Sonne der Wahrheit/Jahrgang 3/Heft 11/Text

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SONNE

DER

WAHRHEIT
Heft XI JAN. 1924
ORGAN DES DEUTSCHEN BAHAI-BUNDES STUTTGART


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Die Hauptpunkte der Bahailehre

1. Die gesamte Menschheit ist als Einheit anzusehen. Alle Vorurteile gegenüber anderen Menschen, Völkern und Rassen müssen beseitigt werden.

2. Alle Religionen müssen sich in einer höheren Einheit zusammenfinden. Ein Gott, eine Religion.

3. Durch einen festgegliederten, allumfassenden Völkerbund und ein internationales Schiedsgericht muß der universale, dauernde Weltfrieden gesichert werden.

4. Neben der Muttersprache soll in jedem Land der Erde eine Welt-Einheitssprache eingeführt und gelehrt werden.

5. Jeder Mensch hat dasselbe Anrecht auf die geistigen und materiellen Güter des Lebens.

6. Die Menschen haben die Pflicht, nach Wahrheit zu forschen. Zwischen wahrer Religion und Wissenschaft besteht kein Widerspruch.

7. Beide Geschlechter sollen die beste Erziehung und eine der Begabung entsprechende Ausbildung erhalten.

8. Mann und Frau haben überall die gleichen Rechte. Jede Art von Hörigkeit ist streng verboten.

9. Für jeden Menschen besteht die Pflicht zur Arbeit. Für Arbeitsunfähige und Erwerbslose tritt eine gesetzliche staatliche Fürsorge ein.

10. Die schlimmen Wirkungen des Kapitalismus werden durch ein neugeordnetes, weises Erbrecht und durch geeignete Sozialisierung beseitigt.

11. Für jedes Gemeindewesen, wie für den Staaten- und Völkerbund, wird eine Verwaltungsbehörde mit bestimmten Verordnungsrechten u. Fürsorgepflichten — das sog. Haus der Gerechtigkeit — eingesetzt. Im übrigen hat der Bahai jeder staatlichen Obrigkeit zu gehorchen.

12. Die Bahailehre ist die Universal- und Einheitsreligion für die ganze Menschheit. Der Mittelpunkt des neuen Gottesbündnisses und der Erklärer der Lehre war Abdul Baha (Abbas Effendi), dem diese Stellung von seinem Vater Baha ’Ullah (Hussein Ali-Nuri) übertragen wurde. Vor seinem Hinscheiden hat Abdul Baha seinen Enkel Shoghi Effendi zum Hüter und Beschützer der Bahaisache bestimmt.


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SONNE    DER  WAHRHEIT
ORGAN DES DEUTSCHEN BAHAI-BUNDES
Herausgegeben vom Verlag des Deutschen Bahai-Bundes Stuttgart
Verantwortliche Schriftleitung: Alice Schwarz - Solivo, Stuttgart, Alexanderstraße 3
Preis vierteljährlich 1,50 Goldmark, fürs Ausland 1,80 Goldmark.
Heft 11 Stuttgart, im Januar 1924 3. Jahrgang

Inhalt: Gebet von 'Abdu'l-Bahá. — Die Wechselwirkung der Seele. — Vom Tod und vom ewigen Leben. - Ueber die Versammlungen der Freunde. — 'Abdu'l-Bahá über die Stufe der Märtyrer. — Bericht an die Freunde im Osten und Westen. — To the Friends in East and West. — Graf Keyserling und die Schule der Weisheit. — Amo. — Die Ghandilehre. — Kinder-Weihnachtsfeier Stuttgart. — Eingesandt.


Motto: Einheit der Menschheit — Universaler Friede — Universale Religion




Schau auf meine Wogen und auf die Perlen der Weisheit und auf die Worte die von mir ausgingen.... Wir haben wahrlich durch mannigfaltige Aeußerung in vielerlei Tablets gemahnt: Fürchtet Gott und seid nicht achtlos.... Der Segen der Worte des Allbarmherzigen geht auf die über, die sie befolgen und ausüben.

Baha’u’lláh .


Was die Lehre Baha’u’lláhs am meisten karaktrisiert und was ein besonderes Prinzip in Seiner Offenbarung ist, das durch keinen der früheren Gottesgesandten verkündet wurde, ist die Lehre über den Mittelpunkt des Bundes... Wendet alle eure Gedanken dem göttlichen Bündnis zu und weiht ihm alle eure Kraft.

'Abdu'l-Bahá.



Gebet von 'Abdu'l-Bahá.

Er ist der Barmherzige der Allgütige.

O Gott mein Gott: Du siehst mich und kennst mich; Du bist mein Himmel und meine Zuflucht. Ich habe keinen gesucht und will keinen suchen außer Dir, ich habe keinen Pfad betreten, noch will ich einen betreten außer dem Pfad Deiner Liebe. In der dunklen Nacht der Verzweiflung wendet sich mein Auge voll Erwartung und voll Hoffnung dem Morgen Deiner unbegrenzten Huld zu und zur Stunde der Morgendämmerung wird meine matte Seele erquickt und gestärkt durch das Gedenken an Deine Herrlichkeit und Deine Vollkommenheit. Wer Deine Gnade verspürt sei es auch nur einem Tropfen gleich, wird zu einem grenzenlosen Ozean und das kleinste Atom, dem der Strom Deiner Güte zufließt, wird leuchten wie ein strahlender Stern.

Nimm, o Du Geist der Reinheit, der Du der Allgütige bist, diesen Deinen unterdrückten und von Deiner Liebe entflammten Diener in Deinen heiligen Schutz; hilf ihm, daß er auf dieser irdischen Welt standhaft bleibe in Deiner Liebe und hilf diesem Vogel mit gebrochenem Flügel, damit er eine Zuflucht und ein Obdach finde an dem heiligen Ort, der auf dem himmlischen Baum aufgebaut ist.


Übersetzt von Frau Braunger, Karlsruhe.


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Die Wechselwirkung der Seele.

Eine Rede 'Abdu'l-Bahás, gehalten in Paris 1913. Aus „Göttlicher Philosophie“.

Der Geist des Menschen besitzt zwei Mittel zu seiner Betätigung. Zuweilen wirkt er durch einen Vermittler; z.B. sieht der Geist des Menschen durch die Vermittlung der Augen, er hört durch die Vermittlung der Ohren, er. wandelt mit Hilfe der Füße, und er riecht durch die Vermittlung der Nase.

Um die Tätigkeit der wahrnehmenden Seele zu begreifen, benötigen wir die Vermittlung des Körpers. Die Seele vermag aber direkt zu handeln, sie bedarf dieser Vermittlung nicht. Wenn wir schlafen, sieht die Seele ohne die Hilfe der Augen. Die Gehörnerven sind außer Tätigkeit, aber die Seele hört dennoch. Unsere Glieder sind in Ruhe, aber die Seele ist in Bewegung. Unser Körper ist z.B. im Zimmer, aber unsere Seele reist nach allen Horizonten. Es ist daher klar, daß sich die Seele mit und ohne die Vermittlung des Körpers entfaltet. Dies geschieht in derselben Weise, wie wir einen Gegenstand untersuchen; zuweilen betrachten wir ihn mit Hilfe der optischen Instrumente, zuweilen mit dem bloßen Auge. Einmal bewegen wir uns selbst, das andere Mal mit Hilfe von Fahrzeugen. In der physischen Welt wirkt die Seele mit Hilfe des Körpers. Wenn sie vom Körper getrennt ist, handelt sie ohne eine Vermittlung. Wir sehen mit unseren physischen Augen, aber mit unseren Gedanken können wir andere Länder sehen. Amerika wurde durch den Geist entdeckt. An dem Tag, an dem die Seele vom Körper losgelöst wird, besitzt sie nur noch das zweite Mittel der Betätigung, nämlich das ohne Vermittler.

So ist es auch mit den Heiligen Manifestationen, wenn sie diese Erde verlassen haben. Christus handelt heute ohne einen Vermittler. Er bringt sich auf zahlreiche Arten und Weisen zum Ausdruck. Die Sonne scheint das eine Mal durch den Vermittler, genannt Spiegel, das andere Mal ohne diesen. Jetzt schauen wir auf die Sonne, die im Spiegel wiedergespiegelt wird, und wenn der Spiegel zerbrochen ist, blicken wir auf die Sonne selbst. Der Körper ist das Pferd, die Seele ist der Reiter, und manches Mal bewegt sich der Reiter, ohne auf dem Pferde zu sitzen. Leute, die nicht darüber nachdenken, sagen, daß wenn die Seele den Körper verlassen habe, sie nicht mehr handeln könne. Die Göttlichen Manifestationen handeln mächtiger nach der Trennung der Seele vom Körper. Bei Lebzeiten Christi war es nicht möglich, viele Menschen zu beeinflussen. Heute ist sein Einfluß weit verbreitet. Der Geist hat keinen Körper. — Denket über dieses Thema nach!

Frage: Was wird aus der Seele nach ihrer Trennung vom Körper?

Antwort: „Diese Frage bezieht sich sowohl auf das, was einen Raum einnimmt, als auch auf das, was raumlos ist. Der menschliche Körper ist im Raume; die Seele nimmt keinen Platz im Raume ein. Raum gehört zu den materiellen Dingen, und das, was immateriell ist, gehört nicht zum Raum. Die Seele ist, gleich dem Intellekt, eine Abstraktion. Die Intelligenz hat nichts mit der Eigenschaft des Raumes zu tun, sie ist aber verbunden mit des Menschen Gehirn. Der Intellekt wohnt dort, aber nicht materiell. Suche im Gehirn, und du wirst den Intellekt nirgends finden. So ist es auch mit der Seele, obschon sie eine Bewohnerin des Körpers ist, ist sie doch nirgends im Körper zu finden.

Wenn der Mensch stirbt, hört seine Beziehung mit dem Körper auf. Wenn die Sonne im Spiegel widerspiegelt wird, gibt dieser das Licht und den Glanz der Sonne wieder, die Sonne selbst ist aber nicht im Spiegel. In gleicher Weise zeigt sich die Seele im Körper, sie tritt aber weder in denselben ein, noch aus ihm heraus. Wenn der Spiegel zerbrochen ist, stirbt darum die Sonne nicht. Der Körper ist der zeitweilige Spiegel; die geistige Seele erleidet keine Veränderung, ebensowenig wie die Sonne, die ewig in ihrer eigenen Stellung verbleibt. Es ist hier wie in der Traumwelt: wenn alle physischen Fähigkeiten im Zustand der Untätigkeit sind, wandert die Seele in alle Reiche, sie sieht, hört und spricht; selbst wenn der physische Körper aufgelöst wird, so wird die Seele hievon nicht berührt.

Diejenigen, welche die Wahrheit kennen, sagen, der physische Körper des Menschen werde in Bewegung gesetzt [Seite 163] durch die Seele; in derselben Weise ist der Mensch der Lebensfunke dieser Welt. Wenn der Mensch nicht auf diese Erde gekommen wäre, dann würde die Welt stets tot sein. Ich spreche hier nicht vom physischen Menschen, sondern von den menschlichen Kenntnissen, die den Schmuck der Existenz bilden.*} Wenn der Mensch nicht vorhanden wäre, so gäbe es keine Schönheit in dieser Welt, sie hätte keinen Bestand, keinen Zweck. Wie die Seele das Wesen des Menschen ist, so besteht die Seele dieser Welt in dem sanften Wachstum der Geistigkeit, der himmlischen Tugenden, der Göttlichen Gunst und der Heiligen Kräfte. Wenn die physische Welt diesen Geist nicht hätte, könnte sie nicht existieren. Ein schönes Geschöpf ohne eine Seele bedeutet nichts. Die kostspieligste Wohnung ist nichts wert, wenn sie finster und ohne Licht ist. Die kunstvollste gearbeitete Lampe ist nutzlos, wenn sie kein Licht gibt. Europa, der schmuckvollste Weltteil, hat den Gipfelpunkt einer verfeinerten materiellen Zivilisation erreicht. Es ist ein schöngebildeter Körper, aber leider ohne Seele. Es ist einer der feinstgeschliffenen Spiegel, schade, daß die Sonne der Wahrheit nicht durch ihn widergespiegelt wird. Es ist ein Obstgarten ohne Früchte, es strömen keine geistigen Düfte von ihm aus.

Erhebet euch, strengt euch aufs äußerste an, verschafft euch eine neue und himmlische Anziehungskraft, damit Europa geistig aufgerüttelt wird; denn es wäre jammerschade, wenn es der himmlischen Gunst beraubt bliebe, jammerschade ist es auch, daß es die Gaben Gottes nicht kennt; daß dieser Körper nicht die Gesundheit des Heiligen Geistes besitzt; daß ein Wesen von solch großer Schönheit keine Seele hat; daß eine solch hervorragende Blume keinen Duft von sich gibt, ein solch herrliches Gebäude ohne Licht ist. Seid nicht untätig, auch nicht für einen Augenblick, damit es euch womöglich gelingt, Licht in diese Finsternis zu bringen.

Ich bitte Gott, euch mit Seinem Lichte zu erleuchten, damit ihr in Sein Königreich eintreten und Seiner Schwelle nahekommen möget. Seine Gaben sind unerschöpflich, und diese Welt ist sehr verdunkelt. Sie weist nichts als tierische Eigenschaften auf; denn die natürliche Welt ist eine Emanation des Tierreiches und keine Emanation des Menschenreiches. Die Welt des Menschen ist eine geistige Emanation; wenn sie aber ohne die sie von den andern Reichen unterscheidenden Vorzüge ist, dann sinkt sie zurück auf die Stufe des Tierreiches.

Ich wünsche euch eine solch geistige Emanation, die euch Kraft geben wird, ideale Fortschritte zu machen und in das Königreich Abhás einzutreten, damit ihr das Höchste der ganzen Schöpfung werdet und eine Erleuchtung erlangt, die ewig währt. Möge euch mit dauernden Bestätigungen beigestanden werden, möget. ihr eine Lebensfreude erlangen, die nie unterbrochen wird, die ohne Anfang und ohne Ende ist. Ich will für euch beten.“


  • ) Wahrlich, der Mensch wird solange nicht Mensch genannt, bis er von den Eigenschaften des Barmherzigen erfüllt ist. Er ist nicht Mensch wegen des Reichtums, des Schmuckes, des Gelehrsamkeit und der Verfeinerung. Gesegnet ist, wer sich nicht an Namen hängt, sondern die Küste der See der Reinheit sucht und die Melodie der Taube der Tugend liebt.

(Baha’u’llah, Verborgene Worte).

Aus dem Englischen übersetzt von Wilhelm Herrigel.



Vom Tod und vom ewigen Leben.

'Abdu'l-Bahá wurde gefragt: „Was wird aus der menschlichen Seele nach dem Tod?“

Er antwortete darauf: „Der Körper wird in die Erde gebettet woher er kam und zu der er zurückkehrt. Alles was du erblickst, kehrt zu seinem ursprünglichen Stoff zurück. Da der menschliche Körper aus Staub gebaut ist, kehrt er wieder zum Staub zurück. Der menschliche Geist aber kommt von Gott, und zu Ihm kehrt er zurück.“

Frage: „Entfernen sich die Abgeschiedenen gänzlich von der Erde und verlieren sie alles Bewußtsein und jedes Interesse an den Menschen und an allen irdischen Angelegenheiten?“

'Abdu'l-Bahá: „Nein, die Abgeschiedenen behalten beides, sowohl das Interesse als auch die Erinnerung an die Menschen, die sie lieben.“

(Aus Mrs. Alice Devines notes 1906.)


Frage: „In welcher Verbindung steht der Geist mit dem Körper?“

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'Abdu'l-Bahá: „Es ist die gleiche Verbindung, wie sie die Sonne mit dem Spiegel hat, der Tod ist die Benennung für die Auflösung dieser Verbindung.“

(Tagebuch Mirza Mahmoud 1912.)


'Abdu'l-Bahá: „Ueber den Tod wisse, daß der Geist abstrakt und über alles geheiligt ist. Eintritt und Austritt, Aufstieg und Herniederkommen, Vereinigung und Trennung sind Zugehörigkeiten für materielle Dinge, aber nicht für den Geist. Folglich tritt der Geist des Menschen nicht in den materiellen Körper ein, sondern steht vielmehr in ‚Verbindung‘ mit ihm. Diese Verbindung ist gleich die des Spiegels und der Sonne. Diese tritt gleichfalls weder in den Spiegel ein, noch aus der Spiegelfläche heraus, noch wird sie mit ihm völlig identifiziert, aber die Sonne steht in Verbindung mit dem Spiegel und widerstrahlt sich darin. Wenn nun diese Verbindung, abbricht, so ist dem Spiegel die Bestrahlung, die Schönheit und die Zurückstrahlung genommen.“

Aus einem Tablet an Mme. d’Astre Paris 1908.


Frage: „Was ist unter dem Spiegel göttlicher Widerstrahlung zu verstehen?“

'Abdu'l-Bahá: „Unter ‚Spiegel‘ ist der ganze Körper, vornehmlich das Gehirn zu verstehen. Der Körper enthält in seinem Aufbau viele Elemente, die sich während der Lebensdauer des Menschen fortgesetzt ändern. Bei der Auflösung des Körpers kehrt jedes Element in seinen ursprünglichen Zustand zurück. Der menschliche Körper ist wie der des Tieres, den einzigen Unterschied bildet der Grad oder das Niveau der Erkenntnis. Hieraus geht hervor, daß nur die Erkenntnis, oder der Geist nach dem Tod übrig bleibt. — Die Elektrizität ist an ihren Eigenschaften und Auswirkungen erkenntlich. Die Kraft der Erkenntnis wird an denselben Merkmalen erkannt. Nach dem Tod ist der Zustand der Seele ein derartiger, daß dies nicht in Worte gefaßt werden kann. Es ist ein Begreifen, ein Verstehen, das alle anderen Dinge in sich einschließt, wie z.B. auch die Gefühlswelt.

Bei den Menschen gibt es Abstufungen, es stehen nicht alle auf der gleichen Entwicklungsstufe. Beobachte die vielerlei Karaktere und vergleiche sie mit einander, z. B. zehn Kinder, die die gleiche Erziehung und Behandlung genießen und die gleiche Nahrung erhalten. Die Unterschiede werden sich herausstellen und klassifiziert werden können in sich rasch entwickelnde, sich langsamer entwickelte oder beinah stehen gebliebene Kinder.“

Frage: „Gibt es eine besondere Eigenschaft, die der Mensch in sich entwickeln sollte, um besondere Vorzüge oder Kräfte nach dem Tode zu erlangen?“

'Abdu'l-Bahá: "Nein, der Mensch sollte alle seine Eigenschaften entwickeln, denn eine jede hat ihren besonderen Wert und Wirksamkeit.“

Frage: „Wird die Individualität von den vielfältigen individuellen Erkenntnissen beibehalten?“

'Abdu'l-Bahá: „Vollkommene Individualität ist nur der Stufe des Propheten zu eigen. Die Menschen, die ihm nachfolgen, stehen im Schutz seiner Stufe. Nach dem Tode entwickelt sich der Mensch nicht durch sein eigenes Bemühen um Erkenntnis, sondern durch die Macht der göttlichen Gnade oder Enthüllung. Alle guten Taten, liebevolles Gedenken, Gebete und Hilfeleistungen von niederer stehenden Wesen, helfen der Seele vorwärts zu kommen nach dem Tode.“

(Ramieh, Mai 1911.)


'Abdu'l-Bahá: „Ihr werdet eure Persönlichkeit beibehalten und nicht in einem allgemeinen Geist aufgehen. Was den Zustand der menschlichen Seele nach dem Tode in dieser materiellen Welt anbelangt, so ist das Wesen der menschlichen Seele erhaben über die materielle Substanz und geheiligt über die Verkörperung durch physische Dinge. Sie ist ausschließlich leuchtend, körperlos; sie ist ein blendendes Zeichen von Licht, sie ist ein himmlisches Reich des Glanzes.

Die Seelen, die nicht vom heiligen Geist neu belebt und angezogen sind, sind zu den Toten zu zählen, denn sie sind des Hauches des heiligen Geistes beraubt und sind nach dem leiblichen Tod in einem gewissen Zustand, in dem sie Gefühl und Unterscheidung für ihre Umgebung besitzen. Im Vergleich zu den reinen Seelen, die durch den heiligen Geist belebt wurden, sind sie wie tot und des Lebens beraubt.“

(Aus einem früheren Tablet an Mr. C. Helbry, Tocoma, Washington.)


'Abdu'l-Bahá: „Du frugst an über den Geist des Menschen: Der Geist des Menschen ist keineswegs vernichtet, er ist unsterblich. Der Geist der heiligen Seelen wird ewiges Leben finden, d. h. er wird zu den Höchsten und größten [Seite 165] Entwicklungsstufen gelangen. Aber der Geist der achtlosen Seelen ist, trotzdem sie unsterblich sind, in einer Welt der Unvollkommenheit, der Verborgenheit und Unwissenheit. Dies ist eine Antwort in Kürze. Beschäftige dich mit dieser Frage und besinne dich darüber, damit du die Wirklichkeit der Geheimnisse im einzelnen erkennen mögest. Z.B. ist das Mineralreich, so viel es auch Existenz und Leben besitzt, im Vergleich mit dem Menschen völlig nichtexistierend und leblos. Wenn sich im Menschen die Umwandlung vom Leben zum Tod vollzieht, so ist vergleichsweise seine Stufe wie die der mineralischen Existenz. Hier stellt das mineralische Leben den Tod des Menschen dar. Dies ist eine kurze Erklärung.

Wir können in dieser Welt die Gnade Gottes nicht begreifen noch Seine Liebe genug schätzen. In der nächsten Welt erst werden wir es vermögen.“


Die Herrlichkeit des unsterblichen Lebens.

Ueber das, was du frugst, den Geist und seine Vergänglichkeit nach dem Aufstieg ins Jenseits wisse, daß dieser aufsteigt zur Zeit des Todes bis er in die Gegenwart Gottes gelangt in einer Form, die Jahrhunderte und Zeitabschnitte hindurch und bei allen Zuständen und Ereignissen der ganzen Welt unverändert bleiben und ewig sein wird — wie die ewige Dauer des Reiches Gottes, Seine Herrschaft, Seine Macht und Kraft; und in ihr werden die Spuren Gottes, Seine Eigenschaften, Seine Vorsehung, Seine Gnade sichtbar werden.

Die Feder ruht bei der Erwähnung dieser Stufe, da es ihre höchste Erhabenheit und Erhöhung ist. Die Hand der höchsten Gnade wird den Geist veranlassen, auf eine Stufe zu gelangen, die durch Erklärungen nicht begriffen, noch von allen Kreaturen der Existenz erklärt werden kann. Gesegnet ist der Geist, der den Körper verläßt, rein von allen Zweifeln und Vorurteilen aller Nationen. Wahrlich, er bewegt sich in der Atmosphäre des Wohlgefallens Gottes und tritt in das erhabene Paradies ein. Alle Engel des erhabenen Paradieses erwarten und umgeben diese Seele und sie wird Gemeinschaft haben mit allen Propheten Gottes und Seinen Heiligen und wird mit ihnen sprechen und ihnen sagen, was sich in der Gottessache zutrug, der heiligen Lehre des Herrn des Universums. Wenn jemand erkennen könnte, was vorgezeichnet ist im Reich Gottes, der da Herr ist über Thron und Staub, so würde er augenblicklich mit größter Sehnsucht nach dieser unumstößlichen, erhabenen, heiligen, glorreichen Stufe zu gelangen trachten.

O ’Abdul Wahib höre nun die persischen Worte: Da du anfrägst über die Unsterblichkeit des Geistes, bezeugt dir dieser Unterdrückte seine Ewigkeit. Und zu deiner Frage über dessen Form, so kann diese nicht beschrieben werden und bedarf auch keiner Erklärung. Aber gewisse Dinge müssen bekannt werden; die Boten kommen nur um die Menschen auf den geraden Weg zu Gott zu führen und damit die Menschheit erzogen würde. Dann werden sie zur Zeit ihres Todes in voller Heiligkeit und Loslösung und dem Verzicht auf alle irdische Dinge die erhabene Stufe erreichen. Bei Gott! Die Strahlen solcher Geister sind die Ursache der Entwicklung der Menschen und der Stufe der Nationen! Dies sind die Blätter der Existenz und die hauptsächliche Ursache des Erscheinens der Göttlichkeit und der Werke des Universums. Durch sie werden die Wolken Ströme herabsenden, und die Pflanzen ihre Knospen der Erde öffnen. Nichts von allen existierenden Dingen ist ohne Ursache, Grund und Anfang. Die erste Ursache ist der Geist, der für ewig über uns unveränderlich ist. Und der Unterschied zwischen diesem (irdischen) Reich, und dem überirdischen Reich ist wie der Unterschied der Welt im embryonalen Zustand und dieser Welt. Nach dem Abscheiden aus diesem Dasein wird der Geist in die Gegenwart Gottes gelangen in einer Form, die für die Ewigkeit und für das Reich Gottes angemessen ist.

(Uebersetzt von A. Schwarz.)



Mitteilung vom Verlag.

Wir bitten unsere verehrl. Leser der „Sonne der Wahrheit“ höflichst, uns womöglich den Bezugpreis wieder mindestens vierteljährlich vorausbezahlen und etwaige rückständige Beträge mit einsenden zu wollen. Der Bezugspreis beträgt im Inland vierteljährlich Mk. 1.50, im Ausland Mk. 1.80.

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Ueber die Versammlungen der Freunde.

„In den Versammlungen müssen geistige Gespräche die Regel sein. Reden müssen gehalten werden über die Offenbarung des allgewaltigsten Lichts, über das Aufsteigen der Sonne der Wirklichkeit, über die Größe der Gesegneten Lehre, die Macht und die durchdringende Wirkung des Wortes Gottes, über die Beweise und Tatsachen aus den heiligen Büchern, in logischen und intellektuellen Darlegungen und über die Macht Gottes, über Sein Bündnis und Testament. Dies Programm wird der Weg der Vergeistigung und Erleuchtung der Herzen sein. Eine andere Abhandlung als diese oder ähnliches wird keinen ganzen Erfolg erzielen. Deshalb dürft ihr in den Versammlungen keine Geheimnisse und im Amt der Beratung keine Diskussion führen, deren Mitteilungen zum Kummer oder zum Schmerz für irgend ein Herz werden könnte. Die Reden und Gespräche eines jeden Mitglieds müssen sich um edle Dinge, wie die Verkündigung der Lehre Gottes und die Verbreitung der Religion Gottes drehen. Unter solchen Umständen wird kein Geheimnis von irgend einer Person vermutet werden können, denn wir haben keine Geheimnisse. Gott sei gelobt, daß wir als Gottesliebende wohlbekannt, Werbende und Sklaven in den Spuren der Liebe sind, wir sind dafür bekannt in der ganzen Welt. Außer diesem haben wir kein Ziel. Ueberdies ist es eine mathematische Unmöglichkeit, daß ein Geheimnis unter den Gläubigen bestände und nicht ausgesprochen würde. Diese Erfahrung ist oftmals gemacht worden, besonders wenn das sogenannte Geheimnis von vielen Seelen bewahrt wird. Bei dieser Veranlassung sei gesagt: „Jedes Geheimnis, das zwischen zwei Personen besteht, ist bereits öffentlich, denn jedes Mitglied einer Versammlung hat fraglos einen vertrauenswürdigen Freund und da er sich mit ihm eins fühlt, setzt er sein ganzes Vertrauen in ihn; ebenso hat die zweite Person einen erprobten Freund, dem alles mit vollkommenem Vertrauen erzählt wird. So wird nach und nach der Kreis weiter und das Geheimnis wird auf den Lippen Aller sein. Deshalb ist es besser, keine Geheimnisse unter euch zu haben. Dies ist passender und genehmer! Laßt alle Geheimnisse dem Geheimnis Bahás geweiht sein. Das Geheimnis oder Mysterium Bahás ist die Einheit der Menschheit, Universale Liebe, Güte und Barmherzigkeit den gebrochenen Herzen gegenüber, Mitgefühl mit den Bedrückten, Friede und Wohlergehen für alle Menschen, das Wehen der Düfte des Barmherzigen, die Anziehungskraft der Göttlichkeit, Ergebung und Loslösung der Herzen von dieser vergänglichen Welt, Freiheit, Ungebundenheit und Befreiung von den Schmerzen und dem Leid dieses Weltlebens u.s.f. Wenn diese Geheimnisse ganz offenkundig sind, werden sie zu ewigem Leben führen. — — —“

’Abdu’l-Bahá.

(Aus dem Tagebuch Ahmad Sohrab’s, 7. Juni 1914.)

Uebersetzt von Fr. A. Schw.



'Abdu’l-Bahá über die Stufe der Märtyrer.

„Erag ist eine der Provinzen Persiens, in der die hl. Lehre im Anfang bekannt wurde und wo viele Leute die Lehre aufnahmen. Unter ihnen war Hadschi Kamaleddin und sein Bruder Mirza Mahmud; diese waren die Neffen von Hadschi Mollah Mohammed, dem einflußreichen und weltberühmten Theologen der Stadt Erag, doch ein eingewurzelter Feind und Gegner der Sache. Er bemühte sich nach besten Kräften, sie von der Lehre wegzubringen, doch je mehr er Oel ins Feuer seiner Entgegenstellung goß, desto höher flammte das Feuer ihrer Gewißheit auf. Hadschi Kamaleddin war einer von Gottes eigensten Dienern, von allem getrennt außer von Ihm, erleuchtet, gottvertrauend und frei von jedem Zwang. Bevor er sich zur Lehre Baha’u’lláhs bekannte, war er in Erag sehr respektiert und geehrt. Als er aber Seine Sache annahm, verfolgten sie ihn mit solcher hartnäckigen Ausdauer und Feindschaft, daß er schließlich genötigt war, seine Heimat zu verlassen und nach Bagdad zu gehen. Als er dort ankam, befand er sich in Schwierigkeit und in großer Not um sein tägliches Brot. Da er ein Gelehrter war, hat er niemals versucht, anderes zu arbeiten, doch er setzte seinen Stolz bei [Seite 167] Seite und eröffnete — mit einem geringen ihm geliehenen Kapital — einen kleinen Spezereiwarenladen am Eingang der sehenswürdigen Bootsbrücke des Euphrats, wo eine Menge von Menschen täglich hin und her gingen. Keinen Augenblick dachte er an sein Vorleben noch an seine frühere Stellung, seine Mußestunden und an seine ihm zustehende, weltliche Ehre. Er beschwerte nie seinen Geist mit dem, was viele seiner Landsleute dachten, die täglich an seinem Laden vorüberkamen, um das heilige Grab der Imame in Nadschef und Kerbela zu besuchen, sondern saß, vielmehr heiter dort und mit der Himmelsfreude des Königreichs in seinem Herzen. Die geistige Stufe dieses Haushalts wird in der Zukunft bekannt werden. Als er hörte, daß die „Gesegnete Vollkommenheit“ nach Kapernaum gegangen war, schloß er, obgleich auch die Entfernung mehrere Meilen betrug und es heißes Wetter war, unverzüglich seinen Laden und macht sich zu Fuß nach jener Stadt auf den Weg. Obgleich man sich zu jener Zeit Esel für fünf Cents mieten konnte, war es ihm doch nicht möglich, diese verschwenderische Ausgabe zu machen. Dennoch sah man ihn nie mürrisch oder schlecht gelaunt. Er war ein Quell der Freude und des Glücks für alle. Solche heiligen Seelen sind die leuchtenden Edelsteine in der Krone der Existenz, sie gehören einer anderen Welt an, sie leben in der höchsten geistigen Stufe, sie sind durch und durch von der höchsten Entsagung erfüllt. Obgleich sie nicht wissen, ob ihr Leben in einer Stunde zu Ende sein wird, so scheinen sie doch im höchsten Stadium der Zuversicht zu sein, sie sind gefaßt, leuchtend und rein. Es bestand die Möglichkeit, daß sie jeden Augenblick angefallen und getötet werden konnten, doch sie waren keineswegs bekümmert oder in Angst. In jenen Tagen sahen die Gläubigen ihrem Märtyrium entgegen, als dem Tag ihrer Probe. Sie dachten niemals an Ruhe, noch Behagen. Sie erwarteten die Zeit, um von dem überfließenden Kelch des Martyriums zu trinken und riefen den Tag herbei, an dem sie nach der Stadt des Opfers hineilen würden und beteten für den Augenblick, wann sie so glücklich sein würden, ihr Leben in den Fußstapfen des himmlischen Geliebten hingeben zu dürfen! Der verklärende Einfluß des Lebens dieser Helden und Märtyrer wird das Schicksal der Nationen und Völker führen, ihre Taten werden vor die Augen künftiger Generationen gestellt werden und sie zu emsigem Bemühen nach dem Ziel vornehmen Strebens, nach moralischer Männlichkeit und einem hohen Frauentum anspornen.“

(Aus dem Tagebuch des Ahmad Sohrab, 21. Juni 1914.)

Uebersetzt von Fr. A. Schw.



Bericht an die Freunde im Osten und Westen.

(Fortsetzung.)

Eine der hervorragenden Eigenschaften unseres geliebten Meisters ist Seine nimmermüde, aufopfernde Tätigkeit, die uns immer wieder Seine übermenschliche Geisteskraft bewies wie zugleich auch Sein wundervolles Verstehen der gegebenen Situation. Seine Frische, trotz körperlicher Anstrengung, Seine Feinfühligkeit im Umgang mit den verschiedensten Menschen war ein wunderbares Erleben, das uns auch am 6. April 1913 nach einem Tag lebhafter Eindrücke deutlich in Erinnerung blieb. Für diesen Abend war eine öffentliche Versammlung anberaumt, bei der 250 Menschen zugegen waren. Der Saal des „Oberen Museums" war hübsch dekoriert, Frl. Stäbler sang zur Eröffnung des Abends das Uhlandsche Frühlingslied: „Die linden Lüfte sind erwacht", und Frl. Knobloch sprach ein Gebet. Hierauf trat unser geliebter Herr in den Saal ein. Alle Anwesenden erhoben sich bei Seinem Eintritt, um ihm dadurch ihre Hochachtung und Ehrerbietung zu erzeigen. Herr Konsul Schwarz hielt mit des Meisters Erlaubnis eine Einführungsansprache und betonte, welch großes Heil Stuttgart widerfahren sei durch den Besuch von ’Abdul-Bahá und sprach den Dank im Namen aller Freunde aus, daß der Meister die große Reise nicht gescheut habe, Stuttgart zu besuchen. Er sagte, daß, solange es Menschen gibt, die Sehnsucht nach Gott, nach Wahrheit immer des Menschen Herz bewegt habe, er sprach vom Kommen der großen Manifestation und von der Sendung ’Abdu’l-Bahás. Kinder und Kindeskinder sollen von diesen bedeutenden Tagen des Besuches ’Abdul-Bahás in Stuttgart reden, und Sein Name soll auf allen Lippen sein. ’Abdu’l-Bahá sprach zu den Anwesenden, die in Seiner Atmosphäre eine unbeschreibliche Beseelung empfanden folgendes:

„Viele Versammlungen werden gegründet und immer aufs neue veranstaltet in allen Teilen der Welt für Gesellschaften [Seite 168] und Organisationen für die Ausbreitung des allgemeinen Verkehrs. Es werden Gesellschaften gegründet, um die Industrie zu erweitern, ebenso haben wir Vereinigungen für die Interessen der Kunst, es bilden sich politische Parteien in den verschiedenen Ländern, um die Interessen der Parteien zu wahren. Die Gründung all dieser Gesellschaften dient in Wirklichkeit nur dem materiellen Leben. Preis sei Gott! Diese erleuchtete Versammlung hat keinen andern Zweck als den, Gott zu dienen. Sie ist gegründet, um die Einheit der menschlichen Gesellschaft zu bewerkstelligen, sie ist organisiert, daß sie das Gemeinschaftsgefühl unter den verschiedenen Nationen und Rassen gründe, daß sie den allgemeinen Frieden verkünde, daß alle Religionen wieder ein Fundament finden mögen zu ihrem Zusammenschluß, so daß alle Nationen unter den Schirm der göttlichen Gnade kommen, denn die Grundlage aller Religion ist Brüderlichkeit, Kameradschaft und Freundschaft zu allen. Aber tausendmal sei es geklagt, daß die Religion, die dazu dienen sollte, die Einigkeit und Liebe unter den Menschen zu errichten, zu einem Instrument der Feindschaft und des Haßes geworden ist. Die Religion, welche dazu gegründet wurde, die Herzen aufzurichten und zu erfreuen, ist der Anlaß geworden, die Welt zu verfinstern. Alle Propheten sind erschienen, damit sich die Einheit unter den Menschen entwickeln möchte, und wie viel Not haben diese Propheten erduldet, um diese Erleuchtung den Menschen zu bringen. Jesus Christus opferte Sein Leben; Er hatte die schwerste Erniedrigung in diesem Leben zu ertragen, Sein Haupt wurde mit einer Dornenkrone gekrönt, Er gab Seinen eigenen Frieden dahin, damit die Menschen in der Welt sich wieder vereinigen möchten, und daß die Herzen der Menschen zusammenschmelzen möchten durch Seine Liebe. Doch die ersten Pflichten, die der Religion auferlegt sind, sind heute vernachlässigt. Die erste Pflicht und zugleich das Fundament jeder Religion ist die Liebe zu Gott. Die Liebe ist entwichen und Haß und Feindschaft sind an ihre Stelle getreten. Anstatt dieser einfachen, klaren Prinzipien der Religion haben wir nur Dogmen und Nachahmungen, und weil diese wieder bei den verschiedenen Religionen differieren, haben wir beständig Krieg und Streit. Der Ursprung aller Religionen lag im Orient. Fanatismus ist ihr ganzes Ziel geworden, sie dürsteten förmlich nach dem Blut ihrer Brüder. Sie verfluchten sich gegenseitig und betrachteten sich als unrein, und sahen ihr gegenseitiges Eigentum als vogelfrei an. Als solche Finsternis den Horizont des Ostens bedeckte, erschien Baha’u’lláh im Orient, um mit Seinem Licht das Abendland zu erleuchten. Er verkündigte die Lehren der Einheit des Menschengeschlechts, Er konstatierte, daß die ganze Menschheit die Herde nur eines Hirten und Gott ihr einzig wahrer Hirte ist. Er ist ein gütiger und wohlwollender Hirte für Seine Schafe. Er könnte nicht freundlich gegen sie sein, wenn Er sie nicht geschaffen hätte; wenn Er sie nicht liebte, so würde Er nicht für sie sorgen. Wenn nun Gott zu allen freundlich ist, warum sollten wir uns untereinander nicht vertragen, wenn Gott uns alle liebt, warum sollten wir gegen einander gleichgültig sein. Er verkündet das Ideal des Universalen Friedens zwischen den Religionen. Er erklärt, daß die Grundlage aller Religionen ein und dieselbe ist. Alle Propheten Gottes haben die Menschen zur göttlichen Liebe geleitet, sie haben sie zur Erkenntnis Gottes erweckt, sie haben sie die Gemeinschaft der menschlichen Rassen gelehrt, sie haben sie zu der Förderung der menschlichen Tugenden aufgefordert, sie haben die Grundsätze der Moral beleuchtet. Die Verschiedenheiten in den bestehenden Religionen stammen alle von Dogmen und Ueberlieferungen ab, und darum haben wir diese Dogmen aufzugeben und uns zu den grundlegenden Prinzipien der Religionen hinzuwenden. Dogmen sind stets die Ursache der Verschiedenheit gewesen, Religion dagegen war immer die Ursache der Liebe. Baha’u’lláh verkündet, daß die Religion die Menschen wieder zur Liebe und Freundschaft führen muß. Wenn die Religion diese Pflicht nicht erfüllt, so ist keine wahre Religion vorhanden. Religion muß die Arznei für jedes Uebel sein. Wenn die Medizin die Krankheit verschlimmert, so ist es besser, diese Arznei nicht einzunehmen. Er verkündigte weiter, daß religiöse Vorurteile die Zerstörung der Grundlage des menschlichen Wohlbefindens bedeuten. Er sagte, daß alle die Botschafter und Propheten Gottes die Diener der Ethik gewesen sind. [Seite 169] Das Höchste, was der Mensch erreichen kann, ist selbstloseste Liebe. Liebe ist der Ursprung der Schöpfung, Liebe ist die Ursache der Erleuchtung der Menschheit. Liebe ist das unterscheidende Merkmal zwischen dem Geistigen und dem Tierischen. Darum sagt Jesus Christus: Gott ist die Liebe. Das erste und größte Gebot, das die Religion verlangt, ist Liebe. Der beste Gottesdienst ist, Liebe unter die Menschen zu tragen und sie zu entwickeln.

Die Frauen wurden früher im Orient anterdrückt, ja die Männer sahen die Frauen nicht als gleichberechtigt an. Die Frauen waren aufs tiefste erniedrigt, sie wurden in aller Unkenntnis belassen, und durften nichts von Wissenschaft und Kunst erlernen. In der Politik hatten sie überhaupt nichts zu sagen. Baha’u’lláh verkündigt nun, daß die Frauen gleichberechtigt sind mit den Männern. Er erhöhte die Stufe der Frauen. Er sagte, daß die Menschheit zwei Schwingen besitze, die eine der Mann, die andere die Frau. Solange beide nicht gleichmäßig stark ausgebildet sind, kann sich der Vogel nicht zu den höchsten Höhen der Berge emporschwingen. Wenn die Frau einmal ebenso wie der Mann alle Vorteile der Bildung und Erziehung genießen wird, dann wird die Menschheit zu ihrer Vollkommenheit gelangen. Darum haben auch die Frauen im Orient jetzt so großen Fortschritt gemacht. Viele Mädchenschulen sind gegründet worden, worin diese nun in Wissenschaft und Kunst unterrichtet werden. Sie haben jetzt die Möglichkeit, unbegrenzte Fortschritte zu machen. In dieser kurzen Zeit sind unter den Bahais viele wundervolle Frauen aufgetreten, die bewiesen haben, daß sie gleichberechtigt sind durch all diese Errungenschaften. Es sind viele Dichterinnen aufgetreten in Persien und haben in dieser kurzen Zeit große Fortschritte gemacht. Man wird wundervolle Geschichten hören von der Entwicklung der Frauen, denn sie haben sich in allen Tugenden der Menschheit entfaltet.

Es gibt so wundervolle Lehren in den Schriften Baha’u’lláhs, sie sind demnächst alle gedruckt zu lesen in den Büchern und Schriften Baha’u’lláhs. Sie sind derart, daß sie eine große Glückseligkeit in der Welt herbeiführen müssen, sie sind das Mittel, um den Frieden unter den Nationen aufzurichten.

In Persien werden jetzt viele Versammlungen gehalten, in denen verschiedene Religionen vertreten sind, wie Juden, Christen, Mohammedaner und Zoroaster. Es ist ein solcher Zusammenschluß, eine solche Freundschaft unter diesen Menschen, daß sie allezeit bereit sind, ihr Leben für einander, hinzugeben. Mit Herz und Seele dienen sie dem internationalen Frieden. Für die Entwicklung dieser Gottessache haben mehr als 20000 Menschen ihr Leben geopfert, weil die alten despotischen Regenten des Orients sich immer gegen die Ideale des Friedens erhoben haben, denn alle Anhänger der orientalischen Religionen waren so fanatisch, daß sie das Blut der Andersgläubigen vergossen. Solche Ereignisse, wie wir sie vom Balkan hören, und all das Blut, das jetzt im Balkan fließt, wird nur um religiöser Vorurteile willen vergossen. Beide Teile, die Christen sowohl als die Mohammedaner behaupten, daß dies ein heiliger Krieg sei. So ist die Religion, die die Ursache des Friedens sein sollte, zur Ursache des Kriegs geworden. Religion, welche die Ursache des Lebens ist, ist zur Ursache des Todes geworden. Die Religion, die die Ursache sein sollte, die Völker emporzuführen, wurde zum Anlaß ihrer Zerstörung. Kurz, alle diese Gemeinschaften, die organisiert sind für die Verwertung des Landes, oder für den Gewinn durch den Handel, oder für die Interessen der Parteien, bringen nur beschränkte Segnungen hervor. Aber das Resultat dieser Versammlung wird ewig bestehen. Ihre Wohltaten sind unbegrenzt, denn sie ist gegründet auf Liebe. Ihr Grundprinzip ist, daß wir unser Angesicht hinwenden zum Reich Gottes, ihr Ziel ist, daß der Odem Gottes uns umwehe. Es ist unsere Hoffnung, daß dadurch die ganze Menschheit geeinigt werde. Ich hoffe, daß diese Versammlung eine Quelle der Vereinigung der verschiedenen Religionen, Sekten und Nationen werde.

Wahrlich ich sage euch: Stuttgart ist gesegnet, die Lage ist sehr schön. Ich habe selten eine Stadt gesehen, so schön wie Stuttgart. Ich habe schon viele Metropolen gesehen wie Paris, London usw., aber eine Stadt, so entzückend und reizend wie Stuttgart, habe ich noch nie gesehen. Es ist eine Parkstadt; wohin ich auch gehe, sehe ich blühende Aepfel-, Pfirsich- und Pflaumenbäume und überall [Seite 170] Blumen. Etwas anderes Wichtiges darf ich nicht vergessen zu erwähnen, und dies sind die liebenswürdigen Einwohner der Stadt. Die Regierung selbst scheint korrekt und gut zu sein, daher kommt es auch, daß das Volk gute Fähigkeiten hat. Es ist mein größter Wunsch, daß die Einwohner dieser Stadt die Ursache der Verbreitung der Freundschaft und Verbrüderung durch die ganze Welt werden mögen, daß das Licht der Brüderlichkeit von hier aus leuchte, so daß die Menschheit die Welt des Lichts, des Friedens werde. Ich hoffe, daß ich sie nicht ermüdet habe durch die Uebersetzung (in zwei Sprachen) durch die beiden Uebersetzer hier. Herr Eckstein ist müde geworden, er ist ein ausgezeichneter Uebersetzer.“

Nach Beendigung Seiner Ansprache schritt ’Abdu1-Bahá durch die Reihen der Freunde und reichte jedem die Hand. Sodann fuhr er nach der Wohnung von Fräulein Döring, die den Meister zu sich gebeten hatte. Auf ausdrücklichen Wunsch unseres Herrn begleitete Ihn ausser Ahmad Sohrab, Konsul Schwarz und Familie dorthin. Es war ein kleiner Kreis von Freunden, die Er am Tisch um Sich sah, aber mit allen war Er voll gütigster Fürsorge und legte die Speisen persönlich Seinen nächsten Umsitzenden vor. — Uns schien dies von doppelter Bedeutung zu sein, da Er wie ein Vater nicht nur unseres leiblichen Wohls gedachte, sondern auch die größte Sorgfalt der Pflege unserer Seele angedeihen ließ, indem Er jedem einzelnen nach seiner Aufnahmefähigkeit das Wasser des Lebens und das Brot des Wissens reichte.

A. Sch.

(Fortsetzung folgt.)



To the Friends in East and West.

(Continuation).

One of the most prominent qualities of our Beloved was His never tiring selfsacrificing activity which again and again proved to us His superhuman mental power as well as His wonderful understanding for the various situation of the movement. His freshness, in spite of bodily fatigue, His sensibility in intercourse with all sorts of people, was a beautiful experience, which remained in living remembrance of April 6th 1913, a day of ardent impressions. For this evening, a great meeting was prepared, with about 250 persons The Saal of the „Obere Museum“ was beautifully decorated. Miss Julia Stäbler sung first before our Lord came, and Miss Alma Knobloch read a Bahai-prayer. Then our beloved Lord entered the Saal. Everyone arose and bowed reverendly showing their respect and reverence. When 'Abdu'l-Bahá passed to mount the platform, Consul Schwarz spoke a few words of welcome with the permission of the Beloved, and pointed out, that it was a great advantage for Stuttgart, that the Master visited Stuttgart, and thanked Him in the name of the friends, that He did not shirk the fatiquing jurney to come here. He spoke of the human longing for God and truth, which was alive in the soul of people of very ancient times up to now, He spoke of the coming of the great Manifestation and of the Messager 'Abdu'l-Bahá. In further times and periods people may speak of these important days of 'Abdu'l-Bahás visit in Stuttgart and His Name may be praised by all tongues. There was an indescribable inspiration in the atmosphere when 'Abdu'l-Bahá began to speak.

Many meetings are held and always new ones are being formed in all parts of the world, societies and organisations to spread general intercourse, societies are formed to promote industry, the same as companyship for the interest of art. Political societies are founded in different countries to promote the interest of the party. The foundation of all these communities is inreality only in the interest of material life. Praise be to God, this illumined meeting has no other aim than to serve God. It is formed to establish the oneness of human society, it is organized to establish the common feeling amongst the different nations and races, that universal peace may be spread, that all religions may find the real foundation to their real union that all nations may find each other in the shadow of divine grace, because the foundation of all religions is brotherly love and fellowship and amity amongst all. But alas religion, which ought to be an instrument to serve unity and love amongst men, has become an instrument for strife and hatred. The religion which was founded to enlighten and to rejoice the hearts, has become the cause of darkening the world.

All prophets appeared for the sake of [Seite 171]Di bringing about unity amongst mankind; many are the hardships the prophets endured in order to establish this enlightenment amongst men. His Holiness Christ sacrificed His life, He endured the hardest humilitation in His life, His head was crowned with the crown of thorns. He sacrificed His own peace in order that men should again become reunited, that their hearts should be softened with his love. But the first duty, which religion imposes, is neglected to-day. The first duty, and at the same time the foundation of each religion, is the love of God. Love has departed und hatred and strife have taken its place. Instead of simple, clear principles, we only have dogmas and imitations with constant quarrels and warfare. The origin of all religion comes from the East. Fanatcism became their principle aim and object, they thirsted for the blood of their brothers. They condemned each other and considered each other unclean and looked at their mutual property as outlawed. When the East was enveloped in this darkness Baha’u’lláh came from the Eastern horizon to enlighten the West with His light. He proclaimed the principle of unity of the human race, He declared that the human race was the sheep of one shepherd and that God is their one and only shepherd. He is a benevolent and loving shepherd of His flock. He could not be kind to His sheep if He had not created them, if He did not love them He would not care for them. If God is kind to all, why should we not be good, and kind to each other, if God loves us all, why should we be indifferent to each other. He proclaims the ideal of Universal peace amongst religions. He declares that the foundation of all religion is one and the same. All prophets have led mankind to divine love, they have awakened them to the knowledge of God. They have taught the unity of the human race, they have called them to the development and care of human virtue, they have enlightened the principles of morality. The differences between the various religions all arise from dogmas and imitations, for this reason we must give up dogmas and turn to the foundations of religion. Dogmas have always been the cause of differences of opinion, religion on the contrary has always been the cause of love. Baha’u’lláh decleared that religion would again lead people back to peace and amity. If religion does not fulfil this duty, then it is not the true religion. Religion must be the remedy for all evil. If the remedy increases the malady, then it is best not to take the remedy. He furthermore declares that prejudices are the reason for distruction, that religions are the foundation of human welfare. He said, that all the messages and prophets were the servants of ethics. The highest aim which man can attain is love. Love is the origin of creation, love is the cause of the enlightenment of the world of mankind. Love is the mark of distinction between the spiritual and animal kingdom. Therefore Christ says God is love. The first and greatest command which religion demands is love. The best way to serve God is to promote and develop love. Formerly women of the East were oppressed, men did not regard women as their equals. Women were humiliated to the very utmost, they were not permitted to learn anything in art and science. In politics they had nothing whatever to say. Now Baha’u’lláh proclaimed that men and women should have equal rights. He uplifted the state of women. He said that the world of humankind consisted of two wings, the one is man, the other is woman. As long as neither the one nor the other wing is strong enough the bird cannot ascend to the highest apex of the mountains. Once women are permitted to enjoy all advantages of knowledge and education in like manner as men, mankind will reach the stage of perfection. Therefore women of the East have made great progress now, many schools for girls have been founded, where they are now educated in science and art. They now have the possibility to make infinite progress. In this short time (of Bahai-revelation) many wonderful women have appeared amongst Bahais and have proved, that they are equal to men through all these acquirements. Many women poets have appeared in Persia, in a short space of time they have made great progress. You will hear wonderful histories of their progress and how they have advanced in all virtues of mankind.

There are wonderful teachings in the Tablets and writings of Baha’u’lláh. Soon [Seite 172] all will be known in printed books and writings of Baha’u’lláh. They will be certain to create a great joy in the world of man, they are the means to establish peace amongst nations.

In Persia many meetings are held today in which different religions are represented. Jews, Christians, Mohammedans and Zoroastrians; there is such unity, and such fellowship amongst these men, that they are always ready to sacrifice their lives for each other. With heart and soul they are serving the cause of international peace. More than 20000 men sacrificed their life for the development of this Cause of God, because the old despotic rulers in the East always arose against the ideal of peace. All followers of oriental religions were such fanatics, that they shed the blood of one another. The: events we hear of from the Balkan, and all the blood shed, which is now taking place in the Balkan, is shed because of religions prejuedices. The Christians as well as the Mohammedans pretend that this is a holy war; religion which is the cause of life, has become the cause for death; religion which ought to be the cause to uplift nations to the height has become the cause of their distruction. In short, all these communities which are organised for the purpose of ransacking a country, or for the sake of spreading commerce, or for the interest of parties, can only produce a partial blessing. But the result of this gathering will remain for ever, its benefit is unlimited because it is based upon love. The general principle is, that we may turn our face to the realm of God, its aim is, that the holy breath of God may surround us. It is our hope that through it all mankind will be united. I hope, that this gathering may become a source of unity for the various religions, sects and nations.

Verily, verily Stuttgart is very blessed, this town is most beautifully situated, rarely have I seen a town as pretty as Stuttgart. I have seen many a metropole such as Paris, London etc., but a town as charming as Stuttgart I have never seen. It is a town of parks, wherever I go, I see trees in bloom, apple-, peach- and plumtrees and flowers. I must not forget something else of great importance, namely its aimable inhabitants. The government seems to me correct and good, therefore the people have good capacities. It is my greatest wish, that the inhabitants of this town may become the cause of spreading friendship and fellowship throughout all the world, that the light of brotherhood may be heralded from here, that the world of mankind may become the world of light and peace. I hope I have not tired you by interpreting into two languages. Mr. Eckstein has become tired, he is an excellent interpreter.“

After this long lecture our Beloved walked through the saal and shook hands with every one, people were so charmed by this great kindness, that they tried to kiss His blessed hand, but this He would not allow.

When this meeting was over, He accepted an invitation to the house of Miss Döring and Miss Knobloch, accompanied at His special command by Consul Schwarz and his family. It was but a small circle of friends He saw around Him, but He was full of kindest care for all of them and with His blessed hand personally helped those sitting next Him from the dishes and encouraged them to eat. It seemed to us to have a twofold significance, because He, as our physical father, looked after our bodily welfare, as well as He did after our spiritual welfare, in the capacity of our spiritual shepherd, Who nourished our souls with the water of life and the bread of Divine knowledge.

(to be continued).

A. Sch.



Graf Keyserling und die Schule der Weisheit.*)

Der Name Keyserlings ist durch die Veröffentlichung seines „Reisetagebuchs eines Philosophen“, durch seine kurze Programmschrift „Was uns not tut, was ich will“ (1919) und besonders durch sein umfangreiches Werk „Schöpferische Erkenntnis“ (Verlag Otto Reichl, Darmstadt 1922) sowie durch eine Reihe kleinerer Schriften in weite Kreise gedrungen.

Die Philosophie Keyserlings wird von einer mächtigen Woge zeitgenössischen Denkens getragen; sie gliedert sich der immer stärker wachsenden Bewegung ein, die man Lebensphilosophie [Seite 173] oder Lebensmetaphysik nennt und die sich in bewußten Gegensatz zur wissenschaftlichen oder Schulphilosophie setzt. K.’s Denken trägt in hervorragendem Maße einen praktisch-ethischen Zug. Alle philosophische Systematik und Theoretik liegt ihm fern; er stellt das Erkennen in den Dienst des Lebens, etwa wie ein Sokrates im Altertum. Er will seine Gedanken in die Praxis des Lebens umsetzen. Zu diesem Zweck hat er die Weisheitsschule in Darmstadt gegründet, über deren Tagungen und inneren Betrieb in den Heften des „Wegs zur Vollendung" berichtet wird. In dieser Schule soll zwischen Lehrer und Schüler ein „persönliches Kraftfeld“ geschaffen werden. Die Beeinflussung ist keine verstandesmäßige, sondern eine suggestive im Sinne der christlichen Askese und der indischen Yoga. K. geht davon aus, daß das Verstehen ein schöpferischer Vorgang, die Sinnenerfassung ein Urphänomen ist. So ist Verstehen von Mensch zu Mensch möglich; nur Sein überträgt sich unmittelbar auf anderes Sein. Ausser dem Antrieb des Lehrers bedarf es aber vor allem auch der Aufgeschlossenheit der Seele des Schülers, der deshalb mit keinen vorgefaßten Meinungen nach Darmstadt kommen darf. Jeder, welches Berufs er auch sei, kann sich im Sinne der Weisheit zum vollendeten Menschen bilden, nicht nur der philosophisch oder wissenschaftlich Geschickte. Solche Schulung kann im Gegenteil ein Hindernis auf dem Weg zur Sinnesverwirklichung sein. Daher warnt K. vor zu vielem Abstrahieren und vor verstandesmäßiger Realisierung des Gehörten. Der Lernende soll die Worte des Meisters in lebendiger Uebernahme sich aneignen, bei keinem Stofflich-Sachlichen verweilen und von aller Stellungnahme absehen (vgl. die ähnlichen Weisungen ’Abdu’l-Bahás). — Ueber den internen Unterrichts-Lehrbetrieb, über die Exerzitienkurse (worauf K. den größten Wert legt) ist alles Wissenswerte noch in einem Anhang der „Schöpferischen Erkenntnis" gesagt.

Das Ziel, das sich K. mit der Gründung dieser Schule gesteckt: die Heranbildung eines neuen Menschen und damit die Heraufführung einer neuen Kulturepoche, ist ein sehr hohes. Wie weit es ihm gelingen wird, muß die Zukunft lehren.

Es mag richtig und zweckmäßig sein, wenn in der Weisheitsschule (ähnlich wie in Johannes Müllers Gemeinschaft auf Schloß Elmau) nicht diskutiert wird, damit die Wirkung des gesprochenen Worts nicht beeinträchtigt werde; aber jeder geistigen Bewegung gegenüber ist eigentlich eine Stellungnahme von außen her und deshalb auch Kritik geboten, damit das wirklich Fruchtbare und Lebensfähige an ihr in seinem Wert erkannt und von den Auswüchsen und Schlacken oder auch von unwesentlichem Beiwerk gereinigt wird.

Neben großen abendländischen Denkern der Neuzeit, vor allen Nietzsche und Bergson, hat die Weisheit des Orients den Philosophen K. in ihren Bann gezogen, und in dieser Hinsicht ist er ein echter Sohn unserer Zeit. Er kennt alle die Religionen und Geistesrichtungen des Ostens, auch die Bahaibewegung ist ihm etwas bekannt, und er ist vom Osten so besessen, daß er dem Westen kaum volle Gerechtigkeit widerfahren läßt. Das Ideal der indischen und chinesischen Weisheit erblickt er darin, daß sie Seins- und nicht Könnenskultur ist, daß sie im Innern des Menschen verankert ist, während die westliche Erkenntnis, die sich fast ganz in der Erscheinungsweit erschöpft, überhaupt nicht in die metaphysische Wirklichkeit hineinführt. „Dem Orientalen sind die Gedanken selbständige Lebensformen, dem Abendländer Erkenntnismittel zur Abbildung und Beherschung der Außenwelt. Der Osten lebt in der Tiefe der Sinneswirklichkeit, der Westen an der Oberfläche der Erscheinungswelt“. Nachdem K. durch seine Orientreisen der Osten zu einem tiefen persönlichen Erlebnis geworden ist, strebt er nach einer Vertiefung der abendländischen Kultur und nach einer Einpflanzung des östlichen Antriebs in die westliche Welt.“ Er will den morgenländischen Geist mit dem abendländischen vermählen und von einer Synthese von Ost-West erhofft er eine neue Menschheitskultur. (Dies ist auch ein Gedanke der Bahailehre). Nicht auf Neuerung, sondern auf Erneuerung unseres Menschentums kommt es ihm einzig und allein an.

Von einer eigentlichen „Erkenntnistheorie“ kann man bei K. — philosophische Erkenntnis als abstrakte Theorie lehnt er ab — nicht reden. Das Absolute, dem Keyserlings intuitives Erkennen zustrebt, ist das Leben. Darunter versteht er nicht das an der Oberfläche der Erscheinungswelt dahinfließende empirisch-reale Leben, sondern das als erstes metaphysisches Prinzip in der Tiefe des Sinnes wurzelnde Leben des Geists. Der Sinn ist ihm das allein faktisch Zugrundeliegende, dasjenige vom Absoluten, das sich vom Verstande gerade noch denken läßt. Was dieses Absolute ist, vermögen wir nicht zu begreifen, es ragt aber in die Erscheinungen als „Sinn“ herein. Denken und Sein sollen sich nun verbinden zu schöpferischer Wirkungseinheit in der Philosophie, die so zu einer Lebensmacht wird wie die Religion.

J.

Vgl.: „Philosophie als Leben“ im Juniheft des „Türmer" 8. 612 (Verl. Greiner & Pfeiffer, Stuttgart).

[Seite 174]


Amo!

Instruoj de ’Abdu’l-Bahá al pilgrimanto ...

Li diris: Amo estas spirita, $i estas anima agado, kiu ankaü eniluas la korpon.

Amo ekflamas la koron, $i’ekskuas korpon kaj animon kaj kaüzas sendormecon.

Ekzistas du klasoj de amo. La birdo amas gian kunulon kaj la kvieta kolombo $iajn idojn.

Samajn ecojn, kaj eö pli grandajn, pozedas homo. La animala amo ne havas daürantan fundamenton, $i baldaü pasos. La homo unue amas pro Dio, tio Ci estas alia speco de amo.

Se vi amas personon pro siaj personaj ecoj, tiam apartenas la amo al la animala amo.

Sed, vi amas la virtojn ©e homa estajo, Car tio Ci estas alia klaso de homa amo. Sed tio ©i ankaü pasos, e© estas eble, ke &i aliigos, ofte Sis malamo. 2

Sed spirita amo, nome la Dia amo, estas favoro de Dio kaj neniam $i pasos.

Ni nun amas {iun ajn, Car ni estas Äiuj unuigitaj en la „benata perfekteco“.

Amo!

Senine konas Lin, ni neniam estas amintaj &iun, Car ni venas el diversaj landoj, kaj

havas diversajn“morojn.

Silente ni amas nun la alian, Car nia amo venas de Dio. Gi ne aliißos nek en la alia mondo. Kaj tion &i promesas al vil


EI la germana lingva esperantigis: Max Bender, Esslingen.

Kiuj ricevis la konlirmon de Amo, en vero estas, glorataj de la superega kortumo, de la angeloj de l’Cielo, kaj de la logantoj de l’regno de El-Abha; sed, se la koro de la homoj ne enhavas la dian gracon, ia Amon al Dio, ili vagadas en la dezerto de la nescio, ili malsupreniras al la profundajoj de la ruinigo, kaj ili falas nesaveble en la abismojn de la malespero. lIli estas kvazaü bestoj plej malaltgradaj.

Tia estas la Vojo al El-Bahal

Tia estas la Religio de EI-Baha!

Tia estas la Lego de EI-Bahal

Kiu ajn ne posedas tion, neniel partoprenas en El-Bahal

Bahata Penso.

Amo. Ho ci, kiu estas allogata de la Parfumoj de Dio, 'eksciu en vero, ke

Amo estas la. mistero de la diaj revelacioj ; N

Amo estas la brilego de la manifestigo;

Amo estas la spirita plenumado;

Amo estas la lumo de l’regno;

Amo estas la blovo de la Sarkta-Spirito en la spiriton de la homo; Amo estas la kaüzo de la manifesti$o de !’vero en la mondo de‘P’fenomenoj;

Amo estas la necesa ligilo devenante de la realeco de !’ajoj per, la dia kreado;

Amo estas la-rimedo por ricevi la su' peregan feliCon, samtempe en la materia mondo, kiel en la spirita mondo;

Amo estas la lumo de la Direktado en la malluma nokto;

Amo estas, en la spirita mondo, la li . kaj regas. la. ekzistantajr

gilo inter la Kreinto kaj la kreito;

Amo estas la kaüzo de l’kreskado de ciu estajo klera;

Amo estas la Superega Granda Universo de Dio;

Amo estas la unika le$o,.kiu organizas atomojn;

Amo estas la universala altirado inter. la planedoj kaj la steloj brilantaj sur la firmamento;

Amo estas, por la sercanto, la rimedo por malka$i la sekretojn metitajn en la universo de la infinito;

Amo estas la spirito de vivo en la bonfarkorpo de P’mondo; :

Amo estas la kaüzo de la civilizado de, ’popoloj de &i tiu morta mondo;

Amo estas la superega gloro de Ciu popolo justa.

Lego en la


RESUME

Die Ghandilehre.

(Schluß.)

Das Nichtzusammenarbeiten mit Engländern äußerte sich durch:

1. Rückgabe und Nichtannahme aller Ehrentitel und -Aemter,

2. Nichtbeteiligung an staatlichen Anleihen,

3. Richter- und Advokatenstreik.

4. Boykott der staatlichen Schulen,

5. Nichtteilnahme an allen feierlichen Empfängen und offiziellen Funktionen.

6. Boykott aller englischen Waren,

7. Propaganda für die Idee von Indiens Selbständigkeit (indisch: suadeschi).

Die Verwirklichung dieses Programms wurde gleichzeitig betrieben mit einer intensiven [Seite 175] Propaganda für die religiösen, ethischen und sozialen Ziele der Bewegung, durch Neugründung einer unabhängigen Gerichtsbarkeit, von Schulen und Erziehungsanstalten, durch Ausbreitung der heimischen Industrie und des heimischen Handwerks. Ueber diese positive Arbeit würde ma noch viel interessante und bewundernswerte Beispiele nennen können...

Um die Herkunft der Ghandilehre verstehen zu können, um deren sozialen Charakter zu erklären, wäre es erforderlich ein umfassendes Werk herauszugeben. Dies ginge natürlich über die Grenzen der vorliegenden Abhandlung weit hinaus. Wenn ich hierauf verzichten muß, so wollen wir dennoch beachten, daß vom soziologischen und historischen Gesichtspunkte aus, der „Ghandismus“ eine sozialpolitische Bewegung der indischen Mittelstandsklasse darstellt, entstanden und sich ausbreitend aus den durchaus spezifisch indischen Lebensbedingungen. Der Ghandismus ist als Reaktion gegen den Druck des englischen Imperialismus zu betrachten, welcher sich im Namen der europäischen „Zivilisation brüstet, die Ghandilehre versucht dem Leben — nicht nur den indischen Volke, sondern ebenso auch der Allmenschheit — einen durchaus neuen Geist einzuflößen. Diese neue Lehre, auch wenn sie sich bislang noch nicht über größere Länder verbreitete, hat sich beim Befreiungskampf der indischen Aufstandsbewegung in Südafrika aufs glänzendste bewährt und wurde restlos von Erfolg gekrönt. — Ihre Verbundenheit mit dem Geiste aller Menschen, ihre Universalität sind unverkennbar (darum ist sie auch für Europa und Amerika annehmbar). Der Ghandismus, welcher zum großen Teil die Ideen Tolstois und Ruskins (ebenso wie Christus, Mohamed’s, Laotse’s, Moses’ Buddha’s und Baha’u’lláh’s) in sich birgt, widersteht auf der einen Seite dem Kapitalismus, Chauvinismus und Imperialismus, auf der andern Seite aber ebenso sehr auch dem internationalen revolutionären Sozialismus, wie er sich im Kommunismus und Bolschewismus auswirkt. Die Ghandilehre versucht eine neue, allmenschliche Kultur und Psyche zu schaffen, einzig und allein durch die gewaltlose Revolution der Geister, durch den Glauben an die Kraft des menschlichen Willens, an die allesbesiegende Kraft des menschlichen Herzens.

(Frei übersetzt aus Nr. 11/12 des Jahrgangs 1923 der in Paris erscheinenden „Sennacieca Revio“ Organ der linksradikalen, antinationalen Weltvereinigung der Esperantisten).



Kinder-Weihnachtsfeier Stuttgart.

Wiederum wie jedes Jahr hatten sich am 22. Dezember die Kinder unserer Sonntagsschule mit ihren Eltern zu einer Weihnachtsfeier im Bürgermuseum eingefunden. Fröhliche Kindergesichter und leuchtende Augen richteten sich erwartungsvoll auf die schön geschmückte Tanne, die uns verbunden mit der beseeligenden Weihnachtsbotschaft: „Friede auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen“, den Zauber einer deutschen Weihnacht wiederspiegelte.

Mit einem Gebet wurde die Feier eröffnet, das uns mit Gott und dem Mittelpunkte seines Bundes vereinigte. Einige kurze, aber herzliche Begrüßungs- und Einleitungsworte führten uns von der Krippe zu Bethlehem — in der das Werk des Friedens geboren wurde, zu dem Erfüller des göttlichen Heilsplans zu Baha’u’lláh. Gleichzeitig wurden die Eltern ermahnt, ihr ganz besonderes Augenmerk darauf richten zu wollen, den Kindern die richtige geistige Erziehung angedeihen zu lassen. Unterstützt wurde dieser Gedanke durch eine transparentartige Namens-Vorführung unserer geistigen Führer, Bab, Baha’u’lláh und ’Abdu’l-Bahá, die noch durch einen kurzen, geschichtlichen Ueberblick vertieft wurde. Verschiedene Weihnachtslieder und Gedichte, gesungen und vorgetragen von unsern Kleinsten bis zu der verfeinerten Wiedergabe einiger Größeren haben unsere Herzen im Sturm erobert und uns leise ins selig verträumte Kinderland zurückgeführt. Als besondere Dreingabe erfreute uns die kleine Feodora Kinosowicz, mit drei für ihr jugendliches Alter gut ausgeführten Tänzen.

Bei der Gabenverteilung hat sich der Nähabend in dankenswerter Weise, besonders in der Anfertigung von reizenden Kinderkleidchen usw. betätigt. Die Erzeugnisse dieser Bemühungen waren im Vorzimmer den Freunden zur Ansicht aufgelegt. Nebenbei wäre noch zu erwähnen, daß den kleinen Mädchen fertige Kleider, den Grösseren Stoffe verabreicht wurden, ferner wurden die größeren Knaben mit je einem Paar Stiefel bedacht.

So verlief auch diese kleine Feier in schönster äußerer wie innerer Harmonie, und in mancher Seele mag der Gedanke aufgestiegen sein, sich in Zukunft intensiver für die heilige Sache einzusetzen, damit diese Weihnachtsbotschaft bald alle Herzen, Völker und Nationen durchdringen und erfüllen möge.

H.

[Seite 176]



Weihnachtsfeier in Esslingen.

Die Kinder vom „Rosengarten“ sowie deren Eltern und alle Freunde der heiligen Sache versammelten sich am Dienstag, den 18. Dez. um das Fest der Liebe — Weihnachten — zu feiern.

Muß nicht aller Kummer und Sorge der heutigen Zeit weichen, wenn man in einen festlich geschmückten Saal eintritt, in dem so viele glückliche Kinder sich mit strahlenden Augen um die Weihnachtstanne scharen und um das Bild des Meisters, dessen gütiger Blick auf sie herabschaute? Die Feier wurde durch das reizende Lied: „Klinge Glöckchen“ von den Kleinen gesungen, eröffnet. Dann hörten die Anwesenden aus kindlichem Mund die frohe Botschaft vom Kommen des Heilands — wie sie einst den Hirten auf dem Feld durch einen Engel verkündigt wurde — und von der stillen Nacht, in der die große heilige Liebe zu uns Menschen herniederkam und die dunkle Welt mit ihrem neuen Licht erhellte, das uns heute wieder mit noch größerer Leuchtkraft entgegenstrahlt. — Allerliebst war das Lied, das die 12jährige Maria Kauffmann mit klarer Stimme sang:

„Leise rieselt der Schnee,

still und starr liegt der See.

Weihnachtlich glänzet der Wald,

freue dich! Christkind kommt bald!


In den Herzen wirds warm,

still schweiget Kummer und Harm,

Sorge des Lebens verhallt,

freue dich! Christkind kommt bald!


Bald ist heilige Nacht,

Chor der Englein erwacht!

Horch nur, wie lieblich es schallt!

Freue dich! Christkind kommt bald!“


Bald ist heilige Nacht,

Chor der Englein erwacht!

Horch nur, wie lieblich es schallt!

Freue dich! Christkind kommt bald!“


Herr Oberlehrer Schwaderer sprach zu den Anwesenden über die Bedeutung des Christfestes und wie wir dieses als Bahai mit doppelter Freude feiern dürfen. Er sprach von der wahren Christusfreude und vom rechten Weihnachtsdank, Seine Worte drangen zu den Herzen der Freunde. Auf allen lag hohe freudige Stimmung und reine Harmonie.

Auch der Pelzmärte und das Christkind hielten Einzug und beschenkten die Kinder mit Süßigkeiten. Gesänge und Weihnachtsgedichte kamen zum Vortrag und heilige Segensworte unseres Meisters 'Abdu'l-Bahá. Man darf wohl sagen, daß nach Schluß der Feier die Herzen höher schlugen und auf manchen Lippen die Worte lagen: Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen!

Diesem Weihnachtsfest möge ein rechter Weihnachtsdank folgen, der ein Ansporn sei zu engerem Zusammenschluß im Dienste der heiligen großen Lehre, der sich in Selbstaufopferung und in der Nächstenliebe in Seinem heiligen Namen kund gibt.



Was nicht zur Tat wird, hat keinen Wert.

In der Erkenntnis, daß erst durch angewandte Praxis die Bahai-Lehre ihren richtigen Wert erhält und außerdem unser z. Zt. noch kleiner Freundeskreis am besten durch die praktische Betätigung der Lehre der Liebe wachsen kann, haben wir Leipziger Bahais es seit Anfang Dezember 1923 unternommen, in der jetzigen schweren Zeit einer Anzahl armer Leute täglich eine warme Mittagsmahlzeit aus eigenen Mitteln zu verschaffen. Es werden entsprechend der geringen Anzahl von Freunden auf diese Weise täglich 6 Personen beköstigt. Die Zubereitung der Speisen selbst hat in freundlicher Weise Frau Jenny Scholz übernommen. — Am 1. Weihnachtsfeiertage wurde für 10 Bedürftige bei Familie Scholz eine kleine Feier veranstaltet, zu der auch der größte Teil der hiesigen Bahai-Freunde zugegen war. Unter den Klängen des Weihnachtsliedes „Stille Nacht, heilige Nacht“ wurden die erstaunten Armen in den zur Bescherung bestimmten Raum geführt, dann wurde noch ein Weihnachtslied gemeinsam gesungen, worauf unser Freund Benke das Wort ergriff und die Anwesenden kurz mit der heiligen Sache bekannt machte. Danach fand die Bescherung statt, die aus Stollen, Teegebäck, Wurst und einigen Gebrauchsgegenständen bestand. Außerdem erhielt jeder der Bedürftigen eine Abschrift der 12 Hauptpunkte der Bahaireligion. Ein weiteres geistiges Lied beschloß die schlichte Feier. Aus den leuchtenden Augen der so unerwartet Beschenkten konnten wir Bahais aber den warmen Dank der Armen lesen.

Helmut Scholz,

Leipzig-Lindenau, Gemeindeamtstraße 6.



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Druck: Wilhelm Heppeler, Stuttgart.


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Geschichte und Bedeutung der Bahailehre.

Die Bahai-Bewegung tritt vor allem ein für die „Universale Religion" und den „Universalen Frieden“ — die Hoffnung aller Zeitalter. Sie zeigt den Weg und die Mittel, die zur Einigung der Menschheit unter dem hohen Banner der Liebe, Wahrheit, Gerechtigkeit und Barmherzigkeit führen. Sie ist göttlich ihrem Ursprung nach, menschlich in ihrer Darstellung, praktisch für jede Lebenslage. In Glaubenssachen gilt bei ihr nichts als die Wahrheit, in den Handlungen nichts als das Gute, in ihren Beziehungen zu den Menschen nichts als liebevoller Dienst.

Zur Aufklärung für diejenigen, die noch wenig oder nichts von der Bahaibewegung wissen, führen wir hier Folgendes an: „Die Bahaireligion ging aus dem Babismus hervor. Sie ist die Religion der Nachfolger Baha ’Ullahs, Mirza Hussein Ali Nuri (welches sein eigentlicher Name war) wurde im Jahre 1817 in Teheran (Persien) geboren. Vom Jahr 1844 an war er einer der angesehensten Anhänger des Bab und widmete sich der Verbreitung seiner Lehren in Persien. Nach dem Märtyrertod des Bab wurde er mit den Hauptanhängern desselben von der türkischen Regierung nach Bagdad und später nach Konstantinopel und Adrianopel verbannt. In Bagdad verkündete er seine göttliche Sendung (als „Der, den Gott offenbaren werde") und erklärte, daß er der sei, den der Bab in seinen Schriften als die „Große Manifestation", die in den letzten Tagen kommen werde, angekündigt und verheißen hatte. In seinen Briefen an die Regenten der bedeutendsten Staaten Europas forderte er diese auf, sie möchten ihm bei der Hochhaltung der Religion und bei der Einführung des universalen Friedens beistehen. Nach dem öffentlichen Hervortreten Baha ’Ullahs wurden seine Anhänger, die ihn als den Verheißenen anerkannten, Bahai (Kinder des Lichts) genannt. Im Jahr 1868 wurde Baha ’Ullah vom Sultan der Türkei nach Akka in Syrien verbannt, wo er den größten Teil seiner lehrreichen Werke verfaßte und wo er am 28. Mai 1892 starb. Zuvor übertrug er seinem Sohn Abbas Effendi (Abdul Baha) die Verbreitung seiner Lehre und bestimmte ihn zum Mittelpunkt und Lehrer für alle Bahai der Welt.

Es gibt nicht nur in den mohammedanischen Ländern Bahai, sondern auch in allen Ländern Europas, sowie in Amerika, Japan, Indien, China etc. Dies kommt daher, daß Baha ’Ullah den Babismus, der mehr nationale Bedeutung hatte, in eine universale Religion umwandelte, die als die Erfüllung und Vollendung aller bisherigen Religionen gelten kann. Die Juden erwarten den Messias, die Christen das Wiederkommen Christi, die Mohammedaner den Mahdi, die Buddhisten den fünften Buddha, die Zoroastrier den Schah Bahram, die Hindus die Wiederverkörperung Krischnas und die Atheisten — eine bessere soziale Organisation.

In Baha ’Ullah sind alle diese Erwartungen erfüllt. Seine Lehre beseitigt alle Eifersucht und Feindseligkeit, die zwischen den verschiedenen Religionen besteht; sie befreit die Religionen von ihren Verfälschungen, die im Lauf der Zeit durch Einführung von Dogmen und Riten entstanden und bringt sie alle durch Wiederherstellung ihrer ursprünglichen Reinheit in Einklang. In der Bahaireligion gibt es keine Priesterschaft und keine religiösen Zeremonien. Ihr einziges Dogma ist der Glaube an den einigen Gott und an seine Manifestationen (Zoroaster, Buddha, Mose, Jesus, Mohammed, Baha ’Ullah),

Die Hauptschriften Baha ’Ullahs sind der Kitab el Ighan (Buch der Gewißheit), der Kitab el Akdas (Buch der Gesetze), der Kitab el Ahd (Buch des Bundes) und zahlreiche Sendschreiben, genannt „Tablets“, die er an die wichtigsten Herrscher oder an Privatpersonen richtete. Rituale haben keinen Platz in dieser Religion; letztere muß vielmehr in allen Handlungen des Lebens zum Ausdruck kommen und in wahrer Gottes- und Nächstenliebe gipfeln. Jedermann muß einen Beruf haben und ihn ausüben. Gute Erziehung der Kinder ist zur Pflicht gemacht und geregelt. Niemand ist mit der Macht betraut, Sündenbekenntnisse entgegenzunehmen oder Absolution zu erteilen.

Die Priester der bestehenden Religionen sollen den Zölibat (Ehelosigkeit) aufgeben, durch ihr Beispiel predigen und sich im praktischen Leben unter das Volk mischen. Monogamie (die Einehe) ist allgemein gefordert, Streitfragen, welche nicht anders beigelegt werden können, sind der Entscheidung des Zivilgesetzes jeden Landes und dem Bait’ul’Adl oder „Haus der Gerechtigkeit“, das durch Baha ’Ullah eingesetzt wurde, unterworfen. Achtung gegenüber jeder Regierungs- und Staatseinrichtung ist als einem Teil der Achtung, die wir Gott schulden, gefordert. Um die Kriege aus der Welt zu schaffen, ist ein internationaler Schiedsgerichtshof zu errichten. Auch soll neben der Muttersprache eine universale Einheits-Sprache eingeführt werden. „Ihr seid alle die Blätter eines Baumes und die Tropfen eines Meeres“ sagt Baha ’Ullah.

Es ist also weniger die Einführung einer neuen Religion, als die Erneuerung und Vereinigung aller Religionen, was heute von Abdul Baha erstrebt wird. (Vgl. Naveau Larousse, illustre supplement, p. 66.)