Sonne der Wahrheit/Jahrgang 19/Heft 11-12/Text
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Die Bahá’i-Weltreligion
Der Glaube, der von Bahá’u’lláh begründet wurde, entstand in Persien um die Mitte des neunzehnten Jahrhunderts. Nach längerer Verbannung des Gründers, zuletzt nach der türkischen Strafkolonie von Akka, und späterhin nach Seinem Tod und Seiner Beisetzung in Akka, hat der Glaube sein endgültiges Zentrum im Heiligen Land gefunden und ist jetzt im Begriff, die Grundlagen seines Verwaltungszentrums für die ganze Welt in der Stadt Haifa aufzubauen.
Wenn man seinen Anspruch, wie er unmißverständlich durch seinen Begründer verfochten wurde, und die Art des Wachstums der Bahá’i-Gemeinde in allen Teilen der Welt betrachtet, so kann dieser Glaube nicht anders angesehen werden als eine Weltreligion, die dazu bestimmt ist, sich im Laufe der Zeiten in ein weltumfassendes Gemeinwesen zu entwickeln. Dessen Kommen muß das goldene Zeitalter der Menschheit ankündigen, das Zeitalter, das die Einheit des Menschengeschlechtes unerschütterlich begründet, seine Reife erreicht und seine Bestimmung durch die Geburt und das Errichten einer alles umfassenden Zivilisation erfüllen wird.
Neue Darlegung ewiger Wahrheiten
Obwohl dem schiitischen Islam entsprungen und in den ersten Entwicklungsphasen von den Anhängern des mohammedanischen und des christlichen Glaubens nur als eine obskure Sekte, ein asiatischer Kult oder ein Ableger der mohammedanischen Religion betrachtet, beweist dieser Glaube nunmehr in wachsendem Maße sein Anrecht auf eine andere Beurteilung als nur die eines weiteren religiösen Systems, das den sich bekämpfenden Glaubensbekenntnissen, die so viele Geschlechter lang die Menschheit zerspalten und ihre Wohlfahrt verwüstet haben, sich zugesellt hat. Vielmehr ist er eine neue Darlegung der ewigen Wahrheiten, die allen Religionen der Vergangenheit zugrunde liegen, und eine einigende Macht, die den Anhängern dieser Religion einen neuen geistigen Elan einflößt, eine neue Hoffnung und Liebe zur Menschheit und sie durch eine neue Vision befeuert, die der grundsätzlichen Einheit der religiösen Lehren, und vor ihren Augen die herrliche Berufung ausbreitet, die dem Menschengeschlecht winkt.
Die Anhänger dieses Glaubens stehen fest zu dem grundlegenden Prinzip, wie es von Bahá’u’lláh verkündet worden ist, daß religiöse Wahrheit nicht absolut, sondern relativ ist, daß Gottesoffenbarung ein fortdauerndes und fortschreitendes Geschehnis ist, daß alle großen Religionen der Welt göttlich in ihrem Ursprung sind, daß ihre Grundsätze zueinander in völligem Einklang stehen, daß ihre Ziele und Absichten eine und dieselben sind, daß ihre Lehren nur Widerspiegelungen der einen Wahrheit sind, daß ihr Wirken sich ergänzt, daß sie sich nur in unwesentlichen Teilen ihrer Lehren unterscheiden und daß ihre Sendungen aufeinanderfolgende geistige Entwicklungsstufen der Menschheit darstellen.
Zur Versöhnung der sich streitenden Bekenntnisse
Die Ziele Bahá’u’lláh’s, des Propheten dieses neuen und großen Zeitalters, in das die Menschheit eingetreten ist — denn Sein Kommen erfüllt die Prophezeiungen des Neuen und Alten Testamentes wie auch des Koran, die sich auf das Erscheinen des Verheißenen am Ende der Zeiten, am Tage des Gerichtes beziehen — sind nicht die Zerstörung, sondern die Erfüllung der Offenbarungen der Vergangenheit und viel mehr die Versöhnung als die Betonung der Gegensätze der sich streitenden Glaubensbekenntnisse, welche die heutige Menschheit noch zerreißen.
Er ist weit davon entfernt, die Stufe der Ihm vorausgegangenen Propheten herabsetzen oder ihre Lehren schmälern zu wollen. Vielmehr will Er die Grundwahrheiten, die in allen diesen Lehren beschlossen sind, in einer Weise aufs neue darlegen, wie sie den Nöten der Menschheit entsprechen und auf ihre Fassungskraft abgestimmt sind und auf die Fragen, Leiden und Verwirrungen der Zeit, in der wir leben, angewendet werden können.
Seine Sendung ist: zu verkünden, daß die Zeiten der Kindheit und Unreife des Menschengeschlechtes dahin sind, daß die Erschütterungen; der heutigen Stufe der Jugend langsam und schmerzvoll sie zur Stufe der Reife vorbereiten und das Nahen jener Zeit der Zeiten verkünden, da die Schwerter in Pflugscharen umgewandelt werden und das von Jesus Christus verheißene Reich begründet wird und der Friede auf diesem Planeten endgültig und dauernd gesichert ist. Auch stellt Bahá’u’lláh nicht den Anspruch auf Endgültigkeit Seiner eigenen Offenbarung, sondern erklärt vielmehr ausdrücklich, daß ein volleres Maß der Wahrheit, als Ihm von dem Allmächtigen für die Menschheit in einem so kritischen Zeitpunkt gestattet wurde, in den späteren Phasen der endlos weiterschreitenden Menschheitsentwicklung enthüllt werden muß.
Einheit des Menschengeschlechtes
Der Bahá’i-Glaube hält die Einheit Gottes hoch, anerkennt die Einheit Seiner Propheten und betont vor allem den Grundsatz der Einheit und Ganzheit aller Menschenrassen. Er verkündet, daß die Einigung der Menschen notwendig und unvermeidbar ist, hebt hervor, daß wir uns ihr schrittweise nähern und stellt die These auf, daß nichts anderes als der verwandelnde Geist Gottes, der durch Sein erwähltes Sprachrohr an
SONNE DER WAHRHEIT Zeitschrift für Weltreligion und Welteinheit |
Heft 11-12 Preis: DM —.80 |
JANUAR-FEBRUAR 1950 Sultan - Mulk Herrschaft - Königsherrschaft (106) |
19. JAHRGANG |
- Leitgedanken: Einheit der Menschheit - Universaler Friede - Universale Religion
Inhalt: Worte von Bahá’u’lláh — Von der Nichtexistenz des Bösen — Ährenlese — Göttliche Lebenskunst — Der verheißene Tag ist gekommen — Aus der Bahá’i-Welt: Der Weltreligionstag 1950 — Quellenangaben zu „Göttliche Lebenskunst“ — Inhaltsübersicht für den 19. Jahrgang.
O GEFÄHRTE DES THRONES!
Höre nichts Schlechtes und sieh nichts Schlechtes. Erniedrige dich nicht und klage nicht. Das heißt: Sprich nichts Schlechtes, damit du nichts Schlechtes hörest, und vergrößere die Fehler der anderen nicht, damit deine eigenen Fehler nicht groß erscheinen. Wünsche nicht die Erniedrigung eines anderen, damit deine Erniedrigung sich nicht zeige. Verbringe die Tage deines Lebens, die weniger sind als ein flüchtiger Augenblick, mit lauterem Herzen, geheiligtem Inneren und reinem Gemüt, damit du beim Freiwerden von dieser irdischen Hülle in das geheimnisvolle Paradies zurückkehren und im ewigen Königreich wohnen kannst.
Bahá’u’lláh*)
*) Verborgene Worte (Aus dem Persischen)
VON DER NICHTEXISTENZ DES BÖSEN[Bearbeiten]
Von Dr. Adelbert Mühlschlegel
Wie ist es möglich, zu behaupten, das Böse existiere nicht? — in der
heutigen Zeit gar, wo uns das Böse mehr als anderswann begegnet in allen
nur vorstellbaren Arten, als Neid, Irrtum, Kälte, Elend, Haß, Vernichtungswille.
Und auch die heiligen Schriften aller Zeiten sind voll von den Gestalten
des Bösen. Ist doch der Leibhaftige selbst in der Wüste dem Christus
erschienen und hat ihn dreimal versucht! Hat doch der hohe Meister selbst gesagt:
„Ihr habt mit Fürsten und Gewaltigen zu kämpfen.“ Und hat Er uns doch
beten gelehrt: „...erlöse uns von dem Übel. Denn Dein ist das Reich...“
Und trotzdem ist „böse“ — so lehrt uns die Bahá’i-Offenbarung — nur eine menschliche Bezeichnung, ein Begriff, aber keine Realität; die Bezeichnung einer menschlichen Wertung, aber nicht ein So-sein von Anfang an. Wir können diesen Gedankengängen nur schwer folgen, so stark sind wir in den landläufigen religiösen Anschauungen unsrer Umgebung noch verhaftet. Besonders im Christentum ist ja das Gefühl tief in den Seelen verankert, daß des Menschen Trachten von Natur aus böse ist und daß er zutiefst in die Erbsünde verstrickt ist, aus der nur das Blut des menschgewordenen Gottes selbst ihn erretten kann. Und wenn auch unser Weltbild, wie wir sehen werden, ein anderes ist, so empfinden wir doch alle, die wir das Ausgleiten in die Schuld erlebt haben — ein jeder auf seine Weise — zunächst einmal ganz natürlich und ursprünglich das Böse wie eine Macht, die uns unterjochen will. Wer aber durch Kampf zum Sieger geworden ist, dem wird ebenso natürlich und dazu viel stärker und überzeugender das beglückende Gefühl zur Gewißheit, daß das Böse dem Guten gegenüber ohnmächtig und unwirklich, also gleichsam nichtexistierend ist. So unwirklich wie eine Fata Morgana. Auch sie hat ein bißchen Wirklichkeit, denn sie bedarf bestimmter Voraussetzungen: ein heißer Boden, eine dünne erhitzte Luft darüber, eine gewisse Strahlungsbrechung, das menschliche Auge, das die Strahlen aufnimmt, das menschliche Gehirn, das sie wahrnimmt. Auch kann sie bittere Wirklichkeit zur Folge haben, wenn der betörte Wandersmann sich von ihr verleiten 1äßt. — Ähnlich der Traum. Von den seltenen Fällen abgesehen, wo er geistige Wirklichkeiten offenbart, täuscht er uns mit Unwirklichem. Ein flüchtiges Zufallsspiel von Bildern auf der gereizten Gehirnrinde, von dumpfen Eindrücken auf den Sympathicus-Nerv, der unbewußtes, körperliches Unbehagen oder Behagen schattenhaft zum Bild vermittelt. Und schon ist der helle Morgen da, der Traum ist vorbei; er war unwirklich gewesen. Und doch kann er unsern Tageslauf beeinflussen, zum Guten wie zum Bösen.
Nun sind die Fata Morgana oder der Traum nicht böse von Natur aus. Sie sind eben flüchtige Gebilde in der Natur, die uns flüchtig berühren. Durch uns werden sie erst das, was sie uns bedeuten. Ähnlich ist es mit den Gegebenheiten, die wir böse nennen. Sie sind nicht böse von Natur aus. Durch uns werden sie erst dazu.
‘Abdu’l-Bahá sagt darüber in einem Kapitel der „Beantworteten Fragen“,
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das „Die Nichtexistenz des Bösen“ betitelt ist:
„Dieses Thema genau zu erklären, ist sehr schwierig. Wisset, daß es zweierlei Arten von Wesen gibt, materielle und geistige, solche, die durch die Sinne und solche, die durch den Geist wahrnehmbar sind,
Mit den Sinnen wahrnehmbare Dinge können wir nur mit den fünf physischen Sinnen entdecken. So werden diese äußeren Daseinsformen, die das Auge sieht, ‚mit den Sinnen wahrnehmbare‘ genannt. Intellektuelles aber hat keine äußere Existenz, sondern es wird von der Vernunft wahrgenommen. Die Vernunft selbst z.B. ist etwas Intellektuelles, das keine äußere Daseinsform hat. Alle Charaktereigenschaften des Menschen haben eine geistige Existenz und keine mit den Sinnen wahrnehmbare.
Kurz gesagt, die geistigen Wesenheiten, wie die gesamten Eigenschaften und bewundernswerten Vorzüge des Menschen sind absolut gut und tatsächlich vorhanden. Das Böse ist lediglich ihr Nichtvorhandensein. So ist Unwissenheit Mangel an Wissen, Irrtum Mangel an rechter Führung, Vergeßlichkeit Mangel an Gedächtnis und Dummheit Mangel an Verständnis. Dies alles hat keine wirkliche Existenz.
So sind auch die mit den Sinnen wahrnehmbaren Wesenheiten absolut gut, und das Übel ist nur ihrem Nichtvorhandensein zuzuschreiben. Blindheit ist also Mangel an Gesicht, Taubheit Mangel an Gehör, Armut Mangel an Reichtum, Krankheit Mangel an Gesundheit, Tod Mangel an Leben und Schwachheit Mangel an Kraft.
Aber die Vernunft möchte dies bezweifeln, denn es wird gesagt, Skorpione und Schlangen seien giftig. Sind sie nun gut oder böse? Sie sind doch auch lebendige Geschöpfe! Ja, in seinem Verhältnis zum Menschen ist ein Skorpion böse, und auch eine Schlange ist in ihrem Verhältnis zum Menschen böse, aber an sich sind sie nicht böse, denn ihr Gift ist nur ihre Waffe und mit ihrem Stachel und ihren Zähnen verteidigen sie sich. Da sich aber die Elemente ihres Giftes nicht mit unseren Elementen vertragen, d.h. weil zwischen diesen verschiedenen Elementen ein Gegensatz besteht, so ist es dieser Gegensatz, der böse ist; aber an sich sind auch Skorpione und Schlangen gut.
Der Sinn dieser Erklärung ist, daß ein Wesen in seiner Beziehung zu einem andern Wesen böse sein mag, aber gleichzeitig innerhalb seiner eigenen Grenzen nicht böse zu sein braucht. Damit ist bewiesen, daß es im Dasein nichts Böses gibt; alles, was Gott erschuf, erschuf Er gut. Somit ist das Böse ein Nichts und der Tod die Abwesenheit des Lebens. Wenn dem Menschen das Leben entzogen wird, stirbt er. Finsternis ist nur Abwesenheit des Lichts. Wenn kein Licht vorhanden ist, herrscht Dunkelheit. Das Licht hat Existenz, aber die Finsternis ist etwas Nichtexistierendes. Der Reichtum hat Existenz, aber die Armut ist etwas Nichtexistierendes.
Es ist also offenbar, daß alles Böse in die Nichtexistenz versinkt. Das Gute existiert, das Böse hat keine Existenz.“
Man kann auch sagen, das Materielle überhaupt — einerlei, ob es uns „gut“
oder „böse“ erscheint — sei unwirklich, wenigstens dem Geiste gegenüber.
Es wird in den heiligen Schriften oft mit dem Flugsand verglichen, der nach
Augenblicken wieder vom Winde verweht wird, im Gegensatz zu den ragenden
Felsengebirgen der geistigen
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Regionen, die allgemein gültig und immer da sind, auf die man „ein Haus“ bauen
kann. In den indischen Schriften wird die materielle Welt der „Schleier der
Maja“ genannt, welcher das wahre, bleibende Sein den Augen der verblendeten
Menschen verhüllt. So ist die materielle, mit den Sinnen wahrnehmbare Welt nur
eine flüchtige Wirklichkeit, hinter der erst eine beständigere Wirklichkeit
ragt; aber eine relative Wirklichkeit ist sie immerhin.
‘Abdu’l-Bahá sagt darüber ebenfalls in den „Beantworteten Fragen“, im Kapitel über „die Wirklichkeit der irdischen Welt“:
„Gewisse Sophisten glauben, das Dasein sei eine Einbildung, jedes Geschöpf sei eine absolute Einbildung, die keine Existenz habe, mit andern Worten, das Dasein der Geschöpfe gleiche einer Luftspiegelung oder dem Widerschein eines Bildes im Wasser oder in einem Spiegel, die aber nur Erscheinungen seien, ohne an sich ein Prinzip, ein Fundament oder eine Wirklichkeit zu haben.
Diese Theorie ist ein Irrtum, denn wenn auch die Existenz der Geschöpfe im Vergleich zu der Existenz Gottes eine Illusion ist, so haben sie in ihrem Zustand als Geschöpfe doch eine wirkliche und bestimmte Existenz. Dies zu leugnen hat keinen Wert. Das Dasein des Minerals ist z.B. im Vergleich zu dem des Menschen Nichtexistenz, denn selbst wenn der Körper des Menschen schon offensichtlich aufgelöst ist, sind seine Bestandteile noch Mineralien, aber auf der Stufe des Mineralreichs hat auch das Mineral Existenz. Daher ist es klar, daß Erde in bezug auf die Existenz des Menschen nichtexistierend ist, aber als Mineral betrachtet, existiert sie doch.
So ist auch die Existenz der Geschöpfe im Vergleich zu der Existenz Gottes Einbildung und ein Nichts; sie gleicht offenbar einem Spiegelbild. Wenn auch das Bild in einem Spiegel nur eine Illusion ist, so ist doch die Quelle und Wirklichkeit dieses Bildes der widergespiegelte Mensch, dessen Antlitz in dem Spiegel erscheint. Kurz gesagt, im Vergleich zu dem widergespiegelten Menschen ist die Widerspiegelung selbst nur Illusion. Ebenso ist es klar, daß auch die Geschöpfe, wenn sie auch im Vergleich zu der Existenz Gottes keine Existenz haben, sondern lediglich einem Spiegelbild gleichen, auf ihrer eigenen Stufe doch existieren.
Daher sagte man auch von denen, die Gott nicht achteten und Christus leugneten, sie seien tot, obwohl sie offenbar lebendig waren; aber im Vergleich zu dem Volk des Glaubens waren sie tot, blind, taub und stumm. So sind auch die Worte Christi zu verstehen, als Er sagte: ‚Laßt die Toten ihre Toten begraben‘.“
Wir sehen also — und wollen dies für unsere weiteren Betrachtungen festhalten —: Das Materielle ist relativ unwirklich gegenüber dem Göttlichen. Das Böse existiert von Natur aus nicht als solches, der Mensch in seiner Haltung, seinem Empfinden, seinem Erkennen, macht erst diese Wertunterscheidung. Sein geistiges Erleben in den Regionen des Lichtes ist aber so viel mächtiger und klarer, daß das sogenannte Böse ohnmächtig erscheint gegenüber dem Guten. Also — dürfen wir folgern — soll sich der Mensch dahin erziehen und wandeln, daß in ihm nur noch das Gute, Vollkommene wirkt und empfunden wird, das Böse, Unvollkommene aber, weit abseits und schattenhaft, ihn nicht mehr berührt.
Und damit sind wir auf das Wesentliche
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gekommen. „Metanoeite!“ -„denket um!“ — rief Johannes der Täufer
einst „in der Wüste" denen zu, die sich auf das Kommen Christi
vorbereiteten. Wir brauchen gleichsam eine andere Linse vor unser inneres
Auge. Es kommt darauf an, was wir neu sehen und was wir nicht mehr
sehen sollen. „O Mensch mit zweierlei Sehvermögen“, ruft Bahá’u’lláh uns
zu, „schließe ein Auge und öffne das andere. Schließe das eine vor der Welt
und dem Treiben der Welt, und öffne das andere für die Schönheit des heilig
Geliebten.“
So empfindet sich der Mensch als Doppelnatur seit jenem Sündenfall, als er in seiner Entwicklung an den Punkt gekommen war, wo der herangewachsene, gehirnverhaftete Verstand maßgeblicher zu werden begann als das natürliche, einfältige,kindliche Gefühl der Gottnähe, das in jedem Augenblick ihn das Richtige empfinden und tun läßt. Bei einem gesunden, unverdorbenen Kinde ist noch diese schlichte innere Führung da. Dann aber nehmen bald Verstand und Triebe die Zügel in die Hand. So war es auch einstens, vor grauen Zeiten, in dem mit Adam begonnenen Zyklus bei der ganzen Menschheit gewesen. Die Erfahrungsmasse der Sinne verarbeitet der Verstand, und die natürlichen Triebe verlocken den Menschen, das Gewonnene mit Hilfe des Verstandes zu seinem Vorteil zu gebrauchen. Die egoistischen Regungen und Wünsche der Triebe reflektieren sich im Gehirn, das sich zum Handlanger ihrer Befriedigung macht. Dies steht im Widerspruch zu der inneren Stimme, in welcher, solange sie nicht verschüttet ist, das höhere Selbst zum Menschen redet. Dies ist der Zwiespalt, die „zwei Seelen, ach“, in unsrer Brust. Dies ist der Kampf zwischen Gut und Böse. Etwas ursprünglich Natürliches, Entwicklungsbedingtes ist damit „böse“ geworden. Dieses Böse ist immer da, aber unwirklich, wie der Schatten der Sonne gegenüber, und nur durch das Sonnenlicht erst wahrnehmbar. ‘Abdu’l-Bahá sagt: „Das schlechtere ‚Ich‘ reizt uns jeden Augenblick und legt uns mit jedem Atemzug eine neue Schlinge“. Alle sind wir ja mehr, als uns bewußt wird, in diesen Konflikt verhaftet. Weit mehr, als wir ahnen, ist unsere heutige Welt auf Triebhaftigkeit und Verstand aufgebaut. Und all dies gerät nun ins Wanken: das Äußere durch den weltgeschichtlichen Umbruch, das Innere für jeden Menschen, der sein Bisheriges zu überwinden bemüht ist, d.h., der „sein Haus verläßt“ und in das „Tal des Suchens“ eintritt.
Wohin reitet er „auf dem Rosse der Geduld“? Was ist sein Ziel? Was gibt ihm Richtung und Maßstab? Wir sagen, er sucht Gott. Aber was ist für ihn „Gott“? Wie erkennt er Gott? Wir sagen: Indem er Seine Gebote befolgt, die Lehren der Gottesoffenbarung studiert, und indem er Gott im Gebet sucht und nach dem Erkannten zu leben bemüht ist. Aber immer kommt es doch darauf an, wieviel er eben doch davon erkennt und was er tut, wie er „ein Auge schließt und das andere öffnet“, oder, wie wir es vorher auch ausdrückten, inwieweit er mit seinem inneren Auge durch eine neue Linse sieht. Denn die alte Linse ist ja so begrenzt und mangelhaft. Das Triebhafte und Verstandliche gibt noch die Maßstäbe. Machen wir es uns an einigen Beispielen klar:
Wir alle kennen die Geschichte von Hans Huckebein, dem Unglücksraben:
Die Tante tritt aus ihrer Tür. „Ei“, spricht sie, „welch ein gutes Tier!“
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Kaum war das Wort dem Mund entflohn, schwapp, hat er ihren Finger schon.
„Nein“, spricht sie, „er ist doch nicht gut, weil er mir was zuleide tut“.
Hier hat Wilhelm Busch, der Philosoph, es uns mit ein paar Worten gezeigt.
Der Rabe ist von Natur aus weder gut noch böse. Es ist seine Natur, daß er
nach einem Finger schnappt, der ihm hingestreckt wird. Für den Menschen
aber ist er zunächst „gut“, weil er ihm Unterhaltung bringt und seinen
Besitz vermehrt, „böse“ aber, sobald er ihm persönlich einen
körperlichen Schmerz bereitet. —
Es gibt vielerlei Käfer. Einer davon hat es besonders auf die Kartoffeln abgesehen. Jahrhunderttausende lang wußte der Mensch nichts von dem Nutzen der Kartoffel. Dann begann er, sie zu pflanzen und zu genießen. Da trat der Kartoffelkäfer auf, an und für sich von Natur weder gut noch böse. Weil er aber den Menschen hindert, Kartoffeln zu genießen, ist er ein Schädling, also „böse“. Es gibt tausenderlei Kräuter und in jedem Lande Hunderte von Heilkräutern, die „gut“ sind und dem Menschen helfen in seinen Leibesnöten. Darunter z.B. auch die Quecke, der Schachtelhalm, das wilde Ackerstiefmütterchen und andere. Sie gedeihen aber besonders gut auf dem Acker, vermehren zwar dessen Fruchtbarkeit, aber nehmen dem Korn den Platz weg. So sind sie ein „Unkraut“, also schädlich oder „böse“, — es war ja sogar der böse Feind, der einstens dem Adam das Unkraut in den Acker säte — „böse“ oder „gut“, je nach dem, ob es der Bauer findet oder der Apotheker.
Es gibt viele Tausende Arten von Bazillen und Spaltpilzen. Sie sind alle von Natur aus weder gut noch böse, ein notwendiges Stück der herrlichen Schöpfung. Früher in alten Zeiten ahnte der Mensch noch nichts von ihnen. Seither hat er sie erforscht, und siehe da, einige sind „böse“, bringen uns tödliche Krankheiten wie Cholera und Pest; andere aber sind nützlich und werden von Menschen liebevoll gezüchtet, wie die Hefepilze, der Yoghurtpilz, der Kefirpilz und andere. — —
So ist die Schöpfung ringsumher erfüllt von Beispielen dafür, wie recht der große Dichter hat, wenn er seinen Hamlet sagen läßt: „An sich ist nichts weder gut noch böse, das Denken macht es erst dazu.“ Das Denken, das die Schlange verkörpert, erdgebunden, gewandt und doppelzüngig, und das dem wißbegierigen Menschenpaar sagte: „Ihr werdet wie Gott sein und wissen, was gut und böse ist.“
Viel bedeutungsvoller aber ist, daß in unsrem Innern die gleichen
Wertungen ein gleich falsches, zufälliges, egoistisches Bild uns vorgaukeln, wie
wir es soeben an der Außenwelt erkannt haben. Wie vielerlei Selbsttäuschungen,
Irrtümern und Schwächen ist der Mensch unterworfen! Er merkt
nur eben das meiste gar nicht. Da werden triebbedingte Gefühle mit
angewöhnten Gedankengängen verkoppelt und führen als sogenannte
Komplexe ein parasitenhaftes Dasein im Charakter. Ein trübes Gewimmel
taucht vor uns auf von all den kleinen und großen Schwächen und Lastern
des Allzumenschlichen, Unmenschlichen, womit der Mensch — nicht
der Schöpfer — die Schöpfung besudelt und beschwert hat und sich sein
Dasein täglich vergällt. Wir wollen nicht dabei verweilen. Wenn der
Mensch nun merkt, daß hier einiges nicht stimmt, und versucht, sich seinen
Weg aus diesem Dschungel der Gefühle
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und Gedanken zu bahnen, so wendet er sich zuerst dem scheinbar
Nächstliegenden zu: er bemüht sich, die Verhältnisse angenehmer zu gestalten, er
hört auf den Rat anderer Menschen, er paßt auf, daß er das nächste Mal sich
nicht mehr ertappen läßt, er sucht Zerstreuung, neue Bekannte, neue Anregungen,
er macht vielleicht auch Reisen, besucht Vorträge, geht ins
Theater oder Kino, er liest in Büchern und vielleicht sogar in
heiligen Schriften. Aber das Wichtigste, das Umdenken, die
Läuterung des Gemütes und der Gedanken von Grund auf, wird meistens übersehen.
Er sucht mehr nach außen als nach innen. Wie wechselnd sind aber die
Maßstäbe, die von außen her uns nahegerückt werden! Je nach dem
Menschentyp und seiner Entwicklungsstufe, je nach den
Völkern und den Zeitverhältnissen, je nach den Lehren, nach denen sie sich
richten sollen und wollen. Wie wechselnd sind auch die Auslegungen der
Gebote ihrer Religionen, wie weit eben jeweils der Horizont des Verstandes
und die Verhaftung im Egoismus es zulassen.
Alle die alten Institutionen und Wertungen sind heute erschüttert und im Zusammenbruch. Neues ist im Werden, hat aber noch nicht Gestalt gefunden oder tritt zunächst nur in unvollkommener, verzerrter Gestalt auf. Alles ist noch im Umbruch.
Lassen wir das Unwirkliche, das Flüchtige, und wenden wir uns allein dem Beständigen, dem Sieghaften, dem Wirklichen zu!
In dieser Zeit müssen die Bahá’i vor allen andern klar und bewußt das Wirkliche erkennen und sich vom Unwirklichen lösen. Wenn es seither genügte, daß „der brave Mensch in seinem dunklen Drange sich des rechten Weges wohl bewußt war“, so muß der Mensch der Zukunft klar, bewußt, verantwortlich und selbständig den Pfad zur Höhe beschreiten. — Es gibt ein Kinderspiel, ein rot und blau bemaltes Stück Papier, das, durch ein rotes oder blaues Cellophan betrachtet, die roten oder blauen Linien verschwinden läßt und so jeweils ein ganz anderes Bild hervorzaubert. So ist es auch, wenn das innere Auge „die andere Linse“ bekommt. Nur mit ihr wird der Reitersmann durch das Tal des Suchens finden. Das ist sehr schwer, denn immer wieder muß er sich sammeln. Zur Mittagszeit, wenn der Lärm und ein Hagel von Ablenkungen und fremden Gedanken auf ihn einstürmen, soll er dastehen und sagen dürfen ohne zu lügen: „Ich bezeuge, daß Du mich erschaffen hast, Dich zu erkennen und Dich anzubeten ...“
„Ich bezeuge“, ich lege nicht nur mit den Lippen, sondern mit meinem ganzen Leben Zeugnis davon ab. Wir sind nicht allein, wenn wir so wahrhaft beten. Mächtige Helfer umgeben uns. Aber sie können durch uns nur wirken, wenn wir ein reines Gefäß sind. Wenn wir uns nicht einbilden, aus unsrem kleinen Selbst heraus bestehen zu können, sondern aus dem heraus, was uns durchströmt und uns gegeben wird. So formt sich auch unser Gebet auf den Lippen: „Ich bekenne in diesem Augenblick meine Machtlosigkeit und Deine Macht, meine Armut und Deinen Reichtum.“
Was ist also das, was uns überhaupt noch wahrhaft zu eigen ist,
was für uns wirklich ist, inmitten des Unwirklichen der Welt, im Angesicht
vor dem, das uns erfüllen will? Das ist der gute Wille, der freie Wille. — Haben
wir wirklich einen freien Willen, und ist
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unser Wille nicht unbewußt an eine Kette von Ursache und Wirkung irdischen
Geschehens gebunden? 'Abdu'l-Bahá lehrt uns, daß der göttliche Geist
sich in folgenden Seelenkräften auswirkt: als geistiges Wahrnehmungsvermögen,
der höheren Stimme bewußt zu werden; als geistiges Unterscheidungsvermögen,
sie von dem Unwirklichen zu trennen; als geistige Urteilskraft, sie in
unsrem Erkennen voll zu erfassen und voll zu bewerten; und als
freier Wille, danach zu handeln. Er spricht über diesen freien Willen in
den „Beantworteten Fragen“, Kap. 70:
„Diese Frage berührt eines der wichtigsten und schwierigsten göttlichen Probleme...
Es gibt vieles, das dem freien Willen des Menschen untersteht, z.B. Gerechtigkeit, Unparteilichkeit, Grausamkeit und Ungerechtigkeit, wie auch alle guten und bösen Handlungen. Ohne Zweifel sind diese Handlungen in den meisten Fällen dem freien Willen des Menschen überlassen. Es gibt aber auch manches, dem der Mensch willenlos unterworfen ist, z.B. Schlaf, Tod, Krankheit, Abnahme der Kräfte, Unglück und Mißgeschick. Dies alles ist nicht dem freien Willen des Menschen überlassen, und er ist nicht dafür verantwortlich, denn er ist gezwungen, es über sich ergehen zu lassen. Aber in der Wahl von guten und bösen Handlungen hat der Mensch seinen freien Willen, und er führt sie auch aus gemäß seinem eigenen Willen.
Je nach seinem Wunsch kann der Mensch z. B. seine Zeit zum Lobe Gottes verbringen oder er kann sich mit anderen Gedanken beschäftigen. Er kann durch das Feuer der Liebe Gottes ein leuchtendes Licht und ein Wohltäter sein, der die Menschheit liebt, oder er kann die Menschheit hassen und sich mit materiellen Dingen bereichern. Er kann gerecht sein oder grausam. Diese Taten sind dem eigenen Willen des Menschen unterworfen, und folglich ist er für sie verantwortlich ...
Sowohl Ruhe als Bewegung des Menschen sind von Gottes Beistand abhängig. Ohne Gottes Beistand kann der Mensch weder Gutes noch Böses tun. Aber mit der Hilfe des großmütigen Herrn ist er fähig, sowohl Gutes als Böses zu tun; wenn jedoch die Hilfe abgeschnitten ist, ist der Mensch völlig hilflos. Darum ist in den heiligen Büchern von der Hilfe und dem Beistand Gottes die Rede. Der Zustand des Menschen gleicht dem eines Schiffes, das durch die Kraft des Windes oder des Dampfes bewegt wird; wenn diese Kraft aufhört, kann das Schiff sich nicht mehr fortbewegen. Mit dem Steuer kann das Schiff nach jeder beliebigen Richtung gelenkt werden, und für die gewünschte Richtung gibt ihm die Dampfkraft seine Bewegung ...
So empfängt auch der Mensch in allen seinen Handlungen oder in der Ruhe Kraft von der Hilfe Gottes, er hat aber die Wahl, diese Kraft zum Guten oder zum Bösen anzuwenden ...
Obgleich dem Menschen also die Wahl zwischen dem Guten und Bösen überlassen ist, ist er doch unter allen Umständen von der stützenden Hilfe des Lebens abhängig, die nur von dem Allmächtigen kommt. Das Reich Gottes ist sehr groß, und alle Wesen sind Gefangene in der Hand Seiner Macht. Der Diener kann nichts durch seinen eigenen Willen tun. Gott ist machtvoll, allmächtig und der Helfer aller Wesen...“
So wollen wir nun den Menschen, der als Wirklichstes in sich
diesen guten, freien Willen hat, begleiten auf seiner Wanderung seinem Gott
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entgegen. Er ist zu dem Zustand gelangt, wo er sicher erkennt, daß er sein
bisheriges Leben von Grund auf ändern muß, um den Sinn seines Lebens zu
erfüllen. Er empfindet mehr Glück, wenn er seiner inneren Sehnsucht
nachgeht und sich bemüht, dem göttlichen Vorbild, wie er es sich bis jetzt
vorzustellen vermag, näher zu kommen, als wenn er im alten Stile weiterlebt.
Er „verläßt sein Haus“, d.h. sein bisheriges Leben mit all seiner Behaglichkeit.
So stark ist schon sein Glaube. Er ist sich über die Richtung noch nicht
klar, aber er weiß, daß er sein Ziel nur erreichen kann, wenn er auf dem
bestmöglichen Wege sich vorwärtsbemüht. Oft überkommen ihn Zweifel und
Ermattung. Er bedarf der Überzeugung, um durchzuhalten, d.h. seine Erkenntnis
und der Wille, der daraus entspringt, müssen alles andere „über“zeugen,
also schöpferischer und fruchtbarer sein als alles andere. Dieser
Glaube ist ihm die Wirklichkeit.
In vielerlei Gestalt tritt nun das Unwirkliche an ihn heran. Auch Don Quijote z. B. war ein Sucher, auch er verließ Haus und Hof. Warum wurde er zum Narren? Weil er Jahrzehnte seines Lebens sich am Spiel der Phantasie ergötzt hatte, statt dem Alltag zu dienen und Gottes Stimme im Nächstliegenden wahrzunehmen. So konnte er schließlich nicht mehr unterscheiden zwischen dem angenehmen Unwirklichen und den harten Forderungen der Wirklichkeit, die ein Leben nach seinem Geschmack, d. h. nach seinem phantastischen Ritterideal, nicht mehr erlaubte. So verlor er die Urteilskraft und kämpfte gegen Schafherden und Windmühlen.
Viele Wanderer im Tal des Suchens irren so als fahrende Ritter und kämpfen gegen Unwirkliches, statt sich in Selbstkritik und Selbstüberwindung um die Erkenntnis des Weges zu bemühen. Denn um den Weg zu finden, genügen nicht allein die guten Taten, der Glaube, und die Loslösung vom behaglichen Hause. Auch Erkenntnis ist not. ‘Abdu’l-Bahá sagt darüber ebenfalls in den „Beantworteten Fragen“, Kap. 65:
„Im ‚Buch der Gesetze‘ heißt es: ‚Er gehört zu dem Volk des Irrtums, obwohl er alle guten Taten aufweist.‘ ... Dieser gesegnete Vers will sagen, daß die Erkenntnis Gottes die Grundlage allen Erfolges und jeder Erlösung ist, und daß die guten Taten als Früchte des Glaubens die Resultate dieser Gotteserkenntnis sind.
Wenn der Mensch diese Erkenntnis nicht besitzt, dann wird er von Gott getrennt sein, und wenn diese Trennung von Gott besteht, haben gute Taten keine vollkommene Wirkung. Mit dem Vers soll aber nicht gesagt sein, daß die von Gott getrennten Seelen alle gleich sind, einerlei, ob sie gute oder böse Taten verrichten. Seine Bedeutung ist vielmehr die, daß die Gotteserkenntnis die Grundlage bildet, und daß die guten Taten die Resultate dieser Erkenntnis sind. Aber dennoch ist es gewiß, daß zwischen den guten Menschen und den Sündern und Gottlosen, denen Gott verhüllt ist, ein Unterschied besteht. Ein Mensch z. B., dem Gott wohl verhüllt ist, der aber doch gute Grundsätze und einen guten Charakter hat, verdient die Gnade Gottes, während ein Sünder mit schlechten Eigenschaften und einem schlechten Charakter dieser Gaben und Segnungen Gottes beraubt ist. Hierin liegt der Unterschied.
Jener gesegnete Vers sagt uns also, daß gute Taten allein — ohne
Gotteserkenntnis — nicht die Ursache ewiger
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Errettung, ewigen Erfolgs und ewiger Glückseligkeit sein können und dem
Menschen nicht zum Eintritt ins Königreich Gottes verhelfen.“
So bemerkt der Wanderer immer mehr, daß die Entschlossenheit, die Entschiedenheit, zu dem, was dem Ziele näher bringt, „ja“ zu sagen, und zu dem, was von ihm entfernt, „nein“ zu sagen, für ihn das Wichtigste ist. Er muß aber wissen, wo er „Ja“ und wo er „nein“ sagt. Oft redet ihm da sein Verstand dazwischen und will ihn Wege führen, die nur seine äußeren Verhältnisse verbessern, nicht seine innere Klarheit. Oft auch wieder will ihn die natürliche Bequemlichkeit des Erdentieres zur Tatenlosigkeit und Trägheit verleiten. Der Abendländer überwertet es gerne, sein äußeres Schicksal nach seinem Geschmack zu ändern, der Orientale neigt eher dazu, sein Schicksal — das Kismet, das Karma, die Gebundenheit in Kaste oder Familie —- auch da hinzunehmen, wo das Geistige ihm ein „nein“ befiehlt.
In allen Fragen und Konflikten nun lernt der aufrichtig Suchende immer mehr, sich auf die innere Stimme zu verlassen. Dieser Stimme ist er auch gefolgt gegen Trägheit, Verstandesüberlegung und Abenteurerlust, als er — wie Bahá’u’lláh in Seinem Buch „Die sieben Täler“ erzählt - in jener Stadt zur Nachtzeit sich aus seiner Herberge auf die Straße begab, von der Stadtwache verfolgt wurde und auf seiner Flucht die unerwartete, ersehnte Begegnung mit der Geliebten fand, jenseits der Mauer, über die die Verfolger nicht gelangen konnten. Damit war er in das zweite Tal gelangt. Wieviel war in dem ersten Tal „böse“ gewesen! Fragen, Probleme, Versuchungen, die nun alle entschwunden sind. Wie unwirklich, wie nicht-existierend sind sie geworden!
Aber Neues taucht nun auf, das überwunden werden will. Ganz andersartig geschieht das nun. In diesem „Tal der Liebe“ hat eine höhere Kraft das Wesen des Menschen unwiderstehlich erfaßt, die Liebe zum Göttlichen und die Macht, die aus der göttlichen Liebe in das Geschöpf strömt. Alles andere wird dem gegenüber unwirklich, ja es kann störend werden und dadurch „böse“, denn wer zu der Begegnung mit dem Geliebten gelangt, empfindet Andersartiges als störend. Die Vernunft wird zur Dienerin dieses Erlebens, und was sie seither errungen hatte, „die Ernte der Vernunft“, „verbrennt“ vor diesem Erleben. Alles, was noch den Staub des Egoismus an sich hat, was das Wesen der selbstischen Liebe, die etwas haben will, trägt — Genuß, Gewinn, Dank, Gegenliebe —, wird verglühen und verbrennen. Was einstens Austausch, Freude, Bereicherung bedeutete, wird unwirklich vor dem Glück des selbstlosen Strahlens aus Gottes Nähe. Was vom allmächtigen Geliebten nicht geliebt wird, das wird wesenlos.
So schafft ein neues Weltbild neue Werte und neue Erkenntnisse. Und in
dem dritten Tal, dem „Tal der Erkenntnis“, kreist alles Denken und
Empfinden um das Wissen: Gottes Gedanke ist der vollkommene Mensch,
Sein Ebenbild. Was bisher aus dem unaussprechlichen Glück des
Liebens geschah, das wird jetzt auch
begründet durch das bewußte Erkennen. Und so nähert
sich der Mensch durch Läuterung des Fühlens und des Denkens einer
Stufe, in der er seinen Willen mit dem göttlichen Willen eins fühlt,
im „Tal der Einheit“.
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Auch nunmehr ist er — und besonders solange er in diesem Erdenkörper lebt - der Versuchung dessen, was nun als „böse“ an ihn herantritt, nicht enthoben. Auf keiner Stufe ist er das: selbst ein Christus wurde in der Wüste versucht und mußte in Gethsemane noch mit sich selbst ringen. Aber wie unwirklich ist alles geworden, was nicht in der Einheit ist. Wie weit liegt unter ihm, was einst so übermächtig schien! Wahrhaftig, das Reich Gottes ist inwendig in uns. Wir müssen es uns nur erschließen:
Einstens im dunklen Tal des Suchens ging der Mensch einem Lichtschimmer nach durch Nacht und Nebel und finstern Wald, und manches Irrlicht lockte ihn und suchte ihn in Sümpfe zu verleiten. Dann traf der erste Sonnenstrahl sein entzücktes Auge, und neue Kraft ward in ihm lebendig, und höher steigend erkannte er das Sonnenbeschienene und lernte es von dem im Schatten Verharrenden unterscheiden. Und immer höher steigend, war er nun dem Sonnenlichte so nahe und geeint, daß er nur Sonnenbeschienenes ringsumher schaut. Alles ist eine Einheit des Lichts. Wie könnten ihn die Fehler der Mitmenschen noch beirren, da sie doch so unwirklich sind im Vergleich zu dem Ewigen, dem Göttlichen in ihren Herzen, dem auch er in Einheit verbunden ist! Wie könnten ihn noch Haß, Neid und Wut berühren, da er sich damit ja trennen würde von dem göttlichen Strahl und trennen würde von dem göttlichen Strahl im Menschenbruder! Wie könnte er in Vorurteilen verharren, da sie das Unwirkliche für wirklich nehmen, die beschattete Seite sehen, statt der vom Sonnenstrahl berührten, vom Sonnenstrahl, der allen gemeinsam ist! Da erlebt er: diese Einheit ist das Wirkliche, sie ist das Höchste, das wirkliche Wesen der Liebe. Sie ist das Grundelement der zukünftigen Menschheit. Wie wesenlos, wie unwirklich entschwindet alles Böse, alle Nichteinheit, alles Trennende vor dieser Wirklichkeit, denn in solchem Menschen ist Wirklichkeit geworden, was Bahá’u’lláh spricht: „O Sohn der Menschheit! Der Tempel des Seins ist Mein Thron. Mache ihn rein von allem, damit Ich in ihm wohne und ruhe.“
ÄHRENLESE AUS DEN SCHRIFTEN VON BAHA’U’LLAH[Bearbeiten]
Nach der englischen Übersetzung von Shoghi Effendi (New York, Baha’i Publishing Committee 1935) ins Deutsche übertragen.
(Fortsetzung)
XLIV. Lasset die Furcht Gottes nicht außer acht, o ihr Gebildeten der Welt,
und urteilt edel über die Sache dieses Ungelehrten, für den alle Bücher Gottes,
des Beschützers, des Selbstbestehenden, gezeugt haben. ... Läßt das Entsetzen
vor dem göttlichen Mißfallen, die Furcht vor Ihm, der keinen Gefährten noch
Seinesgleichen hat, euch nicht aufwachen? Er, dem die Welt Unrecht tat, hat
sich zu keiner Zeit euch zugesellt, hat niemals eure Schriften studiert noch an
irgendeiner eurer gelehrten Streitereien teilgehabt. Das Gewand, das Er trägt,
Seine wallenden Locken, Seine Kopfbedeckung, alles bezeugt die Wahrheit
Seiner Worte. Wie lang noch wollt ihr auf eurer Ungerechtigkeit beharren?
Betrachtet die Behausung, in der zu leben Er gezwungen war, Er, der die [Seite 172]
Verkörperung der Gerechtigkeit ist. Öffnet eure Augen, schaut Seine Lage und
denkt sorgfältig über das nach, was eure Hände getan haben, damit ihr vielleicht
nicht des Lichtes Seiner göttlichen Äußerung noch eures Anteils am Meer
Seiner Erkenntnis beraubt bleibt.
Einige unter den Gemeinen und dem Adel haben geltend gemacht, daß dieser Unterdrückte weder ein Mitglied des geistlichen Standes noch ein Nachkomme des Propheten sei. Sprich: O ihr, die ihr den Anspruch erhebt, gerecht zu sein! Denkt ein wenig darüber nach und ihr werdet erkennen, wie unendlich erhaben Sein jetziger Zustand über die Stufe ist, die ihr für Ihn beansprucht. Der Wille des Allmächtigen hat verordnet, daß aus einem Hause, das völlig alles dessen ermangelt, was die Priester, die Doktoren, die Weisen und Gelehrten gemeinhin besitzen, Seine Sache hervorgehen und offenbar werden soll.
Der Hauch des Heiligen Geistes erweckte Ihn und hieß Ihn sich erheben und Seine Sache verkünden. Kaum war Er vom Schlummer erwacht, als Er Seine Stimme erhob und die ganze Menschheit vor Gott, den Herrn aller Welten, lud. Wir wurden bewogen, diese Worte der Unvollkommenheit und Schwäche der Menschen entsprechend zu enthüllen, aber die Sache, die Wir verkündet haben, ist von einer Art, daß keine Feder sie je beschreiben noch irgendein Geist ihre Größe erfassen kann. Das bezeugt Der, mit dem das Mutterbuch ist.
XLV. Die Urewige Schönheit hat eingewilligt, daß man sie in Ketten lege, damit die Menschheit aus ihrer Knechtschaft erlöst werde, und hat es hingenommen, daß man sie zum Gefangenen in dieser mächtigsten Feste machte, damit die ganze Welt wahre Freiheit erreiche. Sie hat den Kelch der Trübsal bis zur Neige gelehrt, auf daß alle Völker der Erde dauernde Freude gewinnen und von Fröhlichkeit erfüllt werden. Dies kommt von der Gnade eures Herrn, des Erbarmers, des Barmherzigsten. Wir waren es zufrieden, erniedrigt zu werden, o ihr, die ihr an die Einheit Gottes glaubt, damit ihr erhoben werdet, und Wir haben mannigfache Betrübnis erduldet, damit ihr gedeihet und wachset. Siehe, wie die, welche sich Gott als Gefährten zugesellten, Ihn, der gekommen ist, die ganze Welt neu aufzubauen, gezwungen haben, in der trostlosesten der Städte zu wohnen.
XLVI. Ich gräme Mich nicht über die Bürde Meiner Gefangenschaft. Ich härme Mich auch nicht über die Erniedrigung oder die Trübsal, die Ich in den Händen Meiner Feinde erleide. Bei Meinem Leben! Sie sind Mein Ruhm — ein Ruhm, mit dem Gott Sein Selbst geschmückt hat. Möchtet ihr es doch erkennen!
Die Schmach, die Ich ertragen mußte, hat die Herrlichkeit, mit der die ganze Schöpfung ausgestattet wurde, enthüllt, und durch die Grausamkeiten, die Ich erduldet habe, ist das Tagesgestirn der Gerechtigkeit ans Licht getreten und hat seinen Glanz über die Menschen ergossen.
Meine Betrübnis gilt denen, die sich in ihre verderbten Leidenschaften verstrickt haben und den Anspruch erheben, mit dem Glauben Gottes, des Gnädigen, des Allgepriesenen, verbunden zu sein.
Es geziemt dem Volk Bahá’s, der Welt und allem, was in ihr ist, zu sterben
und so von allem Irdischen gelöst zu sein, daß die Bewohner des Paradieses von
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Seinem Gewand den süßduftenden Hauch der Heiligkeit einatmen, alle Völker
der Erde in Seinem Antlitz den Glanz des Allbarmherzigen erkennen und
durch es die Zeichen und Beweise Gottes, des Allmächtigen, des Allweisen,
kundgetan werden. Die, welche den reinen Namen der Sache Gottes befleckt
haben, indem sie fleischlichen Dingen folgten, befinden sich in
offensichtlichem Irrtum!
XLVII. O ihr Juden! Wenn ihr darauf bedacht seid, Jesus, den Geist Gottes, noch einmal zu kreuzigen, so tötet Mich, denn Er ist euch in Meiner Person wieder geoffenbart worden. Verfahret mit Mir, wie ihr wollt, denn Ich habe gelobt, Mein Leben auf dem Pfade Gottes niederzulegen. Ich werde niemanden fürchten, ob auch die Mächte der Erde und des Himmels gegen Mich verbündet seien. Ihr Anhänger des Evangeliums! Wenn ihr den Wunsch habt, Muhammad, den Apostel Gottes, zu erschlagen, so ergreifet Mich und setzt Meinem Leben ein Ende, denn Ich bin Er und Mein Selbst ist Sein Selbst. Tut mit Mir, was ihr wollt, denn die tiefste Sehnsucht Meines Herzens ist, die Gegenwart Meines Meistgeliebten in Seinem Reiche der Herrlichkeit zu erreichen. Solches ist der göttliche Ratschluß, so ihr es erkennet. Ihr Anhänger Muhammads! Sollte es euer Wunsch sein, mit euren Pfeilen die Brust Dessen zu durchbohren, der bewirkte, daß Sein Buch, der Bayán, zu euch herabgesandt wurde, so legt Hand an Mich und verfolgt Mich, denn Ich bin Sein Vielgeliebter, die Offenbarung Seines Selbstes, wenn auch Mein Name nicht Sein Name ist. Ich bin in den Schatten der Wolken der Herrlichkeit gekommen und bin von Gott mit unüberwindlicher Herrschaft ausgestattet. Er, wahrlich, ist die Wahrheit, der Wisser unsichtbarer Dinge. Wahrlich, Ich mache Mich auf eine Behandlung von eurer Seite gefaßt, wie ihr sie Ihm angedeihen ließet, der vor Mir kam. Das bezeugen wahrlich alle Dinge - so ihr von denen seid, die hören. O Volk des Bayán! Wenn du beschlossen hast, das Blut Dessen zu vergießen, dessen Kommen der Báb verkündet, dessen Erscheinen Muhammad geweissagt und dessen Offenbarung Jesus Christus angekündet hat — so sieh Mich vor Dir stehen, willig und wehrlos. Verfahre mit Mir nach deinem Begehren.
XLVIII. Gott ist mein Zeuge! Stände es nicht im Widerspruch zu dem, was Gottes Tafeln verordnet haben — Ich würde freudig die Hände eines jeden geküßt haben, der immer versuchte, mein Blut auf dem Pfade des Vielgeliebten zu vergießen. Ich würde ihm überdies einen Teil solcher weltlicher Güter geschenkt haben, wie Gott mir zu besitzen erlaubte, selbst wenn derjenige, der diese Tat beging, den Zorn des Allmächtigen herausgefordert, Seinen Fluch auf sich geladen und verdient haben würde, durch alle Ewigkeit Gottes hin, des Allbesitzenden, des Gerechten, des Allweisen, gepeinigt zu werden.
XLIX. Wisse wahrlich, daß, wann immer dieser Jüngling die Augen Seinem Selbst zukehrt, Er dasselbe für das Unbedeutendste aller Schöpfung hält. Wenn Er hingegen den strahlenden Glanz betrachtet, den zu offenbaren Er ermächtigt wurde, siehe, so wandelt sich dieses Selbst vor Ihm in eine höchste Macht, die das Wesen alles Sichtbaren und Unsichtbaren durchdringt. Preis sei Ihm, der durch die Macht der Wahrheit die Offenbarung Seines Selbstes herabgesandt und sie mit Seiner Botschaft für die ganze Menschheit betraut hat.
L. O ihr Achtlosen, schüttelt den Schlummer der Nachlässigkeit ab und
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schauet den Glanz, den Seine Herrlichkeit über die Welt gebreitet hat. Wie
töricht sind die, welche über die Frühgeburt Seines Lichtes murren. O ihr
innerlich Blinden! Ob zu früh oder zu spät — die Beweise Seiner strahlenden
Herrlichkeit sind nun wirklich offenbar. Es geziemt euch festzustellen, ob ein
solches Licht erschienen ist oder nicht. Es lag weder in eurer Macht noch in
der meinen, die Zeit zu bestimmen, zu der es offenbar werden sollte. Gottes
unergründliche Weisheit hat seine Stunde im voraus festgesetzt. Seid zufrieden,
o Menschen, mit dem, was Gott für euch gewünscht und vorherbestimmt hat...
O ihr, die ihr mir übel wünschtet! Das Tagesgestirn ewiger Führung bezeugt
mir: Hätte es in meiner Macht gelegen, ich würde unter keinen Umständen
eingewilligt haben, mich unter den Menschen auszuzeichnen, denn der Name, den
ich trage, verachtet es aufs äußerste, sich mit diesem Geschlecht zu verbinden,
dessen Zunge befleckt und dessen Herz falsch ist. Und so oft ich es vorzog,
meinen Frieden zu halten und stille zu sein, siehe, da rüttelte die Stimme des
Heiligen Geistes, der zu meiner Rechten stand, mich auf, und der erhabenste
Geist erschien vor meinem Angesicht und Gabriel überschattete mich, und der
Geist der Herrlichkeit regte sich in meiner Brust und gebot mir, mich zu
erheben und mein Schweigen zu brechen. Wenn euer Gehör geläutert und eure
Ohren aufmerksam wären, so würdet ihr sicherlich erkennen, daß jedes Glied
meines Körpers, nein, vielmehr alle Atome meines Seins diesen Ruf verkünden
und dessen Zeuge sind: „Gott, außer dem kein Gott ist, und Er, dessen
Schönheit nun offenbar wurde, ist der Widerschein Seiner Herrlichkeit für
alle, die im Himmel und auf Erden sind.“
LI. O Volk! Ich schwöre bei dem einen, wahren Gott! Dies ist das Meer, aus dem alle Meere hervorgegangen sind und mit dem zuletzt ein jedes von ihnen vereint werden wird. Aus Ihm wurden alle Sonnen erzeugt, und zu Ihm werden sie alle zurückkehren. Durch Seine Macht haben die Bäume göttlicher Offenbarung ihre Früchte hervorgebracht, deren ein jeder in der Gestalt eines Propheten herabgesandt wurde, welcher Gottes Geschöpfen in jeder der Welten, deren Zahl Gott allein in Seiner allumfassenden Erkenntnis zählen kann, eine Botschaft zutrug. Das hat Er durch das Wirken eines einzigen Buchstabens Seines Wortes vollbracht, den Seine Feder enthüllt hat, eine Feder, die Seine weisende Hand bewegte, während Seine Hand von der Macht der Wahrheit Gottes gestützt wurde.
LII. Sprich: O Volk! Vorenthalte dir nicht selbst die Gnade Gottes und
Seine Barmherzigkeit. Wer sich ihrer beraubt, hat wahrlich schweren Verlust.
O Volk! Betest du den Staub an und wendest du dich von deinem Herrn, dem
Gnädigen, dem Allgütigen, ab? Fürchte Gott und gehöre nicht zu denen, die
untergehen. Sprich: Das Buch Gottes wurde in der Gestalt dieses Jünglings
herabgesandt. Geheiligt sei daher Gott, der ausgezeichnetste der Schöpfer!
Hütet euch wohl, o Völker der Welt, daß ihr nicht vor Seinem Antlitz flieht.
Nein, beeilt euch vielmehr, Seine Gegenwart zu erreichen und zählet zu denen,
die zu Ihm zurückkehren. Bitte, daß dir vergeben werde, o Volk, da du deine
Pflicht gegen Gott versäumtest und dich wider Seine Sache versündigtest, und
zähle nicht zu den Törichten. Er ist es, der dich erschaffen hat, Er ist es, der
deine Seele durch Seine Sache genährt und dich befähigt hat, Ihn zu erkennen,
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den Allmächtigen, den Erhabensten, den Allwissenden. Er ist es, der vor deinen
Augen die Schätze Seiner Erkenntnis enthüllt hat und dich in den Himmel
der Gewißheit aufsteigen hieß — der Gewißheit Seines unwiderstehlichen,
Seines unwiderleglichen und erhabensten Glaubens. Hüte dich, daß du dich
nicht der Gnade Gottes beraubest und deine Werke zunichte machst, und weise
die Wahrheit dieser klarsten, dieser hohen, dieser leuchtenden und herrlichen
Offenbarung nicht zurück. Beurteile die Sache Gottes, deines Schöpfers,
gerecht und betrachte das, was vom Thron der Höhe herabgesandt wurde, und
denke darüber mit arglosem und geheiligtem Herzen nach. Dann wird die
Wahrheit dieser Sache dir so offenbar erscheinen, wie die Sonne in ihrer
Mittagsherrlichkeit. Dann wirst du zu jenen zählen, die an Ihn geglaubt haben.
Sprich: Das erste und vornehmste Zeugnis, das Seine Wahrheit begründet, ist Sein eigenes Selbst. Nächst diesem Zeugnis kommt Seine Offenbarung. Für den, der versäumt hat, entweder das eine oder das andere zu erkennen, hat Er die Worte niedergelegt, die Er als Beweis Seiner Wirklichkeit und Wahrheit enthüllt hat. Dies, wahrlich, ist ein Beweis Seines zarten Erbarmens für die Menschen. Er hat jede Seele mit der Fähigkeit ausgestattet, die Zeichen Gottes zu erkennen. Wie hätte Er sonst den Menschen Seinen Beweis erbringen sollen — so ihr zu denen gehört, die Seiner Sache im Herzen nachsinnen. Er wird niemals ungerecht mit irgend jemand verfahren, noch wird Er eine Seele über ihre Kräfte belasten. Er, wahrlich, ist der Mitleidige, der Allbarmherzige.
Sprich: So groß ist die Herrlichkeit der Sache Gottes, daß selbst die Blinden sie wahrnehmen können, wie viel mehr diejenigen, deren Sehvermögen scharf, deren Blick klar ist. Obgleich die Blinden nicht imstande sind, das Licht der Sonne zu sehen, so sind sie dennoch fähig, ihre fortdauernde Wärme zu spüren. Die Blinden im Herzen unter dem Volke des Bayán vermögen indessen — und dafür ist Gott Mein Zeuge — weder den Glanz ihrer Herrlichkeit zu schauen noch die Wärme ihrer Strahlen zu würdigen, gleichviel, wie lange die Sonne auf sie scheinen mag.
Sprich: O Volk des Bayán! Wir haben dich in der Welt auserwählt, auf daß du Unser Selbst kennest und erkennest. Wir haben dich veranlaßt, dich der rechten Seite des Paradieses zu nähern, dem Ort, von dem es aus dem unauslöschlichen Feuer in mannigfacher Weise also ruft: „Es ist kein Gott außer Mir, dem Allmachtvollen, dem Höchsten!“ Hüte dich, daß du dich nicht durch einen Schleier von dieser Sonne trennen lassest, die über dem Morgendämmern des Willens deines Herrn, des Allbarmherzigen, scheint, und deren Licht alle, Groß und Klein, umschließt. Reinige deinen Blick, damit du ihre Herrlichkeit mit deinen eigenen Augen erschaust und außer deinem Selbst von keines anderen Blick abhängen mögest, denn Gott hat niemals eine Seele über ihre Kraft hinaus belastet. Also wurde es auf die Propheten und Botschafter von alters her herabgesandt und in allen Schriften verzeichnet.
Bemühe dich, o Volk, zu dieser weiten Unendlichkeit Zutritt zu erlangen,
für die Gott weder Anfang noch Ende bestimmte, in der Er Seine Stimme
erhob und über die die süßen Düfte der Heiligkeit und Herrlichkeit strömten.
Entkleide dich nicht des Gewandes der Größe, lasse dein Herz nicht des
Gedenkens deines Herrn beraubt sein, noch deine Ohren der Melodien Seiner
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wundersamen, Seiner erhabenen, Seiner allbezwingenden, Seiner klaren und
beredten Stimme.
LIII. O Nasir, o Mein Diener! Gott, die ewige Wahrheit, bezeugt Mir: Der himmlische Jüngling hat an diesem Tag über den Häuptern der Menschen den herrlichen Kelch der Unsterblichkeit erhoben und harret wartend auf Seinem Sitz, begierig, welches Auge Seine Herrlichkeit erkennen und welcher Arm sich ohne Zögern ausstrecken wird, um nach dem Becher in Seiner schneeweißen Hand zu greifen und ihn zu leeren. Nur wenige haben bisher von dieser unvergleichlichen, dieser sanftfließenden Gnade des Urewigen Königs genossen. Diese nehmen die erhabensten Wohnstätten des Paradieses ein und ruhen sicher auf den Sitzen der Vollmacht. Bei der Gerechtigkeit Gottes! Weder die Spiegel Seiner Herrlichkeit noch die Offenbarer Seiner Namen noch irgendein Erschaffenes, das war oder jemals sein wird, kann sie je überragen — so ihr zu denen gehört, die diese Wahrheit begreifen.
O Nasir! Die Vollkommenheit dieses Tages ist unendlich erhaben über dem Begreifen der Menschen, wie ausgedehnt auch ihr Wissen, wie tief auch ihr Verständnis sein mag. Wie viel mehr muß sie die Einbildungen derer übersteigen, die von ihrem Lichte abgeirrt sind und von ihrer Herrlichkeit ausgeschlossen wurden! Würdest du den schweren Schleier, der dein Auge blind macht, zerreißen, so würdest du eine Güte schauen, der nichts vom Anfang her, der keinen Anfang hat, bis zum Ende, das kein Ende hat, ähneln oder gleichen kann. Was für einer Sprache sollte Er, das Sprachrohr Gottes, sich wohl bedienen, damit jene, die wie durch einen Schleier von Ihm getrennt sind, Seine Herrlichkeit erkennen können? Die Gerechten, die Bewohner des Reiches der Höhe, sollen in Meinem Namen, dem Allherrlichen, tief vom Weine der Heiligkeit schlürfen. Keiner außer ihnen wird an solchen Wohltaten teilhaben.
LIV. Bei der Gerechtigkeit Gottes, meines Vielgeliebten! Ich habe niemals nach weltlicher Führerschaft gestrebt. Meine einzige Absicht war, den Menschen das zu überliefern, was ich von Gott, dem Gnädigen, dem Unvergleichlichen, zu übergeben geheißen ward, damit es sie von allem, was dieser Welt gehört, lösen und sie solche Höhen erreichen lassen möge, wie sie weder die Gottlosen ausdenken noch die Eigensinnigen sich vorstellen können.
LV. Rufe dir, o Land von Tá (Tihrán), jene ersten Tage ins Gedächtnis zurück,
in denen dein Herr dich zum Sitze Seines Thrones gemacht und dich
mit dem Glanze Seiner Herrlichkeit umhüllt hat. Wie groß ist die Zahl jener
geheiligten Wesen, jener Sinnbilder der Gewißheit, die in ihrer großen Liebe
für dich ihr Leben niederlegten und ihr Alles opferten um deinetwillen!
Freude sei mit dir und Glückseligkeit mit denen, die dich bewohnen! Ich
bezeuge, daß aus dir - wie jedes erkennende Herz es weiß — der lebendige Odem
Dessen kommst, der die Sehnsucht der Welt ist. In dir ist das Unsichtbare
geoffenbart und aus dir ist hervorgegangen, was vor den Augen der Menschen
verborgen lag. Welchen aus der Menge derer, die dich aufrichtig lieben, deren
Blut innerhalb deiner Tore vergossen wurde und deren Staub nun in deinem
Boden verborgen ruht, sollen Wir Uns ins Gedächtnis zurückrufen? Die süßen
Wohlgerüche Gottes sind unaufhörlich auf dich niedergeströmt und werden
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ewig über dich verströmt werden. Unsere Feder fühlt sich getrieben, die
Erinnerung an dich wach zu halten und die Opfer der Tyrannei zu preisen, jene
Männer und Frauen, die in deinem Staube schlummern.
Unter ihnen ist Unsere eigene Schwester, deren Wir nun als ein Zeichen Unserer Treue und als Beweis Unserer liebenden Güte für sie gedenken. Wie traurig war ihre Lage! In welchem Zustand der Ergebung kehrte sie zu ihrem Gott zurück! Wir allein haben es in Unserer allumfassenden Weisheit erkannt.
O Land von Tá! Du bist durch die Gnade Gottes immer noch ein Mittelpunkt, um den sich Seine Geliebten sammeln. Glücklich sind sie und glücklich ist jeder Flüchtling, der in seinen Leiden auf dem Pfade Gottes, des Herrn dieses wunderbaren Tages, Zuflucht bei dir sucht! Gesegnet sind die, welche des einen, wahren Gottes gedenken, die Seinen Namen verherrlichen und danach trachten, Seiner Sache eifrig zu dienen. Auf diese Menschen haben sich die heiligen Bücher von alters bezogen. Auf sie hat der Führer der Gläubigen sein Lob verschwendet, als Er sagte: „Die Seligkeit, die ihrer wartet, überragt die Seligkeit, die wir jetzt genießen.“ Er hat wahrlich die Wahrheit gesprochen und Wir bezeugen es nun. Die Herrlichkeit ihrer Stufe wurde indessen bis jetzt nicht enthüllt. Die Hand göttlicher Macht wird wahrlich den Schleier lüften und vor dem Blicke der Menschen entfalten, was das Auge der Welt trösten und erleuchten wird.
Zollet Gott, der ewigen Wahrheit — gepriesen sei Seine Herrlichkeit — Dank, da ihr einer so ungeheuren Gunst teilbaftig geworden und mit dem Schmuck Seines Lobes geziert worden seid. Würdigt den Wert dieser Tage und folget dem, was dieser Offenbarung ziemt. Er, wahrlich, ist der Ratgeber, der Erbarmende, der Allwissende.
LVI. Lasse dich durch nichts betrüben, o Land von Tá (Tihrán), denn Gott hat dich erwählt, daß du zur Quelle der Freude für die ganze Menschheit werdest. Er wird, wenn es Sein Wille ist, deinen Thron mit einem segnen, der in Gerechtigkeit regiert, der die Herde Gottes sammelt, die von den Wölfen zerstreut wurde. Ein solcher Herrscher wird in Frohsinn und Freude sein Antlitz dem Volke Bahá’s zuwenden und seine Gunstbeweise über es ausbreiten. Er wird in der Tat in den Augen Gottes als Kleinod unter den Menschen gelten. Auf ihm ruhe für immer die Herrlichkeit Gottes und die Herrlichkeit aller, die im Reiche Seiner Offenbarung wohnen.
Freue dich in großer Freude, denn Gott hat dich zum „Tagesanbruch Seines Lichtes“ gemacht, da in dir die Offenbarung Seiner Herrlichkeit geboren wurde. Freue dich des Namens, der dir verliehen wurde, eines Namens, durch den die Sonne der Gnade ihren Glanz verströmte, durch den beide, Erde und Himmel, erleuchtet wurden.
Binnen kurzem werden die Zustände in dir sich ändern und die Zügel der
Macht wird in die Hand des Volkes fallen. Wahrlich, dein Herr ist der
Allwissende. Seine Macht umfaßt alle Dinge. Bleibe zuversichtlich in der gnädigen
Gewogenheit deines Herrn. Das Auge Seiner göttlichen Gnade wird ewig auf
dich gerichtet sein. Der Tag ist nahe, an dem deine Erregung in Frieden, in
Stille und Ruhe gewandelt wird. Also ist es in dem wunderbaren Buch
verordnet worden.
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LVII. Wenn du aus dem Hofe Meiner Gegenwart geschieden bist, o Muhammad, so lenke deine Schritte nach Meinem Hause (Haus in Baghdád) und besuche es um deines Herrn willen. Wenn du seine Tür erreichst, so steh davor und sprich: Wohin ist die Urewige Schönheit gegangen, o größtes Haus Gottes, Er, durch den Gott dich zum Anziehungspunkt einer anbetenden Welt gemacht und dich als ein Zeichen Seines Gedenkens erklärt hat für alle, die in den Himmeln und auf Erden sind? Ach, der früheren Tage, da du zum Schemel Seiner Füße gemacht wurdest, o Haus Gottes, der Tage, da die Weise des Allerbarmers in endlosen Akkorden aus dir hervorströmte! Was wurde aus dem Kleinod, dessen Glanz die ganze Schöpfung erleuchtet hat? Wohin sind die Tage gegangen, da Er, der Urewige König, dich zum Thron Seiner Herrlichkeit gemacht, die Tage, da Er dich allein zur Lampe der Erlösung zwischen Erde und Himmel erwählt hat und dich beim Morgendämmern und zur Abendzeit die süßen Düfte des Allherrlichen verströmen hieß?
Wo, o Haus Gottes, ist die Sonne der Majestät und Macht, die dich mit dem Glanz ihrer Gegenwart umhüllte? Wo ist Er, der Tagesanbruch des gütigen Erbarmens deines Herrn, des Unbezwungenen, der Seinen Sitz in deinen Mauern errichtet hatte? Was ist es, o Thron Gottes, das dein Aussehen verändert hat und deine Grundpfeiler erzittern ließ? Was mag dein Tor vor dem Antlitz derer verschlossen haben, die dich begierig suchen? Was hat dich so öde gemacht? Könnte man dir erzählt haben, daß der Geliebte der Welt von den Schwertern Seiner Feinde verfolgt wird? Der Herr segne dich und segne deine Treue zu Ihm, weil du durch alle Seine Sorgen und Seine Leiden Sein Gefährte bliebst.
Ich bezeuge, daß du der Schauplatz Seiner höchsten Herrlichkeit, Seine heiligste Behausung bist. Aus dir hat der Odem des Allherrlichen geweht, ein Odem, der über alle erschaffenen Dinge geströmt ist und die Brust der Frommen, die in den Wohnstätten des Paradieses wohnen, mit Freude erfüllt hat. Die himmlische Versammlung und die, welche die Städte der Namen Gottes bewohnen, weinen über dich und klagen um der Dinge willen, die dich befielen.
Du bist noch immer das Sinnbild der Namen und Attribute des Allmächtigen, der Punkt, auf den die Augen des Herrn der Erde und des Himmels gerichtet sind. Dir ist widerfahren, was einst der Arche widerfuhr, in der Gott Sein Unterpfand der Sicherheit wohnen ließ. Wohl dem, der den Sinn dieser Worte erfaßt und die Absicht Dessen erkennt, der der Herr der ganzen Schöpfung ist.
Glücklich sind die, welche von dir die süßen Wohlgerüche des Barmherzigen einatmen, die deine Erhöhung anerkennen, die deine Heiligkeit schirmen, die zu allen Zeiten deine Stellung hochachten. Wir flehen zum Allmächtigen, Er möge gewähren, daß die Augen jener, die sich von dir abgewandt haben und verfehlten, dein Wort zu würdigen, geöffnet werden, damit sie dich wahrhaft erkennen und Ihn, der dich durch die Macht der Wahrheit zum Himmel erhoben hat. Blind und deiner gänzlich unachtsam sind an diesem Tage diejenigen, die um dich sind. Dein Herr ist wahrlich der Gnädige, der Vergebende.
Ich bezeuge, daß Gott durch dich die Herzen Seiner Diener geprüft hat. [Seite 179]
Gesegnet sei der Mensch, der seine Schritte zu dir lenkt und dich besucht. Wehe
ihm, der dein Recht leugnet, der sich von dir abwendet, der deinen Namen
entehrt und deine Heiligkeit entweiht.
Trauere nicht, o Haus Gottes, wenn der Schleier deiner Heiligkeit von den Ungläubigen zerrissen wird. Gott hat dich in der Welt der Schöpfung mit dem Kleinod Seines Gedenkens geschmückt. Eine solche Zierde kann kein Mensch jemals entweihen. Auf dich werden die Augen deines Herrn unter allen Umständen gerichtet bleiben. Er wird wahrlich Sein Ohr dem Gebet eines jeden neigen, der dich besucht, der dich umkreist und Ihn in deinem Namen anruft. Er ist in Wahrheit der Vergebende, der Allerbarmer.
Ich flehe dich an, o mein Gott, bei diesem Haus, das eine solche Veränderung durch seine Trennung von Dir erlitten hat, das seine Entfernung aus Deiner Gegenwart beklagt und Deine Leiden beweint, wollest mir und meinen Eltern und meiner Verwandtschaft und solchen meiner Brüder vergeben, die an Dich geglaubt haben. Gewähre, daß alle meine Bedürfnisse durch Deine Güte befriedigt werden, o Du, der Du der König der Namen bist! Du bist der Gütigste der Gütigen, der Herr aller Welten.
LVIII. Rufe dir ins Gedächtnis zurück, was Mihdi, Unserm Diener, im ersten Jahr Unserer Verbannung nach dem Land des Geheimnisses (Adrianopel) geoffenbart wurde. Ihm haben Wir vorausgesagt, was Unserm Hause (Haus in Baghdád) in kommenden Tagen zustoßen würde, damit er nicht über die Akte des Raubes und der Gewalttätigkeit bekümmert sei, die bereits an ihm verübt wurden. Wahrlich, der Herr, dein Gott, weiß alles, was in den Himmeln und auf Erden ist.
Wir haben ihm geschrieben: Dies ist nicht die erste Demütigung, die Meinem Hause widerfuhr. In vergangenen Tagen hat die Hand des Bedrückers schimpfliche Behandlung darauf gehäuft. Wahrlich, es wird in kommenden Tagen so erniedrigt werden, daß es die Tränen in jedes erkennende Auge treibt. Also haben Wir dir hinter dem Schleier verborgene Dinge enthüllt, die für alle außer Gott, dem Allmächtigen, dem Allgepriesenen, unerforschlich sind. Zur festgesetzten Zeit wird der Herr es durch die Macht der Wahrheit in den Augen aller Menschen erhöhen. Er wird es zum Richtmaß Seines Reiches machen, zum Schrein, den die Scharen der Gläubigen umkreisen. Also hat der Herr, dein Gott, gesprochen, ehe der Tag des Wehklagens kommt. Diese Offenbarung haben Wir dir in Unserm heiligen Sendschreiben übermittelt, damit du dich nicht härmst um das, was Unserm Haus durch die Angriffe der Feinde begegnet ist. Aller Ruhm sei Gott, dem Allwissenden, dem Allweisen.
LIX. Jeder vorurteilslose Beobachter wird bereitwillig zugeben, daß dieser
Unterdrückte seit der Morgendämmerung dieser Offenbarung die ganze Menschheit
aufgefordert hat, ihr Antlitz dem Tagesanbruch der Herrlichkeit zuzuwenden,
und daß Er Verführung, Haß, Unterdrückung und Bosheit verboten hat. Und dennoch,
siehe, was die Hände des Unterdrückers getan haben. Keine Feder wagt es,
seine Gewaltherrschaft zu beschreiben. Obwohl die Absicht Dessen, der die
ewige Wahrheit ist, war, allen Menschen ewiges Leben zu verleihen und ihnen
Sicherheit und Frieden zu verbürgen, bezeuge dennoch, wie
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sie sich erhoben, um das Blut Seiner Geliebten zu vergießen und sie das
Todesurteil über Ihn aussprachen.
Obwohl sie so närrisch sind, sind die Anstifter aller dieser Unterdrückung dieselben Menschen, die als die weisesten der Weisen gelten. So groß ist ihre Blindheit, daß sie Ihn, um dessen Diener an Seiner Schwelle willen die Welt erschaffen wurde, mit ungeheuchelter Unnachsichtigkeit in dieses befestigte und schmachvolle Gefängnis warfen. Der Allmächtige hat indessen, ihrer und derer, welche die Wahrheit dieser „großen Verkündigung“ zurückwiesen, nicht achtend, dieses Gefängnis in das erhabenste Paradies, in den Himmel der Himmel gewandelt.
Wir wiesen solche irdischen Wohltaten, die Uns Unserer Nöte entheben konnten, nicht zurück. Jeder Unserer Gefährten wird Uns aber bezeugen, daß Unser heiliger Hof über solche irdischen Wohltaten geheiligt ist und weit über ihnen steht. Wir haben dennoch, während Wir in diesem Gefängnis eingekerkert waren, die Dinge angenommen, welche die Ungläubigen Uns entziehen wollten. Wenn ein Mensch sich willens findet, in Unserem Namen ein Gebäude aus reinem Gold oder Silber oder ein mit Steinen von unschätzbarem Wert geziertes Haus zu errichten, so wird ein solcher Wunsch ohne Zweifel erfüllt werden. Er, wahrlich, tut, was Er will und verordnet, was Ihm gefällt. Ferner ward allen jenen Erlaubnis erteilt, die wünschen mögen, durch die Länge und Breite dieses Landes hin prächtige und großartige Bauten aufzuführen, und die an den Jordan und seine Nachbarschaft grenzenden reichen und heiligen Gebiete der Anbetung und dem Dienste des einen wahren Gottes — gepriesen sei Seine Herrlichkeit - zu widmen, damit die durch die Feder des Höchsten in den heiligen Schriften aufgezeichneten Prophezeiungen erfüllt werden und das, was Gott, der Herr aller Welten, in dieser erhabensten, dieser heiligsten, dieser mächtigen und wunderbaren Offenbarung beabsichtigt hat, offenbar werde.
(Fortsetzung folgt)
GÖTTLICHE LEBENSKUNST[Bearbeiten]
Aus dem Englischen übertragen
(Fortsetzung)
Er ist der Barmherzige, der Allgütige! Du siehst mich, Du kennst mich.
Du bist mein Hafen und meine Zuflucht. Ich habe keinen gesucht und
will auch keinen suchen außer Dir. Ich habe keinen Pfad betreten und
will auch keinen betreten als den Pfad Deiner Liebe. In der dunklen Nacht
der Verzweiflung wendet sich mein Auge erwartend und voll Hoffnung dem
Morgen Deiner grenzenlosen Gunst zu, und zur Stunde der Morgendämmerung
wird meine matte Seele erfrischt und gestärkt im Gedanken an Deine
Schönheit und Vollkommenheit. Der, dem die Gnade Deines Erbarmens hilft,
wird, und wäre er auch nur ein Tropfen, zu einem endlosen
Meer werden. Und das bloße Atom wird dank dem Ausströmen Deiner
liebenden Güte leuchten wie ein strahlender Stern.
Birg unter Deinem Schutz, o Du Geist der Reinheit, Du, der Du der
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allgütige Versorger bist, diesen Deinen unterworfenen und entflammten
Diener. Hilf ihm, in dieser Welt des Daseins standhaft und fest in Deiner
Liebe zu bleiben, und gib, daß dieser Vogel mit gebrochenem Flügel in
Deinem göttlichen Nest, das auf dem himmlischen Baume ruht, Schutz und
Zuflucht finde. (26)
10. KAPITEL: RECHTSCHAFFENHEIT UND REINHEIT
Taten sind stärker als Worte
Du hast recht, wenn du sagst, daß ‘Abdu’l-Bahá die Taten ansieht und nicht die Worte, so wie Christus auch sprach: „An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen!“ (1)
Die Gefährten Gottes sind heute der Sauerteig, der die Völker der Welt durchdringen muß. Sie müssen sich so zuverlässig, so wahrhaft, so standhaft erweisen, so edel sein und handeln, daß die ganze Menschheit sich an ihnen ein Beispiel nehmen kann... Selbst im Atem solcher reiner und geheiligter Seelen liegen weitreichende Kräfte verborgen. Diese Kräfte sind so groß, daß sie ihren Einfluß auf alles Geschaffene ausüben. (2)
O Heer Gottes! Unter dem Schutz und der Hilfe, die der gesegneten Schönheit verliehen sind, sollt ihr euch so betragen, daß ihr vornehm und leuchtend wie die Sonne unter deren Seelen emporragt. Wenn einer von euch in eine Stadt kommt, so sollte er durch seine Aufrichtigkeit, seine Lauterkeit und Liebe, seine Ehrlichkeit und Treue, seine Wahrheilsliebe und Güte gegenüber allen zu einem Brennpunkt der Anziehungskraft für alle Welt werden, so daß die Menschen dieser Stadt ausrufen und sprechen: „Dieser Mann ist unzweifelhaft ein Bahá’i, denn sein Wesen, seine Haltung, sein Betragen, seine Sitten, seine Natur und seine Stimmung spiegeln die Eigenschaften der Bahá’i wider.“ (3)
Hüte dich, o Volk von Bahá, auf den Pfaden derer zu wandeln, deren Worte anders sind als ihre Taten. Strebe darnach, daß du fähig werdest, den Bewohnern der Erde die Zeichen Gottes zu künden und Seine Gebote widerzuspiegeln. Deine Taten sollen Wegzeiger sein für die gesamte Menschheit, denn das Lippenbekenntnis der meisten Menschen, ob hoch oder gering, ist anders als ihr Lebenswandel. Nur durch deine Taten kannst du dich von jenen unterscheiden. Wahrlich, eine edle Wesensart ist der köstlichste Mantel aus Gottes Hand. Er schmückt damit den Tempel derer, die Er liebt. Bei Meinem Leben! Das Licht einer edlen Wesensart übertrifft das Licht der Sonne und ihren Strahlenglanz.
Einer gerechten Tat wohnen Mächte inne, die den Staub so zu erhöhen vermögen, daß er höher fliegt als der Himmel der Himmel. Sie können alle Bande zerreißen und verausgabte, dahingeschwundene Kräfte zurückrufen. ... Sei lauter, o Volk Gottes, sei rein und rechtschaffen, rechtschaffen. (4)
Ehrlichkeit
Wahrhaftigkeit ist der Grundstein aller menschlichen Tugenden. Ohne
Wahrhaftigkeit ist in allen Gotteswelten weder Fortschritt noch Erfolg für
irgendeine Seele möglich. Wenn einmal dieses heilige Merkmal dem Menschen
eingepflanzt ist, dann wird er auch alle anderen göttlichen Eigenschaften
erwerben. (5)
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Lebe und handle mit größter Wahrhaftigkeit, Rechtschaffenheit, Keuschheit, Redlichkeit, Reinheit, Lauterkeit, Gerechtigkeit und Unparteilichkeit. Falls jedoch — was Gott verhüten möge — jemand das geringste anvertraute Pfand veruntreuen sollte oder nachlässig und saumselig in der Ausübung einer ihm übertragenen Pflicht wäre oder durch Druck einen Pfennig der Erpressung den Untertanen abnehmen oder seine eigenen selbstsüchtigen Zwecke und Ziele verfolgen sollte, so wird er des Segens des Allmächtigen verlustig gehen! Hütet euch, hütet euch, daß ihr nicht fehlet in dem, was euch in diesem Tablet befohlen wird. (6)
Wahrhaftigkeit und Höflichkeit seien eure Zier. Lasset euch nicht des Kleides der Nachsicht und Gerechtigkeit berauben, damit die süßen Wohlgerüche der Heiligkeit aus euren Herzen über alles Erschaffene wehen mögen. (7)
Wenn die ganze Erde in Silber und Gold verwandelt würde, so würde doch kein Mensch, von dem gesagt werden kann, daß er wahrhaft in den Himmel des Glaubens und der Gewißheit aufgestiegen sei, dessen achten oder gar darnach greifen... Wer im Heiligtum Gottes wohnt und auf dem Sitze ewiger Seligkeit bestätigt ist, wird — und wenn er Hunger sterben sollte — sich weigern, seine Hand auszustrecken, um sich in unrechtmäßiger Weise den Besitz seines Nachbarn anzueignen, so nichtig und unwert dieser auch sein möge, (8)
Gerechtigkeit und Unparteilichkeit
Verwandle Verrat in Vertrauen, Verleumdung in brüderlichen Rat, Bedrückung in Gerechtigkeit, Gedankenlosigkeit in ständiges Gottgedenken. (9)
Seid gerecht gegen euch selbst und gegen andere, auf daß eure Taten unter unseren getreuen Dienern zum Zeugnis der Gerechtigkeit werden. Unparteilichkeit ist die grundlegendste unter den menschlichen Tugenden. Die Wertung aller Dinge hängt zwangsläufig von ihr ab... Ihr Männer mit verstehendem Herzen, seid unparteiisch in eurem Urteil! Wer ungerecht ist in seinem Urteil, entbehrt der Eigenschaften, die einen Mann von Rang auszeichnen. (10)
Gerechtigkeit ist die Leuchte der Menschheit, lasse sie nicht verlöschen durch die widrigen Winde der Bedrückung und Tyrannei. Zweck der Gerechtigkeit ist es, Einigkeit unter den Menschen zu erreichen. (11)
Wisse, fürwahr, daß die großen Drangsale, die über die Welt gekommen sind, sie auf das Kommen des größten Richters vorbereiten. (12)
Die Sonne der Gerechtigkeit ist über dem Horizont von Bahá’u’lláh aufgegangen, denn in Seinen Tablets sind die Grundlagen einer (solchen) Gerechtigkeit gelegt, wie sie seit Anbeginn der Schöpfung noch kein Geist erdacht hat. (13)
Reinheit
Befreiet euch von aller Verkettung an diese Welt und ihre Nichtigkeiten.
Hütet euch davor, ihnen auch nur nahe zu kommen, denn sie verleiten
euch dazu, euren Gelüsten und Begierden zu folgen und hindern euch am
Betreten des geraden und herrlichen Pfades... Wer seinen Begierden und
entarteten Neigungen folgt, ist abgeirrt und hat seine Kräfte vergeudet.
[Seite 183]
Solche (Menschen) sind wahrlich verloren. (14)
O Freunde! Ziehet euer Wohlgefallen nicht Meinem Wohlgefallen vor, noch wünschet jemals, was Ich nicht für euch wünsche. Nahet Mir nicht mit leblosem Herzen, befleckt von nichtigen Hoffnungen und Begierden. (15)
Gesegnet bist du und wirst noch mehr gesegnet sein, wenn dein Fuß stark und dein Herz still ist durch den Duft Seines Heiligen Geistes und wenn deine geheimen und verborgenen Gedanken rein sind vor dem Herrn der Heerscharen. (16)
Die von hervorragenden gelehrten Vertretern der Kunst und Wissenschaft so oft gerühmte Zivilisation wird, wenn man zuläßt, daß sie die Grenzen der Mäßigung überspringt, großes Unheil über die Menschheit bringen... Bis zum Äußersten vorangetrieben, wird sie ein ebenso ergiebiger Quell des Unheils sein, wie sie ein Quell der Wohltaten gewesen war, solange sie in den Grenzen der Mäßigung gehalten ward... Er hat aus der ganzen Welt die Herzen Seiner Diener sich erwählt und ein jedes davon zum Sitz Seiner Herrlichkeit gemacht. Hütet sie daher vor jeglicher Besudelung, damit das, wofür sie erschaffen wurden, ihnen eingeprägt werden möge. (17)
O du Wesen der Leidenschaft! Du mußt die Habsucht aufgeben und genügsam sein. Denn der Gierige ist immer ausgeschlossen und der Genügsame geliebt und aufgenommen worden. (18)
Wer seinen weltlichen Begierden folgt, oder sein Herz an die Dinge dieser Welt hängt, kann nicht zu dem Volk von Bahá gezählt werden. Wer aber in ein Tal voll puren Goldes kommt und ungerührt hindurchschreitet, fern, wie eine Wolke, ohne zurück zu blicken oder stehen zu bleiben, der ist Mein wahrer Anhänger. Der ist wahrlich Mein Mann!... Und wenn er die holdeste und schönste der Frauen sähe, ohne daß sein Herz auch nur durch den Schatten eines Verlangens nach ihrer Schönheit verführt werde, der ist wahrlich ein Geschöpf von makelloser Keuschheit.
Die den hehren Namen der Sache Gottes befleckten, indem sie fleischlichen Gelüsten nachgaben, befinden sich in greifbarem Irrtum! Reinheit und Keuschheit waren immer die höchste Zier der Dienerinnen Gottes und sind es noch.... Das strahlende Licht der Keuschheit erhellt mit seinem Leuchten die Welten des Geistes. (19)
Das Weintrinken ist... die Ursache chronischer Erkrankungen, es schwächt die Nerven und verzehrt das Gemüt... (20)
Hütet euch davor, den Strom des wahren Lebens gegen das zu vertauschen, was denen verhaßt ist, die reinen Herzens sind. Werdet trunken vom Wein der Liebe Gottes, nicht aber von dem, der eure Gemüter abtötet, o ihr, die ihr Ihn anbetet! (21)
DER VERHEISSENE TAG IST GEKOMMEN[Bearbeiten]
Von Shoghi Effendi
(Fortsetzung)
Die Stimme ‘Abdu’l-Bahá’s, des Mittelpunktes des Gottesbündnisses,
hat sich gleicherweise erhoben und das gräßliche Unheil verkündet, das bald
nach Seinem Hinscheiden die geistliche Herrschaft des sunnitischen und
[Seite 184]
schiitischen Islam befallen sollte. „Diese Herrlichkeit“, hat Er geschrieben,
„wird sich in die verworfenste Erniedrigung verwandeln, und dieser Pomp
und diese Macht werden sich zur völligsten Unterjochung kehren. Ihre Paläste
werden in Gefängnisse umgewandelt werden, und die Bahn ihres hochstrahlenden
Gestirns wird in den Tiefen des Abgrundes enden. Gelächter und Fröhlichkeit
werden dahinschwinden, nein noch mehr, ihre Klagestimme wird sich erheben.“
„Wie der Schnee in der Julisonne“, so hat Er des weiteren geschrieben,
„werden sie dahinschmelzen.“
Die Auflösung der Einrichtung des Kalifats, die vollständige Verweltlichung des Staates, der die erhabenste Einrichtung des Islam beherbergt hat, und der tatsächliche Zusammenbruch der schiitischen Priesterherrschaft in Persien — das waren die sichtbaren und unmittelbaren Folgen der Behandlung, die der Gottessache durch die Geistlichkeit der beiden größten Gemeinschaften der mohammedanischen Welt zugemessen worden war.
Das sinkende Glück des schiitischen Islam.
Laßt uns zuerst die Heimsuchungen betrachten, welche das sinkende Glück des schiitischen Islam gekennzeichnet haben. Die zu Beginn dieser Zeilen zusammengefaßten Missetaten, wofür die schiitische Kirchenordnung Persiens in erster Linie verantwortlich zu machen ist, Missetaten, die nach den Worten Bahá’u’lláh’s „den Apostel (Muhammad) wehklagen und die Reine (Fátimih) aufschreien“ und „alle erschaffenen Dinge stöhnen und die Glieder der Heiligen zittern ließen“, Missetaten, welche die Brust des Báb mit Kugeln durchlöcherten und Bahá’u’lláh niederbeugten und Sein Haar bleichten und Ihn vor Qual aufseufzen und Muhammad über Ihn weinen und Jesus Sich ans Haupt schlagen und den Báb Seinen Zustand beklagen ließen — solche Missetaten konnten und durften wahrlich nicht ungestraft bleiben. Gott, der grimmigste der Ahnder, wachte und gelobte, „keines Menschen Ungerechtigkeit zu vergeben“. Die Rute Seiner Züchtigung, rasch, plötzlich und schrecklich, sauste endlich auf die Ausüber dieser Missetaten herab.
Eine Umwälzung, furchtbar in ihren Ausmaßen, weitreichend in ihrer Rückwirkung, erstaunlich durch das Fehlen von Blutvergießen und sogar von Gewalttätigkeiten, wie es ihren Verlauf kennzeichnete, forderte auch diesen Vorrang der Geistlichkeit heraus, der seit Jahrhunderten das Wesentliche des Islam in diesem Lande gewesen war, und stürzte tatsächlich eine Kirchenherrschaft, mit welcher das Räderwerk des Staates und das Leben des Volkes unauflöslich verwoben waren. Eine solche Umwälzung ließ nicht die Aufhebung der Staatskirche erkennen. Sie bedeutete vielmehr das Zerbersten dessen, was sozusagen ein Kirchenstaat gewesen war — ein Staat, der, sogar bis zum Augenblick seines Verlöschens, hoffnungsvoll die frohe Ankunft des verborgenen Imám erwartete, der dann nicht nur die Zügel der Amtsgewalt des Schah, der obersten Behörde, die ihn nur vertrat, ergreifen, sondern sogar die Herrschaft über die ganze Erde übernehmen sollte.
Der Geist, den diese kirchliche Ordnung ein ganzes Jahrhundert lang so
hartnäckig zu unterdrücken bestrebt war, der Glaube, den sie mit wilder
Roheit auszurotten gewagt hatte,
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waren jetzt ihrerseits daran, durch die Gewalten, die sie in der Welt erzeugt
hatten, das Gleichgewicht dieser selben Ordnung, deren Verzweigungen
sich in jede Sphäre, Pflicht und lebenswichtige Handlung in jenem Lande
ausgedehnt hatten, zu stören und ihre Kraft zu unterhöhlen. Der Felsenwall
des Islam, scheinbar unüberwindlich, war nun in seinen Grundlagen
erschüttert und wankte, gerade vor den Augen der verfolgten Anhänger des
Glaubens Bahá’u’lláh’s, seinem Zusammenbruch entgegen. Eine Priesterherrschaft,
die den Glauben Gottes so lange in ihren Krallen gehalten hatte
und einmal ihn sogar tödlich niedergestreckt zu haben schien, ward jetzt
selbst zur Beute einer überlegenen Zivilbehörde, deren feste Politik es
war, stetig und erbarmungslos ihre Drähte um sie zu spinnen.
Das weite System jener Kirchenherrschaft, mit allen ihren Bestandteilen und Zubehören - ihrem Shaykhu’l-Islám (Hohenpriester), ihren Mujtahids (Doktoren der Gesetze), ihren Mullás (Priester), ihren Juqah’as (Juristen), ihren Imamen (Vorbeter), ihren Mu’azzins (Gebetsrufer), ihren Vu’azz (Prediger), ihren Qadis (Richter), ihren Mutavallis (Hüter), ihren Madrisih (Seminare), ihren Mudarissins (Lehrer), ihren Tullábs (Schüler), ihren Qurrás (Vorsänger),ihren Mu’abbirins (Wahrsager), ihren Muhaddithins (Erzähler), ihren Musakhkhirins (Geisterbeschwörer), ihren Dhákirins (Erinnerer), ihren ’Ummál-i-dhakát (Almosengeber), ihren Muqaddasins (Heilige), ihren Munzavi (Einsiedler), ihren Sufi, ihren Derwischen und was sonst noch alles — war gelähmt und gänzlich in Mißkredit gebracht. Ihre Mujtahids, jene Aufwiegler, die Macht über Leben und Tod hatten, und denen ganze Geschlechter lang Ehren fast königlicher Art gewährt worden waren, wurden auf eine kläglich unbedeutende Zahl herabgesetzt. Die turbantragenden Prälaten der islamischen Kirche, die nach den Worten Bahá’u’lláh’s „ihre Häupter mit Grün und Weiß bedeckten und verübten, was den gläubigen Geist seufzen ließ“, wurden unbarmherzig weggefegt, mit Ausnahme einer Handvoll, die, um sich gegen das Wüten eines gottlosen Pöbels zu schützen, jetzt gezwungen sind, sich der Demütigung zu unterziehen, immer, wenn die Gelegenheit es erfordert, von der ihnen von den Zivilbehörden gewährten Erlaubnis Gebrauch zu machen, dieses dahinschwindende Sinnbild einer verschwundenen Würde zu tragen. Der Rest dieser turbantragenden Klasse, ob Siyyid, Mullá oder Háji, wurden gezwungen, nicht nur ihre ehrwürdige Kopfbedeckung mit dem Kuláh-i-farangi (europäischen Hut) zu vertauschen, den sie selbst nicht lange zuvor verflucht hatten, sondern sogar ihre fließenden Gewänder abzulegen und die engsitzenden Anzüge europäischen Schnittes anzuziehen, deren Einführung in ihrem Lande sie vor einem Menschengeschlecht so heftig verworfen hatten.
„Die dunkelblauen und weißen Dome“ — eine Anspielung ‘Abdu’l-Bahá’s auf den rundlichen, massigen Kopfschmuck der Priester Persiens — sind wahrlich „umgestülpt“ worden. Jene, deren Häupter sie getragen, die anmaßenden, fanatischen, treulosen und rückschrittlichen Geistlichen, „in deren Machtgriff“, wie durch Bahá’u’lláh bezeugt, „die Zügel des Volkes lagen“, deren „Worte der Stolz der Welt sind“, und deren „Taten die Schmach der Völker sind“, erkannten die {page|186|file=Sonne_der_Wahrheit_Jg_19_Nr_11-12.pdf|page=28}} Erbärmlichkeit ihrer Lage und zogen sich niedergeschlagen und aller Hoffnungen bar in ihre Häuser zurück, um dort ein jämmerliches Dasein dahinzuschleppen. Machtlos und mürrisch beobachten sie den Ablauf eines Geschehens, das ihre Politik umgestürzt und ihre Schöpfung zerstört hatte und nun unwiderstehlich dem Gipfel zustrebt.
Der Pomp und Prunk dieser Kirchenfürsten des Islam ist schon
ausgestorben. Ihr fanatisches Geschrei, ihre lärmenden Gebetsrufe, ihre
geräuschvollen Kundgebungen sind verstummt. Ihre Fatvá (Lehrsätze), einst
mit solcher Schamlosigkeit verkündet und zeitweise die Anklage gegen
Könige enthaltend, sind tote Buchstaben. Das Schauspiel von Versammlungsgebeten,
woran Tausende Andächtiger in Reihen aufgestellt teilnahmen, ist
verschwunden. Die Kanzeln, von denen aus sie den Donner ihrer Verfluchungen
gegen Mächtige und Unschuldige zugleich entluden, sind verlassen
und still. Ihre Waqf, diese unschätzbaren und weithin verbreiteten
Stiftungen, der Landbesitz des erwarteten Imám, die in Isfahan allein
seinerzeit die große Masse der Stadt umfaßten, sind ihren Händen entwunden
und unter die Aufsicht einer Laienverwaltung gestellt worden. Ihre Madrisih
(Seminare) mit ihrem mittelalterlichen Schulwissen sind verlassen und
verfallen. Die unzähligen Bände theologischer Auslegungen, Nachkommentare,
Randbemerkungen und Anmerkungen, unleserlich, unnütz, Erzeugnisse
irregeleiteter Begabung und Mühe, von einem der erleuchtesten Denker des
Islam in neuerer Zeit als Werke bezeichnet, die das gesunde Erkennen
verdunkeln, eine Madenbrut des Feuers wert, sind nun mit Spinnweb
überzogen, vergraben und vergessen. Ihre abgeschmackten Abhandlungen,
ihre heftigen Wortgefechte, ihre endlosen Auseinandersetzungen sind
außer Mode und aufgegeben. Ihre Moscheen und Imám-Zádihs (Heiligengräber),
welche durch das Vorrecht, das Bast (Tempelasyl) auf mancherlei
Verbrecher auszudehnen, zu einem ungeheuren Skandal ausgeartet waren,
deren Wände von den Gesängen einer heuchlerischen und ruchlosen Geistlichkeit
widerhallten und deren Schmuckwerke mit den Schätzen der Königspaläste
wetteiferten, sind verlassen oder verfallen. Ihre Takyihs, die
Schlupfwinkel der faulen, untätigen und beschaulichen Pietisten, sind
verkauft oder geschlossen worden. Ihre mit barbarischem Eifer gespielten
und durch plötzliches Aufzucken ungezügelter religiöser Erregung
gesteigerten Ta’ziykhs (religiöse Spiele) sind verboten. Sogar ihre
Rawdih-Khánis (Klagegesänge) mit ihrem langhingezogenen Klageheulen, die
von so vielen Häusern aufstiegen, werden gekürzt und abgelehnt. Die
geheiligten Pilgerfahrten nach Najaf und Karbilá, den heiligsten
Grabstätten der schiitischen Welt, sind an Zahl zurückgegangen und immer
mehr erschwert worden, wodurch mancher habgierige Mullá verhindert wird, in
seinem altehrwürdigen Gewande auf doppelte Forderungen auszugehen dafür,
daß er solche Pilgerfahrten in Vertretung Religiösgesinnter unternahm.
Die Abschaffung der Schleiertracht, die zu verhindern die Mullá mit
Zähnen und Nägeln fochten, die Gleichberechtigung der Geschlechter, die ihr
Gesetz verbot, die Errichtung ziviler Gerichte, die ihre geistlichen Gerichte
ersetzten, die Abschaffung des Sighih (Konkubinat), das, wenn auf kurzen
[Seite 187]
Zeitraum geschlossen, kaum von einer Art Prostitution zu unterscheiden ist
und das aus dem stürmischen und fanatischen Mashhad, dem nationalen
Wallfahrtsmittelpunkt, eine der sittenlosesten Städte Asiens machte, und
endlich die Anstrengungen, die gemacht werden, um das Arabische, die heilige
Sprache des Islam und des Koran, herabzusetzen und es vom Persischen zu
trennen — all dies hat nacheinander seinen Teil zu der Beschleunigung dieses
unaufhaltsamen Geschehens beigetragen, das den Zivilbehörden den
Rang und die Vorteile der mohammedanischen Geistlichen in einem von
keinem Mullá erträumten Grade untergeordnet hat.
Wohl mag der einst hochbeturbante, langbärtige,strengblickende Aqá (Mullá), der so unverschämt sich um jegliches Gebiet menschlicher Tätigkeit bekümmert hatte, wenn er nun dasitzt, hutlos, glattrasiert, in der Abgeschlossenheit seines Hauses, vielleicht den Tönen westlicher Musik lauschend, die über die Ätherwellen seines Heimatlandes schmettern, innehalten, um eine Weile an den verblaßten Glanz seines dahingestorbenen Reiches zu denken. Wohl mag er über die Verheerung nachsinnen, welche die aufsteigende Flut des Nationalismus und Skeptizismus in den diamantharten Überlieferungen seines Landes geschaffen hat. Wohl mag er die heiteren Tage sich zurückrufen, da er auf einem Esel durch die Bazare und Maydane seiner Heimatstadt paradierte und eine wilde, aber betrogene Menge herbeistürzte, um nicht nur seine Hände zu küssen, sondern sogar den Schwanz des Tieres, das er ritt. Wohl mag er des blinden Eifers gedenken, womit sie seinen Weihehandlungen Beifall zuriefen und den Zeichen und Wundern, die sie deren Verrichtung beilegten.
Er mag sogar noch weiter zurückschauen und sich die Regierung jener frommen safawitischen Monarchen zurückrufen, die sich gerne „Hunde an der Schwelle der makellosen Imáme“ nannten, und bei dem Bilde verweilen, wie einer jener Könige sich bewogen fühlte, vor dem Mujtahid, der über den Maydán-i-Sháh, den Hauptplatz Isfahans, ritt, zu Fuß einherzugehen als Zeichen königlicher Unterwürfigkeit vor dem bevorzugten Minister des verborgenen Imám, einem Minister, der zum Unterschied von dem Schah-Titel sich als „Diener des Herrn der Herrlichkeit“ (Imám ‘Ali) bezeichnete.
War es nicht, so mag er wohl erwägen, eben dieser Schah ‘Abbás der
Große, der von einem anderen Mujtahid anmaßend als „Begründer eines
entliehenen Reiches“ angeredet wurde, wobei damit ausgedrückt sein sollte,
daß das Reich des „Königs der Könige“ in Wirklichkeit dem erwarteten Imam
gehörte und von dem Schah lediglich in der Eigenschaft eines zeitweiligen
Treuhänders verwaltet wurde? War es nicht derselbe Schah, der die ganze
Entfernung von achthundert Meilen von Isfahan nach Mashad, dem „besonderen
Ruhme der schiitischen Welt“ zu Fuß wanderte, um seine Gebete in
der einzigen, nur einem Schah-in-Schah geziemenden Weise am Grabe
des Imám Ridá darzubringen, und der die tausend Kerzen, die dessen Höfe
schmückten, putzte? War nicht Schah Tahmasp beim Empfang eines von
einem anderen Mujtahid geschriebenen Sendschreibens auf die Füße gesprungen,
hatte es an die Augen gedrückt, vor Entzücken geküßt und, weil er mit
„Bruder“ angeredet worden
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war, befohlen, es in sein Leichentuch zu legen und mit ihm zu begraben?
Mag nicht derselbe Mullá auch an die Ströme von Blut denken, welche all die langen Jahre, da er sich eines straflosen Lebens erfreute, auf sein Geheiß flossen, an die flammenden Verfluchungen, die er ausgestoßen, an das große Heer von Waisen und Witwen, an die Enterbten, Entehrten, Entblößten und Heimatlosen, die am Tage der Vergeltung einstimmig nach Rache schreien und Gottes Fluch über ihn herabrufen würden?
Diese verruchte Schar hatte tatsächlich die Erniedrigung verdient, in die sie hinabgesunken war. Hartnäckig den Schicksalsspruch übersehend, den der Finger Bahá’u’lláh’s an die Wand gezeichnet hatte, folgten sie fast hundert Jahre lang ihrem verhängnisvollen Lauf, bis zur festgesetzten Stunde ihnen die Totenglocken geläutet werden von den umwälzenden Geisteskräften, die gleichzeitig mit dem ersten Dämmern der Weltordnung Seines Glaubens das Gleichgewicht ins Wanken bringen, und die alten Einrichtungen der Menschheit in solche Verwirrung stürzen sollten.
Der Zusammenbruch des Kalifates
Diese selben Kräfte haben, in einem gleichgerichteten Felde wirkend, eine noch bemerkenswertere und gründlichere Umwälzung zustande gebracht, die in dem Zusammenbruch und Sturz des mohammedanischen Kalifates gipfelte, der mächtigsten Einrichtung der ganzen Welt des Islam. Diesem Ereignis von unheilverkündender Bedeutung folgte noch dazu eine förmliche und endgültige Trennung dessen, was in der Türkei an sunnitischem Glauben übrig geblieben war, vom Staate und die völlige Verweltlichung der Republik, die sich auf den Ruinen des theokratischen ottomanischen Reiches erhoben hat. Zur Betrachtung dieses katastrophalen Falles, der die Welt des Islam betäubte, und der offen erklärten, bedingungslosen und förmlichen Trennung zwischen der geistlichen und weltlichen Macht, welche die Umwälzung in der Türkei von der in Persien eingetretenen unterschied, will ich nunmehr schreiben.
Der sunnitische Islam hat, nicht nur durch das Eingreifen einer ausländischen Macht, die in das Land einfiel, sondern von seiten eines den Glauben Muhammads ausdrücklich bekennenden Diktators, einen schmerzlicheren Schlag erlitten als jenen, der fast gleichzeitig auf sein Schwesterbekenntnis in Persien fiel. Dieser Vergeltungsakt gegen den Erzfeind des Glaubens Bahá’u’lláh’s ruft ein ähnliches, durch das Vergehen eines römischen Kaisers gegen Ende des ersten Jahrhunderts christlicher Zeitrechnung beschleunigtes Unheil in Erinnerung - ein Unheil, das den Tempel Salomons von Grund auf zerstörte, das Allerheiligste vernichtete, die Stadt Davids verwüstete, die jüdische Priesterherrschaft in Jerusalem entwurzelte, Tausende des jüdischen Volkes, des Verfolgers der Religion Jesu Christi, hinschlachtete, den Überrest über die Erde zerstreute und eine heidnische Kolonie auf Zion errichtete.
Der Kalif, der sich selbst zum Stellvertreter des Propheten des Islam
ernannt hatte, übte eine geistige Oberherrschaft aus und war mit einer
geheiligten Würde bekleidet, wie sie der Schah von Persien weder beanspruchte
noch besaß. Es sollte auch nicht vergessen werden, daß der Bereich seiner
geistlichen Rechtsprechung sich auf Länder weit jenseits der Grenzen
[Seite 189]
seines eigenen Reiches ausdehnte und die überwältigende Mehrheit der Moslem
in der ganzen Welt umfaßte. Er wurde außerdem in seiner Eigenschaft
als der Vertreter des Propheten auf Erden, als Beschützer der heiligen
Städte Mekka und Medina betrachtet, als Verteidiger und Verbreiter des
Islam und als Befehlshaber seiner Anhänger in einem heiligen Krieg, der
vielleicht ausgerufen werden mochte.
Eine so mächtige, erhabene und geheiligte Persönlichkeit wurde mit der Abschaffung des Sultanats in der Türkei zugleich jener weltlichen Amtsgewalt entkleidet, welche die Vertreter der sunnitischen Schule als notwendigen Begleitumstand dieses hohen Amtes betrachtet haben. Das Schwert, das Sinnbild weltlicher Oberherrschaft, wurde so den Händen des Befehlshabers entwunden, der für eine kurze Zeit eine so ungewöhnliche und widerrufliche Stellung innehaben dürfte. Bald wurde jedoch in der sunnitischen Welt, die vorher nicht im geringsten um Rat gefragt worden war, ausposaunt, daß das Kalifat selbst nun ausgelöscht worden war und daß das Land, welches es als Anhängsel an sein Sultanat mehr als vierhundert Jahre lang übernommen hatte, es nunmehr für immer abgestoßen hatte. Die Türken, welche seit dem arabischen Niedergang die kriegerischen Führer der mohammedanischen Welt gewesen waren und die Fahne des Islam bis vor die Tore Wiens, des Herrschersitzes von Europas erster Macht, getragen hatten, waren nun von ihrer Führerschaft zurückgetreten. Der Exkalif, seines königlichen Pomps entkleidet, der Sinnbilder seiner Stellvertreterschaft entblößt und von Freund und Feind gleicherweise verlassen, war gezwungen, aus Konstantinopel, dem stolzen Sitz einer Doppelherrschaft, in das Land der Ungläubigen zu fliehen und sich dem gleichen Leben in der Verbannung zu ergeben, zu dem eine Anzahl anderer Herrscher gleichfalls verdammt worden waren und noch werden.
Auch ist es der sunnitischen Welt trotz entschiedener Anstrengungen nicht gelungen, jemand an seiner Statt zu bestimmen, der, wenn auch des Schwertes des Befehlshabers beraubt, noch als Wächter des Mantels und der Fahne des Gottgesandten, der beiden heiligen Sinnbilder des Kalifates, auftreten würde. Konferenzen wurden abgehalten, Diskussionen geführt, ein Kalifatskongreß wurde in der ägyptischen Hauptstadt, der Stadt der Fatimiden, einberufen — nur um mit dem weithin bekanntgegebenen und öffentlichen Bekenntnisse seines Scheiterns zu enden: „Man hat sich darin geeinigt, sich nicht zu einigen.“
Seltsam, unglaublich seltsam muß die Stellung dieses mächtigsten islamischen Glaubenszweiges erscheinen: ohne ein äußerlich sichtbares Haupt, um seinen Gefühlen und Überzeugungen Ausdruck zu verleihen, seine Einheit unwiederbringlich erschüttert, sein Glanz verdüstert, sein Gesetz untergraben, seine Einrichtungen in hoffnungslose Verwirrung gestürzt. Diese Institution, welche die unveräußerlichen, von Gott verordneten Rechte der Imame des Glaubens Muhammads herausgefordert hatte, war nun nach Verlauf von dreizehn Jahrhunderten wie Rauch dahingeschwunden, eine Institution, die so erbarmungslose Schläge einem Glauben erteilt hatte, dessen Herold selbst ein Nachkomme der Imame, der gesetzmäßigen Nachfolger des Gesandten Gottes war.
AUS DER BAHA’I-WELT[Bearbeiten]
Der Weltreligionstag 1950
wurde durch den GR Karlsruhe zum Anlaß genommen, an die Vertreter der beiden großen christlichen Kirchen heranzutreten, um sie durch eine erstmalig gemeinsam gestaltete Feierstunde für die Bildung einer Arbeitsgemeinschaft der Religionen zu interessieren.
Die Besprechungen mit einem evangelischen und einem katholischen Geistlichen wurden schon frühzeitig geführt, und hierbei erwies sich, daß aufrichtige Bereitschaft für das Mitarbeiten an einem solchen gemeinsamen Vorhaben vorhanden ist. Die mit der schon bestehenden katholisch-evangelischen Arbeitsgemeinschaft geführten Besprechungen zeigten jedoch, daß hier der Ehrgeiz, eigene Ideen zu verwirklichen, eine Beteiligung an einem Gemeinschaftswerk der Religionen nicht zustandekommen ließ. Die zwischen dem 15. Januar und den Vorbesprechungen liegende Weihnachtszeit hatte die Weiterführung der Programmbesprechungen sehr erschwert. Wir mußten uns deswegen darauf beschränken, nur einen Vertreter einer christlichen Kirche als Gastredner in unserem Kreis zu haben.
Es erwies sich, daß diese Beschränkung auf nur einen Vortragenden aber eine Bereicherung für den am Samstag, dem 14. Januar, durchgeführten Abend bedeutete. Herr Pfarrer Kappes, ein evangelischer Geistlicher, sprach im Rahmen unserer Feierstunde anläßlich des Weltreligionstages über das Thema „Zeitgeist und universales Menschentum“. In seiner Einleitung erzählte der Vortragende zunächst, wie er die Bahái’i-Lehre kennengelernt hatte. Er berichtete, daß er während seiner Exilzeit in Palästina in den Bahá’i-Gärten am Berge Karmel dem Wesen der Offenbarung Bahá’u’lláhs näher gekommen sei, und wie er dort mit einem Angehörigen der Heiligen Familie Vorträge über die verschiedenen Religionen gemeinsam veranstaltet habe.
Vor dem Vortrag von Herrn Pfarrer Kappes waren Worte aller Offenbarer, von Krishna bis Bahá’u’lláh vorgelesen worden. Der Vortragende knüpfte an diese an und entwickelte vor den faszinierten Zuhörern ein eindrucksvolles Bild von dem umfassenden Plan Gottes in der Welt. In seiner Definition vom Zeitgeist, welchen er den die Zeit gestaltenden Geist nannte, setzte er diesen Gott gleich und kam so von einer ganz anderen Seite als wir es bisher kannten zu dem von Gott durchgeistigten Zyklus der Menschheit. Von den wohl fast 200 Zuhörern waren sicherlich viele zum erstenmal zu einer Veranstaltung der Bahá’i gekommen. Es gab wohl keinen unter ihnen, dem das Wesen der fortschreitenden Gottesoffenbarung nicht aufdämmerte, obwohl dieser Begriff nicht als solcher erwähnt wurde. Die Tatsache, daß hier ein protestantischer Geistlicher das Wesen der umfassenden Gottesoffenbarung so voll anerkennend darstellte, ohne auch nur einen Zoll von der Heiligen Lehre Christi abzuweichen, beeindruckte auch diejenigen, welche mit großer Skepsis gekommen waren. So auch den Vertreter der Presse. Die Badischen Neuesten Nachrichten hatten es abgelehnt, den von uns eingesandten Artikel zu bringen. Unserer Einladung Folge leistend, hatten sie aber einen Berichter zum Abend geschickt, welcher über den Vortrag von Pfarrer Kappes voll des Lobes war, obwohl er außer in der Erwähnung dessen, daß der Geistige Rat der Bahá’i der Veranstalter war, von Bahá’i nichts schrieb.
Der Abend war umrahmt von vollendet vorgetragener Klaviermusik von Johann Sebastian Bach. Der auch außerhalb Karlsruhes bekannte hervorragende Pianist, Prof. Georg Mantel, hatte sich hierzu bereit gefunden und mit seiner Kunst dazu beigetragen, daß dieser Abend zum ersten Weltreligionstag für alle Teilnehmer zu einem tiefen Erlebnis wurde.
Die wirklich geistvolle Atmosphäre dieser Veranstaltung hatte die Anwesenden so belebt und beschwingt, daß sich der Vortragende, Herr Pfarrer Kappes, und der Musikinterpret, Prof. Mantel, ebenso wie der Hausmeister des Gebäudes, in welchem sich der Saal befindet, in gleicher Weise herzlich, ja überströmend herzlich für dieses Erleben bedankten.
Mit großer Dankbarkeit empfinden wir es, daß der Weltreligionstag uns in unserer Stadt einen großen Schritt vorwärts gebracht hat und wir freuen uns schon jetzt auf den des nächsten Jahres.
R.G.K.
QUELLENANGABE FÜR „GÖTTLICHE LEBENSKUNST“[Bearbeiten]
1 Advent of Divine Justice
2 Verborgene Worte aus dem Arabischen (Bahá’u’lláh)
3 Esslemont, Bahá’u’lláh und das Neue Zeitalter
4 Bahá’i Prayers
5 Bahá’i-Scriptures
6 Bahá’i-World
7 Bahá’i-World Faith
8 Episode of the Báb
9 Brief an den Sohn des Wolfes (Bahá’u’lláh)
10 Gleanings from the Writings of Bahá’u’lláh (Ährenlese)
11 Kitab-i-Iqan (Bahá’u’lláh) Ausgabe in Englisch
12 Mysterious Forces of Civilization
13 Prayers and Meditations (Bahá’u’lláh)
14 Verborgene Worte aus dem Persischen (Bahá’u’lláh)
15 Promulgation of Universal Peace (‘Abdu’l-Bahá)
16 Beantwortete Fragen (‘Abdu’l-Bahá)
17 Star of the West
18 Tablets of ‘Abdu’l-Bahá
19 Tablets of Bahá’u’lláh
20 Wisdom of ‘Abdu’l-Bahá
21 World Order of Bahá’u’lláh
22 World Order Magazine
Kap. 5: Die Macht des Heiligen Geistes
1. = 16 S. 165/166. 2. = 20 S. 51/53. 3. = 16 S. 146. 4. = 15 S. 282. 5. = 15 S. 243/244. 6. = 15 S. 271. 7. = 20 S. 153/154. 8. = 18 S. 193. 9. = 18 S. 343. 10 = 18 S. 705. 11. = 18 S. 274. 12. = 18 S. 601. 13. = 7 S. 369,
Kap. 6: Glaube und Gewißheit
1. = 21 S. 109. 2. = 13 S. 323. 3. = 18 S. 549. 4. = 10 S. 86/87. 5. = Hebr. 11. 6. = 11 S. 222/224. 7. = 7 S. 141. 8. = 10 S. 141. 9. = 21 S. 107. 10. = 15 S. 331. 11. = 18 S. 71. 12. = 18 S. 82. 13. = 4 Ausg. 1941 S. 32. 14. = 10 S. 143. 15. = 18 S. 168. 16. = 11 S. 195/196. 10 S. 267. 17. = 18 S. 166. 18. = 18 S. 234. 19 = 10 S. 105/106. 20. = 19 S. 75.
Kap. 7: Heilung und Gesundheit
1. = 18 S. 587. 2. = 3 S. 131. 3. = 16 S. 296/298. 4. = 16 S. 294/295. 5. = 20 S. 100. 6 = 20 S. 15. 7. = 20 S. 16. 8 = 18 S. 628/629. 9. = 15 S. 241/242. 10. = 3 S. 137/138. 11. = 3 S. 127. 12. = 18 S. 581/582, 585. 13. = 1 S. 27. 14. = 18 S. 309. 15. = 18 S. 305/306. 16. = 3 S. 133. 17. = 17 Bd. 8, S. 232. 18. = dasselbe. 19. = 18 S. 185/186. 20. = 18 S. 207.
Kap. 8: Praktische Anwendung des Geistigen Lebens
1. = 15 S. 51/52. 2. = 12 S. 29. 3. = 19 S. 25. 4. = 9 S. 26. 5 = 18 S. 61. 6. = 18 S. 162. 7. = 18 S. 658. 8. = 18 S. 511. 9 = 7 S. 383. 10. = 18 S. 579/580. 11. = 3 S. 188. 12. = 22 Bd. 19, S. 199. 13. = 18 S. 588. 14. = 19 S. 76. 15 = 7 S. 376/378. 16. = 19 S. 5. 17. = 20 S. 164. 18. = 7 S. 141. 19. = 14 Nr. 82. 20. = 7 S. 374/375. 21. = 14. Nr. 53. 22. = 7 S. 130/131. 23. = 4 Ausg. 1941 S. 58. 24. = 14 Nr. 54. 25. = 12 S. 31. 26. = 11 S. 194. 27. = 17 Bd. 6, S. 139. 28. = 5 S. 88. 29. = 15 S. 50. 30. = 7 S. 141. 31. = 14 Nr 56. 32. = 9 S. 50. 33. = 17 Bd. 8, S. 26. 34. = 7 S. 40. 35. = 9 S. 136.
Kap. 9: Loslösung und Aufopferung
1. = 6 Bd. 4, S. 384. 2. = 14 Nr. 40. 3. = 14 Nr. 32. 4. = 14 Nr. 31. 5. = 6 Bd.1, S. 42. 6.= 7 S. 140. 7. = 11 S. 193/195. 8 = 7 S. 141. 9. = 10 S. 276. 10. = 19 S. 86. 11. = 19 S. 89. 12. = 18 S. 244. 13. = 18 S. 354. 14. = 18 S. 65. 15. = 15 S. 143. 16. = 18 S. 552. 17 = 10 S. 85/86. 18. = 8 S. 113/115. 19. = 2 Nr. 59. 20. = 14 Nr. 39. 21. = 14 Nr. 11. 22. = 7 S. 384. 23. = 10 S. 328/329. 24. = 18 S. 51/52. 25. = 13 S. 318. 26. = 22 Bd. 9, S. 161.
Kap. 10: Rechtschaffenheit und Reinheit
1. = 18 S. 311. 2. = 1 S. 19. 3. = 1 S. 21. 4. = 1 S. 21, 20. 5. = 7 S. 384. 6. = 1 S. 403/404. 7. = 10 S. 305. 8 = 1 S. 19/20. 9. = 7 S. 43. 10. = 1 S. 20. 11. = 1 S. 23. 12 = 1 S. 23. 13. = 1 S. 24. 14. = 1 S. 26/27. 15 = 14 Nr. 19. 16. = 18 5. 704. 17. = 1 S. 26. 18. = 14 Nr. 50. 19. = 1 S. 26/27. 20 = 1 S. 27. 21. = 1 S. 27.
Berichtigung
Im Heft 3, 19. Jahrgang, Seite 10, Zeile 22 von oben, lautet es richtig: „... Diese Horte der Heiligkeit“ und nicht „...Diese Worte der Heiligkeit.“
Die Schriftleitung
INHALTSÜBERSICHT FÜR DEN JAHRGANG XIX (1948/50)[Bearbeiten]
Bahá’u’lláh
Worte . . . . . 1(1948), 13, 33, 65, 97, 112, 124, 161
Das Lied vom Feuer . . . . . 2 (1948)
Ährenlese . . . . . 5 (1948), 12, 46, 74, 109, 143, 171
Christus
Worte aus den Evangelien . . . . . 92, 125
'Abdu'l-Bahá
Göttliche Lebenskunst, Zusammenfassung von Mabel Hyde Paine . . . . . 14 (1948), 17, 51, 83, 113, 148, 180
Quellenangabe für „Göttliche Lebenskunst . . . . . 25 (1948), 191
Worte . . . . . 65, 124
Gebet . . . . . 129
Shoghi Effendi
Der verheißene Tag ist gekommen . . . . . 25 (1948), 21, 53, 88, 118, 153, 183
Aufsätze und Artikel
Der Weg zur neuen Weltordnung. Dr. A. Mühlschlegel . . . . . 36 (1948)
Erfüllte Prophezeiungen. Elisabeth H. Cheney . . . . . 43 (1948)
Mystik und ihre Bedeutung. Prof. G. A. Shook . . . . . 53 (1948)
Die Wiederkunft Christi. 0. Geldreich . . . . . 1
Weltfrieden durch Weltordnung. Prof. Dr. Hans Peter . . . . . 34
Ein Weltgemeinwesen. Prof. G. A.Shook . . . . . 66
Das Wort. Günther Heyd . . . . . 98
Einheit zwischen Wissenschaft und Religion. Prof. G. A. Shook . . . . . 130
„Die Bahá’i.“ Betrachtungen zu einem Buh. 0. G. . . . . . 155
Die Nichtexistenz des Bösen. Dr. A. Mühlschlegel . . . . . 162
Gedichte
Güte. O.G. . . . . . 93
Liebe. O.G. . . . . . 153
Übersicht zur Umschrift einiger orientalischer Ausdrücke. Dr. A. M. . . . . . 58(1948)
Aus der Bahá’i-Welt
Über unser Verhältnis zu den Vereinten Nationen (Briefwechsel und Arbeitsberiht) . . . . . 61 (1948)
Berichte . . . . . 63 (1948), 59
Der Bahá’i-Kalender . . . . . 64 (1948)
Eine Bahá’i-Erklärung der Menschenpflichten und -rechte . . . . . 28
Neues Bahá’i-Schrifttum . . . . . 32
Bahá’i-Sommerschulen 1948 von
- A.Gerdes und I. Berndt . . . . . 60
- von E. Sch. . . . . . 93
Erwiderung zu einem Artikel
- „Friedensidee und Vereinsmeierei“ von F.K. . . . . . 96
Die 2. Europäische Bahá’i-Lehrkonferenz in Brüssel vom 5. bis 7. August 1949 von H.G. . . . . . 126
Der Weltreligionstag 1950 von R. G. K. . . . . . 190
DAS VORRECHT DER JUGEND...
Wir legen dieser Nummer eine kleine Druckschrift bei, die für den „BAHA’I-JUGENDBRIEF“ wirbt. Die deutsche Bahá’i-Jugend ist dabei, sich in dieser Zeitschrift ein Organ zu schaffen, das sich an alle wendet, die sich jung fühlen und am Aufbau einer neuen, einigen Welt mitarbeiten wollen.
Die Schriftleitung
Herausgeber: Der Nationale Geistige Rat der Bahá’i in Deutschland und Österreich, e. V.,
Stuttgart. Verantwortlich für die Herausgabe: Paul Gollmer, Stuttgart O, Neckarstraße 127.
In der „Sonne der Wahrheit“ finden nur solche Manuskripte Veröffentlichung, bezüglich
deren Weiterverbreitung keine Vorbehalte gemacht werden. — Alle auf den Inhalt der Zeitschrift
bezüglichen Anfragen, ferner schriftliche Beiträge, Besprechungsexemplare wie auch
alle die Schriftleitung betreffenden Zuschriften sind an Dr. Eugen Schmidt, Stuttgart N,
Menzelstr. 24, zu senden. — Abonnementbestellungen sowie Zahlungen sind an die Geschäftsstelle
der „Sonne der Wahrheit“, Paul Gollmer, Stuttgart O, Neckarstraße 127, Postscheckkonto Stuttgart
Nr. 35 768, zu richten.
Druck von J. Fink KG., Stuttgart N — Januar-Februar 1950
Veröffentlicht unter Lizenz US-W-Nr. 6871 der Nachrichtenkontrolle der Militärregierung.
diesem Tage wirkt, letzten Endes diesen Zustand herbeizuführen fähig ist. Noch mehr: Der Bahá’i-Glaube legt seinen Anhängern vor allem die Pflicht des ungehemmten Suchens nach Wahrheit auf, verwirft alle Arten von Vorurteil und Aberglauben und erklärt, daß der Zweck der Religion die Förderung von Freundschaft und Eintracht sei; er verkündet in wesentlichen Fragen ihr Zusammengehen mit der Wissenschaft und erkennt sie als die größte Kraft der Befriedigung und des geregelten Fortschrittes der Menschheit. Er hält ohne Zweideutigkeit den Grundsatz gleicher Rechte, gleicher Möglichkeiten und Vorrechte für Männer und Frauen hoch, besteht auf guter Erziehung als Pflicht, tilgt die Extreme von Armut und Reichtum aus, schafft die Einrichtungen eines Priesterstandes ab, verbietet Sklaverei, Askese, Bettelei und Mönchtum und schreibt Einehe vor, mißbilligt Scheidung, betont die Notwendigkeit festen Gehorsams zur Regierung, erhöht jede Arbeit, die im Geiste des Dienens getan wird, auf den Rang des Gottesdienstes, drängt auf die Schaffung oder Auswahl einer Welthilfssprache und gibt einen Umriß für die Einrichtungen, welche den Weltfrieden begründen und dauerhaft machen sollen.
Der Herold
Der Bahá’i-Glaube kreist um drei Hauptgestalten, deren erste ein Jüngling aus Schiras namens Mirzá ‘Ali Muhammád war, bekannt als der Báb (das Tor). Er erhob im Mai 1844, im Alter von 25 Jahren den Anspruch, der Herold Dessen zu sein, der nach den Heiligen Schriften früherer Offenbarungen den Einen, der größer ist als Er selbst, verkünden und den Weg für Sein Kommen bereiten soll. Seine Sendung sei, nach eben diesen Schriften, eine Ära des Friedens und der Gerechtigkeit einzuleiten, die als die Vollendung aller früheren Sendungen begrüßt würde, um einen neuen Zyklus in der Religionsgeschichte der Menschheit einzuleiten. Rasch setzte strenge Verfolgung ein, die von den organisierten Mächten der Kirche und des Staates Seines Geburtslandes ausging und schließlich zu Seiner Gefangenschaft, Verbannung und zu Seiner Hinrichtung im Juli 1850 in Täbris führten. Nicht weniger als 20000 Seiner Anhänger wurden in so barbarischer Grausamkeit hingemordet, daß sie das warme Mitgefühl und die unbegrenzte Bewunderung abendländischer Schriftsteller, Diplomaten, Reisender und Gelehrter hervorrief.
Bahá’u’lláh
Mirzá Husayn - ‘Ali, genannt Bahá’u’lláh (die Herrlichkeit Gottes), aus der Provinz Mázindarán stammend, dessen Kommen der Báb verkündet hatte, wurde von diesen gleichen Mächten der Dummheit und des Fanatismus angegriffen, in Teheran eingekerkert, 1852 aus Seinem Heimatland nach Bagdad verbannt und von dort nach Konstantinopel und Adrianopel und schließlich in die Gefängnisstadt Akka, wo Er nicht weniger als 24 Jahre noch gefangengehalten wurde. Unweit davon starb Er im Jahre 1892. In der Zeit seiner Verbannung, vor allem in Adrianopel und in Akka, gab Er den Gesetzen und Vorschriften Seiner Sendung Ausdruck und erklärte in mehr als hundert Bänden die Grundsätze Seines Glaubens, verkündete Seine Botschaft den Königen und Herrschern des Ostens und des Westens, Christen sowohl wie Mohammedanern.
‘Abdu’l-Bahá
Sein ältester Sohn, ‘Abbás Effendi, bekannt als ‘Abdu’l-Bahá (Diener Bahá’s), war von Bahá’u’lláh zu dessen gesetzlichem Nachfolger und bevollmächtigtem Ausleger Seiner Lehren ernannt worden. Er war seit Seiner frühesten Kindheit Seinem Vater eng verbunden und teilte dessen Verbannung und Leiden. Er blieb ein Gefangener bis 1908, wo Er in Auswirkung der jungtürkischen Revolution aus der Haft entlassen wurde. Nunmehr verlegte Er Seinen Wohnsitz nach Haifa, schiffte sich dann bald zu einer drei Jahre langen Reise nach Ägypten, Europa und Nordamerika ein, in deren Verlauf Er vor einer zahlreichen Hörerschaft die Lehren Seines Vaters auslegte und das Nahen der Katastrophe voraussagte, die bald darauf die Menschheit überfallen sollte. Er kehrte nach Hause zurück am Vorabend des ersten Weltkrieges, in dessen Verlauf Er dauernd Gefahren ausgesetzt war bis zur Befreiung Palästinas.
1921 verließ Er diese Welt. Er wurde in dem auf dem Berge Karmel errichteten Grabmal beigesetzt, das nach dem Gebot Bahá’u’lláh’s für die sterblichen Reste des Báb errichtet war.
Die Verwaltungsordnung
Das Hinscheiden 'Abdu'l-Bahá’s bedeutete das Ende des heroischen Zeitalters des Bahá’i-Glaubens und bezeichnete zugleich den Beginn des gestaltgebenden Zeitalters, das den schrittweisen Aufstieg der Verwaltungsordnung des Glaubens schaffen soll. Ihre Errichtung war von dem Báb vorhergesagt, ihre Gesetze wurden von Bahá’u’lláh geoffenbart, ihre Umrisse wurden von 'Abdu'l-Bahá in Seinem Willen und Testament vorgezeichnet.
Die Verwaltungsordnung des Glaubens von Bahá’u’lláh ist dazu bestimmt, sich zu einem
Bahá’i-Weltgemeinwesen zu entwickeln. Sie hat schon die Angriffe überdauert, die solche
furchtbaren Feinde wie die Könige der Kadscharen-Dynastie, die Kalifen des Islam, die führenden
Geistlichen Ägyptens und das Naziregime in Deutschland gegen ihre Einrichtungen gerichtet
hatten, und hat ihre Zweige in alle Teile der Erde ausgedehnt, von Island bis zum äußersten
Chile. Sie hat in ihren Bereichen die Vertreter von nicht weniger als 31 Rassen, darunter
Christen verschiedener Bekenntnisse, Muselmänner der
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sunnitischen und schiitischen Sekten, Juden, Hindu, Sikhs, Zoroastrer und Buddhisten. Sie hat
durch ihre festgesetzten Organe Bahá’i-Schriften in 48 Sprachen veröffentlicht und verbreitet.
Diese Verwaltungsordnung ist, im Unterschied von den anderen Systemen, die sich nach dem Tode der Gründer in den verschiedenen Religionen entwickelt haben, göttlich in ihrem Ursprung, beruht mit Gewißheit auf den Gesetzen, Vorschriften, Verordnungen und Einrichtungen, die vom Begründer des Glaubens selbst ausdrücklich niedergelegt und unzweideutig festgesetzt sind und waltet in fester Übereinstimmung mit den Auslegungen der bevollmächtigten Ausleger der heiligen Texte.
Der Glaube, dem diese Ordnung dient, den sie schützt und fördert, ist, das sollte in diesem Zusammenhang wohl bemerkt werden, in seinem Wesen übernatürlich, übernational, gänzlich unpolitisch, parteilos und jedem System oder jeder Schule von Ideen, die irgendeine besondere Rasse, Klasse oder Nation über die andere zu stellen sucht, völlig entgegengesetzt. Er ist frei von jeglicher Form von Kirchentum, hat weder Priesterstand noch Riten und wird allein durch freiwillige Gaben seiner erklärten Anhänger getragen.
Wenn auch die Bekenner des Bahá’i-Glaubens ihren Regierungen treu ergeben sind, in Liebe ihrem Vaterland verbunden und darauf bedacht, zu allen Zeiten dessen Wohl zu fördern, so werden sie doch, weil sie die Menschheit als eine Einheit betrachten und deren Lebensinteressen tief verpflichtet sind, ohne Zögern jedes Einzelwohl, sei es persönlich, örtlich oder national, dem übergeordneten Wohl der Menschheit als Ganzes unterordnen; denn sie wissen gar wohl, daß in einer Welt der gegenseitigen Abhängigkeit der Völker und Nationen der Vorteil des Teiles am besten durch den Vorteil des Ganzen erreicht werden kann, und daß kein Dauererfolg durch eines der zugehörigen Teile erreicht werden kann, wenn das Allgemeinwohl des Ganzen hintangestellt wird.
- Shoghi Effendi
Die zwölf Grundsätze der Bahá’i-Weltreligion
1. Die gesamte Menschheit muß als Einheit betrachtet werden.
2. Alle Menschen sollen die Wahrheit selbständig erforschen.
3. Alle Religionen haben eine gemeinsame Grundlage.
4. Die Religion muß die Ursache der Einigkeit und Eintracht unter den Menschen sein.
5. Die Religion muß mit Wissenschaft und Vernunft übereinstimmen.
6. Mann und Frau haben gleiche Rechte.
7. Vorurteile jeglicher Art müssen abgelegt werden.
8. Der Weltfrieden muß verwirklicht werden.
9. Beide Geschlechter sollen die beste geistige und sittliche Bildung und Erziehung erfahren.
10. Die sozialen Fragen müssen gelöst werden.
11. Es muß eine Einheitssprache und eine Einheitsschrift eingeführt werden.
12. Es muß ein Weltschiedsgerichtshof eingesetzt werden.