Sonne der Wahrheit/Jahrgang 19/Heft 5/Text

Aus Bahaiworks
Wechseln zu:Navigation, Suche

[Seite 63]

SONNE
DER
WAHRHEIT
 
 
Zeitschrift für Weltreligion und Welteinheit
Organ der Bahá’í
in Deutschland und Oesterreich
 
 
Heft 5 19. Jahrgang Juli 1949
 


[Seite 64] Die Bahá’i-Weltreligion

Der Glaube, der von Bahá’u’lláh begründet wurde, entstand in Persien um die Mitte des neunzehnten Jahrhunderts. Nach längerer Verbannung des Gründers, zuletzt nach der türkischen Strafkolonie von Akka, und späterhin nach Seinem Tod und Seiner Beisetzung in Akka, hat der Glaube sein endgültiges Zentrum im Heiligen Land gefunden und ist jetzt im Begriff, die Grundlagen seines Verwaltungszentrums für die ganze Welt in der Stadt Haifa aufzubauen.

Wenn man seinen Anspruch, wie er unmißverständlich durch seinen Begründer verfochten wurde, und die Art des Wachstums der Bahá’i-Gemeinde in allen Teilen der Welt betrachtet, so kann dieser Glaube nicht anders angesehen werden als eine Weltreligion, die dazu bestimmt ist, sich im Laufe der Zeiten in ein weltumfassendes Gemeinwesen zu entwickeln. Dessen Kommen muß das goldene Zeitalter der Menschheit ankündigen, das Zeitalter, das die Einheit des Menschengeschlechtes unerschütterlich begründet, seine Reife erreicht und seine Bestimmung durch die Geburt und das Errichten einer alles umfassenden Zivilisation erfüllen wird.


Neue Darlegung ewiger Wahrheiten

Obwohl dem schiitischen Islam entsprungen und in den ersten Entwicklungsphasen von den Anhängern des mohammedanischen und des christlichen Glaubens nur als eine obskure Sekte, ein asiatischer Kult oder ein Ableger der mohammedanischen Religion betrachtet, beweist dieser Glaube nunmehr in wachsendem Maße sein Anrecht auf eine andere Beurteilung als nur die eines weiteren religiösen Systems, das den sich bekämpfenden Glaubensbekenntnissen, die so viele Geschlechter lang die Menschheit zerspalten und ihre Wohlfahrt verwüstet haben, sich zugesellt hat. Vielmehr ist er eine neue Darlegung der ewigen Wahrheiten, die allen Religionen der Vergangenheit zugrunde liegen, und eine einigende Macht, die den Anhängern dieser Religion einen neuen geistigen Elan einflößt, eine neue Hoffnung und Liebe zur Menschheit und sie durch eine neue Vision befeuert, die der grundsätzlichen Einheit der religiösen Lehren, und vor ihren Augen die herrliche Berufung ausbreitet, die dem Menschengeschlecht winkt.

Die Anhänger dieses Glaubens stehen fest zu dem grundlegenden Prinzip, wie es von Bahá’u’lláh verkündet worden ist, daß religiöse Wahrheit nicht absolut, sondern relativ ist, daß Gottesoffenbarung ein fortdauerndes und fortschreitendes Geschehnis ist, daß alle großen Religionen der Welt göttlich in ihrem Ursprung sind, daß ihre Grundsätze zueinander in völligem Einklang stehen, daß ihre Ziele und Absichten eine und dieselben sind, daß ihre Lehren nur Widerspiegelungen der einen Wahrheit sind, daß ihr Wirken sich ergänzt, daß sie sich nur in unwesentlichen Teilen ihrer Lehren unterscheiden und daß ihre Sendungen aufeinanderfolgende geistige Entwicklungsstufen der Menschheit darstellen.


Zur Versöhnung der sich streitenden Bekenntnisse

Die Ziele Bahá’u’lláh’s, des Propheten dieses neuen und großen Zeitalters, in das die Menschheit eingetreten ist — denn Sein Kommen erfüllt die Prophezeiungen des Neuen und Alten Testamentes wie auch des Koran, die sich auf das Erscheinen des Verheißenen am Ende der Zeiten, am Tage des Gerichtes beziehen — sind nicht die Zerstörung, sondern die Erfüllung der Offenbarungen der Vergangenheit und viel mehr die Versöhnung als die Betonung der Gegensätze der sich streitenden Glaubensbekenntnisse, welche die heutige Menschheit noch zerreißen.

Er ist weit davon entfernt, die Stufe der Ihm vorausgegangenen Propheten herabsetzen oder ihre Lehren schmälern zu wollen. Vielmehr will Er die Grundwahrheiten, die in allen diesen Lehren beschlossen sind, in einer Weise aufs neue darlegen, wie sie den Nöten der Menschheit entsprechen und auf ihre Fassungskraft abgestimmt sind und auf die Fragen, Leiden und Verwirrungen der Zeit, in der wir leben, angewendet werden können.

Seine Sendung ist: zu verkünden, daß die Zeiten der Kindheit und Unreife des Menschengeschlechtes dahin sind, daß die Erschütterungen; der heutigen Stufe der Jugend langsam und schmerzvoll sie zur Stufe der Reife vorbereiten und das Nahen jener Zeit der Zeiten verkünden, da die Schwerter in Pflugscharen umgewandelt werden und das von Jesus Christus verheißene Reich begründet wird und der Friede auf diesem Planeten endgültig und dauernd gesichert ist. Auch stellt Bahá’u’lláh nicht den Anspruch auf Endgültigkeit Seiner eigenen Offenbarung, sondern erklärt vielmehr ausdrücklich, daß ein volleres Maß der Wahrheit, als Ihm von dem Allmächtigen für die Menschheit in einem so kritischen Zeitpunkt gestattet wurde, in den späteren Phasen der endlos weiterschreitenden Menschheitsentwicklung enthüllt werden muß.


Einheit des Menschengeschlechtes

Der Bahá’i-Glaube hält die Einheit Gottes hoch, anerkennt die Einheit Seiner Propheten und betont vor allem den Grundsatz der Einheit und Ganzheit aller Menschenrassen. Er verkündet, daß die Einigung der Menschen notwendig und unvermeidbar ist, hebt hervor, daß wir uns ihr schrittweise nähern und stellt die These auf, daß nichts anderes als der verwandelnde Geist Gottes, der durch Sein erwähltes Sprachrohr an


[Seite 65]

SONNE DER WAHRHEIT
Zeitschrift für Weltreligion und Welteinheit
Heft 5
Preis vierteljährlich DM 1.80
JULI 1949
Rahmat - Barmherzigkeit
19. JAHRGANG
Leitgedanken: Einheit der Menschheit - Universaler Friede - Universale Religion


Inhalt: Göttlicher Lebensimpuls - Ein Welt-Gemeinwesen - Ährenlese - Göttliche Lebenskunst - Der verheißene Tag ist gekommen - Gedicht - Aus der Bahá’i-Welt


GÖTTLICHER LEBENSIMPULS[Bearbeiten]

Die ganze Erde ist jetzt in einem Zustande der Trächtigkeit. Der Tag nähert sich, da sie ihre edelsten Früchte gezeitigt hat, da aus ihr die stattlichen Bäume, die entzückendsten Blüten, die himmlischsten Segnungen hervorgegangen sind. Unermeßlich erhaben ist die Brise, die aus dem Gewande deines Herrn, des Gepriesenen, weht! Denn siehe, sie hat ihren Wohlgeruch verbreitet und macht alle Dinge neu! Wohl dem, der dies begreift!

Bahá’u’lláh *)


Gottes Ruf hauchte, wenn er erscholl, dem Körper der Menschheit neues Leben ein und flößte der ganzen Schöpfung neuen Geist ein. Aus diesem Grunde ist die Welt in ihren Tiefen bewegt und sind die Herzen und Gewissen der Menschen belebt worden. In kurzem werden die Beweise dieser Wiedergeburt offenbart und die tiefen Schläfer erweckt werden.

'Abdu'l-Bahá


*) Entnommen aus „DIE ENTFALTUNG DER NEUEN WELTZIVILISATION“ von Shoghi Effendi, Stuttgart 1936, S. 12 und 13.

[Seite 66]



EIN WELT-GEMEINWESEN[Bearbeiten]

Von G. A. Shock, Ph.D., F.R.S.A., Prof. der Physik, Wheaton College, Norton, Massachusetts, USA.*)


Der Bahá’i-Plan für ein Welt-Gemeinwesen

Die Geschichte weiß kaum ein Beispiel dafür, daß das Bestreben von Menschen verschiedener Rasse, Nationalität oder Kultur, sich zu einer Einheit zusammenzuschließen, reibungs- und konfliktlos vonstatten gegangen wäre. Man hat sich diese Erfahrungen zunutze gemacht und um des lieben Friedens willen in Gruppen zusammengeschlossen. Was die in solchen Gruppen zusammenlebenden Individuen miteinander verbindet, ist gemeinsame Sprache oder gemeinsamer Glaube. Während sich nun innerhalb einer solchen Menschengruppe in der Regel Friede und menschliche Solidarität zu behaupten vermögen, neigen die Gruppen in ihrem Verhältnis zueinander zu Spannung und Meinungsverschiedenheit. Wo heute zwei Nationen im Interesse des Handels oder Selbstschutzes ein Bündnis miteinander eingehen, vermag am nächsten Tage ein geringfügiger Anlaß sie als Feinde zu den Waffen greifen zu lassen.

Solange räumliche Entfernungen eine erhebliche Rolle spielten, ließ sich ein solcher Zustand wenn auch mit achselzuckendem Bedauern hinnehmen. Heute ist aber durch die moderne Technik die Welt zusammengeschrumpft, die Nationen sind näher zueinander gerückt und damit ist die Aufrechterhaltung nationaler Sicherheit zu einem beunruhigenden, dringend der Lösung bedürfenden Problem geworden.

Unglückseligerweise lassen sich nach wie vor die Führer der Welt von der Auffassung bestimmen, der einzig mögliche Weg zur Errichtung des Friedens ginge über die Vorbereitung zum Kriege. Die Atombombe kam jedoch nahe genug daran, dieser unmöglichen, veralteten Anschauung ein für allemal ein Ende zu bereiten.

Die Atomphysiker ließen keinen Zweifel darüber bestehen, daß es gegen die Atombombe keine Verteidigung gibt. Demzufolge sieht sich jede Nation der bisher unerhörten Möglichkeit gegenüber, daß innerhalb weniger Stunden die nationale Existenz vollständig zerstört wird.

Weit besser als alle andren Denker haben die Wissenschaftler nun begriffen, daß der Krieg heute nicht mehr ein Mittel zur Verfolgung nationalpolitischer Interessen, sondern ein Werkzeug zur allgemeinen Menschheitsvernichtung ist.

Um die Einzigartigkeit und die Größe des Bahá’i-Plans zur rechten Würdigung zu bringen, sei zunächst auf einige seiner wesentlichsten Punkte hingewiesen und dann auf die Darstellung der durch sie bekräftigten Voraussetzungen eingegangen.

Nach der Auffassung der Bahá’i muß ein Welt-Gemeinwesen unter den Menschen der Erde geschaffen werden.

Der Bahá’i-Plan sieht eine Weltregierung oder einen Welt-Überstaat vor, etwa vom Charakter der amerikanischen Bundesregierung. Neben [Seite 67] dieser Weltregierung besteht ein Weltgerichtshof, der alle internationalen Differenzen beizulegen und zu lösen hat. Es mag hierbei interessieren, daß für die Entscheidungen dieses Weltschiedsgerichtshofs Einstimmigkeit nicht erforderlich ist.

Das ist deshalb möglich, weil die Weltregierung um der Menschen und nicht um der Nationen willen da ist. Angenommen, ein solches Welttribunal bestünde aus sieben Mächten, und keine dieser Mächte wollte sich von den andren sechs bestimmen lassen, dann allerdings müßten alle sieben Mächte gemeinsam auf Einstimmigkeit bestehen. Die so erzielten Entscheidungen mögen zwar alle beteiligten sieben Mächte befriedigen, nicht aber notwendigerweise andere, in diesem Gerichtshof nicht vertretene Mächte.

Die Urteilsbeschlüsse des Weltschiedsgerichtshofes sind durchaus bindend. Wenn z. B. eine Nation ein Problem vor sich hat, das dem Weltgerichtshof zur Entscheidung vorgelegt werden sollte, so wird das Tribunal den Fall erörtern und entscheiden, selbst wenn die Nation das Problem nicht aus freien Stücken dem höchsten Gericht vorgelegt hat. Das Tribunal trifft nicht nur Entscheidungen, sondern sorgt auch für deren Ausführung, denn die Welt-Exekutivmacht stützt sich auf eine internationale Armee.


Grundlegende Voraussetzungen

Denen, die keine umfassende Kenntnis der Bahá’i-Schriften besitzen, mögen die von Bahá’u’lláh und 'Abdu'l-Bahá niedergelegten Grundsätze für die Einigung der Menschheit nicht allzu verschieden von den Idealen erscheinen, die von weitblickenden Staatsmännern und selbstlosen Wissenschaftlern vorangetragen worden sind.

Wir wollen uns nun einige der wesentlichen Überlegungen, wie sie den Bahá’i-Prinzipien für die Schaffung einer geeinten Weltgemeinschaft zugrunde liegen, vor Augen halten und dann die Voraussetzungen betrachten, die in den Vorschlägen der Staatsmänner und menschenfreundlicher Denker inbegriffen sind.

1. Wir leben in einer rasch sich entwickelnden Zeit. Die das Gleichgewicht der heutigen Gesellschaft erschütternden Krisen sind vor allem auf das Versagen oder das Unvermögen des Menschen, sich die grundsätzlichen Veränderungen zu vergegenwärtigen, zurückzuführen.

2. Die menschlichen Einrichtungen sind Veränderungen unterworfen. Sie unterstehen dem unabänderlichen Gesetz von Wachstum und Zerfall und damit dem Zwang der schließlichen Formauflösung.

3. Auch die menschliche Natur unterliegt dem Gesetz der Wandlung. Nichts ist bezeichnender für den Menschen als seine Fähigkeit, sich zu wandeln.

4. Nicht alle Menschen besitzen die gleichen Fähigkeiten und folglich nicht die gleiche Stufe. Trotzdem können wir keine Unterschiede nach Gesichtspunkten der Rasse, Nationalität, Klasse oder sonstiger künstlicher Abgrenzungen zulassen.

5. Alle menschlichen Beziehungen müssen von Gerechtigkeit geregelt und bestimmt sein, und diese Gerechtigkeit muß für alle gelten.

6. Einheit in der Verschiedenartigkeit ist sowohl möglich als sehr [Seite 68] erstrebenswert. In jedem Zeitalter hat es Führer gegeben, die in der Verschmelzung vieler Kulturen die Voraussetzung für die Erweiterung geistigen Ausblicks und für die Förderung sozialen Fortschritts erblickt und Isolierung als Begünstigung von Stillstand bezeichnet haben. Nun ist aber die Zeit gekommen, da die Menschheit als ein Ganzes in Weltkulturbegriffen denken muß.

7. „Einheit“, sagte ‘Abdu’l-Bahá, „ist die wesentliche Wahrheit der Religion und umschließt, wenn so verstanden, alle Tugenden der menschlichen Welt.“

8. 'Abdu'l-Bahá ruft uns ferner ins Bewußtsein, daß „die Krankheit, die den politischen Körper befallen hat, der Mangel an Liebe und das Fehlen von Selbstlosigkeit“ ist.

9. Ohne die vollständige Einigung der gesamten Menschheit ist kein bleibender Friede möglich.

10. Wie sich das Individuum entwickelt, so auch das kollektive Leben der Menschheit. Wir leben in der Zeit des Übergangs von der Stufe der Jugend zum Reifestadium, zur Stufe der Weltbürgerschaft und Weltkultur.

11. Die wechselseitige Abhängigkeit der Nationen ist zu einer vollendeten Tatsache geworden.

12. Ohne Hilfe durch übermenschliche Macht vermag sich der Mensch einer solchen schweren Krise, wie wir sie heute erleben, nicht zu entwinden.

Ein Plan, der sich nicht an diese breiten, allgemeinen Überlegungen hält, ruht auf keiner sehr sicheren Grundlage.

Wir kennen andere Pläne zur Errichtung eines Weltgemeinwesens; wir sind mit den Problemen vertraut, denen sich die „Vereinten Nationen“ gegenüber befinden; wir kennen die Ansprüche der Föderalisten und die Ziele solcher Bewegungen wie der UNESCO (der internationalen wissenschaftlichen Erziehungsorganisation der UN); doch besteht wenig Anlaß, uns mit ihnen in diesem Rahmen zu befassen. Was uns vornehmlich beschäftigt, sind die Prinzipien, auf denen sie beruhen, und die entscheidenden Voraussetzungen, die jenen Plänen und Vorschlägen zugrunde liegen.


Staatsmännische Begrenztheit

Fast alle heutigen Bewegungen, die eine Weltgemeinschaft oder eine Weltregierung zu schaffen suchen, gehen auf die Rechte des Menschen oder die natürlichen Rechte zurück.

Wir mögen nun diese Rechte als Grundaxiome der politischen Philosophie akzeptieren; angesichts der historischen Tatsachen müssen wir ihnen jedoch eine feste Fundierung zu geben suchen.

Es gibt natürlich viele Quellen für diese Voraussetzungen, z. B. haben Hobbes, Locke und Rousseau diesen Gedanken eine entscheidende Richtung gegeben. Sie beriefen sich auf den „Gesellschaftsvertrag“ oder die „Vertragstheorie“, um den Ursprung der Gesellschaft und des Staates zu erklären.

Hobbes, der Begründer der modernen politischen Theorie, stellt sich die Entstehung des Staates folgendermaßen vor: Im ursprünglichen „Naturstaat“ waren alle Menschen ebenso gleichberechtigt wie egoistisch. [Seite 69] Dieses System ist vor-gesellschaftlich und vor-politisch. Konflikte sind nicht zu vermeiden; so ist eine Macht notwendig, um Ordnung aufrechtzuerhalten. Jedes Mitglied dieser Gesellschaft spricht dem gewählten Oberhaupt das Recht zu, ihn zu beherrschen, vorausgesetzt, daß jedes andere Mitglied in gleicher Weise handelt.

Lockes Naturstaat ist zwar vor-politisch, jedoch nicht vor-gesellschaftlich. Er ist weniger materialistisch und behauptet, daß die Menschen, wenn sich selbst überlassen, sich von der Vernunft leiten lassen und in einem harmonischen Zustand miteinander zu leben versuchen. Allerdings sind Gesetze so unerläßlich wie ein von allen anerkannter Richter, der sie auslegt, und eine Macht, die sie ausführt.

Unter dieser Bedingung entwickelt sich der Staat. Jedes seiner Mitglieder willigt ein, der Gemeinschaft gewisse Rechte zu überlassen. Man schließt einen „Gesellschaftsvertrag“, demzufolge jeder einzelne an die Gesamtheit gewisse persönliche Rechte abgibt. Locke spricht den Menschen natürliche Gleichheit zu.

Trotz dem bedeutenden Einfluß, den Rousseau ausgeübt hat, und seiner Popularität brauchen wir uns hier nicht mit ihm zu beschäftigen.

Die Vertragstheorie findet in den historischen Tatsachen kaum eine Rechtfertigung. Trotzdem muß Locke als ein bedeutender Philosoph angesehen werden, und sein Einfluß auf die amerikanische und englische Kultur kann nicht überschätzt werden. Er hat der Sache religiöser Toleranz große Dienste erwiesen und sich in seiner Theorie lebhaft für die menschliche Gleichheit ausgesprochen; jedoch ist die logische Aufstellung des Prinzips der Gleichheit aller Menschen noch keineswegs die Verwirklichung dieses Prinzipes. Zu der in diesem Zusammenhange wichtigen Frage der Rassen- und Klassenvorurteile hat weder Locke noch sonst ein Philosoph des 17. Jahrhunderts etwas zu sagen noch praktische Vorschläge zu deren Überwindung zu machen gewußt. Dabei war das Problem zu jener Zeit ungleich einfacher als heute.

Es ist wichtig, sich hierbei zu vergegenwärtigen, daß Staatsmänner und Philosophen nicht ohne irgendeine Form allgemeiner Zustimmung und Anerkennung entscheidende Änderungen in ihrem politischen Denken vornehmen, und daß die Zustimmung selbst nicht hinreichend fundiert ist: ein Umstand, den die verantwortlichen Leiter menschlicher Einrichtungen oft genug vergessen oder einfach übersehen. Nehmen wir ein klassisches Beispiel. Die Vertragstheorie, die für die Menschenrechte so viel bedeutet, ist eine Fiktion, hat aber dabei als Rechtfertigung für die englische Revolution im Jahre 1688 gedient. Und mit der allgemeinen Vorstellung von einem von Anfang an bestehenden Vertragsverhältnis ließ sich unter einigem Anschein von Legalität die Behauptung verfechten, Jakob II. hätte den Vertrag zwischen König und Untertanen gebrochen. Wenngleich sich die Art, wie er beseitigt wurde, nicht mit gleicher Einfachheit erklären ließ, so wurde doch die Revolution als gesetzlich zulässige Reformation und nicht als ein Rechtsbruch angesehen.

Solche fiktiven Begriffe wie die der Vertragstheorie oder der rassischen Überlegenheit, wie sie sich mächtigen Minoritätsgruppen als nützlich erweisen, werden mitunter im Lauf der [Seite 70] Zeit zu unantastbar heiligen Einrichtungen. Ja, sie werden oft als Bestandteile unsrer ganzen Kulturentwicklung bewertet. Keinen Augenblick dürfen wir aber dabei außer acht lassen, daß wir nicht in der Lage sind, Probleme der Wirklichkeit richtig zu würdigen, solange veraltete Doktrinen und unmöglich gewordene Traditionen auch nur in geringer Weise unser Denken beherrschen. Wie Shoghi Effendi sagte: „Wenn lang verehrte Ideale und altehrwürdige Einrichtungen, wenn gewisse soziale Anschauungen und religiöse Formeln nicht länger die Wohlfahrt der ganzen Menschheit zu fördern imstande sind und sie nicht länger den Bedürfnissen einer sich ständig weiter entwickelnden Menschheit zu dienen vermögen, dann laßt sie hinweggefegt werden ...“

Damit behaupten wir aber nicht, daß die zeitgenössischen Führer der Welt keinen Fortschritt auf dem Weg zu einem Welt-Gemeinwesen machten. Von ihren ehrlichen Bemühungen lassen sich tatsächlich manche Hoffnung und Ermutigung gewinnen, doch darf angesichts der Tatsachen nicht verschwiegen werden, daß die ihren Vorschlägen zugrunde liegenden Hypothesen wenig geeignet sind, als solide Grundlage für eine Weltföderation zu dienen. Es gilt, eine breitere Loyalität zu begründen, und sie ist es, der sich der Ruf von Bahá’u’lláh in erster Linie zuwendet.

Es mag verfrüht sein, den Ausgang der Bemühungen moderner Theoretiker vorauszusagen, doch würden sie gut tun, wenn sie sich mit den Prinzipien eines Glaubens befassen möchten, der überall in der Welt Fuß gefaßt hat und verschiedene Rassen, Nationalitäten und Klassen zu vereinen vermag. Und mehr als dies: es ist ein in den Annalen der Religionsgeschichte einzigartiges Ereignis, daß dieser Glaube die Reinheit seiner Gesetze und Weisungen zu bewahren und trotz der inneren und äußeren Feinde seine Einheit aufrechtzuerhalten vermochte. Fernerhin ist es bezeichnend, daß die Anhänger der Bahá’i-Weltreligion — dieser Umstand erscheint in diesen Tagen allgemeiner Verwirrung und Uneinheitlichkeit besonders bedeutungsvoll — nicht nur umfassende Liebe für die ganze Menschheit ohne Ansehen des Glaubens oder der Klasse an den Tag legen, sondern zugleich ergebene patriotische Bürger ihrer betreffenden Regierungen sind.

Shoghi Effendi richtete an die Führer, die sich von veralteten Einrichtungen nicht trennen wollen, folgende unmißverständliche Mahnung: „Im Gegensatz zu allen früheren religiösen Offenbarungen ist es diesem Glauben, vermittels seiner ausdrücklichen Weisungen, wiederholten Warnungen und der in seinen Lehren verankerten, erläuterten und beglaubigten Bürgschaften gelungen, ein solches Gebäude aufzurichten, dem sich die verwirrten Anhänger bankrotter und zerbrochener Glaubensrichtungen wohl nähern und es kritisch prüfen sollten, ehe es zu spät ist, um hier die unverwundbare Sicherheit seines weltumspannenden Schutzes zu suchen.“


Kritische Fragen

Eine Reihe kritischer Fragen erhebt sich an diesem kritischen Wendepunkt der Weltgeschichte.

Vermag diese Theorie von den natürlichen Rechten oder irgendeine andere von Menschen aufgestellte Theorie [Seite 71] als Grundlage eines Welt-Gemeinwesens zu dienen?

Vermag sie jene breitere Loyalität zu begründen, wie sie für den Weltfrieden so unerläßlich ist?

Vermag sie Rassen-, Klassen- oder nationalistische Vorurteile auszumerzen?

Wir haben nur einige der allgemeinen Voraussetzungen erwähnt, die vom Bahá’í-Standpunkt aus für ein Weltgemeinwesen wesentlich sind. Wie viele davon finden sich in der Theorie der natürlichen Rechte eingeschlossen?

Locke behauptet, daß alle Menschen von Natur aus gleich sind, doch handeln Menschengruppen, geschweige denn Nationen, die von den Lockeschen Theorien beeinflußt worden sind, nicht so, als wären alle Menschen mit gleichen natürlichen Rechten ausgestattet, und wir neigen vielleicht zur naiven Annahme, daß rückständige und unerwünschte Rassen von solchen Rechten als ausgeschlossen zu betrachten sind. Wahrscheinlich ist dies ein Grund, weshalb wir verfehlten, freundschaftliche Beziehungen zwischen den verschiedenen Rassen zu begründen.

Der gewichtigste Einwand gegen die Theorie des Naturrechts als der einzigen Basis für ein Weltgemeinwesen ist die offenkundige Tatsache, daß es ihr bisher nicht gelungen ist, die Einheit der Menschheit zu begründen. Als Amerika die Union unter der Verfassung schuf, hatte es Beträchtliches und Wesentliches zur Frage der natürlichen Rechte zu sagen, vermochte jedoch zu jener Zeit nicht die Sklaverei abzuschaffen. Nur in einem sehr beschränkten Grade hat die Theorie der natürlichen Rechte soziale Gerechtigkeit zu schaffen vermocht.


Unbehindertes Suchen nach Wahrheit

Konservativismus ist für Staatsmänner nicht nur empfehlenswert, sondern außerordentlich notwendig. Um jeder neuen Idee willen kann man die Maschinerie einer Regierung nicht nach Belieben über den Haufen werfen, noch können solche Ideen ernsthafte Erwägung verlangen, die sich mit reifem Urteil und den Erfahrungen als unvereinbar erweisen. So ist es zum Beispiel durchaus nicht so absolut klar, ob ein kapitalistischer Staat gänzlich unerwünscht oder ob er die Ursache zu sozialer Ungerechtigkeit ist. Auch ist es durchaus nicht endgültig erwiesen, ob nun alle Menschen die gleichen angeborenen Fähigkeiten besitzen und deshalb auf die gleiche Stufe im Leben Anspruch haben. Diese beiden Ideen stehen im Widerspruch mit der Vernunft und der Erfahrung.

Andererseits ist es unbestreitbar, daß sich die Gesellschaft in einem ständigen Entwicklungsprozesse befindet, und daß Rassenfeindschaft und Klassenhaß stets zu Störungen und schließlich zu Kriegen führen. Bei einigem Nachdenken müßte jeder unparteiisch gesinnte Mensch zu der Überzeugung gelangen, daß manche unsrer überlebten Begriffe über Mensch und Gesellschaft einer Erneuerung bedürfen.

Wo erbringt die Geschichte einen Beweis dafür, daß eine Nation oder eine Gemeinde politisch oder wirtschaftlich zerfiel, lediglich weil sie auf Frieden, wechselseitige Verständigung und Zusammenarbeit bestand? Andere Ideen wie „rassische Überlegenheit“ und „Überleben des Fähigsten“, die vordem als unerläßlich für Fortbestand und Wohlergeben der [Seite 72] Gesellschaft erachtet wurden, sind heute überholt, und es ist durchaus wahrscheinlich, daß nicht wenige von den Ideen, an denen wir uns heute orientieren, eines Tages gleichfalls Sinn und Bedeutung verlieren.


Die menschliche Gesellschaft und der Göttliche Plan

Die Führer der Welt machen, wie bereits gesagt, manchen Fortschritt auf dem Weg zu einem Welt-Gemeinwesen. Denen nun, die weder mit dem Charakter noch den Ansprüchen dieses göttlich bestimmten Glaubens von Bahá’u’lláh vertraut sind, mag es als unzweifelhaft erscheinen, daß die menschliche Gesellschaft trotz einer nicht bestehenden festen Fundierung, das erhoffte, hohe Ziel erreichen wird. Drei Punkte verdienen hier besondrer Erwähnung:

1. Die Nationen, die sich der allgemeinen Prinzipien für ein Welt-Gemeinwesen nicht bewußt sind, wie sie so klar in den Bahá’i-Schriften dargestellt sind, werden eines Tages den „Geringeren Frieden“ begründen. Bahá’u’lláh unterscheidet zwischen dem „Größten Frieden“, der die Weltzivilisation einleiten wird, und dem „Geringeren Frieden“, der ein für allemal die Kriege beenden wird.

2. Was diese Nationen bestenfalls erzielen können, ist jedoch nicht mehr als politische Einheit, d.h. mit dem Aufhören der Kriege erfüllt sich die äußerste Möglichkeit staatsmännischer Fähigkeiten. Die vollständige Einung aller Nationen, Rassen und Klassen liegt jenseits selbst der höchsten uns heute bekannten staatsmännischen Kunst, und ohne diese wirkliche Einswerdung kann kein dauerhafter Friede bestehen.

3. Hätten — und dies ist der wichtigste Punkt — die Führer der Welt, an die Bahá’u’lláh sich kollektiv und individuell gewandt hat, Seinen warnenden Ruf befolgt, wäre der Weltfriede schon im neunzehnten Jahrhundert zur Wirklichkeit geworden.

Nichts ist bezeichnender für die Unterlassung der Wissenschaftler, Staatsmänner und Weltführer, die Weltreligion von Bahá’u’lláh ernstlich geprüft zu haben, als die Tatsache, daß wir heute viele von diesen Dingen selber tun, die Er vor mehr als siebzig Jahren zu tun anempfohlen hatte. Erst kürzlich haben Führer sich für Prinzipien ausgesprochen, die sich in den Bahá’i-Schriften finden.

So haben zum Beispiel die Atomforscher darauf hingewiesen, daß sich ohne eine „geeinte Weltgemeinschaft“ kein Friede in der Welt begründen läßt, und die Herausgeber des Buches „Eine Welt oder keine“ haben den dringenden Vorschlag gemacht, „große öffentliche Diskussionen“ zu veranstalten, in denen Staatsmänner und Experten auf dem Gebiete internationaler Beziehungen ... die Gefahr der Atombombe diskutieren können.

Gewöhnlich muß jedoch der Mensch für seine Gleichgültigkeit entscheidenden Prinzipien gegenüber einen unverhältnismäßig hohen Preis zahlen. Ungefähr zu der Zeit, als Bahá’u’lláh Seine Prinzipien der Einheit der Menschheit, dieses Hauptthema Seines weltumspannenden Glaubens, verkündete, unternahm es Graf Gobineau, die Welt davon zu überzeugen, daß ihre einzigste Hoffnung in der Förderung einer sogenannten Eliterasse bestünde, die, nach Gobineaus Auffassung, die arische sein müßte. Versuchen wir doch gerecht und wenigstens etwas [Seite 73] wissenschaftlich zu denken. Brachte diese Idee einer Eliterasse nicht überall unermeßliches Elend über Minoritätengruppen? Und hätte auf der andren Seite Bahá’u’lláh’s Prinzip von der Einheit der Menschheit den Fortschritt der Zivilisation aufgehalten oder Individuen geschädigt?

Die Menschen weisen oft genug entscheidende Prinzipien aus dem Grunde ab, weil sie sie nicht völlig zu begreifen vermögen. Angesichts der internationalen Entwicklungen in der letzten Zeit muß man sich nun vergegenwärtigen, daß Bahá’u’lláh das System kollektiver Sicherheit vorausgesehen und gefordert hat. Er sagte: „Seid einig, o Könige der Erde, denn nur so kann der Sturm der Zwietracht unter euch besänftigt werden, und eure Völker können Frieden finden... Sollte einer von euch gegen einen anderen die Waffen ergreifen, so erhebt euch alle gegen ihn, denn ein solches Unternehmen ist nichts als offenbare Gerechtigkeit.“ ‘Abdu’l-Bahá spricht sich einmal über das gleiche Problem aus. Er sagte, daß die Herrscher der Welt ein Bündnis oder einen Pakt untereinander schließen sollten, und er spricht sich über gewisse, genau bezeichnete Bedingungen und Voraussetzungen aus. So sagt er: „...die Grenzen jeder einzelnen Nation müssen klar gezogen, die Prinzipien, die den Beziehungen der Regierungen untereinander zugrunde liegen, müssen endgültig niedergelegt, und alle internationalen Vereinbarungen und Verpflichtungen gesichert werden. In gleicher Weise muß das Ausmaß der Rüstung jeder einzelnen Regierung ausdrücklich beschränkt werden, denn wenn die Vorbereitungen auf einen Krieg und die militärische Macht einer Nation nicht begrenzt werden, fordern sie den Verdacht der anderen heraus.“ Dann spricht er vom System kollektiver Sicherheit, „... das einem solchen feierlichen Bündnis zugrunde liegende Prinzip muß so gehalten sein, daß, falls später eine Regierung gegen irgendeine dieser Bestimmungen verstoßen sollte, sich alle Regierungen der Erde gegen den Vertragsbrecher erheben und ihn zur vollen Unterwerfung zwingen müssen...“

In letzter Zeit hat der Gedanke kollektiver Sicherheit mehr und mehr an Beachtung gewonnen, aber eine Reihe von Schriftstellern hat sich gegen seine praktischen Möglichkeiten ausgesprochen. Wie jedoch bereits erwähnt, ist es unerläßlich, daß zunächst entscheidende Voraussetzungen geschaffen werden, bevor ein solcher Plan sich praktisch verwirklichen läßt. Wenn diese Bedingungen erfüllt sein werden, steht auch der Verwirklichung der kollektiven Sicherheit nichts mehr im Wege.

Dieses Bündnis oder dieser Pakt ist die Proklamation des Geringeren Friedens. Soweit sich die Ereignisse voraussehen lassen, wird sich die Entwicklung in folgender Weise vollziehen: Einschränkung nationaler Unabhängigkeit, Bildung des Welt-Gemeinwesens, Erklärung des Geringeren Friedens und dann der Beginn der Weltregierung.


Vollzieht sich Zivilisation von selbst?

Nichts ist irriger als die Annahme, die Schaffung einer Weltzivilisation wäre nun etwas, das sich unabhängig von göttlich bestimmten Prinzipien mehr oder weniger automatisch selbst gestalten könnte. Wir mögen das in den Bahá’i-Schriften so unmißverständlich niedergelegte erhabene Gefüge, selbst [Seite 74] das Prinzip der Einheit der Menschheit zu ignorieren suchen, ja, wir können aber das aus solch absichtsvoller Kurzsichtigkeit notwendigerweise sich ergebende Elend nicht vermeiden. Gemeinsame Not mag die Menschen einigen, aber sie vermag dabei nicht ihre selbstsüchtigen Wünsche auszumerzen.

Die Zeit des Nationalismus ist vorbei. Die Geschichte sollte uns hierbei als Lehrmeisterin dienen. Anscheinend lernen wir nichts aus der Geschichte, ausgenommen das, daß wir nichts aus der Geschichte lernen. Die Einheit der Menschheit ist eine unvermeidliche Stufe in der menschlichen Entwicklung. Weltbürgerschaft, verbunden mit Weltzivilisation und Weltkultur, kündigt das Zeitalter der Menschheit an. Dies ist das Wesentliche der Bahá’i-Lehren. Dies ist unsere große Hoffnung. Die Menschheit ist im Begriff, ihre Stufe der Reife zu erreichen. Kriege und Ungerechtigkeit gehören in die Zeit der Unmündigkeit, und wenn die Menschheit die Reife erreicht hat, wird sie niemals mehr in den Zustand der Jugend zurückkehren.


*) Nach der deutschen Übersetzung von Karl Schück, Hollywood.



ÄHRENLESE AUS DEN SCHRIFTEN VON BAHA’ULLAH[Bearbeiten]

Nach der englischen Übersetzung von Shoghi Effendi (New York, Baha’i Publishing Committee 1935) ins Deutsche übertragen.

(Fortsetzung)


In jedem Zeitalter und Zyklus hat Er durch das von den Manifestationen Seines wunderbaren Wesens ausgegossene strahlende Licht alle Dinge neu erschaffen, damit, was auch immer in den Himmeln und auf Erden die Zeichen Seiner Herrlichkeit zurückstrahlt, nicht des Ausströmens Seiner Gnade beraubt sei noch an den Schauern Seiner Gunst verzweifle. Wie allumfassend sind die Wunder Seiner grenzenlosen Huld! Sieh, wie sie die ganze Schöpfung durchdrungen haben! So stark ist ihre Wirksamkeit, daß nicht ein einziges Atom im ganzen All zu finden ist, das nicht die Beweise Seiner Macht bezeugte, das nicht Seinen heiligen Namen priese oder nicht der Ausdruck des strahlenden Lichtes Seiner Einheit wäre. So vollkommen und umfassend ist Seine Schöpfung, daß kein Geist noch Herz, wie durchdringend und rein sie auch seien, das Wesen des bedeutungslosesten Seiner Geschöpfe je erfassen, wie viel weniger in das Geheimnis Dessen dringen kann, der die Sonne der Wahrheit, der das unsichtbare und unverkennbare Sein ist. Die Vorstellungen der frömmsten der Mystiker, die Kenntnisse der Gebildetsten unter den Menschen, das höchste Lob, das menschliche Zunge oder Feder zollen können, sind alle die Frucht von des Menschen endlichem Geist und sind durch dessen Begrenzungen bedingt. Zehntausend Propheten, ein jeder ein Moses, sind auf dem Sinai ihres Suchens wie vom Donner gerührt bei Seiner verbietenden Stimme, „Du sollst Mich niemals schauen!“, während eine Myriade Sendboten, ein jeder so groß wie Jesus, bestürzt an ihren himmlischen "Thronen stehen bei dem Verbot, „Meine Wesenheit sollst du niemals erkennen!“ Seit undenklicher Zeit ist Er in der unaussprechlichen Heiligkeit Seines erhabenen Selbstes verborgen gewesen und wird ewiglich in das [Seite 75] undurchdringliche Geheimnis Seines unerkennbaren Wesens gehüllt bleiben. Jeder Versuch, zum Verständnis Seiner unerreichbaren Wirklichkeit zu gelangen, hat in vollkommener Verwirrung geendet, und jedes Bemühen, Seinem erhabenen Selbst zu nahen und Seinem Wesen ins Antlitz zu schauen, ist in Hoffnungslosigkeit und Fehlschlag verlaufen.

Wie verwirrend in meiner Bedeutungslosigkeit ist für mich der Versuch, die heiligen Tiefen Deiner Erkenntnis zu ergründen! Wie nichtig sind meine Anstrengungen, mir die Größe der Macht vorzustellen, die in Deinem Werke ruht — die Offenbarung Deiner schöpferischen Kraft! Wie kann mein Auge, das die Fähigkeit nicht besitzt, sich selbst zu erblicken, beanspruchen, Dein Wesen wahrgenommen zu haben, und wie kann mein Herz, schon unfähig, die Bedeutung seiner eignen Möglichkeiten zu erfassen, sich anmaßen, Deine Natur begriffen zu haben? Wie kann ich beanspruchen, Dich erkannt zu haben, wenn die ganze Schöpfung von Deinem Geheimnis verwirrt ist, und wie kann ich zugeben, Dich nicht erkannt zu haben, wenn, ach, das ganze Weltall Deine Gegenwart verkündet und für Deine Wahrheit zeugt? Die Tore Deiner Gnade sind durch die Ewigkeit hin zugänglich gewesen, und die Mittel zum Zutritt zu Deiner Gegenwart sind allem Erschaffenen erreichbar gemacht und die Offenbarungen Deiner unvergleichlichen Schönheit zu allen Zeiten der Wirklichkeit alles sichtbaren und unsichtbaren Seins eingeprägt worden. Trotzdem fühle ich mich, ungeachtet dieser gnädigsten Gewogenheit, dieser vollkommenen und vollendeten Gabe, angetrieben, zu bezeugen, daß Dein Hof der Heiligkeit und Herrlichkeit unermeßlich erhaben über der Erkenntnis aller andern außer Dir ist und das Geheimnis Deiner Gegenwart jedem Geiste außer dem Deinen unergründlich ist. Niemand außer Dir kann das Geheimnis Deiner Natur enthüllen, und nichts außer Deinem erhabenen Wesen kann die Wirklichkeit Deines unerforschlichen Seins erfassen. Wie groß ist die Zahl jener himmlischen und allherrlichen Wesen, die alle Tage ihres Lebens in der Wildnis ihrer Trennung von Dir umherirrten und am Ende verfehlten, Dich zu finden! Wie groß ist die Menge der geheiligten und unsterblichen Seelen, die verloren- und irregingen, während sie in der Wüste des Suchens nach Deinem Antlitz zu schauen verlangten! Myriade ist die Zahl derer, die Dich glühend lieben, die die verzehrende Flamme der Entfernung von Dir dahinsinken und vergehen ließ, und zahllos sind die aufrichtigen Seelen, die willig ihr Leben niederlegten in der Hoffnung, das Licht Deines Antlitzes zu schauen. Die Seufzer und Wehklagen dieser sehnenden Herzen, die nach Dir lechzen, können Deinen heiligen Hof niemals erreichen, und die Klagen der Wanderer, die danach dürsten, vor Deinem Antlitz zu erscheinen, können nicht zu Deinem Sitz der Herrlichkeit gelangen.

XXVII Aller Ruhm sei der Einheit Gottes, und alle Ehre sei Ihm, dem höchsten Herm, dem unvergleichlichen und allherrlichen Beherrscher des Alls, der aus äußerstem Nichtsein die Wirklichkeit aller Dinge erschaffen hat, der aus dem Nichts die lautersten und feinsten Grundstoffe Seiner Schöpfung ins Dasein gerufen und der Seine Geschöpfe vor der Erniedrigung der Entfernung und den Gefahren letzten Ausgelöschtseins errettet und sie in Seinem Reich unzerstörbarer Herrlichkeit aufgenommen hat. Nichts Geringeres als [Seite 76] Seine allumfassende Gnade, Seine alldurchdringende Barmherzigkeit, konnte dies vollbringen. Wie wäre es wohl dem gänzlichen Nichtssein möglich gewesen, aus sich selbst heraus das Verdienst und die Fähigkeit zu erlangen, aus seinem Zustand des Nicht-Seins in das Reich des Seins zu treten?

Da Er die Welt und alles, was in ihr lebt und sich bewegt, erschuf, beliebte Er, durch das unmittelbare Wirken Seines freien und unumschränkten Willens dem Menschen die einzigartige Auszeichnung und Fähigkeit zu übertragen, Ihn zu erkennen und zu lieben - eine Fähigkeit, die durchaus als der der gesamten Schöpfung zugrundeliegende schöpferische Antrieb und Urzweck angesehen werden muß... Über die innerste Wirklichkeit eines jeden erschaffenen Dinges hat Er das Licht eines Seiner Namen gegossen und es zum Empfänger der Herrlichkeit einer Seiner Eigenschaften gemacht. Die Wirklichkeit des Menschen indessen hat Er zum Brennpunkt des Glanzes aller Seiner Namen und Eigenschaften und zum Spiegel Seines eigenen Selbstes gemacht. Allein von allem Erschaffenen ist der Mensch zu einer so großen Gunst und für ein so dauerndes Geschenk ausersehen worden.

Diese Kräfte, mit denen die Sonne göttlicher Güte und die Quelle himmlischer Führung die Wirklichkeit des Menschen ausgestattet hat, ruhen indessen in ihm, wie die Flamme in der Kerze verborgen ist und die Strahlen des Lichtes nur als Möglichkeit in der Lampe gegenwärtig sind. Der Glanz dieser Kräfte mag durch weltliche Wünsche verdunkelt werden, so wie die Sonne unter dem Staub und Schmutz, die den Spiegel bedecken, verborgen sein kann. Weder die Kerze noch die Lampe können indessen durch ihr eigenes Bemühen und ohne Unterstützung entzündet werden, noch wird es dem Spiegel jemals möglich sein, sich selbst von seinem Schmutze zu befreien. Es ist klar und offenbar, daß die Lampe niemals aufglühen wird, ehe nicht ein Feuer in ihr entzündet ist und der Spiegel das Bild der Sonne niemals wiedergeben noch ihr Licht und ihre Pracht zurückstrahlen kann, ehe nicht der Schmutz von seiner Oberfläche entfernt ist.

Und da es kein Band unmittelbarer Verbindung geben kann, das den einen, wahren Gott mit Seiner Schöpfung verbindet, und keinerlei Ähnlichkeit zwischen dem Vergänglichen und dem Ewigen, dem Zufälligen und dem Absoluten bestehen kann, hat Er bestimmt, daß in jedem Zeitalter und in jeder Ausgießung eine reine und unbefleckte Seele in den Reichen von Erde und Himmel geoffenbart werde. Diesem feinen, diesem geheimnisvollen und himmlischen Sein hat Er eine zweifache Natur bestimmt: die körperliche, die der Welt des Stoffes angehört, und die geistige, die aus der Substanz von Gott selbst geboren ist. Er hat Ihm weiter eine doppelte Stufe verliehen. Die erste Stufe, die sich auf Seine innerste Wirklichkeit bezieht, stellt Ihn dar als Einen, dessen Stimme die Stimme von Gott selbst ist. Hierfür zeugt die Überlieferung: „Mannigfach und geheimnisvoll ist Meine Beziehung zu Gott. Ich bin Er selbst und Er ist Ich selbst, außer, daß Ich bin, der Ich bin, und Er ist, der Er ist.“ Und in gleicher Weise die Worte: „Erhebe Dich, o Muhammad, denn siehe, der Liebende und der Geliebte sind vereinigt und eins gemacht in Dir.“ Ähnlich sagt Er: „Es ist keinerlei Unterschied zwischen Dir und Ihnen, außer daß Sie Deine Diener sind.“ Die zweite Stufe ist die menschliche Stufe, [Seite 77] die durch folgende Verse erläutert wird: „Ich bin nur ein Mensch wie ihr.“ „Sprich: Preis sei meinem Herrn! Bin ich mehr als ein Mensch, ein Apostel?“ Diese Wesen der Loslösung, diese strahlenden Wirklichkeiten, sind die Kanäle von Gottes alldurchdringender Gnade. Geführt vom Licht unfehlbarer Führung und ausgestattet mit höchster Herrschaft, sind sie bevollmächtigt, die Eingebung ihrer Worte, die Ausgießungen ihrer untrüglichen Gnade und den heiligenden Windhauch ihrer Offenbarung zu gebrauchen, um jedes sehnende Herz und jeden empfänglichen Geist vom Schmutz und Staub irdischer Sorgen und Beschränkungen zu befreien. Dann und nur dann wird das Pfand Gottes, das in der Wirklichkeit des Menschen verborgen ist, strahlend wie das aufsteigende Gestirn göttlicher Offenbarung hinter dem Schleier des Verborgenseins hervortreten und das Banner seiner enthüllten Herrlichkeit hoch in den Menschenherzen errichten.

In den vorhergehenden Abschnitten und Andeutungen ist ohne jeden Zweifel klar dargelegt, daß in den Reichen von Erde und Himmel notwendigerweise ein Sein, ein Wesen geoffenbart werden muß, das wirken soll als Offenbarung und Träger für die Übertragung der Gnade der Gottheit, des höchsten Herrn über alles. Durch die Lehren dieser Sonne der Wahrheit wird jeder Mensch vorwärtsschreiten und sich entwickeln, bis er die Stufe erreicht, auf der er alle im Bereiche des Möglichen liegenden Kräfte offenbaren kann, mit denen sein innerstes, wahres Selbst ausgestattet wurde. Eben zu diesem Zweck sind in jedem Zeitalter und jeder Sendung die Propheten Gottes und Seine Erwählten unter den Menschen erschienen und haben eine Kraft an den Tag gelegt, wie sie nur von Gott geboren wird, und eine Macht, wie nur der Ewige sie offenbaren kann.

Kann ein mit gesundem Verstande Begabter sich je ernstlich vorstellen, daß die Pforten von Gottes unendlicher Führung vor dem Angesicht der Menschen geschlossen werden könnten, weil er den Sinn gewisser Worte nicht zu begreifen vermag? Kann er sich je einen Anfang oder ein Ende dieser göttlichen Leuchten, dieser strahlenden Lichter ausdenken? Welcher Flutstrom wäre mit dem Strom Seiner allumfassenden Gnade vergleichbar, und welche Wohltat könnte die Beweise einer so großen und durchdringenden Barmherzigkeit überragen? Es steht außer jedem Zweifel, daß die Welt vollkommen unterginge, wenn ihr einen Augenblick lang der Strom Seiner Barmherzigkeit und Gnade entzogen würde. Aus diesem Grund sind vom Anfang her, der keinen Anfang hat, die Tore göttlicher Barmherzigkeit vor dem Angesicht alles Erschaffenen weit geöffnet worden, und die Wolken der Wahrheit werden bis zum Ende, das kein Ende hat, weiterhin auf den Boden menschlicher Fähigkeit, Wirklichkeit und Persönlichkeit ihre Gunst und Freigebigkeit niederregnen. Solches ist Gottes von Ewigkeit zu Ewigkeit fortgesetztes Verfahren gewesen.

XXVIII. Glücklich der Mensch, der sich erhebt, um Meiner Sache zu dienen und Meinen herrlichen Namen zu preisen! Ergreife Mein Buch mit der Kraft Meiner Macht und halte dich beharrlich an alles Gebot, das dein Herr, der Anordner, der Allweise, darin geheißen hat. Sieh, o Muhammad, wie die Reden und Taten der Anhänger des schiitischen Islam die Freude und Glut [Seite 78] seiner frühen Tage verdunkelt und den ursprünglichen Glanz seines Lichtes getrübt haben. In seinen frühesten Tagen, während sie noch den mit dem Namen ihres Propheten, des Herrn der Menschheit, verbundenen Vorschriften folgten, war ihre Bahn durch eine ununterbrochene Reihe von Siegen und Triumphen gekennzeichnet. Als sie allmählich vom Pfad ihres wahren Führers und Meisters abwichen, als sie sich vom Lichte Gottes abwandten und die Grundlage Seiner göttlichen Einheit verfälschten, und als sie ihre Aufmerksamkeit in zunehmendem Maß auf diejenigen beschränkten, die nur die Offenbarer der Macht Seines Wortes waren, wandelte sich ihre Kraft in Schwäche, ihr Ruhm in Schande, ihr Mut in Furcht. Du siehst, in welchen Zustand sie kamen. Siehe, wie sie Ihm, dem Brennpunkt göttlicher Einheit, Gefährten zugesellten. Siehe, wie ihre schlechten Taten sie daran gehindert haben, am Tage der Auferstehung das Wort der Wahrheit — gepriesen sei Seine Herrlichkeit — zu erkennen. Wir hegen die Hoffnung, daß dieses Volk sich künftig vor eitlen Hoffnungen und Einbildungen hüten und zum wahren Verständnis der Bedeutung göttlicher Einheit gelangen wird.

Die Person der Manifestation ist immer der Vertreter und das Sprachrohr Gottes gewesen. Sie ist in der Tat der Morgen von Gottes allüberragenden Namen und der Aufgangsort Seiner erhabenen Attribute. Wenn man Ihm einige von ihnen als Ebenbürtige zur Seite setzte, wenn sie als gleichbedeutend mit Seiner Person angesehen würden, wer könnte dann behaupten, daß das göttliche Sein eines und unvergleichlich, daß Sein innerstes Wesen unteilbar und einzig ist? Denke über das nach, was Wir dir durch die Macht der Wahrheit geoffenbart haben, und zähle zu denen, die dessen Bedeutung erfassen.

XXIX. Die Absicht Gottes bei Erschaffung des Menschen war und wird immer die sein, ihn zu befähigen, seinen Schöpfer zu erkennen und in Seine Gegenwart zu gelangen. Diesen höchsten Zweck, dieses erhabenste Ziel bezeugen alle himmlischen Bücher und die göttlich geoffenbarten, inhaltsschweren Schriften ganz unzweideutig. Wer immer den Morgen göttlicher Führung erkannt und Seinen heiligen Hof betreten hat, der hat sich Gott genähert und Seine Gegenwart erreicht, eine Gegenwart, die das wahre Paradies ist und für welche die erhabensten Wohnstätten des Himmels nur ein Sinnbild sind. Ein solcher Mensch hat das Wissen um die Stufe Dessen erreicht, der sich „in der Entfernung zweier Bogenlängen“ befindet, der hinter dem Sadratu’l-Muntahá steht. Wer immer versäumt hat Ihn zu erkennen, hat sich selber zum Elend des Fernseins verdammt, eines Fernseins, das nichts ist als äußerstes Nichtsein und das Wesen des niedersten Feuers. Das wird sein Schicksal sein, möge er auch dem äußeren Anschein nach der Erde höchste Sitze innehaben und ihren erhabensten Thron einnehmen.

Er, der Morgen der Wahrheit, ist ohne Zweifel vollkommen fähig, schwankende Seelen aus solchem Fernsein zu erretten und sie dahin zu bringen, sich Seinem Hofe zu nähern und Seine Gegenwart zu erreichen. „Wenn es Gott gefallen hätte, würde Er sicher alle Menschen zu einem Volk gemacht haben.“ Seine Absicht ist jedoch, die im Geiste Reinen und die im Herzen Gelösten zu befähigen, sich vermöge ihrer eigenen angeborenen Kräfte zu den Küsten des größten Meeres zu erheben, damit dadurch jene, die die Schönheit [Seite 79] des Allherrlichen suchen, von den Widerspenstigen und Verdorbenen unterschieden und getrennt werden. So wurde es durch die allherrliche und glänzende Feder bestimmt... |

Daß die Manifestationen göttlicher Gerechtigkeit, die Tagesanbrüche himmlischer Gnade, immer, wenn sie unter den Menschen erschienen, aller irdischen Herrschaft bar und der Mittel weltlicher Überlegenheit beraubt waren, müssen wir dem gleichen Grundsatz der Trennung und Unterscheidung zuschreiben, der die göttliche Absicht beseelt. Würde das ewige Wesen alles, was in Ihm verborgen ist, offenbaren, würde Er in der Fülle Seiner Herrlichkeit glänzen, so würde sich niemand finden, der Seine Macht bezweifelte oder Seine Wahrheit verwürfe. Nein, alles Erschaffene würde vielmehr so geblendet und wie vom Blitz getroffen sein durch die Beweise Seines Lichtes, daß es zu äußerstem Nichts herabsänke. Wie könnten unter solchen Umständen dann die Gottlosen von den Eigensinnigen unterschieden werden?

Dieser Grundsatz hat in jeder der vergangenen Ausgießungen gewirkt und ist hinreichend bewiesen worden... Das ist der Grund, weshalb in jedem Zeitalter, wenn eine neue Manifestation erschien und den Menschen eine frische Offenbarung von Gottes höchster Macht geschenkt wurde, die, welche nicht an Ihn glaubten, enttäuscht durch das Erscheinen der unvergleichlichen und ewigen Schönheit im Gewande des sterblichen Menschen, versäumt haben, Ihn zu erkennen. Sie sind von Seinem Pfade abgeirrt und haben Seine Gesellschaft gemieden - die Gesellschaft Dessen, der das Sinnbild der Nähe Gottes ist. Sie haben sich sogar erhoben, um die Reihen der Getreuen zu verringern und diejenigen auszurotten, die an Ihn glaubten.

Siehe, wie in dieser Ausgießung die Nichtswürdigen und Törichten sich albern eingebildet haben, sie könnten durch solche Mittel wie Metzeleien, Raub und Verbannung, die Lampe, die die Hand göttlicher Macht entzündet hat, verlöschen, oder die Sonne ewigen Glanzes verdunkeln. Wie vollkommen falsch unterrichtet scheinen sie gegenüber der Wahrheit zu sein, daß solche Trübsal das Öl ist, welches die Flamme dieser Lampe nährt! So ist Gottes umgestaltende Kraft. Er ändert, was immer Er will. Er, wahrlich, hat Macht über alle Dinge...

Betrachte die zu allen Zeiten durch den wahren König geübte Herrschaft und schaue die Zeugnisse Seiner Macht und Seines unumschränkten Einflusses. Heiligt eure Ohren vor dem eitlen Geschwätze derer, die die Sinnbilder der Verneinung und die Vertreter der Gewalt und Wut sind. Die Stunde nähert sich, da ihr Zeugen der Macht des einen, wahren Gottes sein werdet, die über alles Erschaffene siegt, und der Zeichen Seiner Herrschaft, die alle Schöpfung umschließt. An dem Tag werdet ihr entdecken, wie alles andere außer Ihm vergessen und als äußerstes Nichts angesehen werden wird.

Wir sollten jedoch bedenken, daß Gott und Seine Manifestationen unter keinen Umständen von der Hoheit und Erhabenheit, die sie von Natur aus besitzen, getrennt werden können. Nein, Hoheit und Erhabenheit sind vielmehr selber die Schöpfungen Seines Wortes, - wenn ihr beliebt, mit Meinem Auge zu sehen und nicht mit dem euren.

XXX. Gott bezeugt, daß kein Gott ist außer Ihm, dem Gnädigen, dem [Seite 80] Meistgeliebten. Alle Gnade und Güte sind Sein. Wem immer Er will, gibt Er, was immer Er wünscht. Er, wahrlich, ist der Allmachtvolle, der Allmächtige, der Helfer in Gefahr, der Selbstbestehende. Wir, wahrlich, glauben an Ihn, der in der Person des Báb durch den Willen des einen, wahren Gottes, des Königs der Könige, des Allgepriesenen, herabgesandt wurde. Wir schwören ebenfalls dem einen Treue, der in der Zeit von Mustagháth bestimmt ist, geoffenbart zu werden, wie jenen, die nach Ihm kommen werden, bis zum Ende, das kein Ende hat. Wir erkennen in der Offenbarung eines jeden von ihnen, sei es äußerlich oder innerlich, die Offenbarung von keinem anderen als Gott selber — so ihr zu denen gehört, die begreifen. Jeder von ihnen ist ein Spiegel Gottes, der nichts anderes zurückstrahlt als Sein Selbst, Seine Schönheit, Seine Macht und Herrlichkeit — so ihr erkennet. Alle andern außer ihnen müssen als Spiegel angesehen werden, die fähig sind, die Herrlichkeit dieser Manifestationen zurückzustrahlen, welche selber die Urspiegel des göttlichen Seins sind — so ihr nicht des Verständnisses ermangelt. Niemand ist ihnen jemals entronnen noch können sie daran gehindert werden, ihre Absicht auszuführen. Diese Spiegel werden ewig einander folgen und werden fortfahren, das Licht des Urewigen Tages zurückzustrahlen. Diejenigen, die ihr Herrlichkeit widergeben, werden gleichfalls immer weiter fortbestehen, denn der göttliche Gnadenstrom kann nie versiegen. Das ist eine Wahrheit, die niemand widerlegen kann.

XXXI Betrachte mit deinem inneren Auge die Kette der aufeinanderfolgenden Offenbarungen, die die Manifestation Adams mit der des Báb verbindet. Ich bezeuge vor Gott, daß jede dieser Manifestationen durch das Wirken des göttlichen Willens und Planes herabgesandt wurde, daß jede die Trägerin einer besonderen Botschaft war, daß jede mit einem göttlich geoffenbarten Buch betraut und beauftragt wurde, die Geheimnisse einer machtvollen Tafel zu enthüllen. Das Maß der Offenbarung, der jeder von ihnen gleichgesetzt wurde, ist genau vorherbestimmt gewesen. Das, wahrlich, ist ein Zeichen Unserer Gunst für sie — so ihr zu denen gehört, die diese Wahrheit begreifen. ...Und als dieser Vorgang der aufeinanderfolgenden Offenbarung auf der Stufe gipfelte, auf der Sein unvergleichliches, Sein heiligstes und erhabenes Angesicht den Augen der Menschen enthüllt werden sollte, beliebte Er, Sein Selbst hinter tausend Schleiern zu verbergen, damit nicht ungeweihte und sterbliche Augen Seine Herrlichkeit entdecken. Er tat es zu einer Zeit, da die Zeichen und Merkmale einer göttlichverordneten Offenbarung über Ihn ausgeschüttet wurden — Zeichen und Merkmale, die niemand zählen kann außer dem Herrn, deinem Gott, dem Herrn aller Welten. Und da die festgesetzte Zeit der Verborgenheit erfüllt ward, sandten Wir, noch in eine Myriade von Schleiern gehüllt, einen unendlich kleinen Schimmer der strahlenden Herrlichkeit aus, die das Antlitz des Jünglings umhüllt, und siehe, die gesamte Menge der Bewohner der Reiche der Höhe wurde von gewaltiger Bewegung ergriffen und die Lieblinge Gottes fielen in Anbetung vor Ihm nieder. Er hat, wahrlich, eine Herrlichkeit dargetan, wie keiner in der ganzen Schöpfung sie bekundet hat, da Er sich erhob, um in eigener Gestalt Seine Sache allen, die in den Himmeln und auf Erden sind, zu künden. [Seite 81]

XXXII. Das, was du über Abraham, den Freund des Allbarmberzigen, gehört hast, ist die Wahrheit, und es besteht kein Zweifel darüber. Die Stimme Gottes befahl Ihm, Ismael als Opfer darzubringen, damit Seine Standhaftigkeit im Glauben Gottes und Seine Loslösung von allem andern außer Ihm den Menschen bewiesen würde. Gottes Absicht war außerdem, ihn als Erlösung für die Sünden und Missetaten aller Menschen auf Erden zu opfern. Jesus, der Sohn Marias, flehte den einen, wahren Gott an — erhöht seien Sein Name und Seine Herrlichkeit —, Ihm die gleiche Ehrung zuteil werden zu lassen. Aus demselben Grund wurde Husayn von Muhammad, dem Apostel Gottes, als Opfer dargebracht.

Kein Mensch kann jemals für sich beanspruchen, die Natur der verborgenen und mannigfachen Gnade Gottes begriffen zu haben. Niemand kann Sein allumfassendes Erbarmen ergründen. So tief sind die Verderbtheit der Menschen und ihre Übertretungen, so schmerzlich die Prüfungen gewesen, von welchen die Propheten Gottes und ihre Erwählten heimgesucht wurden, daß die Menschheit verdiente, gepeinigt zu werden und unterzugehen. Gottes verborgene und liebende Vorsehung jedoch hat sie durch sichtbare sowohl wie durch unsichtbare Vermittlung beschirmt und wird sie weiter vor Strafen für ihre Verruchtheit behüten. Denke in deinem Herzen darüber nach, damit dir die Wahrheit offenbar werde, und sei standhaft auf Seinem Pfad.

XXXIII. Es ist von Uns verordnet worden, daß das Wort Gottes und alle Möglichkeiten, die es birgt, den Menschen in genauer Übereinstimmung mit solchen Bedingungen verkündet werden, wie sie von Ihm, dem Allwissenden, dem Allweisen, vorherbestimmt wurden. Wir haben ferner verordnet, daß sein Schleier der Verborgenheit kein anderer, denn der seines eigenen Selbstes sei. Das ist in der Tat Unsere Macht, mit der Wir Unsere Absicht ausführen. Würde dem Worte gestattet sein, plötzlich alle in ihm verborgenen Kräfte zu entfesseln, so würde kein Mensch die Wucht einer so gewaltigen Offenbarung ertragen können. Nein, alles, was im Himmel und auf Erden ist, würde bestürzt vor ihm fliehen.

Denke an das, was auf Muhammad, den Apostel Gottes, herabgesandt wurde. Das Maß der Offenbarung, deren Träger Er war, war deutlich von Ihm, dem Allmächtigen, dem Allmachtvollen, vorherbestimmt. Diejenigen, die Ihn hörten, konnten jedoch Seine Absicht nur der Größe ihrer Stufe und ihres geistigen Aufnahmevermögens entsprechend erfassen. So enthüllte Er das Angesicht der Weisheit im Verhältnis zu ihrer Fähigkeit, die Last Seiner Botschaft zu tragen. Kaum hatte die Menschheit den Zustand der Reife erlangt, als das Wort den Augen der Menschen die verborgenen Kräfte offenbarte, mit denen es ausgestattet worden war — Kräfte, die sich in der Fülle ihrer Herrlichkeit dartaten, als die Urewige Schönheit im Jahre sechzig in der Gestalt von ‘Ali-Muhammad, dem Bab, erschien.

XXXIV. Allgepriesen und verherrlicht sei Gott, der durch die Kraft Seiner Macht Seine Schöpfung von der Blöße des Nichtseins erlöste und sie mit dem Mantel des Lebens umhüllte. Unter allen erschaffenen Dingen hat Er aus Seiner besonderen Gunst die reine, die edelsteingleiche Wirklichkeit des Menschen ausersehen und sie mit der einzigartigen Fähigkeit, Ihn zu [Seite 82] erkennen und die Größe Seiner Herrlichkeit widerzustrahlen, bekleidet. Diese zweifache Auszeichnung, die ihm zuteil wurde, hat aus seinem Herzen den Rost jeder eitlen Begierde entfernt und ihn des Gewandes würdig gemacht, mit dem ihn zu kleiden Sein Schöpfer geruhte. Es diente dazu, seine Seele aus dem Elend der Unwissenheit zu lösen.

Dieses Kleid, mit dem der Körper und die Seele des Menschen geziert wurden, ist die wahre Grundlage seines Wohlseins und seiner Entwicklung. Oh, wie gesegnet ist der Tag, an dem der Mensch, unterstützt durch die Gnade und Macht des einen, wahren Gottes, sich von der Knechtschaft und Verderbtheit der Welt und allem, was in ihr ist, befreit und wirklichen und dauernden Frieden unter dem Schatten des Baumes der Erkenntnis gefunden haben wird!

Die Lieder, die dein Herz in seiner großen Liebe für seine Freunde gesungen hatte, haben deren Ohren erreicht und Mich bewegt, auf deine Fragen zu antworten und dir solche Geheimnisse zu enthüllen, wie sie Mir zu offenbaren erlaubt sind. In deinem geschätzten Brief hattest du gefragt, welcher der Propheten Gottes als den anderen überlegen anzusehen sei. Wisse wahrlich, daß das Wesen aller Propheten Gottes eines und das gleiche ist. Ihre Einheit ist vollkommen. Gott, der Schöpfer, spricht: Es besteht keinerlei Unterschied zwischen den Trägern Meiner Botschaft. Sie alle haben nur eine Absicht, ihr Geheimnis ist das gleiche. Dem einen vor einem anderen größere Ehre zu erweisen, einige von ihnen über den Rest der übrigen zu erhöhen, ist in keiner Weise gestattet. Jeder wahre Prophet hat Seine Botschaft grundsätzlich als die gleiche angesehen wie die Offenbarung eines jeden anderen Ihm vorangegangenen Propheten. Wenn daher ein Mensch versäumen sollte, diese Wahrheit zu erkennen, und sich in eitler und unziemlicher Ausdrucksweise erginge, so würde keiner, dessen Blick klar und dessen Verstand erleuchtet ist, sich jemals durch ein so leeres Geschwätz in seinem Glauben beirren lassen.

Das Ausmaß der Offenbarung der Propheten Gottes in dieser Welt muß indessen voneinander abweichen. Jeder von ihnen ist der Träger einer andersgearteten Botschaft gewesen und beauftragt worden, sich durch besondere Handlungen zu offenbaren. Das ist der Grund dafür, daß sie in ihrer Größe verschieden zu sein scheinen. Man kann ihre Offenbarung mit dem Lichte des Mondes vergleichen, das seinen Glanz über die Erde gießt. Obwohl es zu jeder Zeit, in der es erscheint, ein neues Maß seiner Pracht offenbart, kann weder sein natürlicher Schimmer jemals vermindert werden noch sein Licht erlöschen.

Es ist daher klar und offenbar, daß jede scheinbare Abweichung in der Stärke ihres Lichtes nicht auf dem Lichte selber beruht, sondern vielmehr der wechselnden Empfänglichkeit einer sich immer verändernden Welt zugeschrieben werden muß. Jeder Prophet, den der allmächtige und unvergleichliche Schöpfer zu den Völkern der Erde zu senden geruhte, ist mit einer Botschaft betraut und beauftragt worden, in einer Weise zu handeln, wie sie am besten den Erfordernissen des Zeitalters, in dem Er schien, begegnete. Wenn Gott Seine Propheten zu den Menschen schickt, so ist Seine Absicht eine zweifache. Die erste ist, die Menschenkinder aus dem Dunkel der Unwissenheit zu befreien und sie zum Lichte wahren Verständnisses zu führen, die zweite, [Seite 83] den Frieden und die Ruhe der Menschheit zu sichern und alle Mittel zu liefern, durch welche diese begründet werden können.

(Fortsetzung folgt)



GÖTTLICHE LEBENSKUNST[Bearbeiten]

Aus dem Englischen übertragen
(Fortsetzung)

7. KAPITEL: HEILUNG UND GESUNDHEIT


Verschiedene Arten der Heilung.

Es gibt zweierlei Arten, Krankheiten zu heilen: durch stoffliche und durch geistige Mittel. Der erste Weg besteht in der Anwendung von Medikamenten und Heilmitteln, der zweite im Gebet und in der Hinwendung zu Gott. Es sollten beide Arten angewendet und geübt werden.

Erkrankungen, die durch physische Ursachen hervorgerufen wurden, sollten mit medizinischen Mitteln behandelt werden; solche, die auf geistige Ursachen zurückgehen, verschwinden durch geistige Mittel. Eine durch Kummer, Angst und nervöse Eindrücke verursachte Erkrankung wird daher eher durch seelische als durch körperliche Behandlung heilbar sein. Es sollten also beide Arten von Heilmittel Anwendung finden. Sie widersprechen sich im übrigen nicht, und du solltest die physischen Heilmittel anerkennen, denn sie stammen aus der Gnade und Barmherzigkeit Gottes, der die ärztliche Wissenschaft geoffenbart und kundgetan hat, damit Seine Diener in den Genuß auch dieser Art der Heilbehandlung kommen. Die gleiche Beachtung solltest du auch den geistigen Heilverfahren schenken, denn sie sind von wunderbarer Wirkung.

Wenn du nun das göttliche Heilmittel kennen willst, das den Menschen von jeder Krankheit heilen und ihm die Gesundheit des göttlichen Reiches verleihen wird, so wisse, daß dieses in der Befolgung der Vorschriften und Lehren Gottes besteht. Halte diese heilig! (1)

Sollten Krankheit oder Leiden dich befallen, so wende dich an tüchtige Ärzte... Vernachlässige nicht die ärztliche Behandlung, solange sie erforderlich ist, doch höre mit ihr auf, wenn die Gesundheit wiederhergestellt ist. Behandle Krankheiten vorwiegend durch Diät, sei zurückhaltend in der Anwendung von starkwirkenden Arzneien; und wenn du in einem einzigen Kraut das findest, was not tut, so greife nicht zu zusammengesetzten Medikamenten... Verzichte auf die Anwendung stark wirkender Arzneimittel, wenn die Gesundheit gut ist, doch wende sie dort an, wo es nötig ist. (2)

Wenn... die ärztliche Wissenschaft... ihre Vollreife erlangt haben wird, dann werden Heilverfahren durch Mittel ausgeführt werden, die dem menschlichen Geruchs- und Geschmackssinn nicht zuwider sind, d.h. durch Nahrungsmittel, Früchte und Gemüse von angenehmem Geschmack und Geruch...

Die Ursache einer Erkrankung des menschlichen Körpers ist entweder physischer Art oder die Folge einer nervösen Erregung. Jedoch sind die hauptsächlichen Krankheitsursachen [Seite 84] physischer Art, denn der menschliche Körper besteht aus zahlreichen Elementen, die sich miteinander in einem bestimmten Gleichgewicht befinden. Solange dieses Gleichgewicht besteht, bleibt der Mensch von Krankheit bewahrt; wenn jedoch dieser wesentliche Ausgleich, auf welchem eine Konstitution beruht, gestört wird, dann ist der Organismus aus der Ordnung geraten und Krankheit ist die Folge...

Solange es darauf ankommt, die Bestandteile des Körpers wieder zur richtigen Funktion zu bringen, kann dieses sowohl durch Arzneien, als auch durch richtige Nahrung erreicht werden.

Es ist daher klar, daß Heilung durch Nahrungsmittel und Früchte möglich ist, da jedoch die ärztliche Wissenschaft heute noch unvollkommen ist, hat man diese Tatsache noch nicht in ihrer vollen Tragweite erfaßt. Wird erst die ärztliche Wissenschaft ihre Vollkommenheit erreicht haben, so wird die Behandlung durch Nahrungsmittel, duftende Früchte und Gemüse, sowie durch verschiedene Wasser, heiße und kalte, erfolgen. (3)

Heilung kann auch erzielt werden durch die volle Konzentration des Geistes eines starken Menschen auf einen Kranken; wenn der Kranke in völligem Glauben erwartet, daß er von der geistigen Kraft des starken Menschen Heilung erlangt, so wird in dem Maße, als er darauf vertraut, eine belebende Verbindung zwischen dem Gesunden und dem Kranken hergestellt. Der Gesunde macht jede nur mögliche Anstrengung, um den Kranken zu heilen und der Kranke glaubt bestimmt, daß er dadurch geheilt wird. Durch die Wirkung dieses geistigen Einflusses wird eine Anregung der Nerven erzielt, und dieser Einfluß und die Nervenanregung werden zur Ursache der Wiederherstellung des Kranken. Wenn z.B. ein Kranker einen lebhaften Wunsch hegt und eine bestimmte Hoffnung auf etwas setzt, und er hört plötzlich, daß ihm dieser Wunsch erfüllt wird, so wird dadurch eine Anregung der Nerven verursacht, die bewirkt, daß die Krankheit gänzlich verschwindet. So kann auch bei einem gesunden Menschen eine Reizung der Nerven durch einen plötzlichen Schrecken verursacht werden, was dann eine sofortige Krankheit herbeiführen kann. Diese Krankheit wird aber durch keinen materiellen Anlaß verursacht, denn der Patient hat weder etwas Schädliches gegessen oder berührt, die Reizung der Nerven ist daher in einem solchen Fall die einzige Ursache der Krankheit. So mag auch die plötzliche Erfüllung eines lebhaften Wunsches eine solche Freude verursachen, daß dadurch die Nerven angeregt werden und Genesung erzielt wird.

Kurz gesagt, die vollständige und vollkommene Verbindung zwischen dem geistigen Heiler und dem Patienten verursacht eine Anregung der Nerven, wodurch die Gesundheit wiederhergestellt wird. Dies muß aber eine derartige Verbindung sein, daß sich der geistige Heiler gänzlich auf den Patienten konzentriert und der Kranke seine ganze Aufmerksamkeit dem geistigen Heiler zuwendet, von dem er seine Heilung erwartet. Dies alles hat aber nur eine Wirkung bis zu einem gewissen Grad und nicht einmal in allen Fällen; denn wenn jemand von einer sehr heftigen Krankheit befallen wird oder eine Verletzung erleidet, so wird diese Behandlung [Seite 85] weder die Krankheit beseitigen noch die Wunden schließen und heilen. Das heißt, diese Heilweise hat keine Macht bei ernsten Krankheiten, sofern nicht die Konstitution des Patienten mithilft, denn eine kräftige Konstitution überwindet oftmals die Krankheit. Dies ist die dritte Art der Heilung.

Aber die vierte Art der Heilung wird durch die Macht des Heiligen Geistes bewirkt. Dies ist unabhängig von Berührung, Blick, Anwesenheit oder irgendeiner Bedingung. Die Krankheit mag leichter oder ernster Natur sein, es kommt nicht darauf an, ob eine Berührung des Körpers oder eine persönliche Verbindung zwischen dem Kranken und dem Heiler besteht oder nicht. Diese Heilung geht allein durch die Macht des Heiligen Geistes vor sich. (4)

Freude verleiht uns Schwingen! In Zeiten der Freude ist unsre Kraft lebensvoller, unser Verstand schärfer .. doch wenn Trübsal uns heimsucht, dann verläßt uns unsre Kraft. (5)

Alle wahre Heilung kommt von Gott. Es gibt zweierlei Krankheitsursachen, die eine ist materieller, die andre geistiger Art. Handelt es sich um eine Erkrankung des Körpers, so ist eine materielle Arznei erforderlich, während bei einer seelischen Erkrankung geistige Heilmittel anzuwenden sind. Nur wenn der himmlische Segen auf uns ruht, während wir in Heilbehandlung stehen, können wir wieder geheilt werden, denn Arzneien sind lediglich das äußerliche und sichtbare Mittel, durch welches uns die himmlische Heilung zuteil wird. Wenn der Geist nicht geheilt wird, ist die Behandlung des Körpers nichts nütze. Es liegt alles in Gottes Hand, und ohne Ihn können wir nicht gesund sein. (6)


Heilung als Gebetserhörung.

Ohne Gottes Hilfe kommt der Mensch um wie ein Tier; doch hat Gott ihm so wunderbare Kraft verliehen, daß er stets zum Himmel aufblicken und neben anderen Gaben von Seiner göttlichen Güte auch Heilung erlangen kann. (7)

O du Reiner, Durchgeistigter! Wende dich Gott zu mit einem Herzen, das in Seiner Liebe schlägt, das Seinem Ruhm geweiht ist. Schaue auf Sein Königreich und suche die Hilfe Seines Heiligen Geistes in einem Zustand der Ekstase, der Verzückung, Liebe, Sehnsucht, Freudigkeit und des Wohlgeruchs. Gott wird dir durch einen Geist aus Seiner Nähe helfen, Krankheiten und Leiden zu heilen. (8)

Du fragtest, ob die Behandlung und Heilung nach den Lehren der Christlichen Wissenschaft gutzuheißen sei. Geist ist wirksam; Gebet hat geistige Wirkung. Daher beten wir: „O Gott, heile diesen Kranken!“ Vielleicht wird Gott antworten. Kommt es darauf an, wer betet? Gott wird das Gebet jedes Seiner Diener anhören, wenn das Gebet ernstlich ist. Seine Barmherzigkeit ist groß, grenzenlos... (9)

Unser Vertrauen muß auf Gott ruhen. Es gibt keinen Gott außer Ihm, dem Heiler, dem Wissenden, dem Helfer... Nichts auf Erden oder im Himmel ist außerhalb der Macht Gottes.

O Arzt! Beim Behandeln der Kranken nenne zuerst den Namen deines Gottes, des Herrn des Tages des Gerichts. Alsdann wende an, was Gott für die Heilung Seiner Geschöpfe bestimmt hat. Bei Meinem Leben! Der [Seite 86] Besuch des Arztes, der von dem Wein Meiner Liebe getrunken hat, ist die Heilung und sein Atem ist Barmherzigkeit und Hoffnung. Klammert euch an ihn zum Wohle eurer Gesundheit! Er ist bestätigt in seiner Behandlung durch Gott.

Dieses Wissen (d.h. die Heilkunst) ist die wichtigste aller Wissenschaften, denn sie ist die größte Gabe von Gott, dem Beleber des Staubes, für die Erhaltung der Körper aller Menschen, und Er hat sie in die erste Reihe aller Wissenschaften und aller Weisheit gestellt. Denn dies ist der Tag, an dem du dich zu Meinem Siege erheben mußt.

Sprich: O mein Gott! Dein Name ist meine Heilung. Deiner zu gedenken ist meine Arznei, Deine Nähe ist meine Hoffnung, Deine Liebe ist mein fröhlicher Begleiter und Deine Barmherzigkeit mein Heiler und Helfer in dieser und in der kommenden Welt. Wahrlich, Du bist der Geber, der Wissende, der Weise. (10)

Seid das Muster der Reinlichkeit unter den Menschen... richtet euch unter allen Umständen nach den edelsten Sitten... laßt keine Spur von Unreinlichkeit auf euren Kleidern sein... Badet in reinem Wasser. Wasser, das schon benutzt ist, darf nicht mehr verwendet werden... Wahrlich, unser Wunsch ist, euch als die Offenbarungen des Paradieses auf Erden zu sehen, damit das von euch ausströmen möge, wodurch die Herzen der Begünstigten erfreut werden. (11)

Reinlichkeit und Untadeligkeit in allen Lebenslagen sind Kennzeichen reiner Wesen und eine Lebensnotwendigkeit für freie Seelen... In allen Lebenslagen heben Sauberkeit und Heiligkeit, Lauterkeit und Zartgefühl die Menschen über sich selbst hinaus und fördern den Fortschritt derer, die mit ihnen zusammenkommen. Selbst in der Anwendung auf physische Dinge führt Zartgefühl zur Durchgeistigung, wie dies in den Heiligen Schriften gelehrt wird.

Äußerliche Sauberkeit hat, obwohl sie nur etwas Physisches ist, einen großen Einfluß auf die Vergeistigung. Obwohl z.B. der Schall nur aus Luftschwingungen besteht, die das Trommelfell erreichen, und diese Luftschwingungen nur eine der zahlreichen Erscheinungen sind, die von der Luft abhängen, so vergegenwärtigt euch doch, wie sehr schöne Musik oder ein wohlklingendes Lied die Gemüter zu beeinflussen vermögen. Ein schöner Gesang verleiht dem Geiste Flügel und füllt das Herz mit Wonne. Um zur Sache zurückzukehren, das Bewußtsein, einen reinen und fleckenlos sauberen Körper zu haben, übt gleichfalls einen Einfluß auf den menschlichen Geist aus...

O Freunde Gottes! Erfahrung hat gelehrt, wie sehr der Verzicht auf Tabak, Wein und Opium Gesundheit, Kraft und geistige Freuden schafft, die Urteilsfähigkeit schärft und körperliche Spannkraft verleiht...

Strebt daher nach äußerster Sauberkeit und Heiligkeit. Es ist der Wunsch ’Abdu’l-Bahá’s, daß diese Eigenschaften unter den Bahá’i erstrahlen mögen und daß die Gefährten Gottes die übrige Menschheit in allen Lebenslagen an Vollkommenheit überragen mögen, daß sie körperlich und sittlich den andern überlegen, durch Sauberkeit und Lauterkeit, feine Sitten und Gesundheit zu führenden Persönlichkeiten unter den weisen Menschen und durch ihre Gelassenheit, Klugheit und Selbstbeherrschung [Seite 87] zu Fürsten der Reinen, der Freien und Weisen werden. (12)

Der Alkoholgenuß ist die Ursache chronischer Leiden, er schwächt die Nerven und verzehrt das Gemüt. (13)

Die Kräfte des Sympathicusnerven sind weder rein körperlicher noch rein geistiger Art, sie stehen zwischen beiden. Der Nerv ist mit beiden verbunden. Seine Funktionen werden vollkommen sein, wenn seine geistigen und körperlichen Beziehungen normal sind.

Wenn die materielle und die geistige Welt wohl ausgewogen sind, wenn die Herzen himmlisch werden und die Bestrebungen rein und göttlich, wird vollkommene Verbundenheit eintreten. Dann wird diese Kraft eine vollendete Manifestation erzeugen. Körperliche und seelische Leiden werden dann absolute Heilung erfahren. (14)

Ich hoffe, daß du ein aufsteigendes Licht werden mögest und daß dir seelische Gesundheit zuteil werden möge. Seelische Gesundheit führt zu körperlicher Gesundheit. (15)

Wahrlich, das Notwendigste ist Zufriedenheit in allen Lebenslagen; durch sie bewahrt sich der Mensch vor krankhaften Zuständen und vor Abspannung. Gib nicht dem Kummer und der Sorge Raum, denn sie verursachen das größte Elend. Eifersucht verzehrt den Körper, und Zorn verbrennt die Leber. Meide diese beiden, wie du einen Löwen meidest.


Geistige Gesundheit

So, wie du körperliche Gesundheit erhalten hast, hoffe ich, daß dir seelische Gesundheit zuteil werden möge. Wie der Körper von physischem Leid geheilt wird, so wird auch gleicherart die Seele von allen seelischen Leiden geheilt werden. Die Behandlung physischer Leiden ist sehr leicht, doch die Behandlung seelischer Leiden ist sehr schwierig. Wenn jemand Fieber hat und du ihm Medizin gibst, so wird das Fieber verschwinden; wenn jedoch der Geist mit dem Übel der Unwissenheit behaftet ist, so ist es schwierig, dieses Übels Herr zu werden. Wenn z. B. die seelische Gesundheit an der Liebe zum Weltlichen krankt, dann müssen geistige Arzneien verabreicht werden. Diese Arzneien sind die Weisungen und Gebote Gottes, und sie werden sich dagegen wirksam erweisen. (17)

Ich flehe Gott an, dir in dieser Welt Wohlstand zu verleihen, dir in Seinem erhabenen Königreich Gnade zu erweisen und dich von der Krankheit zu heilen, die dich aus einem verborgenen Grunde, den niemand kennt, außer Gott, befallen hat. Wahrlich, der Wille Gottes greift manchmal in Dinge ein, deren Ursachen zu begreifen, die Menschheit unfähig ist. Doch werden diese Ursachen und Gründe offenbar werden. Verlasse dich auf Gott und vertraue auf Ihn und ergib dich in Gottes Willen. Er wird dich mit den Blicken der Barmherzigkeit anschauen, Er wird dich mit dem Auge der Güte bewachen und wird Seine Gnade auf dich herabsenden. (18)

Denn diese deine hauptsächlichsten Leiden sind nicht die Folge von Sünden, sondern sie sollen dich dazu bringen, diese Welt zu verabscheuen und zu erkennen, daß es in diesem vergänglichen Leben weder Rast noch Gemütsruhe gibt. Ich bete zu Gott, daß du ein freudiges Leben finden mögest, daß es die Sehnsucht der Dienerinnen des Barmherzigen steigern [Seite 88] und den Mägden Gottes Freude und Glück bringen möge, so daß du die Wohlgerüche verbreiten und die geoffenbarten Verse singen mögest. (19)

Wenn Gesundheit und körperliches Wohlbefinden auf dem Pfade des Königreiches geopfert werden, so ist dies durchaus annehmbar und lobenswert, und wenn sie zum allgemeinen Besten der Menschheit angewendet werden, selbst wenn es zu deren materiellem Vorteil und eine Art der Wohltätigkeit wäre, so ist auch dies willkommen. Wenn jedoch menschliche Gesundheit und Wohlstand zur Befriedigung sinnlicher Begierden in einem tierischen Leben vergeudet werden... dann ist Krankheit besser, als solche Gesundheit, ja, selbst der Tod ist einem solchen Leben vorzuziehen. Wenn du Gesundheit erstrebst, so wünsche dir Gesundheit zum Dienste am Königreich. Ich hoffe, daß du vollkommene Einsicht, unbeugsame Entschlossenheit, völlige Gesundheit, sowie geistige und physische Kraft erlangen mögest, damit du aus dem Brunnen des ewigen Lebens trinkest und dir der Geist der göttlichen Bestätigung helfe. (20)

(Fortsetzung folgt)



DER VERHEISSENE TAG IST GEKOMMEN[Bearbeiten]

Von Shoghi Effendi

(Fortsetzung)


Da die Verheißung des Glaubens Bahá’u’lláh’s in allen Schriften vergangener Religionen eingeschlossen ist, wendet sich sein Begründer selbst an ihre Anhänger und besonders an ihre verantwortlichen Führer, die zwischen ihn und ihre betreffenden Gemeinden traten. „Zu einer Zeit“, schreibt Bahá’u’lláh, „wenden Wir Uns an das Volk der Torah und laden es vor Ihn, den Offenbarer von Versen, Der gekommen ist von Ihm, Der die Nacken der Menschen beugt... Zu anderer Zeit wenden Wir Uns an das Volk des Evangeliums und sprechen: ‚Der Allherrliche ist gekommen in diesem Namen, durch den der Windhauch Gottes über alle Lande geweht hat‘... Und zu noch anderer Zeit wenden Wir Uns an das Volk des Koran und sprechen: ‚Fürchtet den Allbarmherzigen und verspottet nicht Ihn, durch Den alle Religionen gegründet wurden‘... Wisse du des weiteren, daß Wir an die Magier (Zoroastrier) Sendschreiben gerichtet und sie mit Unserem Gesetze geschmückt haben... Wir haben darin das Wesen aller in ihren Büchern enthaltenen Winke und Anspielungen geoffenbart. Wahrlich, der Herr ist der Allmächtige, der Allwissende.“

An das jüdische Volk sich wendend, hat Bahá’u’lláh geschrieben: „Das größte Gesetz ist gekommen und die urewige Schönheit herrscht auf dem Throne Davids. Also hat Meine Feder gesprochen, was die Geschichten vergangener Zeitalter berichtet haben. Zu dieser Zeit jedoch ruft David laut aus und spricht: „O mein liebreicher Herr! Zähle Du mich zu denen, die standhaft geblieben sind in Deiner Sache, o Du, durch den die Antlitze erleuchtet und die Füße ausgeglitten sind!“ Und wiederum: „Der Odem ist ausgeatmet worden und der Windhauch hat geweht und von Zion ist erschienen, was verborgen war, und von Jerusalem ist die Stimme Gottes gehört worden, des Einen, des Unvergleichlichen, des Allwissenden.“ [Seite 89]

Und des weiteren noch hat Bahá’u’lláh in Seinem „Brief an den Sohn des Wolfes“ geoffenbart: „Leihe dein Ohr dem Sange Davids. Er sagt: ‚Wer will mich in die feste Stadt bringen?‘ Die feste Stadt ist Akka, welches das größte Gefängnis genannt worden ist, und welches eine Festung und mächtige Wälle besitzt. O Scheich! Lies genau, was Jesaias in seinem Buche gesprochen hat. Er sagt: ‚Steige auf den hohen Berg, o Zion, die du frohe Botschaften bringest. Erhebe deine Stimme mit Macht, o Jerusalem, die du frohe Botschaften bringest. Erhebe sie und fürchte dich nicht. Sprich unter den Städten Judas: Schauet auf euren Gott! Sehet, der Herr Gott wird kommen mit starker Hand und Sein Arm soll für Ihn herrschen.‘ Heute sind alle Zeichen erschienen. Eine große Stadt ist vom Himmel herabgestiegen und Zion bebt und jubelt vor Freude über die Offenbarung Gottes, denn sie hat die Stimme Gottes vernommen von allen Seiten.“

Der Priesterkaste, welche die priesterliche Macht über die Anhänger des Glaubens Zoroaster’s besitzt, hat dieselbe Stimme, die sich in die Stimme des verheißenen Schah Bahrám verwandelt, erklärt: „O Hohepriester! Ohren sind euch gegeben worden, dem Geheimnis Dessen, Welcher der Selbstbestehende ist, zu lauschen, und Augen, Ihn zu erschauen. Wovor fliehet ihr? Der unvergleichliche Freund ist offenbar. Er spricht solches, worin Erlösung ruht. Würdet ihr, o Hohepriester, den Wohlgeruch des Rosengartens des Verstehens entdecken, so würdet ihr keinen suchen außer Ihm und würdet in Seinem neuen Kleide den Allweisen und Unvergleichlichen entdecken und würdet eure Augen von der Welt abwenden und von allen, die sie suchen, und würdet euch erheben, Ihm zu helfen.“ „Was immer in den Büchern verkündet worden ist“, hat Bahá’u’lláh als Antwort an einen Zoroastrier, der über den verheißenen Schah Bahrám gefragt hatte, geschrieben, „ist enthüllt und erklärt worden. Aus jeder Richtung sind die Zeichen geoffenbart worden. Der Allmächtige ruft am heutigen Tage und kündet das Erscheinen des erhabensten Himmels an.“ „Dies ist nicht der Tag“, erklärt Er in einem anderen Schreiben, „wo die Hohepriester noch befehlen und ihre Amtsgewalt ausüben können. In eurem Buche ist es dargelegt, daß die Hohepriester an diesem Tage die Menschen irreführen und daran hindern werden, Ihm zu nahen. Wahrlich, der ist ein Hohepriester, der das Licht geschaut hat und auf den Weg geeilt ist, der zu dem Geliebten führt.“ „Sprich, o Hohepriester“, redet Er sie wiederum an, „die Hand der Allmacht ist ausgestreckt und ragt hinter den Wolken hervor. Betrachtet sie mit neuen Augen. Die Zeichen Seiner Erhabenheit und Größe sind enthüllt. Blicket auf sie mit reinen Augen... Sprich: O Hohepriester! Ihr genießet Verehrung durch Meinen Namen, und doch fliehet ihr Mich. Ihr seid die Hohepriester des Tempels. Wäret ihr die Hohepriester des Allmächtigen gewesen, so wäret ihr mit Ihm vereint worden und würdet ihr Ihn erkannt haben... Sprich: O Hohepriester! Keines Menschen Taten werden angenommen werden an diesem Tage, es sei denn, er entsage der Menschheit und allem, was Menschen besitzen, und wende sein Antlitz dem Allmächtigen zu.“

Es ist jedoch keiner dieser beiden Glauben, der uns in erster Linie beträfe. Es ist der Islam und in geringerem [Seite 90] Grade das Christentum, auf die sich mein Stoff geradewegs bezieht. Der Islam, aus dem der Glaube Bahá’u’lláh’s so entsprungen ist, wie das Christentum aus dem Judentum entsprang, ist die Religion, in deren Bereich dieser Glaube zuerst sich erhob und entwickelte, aus deren Reihen die große Masse der Bahá’i-Anhänger sich bildete und von deren Führer sie verfolgt worden sind und auch jetzt noch verfolgt werden. Das Christentum andererseits ist die Religion, der die weite Mehrheit der Bahá’i nichtmohammedanischer Abkunft angehört, in deren geistigem Bereich die Verwaltungsordnung des Gottesglaubens schnell voranschreitet und durch dessen geistliche Vertreter diese Ordnung in wachsendem Maße angegriffen wird. Anders als der Hinduismus, der Buddhismus, das Judentum und sogar das Zoroastriertum, die in der Hauptsache die Möglichkeiten der Gottessache noch nicht erkannt haben und deren Antwort auf ihre Botschaft noch nicht beachtet zu werden braucht, können der mohammedanische und der christliche Glaube als die beiden religiösen Systeme betrachtet werden, die in diesem formbildenden Entwicklungszustand des Bahá’i-Glaubens die volle Wucht einer so erschütternden Offenbarung auszuhalten haben.

So wollen wir denn betrachten, wie die Begründer des Bahá’i-Glaubens die anerkannten Führer des Islam und des Christentums angerufen haben, oder, was sie darüber geschrieben haben. Wir haben schon die Stellen bezüglich der Könige des Islam betrachtet, seien es die in Konstantinopel regierenden Kalifen oder die Schahs Persiens, die ihr Reich als zeitliche Bevollmächtigte des erwarteten Imám beherrschten. Wir haben auch das Sendschreiben vermerkt, das Bahá’u’lláh im besonderen für den römischen Papst offenbarte, und die allgemeinere Botschaft in der an die Könige des Christentums gerichteten Suriy-i-Muluk. Nicht weniger herausfordernd und verhängnisvoll ist die Stimme, welche die mohammedanischen Geistlichen und den christlichen Klerus gewarnt und zur Rechenschaft gerufen hat.

„Religiöse Führer“, so lautet Bahá’u’lláh’s klarer und allgemeiner, im Kitáb-i-Iqán ausgesprochener Tadel, „haben in jedem Zeitalter ihr Volk daran gehindert, die Ufer des ewigen Heils zu erreichen, da sie ja die Zügel der Amtsgewalt in ihrem mächtigen Griff hielten. Einige sind aus Lust am Führertum, andere aus Mangel an Erkenntnis und Einsicht die Ursache dieser Beraubung der Menschen gewesen. Durch ihre Genehmigung und Vollmacht hat jeder Prophet Gottes den Opferkelch getrunken und Seinen Flug in die Höhen der Herrlichkeit genommen. Welche unaussprechlichen Grausamkeiten haben sie, die Sitze der Amtsgewalt und Gelehrsamkeit, den wahren Monarchen der Welt, jenen Edelsteinen göttlicher Tugend zugefügt! Zufrieden mit einer vergänglichen Herrschaft, haben sie sich einer ewigen Herrschaft beraubt.“ Und wiederum im gleichen Buche: „Unter diesen ‚Schleiern der Herrlichkeit‘ sind die in den Tagen der Manifestation Gottes lebenden Geistlichen und Gelehrten gemeint, welche aus Mangel an Einsicht und aus Liebe und Gier nach Führerschaft sich der Sache Gottes zu unterwerfen versäumt haben, ja, sich sogar geweigert haben, ihr Ohr der göttlichen Melodie zuzuneigen. ‚Sie [Seite 91] haben die Finger in die Ohren gesteckt.‘ Und auch das Volk, das Gott völlig übersah und sie als ihre Meister nahm, hat sich rückhaltlos unter den Einfluß dieser hochtrabenden, heuchlerischen Führer gestellt, denn es hat ja kein Gesicht, kein Gehör, kein Herz zu eigen, um Wahrheit von Falschheit zu unterscheiden. Ungeachtet der von Gott eingegebenen Ermahnungen aller Propheten, Heiligen und Auserwählten Gottes, die dem Volke einschärften, mit eigenen Augen zu sehen und mit eigenen Ohren zu hören, hat es ihren Rat geringschätzig verworfen und ist es den Führern ihres Glaubens blind gefolgt und wird es ihnen weiterhin folgen. Sollte ein armer, unbekannter Mensch, bar des Glanzes der Gelehrsamkeit, sie anreden und sagen: ‚Folget, o Menschen, den Gottgesandten‘, dann würden sie, höchlich erstaunt über solchen Spruch erwidern: ‚Was? Meinst du, alle diese Geistlichen, alle diese Vertreter der Gelehrsamkeit mit all ihrer Vollmacht, ihrem Pomp und Prunk hätten geirrt und Wahrheit von Falschheit nicht unterscheiden können? Behauptest du und Menschen deinesgleichen, erfaßt zu haben, was sie nicht verstanden hätten?“ Wenn Zahlen und vortreffliche Kleidung als Merkmal von Gelehrsamkeit und Wahrheit betrachtet werden dürfen, dann müßten Menschen einer vergangenen Zeit, welche von denen von heute niemals an Zahl, Pracht und Macht übertroffen worden sind, sicherlich als überlegene und wertvollere Menschen angesehen werden.“ Des weiteren: „Nicht ein Prophet Gottes ist ans Lieht getreten, der nicht dem erbarmungslosen Haß, der Anklage, Verleugnung und Verfluchung der Geistlichen seiner Tage zum Opfer gefallen wäre! Weh denen, die solche Missetaten einstens vollbracht haben! Weh ihnen über das, was sie jetzt tun! Welche Schleier der Herrlichkeit sind abscheulicher als diese Verkörperungen des Irrtums! Bei der Gerechtigkeit Gottes! Solche Schleier zu durchbohren, ist die mächtigste aller Handlungen und, sie zu zerreißen, ist die verdienstvollste aller Tan!“ „Auf ihrer Zunge“, hat Er des weiteren geschrieben, „ist die Erwähnung Gottes ein leerer Name, in ihrer Mitte Sein heiliges Wort ein toter Buchstabe. Derart ist das Übergewicht ihrer Begierden, daß die Lampe des Gewissens und der Vernunft in ihren Herzen ausgelöscht ist... Keine zwei lassen sich finden, die über ein und dasselbe Gesetz einig sind, denn sie suchen keinen Gott als nur ihr eigenes Begehren und wandeln auf keinem Pfade als auf dem Pfade des Irrtums. Im Führertum haben sie das letzte Ziel ihres Strebens erkannt, und Stolz und Hochmut halten sie für die höchste Erfüllung ihrer Herzenssehnsucht. Sie haben ihre schmutzigen Machenschaften über Gottes Ratsschluß gestellt, haben der Ergebung in Gottes Willen abgeschworen, haben sich nur mit selbstsüchtigen Berechnungen beschäftigt und sind den Weg des Heuchlers gewandelt. Mit aller Kraft und Macht sind sie bestrebt, in ihrem kleinlichen Trachten sich in Sicherheit zu wiegen, ängstlich darauf bedacht, daß nicht das Geringste an schlechtem Ruf ihr Ansehen untergrabe oder die Entfaltung ihrer Pracht beeinträchtige.“

„Quell und Ursprung von Tyrannei“, hat Bahá’u’lláh in einem anderen Sendschreiben bekräftigt, „sind die Geistlichen gewesen. Durch das [Seite 92] von diesen hochmütigen und eigensinnigen Seelen ausgesprochene Urteil haben die Herrscher der Erde getan, was ihr gehört habt... Die Zügel der achtlosen Massen sind in den Händen der Vertreter eitler Hirngespinste und hohler Einbildungen gewesen und sind es noch. Sie beschließen, was ihnen gefällt. Wahrlich, Gott ist rein von ihnen und Wir sind ebenfalls rein von ihnen, denn Wir haben bezeugt, was die Feder des Höchsten gesprochen hat in dieser herrlichen Stufe.“

„Die Führer der Menschen“, hat Er gleicherweise bekundet, „haben seit undenklicher Zeit das Volk daran gehindert, sich dem größten Ozean zuzuwenden. Der Freund Gottes (Abraham) wurde ins Feuer geworfen durch den Urteilsspruch der Geistlichen seiner Zeit, und Lügen und Verleumdungen wurden auf Ihn gehäuft, der mit Gott redete (Moses). Denke über den Einen nach, welcher der Geist Gottes war (Jesus). Obwohl Er nur Mitleid und Nachsicht zeigte, erhoben sie sich doch gegen dieses Wesen des Daseins und gegen diesen Herrn des Sichtbaren und des Unsichtbaren in solcher Art, daß Er keine Zuflucht und Rast finden konnte. Jeden Tag wanderte Er an einen neuen Platz und suchte Er einen neuen Schutz. Betrachtet das Siegel des Propheten (Mohammed) — mögen die Seelen aller außer Ihm ein Opfer für Ihn sein! Wie schmerzlich waren die Dinge, die diesen Herrn des ganzen Daseins von seiten der Priester des Götzendienstes und der jüdischen Gelehrten befielen, nachdem Er die gesegneten Worte, welche die Einheit Gottes verkünden, ausgesprochen hatte! Bei Meinem Leben! Meine Feder stöhnt und alle erschaffenen Dinge schreien auf um dessen Willen, das ihn betroffen hat von seiten jener, die das Bündnis Gottes und Sein Testament gebrochen und Sein Zeugnis verleugnet und Seinen Zeichen widersprochen haben.“

„Die törichten Geistlichen“, so erklärt ein anderes Sendschreiben, „haben das Buch Gottes zur Seite gelegt und sich mit dem beschäftigt, was sie sich selbst ersonnen haben. Das Weltmeer der Erkenntnis ist geoffenbart und der Klang der Feder des Höchsten hat sich erhoben, und doch sind sie wie Regenwürmer mit dem Lehm ihrer Vorstellungen und Einbildungen behaftet. Sie sind erhöht durch ihre Beziehung zu dem einen wahren Gott, und doch haben sie sich von ihm abgewandt. Durch Ihn sind sie berühmt geworden, und doch sind sie wie durch einen Schleier von Ihm abgeschlossen.“

(Fortsetzung folgt)


Wenn ihr Mose glaubtet, so glaubtet ihr auch Mir;

denn Er hat von Mir geschrieben.

So ihr aber seinen Schriften nicht glaubet,

wie werdet ihr Meinen Worten glauben?


Christus*)


*) Ev. Johannes 5, 46-47.

[Seite 93]


GÜTE[Bearbeiten]

Gütig sein zu allen Zeiten,

uns zu Menschen macht;

gütig sein in Freud’ und Leiden,

Gottes Nähe schafft.


Güte ist der Born des Lebens,

ist die Urgewalt,

die, auf sanften Schwingen schwebend,

Welten gibt Gestalt.


Gütig sein: der wahre Adel!

Güte immerzu!

Gütig — selbst in strengem Strafen:

gleich’ dem Geiste du!


O.C.



AUS DER BAHA’I-WELT[Bearbeiten]

Deutschland:

Bahá’i-Sommerschule vom 18. bis 24. Juli und 12. bis 18. September 1948

Die alte und die neue Ordnung. Überblick

Die Manifestation ist der Erzieher der Menschheit seit Urbeginn. Wenn die Not am größten ist, wenn die Menschen an den Rand der Verzweiflung gekommen sind, war es immer die unaussprechliche Gnade, daß Gott wieder als der gütige Vater zu den Menschen sprach, und Den sandte, der auf die Notlage einging und die verlorene und verirrte Menschheit auf dem rechten Weg zurückzuführen berufen war. Wir haben festgehalten, daß nur der Offenbarer der vollkommene Erzieher der Menschheit sein kann. Wie es auch in der Geschichte nachweisbar ist, ist Menschenvermögen nicht ausreichend, um die gemäßen Mittel und Lösungen zur Wendung der Not zu finden. Nur die Manifestation, der göttlich inspirierte Arzt, nur er weiß die Krankheit richtig zu erkennen und die geeigneten Heilmittel zu verabreichen und anzuwenden. Die Bestimmung und das Maß können durch den menschlich begrenzten Verstand allein nicht gefunden werden.

Das Wesen aller Manifestationen ist ein und dasselbe. Im Sinne des Gedankens der geistigen Wiederkehr spricht und schöpft die Manifestation immer aus derselben Quelle und darum ist für uns Christen Bahá’u’lláh der wiedergekehrte Geist der Wahrheit und damit auch der wiedergekommene Christus.

Unser lieber Freund Remey sprach von drei Ebenen: der Ebene des Menschen, der Schöpfung, des Begrenzten, und der Ebene der Wirklichkeit Gottes, des Unbegrenzten. Zwischen diesen beiden Ebenen besteht keine Verbindung, „Hier ist der Weg dem Menschen verschlossen“, spricht Bahá’u’lláh in den „Sieben Tälern“. Darum kann der Mensch die unmittelbare Wirklichkeit Gottes nicht begreifen und nicht ertragen. Es bedarf eines Mittlers, und das ist die Ebene der Manifestation, des Logos, des Wortes Gottes. Sie gleicht einem Kanal, einem Sprachrohr der Gottheit. Nur die Manifestation kann uns den Willen und Plan Gottes, unserer Fassungskraft entsprechend, erhellen.

Wir haben eine Zusammenfassung des großen geschichtlichen Werkes unseres Hüters gehört, „Gott geht vorüber“. Hundert Jahre Bahá’i-Geschichte werden in diesem Buch von Shoghi Effendi dargestellt. Wir sahen die jugendliche Gestalt des Báb, von unvergleichlichem Heroismus erfüllt, und sahen Sein Wirken. Es erstand vor uns das lebendige Bild von Bahá’u’lláh, der Manifestation unseres Zeitalters, und von ‘Abdu’l-Bahá, das vollkommene Beispiel und der Ausleger seiner Lehren, mit wundersamen Vorgängen verknüpft, aber auch mit viel Leid und Gefahr, und schließlich von herrlichem Sieg gekrönt. In nahezu 90 Ländern [Seite 94] hat die Religion von Bahá’u’lláh schon Fuß gefaßt. Wir haben wirklich Anlaß genug, um mit großer Gewißheit und unbegrenztem Vertrauen in die Zukunft zu schauen. Wenn es auch noch so dunkel um uns herum aussieht, wir haben doch keinen Anlaß zu zweifeln.

In dem Vortrag „Neuer Mensch und Neue Ordnung“ haben wir uns klar zu machen versucht, daß die neue Ordnung auf dem neuen Menschen ruht, daß sie in erster Linie ein geistiges Problem ist, weshalb ihr eine innere Wandlung des Menschen vorangehen muß. Wir wollen darum die verlesenen Worte von ‘Abdu’l-Bahá wiederholen, die uns zeigen, wie der neue Mensch leben muß, damit der große Dom der Einheit, der die neue Ordnung überwölben soll, auch wirklich errichtet werden kann:

„Du bist vielleicht ein gleichgültiger Christ, ein lauer Moslem oder ein oberflächlicher Jude gewesen — nun bist du Bahá’i geworden: zeige es dadurch, daß du pflichtgetreuer in den Lebens- und Berufsaufgaben bist, uneigennütziger in Geldangelegenheiten, gelassener gegen Reichtum und Ehre, liebevoller gegen alle Menschen, gütiger zu allen Lebewesen, achtsamer auf alles Kleine und Geringe, freudiger im Gemüt, unermüdlicher im Dienst des Reiches Gottes und optimistischer für die Zukunft von allem Guten, Wahren und Schönen — so bist du ein richtiger Spiegel Gottes und ein verständiger Dragoman der Heiligen Lehre der ‚Gesegneten Vollkommenheit Gottes, Bahá’u’lláh.“ (Haifa, 1910.)

Wir sind uns also darüber klar geworden, daß die neue äußere Ordnung, die Weltordnung Bahá’u’lláh’s, eine neue Ordnung des inneren Menschen zur Voraussetzung hat. Dieser Weg zum neuen Menschen und zur neuen Ordnung hat Umbrüche zur Folge und mancherlei revolutionäre Vorgänge, wie sie ja auch geschehen, wenn z. B. die Knospe aufbricht, wenn ein Kind geboren wird oder der Schmetterling der Raupe entschlüpft.

Damit kommen wir auch zur Beantwortung der Frage: „Was ist ein Bahá’i?" Ergebenheit, Dienstbereitschaft, Höflichkeit, die Bahá’u’lláh als die Königin aller Tugenden bezeichnet, Toleranz, Aufrichtigkeit, Bescheidenheit, Vertrauenswürdigkeit, Menschheitsbewußtsein, umfassende Liebe, Vorurteilslosigkeit, Objektivität, Mäßigkeit und Gerechtigkeit gehören zu den wesentlichen Eigenschaften eines Bahá’i.

Wir haben, von der inneren Wandlung des Menschen ausgehend, die 12 Prinzipien behandelt, die die Grundlage bilden für das Werden der neuen Menschheit. Einheit der Menschheit, selbständige und unabhängige Erforschung der Wahrheit, gemeinsame geistige Grundlage aller Religionen (als ihr Prüfstein die Einigkeit), denn wo Haß besteht, wäre es besser, keine Religion zu haben. Heute haben wir die Stufe erreicht, auf der Religion und Wissenschaft vereinigt werden können; sie müssen sich gegenseitig stützen. Alle Fähigkeiten im Menschen sind in gleicher Weise zu entwickeln und zu fördern, nicht nur die geistigen, ebenso die verstandlichen und die logischen. Mann und Frau haben gleiche Rechte. Wir dürfen vielleicht nachholen, daß ‘Abdu’l-Bahá darauf hinwies, daß die bisherige Unterbindung der Entfaltung der fraulichen Fähigkeiten die Männer daran hinderte, die Entwicklungsmöglichkeiten der Frau zu erkennen; daß aber bald eine Zeit kommen werde, in der Mann und Frau gleichberechtigt sind, so daß dann das alte Bibelwort: „Das Weib sei untertan dem Manne“ der Vergangenheit angehören wird.

Weltfrieden muß auf geistiger Grundlage beruhen, deren Ausgangspunkt die Einheit der Menschheit ist. Der Prüfstein aller Gesetze und Regelungen ist die Förderung der Einheit der Menschheit.

Shoghi Effendi spricht von drei gefährlichen Götzen: dem Nationalismus, dem Rassismus und dem Materialismus.

Die Überwindung des Nationalismus ist an die Abtretung gewisser nationaler Rechte an eine übergeordnete Einrichtung gebunden. Nur natürliche Größenverhältnisse der Staaten sollten die Grundlage ihres Mitbestimmungsrechtes bilden. Das Vetorecht hat keinen Platz in der Bahá’i-Verwaltung. Selbst der Hüter hat nur ein aufschiebendes Vetorecht im späteren Universalen Haus der Gerechtigkeit. Das Rassenproblem bereitet in Amerika noch große Schwierigkeiten. Die Gefahren des Materialismus bedrohen die ganze Welt.

Die Elemente der Aristokratie, Monarchie und der Demokratie müssen einem Umschmelzungsprozeß unterworfen werden, so daß die gesunden Elemente aller übernommen werden können. Wie in der Chemie müssen aus an sich bekannten Elementen neue Verbindungen gefunden werden. In der Wissenschaft bezeichnet man solche Vorgänge als Entdeckungen.

Was Bahá’u’lláh auf dem Gebiet der [Seite 95] Sozialordnung geoffenbart hat, nimmt Elemente aus der alten Geschichte auf, die bis auf die griechischen demokratischen Stadtstaaten zurückgehen. Seine Weltordnung enthält aber auch völlig Neues, für das wir noch keine befriedigende Bezeichnung haben. Der englische Schriftsteller David Hofmann spricht in seinem Kommentar über „Wille und Testament ‘Abdu’l-Bahá’s“ von einer neuen Theokratie, d. h., daß Gottes Wille auf unserem Planeten wirklich durchgeführt werde. Wir haben ein neues Bündnis Gottes, wonach die Ordnung neu gestiftet, neu eingesetzt wurde. Auf langen Zeitraum kann der Wille Gottes sich manifestieren. Das „Universale Haus der Gerechtigkeit“ kann Gesetze festlegen, denen göttliche Wirksamkeit und Autorität zukommt. Damit berühren wir die „Kernfragen des Testamentes“.

Wir haben aus den Darlegungen darüber entnommen, daß die neue Ordnung auf neuen Grundlagen beruht. Die Bahá’i-Ordnung hat authentische Fundamente. Shoghi Effendi bezeichnet „Wille und Testament“ ‘Abdu’l-Bahá’s als die Charta des neuen Rechtes. Wir haben gehört, daß die Verwaltungsordnung auf Hütertum und Universalem Haus der Gerechtigkeit ruht, daß der einzelne freien Willen hat, und sich in Freiheit, aus höherer Einsicht heraus, unter das Gesetz stellen soll. Wahre Freiheit besteht nach Bahá’u’lláh’s Worten darin, daß man sich unter den Befehl Gottes stellt. Der neuen Verwaltungsordnung haftet keine Starrheit an, sie ist so weise verfaßt, daß immer das Element des Lebendigen, des sich Anpassens, ein organisches Wachsen wirksam ist. Dem Hüter wurde in seiner großen Aufgabe von ‘Abdu’l-Bahá bestimmt, die heiligen Texte auszulegen und zu erklären unter dem Gesichtspunkt der Reinerhaltung der Lehre. Dem Haus der Gerechtigkeit ist die Gesetzgebung zugewiesen. Beide Aufgabenkreise sind klar festgelegt und können sich in vollendetem Maße ergänzen. Der Hüter ist als geistiges Oberhaupt zugleich Vorsitzender des Universalen Hauses der Gerechtigkeit. Durch die Möglichkeit der Enthebung eines unwürdigen oder unfähigen Mitgliedes kann er korrigierend und gefahrabwendend eingreifen.

Wir haben festgehalten, daß die Schmiegsamkeit der Bahá’i-Verwaltungsordnung eines der Kennzeichen der kommenden Ordnung ist; nichts wurde für immer festgelegt. Nur die heiligen Texte sind unwandelbar und ehrfurchtgebietend für unendlich lange Zeit. Den Menschen ist es anvertraut, auf dieser Grundlage unter der Inspiration von Bahá’u’lláh nach den Gegebenheiten die notwendigen Entscheidungen und Maßnahmen zu treffen. Wichtig ist noch das Revisionsrecht und die Revisionspflicht des Universalen Hauses der Gerechtigkeit, wonach diesem das Recht zusteht, von ihm erlassene Gesetze später abzuändern oder wieder aufzuheben.

Die Bahá’i-Gemeinden können wir als geistige Zellen der kommenden sozialen Weltordnung ansehen. Die Satzungen der Bahá’i-Verwaltungsordnung sind die Keimzellen und Muster der neuen Weltordnung. Von der Bahá’i-Gemeinde führt der Weg über das „Nationale Haus der Gerechtigkeit" zum „Universalen Haus der Gerechtigkeit“. Jedem Einzelnen wie jeder Institution stehen ganz bestimmte und rechtlich begrenzte Aufgaben zu. Diese organische Zuständigkeit müssen wir uns klar machen. Je mehr wir alle unsere Aufgaben innerhalb unseres Aufgabenkreises erfüllen, desto wirksamer und wertvoller erweist sich die gegenseitige Unterstützung. Wir können Ähnliches im menschlichen Körper beobachten: jedes Organ und jede Drüse hat ihre bestimmte Aufgabe, und wenn auch nur eine der scheinbar weniger wichtigen Drüsen zu viel oder zu wenig Sekrete abgibt, so kommt es zu schweren Gesundheitsstörungen.

Sehr wichtig ist auch die Verantwortung des einzelnen. Es kommt auf den einzelnen wirklich an. Durch das Wahlrecht hat er eine große Verantwortung, denn durch das Wählen einzelner Menschen wirkt er hinein in die ganze Zusammenarbeit. Dies setzt voraus, daß sich der einzelne informiert und sich ein möglichst genaues Bild darüber macht, wo die Notwendigkeiten liegen für die Allgemeinheit und wie die Ergebenheit und die Fähigkeiten der Menschen zu beurteilen sind, die er wählen wird. Denn diese Verwaltungsordnung wird die neue Gesellschaft, die neue Menschheit formen und schaffen.

Die Persönlichkeit erhält ihren Wert nach ihrem organischen Eingliederungsvermögen in die ganze Menschheit. Unsere Arbeit, unser Tun und Lassen müssen als letzte Konsequenz immer die Menschheitsentwicklung vor Augen haben. Wir müssen jenes Welt-Gemeinwesen erstreben, in dem die Welt eine Heimat wird und in dem alle Menschen ihre Bürger sind.

E. Sch.


[Seite 96]

Zu dem Artikel: „Friedensidee und Vereinsmeierei“ von Hans Wüst, in der „Neuen Zeitung“ vom 11. Juni 1949

„Die Neue Zeitung“ veröffentlichte am 11. Juni 1949 einen Artikel von Hans Wüst, „Friedensidee und Vereinsmeierei“, in dem der Verfasser, dessen Ausführungen die elementarsten Kenntnisse der Bahá’i-Lehren vermissen lassen, glaubt, die Bahá’i-Religion in geringschätziger Weise abtun zu können. Er schreibt: „Da gibt es obskure religiöse Sekten wie die Bahá’i, die zur Verbreitung ihres Ideenguts immerhin unter anderem Emery Reves ‚Anatomie des Friedens‘ bemüht,....“ und „Sie beantworten die heikle Frage, ob ein gerechtfertigter Verteidigungskrieg zu unterstützen sei, mit einem kategorischen ‚Nein‘ ...“

Es ist bedauerlich, wenn ein Zeitungsschreiber, der immerhin ernst genommen sein will, in solch leichtfertiger Weise Behauptungen aufstellt, von deren Unrichtigkeit er sich bei einiger verantwortungsbewußter Überprüfung leicht überzeugen könnte. Den Bahá’i-Glauben, der sich gerade durch seine Klarheit und Einfachheit auszeichnet, und in dem sich Millionen Menschen, ob sie nun aus dem christlichen, mohammedanischen, jüdischen oder irgendeinem andern Glauben, oder aus den verschiedensten Rassen oder Klassen gekommen sind, in Eintracht und Einigkeit die Hände reichten und jetzt eine Einheit darstellen, die über die ganze Welt verbreitet ist, dessen Schriften in rund fünfzig Sprachen erscheinen und dessen Bedeutung z. B. auch die UN anerkannt hat, indem sie seine Vertreter zu Tagungen als Mitarbeiter beizieht, diesen Glauben als „obskure Sekte“ zu bezeichnen, ist eine bedauerliche Entgleisung. Daß Herr Wüst in seiner Behauptung, die Bahá’i beantworteten die Unterstützung eines gerechtfertigten Verteidigungskrieges mit einem kategorischen „Nein“, genau das Gegenteil von der tatsächlichen Einstellung der Bahá’i zu dieser Frage seinen Lesern vorsetzt, zeigt eine erschreckende Leichtfertigkeit, mit der er seine Leser über die ihm wohl nicht genehme Bahá’i-Religion mit offensichtlichen Unwahrheiten irreführt.

Es ist uns bekannt, daß verschiedene Freunde an „Die Neue Zeitung“ Berichtigungen eingesandt haben und der Nationale Geistige Rat der Bahá’i im Deutschland und Österreich e. V. (NGR), Referat Presse, hat am 4. Juli 1949 der Zeitung einen ausführlichen Bericht eingesandt, dem noch eine Reihe Aussprüche von bedeutenden Persönlichkeiten über die Bahá’i-Weltreligion beigefügt waren, wie z. B. von Leo Tolstoj, Präsident Masaryk, Prof. Forel und anderen. Die NZ hat dem NGR nicht geantwortet. Einer unserer Freunde erhielt ein Schreiben, „daß der Artikel ein verhältnismäßig schwaches Leserecho gefunden hat, was eine nochmalige Aufrollung des Themas nicht rechtfertigen würde“.

In der Bahá’i-Weltreligion wird von der Berichterstattung einer Zeitung allerdings eine größere Wahrheitstreue und eine gründlichere Vertiefung in den zu berichtenden Sachverhalt gefordert, als wir es in dem Wüstschen Artikel in der Neuen Zeitung festgestellt haben.

Über die Verantwortung der Presse schrieb Bahá’u’lláh in dem Tablet Tarázát:

„Zeitungen sind wie Spiegel, die Gehör, Gesicht und Sprache haben. Sie sind eine wundervolle Erscheinung und eine große Sache. Doch es geziemt ihren Schreibern, über das Vorurteil der Selbstüberhebung und der Gier geheiligt und mit der Zier der Unparteilichkeit und Gerechtigkeit geschmückt zu sein. Sie müssen die Fragen so gründlich als möglich untersuchen, so daß sie den wahren Sachverhalt erfahren und über ihn berichten mögen.“

F.K.


Herausgeber: Der Nationale Geistige Rat der Bahá’i in Deutschland und Österreich, e. V., Stuttgart. Verantwortlich für die Herausgabe: Paul Gollmer, Stuttgart O, Neckarstraße 127. In der „Sonne der Wahrheit“ finden nur solche Manuskripte Veröffentlichung, bezüglich deren Weiterverbreitung keine Vorbehalte gemacht werden. — Alle auf den Inhalt der Zeitschrift bezüglichen Anfragen, ferner schriftliche Beiträge, Besprechungsexemplare wie auch alle die Schriftleitung betreffenden Zuschriften sind an Dr. Eugen Schmidt, Stuttgart N, Menzelstr. 24, zu senden. — Abonnementbestellungen sowie Zahlungen sind an die Geschäftsstelle der „Sonne der Wahrheit“, Paul Gollmer, Stuttgart O, Neckarstraße 127, Postscheckkonto Stuttgart Nr. 35 768, zu richten.

Druck von J. Fink KG., Stuttgart N — Auflage 1500 — Juli 1949

Veröffentlicht unter Lizenz US-W-Nr. 6871 der Nachrichtenkontrolle der Militärregierung.


[Seite 97] diesem Tage wirkt, letzten Endes diesen Zustand herbeizuführen fähig ist. Noch mehr: Der Bahá’i-Glaube legt seinen Anhängern vor allem die Pflicht des ungehemmten Suchens nach Wahrheit auf, verwirft alle Arten von Vorurteil und Aberglauben und erklärt, daß der Zweck der Religion die Förderung von Freundschaft und Eintracht sei; er verkündet in wesentlichen Fragen ihr Zusammengehen mit der Wissenschaft und erkennt sie als die größte Kraft der Befriedigung und des geregelten Fortschrittes der Menschheit. Er hält ohne Zweideutigkeit den Grundsatz gleicher Rechte, gleicher Möglichkeiten und Vorrechte für Männer und Frauen hoch, besteht auf guter Erziehung als Pflicht, tilgt die Extreme von Armut und Reichtum aus, schafft die Einrichtungen eines Priesterstandes ab, verbietet Sklaverei, Askese, Bettelei und Mönchtum und schreibt Einehe vor, mißbilligt Scheidung, betont die Notwendigkeit festen Gehorsams zur Regierung, erhöht jede Arbeit, die im Geiste des Dienens getan wird, auf den Rang des Gottesdienstes, drängt auf die Schaffung oder Auswahl einer Welthilfssprache und gibt einen Umriß für die Einrichtungen, welche den Weltfrieden begründen und dauerhaft machen sollen.


Der Herold

Der Bahá’i-Glaube kreist um drei Hauptgestalten, deren erste ein Jüngling aus Schiras namens Mirzá ‘Ali Muhammád war, bekannt als der Báb (das Tor). Er erhob im Mai 1844, im Alter von 25 Jahren den Anspruch, der Herold Dessen zu sein, der nach den Heiligen Schriften früherer Offenbarungen den Einen, der größer ist als Er selbst, verkünden und den Weg für Sein Kommen bereiten soll. Seine Sendung sei, nach eben diesen Schriften, eine Ära des Friedens und der Gerechtigkeit einzuleiten, die als die Vollendung aller früheren Sendungen begrüßt würde, um einen neuen Zyklus in der Religionsgeschichte der Menschheit einzuleiten. Rasch setzte strenge Verfolgung ein, die von den organisierten Mächten der Kirche und des Staates Seines Geburtslandes ausging und schließlich zu Seiner Gefangenschaft, Verbannung und zu Seiner Hinrichtung im Juli 1850 in Täbris führten. Nicht weniger als 20000 Seiner Anhänger wurden in so barbarischer Grausamkeit hingemordet, daß sie das warme Mitgefühl und die unbegrenzte Bewunderung abendländischer Schriftsteller, Diplomaten, Reisender und Gelehrter hervorrief.


Bahá’u’lláh

Mirzá Husayn - ‘Ali, genannt Bahá’u’lláh (die Herrlichkeit Gottes), aus der Provinz Mázindarán stammend, dessen Kommen der Báb verkündet hatte, wurde von diesen gleichen Mächten der Dummheit und des Fanatismus angegriffen, in Teheran eingekerkert, 1852 aus Seinem Heimatland nach Bagdad verbannt und von dort nach Konstantinopel und Adrianopel und schließlich in die Gefängnisstadt Akka, wo Er nicht weniger als 24 Jahre noch gefangengehalten wurde. Unweit davon starb Er im Jahre 1892. In der Zeit seiner Verbannung, vor allem in Adrianopel und in Akka, gab Er den Gesetzen und Vorschriften Seiner Sendung Ausdruck und erklärte in mehr als hundert Bänden die Grundsätze Seines Glaubens, verkündete Seine Botschaft den Königen und Herrschern des Ostens und des Westens, Christen sowohl wie Mohammedanern.


‘Abdu’l-Bahá

Sein ältester Sohn, ‘Abbás Effendi, bekannt als ‘Abdu’l-Bahá (Diener Bahá’s), war von Bahá’u’lláh zu dessen gesetzlichem Nachfolger und bevollmächtigtem Ausleger Seiner Lehren ernannt worden. Er war seit Seiner frühesten Kindheit Seinem Vater eng verbunden und teilte dessen Verbannung und Leiden. Er blieb ein Gefangener bis 1908, wo Er in Auswirkung der jungtürkischen Revolution aus der Haft entlassen wurde. Nunmehr verlegte Er Seinen Wohnsitz nach Haifa, schiffte sich dann bald zu einer drei Jahre langen Reise nach Ägypten, Europa und Nordamerika ein, in deren Verlauf Er vor einer zahlreichen Hörerschaft die Lehren Seines Vaters auslegte und das Nahen der Katastrophe voraussagte, die bald darauf die Menschheit überfallen sollte. Er kehrte nach Hause zurück am Vorabend des ersten Weltkrieges, in dessen Verlauf Er dauernd Gefahren ausgesetzt war bis zur Befreiung Palästinas.

1921 verließ Er diese Welt. Er wurde in dem auf dem Berge Karmel errichteten Grabmal beigesetzt, das nach dem Gebot Bahá’u’lláh’s für die sterblichen Reste des Báb errichtet war.


Die Verwaltungsordnung

Das Hinscheiden 'Abdu'l-Bahá’s bedeutete das Ende des heroischen Zeitalters des Bahá’i-Glaubens und bezeichnete zugleich den Beginn des gestaltgebenden Zeitalters, das den schrittweisen Aufstieg der Verwaltungsordnung des Glaubens schaffen soll. Ihre Errichtung war von dem Báb vorhergesagt, ihre Gesetze wurden von Bahá’u’lláh geoffenbart, ihre Umrisse wurden von 'Abdu'l-Bahá in Seinem Willen und Testament vorgezeichnet.

Die Verwaltungsordnung des Glaubens von Bahá’u’lláh ist dazu bestimmt, sich zu einem Bahá’i-Weltgemeinwesen zu entwickeln. Sie hat schon die Angriffe überdauert, die solche furchtbaren Feinde wie die Könige der Kadscharen-Dynastie, die Kalifen des Islam, die führenden Geistlichen Ägyptens und das Naziregime in Deutschland gegen ihre Einrichtungen gerichtet hatten, und hat ihre Zweige in alle Teile der Erde ausgedehnt, von Island bis zum äußersten Chile. Sie hat in ihren Bereichen die Vertreter von nicht weniger als 31 Rassen, darunter Christen verschiedener Bekenntnisse, Muselmänner der [Seite 98] sunnitischen und schiitischen Sekten, Juden, Hindu, Sikhs, Zoroastrer und Buddhisten. Sie hat durch ihre festgesetzten Organe Bahá’i-Schriften in 48 Sprachen veröffentlicht und verbreitet.

Diese Verwaltungsordnung ist, im Unterschied von den anderen Systemen, die sich nach dem Tode der Gründer in den verschiedenen Religionen entwickelt haben, göttlich in ihrem Ursprung, beruht mit Gewißheit auf den Gesetzen, Vorschriften, Verordnungen und Einrichtungen, die vom Begründer des Glaubens selbst ausdrücklich niedergelegt und unzweideutig festgesetzt sind und waltet in fester Übereinstimmung mit den Auslegungen der bevollmächtigten Ausleger der heiligen Texte.

Der Glaube, dem diese Ordnung dient, den sie schützt und fördert, ist, das sollte in diesem Zusammenhang wohl bemerkt werden, in seinem Wesen übernatürlich, übernational, gänzlich unpolitisch, parteilos und jedem System oder jeder Schule von Ideen, die irgendeine besondere Rasse, Klasse oder Nation über die andere zu stellen sucht, völlig entgegengesetzt. Er ist frei von jeglicher Form von Kirchentum, hat weder Priesterstand noch Riten und wird allein durch freiwillige Gaben seiner erklärten Anhänger getragen.

Wenn auch die Bekenner des Bahá’i-Glaubens ihren Regierungen treu ergeben sind, in Liebe ihrem Vaterland verbunden und darauf bedacht, zu allen Zeiten dessen Wohl zu fördern, so werden sie doch, weil sie die Menschheit als eine Einheit betrachten und deren Lebensinteressen tief verpflichtet sind, ohne Zögern jedes Einzelwohl, sei es persönlich, örtlich oder national, dem übergeordneten Wohl der Menschheit als Ganzes unterordnen; denn sie wissen gar wohl, daß in einer Welt der gegenseitigen Abhängigkeit der Völker und Nationen der Vorteil des Teiles am besten durch den Vorteil des Ganzen erreicht werden kann, und daß kein Dauererfolg durch eines der zugehörigen Teile erreicht werden kann, wenn das Allgemeinwohl des Ganzen hintangestellt wird.

Shoghi Effendi


Die zwölf Grundsätze der Bahá’i-Weltreligion


1. Die gesamte Menschheit muß als Einheit betrachtet werden.

2. Alle Menschen sollen die Wahrheit selbständig erforschen.

3. Alle Religionen haben eine gemeinsame Grundlage.

4. Die Religion muß die Ursache der Einigkeit und Eintracht unter den Menschen sein.

5. Die Religion muß mit Wissenschaft und Vernunft übereinstimmen.

6. Mann und Frau haben gleiche Rechte.

7. Vorurteile jeglicher Art müssen abgelegt werden.

8. Der Weltfrieden muß verwirklicht werden.

9. Beide Geschlechter sollen die beste geistige und sittliche Bildung und Erziehung erfahren.

10. Die sozialen Fragen müssen gelöst werden.

11. Es muß eine Einheitssprache und eine Einheitsschrift eingeführt werden.

12. Es muß ein Weltschiedsgerichtshof eingesetzt werden.