem Palast. Am nächsten Tage ging ich wieder hinaus, begleitet von verschiedenen Freunden und Beamten, unbelästigt und ohne Widerstand zu finden, obgleich die Wachen und Wächter an beiden Seiten der Stadttore standen. Andern Tags veranstaltete ich ein Gastmahl, stellte eine Tafel unter die Pinienbäume von Bahji und versammelte darum die Spitzen und Beamten der Stadt. Abends kehrten wir wieder zur Stadt zurück.

Eines Tages nun begab ich mich in die heilige Gegenwart der Gesegneten Schönheit 8) und sagte: ‚Der Palast zu Masra-ih steht für uns bereit, und ein Gefährt, um Dich dahin zu bringen.‘ (Um jene Zeit gab es in Akka oder Haifa keine Gefährte). Er weigerte Sich zu gehen und sagte: ‚Ich bin ein Gefangener.‘ Später bat ich Ihn wieder, erhielt aber die gleiche Antwort. Ich ging soweit, Ihn ein drittes Mal zu bitten, aber Er sagte nur: ‚Nein‘, und ich wagte es nicht, weiter in Ihn zu dringen. Nun wohnte in Akka ein gewisser mohammedanischer Scheik, ein wohlbekannter Mann mit bedeutendem Einfluß, der Bahá’u’lláh liebte, und der bei Ihm in großer Gunst stand. Ich besuchte diesen Scheik und legte ihm die Sache dar. Ich sagte: ‚Du darfst es wagen. Begib dich zur Nacht in Seine Heilige Gegenwart, falle auf die Knie vor ihm, erfasse Seine Hände und lasse nicht nach und gehe nicht, bis Er verspricht, die Stadt zu verlassen!“ Er war ein Araber... Er begab sich unverzüglich zu Bahá’u’lláh und ließ sich vor Ihm auf die Knie nieder. Er ergriff die Hände der Gesegneten Schönheit, küßte sie und fragte: ‚Warum verlässest Du die Stadt nicht?‘ Er sagte: ‚Ich bin ein Gefangener.‘ Der Scheik entgegnete: ‚Gott bewahre! Wer hat die Macht, Dich zu einem Gefangenen zu machen? Du hast Dich selbst in Gefangenschaft gehalten. Es war Dein eigener Wille, gefangen gehalten zu werden, und nun bitte ich Dich, herauszukommen und zu dem Palast zu gehen. Er ist herrlich und grün. Die Bäume sind lieblich, und die Orangen glühen wie Feuerkugeln!' So oft die Gesegnete Schönheit sagte: ‚Ich bin ein Gefangener, es kann nicht sein‘, griff der Scheik nach Seinen Händen und küßte sie. Eine ganze Stunde lang ließ er nicht nach, auf Bahá’u’lláh einzureden. Schließlich sagte Bahá’u’lláh: ‚Khayli khub (also gut)‘, und des Scheiks Geduld und Ausdauer waren belohnt. Er kam zu mir in großer Freude, mir die frohe Neuigkeit der Einwilligung Seiner Heiligkeit zu bringen. Trotz des strengen Firmans von ’Abdu’l-Azis, der mir eine Begegnung oder ein Zusammensein mit der Gesegneten Vollkommenheit verbot, nahm ich am nächsten Tage das Gefährt und fuhr mit Ihm zu dem Palast hinaus. Niemand machte eine Einwendung. Ich verließ Ihn dort, ich selbst kehrte zur Stadt zurück.

Zwei Jahre lang blieb Er an diesem reizenden und lieblichen Platz. Dann entschied Er sich, anderswohin zu gehen, nämlich nach Bahji. Damals ereignete sich, daß eine Krankheitsepidemie in Bahji ausbrach, und der Eigentümer des Hauses floh in der Angst davor, mit seiner ganzen Familie, und erklärte sich bereit, sein Haus irgend einem Bewerber umsonst zu überlassen. Wir übernahmen das Haus um eine ganz niedere Miete, und hier wurden die Tore der Majestät und der wahren Herrschaft weit geöffnet. Bahá’u’lláh war dem Namen nach ein Gefangener (denn die strengen Firmans des Sultans 'Abdu’l-Azis wurden nie aufgehoben), aber in Wirklichkeit zeigte Er eine solche Vornehmheit und Würde in Seinem [Seite 25] Leben und Seinem Gebahren, daß Er von jedermann verehrt wurde und die Herrscher von Palästina Ihn um Seinen Einfluß und Seine Macht beneideten. Gouverneure und Mutessarifs, Generäle und örtliche Beamte suchten demütig um die Ehre nach, in Seine Gegenwart zugelassen zu werden — ein Verlangen, dem Er selten entsprach.

Einmal suchte ein Gouverneur der Stadt, kraft höherer Autorität, um die Gunst nach, die Gesegnete Vollkommenheit mit einem gewissen General besuchen zu dürfen. Dem Verlangen wurde entsprochen, und der General, der ein sehr wohlbeleibter Mann war, ein Europäer, war so hingerissen von der majestätischen Gegenwart Bahá’u’lláhs, daß er knieend auf dem Boden in der Nähe der Türe verblieb. So groß war die Schüchternheit der beiden Besucher, daß es wiederholter Einladungen von Bahá’u’lláh bedurfte, sie zu bewegen, die Nargileh zu rauchen (Wasserpfeife), die er Ihnen anbot. Auch dann berührten sie diese nur mit den Lippen, legten sie wieder beiseite, falteten dann ihre Arme und saßen in einer Stellung von solcher Demut und Hochachtung da, daß es für die Anwesenden ganz erstaunlich war.

Die liebende Ergebenheit der Freunde, die Rücksicht und Hochachtung, die Ihm von allen Beamten und Spitzen entgegengebracht wurde, der Zustrom der Pilger und Sucher nach Wahrheit, der Geist der Hingabe und des Dienstes, der rings um Ihn offenbar wurde, die majestätische und königliche Haltung der Gesegneten Vollkommenheit, die Wirksamkeit Seines Gebots, die Zahl der Ihm so eifrig Ergebenen, all dies legte Zeugnis ab für die Tatsache, daß Bahá’u’lláh in Wirklichkeit nicht Gefangener war, sondern ein König der Könige. Zwei despotische Herrscher standen gegen Ihn, zwei mächtige Selbstherrscher, und doch, wenn auch gefangengesetzt in ihren Gefängnissen, redete Er sie an in gebietendem Ton, wie ein König seine Untertanen. Später lebte Er, trotz strenger anderweitiger Befehle, in Bahji wie ein Fürst. Er konnte oft sagen: ‚Wahrlich, wahrlich, das elendeste Gefängnis hat sich in ein Paradies von Eden umgewandelt.‘

Sicher, etwas derartiges ist noch nicht dagewesen seit der Schöpfung der Welt.“

8) Jamát-i-Mubárak (wörtlich Gesegnete Schönheit) dies war ein Titel, der häufig von den Jüngern und Freunden Bahá’u’lláhs für Ihn gebraucht wurde.


Das Leben in Bahji.

Hatte Er in den früheren Jahren Seiner Leiden gezeigt, wie man Gott in einem Zustand der Armut und Schande verherrlichen kann, so zeigte Bahá’u’lláh in Seinen späteren Jahren in Bahji, wie Gott in Zeiten der Ehre und des Reichtums zu verherrlichen ist. Die Anerbietungen von hunderttausenden Seiner ergebenen Nachfolger stellten große Beträge zu Seiner Verfügung, zu deren Verwalter Er bestimmt wurde. Obgleich Sein Leben in Bahji als wirklich königlich, im wahrsten Sinne des Wortes, beschrieben worden ist, darf man sich doch darunter nicht einbilden, daß Sein Leben durch äußerlichen Prunk oder Verschwendung gekennzeichnet war. Die Gesegnete Vollkommenheit und Seine Familie lebten auf sehr einfache und bescheidene Art, und Ausgaben für eigenen Luxus war etwas, das man in Seinem Haushalt nicht kannte. Nahe bei Seinem Haus legten die Gläubigen einen schönen Garten mit Namen Ridwan an, in welchem Er oft mehrere Tage und selbst Wochen zubrachte, wobei Er des Nachts in einem leichtgebauten Hause im Garten schlief. Gelegentlich ging Er auch über Land. Er besuchte öfters Akka und Haifa und mehr denn einmal hat Er Sein Zelt auf dem Berg Karmel errichtet, wie Er vorausgesagt hatte, als Er noch in den Baracken von Akka eingekerkert war. Bahá’u’lláh brachte die meiste Zeit in Gebet und Andacht, mit dem Schreiben von Heiligen Büchern und dem Offenbaren von Tabletts, und mit der geistigen Erziehung der Freunde zu. Um Ihm vollständige Freiheit für sein großes Werk zu geben, übernahm ’Abdu’l-Bahá alle andern Geschäfte selbst, sogar den Besuch und den Empfang der Mullas, der Dichter und der Mitglieder der Regierung. Alle diese Leute waren entzückt und beglückt vom Zusammensein mit ’Abdu’l-Bahá und waren vollständig zufriedengestellt von Seinen Erklärungen und der Unterhaltung mit Ihm, und obgleich sie Bahá’u’lláh nicht selbst gesehen hatten, waren sie voll freudiger Gefühle für Ihn durch die Bekanntschaft mit Seinem Sohn, da die Haltung ’Abdu’l-Bahás ihnen ebenfalls volles Verständnis für den Stand Seines Vaters übermittelte.

Der berühmte Orientalist, Professor Edward G. Browne von der Universität in Cambridge, besuchte Bahá’u’lláh im Jahre 1890 in Bahji und hat Seine Eindrücke wie folgt niedergeschrieben:

„Mein Führer stand einen Augenblick stille, während ich meine Schuhe auszog. Mit einem raschen Griff zog er den Vorhang zurück, und ich betrat ein großes Zimmer, an dessen oberem Ende ein Diwan und der Türe gegenüber drei Stühle standen. Obschon ich wohl ahnte, wohin ich geführt ward, (denn eine bestimmte Andeutung war mir nicht gemacht worden) und wen ich sehen sollte, stand ich doch einige Sekunden mit Herzklopfen und voll Ehrfurcht da, bevor ich mir bewußt wurde, daß das Zimmer nicht leer war. In der Ecke, wo der Diwan an die Wand stieß, [Seite 26] saß eine hoheitsvolle, ehrwürdige Gestalt, mit jener Kopfbedeckung, die bei den Derwischen „Tadsch“ genannt wird, und um deren unteren Teil ein kleiner weißer Turban gewunden war. Das Gesicht, in das ich nun blickte, kaun ich nie vergessen, obgleich ich nicht imstande bin, es zu beschreiben. Diese durchdringenden Augen schienen auf dem Grunde der Seele zu lesen. Macht und Autorität lagen auf diesen breiten Augenbrauen; die tiefen Falten auf Seiner Stirne und Seinem Gesicht verrieten ein Alter, das Sein tiefschwarzes Haar und der in üppigem Wuchs bis zur Leibesmitte herabwallende Bart Lügen zu strafen schienen. Es war nicht nötig, zu fragen, vor wem ich stand; denn als ich mich vor Ihm verbeugte, war ich mir bewußt, daß ich vor einem stand, der der Mittelpunkt einer Liebe und Verehrung ist, um die Ihn Könige beneiden könnten und nach der sich die Kaiser vergeblich sehnen; eine milde, würdevolle Stimme bat mich, Platz zu nehmen, und sprach:

„Gelobt sei Gott, daß du hierher kamst! Du bist gekommen, um einen Gefangenen und Verbannten zu sehen? Wir wünschen nur das Wohl der Welt und die Glückseligkeit der Nationen; dennoch hält man uns für Anstifter von Streit und Aufruhr, die Fesseln und Verbannung verdienen. Wir wünschen, daß alle Völker in einem Glauben vereint und alle Menschen Brüder werden; daß das Band der Liebe und Einigkeit zwischen den Menschen gestärkt werde; daß die Verschiedenheiten in der Religion verschwinden und die Unterschiede, welche zwischen den Rassen gemacht werden, aufhören - was ist nun Schädliches in diesen Bestrebungen?... Aber trotz all dem wird es dahin kommen, daß diese furchtbaren Kämpfe, diese zerstörenden Kriege aufhören und der höchste Friede, der Friede aller Frieden, zustande kommt... Habt ihr dies in Europa nicht auch nötig? Ist dies nicht das, was euch Christus verhieß?... Aber dennoch sehen wir, wie eure Könige und Regenten die Schätze ihrer Länder mehr für die Zerstörung der menschlichen Rasse verschwenden, als sie für das ausgeben, was das Glück der Menschheit herbeiführen würde. Diese Kämpfe, dieses Blutvergießen und diese Uneinigkeiten müssen aufhören, alle Menschen müssen sein, als ob sie einer Rasse und einer Familie angehören würden. Es rühme sich keiner dessen, daß er sein Vaterland liebt, sondern dessen, daß er das ganze Menschengeschlecht mit seiner Liebe umfaßt...“

Solcher Art waren, soweit ich sie aus dem Gedächtnis wiedergeben kann, die Worte, die ich, neben vielen andern von Bahá hörte. Mögen die, die sie lesen, sie gut daraufhin ansehen, ob solche Lehren Tod und Bande verdienen, und ob die Welt von ihrer Verbreitung nicht vielleicht mehr gewinnen als verlieren würde.“

— Einführung zu „A Travellers Narrative“, Geschichte des Báb, S. 39. -


Sein Hinscheiden.

So einfach und ruhig brachte Bahá’u’lláh Seinen Lebensabend zu, bis ein Fieberanfall Ihn am 28. Mai 1892 im Alter von 75 Jahren hinwegraffte. Eines Seiner letzten Tablette, die Er offenbarte, war Sein letzter Wille und Testament, das Er mit eigener Hand schrieb, unterzeichnete und siegelte. Neun Tage nach Seinem Tode wurden die Siegel von Seinem ältesten Sohn erbrochen in Gegenwart von Familienmitgliedern und einigen Freunden, und der Inhalt der kurzen, aber bedeutsamen Urkunde wurde bekannt gegeben. Durch diesen letzten Willen wurde 'Abdu'l-Bahá als Seines Vaters Stellvertreter u. als Weiterverbreiter der hl. Lehre bestimmt. Die Familie und die Verwandten von Bahá’u’lláh und alle Gläubigen wurden angewiesen, sich Ihm zuzuwenden und Ihm Gefolgschaft zu leisten. Durch diese Anordnung wurde Sektiererei und Spaltung verhindert und die Einheit der Sache sichergestellt.


Die Prophetenschaft von Bahá’u’lláh.

Es ist wichtig, sich eine klare Vorstellung von Bahá’u’lláhs Prophetenschaft zu machen. Seine Aeußerungen, gleich denen anderer göttlicher Offenbarungen, können in zwei Klassen eingeteilt werden, in eine, in der Er schreibt und spricht wie ein Mensch, der von Gott mit einer Botschaft an Seine Brüder beauftragt ist, während in der andern die Worte unmittelbare Aeußerungen von Gott Selbst sind.

Er schreibt in dem Buch Iqán:

„Es gibt zwei Stufen für die Sonnen, die sich am Morgenhimmel der Göttlichkeit erheben. Die eine ist die Stufe der Einheit und die Stufe der Einzigkeit. ‚Wir machen keinen Unterschied zwischen ihnen.‘ (Koran S.2). Die andere Stufe ist die der Unterscheidung, der Erzeugung und der menschlichen Beschränkungen. Auf dieser Stufe wird für jeden einzelnen ein Tempel bestimmt, eine Mission verkündet, eine Manifestation verordnet, und werden gewisse Beschränkungen bestimmt. Jeder wird genannt mit einem bestimmten Namen, charakterisiert durch gewisse Eigenschaften und ist für eine neue Sache und ein neues Gesetz bestimmt, wie gesagt ist: ‚Dies sind die Boten; wir haben einige vor den andern bevorzugt; zu einigen von ihnen hat Gott [Seite 27] gesprochen und anderer Stufe hat er erhöht. Und wir gaben Jesus, dem Sohn der Maria, deutliche Zeichen und stärkten Ihn mit dem Heiligen Geist.‘ (Koran Sure 2).

Auf der Stufe der Einheit und der Stufe der Einzigkeit wurden und werden diesen Wesen der Existenz reine Erhabenheit, Göttlichkeit, Einheit und absolute Gottgleichheit zugeschrieben, weil sie alle auf dem Thron der ‚Manifestation Gottes‘ sitzen... das heißt, die Erscheinung und die Schönheit von Gott wird offenbar gemacht durch ihre Schönheit...

Auf der zweiten Stufe, welche die der Trennung, Unterscheidung, Begrenzung und zeitlicher Zustände und Merkmale ist, zeigen sie sich in absoluter Dienstbarkeit, wirklicher Not und äußerster Niedrigkeit, wie gesagt ist: ‚Wahrlich, ich bin der Diener Gottes‘ und ‚Wahrlich, ich bin nur ein Mensch, wie ihr.‘ (Koran Sure 41.)

Wenn man von den vollkommenen Manifestationen sagen hört: ‚Wahrlich, ich bin Gott‘, so ist es wahr und außer Zweifel, denn... durch ihre Manifestation, ihre Attribute und Namen erscheint die Manifestation Gottes, die Attribute Gottes und der Name Gottes auf Erden... Ebenso, wenn sie sagen: ‚Wir sind die Diener Gottes‘, ist dies ebenso begründet und klar, denn äußerlich sind sie mit dem höchsten Grad der Dienstbarkeit aufgetreten. Niemand sonst hat den Mut, in der Welt mit dieser Tiefe der Unterwerfung aufzutreten.

So äußerten diese Wesenheiten der Existenz, untergetaucht in den Fluten der Ewigen Heiligkeit und beim Aufsteigen zu den Gipfeln der Bedeutungen des Idealen Königs, Erklärungen der Einheit und der Göttlichkeit. Würde ein Mensch aufmerksam nachdenken, so würde er finden, daß sie selbst in diesem Zustand die äußerste Demut und Niedrigkeit in Gegenwart der Absoluten Existenz und des wahren Lebens bewahrheiten, obgleich sie sich äußere Nichtexistenz zurechnen und ihre eigene Erwähnung an diesem Hof als Vielgötterei ansehen.

Deshalb ist alles, was sie sagen, und worauf sie Anspruch erheben, einschließlich Göttlichkeit, Gottgleichheit, Prophetenschaft, Botenschaft, Nachfolgerschaft, Imamat oder Dienstbarkeit wahr und ohne Zweifel.“

— Buch Iqán, S. 125—129. --

Wenn Bahá’u’lláh als Mensch spricht, ist die Stufe, die Er in Anspruch nimmt, die äußerster Bescheidenheit, des „Aufgehens in Gott“. Was die „Manifestation“ in Seiner menschlichen Persönlichkeit gegenüber andern Menschen auszeichnet, ist die Vollständigkeit Seiner Selbstverleugnung sowohl, wie die Vollkommenheit Seiner Macht. Unter allen Umständen ist Er fähig zu sagen, wie Jesus im Garten Gethsemane, „Aber nicht mein, sondern Dein Wille geschehe“. So sagt Bahá’u’lláh in einem Brief an den Schah:

„O König, wahrlich, ich lag wie sonst ein Mensch schlafend auf meinem Lager. Der Odem des Allmächtigen wehte über mich hin mit der Erkenntnis von dem, was war. Diese Sache ist nicht von mir, sondern von Einem, der mächtig ist und allwissend. Und Er hat mich geheißen, mich zwischen Himmel und Erde zu verkündigen, und deswegen ist über mich gekommen, was die Augen derer, die es wissen, mit Tränen füllt. Ich habe die Wissenschaften nicht studiert, die die Menschen besitzen, noch habe ich irgend welche Schulen besucht... Dies ist ein Blatt, das die Winde des Willens deines Herrn, des Mächtigen, bewegt haben. Kann es ruhig bleiben, wenn die stürmischen Winde blasen? Nein, bei dem Herrn der Namen und Eigenschaften! Sie bewegen es und lassen es nicht in Ruhe, denn das Wesen ist nicht etwa ein Nichts in der Gegenwart des Ewigen. Sein entschiedener Befehl kam und hieß mich sprechen zu Seiner Verherrlichung auf der Welt. Wahrlich, ich war nicht mehr als ein Toter in der Gegenwart Seines Befehls, die Hand Deines Herrn, des Barmherzigen, des Gnädigen, hat mich gewandelt. Kann jemand von sich aus sprechen, wofür ihn alle Menschen, hoch oder nieder, verfolgen werden? Nein, bei Dem, der die Feder ewige Geheimnisse lehrte, es sei denn, daß er gestützt werde durch den Mächtigen, den Starken.“

— Geschichte vom Bab, S. 893. -

Wie Jesus die Füße Seiner Jünger wusch, so hat Bahá’u’lláh manchmal Speise für Seine Jünger gekocht und andere niedere Dienste für sie verrichtet. Er war ein Diener der Diener, und verherrlichte Sich nur durch Seinen Dienst. Er war zufrieden, auf dem harten Boden zu schlafen, falls es notwendig war, und nur von Brot und Wasser zu leben oder selbst zeitweise, wie Er es nannte, von „göttlicher Nahrung“ zu leben, das heißt, Hunger zu leiden. Eine vollendete Demut konnte man in Seiner tiefen Ehrfurcht vor der Natur, vor dem menschlichen Wesen und besonders vor den Heiligen, den Propheten und den Märtyrern erkennen. Zu Ihm sprachen alle Dinge von Gott, vom kleinsten bis zum größten.

Seine menschliche Persönlichkeit ist von Gott auserwählt worden, Sein Göttliches Sprachrohr und Seine Heilige Feder zu sein. Es war nicht Sein eigener Wille, diese Stellung von [Seite 28] unvergleichlicher Schwierigkeit und Härte auf Sich zu nehmen. Wie Jesus sagte: „Mein Vater, ist's möglich, so lasse diesen Kelch an mir vorübergehen, so sagte Bahá’u’lláh:

„Wenn ein anderer Erklärer und Sprecher gefunden worden wäre, so wären wir nicht Gegenstand der Lächerlichkeit und der Verleumdungen seitens der Leute geworden“

(Tablett Ischr.)

Aber der göttliche Ruf war klar und zwingend, und Er gehorchte. Gottes Wille wurde Sein Wille, und was Gott wohlgefiel, erwählte Er auch für sich. Und mit strahlender Ueberzeugung erklärte Er:

„Wahrlich, ich sage euch, was euch auf dem Wege des Herrn befällt, ist der Seele wohlgefällig und der Wunsch des Herzens. Tödliches Gift auf Seinem Pfade ist die Süßigkeit selbst, und Marter in Seinem Namen ist kaltes und erfrischendes Wasser.‘

— Siehe Epitre au fils du Loup, S. 17. -

Zu andern Zeiten, die wir schon erwähnten, sprach Bahá’u’lláh „von der Stufe der Göttlichkeit aus“. In diesen Aeußerungen tritt Seine menschliche Persönlichkeit so vollkommen zurück, daß ihr gar keine Beachtung mehr geschenkt wird. Durch Ihn spricht Gott zu Seiner Kreatur, erklärt Seine Liebe zu ihr, lehrt Seine Geschöpfe Seine Eigenschaften, gibt ihnen Seinen Willen bekannt, verkündet Seine Gesetze zu ihrer Führung und fordert ihre Liebe, ihre Anhänglichkeit, ihren Dienst.

In den Schriften von Bahá’u’lláh wechselt die Aeußerung häufig von der einen Form zur andern über. Manchmal ist es zweifelsohne der Mensch, der spricht, dann ohne eine Pause fährt der Text fort, als ob Gott in eigenster Person sprechen würde. Selbst aber, wenn Er als Mensch spricht, spricht Bahá’u’lláh als Gottes Botschafter, als ein lebendes Beispiel von vollständiger Ergebenheit in Gottes Willen. Sein ganzes Leben wird vom Heiligen Geist in Bewegung gehalten. Deshalb können keine bestimmten, klaren Linien gezogen werden zwischen den menschlichen und den göttlichen Elementen in Seinem Leben und Seiner Lehre. Gott sagt zu Ihm:

„Sprich: Nichts sollst du in meinem Tempel sehen als Gott; in meiner Schönheit nur Seine Schönheit, in meinem Wesen nur Sein Wesen, in mir nur Ihn, in meiner Bewegung nur Seine Bewegung, in meiner Erkenntnis Seine Erkenntnis, in meiner Feder Seine Heilige Feder, die Kostbare, die Gepriesene.“

„Sage: Es gab in meiner Seele nichts als die Wahrheit, und in mir kann man nichts sehen als nur Gott.“

— (Surat-ul-Haikal, S. 30.)


Seine Sendung.

Bahá’u’lláhs Mission auf der Welt ist, Einheit zu bringen, Einheit allen Menschen in und durch Gott. Er sagt:

„Vom Baum der Erkenntnnis die allherrliche Frucht ist folgendes erhabene Wort: Von Einem Baum seid ihr alle die Frucht, und von Einem Zweig die Blätter. Lasset niemand sich rühmen, daß er sein Vaterland liebe, lasset ihn vielmehr sich rühmen, daß er das ganze Menschengeschlecht liebt."

Die früheren Propheten haben ein Zeitalter des Friedens auf Erden angekündigt, des Wohlgefallens unter den Menschen, und haben ihr Leben dahingegeben, um Sein Kommen zu beschleunigen; aber sie alle haben genau erklärt, daß diese gesegnete Erfüllung nur erreicht werden wird nach dem „Kommen des Herrn“ in den letzten Tagen, wenn der Gottlose gerichtet und der Gerechte belohnt wird.

Zoroaster prophezeite 3000 Jahre Streit vor dem Kommen des Scháh Bahram, des Welterlösers, der Ahriman, den Geist des Bösen, überwinden und ein Reich der Gerechtigkeit und des Friedens aufrichten würde.

Moses sagte eine lange Periode von Verbannung, Verfolgung und Widerstand für die Kinder Israels voraus, ehe der Herr der Heerscharen erscheinen werde, sie aus allen Nationen zu versammeln, ihre Unterdrücker zu vernichten und Sein Königreich auf Erden aufzurichten.

Christus sagte: „Ihr sollt nicht wähnen, daß ich gekommen sei, Frieden zu senden auf die Erde. Ich bin nicht gekommen, Frieden zu senden, sondern das Schwert.“ (Matth. 10, 24). Und er sagte eine Zeit von Kriegen und Kriegsgeschrei voraus, von Beunruhigungen u. Anfechtungen, die dauern würden bis zum Kommen des Menschensohns „in der Herrlichkeit des Vaters.“

Mohammed erklärte, daß wegen ihrer Missetat Allah Feindschaft und Haß gesetzt habe zwischen Juden und Christen, die dauern werde bis zum Tag der Auferstehung, wenn Er erscheinen werde, um alle zu richten.

Bahá’u’lláh andererseits verkündet, daß Er dieser Eine von allen Propheten Verheißene ist, die Göttliche Manifestation, in dessen Zeitalter die Herrschaft des Friedens tatsächlich aufgerichtet werde. Diese Erklärung ist beispiellos und einzigartig, aber sie paßt wundervoll zu den Zeichen der Zeit und zu den Prophezeiungen aller großen Propheten. Bahá’u’lláh offenbarte mit unvergleichlicher Klarheit und Verständlichkeit die Mittel, um Frieden und Einigkeit unter den Menschen hervorzurufen. Es ist wahr, daß seit dem Kommen von Bahá’u’lláh, und noch jetzt, Krieg und Zerstörung in nie dagewesenem Maße stattgefunden [Seite 29] hat, aber dies ist gerade das, was alle Propheten gesagt haben, daß es sich ereignen werde beim Dämmern des „Großen und schrecklichen Tags des Herrn“, und ist somit nur eine Bestätigung der Ansicht, daß das „Kommen des Herrn“ nicht nur bevorsteht, sondern bereits vollendete Tatsache geworden ist. Dem Gleichnis Christi zufolge muß der Herr des Weinbergs erst das gottlose Gesinde übel umkommen lassen, bevor Er den Weinberg an andere gibt, die Ihm die Früchte zu rechter Zeit geben. Bedeutet dies nicht, daß beim Kommen des Herrn schreckliche Vernichtung der despotischen Regierungen harrt, der habsüchtigen und unduldsamen Priester, Mullas, der tyrannischen Führer, die Jahrhunderte hindurch, dem gottlosen Gesinde gleich, die Erde schlecht verwaltet und die Früchte vorenthalten haben?

Mag es gleich schreckliche Ereignisse geben, und nie dagewesenes Elend herrschen auf der Erde. Bahá’u’lláh versichert uns, daß „binnen kurzem diese nutzlosen Streitigkeiten, diese zerstörenden Kriege aufhören und der Größte Friede kommen werde.“

Krieg und Streit sind mit ihren Zerstörungsfolgen so unerträglich geworden, daß die Menschheit sich davon losmachen muß, oder sie geht zugrunde.

„Die Fülle der Zeiten“ ist gekommen und mit ihr der Verheißene Erlöser!


Seine Schriften.

Die Schriften von Bahá’u’lláh sind außerordentlich verständlich in ihrer Anordnung; sie geben sich mit jeder Phase des menschlichen Lebens ab, mit dem des Einzelnen wie mit dem der Gesellschaft, mit der Auslegung alter und neuer Schriften und mit dem prophetischen Voraussagen der nächsten wie der fernsten Zukunft.

Die Stufe und das Zutreffen Seiner Erkenntnis war bewundernswürdig. Er konnte die Heiligen Schriften der verschiedenen Religionen anführen und auslegen, mit denen die, die brieflich mit ihm verkehrten, vertraut waren, und zwar in überzeugender und mächtiger Weise, obgleich Er offensichtlich nie die Möglichkeit gehabt hatte, auf die gewöhnliche Art und Weise zu vielen der Bücher zu kommen, auf die Er Sich bezog. In der Epistel an den „Sohn des Wolfs‘“ erklärte Er, daß Er nie Zeit oder Gelegenheit gehabt habe, auch nur die Schriften des Báb zu lesen, obgleich Er in Seinen Büchern die vollkommenste Kenntnis und das vollkommenste Verständnis für die Offenbarung des Bab bewies. (Der Báb erklärte, wie wir wissen, daß seine Offenbarung, der Beyan, ihm eingegeben sei und ausgeflossen sei aus „Dem, den Gott offenbaren werde“!) Mit der einzigen Ausnahme eines Besuchs von Professor Browne, mit dem Er im Jahr 1890 vier Unterredungen hatte, deren jede 20-30 Minuten dauerte, hatte Er keine Gelegenheit, mit geistreichen abendländischen Gelehrten zu verkehren, und doch zeigen Seine Schriften einen wunderbaren Scharfblick für die sozialen, politischen und religiösen Probleme des Abendlandes, und sogar Seine Feinde mußten zugeben, daß Seine Weisheit und Erkenntnis unvergleichlich sei. Die wohlbekannten Umstände Seiner langen Einkerkerung schließen jeden Zweifel aus, daß viel von dem Reichtum an Erkenntnis, der sich in Seinen Schriften zeigt, aus geistigen Quellen entnommen sein muß, und völlig unabhängig von der gewöhnlichen Uebermittlung durch Studium oder durch Unterricht und der Hilfe von Büchern oder Lehrern ist. 9)

Bisweilen schrieb Er in Neu-Persisch, der gewöhnlichen Sprache Seiner Landsleute, die reichlich mit Arabisch durchsetzt ist. Zu andern Zeiten wieder, wenn Er sich z. B. an gelehrte Zoroastrier wandte, schrieb Er im reinsten klassischen Persisch. Er schrieb auch mit der gleichen Flüssigkeit in Arabisch, manchmal in ganz einfacher Sprache, manchmal in klassischem Stil, ähnlich dem des Koran. Seine völlige Meisterschaft in diesen verschiedenen Sprachen und Stilen war bemerkenswert hinsichtlich Seines völligen Mangels an litterarischer Ausbildung.

In manchen Seiner Schriften ist der Weg der Heiligkeit in solch einfachen Ausdrücken bezeichnet, daß der „Pilgersmann, sei er gleich töricht, sich darin nicht irren kann“. (Jes. 35, 8). In andern findet sich ein Reichtum an poetischer Bildhaftigkeit, tiefer Philosophie und Anspielungen auf mohammedanische, zoroastrische und andere Schriften, oder auf persische oder arabische Literatur und Legenden, wie ihn nur der Dichter, der Philosoph oder der Gelehrte hinreichend würdigen kann. Wieder andere beschäftigen sich mit den vorgeschrittenen Stufen des geistigen Lebens und können nur von solchen verstanden werden, die bereits die ersten Stufen hinter sich haben. Seine Werke gleichen einer wundervollen Tafel, die besetzt ist mit Speisen und Leckerbissen, die den Bedürfnissen und dem Geschmack aller angepaßt sind, die echte Sucher nach Wahrheit sind.

Es hat darin seinen Grund, daß diese Sache Erfolg hat bei den Gelehrten und Gebildeten, bei geistigen Dichtern und wohlbekannten Schriftstellern. Sogar viele Führer der Sufi und anderer Sekten und viele politische Minister, die Schriftsteller waren, wurden angezogen von Seinen Worten, denn sie übertrafen die aller andern Schriftsteller an Frische und Tiefe der geistigen Bedeutung.

9) Als ’Abdu’l-Bahá gefragt wurde, ob Bahá’u’lláh sich eines besonderdn Studiums der Schriften des Westens unterzogen und Seine Lehren aufgestellt habe in Uebereinstimmuug mit diesen, sagte Er, daß die Bücher von Bahá’u’lláh, die vor 60 Jahren geschrieben und gedruckt worden seien, die dem Westen jetzt so vertrauten Ideale enthielten, obgleich zu jener Zeit diese Ideen im Westen weder gedruckt noch ausgedacht worden seien.

[Seite 30]

Der Bahái-Geist.

Von dem Ort Seiner Verbannung, Akka, aus, — aus der Ferne, — wühlte Bahá’u’lláh Sein Heimatland Persien in seinen Tiefen auf; und nicht nur Persien; er rührte die Welt auf und wird sie noch mehr aufrühren. Der Geist, der Ihn und Seine Gefährten beseelte, war unendlich edel, zuvorkommend und geduldig, aber er war eine Kraft von erstaunlicher Lebensfähigkeit und übernatürlicher Macht. Er vollbrachte das unmöglich Scheinende. Er veränderte die menschliche Natur, Menschen, die sich Seinem Einfluß unterwarfen, wurden zu neuen Kreaturen. Sie wurden erfüllt von einer Liebe, einem Glauben und einer Begeisterung, mit der verglichen irdische Freuden und Sorgen wie nichts waren. Sie wurden fähig, lebenslänglichen Leiden oder dem drohenden Tod mit vollkommenem Gleichmut ins Gesicht zu sehen, ja sogar mit strahlender Freude, in der Kraft furchtloser Abhängigkeit von Gott.

Am wunderbarsten war es, daß ihre Herzen so von Freude über das neue Leben überflossen, daß kein Raum blieb für bittere Gedanken oder Rachsucht gegen ihre Unterdrücker. Sie verzichteten völlig auf Anwendung von Gewalt bei ihrer Verteidigung, und anstatt ihr Schicksal zu betrauern, betrachteten sie sich als die glückseligsten der Menschen, da sie den Vorzug hatten, diese neue und herrliche Offenbarung zu erkennen, und ihr Leben zu opfern oder ihr Blut zu vergießen, um für die Wahrheit zu zeugen. Wohl konnten ihre Herzen singen vor Freude, denn sie glaubten, daß Gott der Erhabene, der Ewige, der Geliebte, zu ihnen gesprochen habe durch menschliche Lippen, daß Er sie berufen habe zu Seinen Dienern und Freunden, daß Er gekommen sei, Sein Königreich auf Erden aufzurichten und einer kriegsgewohnten, in Kampf verstrickten Welt die unbezahlbare Gnade des Friedens zu bringen.

Solcher Art war der Glaube, den Bahá’u’lláh in die Herzen trug. Er kündigte Seine eigene Sendung an, wie der Báb von Ihm vorausgesagt hatte, und dank der ergebenen Arbeit Seines großen Vorläufers waren Tausende bereit, Sein Kommen anzuerkennen, Tausende, die Aberglauben und Vorurteile abschüttelten und reinen Herzens und offenen Geistes auf die Manifestation von Gottes Verheißener Herrlichkeit warteten. Armut und Ketten, widrige Umstände und äußere Schande konnten ihnen nicht die geistige Herrlichkeit ihres Herrn verbergen, nein, diese dunklen irdischen Begleiterscheinungen dienten nur dazu, die Strahlen Seines wirklichen Glanzes zu verstärken.



Qurratu’l-Ayn und ihr Lehrer.

(Jinab-i-Avarih’s Ansprachen in London.)

Zusammengestellt von Dr. Lotfullah $. Hakim. Aus „The Dawn“, Birma, I. u. II. Jahrgang.

Uebersetzt von H. Küstner. (Fortsetzung.)

Dessen erinnerte ich mich, und ich dachte, Qurratu’l-Ayn werde mir von diesem Gelde geben; so sagte ich zu ihr: „Gib mir Geld, ich will nichts von Religion.“ Darauf sagte Qurratu’l-Ayn: „Gehe zu jener Tasche und nimm eine Handvoll von dem Geld, das darin ist.“ Sie beobachtete mich aber dabei, daß ich nicht mehr nehmen sollte, Ich suchte, mit der Hand auf den Grund der Tasche zu gelangen, um von dem Gold zu bekommen, das dort war; aber ich hatte keinen Erfolg, und als ich meine Hand herauszog, sah ich, daß alles, was ich gefaßt hatte, Silber war. Ich murrte, ich hätte gewünscht, daß ich von dem Gold oben aufgelegt hätte, statt untenhin. Ich nahm aber das Geld und machte mich davon. Später reute es mich, daß ich nicht mit ihr gegangen war. Ich verließ Qurratu’l-Ayn und kam wieder nach Qaswin zurück.“

Gleichwohl reisten jene, die da waren, nach Badascht. Sie setzten sich in den Besitz von zwei großen Gärten; und für Baha’u’lláh wurde auf einer Wiese nahebei ein Zelt errichtet. Qurratu’l-Ayn pflegte zwischen den beiden Gärten ab und zu zu gehen. Sie machte zur Regel, daß jeden Tag ein Redner einen Vortrag halten solle über die Sache des Báb, oder über die Lehren des Báb, oder über andere ähnliche Dinge.

Der erste Ort, wo Qurratu’l-Ayn unverschleiert vor ihren Zuhörern erschien, war, wie man sagt, Badascht. Das Ereignis von der Ablegung ihres Schleiers wird von den verschiedenen Schriftstellern verschieden beschrieben. Monsieur Nicolas, der französische Gesandte in Persien, gibt in seinem Buch folgenden Bericht über diesen Vorgang.

Nach Msr. Nicolas saßen Baha’u’lláh, Quddus und Qurratu’l-Ayn mehrere Tage beisammen und pflogen Rats. Man glaubt gemeinhin, daß sich die Auseinandersetzung bei diesen Zusammenkünften hauptsächlich auf die Veränderung bezog, die durch die Lehren des Báb in die alte Religion eingeführt wurde. Qurratu’l-Ayn behauptete, daß solche Veränderungen das schreiende Bedürfnis des Zeitalters seien; und sie beharrte darauf, daß: „Je bälder wir dafür sorgen, daß die Gefährten, die hier sind, sich über diesen Punkt klar werden, desto besser.“ [Seite 31]

Quddus sagte: „Ich stimme ganz mit Dir überein, aber angenommen, wir treten damit hervor, werden diese Jünger nicht zornig auf uns sein? Werden sie uns nicht davonlaufen und werden wir dann nicht von allen Anhängern verlassen scin?"

Qurratu’l-Ayn erwiderte: „Gewiß, einige von diesen Leuten werden natürlich weglaufen, da sie sehr strenggläubig sind; aber wenn uns sogar der Tod droht, müssen wir die Wahrheit sagen.“ Baha’u’lláh war während der ganzen Unterhaltung still geblieben, obgleich er sie jedenfalls inspiriert hatte.

Endlich wurde ein Tag bestimmt, an dem Qurratu’l-Ayn das Wort ergreifen und offen über die Sache reden sollte. Es ist mohammedanische Ueberlieferung, daß wenn ein Weib auf schlimmen Wegen geht, man sie nicht töten soll, weil man glaubt, daß ein Weib nur einen ganz schwachen Geist bekommen habe. Man sagt: „Man muß versuchen, sie den schlimmen Gedanken vergessen zu machen, den sie hat.“ So wurde entschieden, daß Qurratu’l-Ayn offen über die Mission des Báb reden solle; ging man darauf ein, wäre es recht und gut; sollten die Zuhörer aber empört sein, sollte Quddus aufstehen und versuchen, ihren Geist zu klären.

Es war dies ein ganz schwieriges Unternehmen, und dessen Ausführung erforderte großen Mut, aber Qurratu’l-Ayn ging mutig darauf ein.

Als der bestimmte Tag herankam, hielt sie ihre Rede am gleichen Platz, wo sie sonst zu sitzen pflegte. Sie hatte sich mit einem Teppich von ihren Zuhörern getrennt und sprach hinter diesem. Während sie sprach, gab plötzlich die Schnur des Teppichs nach und dieser fiel zu Boden. Die Zuhörer sahen ihr Gesicht. Was sie in diesem besonderen Augenblick ihren Zuhörern zum Bewußtsein zu bringen suchte, war, daß die Leute gewisse Gebräuche aufgeben sollten, die bei ihnen eingehalten würden, und daß sie gewisse Gewohnheiten aufzugeben hatten, die sie in der ungesunden Umgebung gelernt hatten, in der sie aufgewachsen waren, und die sie irrtümlicherweise allmählich als einen Teil und ein Stück ihrer Religion betrachtet hatten.

Die Jünger, und wer sonst anwesend war, sagten, daß sie Qurratu’l-Ayn noch nie so beredt gehört hätten, wie an diesem Tag, wo sie Beweise aus den Ueberlieferungen und den Heiligen Schriften vorbrachte, die sie ganz ins Einzelne gehend und äußerst wissenschaftlich darlegte.

Im Augenblick, da der Teppich fiel, gab es eine große Aufregung. Die Anwesenden sahen eine herrliche Frau, in Seide gekleidet, vor sich sitzen; sie schämten sich, einige hüllten ihr Gesicht in ihr Gewand, während andere ihre Augen mit ihren Händen bedeckten, um sich den Anblick ihres Gesichtes zu entziehen. Qurratu’l-Ayn aber ließ sich nicht im Geringsten verwirren. Sie redete ihre Zuhörerschaft an und sagte: „Bin ich nicht eure Schwester und seid ihr nicht meine Brüder? Könnt ihr nicht auf mich schauen als auf einen wirklichen Freund? Wenn ihr nicht aus eurem Herzen schlimme Gedanken verbannen könnt, wie wollt ihr fähig sein, euer Leben für eine große Sache hinzugeben? Seid ihr dessen eingedenk, daß dieser Gebrauch des Schleiers vom Propheten nicht in so harter Weise eingeschärft worden ist, wie ihr sie alle zu beachten scheint? Habt ihr noch nie davon gehört, daß die Frauen des Propheten selber auf ihren Reisen ihre Gesichter entblößt trugen? Auch wenn es sich dabei um das Gesetz Mohammeds handelte, so ist doch heute ein großes Licht gekommen und hat alles verändert.“ Einige standen auf und verließen die Versammlung, während sie sprach, andere aber warteten noch das Ende ihrer Rede ab.

(Fortsetzung folgt.)



The Master.

They are marching towards Him in anendless procession, serious, thoughtful faces and also countenances beaming with light from within, and children with an angelic expression in their childish features. A big, broad nigger steps out of the procession and advances towards the venerable old man with the silvery hair and royal brow and grey-blue eyes with the bright rim around the iris and full of love as unfathomable as the ocean. He throws himself to the feet of the patriarch and says: „Master how you have changed my heart, formerly I kicked my slaves and had them thrashed for mere carelessness, how many sentences of death have I pronounced when in a rage and now Master since I have heard Your teaching, I have learned to love all men and feel compelled to help them, what no magic power could perform, You have accomplished with Your divine love.“ The Master bid him arise, kissed him on the forehead and said: „You were regenerated through the Spirit of God, when you sacrificed your passions, your own selfish disposition to God.“

A small girl of 15, an Indian is standing beside the august old man: „What must I do to become a real Bahai?“ „Read the [Seite 32] words and teachings of the great Master of the world, translate His divine Holy Teachings, impress them upon thy pure heart and thou willst learn to understand good from evil, truth from falsehood and thou willst live according to the Holy Teaching.“

A blooming young woman advanced to the Master: „Lord, how am I to endure my lover having deserted me and broken our engagement?“ „Come with me my child, look closely at these dwelling-places, the courtyard and the children playing under the trees“ — then the Master was silent and let her walk quietiy by His side, then the road led uphill and up to the Karmel, they wandered on for a time, then the aged Master stood still and said: „Look back my daughter and with thy eyes seek for the house and the courtyard with the playing children, see how small and far away the picture now seems, thou willst regard thy sorrow in exactly the same way in a distant time, it will dwindle away out of thy sight more and more, a broken engagement which goes to the heart is far better than married life without love.“ The beautiful young woman wept for a long time with the hand of comfort resting full of love upon her head, but they were tears of consolation and her heart became quieter.

A pale, withered-looking old man in oriental dress, who can hardly hold himself erect is staggering through the crowd and stammers in anguish of soul: „Master, all my life long I have hated you, have persecuted and slandered you and wished you evil and now at the end of my days I come to you to implore your forgiviness. You were always good to me, you have conquered me by your love!“ The Master lovingly helped him to get up and held him in his arms: „I was always thy friend; whether they love or hate me whether they come or go, I love them all. You ask me why I love so much? Because I have suffered much. Much sorrow begets much love, therefore they all come to me.“

A man with a sorrowful expression of countenance cries out: „Master, Master, I am so poor, no kind home awaits me, I have nothing to adorn the wretched abode I dwell in“ —. „My friend,“ the Master replies to him, „even if thy home is not adorned with furniture and made to look snug, yet when thy lamp is lit, thy room is full of light. Let the light of Divine guidance shine in thy heart, because a heart without spirituality is inadequate, if the love of God radiates from thee thou adorn the most miserable hut, and ennoble thy whole environment by it.“

„How can I find strength to go the right way — show me oh Master!“ There is an expression of serious will and firm belief upon the countenance of the inquirer. The aged man looks into his eyes, raises his hand and says: „Live according to the teachings of the blessed perfection, strength will be given to thee. Thou knowest the path to take, thou canst miss it. There is a vast difference between good and evil, between lisht and darkness, truth and falsehood love and hatred, nobleness and narrowmindedness, education and ignorance, belief in God and superstition, good lawsand unjust laws!“

They still throng around Him in a quiet procession, His patience and love are endless. A sweet child inquires of Him: „What can I give to God, for all He has given us here and there through Christ, Mohamed, Baha’u’lláh?“ — The aged man says: „The only thing we can and may give to God is our will.“ Oh, my son, give me thy heart and let thy ways be pleasing unto mine eyes. — By heart the will is meant. Only read and thou willst find that all teachers and prophets teach men the same divine commandment. Self-love is the greatest hindrance to finding God.“

A. Sch.


Bahái-Kongreß.

Der diesjährige Bahai-Kongreß fndet auf Beschluß des Geistigen Nationalrats am 22. und 23. Mai in Stuttgart statt. An ihn schließt sich am 24. Mai eine Tagung der Weltgemeinschaft Deutscher Zweig in Eßlingen an.


Benachrichtigung.

Von Genf aus ergeht auf Anregung von Lady Blomfield ein Aufruf „Für den Allumfassenden Frieden“ an alle Männer und Frauen in der ganzen Welt, die guten Willens sind — sich ihrer geistigen Verantwortung bewußt — mit Wort und Tat und unter Hintansetzung der Glaubensverschiedenheit zu gemeinsamem Handeln zusammenzutreten, um den neuzeitlichen Geist lebendig praktisch zu gestalten und damit für die Ideale des künftigen wahren Völkerbundes Stütze zu sein.

D. Schriftl.

Näheres durch das Sekretariat „Für den Allumfassenden Frieden“ C/O Lady Blomfield, Hotel d’Angleterre, Genf (Schweiz).



Anfragen, schriftliche Beiträge und alle die Schriftleitung betreffenden Zuschriften beliebe man an die Schriftleitung: Stuttgart, Alexanderstr. 3 zu senden :-: Bestellungen von Abonnements, Büchern und Broschüren sowie Geldsendungen sind an den Verlag des Deutschen Bahaibundes Stuttgart, Hölderlinstraße 35 zu richten.


Druck: Wilhelm Heppeler, Stuttgart.


[Seite 33]

Geschichte und Bedeutung der Bahailehre.

Die Bahai-Bewegung tritt vor allem ein für die „Universale Religion" und den „Universalen Frieden“ — die Hoffnung aller Zeitalter. Sie zeigt den Weg und die Mittel, die zur Einigung der Menschheit unter dem hohen Banner der Liebe, Wahrheit, Gerechtigkeit und Barmherzigkeit führen. Sie ist göttlich ihrem Ursprung nach, menschlich in ihrer Darstellung, praktisch für jede Lebenslage. In Glaubenssachen gilt bei ihr nichts als die Wahrheit, in den Handlungen nichts als das Gute, in ihren Beziehungen zu den Menschen nichts als liebevoller Dienst.

Zur Aufklärung für diejenigen, die noch wenig oder nichts von der Bahaibewegung wissen, führen wir hier Folgendes an: „Die Bahaireligion ging aus dem Babismus hervor. Sie ist die Religion der Nachfolger Baha ’Ullahs, Mirza Hussein Ali Nuri (welches sein eigentlicher Name war) wurde im Jahre 1817 in Teheran (Persien) geboren. Vom Jahr 1844 an war er einer der angesehensten Anhänger des Bab und widmete sich der Verbreitung seiner Lehren in Persien. Nach dem Märtyrertod des Bab wurde er mit den Hauptanhängern desselben von der türkischen Regierung nach Bagdad und später nach Konstantinopel und Adrianopel verbannt. In Bagdad verkündete er seine göttliche Sendung (als „Der, den Gott offenbaren werde") und erklärte, daß er der sei, den der Bab in seinen Schriften als die „Große Manifestation", die in den letzten Tagen kommen werde, angekündigt und verheißen hatte. In seinen Briefen an die Regenten der bedeutendsten Staaten Europas forderte er diese auf, sie möchten ihm bei der Hochhaltung der Religion und bei der Einführung des universalen Friedens beistehen. Nach dem öffentlichen Hervortreten Baha ’Ullahs wurden seine Anhänger, die ihn als den Verheißenen anerkannten, Bahai (Kinder des Lichts) genannt. Im Jahr 1868 wurde Baha ’Ullah vom Sultan der Türkei nach Akka in Syrien verbannt, wo er den größten Teil seiner lehrreichen Werke verfaßte und wo er am 28. Mai 1892 starb. Zuvor übertrug er seinem Sohn Abbas Effendi (Abdul Baha) die Verbreitung seiner Lehre und bestimmte ihn zum Mittelpunkt und Lehrer für alle Bahai der Welt.

Es gibt nicht nur in den mohammedanischen Ländern Bahai, sondern auch in allen Ländern Europas, sowie in Amerika, Japan, Indien, China etc. Dies kommt daher, daß Baha ’Ullah den Babismus, der mehr nationale Bedeutung hatte, in eine universale Religion umwandelte, die als die Erfüllung und Vollendung aller bisherigen Religionen gelten kann. Die Juden erwarten den Messias, die Christen das Wiederkommen Christi, die Mohammedaner den Mahdi, die Buddhisten den fünften Buddha, die Zoroastrier den Schah Bahram, die Hindus die Wiederverkörperung Krischnas und die Atheisten — eine bessere soziale Organisation.

In Baha ’Ullah sind alle diese Erwartungen erfüllt. Seine Lehre beseitigt alle Eifersucht und Feindseligkeit, die zwischen den verschiedenen Religionen besteht; sie befreit die Religionen von ihren Verfälschungen, die im Lauf der Zeit durch Einführung von Dogmen und Riten entstanden und bringt sie alle durch Wiederherstellung ihrer ursprünglichen Reinheit in Einklang. In der Bahaireligion gibt es keine Priesterschaft und keine religiösen Zeremonien. Ihr einziges Dogma ist der Glaube an den einigen Gott und an seine Manifestationen (Zoroaster, Buddha, Mose, Jesus, Mohammed, Baha ’Ullah),

Die Hauptschriften Baha ’Ullahs sind der Kitab el Ighan (Buch der Gewißheit), der Kitab el Akdas (Buch der Gesetze), der Kitab el Ahd (Buch des Bundes) und zahlreiche Sendschreiben, genannt „Tablets“, die er an die wichtigsten Herrscher oder an Privatpersonen richtete. Rituale haben keinen Platz in dieser Religion; letztere muß vielmehr in allen Handlungen des Lebens zum Ausdruck kommen und in wahrer Gottes- und Nächstenliebe gipfeln. Jedermann muß einen Beruf haben und ihn ausüben. Gute Erziehung der Kinder ist zur Pflicht gemacht und geregelt. Niemand ist mit der Macht betraut, Sündenbekenntnisse entgegenzunehmen oder Absolution zu erteilen.

Die Priester der bestehenden Religionen sollen den Zölibat (Ehelosigkeit) aufgeben, durch ihr Beispiel predigen und sich im praktischen Leben unter das Volk mischen. Monogamie (die Einehe) ist allgemein gefordert, Streitfragen, welche nicht anders beigelegt werden können, sind der Entscheidung des Zivilgesetzes jeden Landes und dem Bait’ul’Adl oder „Haus der Gerechtigkeit“, das durch Baha ’Ullah eingesetzt wurde, unterworfen. Achtung gegenüber jeder Regierungs- und Staatseinrichtung ist als einem Teil der Achtung, die wir Gott schulden, gefordert. Um die Kriege aus der Welt zu schaffen, ist ein internationaler Schiedsgerichtshof zu errichten. Auch soll neben der Muttersprache eine universale Einheits-Sprache eingeführt werden. „Ihr seid alle die Blätter eines Baumes und die Tropfen eines Meeres“ sagt Baha ’Ullah.

Es ist also weniger die Einführung einer neuen Religion, als die Erneuerung und Vereinigung aller Religionen, was heute von Abdul Baha erstrebt wird. (Vgl. Naveau Larousse, illustré supplement, p. 66.)