Sonne der Wahrheit/Jahrgang 19/Heft 1-2/Text

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SONNE
DER
WAHRHEIT
 
 
Zeitschrift für Weltreligion und Welteinheit
Organ der Bahá’í
in Deutschland und Oesterreich
 
 
Heft 1/2 19. Jahrgang März/April 1948
 



[Seite 0] Die Bahá’i-Weltreligion


Der Glaube, der von Bahá’u’lláh begründet wurde, entstand in Persien um die Mitte des neunzehnten Jahrhunderts. Nach längerer Verbannung des Gründers, zuletzt nach der türkischen Strafkolonie von Akka, und späterhin nach Seinem Tod und Seiner Beisetzung in Akka, hat der Glaube sein endgültiges Zentrum im Heiligen Land gefunden und ist jetzt im Begriff, die Grundlagen seines Verwaltungszentrums für die ganze Welt in der Stadt Haifa aufzubauen.

Wenn man seinen Anspruch, wie er unmißverständlich durch seinen Begründer verfochten wurde, und die Art des Wachstums der Bahá’i-Gemeinde in allen Teilen der Welt betrachtet, so kann dieser Glaube nicht anders angesehen werden als eine Weltreligion, die dazu bestimmt ist, sich im Laufe der Zeiten in ein weltumfassendes Gemeinwesen zu entwickeln. Dessen Kommen muß das goldene Zeitalter der Menschheit ankündigen, das Zeitalter, das die Einheit des Menschengeschlechtes unerschütterlich begründet, seine Reife erreicht und seine Bestimmung durch die Geburt und das Errichten einer alles umfassenden Zivilisation erfüllen wird.


Neue Darlegung ewiger Wahrheiten

Obwohl dem schiitischen Islam entsprungen und in den ersten Entwicklungsphasen von den Anhängern des mohammedanischen und des christlichen Glaubens nur als eine obskure Sekte, ein asiatischer Kult oder ein Ableger der mohammedanischen Religion betrachtet, beweist dieser Glaube nunmehr in wachsendem Maße sein Anrecht auf eine andere Beurteilung als nur die eines weiteren religiösen Systems, das den sich bekämpfenden Glaubensbekenntnissen, die so viele Geschlechter lang die Menschheit zerspalten und ihre Wohlfahrt verwüstet haben, sich zugesellt hat. Vielmehr ist er eine neue Darlegung der ewigen Wahrheiten, die allen Religionen der Vergangenheit zugrunde liegen, und eine einigende Macht, die den Anhängern dieser Religion einen neuen geistigen Elan einflößt, eine neue Hoffnung und Liebe zur Menschheit und sie durch eine neue Vision befeuert, die der grundsätzlichen Einheit der religiösen Lehren, und vor ihren Augen die herrliche Berufung ausbreitet, die dem Menschengeschlecht winkt.

Die Anhänger dieses Glaubens stehen fest zu dem grundlegenden Prinzip, wie es von Bahá’u’lláh verkündet worden ist, daß religiöse Wahrheit nicht absolut, sondern relativ ist, daß Gottesoffenbarung ein fortdauerndes und fortschreitendes Geschehnis ist, daß alle großen Religionen der Welt göttlich in ihrem Ursprung sind, daß ihre Grundsätze zueinander in völligem Einklang stehen, daß ihre Ziele und Absichten eine und dieselben sind, daß ihre Lehren nur Widerspiegelungen der einen Wahrheit sind, daß ihr Wirken sich ergänzt, daß sie sich nur in unwesentlichen Teilen ihrer Lehren unterscheiden und daß ihre Sendungen aufeinanderfolgende geistige Entwicklungsstufen der Menschheit darstellen.


Zur Versöhnung der sich streitenden Bekenntnisse

Die Ziele Bahá’u’lláh’s, des Propheten dieses neuen und großen Zeitalters, in das die Menschheit eingetreten ist — denn Sein Kommen erfüllt die Prophezeiungen des Neuen und Alten Testamentes wie auch des Koran, die sich auf das Erscheinen des Verheißenen am Ende der Zeiten, am Tage des Gerichtes beziehen — sind nicht die Zerstörung, sondern die Erfüllung der Offenbarungen der Vergangenheit und viel mehr die Versöhnung als die Betonung der Gegensätze der sich streitenden Glaubensbekenntnisse, welche die heutige Menschheit noch zerreißen.

Er ist weit davon entfernt, die Stufe der Ihm vorausgegangenen Propheten herabsetzen oder ihre Lehren schmälern zu wollen. Vielmehr will Er die Grundwahrheiten, die in allen diesen Lehren beschlossen sind, in einer Weise aufs neue darlegen, wie sie den Nöten der Menschheit entsprechen und auf ihre Fassungskraft abgestimmt sind und auf die Fragen, Leiden und Verwirrungen der Zeit, in der wir leben, angewendet werden können.

Seine Sendung ist: zu verkünden, daß die Zeiten der Kindheit und Unreife des Menschengeschlechtes dahin sind, daß die Erschütterungen; der heutigen Stufe der Jugend langsam und schmerzvoll sie zur Stufe der Reife vorbereiten und das Nahen jener Zeit der Zeiten verkünden, da die Schwerter in Pflugscharen umgewandelt werden und das von Jesus Christus verheißene Reich begründet wird und der Friede auf diesem Planeten endgültig und dauernd gesichert ist. Auch stellt Bahá’u’lláh nicht den Anspruch auf Endgültigkeit Seiner eigenen Offenbarung, sondern erklärt vielmehr ausdrücklich, daß ein volleres Maß der Wahrheit, als Ihm von dem Allmächtigen für die Menschheit in einem so kritischen Zeitpunkt gestattet wurde, in den späteren Phasen der endlos weiterschreitenden Menschheitsentwicklung enthüllt werden muß.


Einheit des Menschengeschlechtes

Der Bahá’i-Glaube hält die Einheit Gottes hoch, anerkennt die Einheit Seiner Propheten und betont vor allem den Grundsatz der Einheit und Ganzheit aller Menschenrassen. Er verkündet, daß die Einigung der Menschen notwendig und unvermeidbar ist, hebt hervor, daß wir uns ihr schrittweise nähern und stellt die These auf, daß nichts anderes als der verwandelnde Geist Gottes, der durch Sein erwähltes Sprachrohr an



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SONNE DER WAHRHEIT
Zeitschrift für Weltreligion und Welteinheit
Heft 1/2
Preis vierteljährlich DM 1.80
MÄRZ/APRIL 1948
Bahá · Jalál (105)
Licht · Herrlichkeit
19. JAHRGANG
Leitgedanken: Einheit der Menschheit - Universaler Friede - Universale Religion

Inhalt: Das Lied vom Feuer - Ährenlese - Göttliche Lebenskunst - Der verheißene Tag ist gekommen - Der Weg zur neuen Weltordnung - Erfüllte Prophezeiungen - Mystik und ihre Bedeutung - Übersicht zur Umschrift einiger orientalischer Ausdrücke - Aus der Bahá’i-Welt



O SOHN MEINER MAGD:


Bisher ist die Führung durch Worte gewesen, aber in dieser Zeit geschieht sie durch Taten. Das heißt: alle heiligen Taten müssen vom Tempel des Menschen ausgehen, denn an Worten haben alle teil, aber reine und geheiligte Taten sind Unseren Freunden eigen. So strebet denn mit ganzer Seele danach, euch durch eure Taten vor allen Menschen auszuzeichnen. „Solches raten Wir euch auf heiliger und leuchtender Tafel.“

Bahá’u’lláh*)

*) „Verborgene Worte“ (aus dem Persischen).


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Bahá’u’lláh

DAS LIED VOM FEUER[Bearbeiten]

(The Fire Tablet)


Nachdichtung der Übertragung aus dem Persischen in das Englische

von Peter Mühlschlegel


Wahrlich, die Herzen der Reinen zerglühen im Feuer der Fremde.

Wo sind die Funken der Einheit?
O Du Geliebter der Welt!

Die Dir verbunden waren, schmachten in fernem Dunkel.

Wo ist der Morgen der Wiedervereinung mit Dir?
O Du Verlangen der Welt!

Ihre bebenden Leiber dorren in weiten Wüsten.

Wo ist das Meer Deiner Nähe?
O Du Entzücken der Welten!

Ihre Arme greifen nach Deinem Himmel der Gnade.

Wo ist Dein labender Regen?
O Du Beglücker der Welten!

Götzendiener gebieten gewaltsam über die Lande.

Wo ist der Sieg Deiner fordernden Feder?
O Du Beschützer der Welten!

Hundekläffen gellt, wohin auch das Ohr sich wendet.

O Du Richter der Welten!

Kälte verschüttet die Erde.

Wo ist die Glut Deiner Liebe?
O Du Flamme der Welten!

Das Unglück erglimmt die Gipfel des Möglichen.

Wo ist das Heil Deiner Hilfe?
O Du Erlöser der Welten!

Finsternis liegt auf allen erschaffenen Dingen.

Wo ist der Glanz Deiner Klarheit?
O Du Sonne der Welten!

Die Menschen erheben sich blutrünstig gegeneinander.

Wo sind die Schwerter der Rache?
O Du Vernichter der Welten!

Das Elend verfolgt uns und hetzt uns bis in die tiefsten Tiefen.

Wo ist das Bild Deiner Pracht?
O Du Glanz der Welten!

Leiden verdunkeln das Morgenlicht Deiner Milde.

Wo ist das Wohl Deines Zeugen?
O Du Beglücker der Welten!

Trauer erschüttert die Menschheit.

Wo sind die Zeichen der Freude?
O Du Entzücken der Welten!

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Einbildungen umweben den Herold Deines Wortes.

Wo sind Deine entschleiernden, machtvollen Hände?
O Du Stütze der Welten!

Brennender Durst zersprengt die Kehlen der Menschen.

Wo ist der Strom Deiner Gaben?
O Du Begnader der Welten!

Habgier schlägt alle Geschöpfe in ihre lastenden Fesseln.

Wo sind die Boten der Befreiung?
O Du Meister der Welten!

Du siehst uns geknechtet, einsam in fremden Landen.

Wo sind die Heerscharen Deines Werkes?
O Du Beherrscher der Welten!

Du hast mich verlassen in unbekannter Ferne.

Wo sind die Merkmale Deiner Treue?
O Du Vertrauen der Welten!

Das Toben des Todes hat alle Sphären verödet.

Wo ist Dein wogendes Wasser des Lebens?
O Du Leben der Welten!

Das Zischeln des Teufels umschmeichelt alle Geschöpfe.

Wo ist der Stern Deines Zornes?
O Du Feuer der Welten!

Der Rausch der Leidenschaft verwandelt alle Wesen.

Wo ist der Morgen der Reinheit?
O Du Verlangen der Welten!

Du siehst mich, zu Unrecht gefesselt an die Gewalt der Syrer.

Wo ist Dein strahlender Morgen?
O Du Leuchte der Welten!

Du siehst, wie sie mich knebeln, um mich am Sprechen zu hindern.

Wer soll Dein Lied erwecken?
O Du Taube der Welten!

Die Mehrheit der Menschen ist in Verbildung verstrickt.

Wo sind Deine Beweise?
O Du Bürge der Welten!

Die „Herrlichkeit Gottes“ ertrinkt in Meeren von Qual und Pein.

Wo ist Dein rettendes Schiff?
O Du Behüter der Welten!

Du siehst den Morgen des Wortes im nagenden Dunkel der Schöpfung.

Wo ist die Sonne der Gnade?
O Du Erleuchter der Welten!

Die Fackeln der Wahrheit und Reinheit, der Treue und Ehre erlöschen.

Wo ist Dein rächender Zorn?
O Du Wandler der Welten!

Siehst Du, erkennst Du ihn, der Deinen Willen verficht?

Weißt Du, was ihn bedrückt auf Deinem Pfade der Liebe?

Wenn Du erkennst, was es ist, brich diese Feder entzwei!
O Du Geliebter der Welten!

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Die Äste der fernsten Fichte zersplittern im Sturm des Verderbens.

Wo ist Dein Banner der Hilfe?
O Du Verfechter der Welten!

Der Schmutz der Verleumdung umwirbelt mein Antlitz.

Wo ist der Wind Deiner Gnade?
O Du Erbarmer der Welten!

Das Volk der Falschen bespeit die Robe der Reinheit.

Wo ist Dein Festkleid der Weihe?
O Du Schmücker der Welten!

Menschenhände umdämmen das rauschende Meer Deiner Gnade.

Wo sind die Wogen der Güte?
O Du Verlangen der Welten!

Die schreiende Schuld Deiner Feinde verrammt die Türen des Hörens.

Wo ist Dein öffnender Schlüssel?
O Du Besieger der Welten!

Die Blätter färbt der vergiftende Wind des Hasses.

Wo ist der Tau Deiner Güte?
O Du Beschenker der Welten!

Den Himmel verfinstert der brausende Sand der Sünde.

Wo ist der Wind der Vergebung?
O Du Begnader der Welten!

Hier sind wir, verlassen im trostlosen Lande der Dürre.

Wo ist Dein Regen der Gnade?
O Du Beglücker der Welten!


O du erhabenste Feder!

Der Schrei deines Herzens drang in das Reich der Zeitenferne.

Wir haben gehört, was die Zunge der Hoheit sprach.
O du, den die Welt verkennt!

Wäre es nicht in der Kälte, wie könnte die Wärme des Wortes dann wirken?

O du Sprecher der Welten!

Wäre es nicht in der Nacht, wie könnte die Sonne des Mutes dann strahlen?

O du Licht. der Welten!

Halte den Sündhaften stand, denn dafür bist du erschaffen!

O du Dulder der Welten!

Wie ersehnt war dein Kommen, hernieder vom Himmel des Bundes,

unter die Sklaven des Hasses!

Wie ersehnt ist dein Sehnen nach Gott!

O du Freund aller Welten!

Durch deinen Befehl weht die Fahne der Freiheit,

weht auf den höchsten Gipfeln.

Durch dein Geheiß wallt das Meer der Gaben.

O du Freude der Welten!

Durch deine Verlassenheit leuchtet die Sonne der Einheit.

Durch dein Verbanntsein erstehet das Reich des Alleinzigen.

So ertrag denn, du Fremdling, die Welt!

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Wir bestimmten das Elend zum Mantel deiner Herrlichkeit.

Wir bestimmten den Schmerz zum Schmuck deines Tempels.

O du Stolz aller Welten!

Du siehst die Herzen ertrinken im Haß, und du sollst sie erretten!

Der du tilgest die Sünden der Welten!

Wo Schwerter blitzen, da dränge voran!

Wo Pfeile zischen, da stürme los!

O du Besieger der Welten!

Klagst du? Ich sollte eher betrübt sein, darüber, daß so wenige dich verfechten!

O du, der die Welten zum Weinen bringt!

Wahrlich, ich hörte den Ruf, o du Mein wahrer Geliebter!

Nun glüht das Antlitz Bahá’s in deiner brennenden Drangsal

und in der Glut deines strahlenden Wortes.

Bahá steht am Opferaltar und blickt voll Vertrauen auf dein Gefallen.

O du Sehnsucht der Welten!



ÄHRENLESE[Bearbeiten]

AUS DEN SCHRIFTEN VON BAHA’U’LLAH

Nach der englischen Übersetzung von Shoghi Effendi (New York, Bahá’i Publishing Committee 1935) ins Deutsche übertragen

Wir werden diese erlesene Sammlung von Worten Bahá’u’lláh’s in Fortsetzungen abdrucken und anschließend in Buchform herausbringen (Schriftleitung).

Jeder scharfe Beobachter wird anerkennen, daß in der Sendung des Koran das Buch sowohl wie die Sache Jesu bestätigt wurden. In bezug auf die Namen erklärte Muhammad selbst: „Ich bin Jesus.“ Er anerkannte die Wahrheit der Zeichen, Prophezeiungen und Worte Jesu und bezeugte, daß sie alle von Gott sind. In diesem Sinn haben sich weder die Person Jesu noch Seine Schriften von der Muhammad’s und Seines Heiligen Buches unterschieden, insofern, als beide für die Sache Gottes eintraten, Seinen Lobpreis aussprachen und Seine Gebote enthüllten. Daher hat Jesus erklärt: „Ich gehe hin und werde wieder zu euch kommen.“ Betrachtet die Sonne! Würde sie jetzt sagen: „Ich bin die Sonne von gestern“, so würde sie die Wahrheit sprechen. Und würde sie, im Hinblick auf die Zeitfolge, behaupten, eine andere als jene Sonne zu sein, so würde sie noch immer die Wahrheit sprechen. Wenn wir nun in gleicher Weise sagen würden, daß alle erschaffenen Tage nur ein und derselbe Tag sind, so wäre das richtig und wahr. Und wenn wir mit Bezug auf ihre besonderen Namen und Bezeichnungen sagen würden, daß sie voneinander abweichen, so wäre das wiederum wahr. Denn, obwohl sie die gleichen sind, erkennen wir doch in jedem von ihnen eine getrennte Bezeichnung, eine besondere Eigenschaft, einen eigenen Charakter. Erfasse demgemäß die [Seite 6] Unterscheidung, Verschiedenheit und Einheit, die den verschiedenen Manifestationen der Heiligkeit eigentümlich sind, damit du die Hinweise begreifst, die vom Schöpfer aller Namen und Eigenschaften auf die Geheimnisse der Unterscheidung und Einheit gemacht wurden, und du die Antwort auf deine Frage findest, warum jene ewige Schönheit sich zu verschiedenen Zeiten mit verschiedenen Namen und Bezeichnungen benannt hat...

Als der Unsichtbare, der Ewige, das göttliche Sein, die Sonne Muhammad’s über dem Horizonte der Erkenntnis aufgehen ließ, brachten die jüdischen Theologen unter anderen Spitzfindigkeiten diese gegen Ihn vor, daß Gott nach Moses keinen Propheten mehr schicken würde. Gewiß, es wurde in den Schriften eine Seele von Moses erwähnt, die durchaus geoffenbart werden muß und die den Glauben vorantragen und den Menschen zum Besten dienen wird, auf daß das Gesetz der Mosaischen Sendung die ganze Erde umfasse. Der König ewiger Herrlichkeit hat sich in Seinem Buche auf die von jenen Wanderern im Tal der Entfernung und des Irrtums geäußerten Worte also bezogen: „‚Die Hand Gottes‘, sagen die Juden, ‚ist gefesselt.‘ Gefesselt seien ihre eigenen Hände; und um dessentwillen, was sie gesagt haben, wurden sie verflucht. Nein, ausgestreckt sind Seine beiden Hände!“ „Die Hand Gottes ist über ihren Händen.“ Obwohl die Ausleger des Koran die Begleitumstände der Offenbarung dieses Verses verschieden geschildert haben, solltest du dich dennoch bemühen, seinen Sinn zu erfassen. Er sagt: Wie falsch ist, was die Juden sich vorgestellt haben! Wie kann die Hand Dessen, der in Wahrheit der König ist, der das Angesicht Mose offenbar werden ließ und Ihm das Gewand des Prophetentums verlieh — wie kann die Hand eines Solchen gefesselt und gebunden sein? Wie kann man sich von Ihm vorstellen, daß Er nicht die Macht habe, einen anderen Boten nach Moses zu erwecken? Bedenke, wie sinnlos ihre Erklärungen sind. Wie weit weichen sie vom Pfade der Erkenntnis und Einsicht ab! Beachte, wie sich auch an diesem Tage alle diese Menschen mit solchen unglaublichen Abgeschmacktheiten abgegeben haben, denn über ein Jahrtausend haben sie diesen Vers hergesagt und unbewußt ihr Urteil über die Juden gesprochen und haben durchaus nicht gemerkt, daß sie selber offen und insgeheim der Gesinnung und Überzeugung des jüdischen Volkes Ausdruck verliehen! Du weißt sicher um ihre nichtige Behauptung, daß alle Offenbarung beendet sei, daß die Tore göttlicher Gnade sich schlossen, daß keine Sonne sich wieder aus den Morgenröten ewiger Heiligkeit erheben werde, daß das Weltmeer ewiger Güte für immer reglos liege und die Boten Gottes aufgehört hätten aus dem Heiligtum urewiger Herrlichkeit hervorzutreten. So groß ist das Verständnis dieser kleingeistigen und verächtlichen Menschen! Diese Leute haben sich eingebildet, daß der Strom der allumfassenden Gnade und reichen Barmherzigkeit Gottes, dessen Aufhören kein Geist ins Auge fassen kann, aufgehalten sei. Von allen Seiten haben sie sich erhoben und ihre Lenden mit Tyrannei gegürtet und sich aufs äußerste angestrengt, um mit den bitteren Wassern ihrer eitlen Einbildungen die Flamme von Gottes brennendem Busch zu ersticken, und haben nicht daran gedacht, daß die Glocke der Macht in ihrem eigenen machtvollen Bereich die Lampe Gottes schirmen wird... [Seite 7]

Siehe, wie die Herrschaft Muhammad’s, des Boten Gottes, heute unter den Menschen sichtbar und offenbar ist. Ihr wißt wohl, was Seinen Glauben in den frühen Tagen Seiner Sendung befiel. Was für schreckliche Leiden hat die Hand der Ungläubigen und Irrenden, der Priester jenes Zeitalters und ihrer Verbündeten diesem geistigen Wesen zugefügt, diesem reinsten und heiligsten Sein. Wie überreich waren die Stacheln und Dornen, die sie auf Seinen Pfad streuten! Es ist so deutlich, daß dieses erbärmliche Geschlecht in seiner verruchten und satanischen Einbildung jede Beschimpfung dieses unsterblichen Seins als ein Mittel zur Erlangung dauernder Glückseligkeit betrachtete, weil die anerkannten Theologen des Zeitalters, wie ‘Ahdu’llák-i-Ubayy, Abu ‘Amir, der Klausner, Ka’b-Ibn-i-Ashraf und Nadr-Ibn-i-Hárith, Ihn alle als Betrüger ansahen und Ihn für einen Irrsinnigen und Verleumder erklärten. Sie brachten so schwere Beschuldigungen gegen Ihn vor, daß Gott bei ihrer Wiedergabe der Tinte zu fließen verbietet, Unserer Feder, sich zu bewegen, und dem Papier, sie zu ertragen, Diese gehässigen Vorwürfe stachelten das Volk auf, sich zu erheben und Ihn zu peinigen. Und wie grausam ist eine solche Marter, wenn die Theologen der Zeit ihre Hauptanstifter werden, wenn sie Ihn bei ihren Anhängern verklagen, Ihn aus ihrer Mitte verstoßen und Ihn für einen Ungläubigen erklären! Hat nicht auch diesen Diener dasselbe betroffen und wurde es nicht von allen bestätigt?

Aus diesem Grunde rief Muhammad aus: „Kein Prophet Gottes hat solches Unrecht erlitten, wie Ich es litt.“ Und im Koran sind alle Anschuldigungen und Tadel, die gegen Ihn geäußert wurden, aufgezeichnet und ebenso die Betrübnis, die Er erfuhr. Leset es nach, damit ihr vielleicht über das, was Seine Offenbarung befallen hat, unterrichtet werdet. So schlimm war Seine Lage, daß eine Zeitlang alle aufhörten, Verkehr mit Ihm und Seinen Gefährten zu pflegen. Wer sich zu Ihm gesellte, wurde ein Opfer der unnachgiebigen Grausamkeit Seiner Feinde...

Bedenke, wie groß die Wandlung heute ist! Siehe, wie zahlreich die Herrscher sind, die das Knie vor Seinem Namen beugen, wie viele die Völker und Königreiche, die den Schutz Seines Schattens gesucht haben, die Seinem Glauben huldigen und stolz darauf sind! Von der Höhe der Kanzel erheben sich heute die Worte der Lobpreisung, die in äußerster Demut Seinen gesegneten Namen verherrlichen, und von den Höhen der Minaretts widerhallt der Ruf, der die Menge Seines Volkes zusammenruft, um Ihn anzubeten. Selbst jene Könige der Erde, die verschmäht haben, Seinen Glauben anzunehmen und das Gewand des Unglaubens abzulegen, bekennen und anerkennen nichtsdestoweniger die Größe und überwältigende Majestät dieser Sonne liebender Güte. So ist es um Seine irdische Herrschaft bestellt, deren Beweise du überall findest. Diese Herrschaft muß entweder zu Lebzeiten einer jeden Manifestation Gottes offenbar und errichtet werden oder nach Ihrem Aufstieg zu Ihrer wahren Wohnung in den Reichen der Höhe...

Es ist einleuchtend, daß die Wandlungen, die eine jede Sendung hervorruft, die dunklen Wolken sind, die hindernd zwischen das Auge menschlichen Begreifens und die göttliche Leuchte treten, die hervorstrahlt aus dem Morgen des göttlichen Seins. Bedenke, wie die Menschen durch Geschlechter hindurch [Seite 8] blindlings ihren Vätern nachgeahmt haben und in den durch die Regeln ihres Glaubens vorgezeichneten Bahnen und Sitten erzogen wurden. Müßten diese Menschen nun auf einmal entdecken, daß ein Mann, der in ihrer Mitte gelebt hat und in bezug auf jede menschliche Beschränkung ihresgleichen war, sich erhob, um jeden von ihrem Glauben aufgestellten Grundsatz aufzuheben — Grundsätze, in denen sie durch Jahrhunderte erzogen wurden und deren Widersacher und Leugner sie als ungläubig, verrucht und gottlos zu betrachten gewohnt sind — so würden sie mit Sicherheit vor Seiner Wahrheit in Schleier gehüllt und unfähig sein, diese zu bekennen. Das sind die „Wolken“, die die Augen derer verhüllen, deren inneres Wesen den Salsabil der Loslösung nicht gekostet noch vom Kawthar der Erkenntnis Gottes getrunken hat. Solche Menschen sind, wenn sie mit dergleichen Umständen bekannt werden, so in Schleier gehüllt, daß sie die Offenbarung Gottes, ohne auch nur im geringsten danach zu fragen, als ungläubig erklären und sie zum Tode verurteilen. Ihr müßt von solchen Dingen schon gehört haben, die sich durch die Zeitalter hindurch ereignet haben und die auch in diesen Tagen wieder zu beobachten sind.

Es geziemt uns daher, uns auf das äußerste anzustrengen, damit durch Gottes unsichtbaren Beistand diese dunklen: Schleier, diese Wolken himmelgesandter Prüfungen uns nicht hindern, die Schönheit Seines leuchtenden Antlitzes zu schauen, und daß wir Ihn nur durch Sein eigenes Selbst erkennen.

XIV. Die göttliche Frühlingszeit ist gekommen, o erhabenste Feder, denn der Festtag des Allbarmherzigen naht rasch heran. Beeile dich und verherrliche vor der ganzen Schöpfung den Namen Gottes und preise so Seinen Ruhm, daß alles Erschaffene wiedergeboren und erneuert werde. Sprich und ruhe nicht. Die Sonne der Glückseligkeit leuchtet über dem Horizont Unseres Namens, des Seligen, da das Reich des Namens Gottes mit dem Schmuck des Namens Deines Herrn, des Schöpfers der Himmel, geziert wurde. Erhebe dich vor den Völkern der Erde und wappne dich mit der Macht dieses Größten Namens und zähle nicht zu den Zögernden.

Mich dünkt, du stehst still und bewegst dich nicht über Meinem Tablet. Könnte der Glanz des göttlichen Angesichts dich verwirrt oder das leere Gerede der Eigensinnigen dich mit Kummer erfüllt und deine Bewegung gehemmt haben? Hüte dich, daß nichts dich daran hindere, die Größe dieses Tages zu preisen, des Tages, an dem die Hand der Erhabenheit und Macht das Siegel des Weines der Vereinigung erbrochen und allen gerufen hat, die in den Himmeln und auf Erden sind. Ziehst du vor, zu zögern, da der Windhauch, der den Tag Gottes ankündigt, bereits über dich hinweggeweht ist, oder gehörst du zu denen, die wie durch einen Schleier von Ihm getrennt sind?

Keinem Schleier, o Herr aller Namen und Schöpfer der Himmel, habe ich gestattet, mich von der Erkenntnis der Herrlichkeiten Deines Tages zu trennen, des Tages, der die Lampe der Führung für die ganze Welt ist und das Zeichen des Urewigen Tages für alle, die an ihm leben. Ich schweige mit Rücksicht auf die Schleier, die die Augen Deiner Geschöpfe blind vor Dir gemacht haben, und mein Stummsein entspringt den Hindernissen, die Dein Volk gehemmt haben, Deine Wahrheit zu erkennen. Du weißt, was in mir [Seite 9] ist, ich aber weiß nicht, was in Dir ist. Du bist der Allwissende, der Allunterrichtete. Bei Deinem Namen, der alle andern Namen übertrifft! Wenn Dein übermächtiger und allzwingender Befehl mich je erreichen sollte, so wird er mich ermächtigen, durch Dein höchsterhabenes Wort, wie ich es in Deinem Reich der Herrlichkeit Deine Zunge der Macht äußern hörte, die Seelen aller Menschen neu zu beleben. Er wird mich befähigen, die Offenbarung Deines strahlenden Antlitzes - durch das enthüllt wurde, was vor den Augen der Menschen verborgen lag — anzukünden in Deinem Namen, der Klare, der höchste Beschützer, der Selbstbestehende.

Kannst du, o Feder, an diesem Tage einen anderen entdecken außer Mir? Was wurde aus der Schöpfung und deren Offenbarungen, was aus den Namen und ihrem Reich? Wohin ist alles Erschaffene — Sichtbares und Unsichtbares — entschwunden? Was geschah mit den verborgenen Geheimnissen des Weltalls und seinen Offenbarungen? Siehe, die ganze Schöpfung verging! Nichts ist zurückgeblieben außer Meinem Angesicht, dem Immerbleibenden, dem Strahlenden, dem Allherrlichen.

Dies ist der Tag, an dem nichts wahrgenommen werden kann außer dem Glanz des Lichtes, das von dem Angesichte Deines Herrn, des Gnädigen, des Gütigsten, scheint. Wahrlich, Wir haben kraft Unserer unwiderstehlichen und allesunterwerfenden Herrschaft jede Seele dahinscheiden lassen. Wir haben darauf als Zeichen Unserer Gnade für die Menschen eine neue Schöpfung ins Leben gerufen. Ich bin wahrlich der Allgütige, der Urewige Tag.

Dies ist der Tag, an dem die unsichtbare Welt ausruft: „Groß ist deine Seligkeit, o Erde, denn du wurdest zum Fußschemel deines Gottes gemacht und zum Sitz Seines mächtigen Thrones erwählt.“ Das Reich der Herrlichkeit verkündet: „Daß doch mein Leben für Dich geopfert werden könnte, denn Er, der Geliebte des Allbarmherzigen, hat durch die Macht Seines Namens Seine Herrschaft, die allem Vergangenen und Zukünftigen verheißen wurde, auf dir errichtet. Dies ist der Tag, an dem alles Duftende seine Gabe aus dem Duft Meines Gewandes zieht, eines Gewandes, das seinen Wohlgeruch über die ganze Schöpfung verströmt hat. Dies ist der Tag, an dem die rauschenden Wasser ewigen Lebens aus dem Willen des Allbarmherzigen flossen. Eilet mit Herz und Seele und trinket euch satt, o ihr Scharen der Reiche der Höhe!

Sprich: Er ist es, die Offenbarung Dessen, der der Unerkennbare, der Unsichtbare alles Unsichtbaren ist. Vermöchtet ihr es nur zu fassen! Er ist es, der den verborgenen und verwahrten Edelstein unverhüllt vor Euch hinlegte, wenn ihr ihn doch nur suchtet! Er ist es, der eine Geliebte alles Vergangenen und Zukünftigen. Wolltet ihr doch eure Herzen und Hoffnungen auf Ihn richten!

Wir haben die Stimme deiner Verteidigung gehört, o Feder, und entschuldigen dein Schweigen. Was ist es, das dich so schmerzlich verwirrt hat?

Der Rausch Deiner Gegenwart, o Vielgeliebter aller Welten, hat mich ergriffen und erfüllt.

Erhebe dich und tue aller Schöpfung die Botschaft kund, daß Er, der Allbarmherzige, Seine Schritte nach dem Ridván gelenkt und ihn betreten hat. Führe alsdann das Volk zum Garten des Entzückens, den Gott zum Thron [Seite 10]TER Seines Paradieses gemacht hat. Wir haben dich zu Unserer mächtigsten Fanfare ausersehen, deren schallender Ruf der ganzen Menschheit die Auferstehung verkünde.

Sprich: Dies ist das Paradies, in dessen Laubwerk der Wein der Äußerung das Zeugnis geträufelt hat: „Er, der vor den Augen der Menschen verborgen war, ist nun offenbar, gegürtet mit Herrschaft und Macht!“ Dies ist das Paradies, dessen rauschende Blätter verkünden: „O ihr, die ihr die Himmel und die Erde bewohnt! Erschienen ist, was nie zuvor erschienen war. Er, der von Ewigkeit her Sein Antlitz vor den Blicken der Schöpfung verborgen hielt, Er ist gekommen.“ Aus dem raunenden Wind, der durch seine Zweige weht, erhebt sich der Ruf: „Er, der höchste Herr von allem, ist geoffenbart. Das Reich ist Gottes!“, während es aus seinen strömenden Wassern murmelnd klingt: „Alle Augen sind entzückt, denn Er, den niemand geschaut hat, dessen Geheimnis niemand aufgedeckt, hat den Schleier der Herrlichkeit gelüftet und das Antlitz der Schönheit enthüllt.“

In diesem Paradies und von den Höhen seiner erhabensten Gemächer aus haben die Himmelsdienerinnen laut und jauchzend gerufen: „Freuet euch, ihr Bewohner der Reiche der Höhe, denn die Finger Dessen, der der Urewige Tag ist, haben im Namen des Allherrlichen die größte Glocke im innersten Herzen der Himmel zum Klingen gebracht. Die Hände der Güte haben die Becher ewigen Lebens herumgereicht. Nähert euch und trinkt euch satt. Schlürft mit Wohlbehagen, o ihr, die ihr die wahre Fleischwerdung der Sehnsucht, ihr, die ihr die Verkörperungen leidenschaftlichen Verlangens seid!“

Dies ist der Tag, an dem Er, der Offenbarer der Namen Gottes, aus der Stiftshütte der Herrlichkeit hervortrat und allen, die in den Himmeln und auf Erden sind, verkündet hat: „Stellet die Becher des Paradieses und all das lebengebende Wasser, das sie enthalten, beiseite, denn siehe, das Volk Bahá’s hat die selige Wohnstätte der göttlichen Gegenwart betreten und den Wein der Wiedervereinigung aus dem Kelche der Schönheit seines Herrn, des Allbesitzenden, des Höchsten, getrunken.“

Vergiß die Welt der Schöpfung, o Feder, und wende dich dem Angesichte deines Herrn zu, des Herrn aller Namen. Schmücke alsdann die Welt mit dem Schmuck der Gunstbeweise deines Herrn, des Königs ewiger Tage. Denn Wir verspüren den Duft des Tages, an dem Er, das Verlangen aller Völker, auf die Reiche des Unsichtbaren und des Sichtbaren den Glanz des Lichtes Seiner erlesensten Namen verströmt und sie mit den Strahlen der Leuchten Seiner gnädigsten Gunst umhüllt hat — einer Gunst, die keiner außer Ihm, dem allmächtigen Schirmherrn der ganzen Schöpfung, abzuschätzen vermag.

Schauet auf die Geschöpfe Gottes nur mit dem Auge der Güte und Barmherzigkeit, denn Unsere liebende Vorsehung hat alles Erschaffene durchdrungen und Unsere Gunst die Erde und die Himmel umschlossen. Dies ist der Tag, an dem die aufrichtigen Diener Gottes an den lebengebenden Wassern der Wiedervereinigung teilhaben, der Tag, an welchem jene, die Ihm nahe sind, befähigt werden, aus dem sanftfließenden Strom der Unsterblichkeit zu trinken, und sie, die an Seine Einheit glauben, den Wein Seiner Gegenwart zu schlürfen, indem sie Ihn erkennen, der das höchste und letzte Ziel von [Seite 11] allem ist und zu dem die Zunge der Majestät und Herrlichkeit den Ruf erhebt: „Das Reich ist Mein, Ich Selbst bin kraft Meines eigenen Rechtes sein Herrscher.“

Ziehe die Herzen der Menschen an durch Seinen Ruf, den des alleinig Geliebten. Sprich: Dies ist die Stimme Gottes -— wenn ihr doch lauschen wolltet! Dies ist der Morgen der Offenbarung Gottes — wenn ihr es doch nur wüßtet! Dies ist der Dämmerungsort der Sache Gottes — wenn ihr es nur erkenntet! Dies ist die Quelle des Gebotes Gottes — wenn ihr doch gerecht urteilen wolltet! Dies ist das offenbare und verborgene Geheimnis — möchtet ihr es doch erfassen! O Völker der Welt! Werfet in Meinem Namen, der alle andern Namen übertrifft, die Dinge fort, die ihr besitzet, und versenket euch in dieses Meer, in dessen Tiefen die Perlen der Weisheit und der Äußerung verborgen liegen, ein Meer, das in Meinem Namen, des Allbarmherzigen, wogt. Also unterrichtet euch Der, mit dem das Mutterbuch ist.

Der Meistgeliebte ist gekommen. In Seiner rechten Hand hat er den versiegelten Wein Seines Namens. Selig der Mensch, der sich Ihm zuwendet und satt trinkt und ausruft: „Preis sei Dir, o Offenbarer der Zeichen Gottes!“ Bei der Gerechtigkeit des Allmächtigen! Alles Verborgene ist durch die Macht der Wahrheit offenbar geworden. Alle Gunst Gottes wurde herniedergesandt als ein Zeichen Seiner Gnade. Die Wasser ewigen Lebens sind in ihrer Fülle den Menschen angetragen worden, und jeden einzelnen Becher reichte die Hand des Vielgeliebten. Nähere dich und zögere nicht, und sei es auch nur einen kurzen Augenblick lang.

Gesegnet sind die, welche sich auf den Flügeln der Loslösung emporgeschwungen und die Stufe erreicht haben, die nach Gottes Befehl die ganze Schöpfung überschattet, sie, die weder die eitlen Einbildungen der Gelehrten noch die Menge der irdischen Heerscharen von Seiner Sache abbringen konnten. Wer ist unter euch, o Menschen, der der Welt entsagt und sich Gott, dem Herrn aller Namen, nähert? Wo ist er zu finden, der durch die Macht Meines Namens, welcher alles Erschaffene überragt, fortwirft, was Menschen besitzen, und mit all seiner Kraft dem folgt, was Gott, der Wisser des Unsichtbaren und Sichtbaren, ihm zu beachten gebot? Also wurde Seine Güte auf die Menschen herniedergesandt, Sein Zeugnis abgelegt, und also erstrahlte Sein Beweis über dem Horizonte der Gnade. Kostbar ist der Preis, den der gewinnen wird, der da geglaubt und ausgerufen hat: „Gepriesen seist Du, o Geliebter aller Welten! Verherrlicht sei Dein Name, o Du, die Sehnsucht jedes verstehenden Herzens!“

Frohlocke in äußerster Freude, o Volk Bahá’s, da du dich des Tages höchster Glückseligkeit erinnerst, des Tages, an dem die Zunge des urewigen Tages gesprochen hat, als Er von Seinem Hause schied und Sich an jenen Ort begab, von dem aus Er über die ganze Schöpfung den Glanz Seines Namens, der Allgütige, groß. Gott ist Unser Zeuge! Würden Wir die verborgenen Geheimnisse jenes Tages enthüllen, so würden alle, die auf Erden und in den Himmeln wohnen, das Bewußtsein verlieren und sterben außer jenen, die von Gott, dem Allmächtigen, dem Allwissenden, dem Allweisen, bewahrt werden.

Derartig ist die berauschende Wirkung der Worte Gottes auf Ihn, den [Seite 12] Offenbarer Seiner sicheren Beweise, daß Seine Feder sich nicht mehr fortbewegen kann, Mit diesen Worten beschließt Er Sein Tablet: „Kein Gott ist außer Mir, dem Erhabensten, dem Machtvollsten, dem Vortrefflichsten, dem Allwissenden.“

XV. Die Feder der Offenbarung kündet jubelnd an: „Gottes ist das Reich an diesem Tage!“ Die Zunge der Macht ruft also aus: „Alle Herrschaft ist an diesem Tage in der Tat bei Gott!“ Der Phönix der Reiche droben ruft laut auf dem unvergänglichen Zweige: „Der Ruhm aller Größe gebührt Gott, dem Unvergleichlichen, dem Allbezwingenden.“ Die geheimnisvolle Taube verkündet aus ihrer seligen Behausung im ewigen Paradies: „Die Quelle aller Güte entspringt an diesem Tag aus Gott, dem Einen, dem Vergebenden!“ Der Vogel des Thrones schmettert an seinem Ruhesitz der Heiligkeit also sein Lied: „Höchste Gewalt ist an diesem Tage nur Gott eigen, Ihm, der keinen Gefährten noch Seinesgleichen hat, dem Machtvollsten, dem Allüberwinder!“ Das innerste Wesen von allem legt in allen Dingen dieses Zeugnis ab: „Alle Vergebung fließt an diesem Tag aus Gott, aus Ihm, dem niemand vergleichbar ist, dem keine Genossen gesellt werden können, dem höchsten Beschirmer aller Menschen und dem Verberger ihrer Sünden!“ Das Wesen der Herrlichkeit hat seine Stimme über Meinem Haupt erhoben und kündet von jenen Höhen, die keine Feder und kein Zeuge beschreiben können: „Gott ist mein Zeuge! Er, der Urewige ewiger Tage, ist da, mit Majestät und Macht gegürtet. Es ist kein Gott außer Ihm, dem Allherrlichen, dem Allmächtigen, dem Allhöchsten, dem Allweisen, dem Alldurchdringenden, dem Allsehenden, dem Allunterrichteten, dem höchsten Beschirmer, dem Quell ewigen Lichtes!“

O Mein Diener, der du das Wohlgefallen Gottes gesucht und dich an Seine Liebe geklammert hast an dem Tage, als alle außer einigen wenigen mit Einsicht Begabten von Ihm abgefallen sind! Möge Gott in Seiner Gunst dir mit einem reichen, unzerstörbaren und ewigen Lohn vergelten, da du Ihn an dem Tage suchtest, als aller Augen geblendet waren. Wenn Wir dir auch nur einen Sprühregen der Schauer, die nach Gottes Ratschluß und durch die Hände der Neider und Bösen auf Uns herabregneten, offenbarten, so wisse, daß du mit großer Klage klagen und Tag und Nacht Unsern Zustand beweinen würdest. O, daß sich doch eine einsichtsvolle und aufrichtige Seele fände, welche die Wunder dieser Offenbarung erkennt — Wunder, die die Herrschaft Gottes und die Größe ihrer Macht verkünden! Daß sich doch ein solcher Mensch erhöbe und ausschließlich um Gottes willen vertraulich und öffentlich die Menschen ermahnte, auf daß sie sich vielleicht erheben und diesem Gepeinigten beistehen, den die Übeltäter so schwer heimgesucht haben.“

Mich dünkt, Ich höre die Stimme des Heiligen Geistes, die hinter Mir ruft und spricht: Ändere Dein Thema und wandle deinen Ton, damit das Herz dessen, der seinen Blick auf Dein Angesicht gerichtet hat, nicht traurig werde. Sprich: Ich habe durch die Gnade Gottes und Seine Macht in der Vergangenheit von niemand Hilfe erfleht, noch werde Ich diese Hilfe künftig von irgend jemandem erbitten. Er ist es, der Mir durch die Macht der Wahrheit während Meiner Verbannungstage im ‘Iráq beistand. Er ist es, der Mich mit Seinem Schutz überschattete zu einer Zeit, als die Geschlechter der Erde Mich bekämpften. Er ist es, der Mich ermächtigte, mit solcher Majestät [Seite 13] bekleidet aus der Stadt zu scheiden, daß außer den Leugnern und den Bösen niemand umhin konnte sie anzuerkennen.

Sprich: Mein Heer ist Mein Verlaß auf Gott, Mein Volk die Kraft Meines Vertrauens in Ihn. Meine Liebe ist Mein Banner, und Mein Gefährte das Gedenken Gottes, des höchsten Herrn über allem, des Machtvollsten, des Allherrlichen, des Unbedingten.

Erhebe dich, o Wanderer auf dem Pfade der Liebe Gottes und hilf Seiner Sache. Sprich: Verschachere diesen Jüngling nicht, o Volk, gegen die Nichtigkeiten dieser Welt oder die Wonnen des Himmels. Bei der Gerechtigkeit des einen, wahren Gottes! Ein Haar von Ihm übertrifft alles, was in den Himmeln und auf Erden ist. Hütet euch, o Menschen, daß ihr nicht in Versuchung kommet, Ihn fahren zu lassen um des Goldes und Silbers willen, das ihr besitzt. Lasset Seine Liebe eine Schatzkammer für eure Seelen sein an dem Tage, da nichts außer Ihm euch nützen wird, dem Tag, da jeder Pfeiler wankt, da es die Menschen eiskalt überläuft und alle Augen in Entsetzen erstarren. Sprich: O Volk! Fürchte Gott und wende dich nicht verächtlich von Seiner Offenbarung ab. Falle nieder vor Gott auf dein Angesicht und preise Seinen Ruhm bei Tag und Nacht.

Lasse deine Seele von der Flamme dieses unvergänglichen Feuers, das im innersten Herzen der Welt brennt, so erglühen, daß die Wasser des Weltalls machtlos sind, seine Glut zu kühlen. Erwähne alsdann deinen Herrn, damit vielleicht die Achtlosen unter Unsern Dienern durch deine Worte ermahnt und die Herzen der Gerechten erfreut werden.

XVI. Sprich: O Menschen! Dies ist ein unvergleichlicher Tag. Unvergleichlich muß auch die Zunge sein, die den Ruhm der Sehnsucht aller Völker kündet, und unvergleichlich die Tat, die danach trachtet, vor Seinen Augen Annahme zu finden. Das ganze Menschengeschlecht hat sich nach diesem Tag gesehnt, daß er vielleicht erfüllen möge, was seiner Stufe wohlgeziemt und seines Schicksals würdig ist. Gesegnet ist der Mensch, den die Angelegenheiten der Welt nicht davon abhalten konnten, Ihn, den Herrn aller Dinge, zu erkennen!

So blind ist das menschliche Herz geworden, daß weder das Auseinanderbersten der Stadt noch die Verwandlung des Berges in Staub, ja nicht einmal das Spalten der Erde es aus seiner Erstarrung aufrütteln konnte. Die in den Schriften gemachten Andeutungen sind enthüllt, die in ihnen niedergelegten Zeichen sind geoffenbart worden, und der prophetische Ruf wird unaufhörlich erhoben - und dennoch wurden alle außer solchen, die zu führen Gott geruhte, im Rausche ihrer Nachlässigkeit verwirrt!

Bezeuge, wie die Welt an jedem Tag von neuer Trübsal heimgesucht wird! Ihre Leiden vertiefen sich unaufhörlich. Seit dem Augenblick, da die Suriy-i-Ra’is (das Tablet an Ra’is) enthüllt wurde, bis zum heutigen Tage ist weder die Welt besänftigt worden, noch haben sich die Herzen ihrer Völker in Ruhe befunden. Zu einer Zeit wurde sie durch Streitereien und Erörterungen hin und her bewegt, zu einer anderen durch Kriege erschüttert und Opfer hartnäckiger Krankheiten. Ihr Siechtum nähert sich einem Zustand äußerster Hoffnungslosigkeit. Der wahre Arzt ist verhindert, das Heilmittel zu reichen, während man unerfahrene Praktiker zu Ansehen kommen läßt und ihnen völlige [Seite 14] Handlungsfreiheit gewährt... Der Staub der Empörung hat die Herzen der Menschen umwölkt und ihre Augen blind gemacht. Binnen kurzem werden sie die Folgen dessen verspüren, was ihre Hände am Tage Gottes gewirkt haben. Also warnt dich der Allunterrichtete, wie Ihm von dem Einen geboten wurde, dem Machtvollsten, dem Allmächtigen.

XVII. Bei Ihm, der großen Verkündigung! Der Allbarmherzige ist gekommen, ausgestattet mit unbestrittener Herrschaft. Die Waage ist gerichtet, und versammelt wurden alle, die auf Erden wohnen. Der Posaunenruf erscholl und siehe, aller Augen erstarrten in Entsetzen und die Herzen aller in den Himmeln und auf Erden bebten, außer denen, die der Odem der Verse Gottes neubelebt hat und die sich von allem gelöst haben.

Dies ist der Tag, an dem die Erde ihre Botschaft ausstreut. Die Übeltäter sind ihre Last — könntet ihr es doch erkennen! Der Mond eitler Einbildung wurde gespalten und der Himmel hat einen deutlich wahrnehmbaren Dunst entwickelt. Wir sehen das Volk zu Boden geworfen, erfüllt von der Furcht deines Herrn, des Allmächtigen, des Machtvollen. Der Rufer hat gerufen und die Menschen wurden gewaltsam getrennt, so groß war die Kraft Seines Zorns. Das Volk zur Linken seufzt und klagt. Das Volk zur Rechten wohnt in herrlichen Wohnungen; es trinkt den Wein, der in Wahrheit Leben ist, aus den Händen des Allbarmherzigen, und ist wahrlich das selige.

Die Erde wurde erschüttert und die Gebirge schwanden dahin und die Engel sind Reihe auf Reihe vor Uns erschienen. Die meisten Menschen sind verwirrt in ihrer Trunkenheit und tragen auf ihren Gesichtern die Zeichen des Zorns. Also haben Wir die Übeltäter versammelt. Wir sehen sie auf ihre Trugbilder zustürzen. Sprich: Niemand wird an diesem Tag vor dem Ratschluß Gottes sicher sein. Dies ist in der Tat ein schrecklicher Tag. Wir zeigen ihnen jene, die sie verführt haben. Sie sehen sie und erkennen sie dennoch nicht. Ihre Augen sind trunken. Sie sind in der Tat ein blindes Volk. Ihre Beweise sind die Verleumdungen, die sie äußerten. Verdammt sind ihre Verleumdungen vor Gott, der Hilfe in Gefahr, dem Selbstbestehenden. Der Böse hat Unheil in ihren Herzen angestiftet und sie sind von einer Qual befallen, die niemand abwenden kann. Sie eilen zu den Gottlosen und überbringen das Verzeichnis der Bösen. Solches ist ihr Tun.

(Fortsetzung folgt)



GÖTTLICHE LEBENSKUNST[Bearbeiten]

Aus dem Englischen übertragen

4. KAPITEL: GEBET UND MEDITATION

(Fortsetzung)

Die Wohltat des Gebets

Nun zu deiner Frage: „Warum beten? Was ist der Sinn des Gebets, denn Gott hat ja alles so eingerichtet und tut alle Dinge nach bester Ordnung und teilt allem sein gebührendes Maß zu und stellt jedes Ding an [Seite 15] seinen Platz, ganz wie es am besten paßt — was ist also der Sinn dessen, daß man bittet und fleht und seine Wünsche darbringt und Hilfe sucht?“

Wisse wahrlich, es geziemt dem Schwachen, sich an den Starken zu halten, und dem Sucher nach Gnade, den Herrlichen, den Freigebigen darum zu bitten. Wer zu seinem Herrn fleht, der wendet sich Ihm zu und sucht Gnade von Seinem Ozean. So ist dieses Flehen schon an sich Licht seinem Herzen, Erleuchtung seinem Schauen, Leben seiner Seele und Erhöhung seinem Wesen.

Beachte also, wie dein Herz erquickt wird, wenn du zu Gott flehst und sprichst: „Dein Name ist meine Heilung“, wie dann deine Seele entzückt wird durch den Geist der Liebe Gottes und dein Gemüt zu dem Reiche Gottes sich hingezogen fühlt! Wenn du so hingezogen wirst, wachsen deine geistigen Anlagen und Fähigkeiten. Wenn ein Gefäß erweitert wird, nimmt das Wasser darin zu, und wenn der Durst sich steigert, dann empfindet der Mensch angenehm die Güte der Wolke. Dies ist das Geheimnis des Flehens und die Weisheit des Aussprechens seiner Wünsche. (1)

O du geistiger Freund! Du hast nach der Weisheit des Gebetes gefragt. Wisse, daß Gebet eine unerläßliche Pflicht ist und daß der Mensch unter gar keinem Vorwand davon entbunden werden kann, es sei denn, daß er geistig krank ist oder ein unüberwindliches Hindernis dazwischen tritt.

Der Sinn des Gebetes ist der, daß es die Verbindung schafft zwischen dem Diener und dem einen Wahren, denn im Zustande des Gebetes wendet der Mensch mit ganzem Herzen und mit ganzer Seele sein Antlitz der Erhabenheit des Allmächtigen zu und sucht Seine Gemeinschaft und sehnt sich nach Seiner Liebe und nach Seinem Erbarmen. Das größte Glück eines Liebenden ist, mit seinem Geliebten verbunden zu sein, und das größte Geschenk für den Sucher ist, dem Ziel seiner Sehnsucht nahe zu sein. Darum ist die größte Hoffnung jeder vom Reiche Gottes angezogenen Seele, eine Möglichkeit zu finden, am Ozean Seiner Verkündung um Güte und Großmut zu bitten und zu flehen.

Zu alledem läßt Beten und Fasten wachsam und achtsam werden und führt zu Schutz und Bewahrung vor Prüfungen. (2)

Euer Antlitz soll erleuchtet werden vom Glanze des Flehens und Rufens zu Gott. (3)

Wisse, daß jedes Haus, wo man Gott preist und zu Ihm betet und Ihn verkündet, ein Garten Gottes und ein Paradies der Glückseligkeit ist. (4)


Wie wir beten sollen

Vertraue auf die Gunstbezeigungen deines Herrn und flehe zu Ihm um die Mitternacht und am frühen Morgen, wie einer bittet, der in Not oder Gefangenschaft ist. Du mußt dich dem Königreich Gottes zuwenden und beten, flehen und Ihn anrufen allezeit. Denn auf diese Weise wird deine Seele sich zu der Höhe der Gaben Gottes aufschwingen. (5)

Wisse, daß nichts in diesem Leben dir so viel nützt, wie Gott anzuflehen und anzurufen, Ihm zu dienen in Seimen Weinberg und mit liebevollem Herzen allezeit in Seinem Dienste zu verharren. (6)

Gesegnet ist der Mensch, der sich auf den Schwingen der Sehnsucht zu Goit erhebt, dem Herrn des Tages des Gerichts. (7) [Seite 16]

Setze alle deine Hoffnungen auf Gott und hange unbeirrt Seiner nie versagenden Barmherzigkeit an. (8)

O Sohn des Lichts! Vergiß alles außer Mir und verkehre mit Meinem Geiste. Dies ist das Wesen Meines Befehls, darum wende dich ihm zu. (9)

Wendet euer Antlitz ab von der Betrachtung eures beschränkten Selbstes und heftet eure Augen auf den ewig wärmenden Glanz. Dann wird eure Seele in vollem Maße die göttliche Kraft des Geistes und die Segnungen der unendlichen Gnadenfülle empfangen. (10)

O Sohn des Geistes! Erbitte von Mir nichts, was Wir nicht für dich wünschen, und sei zufrieden mit dem, was Wir für dich verordnet haben, denn dies ist, was dir nützt, sofern du dich damit zufrieden gibst. (11).

Ergib dich Gott. Gib deinen Willen auf und ziehe Gottes Willen vor. Gib deinen Wunsch auf und erfasse Gottes Wunsch. (12)

Der wahrste Schmuck des Menschenherzens ist die Erkenntnis der Wahrheit, daß „Er tut, was immer Er will, und verordnet, was Ihm gefällt“. (13)

Nahe dich Gott und verharre in der Gemeinschaft mit deinem Herrn, so daß das Feuer der Gottesliebe noch leuchtender im Herzen glühe, seine Glut wachse und diese Bereiche erwärme und daß ihr Rufen bis zu den höchsten Heerscharen reiche. (14)

O du, der du zum Königreiche hinansteigst! Strebe Tag für Tag darnach, in deiner Sehnsucht und deiner Hingabe zu wachsen, so daß du immer öfter in der Haltung des Flehens und Betens dich befindet. (15)

Ich danke Dir, o Du, der Du Dein Feuer in meiner Seele entflammt hast und die Lichtstrahlen in mein Herz gesenkt hast, daß Du Deine Diener lehrtest, wie sie Dich verkünden, und ihnen offenbartest, wie sie Dich anflehen können durch Deine heiligste und erhabenste Zunge und durch Deine erhabenste und kostbarste Sprache. Wer könnte es wagen, anders als durch Deine Erlaubnis Deine Macht und Größe auszusprechen? Und wo ist der Mensch, der die Wege Deines Wohlgefallens in Deiner Schöpfung entdecken könnte außer durch Deine Belehrung? (16)


Ein Gebet von 'Abdu'l-Bahá

Im Namen des Herrn!

O Herr, mein Gott und mein Hafen in meiner Not! Mein Schutz und Schirm in meinem Weh! Meine Freistatt und Zuflucht in Zeiten der Not und mein Begleiter in der Verlassenheit! Mein Trost in meiner Qual und mein liebevoller Freund in meiner Einsamkeit! O Du, der Du meine Ängste und Sorgen tilgest und meine Sünden vergibst!

Zu Dir wende ich mich ganz und flehe Dich heiß an aus vollem Herzen und Gemüt und mit allem, was die Zunge sprechen kann, beschütze mich vor allem, was Deinem Willen entgegentritt in diesem Zeitalter Deiner göttlichen Einheit und reinige mich von aller Befleckung, die mich hindern will, unbefleckt und unbeschmutzt den Schatten des Baumes Deiner Gnade zu suchen.

Erbarme Dich, o Herr, der Schwachen, heile die Kranken, und lösche den brennenden Durst.

Erquicke die Brust, worin das Feuer Deiner Liebe glüht und entfache es mit der Flamme Deiner himmlischen Liebe und Deines himmlischen Geistes. [Seite 17]

Bekleide die heiligen Zelte göttlicher Einheit mit dem Gewande der Heiligkeit und setze auf mein Haupt die Krone Deiner Gunst.

Erleuchte mein Antlitz mit dem Glanz des Gestirnes Deiner Güte und hilf mir gnädiglich, an Deiner heiligen Schwelle zu dienen.

Laß mein Herz überströmen in der Liebe für Deine Geschöpfe und gib, daß ich zum Zeichen Deiner Barmherzigkeit und zum Zeichen Deiner Gnade werde, zum Helfer der Eintracht unter Deinen Geliebten, Dir ergeben und Deine Gedanken verkündend, mich selbst vergessend, aber immer dessen bewußt, was Dein ist.

O Gott! Mein Gott! Entziehe mir nicht die lieblichen Winde Deiner Vergebung und Gnade und beraube mich nicht der Quelle Deiner Hilfe und Gunst.

Unter dem Schatten Deiner schützenden Schwingen laß mich nisten und gieße auf mich den Glanz Deines allbeschirmenden Auges.

Löse meine Zunge, Deinen Namen unter Deinem Volke zu verkünden, auf daß meine Stimme sich erhebe in großen Versammlungen und von meinen Lippen die Flut Deines Lobpreises ströme.

Du bist in Wahrheit der Gnadenvolle, der Verherrlichte, der Kraftvolle, der Allmächtige! (17)


Zwei Gebete des Báb

Gibt es einen Beseitiger von Schwierigkeiten außer Gott? Sprich: Gelobt sei Gott! Er ist Gott! Alle sind Seine Knechte und alle stehen unter Seinem Befehl.

Sprich: Gott genügt allen Dingen und ist über allen Dingen, und nichts genügt in den Himmeln und auf Erden außer Gott. Wahrlich, Er ist in Sich selbst der Wissende, der Erhalter, der Allmächtige! (18)


Worum wir beten sollen

Kummer und Leid kommen nicht von ungefähr zu uns, sie werden uns durch die göttliche Barmherzigkeit zu unserer eigenen Vervollkommnung gesandt.

Solange ein Mensch glücklich ist, mag er seinen Gott vergessen. Aber wenn Gram zu ihm kommt und ihn überwältigt, dann denkt er an seinen Vater, Der im Himmel ist und ihn aus seiner Erniedrigung zu befreien vermag. (19)

Strebe und flehe und bete zu Gott, daß Tag um Tag deine Festigkeit und Standhaftigkeit wachsen und deine Haltung durch das Licht der Führung strahlend werde. (20)

Betet zu Gott, daß Er euch in göttlichen Tugenden stärken möge, so daß ihr wie Engel in der Welt werdet, wie Leuchtfeuer, welche die Geheimnisse des Königreiches denen enthüllen, die verstehende Herzen haben. (21)

Vergiß alles außer Gott, sei in Gemeinschaft mit Ihm, flehe und bete zu Ihm, daß er dich zum Sieger mache über die irdischen Dinge. Sei beschenkt durch die Gnadenfülle des Königreiches, gedenke des Namens Deines Herrn, rein von allem außer Ihm und sei durchdrungen von den geistigen Eigenschaften der Heiligen ... Dann wird dein Wesen die Herzen ergreifen... (22)

Tag und Nacht bete ich zum Himmel für euch, daß euch Kraft zuteil werde und daß ihr allesamt an den Segnungen von Bahá’u’lláh teilhaben und in das Königreich eintreten möget.

Ich flehe darum, daß ihr wie neugeboren werdet, vom göttlichen Lichte [Seite 18] erleuchtet... und daß vom einen Ende Europas zum anderen das Wissen um die Liebe Gottes sich verbreite.

Möge diese grenzenlose Liebe so euer Herz und Gemüt erfüllen, daß Traurigkeit keinen Raum findet, dort einzudringen.

Mögen eure Augen geöffnet werden, so daß sie die Zeichen des Gottesreiches schauen, und mögen eure Ohren frei werden, so daß ihr die himmlische Verkündung, die mitten unter euch erschallt, vollkommen hören und erfassen möget.

Mögen eure Seelen Hilfe und Trost empfangen und so gestärkt werden, daß sie in Einklang mit den Lehren von Bahá’u’lláh zu leben vermögen.

Ich bete für euch allesamt, daß ihr wie Flammen der Liebe in der Welt seid und daß der Glanz eures Lichtes und die Wärme eurer Zuneigung das Herz eines jeden traurigen oder bekümmerten Kindes Gottes erreichen mögen. (23)

So lasse denn, o mein Gott und mein Geliebter, aus der Rechten Deiner Gnade und Güte die heiligen Winde Deiner Gunst wehen, daß sie mich von mir und von der Welt hinwegziehen zu den Höfen Deiner Nähe und Deiner Gegenwart. Mächtig bist Du, zu tun, was Dir gefällt... (24)


Erhörung des Gebetes

Du hast gefragt, ob die Behandlung und Heilung der Christlichen Wissenschaft meinen Beifall finde. Der Geist hat Einfluß, das Gebet hat geistige Wirkung. Darum beten wir: „O Gott, heile diesen Kranken!“ Vielleicht wird Gott uns erhören. Ist es von Bedeutung, wer betet? Gott wird das Gebet eines jeden Dieners beantworten, wenn das Gebet ernsthaft ist. Seine Gnade ist weit, unbegrenzt. Er erhört die Gebete aller Seiner Diener. Er erhört das Gebet dieser Pflanze. Die Pflanze betet unbewußt: „O Gott, sende mir Regen!“ Gott erhört das Gebet, und die Pflanze wächst. Gott erhört jeden. Er erhört Gebete, auch wenn dies nicht in Erscheinung tritt...

...Baten wir nicht ebenso unbewußt um die benötigten Segensgeschenke, schon ehe wir erschaffen wurden? Und als wir in diese Welt kamen, fanden wir nicht unsere Gebete erhört? Fanden wir nicht Mutter, Vater, Nahrung, Licht, Heim und jede andere Notdurft und Segnung, obwohl wir nicht ausdrücklich um sie gebetet hatten? Darum ist es ganz natürlich, daß Gott uns etwas gibt, wenn wir ihn darum bitten. Seine Barmherzigkeit umschließt uns alle.

Aber wir bitten oft um Dinge, welche die göttliche Weisheit nicht für uns wünscht, und dann wird unser Gebet nicht erhört.... Wir beten: „O Gott, mache mich reich!“ Wenn dieses Gebet allgemein erhört werden würde, würden die menschlichen Verhältnisse stillstehen. Niemand wäre mehr da, auf der Straße zu arbeiten, niemand, den Boden zu beackern, niemand, zu bauen, niemand die Züge rollen zu lassen... Die Dinge der Welt würden in Unordnung geraten, ihre Kräfte gelähmt und ihr Fortschritt verhindert werden. Aber alles, worum wir bitten, wird Gott erhören, wenn es im Einklang mit der göttlichen Weisheit ist.

Zum Beispiel mag ein sehr schwacher Kranker den Arzt bitten, ihm ein Essen zu geben, das für sein Leben und seinen Zustand bestimmt gefährlich wäre. Er mag vielleicht um einen Braten bitten. Der Arzt ist gütig und weise. Er weiß, es wäre für [Seite 19] seinen Kranken gefährlich, und darum verweigert er es ihm. Der Arzt ist barmherzig, der Kranke aber unwissend. Durch des Arztes Güte wird der Kranke wieder gesund und sein Leben gerettet. Dennoch mag der Kranke nun jammern, daß der Arzt nicht gütig, nicht tüchtig sei, weil er ablehnt, auf sein Anliegen einzugehen.

Gott ist barmherzig. In Seiner Barmherzigkeit erhört Er die Gebete aller Seiner Diener, wenn es nach Seiner höchsten Weisheit nottut. (25)

Ein Diener kommt Mir näher durch Gebete, bis daß Ich ihn erhöre. Und wenn Ich seine Gebete erhört habe, dann werde Ich zum Ohre, mit dem er hört. (26)

Ich preise Dich, o mein Gott, daß Du mich erweckt hast aus meinem Schlaf und mich erscheinen ließest nach meiner Verborgenheit und mich erhoben hast aus meinem Schlummer. Ich bin an diesem Morgen erwacht, mein Antlitz dem Glanz des Tagesgestirnes Deiner Offenbarung zugewandt, durch welche die Himmel Deiner Macht und Erhabenheit erleuchtet worden sind, und ich erkenne Deine Zeichen, glaube an Dein Buch und halte mich fest an Deinem Seil...

Verordne mir, o mein Gott, was mir in dieser Welt zum Wohle gereicht und in der nächsten. Ich bezeuge, daß in Deinen Händen die Zügel aller Dinge ruhen. Du wandelst sie, wie es Dir gefällt. Es gibt keinen Gott außer Dir, dem Starken, Getreuen.

Du bist es, der durch Sein Geheiß Erniedrigung in Herrlichkeit wandelt und Schwäche in Kraft und Ohnmacht in Macht und Furcht in Ruhe und Zweifel in Gewißheit. Es gibt keinen Gott außer Dir, dem Mächtigen, dem Wohltätigen.

Du enttäuschst keinen, der Dich sucht, und hältst Dich vor keinem verschlossen, der Dich ersehnt. Verordne mir, was aus dem Himmel Deiner Großmut mir zusteht und aus dem Ozean Deiner Güte. Du bist, wahrlich, der Allmächtige, der über alles Kraftvolle. (27)

Zu deiner Frage wegen des Morgengebetes: Beide Bedeutungen liegen in dem Wort Morgendämmerung — die natürliche Dämmerung und die Dämmerung des Königreiches. (28)


Wann sollen wir beten?

Wenn eine Seele sich morgens aus dem Schlafe erhebt, soll sie vor allem des Namens Gottes gedenken, damit sie Geistigkeit und Erleuchtung erlange. (29).

Täglich zur Morgendämmerung sollte der wahre Sucher mit Gott verkehren und mit ganzer Seele im Suchen nach seinem Geliebten verharren. (30)

Wenn wir Gott anflehen am Morgen und am Abend, so führt dies zur Freude des Herzens. Gebet bringt Vergeistigung und himmlische Düfte. Du solltest darin fortfahren, das tut not. (31)

Vertraue auf die Gunst deines Herrn, flehe Ihn an und bitte Ihn um Mitternacht und am frühen Morgen, wie ein Bedürftiger und Gefangener bittet. Es ist deine Pflicht, dich dem Reiche Gottes zuzuwenden und allezeit zu beten, zu flehen und zu rufen. Auf diesem Wege wird deine Seele emporsteigen bis zum Gipfel der Gottesgaben. (32)


Gebet für andere

In diesen vom Kriege heimgesuchten Ländern ist kaum ein Haus, wo nicht bitteres Wehklagen ertönt. Kaum mag jemand ein Heim finden, [Seite 20] das nicht die grausame Hand des Krieges berührt hat. Wehe! Wir sehen auf allen Seiten, wie grausam, wie voll von Vorurteilen, wie ungerecht der Mensch ist und wie schwer er sich dazu bequemt, an Gott zu glauben und Seinen Geboten zu gehorchen.

Warum ist des Menschen Herz so verhärtet? Das rührt daher, weil er Gott, nicht kennt. Wenn er Gotteserkenntnis hätte, so könnte er nicht in offenem Widerspruch zu Seinen Gesetzen handeln. Wenn nur die Gesetze und Vorschriften der Propheten Gottes geglaubt, verstanden und befolgt worden wären, so würden nicht länger Kriege das Antlitz der Erde verfinstern.

Wenn der Mensch nur Spuren von Gerechtigkeit hätte, so wäre ein solcher Zustand unmöglich.

Darum sage ich euch: Betet, betet und wendet euer Antlitz Gott zu, daß Er in Seinem grenzenlosen Mitleid und Erbarmen diesen Irregeführten helfen und beistehen möge. Betet, daß Er ihnen geistiges Verständnis gebe und sie Duldsamkeit und Barmherzigkeit lehre, daß die Augen ihrer Gemüter geöffnet werden und sie mit der Gabe des Geistes beschenkt werden... Ich bitte euch alle, mit Herz und Seele zu beten, daß dies sich so erfülle. (33)

Aus ganzem Herzen sollte der Suchende Umgang mit Übeltätern vermeiden und um die Vergebung ihrer Sünden bitten. (34)

Bete darum, daß der Übelgesinnte ein guter Mensch werde und der Schwache stark. (35)

Denke darüber nach und betrachte, wie die Geliebten Gottes sich fühlen müssen und zu welchen Höhen sie sich emporschwingen müssen. Bitte allezeit deinen Herrn, den Gott des Erbarmens, ihnen beizustehen, zu tun, was Er will.

Er wahrlich ist der Mächtigste, der Allherrliche. (36)

O Magd Gottes! Flehe und bete immerzu für ‘Abdu’l-Bahá und erbitte für ihn Gottes Bestätigung und Beistand, denn mein ganzes Herz bedarf ernsthaft der Gebete der Mägde Gottes für mich und ihrer Bitten um den Segen Gottes für diesen Diener. Ich bat Gott, alles Gute für dich zu verordnen, um deines Betens für 'Abdu'l-Bahá willen. (37)

... Richtet euch einen geistigen Versammlungsort ein, von dem der Weihrauch der Heiligkeit und Reinheit zu Gott aufsteigt, versammelt euch dort in geistigem Wohlgeruch und preiset den Namen eures Herrn Tag und Nacht. (38)

Flehen und Beten für andere wird sicherlich Wirkung haben. Wenn die Herzen vereint sind, wenn die Angesichter dem Königreiche Abhá zugewandt sind, wird wahrlich Erleuchtung erlangt werden. (39)

Der menschliche Geist lebt ewig weiter, nachdem er diese stoffliche Form abgelegt hat, und so ist sicherlich jedes Lebewesen fähig, Fortschritte zu machen. Darum ist es erlaubt, um Fortschritt, Vergebung, Erbarmen, Wohltaten und Segnungen für einen Menschen nach dessen Tode zu bitten, weil das Dasein die Fähigkeit zum Fortschritt hat. Daher wird in den Gebeten von Bahá’u’lláh für die Verstorbenen Vergebung und Erlassung der Sünden erfleht. Noch mehr, wie die Menschen dieser Welt Gott benötigen, so benötigen sie Ihn auch in der anderen Welt. Die Geschöpfe sind immer in Not, Gott aber ist gänzlich unabhängig in dieser Welt und in der kommenden Welt. [Seite 21]

Der Reichtum der anderen Welt ist Nähe bei Gott. Darum ist es gewiß, daß die, welche dem göttlichen Hofe näher sind, vermitteln dürfen, und diese Vermittlung wird von Gott gebilligt. Aber die Vermittlung in der anderen Welt ist nicht wie die Vermittlung in dieser Welt: Es ist etwas anderes, eine andere Wirklichkeit, die nicht in Worten ausgedrückt werden kann. (40)


Dankbarkeit und Lobpreisung

Seid ihr euch bewußt, wieviel Dank ihr Gott schuldet für Seine Segnungen? Wolltet ihr Ihm tausendmal mit jedem Atemzug danken, so wäre es noch nicht genug; denn Gott hat euch erschaffen und erzogen. Er hat euch vor aller Trübsal bewahrt und alle Gaben und Geschenke für euch bereit. Bedenket, was für ein gültiger Vater Er ist.

Er hat uns einen guten Vater und eine mitfühlende Mutter gegeben... Erfrischendes Wasser, sanfte Winde und Seinen Sonnenschein über unseren Häuptern. Kurz, Er hat uns mit allem Nötigen im Leber versehen, obwohl wir Ihn um keine dieser großen Gaben gebeten haben. ... Er hat uns in diesem strahlenden Jahrhundert erschaffen, in einem Jahrhundert, das alle heiligen Seelen vergangener Zeiten ersehnt haben... Die Weisen der Geschichte stimmten darin überein, daß dieses Jahrhundert hundert Jahrhunderten der Vergangenheit gleich ist. Dies ist wahr, von jedem Standpunkt aus gesehen. Dies ist das Jahrhundert der Wissenschaft, der Erfindungen, Entdeckungen und der allumfassenden Gesetze. Dies ist das Jahrhundert der Offenbarungen der Geheimnisse Gottes... Darum müßt ihr Gott danken und Ihn verherrlichen, weil ihr in diesem Zeitalter geboren seid. Noch mehr: Ihr habt den Ruf von Bahá’u’lláh gehört... Ihr habt geschlafen, nun seid ihr erwacht. Eure Ohren lauschen, eure Herzen haben die Kunde empfangen. Ihr habt die Liebe Gottes erlangt. Ihr habt die Erkenntnis Gottes erreicht. Dies ist die größte Gabe von Gott...

Ihr müßt den Wert dieser Gnadenfülle hoch schätzen und eure Zeit damit verbringen, den Wahren zu verkünden und Ihm zu danken. Ihr müßt ein glückseliges Leben führen. Wenn Kümmernisse und Wechselfälle in euer Leben treten, wenn euer Herz aus Sorge um Gesundheit, Lebensunterhalt oder Beruf niedergedrückt ist, so laßt solche Dinge nicht allzusehr euch ergreifen. Sie sollten euch nicht unglücklich machen, denn Bahá’u’lláh hat euch göttliche Glückseligkeit gebracht... Dankt Gott immerfort, so daß die Bestätigungen Gottes euch alle umschließen mögen. (41)

Sei glücklich und wohlzufrieden und erhebe dich und bringe Gott deinen Dank dar, auf daß dieses Danken Seine Güte zu dir noch mehre. (42)

Danke dem gütigen Vater... daß die Welt der Schöpfung und das Herz des Weltalls Trost fanden in Seiner Barmherzigkeit. (43)

Denke darüber nach: Welche Güte und welche Gunst ist es, daß die Klugen der Welt und die Weisen der Menschheit die Wahrheit nicht zu fassen vermögen, aber die kleinen Kinder des Königreiches sie erreicht haben, unter dem Schatten des Baumes des Lebens wohnen und ruhen dürfen und der ewigen und immerwährenden Gabe teilhaftig sind! (44)

Darum sei Gott dankbar, daß er [Seite 22] dich stärkte, Seiner heiligen Sache zu dienen, daß Er die Blumen der Erkenntnis und des Verstehens aus dem Garten deines Herzens sprießen ließ. So hat Seine Gnade dich umfangen; sie hat die ganze Schöpfung umfangen. Sei wohl bedacht, daß du dich von nichts mehr bedrücken lässest. (45)

O Sohn des Seins! Verkünde Mich auf Meiner Erde, auf daß ich deiner gedenke in Meinem Himmel. So werden Meine Augen erquickt werden und die deinigen. (46)

Preis sei Dir, o mein Gott, daß der Duft Deiner liebevollen Güte mich entzückt hat und die sanften Winde Deines Erbarmens mich Deiner Gunst und Gnade entgegentreiben. (47)

Ruhm sei Dir, o mein Gott! Deine Kraft und Macht sind mir Zeugen! Ich kann nicht daran zweifeln: wenn der heilige Hauch Deiner liebevollen Güte und der Wind Deiner Gunst und Gnade nicht mehr über alles Geschaffene wehen sollten und sei es auch kürzer als ein Augenblick, so würde die ganze Schöpfung vergehen und alles im Himmel und auf Erden zerfiele und zerstöbe in nichts. Verherrlicht seien darum die wundersamen Beweise Deiner überragenden Kraft, verherrlicht sei das Walten Deiner erhabenen Macht, verherrlicht sei die Majestät Deiner allumfassenden Größe und die belebende Wirkung Deines Willens! (48)

Erhaben bist Du über meinen Lobpreis und den Lobpreis aller an meiner Seite, über meine Beschreibung und die Beschreibung aller, die im Himmel, und aller, die auf Erden sind! (49)

Verherrlicht sei Dein Name, o mein Gott, denn Du hast den Tag geoffenbart, welcher der König der Tage ist, den Tag, den Du Deinen Erwählten und Deinen Propheten auf Deinen erhabensten Tafeln verkündet hast, den Tag, an dem Du den Glanz und die Herrlichkeit aller Deiner Namen auf alles Erschaffene ausgeströmt hast. (50)

Stimme an, o mein Diener, die Verse Gottes, die du empfangen hast, wie alle sie angestimmt hatten, die zu Seiner Nähe gelangten, so daß die Süße deiner Melodie deine eigene Seele entflammen und die Herzen aller Menschen anziehen möge.

Wenn der Mensch in stiller Kammer die von Gott geoffenbarten Verse spricht, dann werden die Engelsboten des Allmächtigen den Duft der Worte aus Seinem Munde weithin verbreiten und das Herz eines jeden Gerechten höher schlagen lassen. Mag er auch zunächst seiner Wirkung nicht gewahr werden — früher oder später wird die Kraft der ihm gespendeten Gnade ihren Einfluß auf seine Seele ausüben. (51)


Die Dankbarkeit Bahá’u’lláh’s

Verherrlicht bist Du, o mein Gott! Du weißt, daß mein einziges Ziel in der Offenbarung Deiner heiligen Sache das gewesen ist, Dich und nicht mich selbst zu offenbaren und Deine Herrlichkeit und nicht die meinige kundzutun. Auf Deinem Pfade, um Dein Wohlgefallen zu erlangen, habe ich Ruhe, Freude, Vergnügen verschmäht. Allezeit und in allen Lebenslagen war mein Blick auf Deine Gebote geheftet und waren meine Augen auf das gerichtet, was Du mir auf Deinen Tafeln zu befolgen befohlen hast. Jeden Morgen habe ich dem Lichte Deines Lobpreises und Deines Gedenkens entgegengewacht, und jeden Abend ward mir beschieden, den Duft Deiner Barmherzigkeit einzuatmen. (52) [Seite 23]

Allezeit, wenn ich meine Augen zu Deinem Himmel erhebe, rufe ich mir Deine Höhe und Deine Erhabenheit in den Sinn und Deine unvergleichliche Herrlichkeit und Größe. Und allezeit auch, wenn ich meinen Blick auf Deine Erde wende, vermag ich die Beweise Deiner Kraft und die Zeichen Deiner Güte zu erkennen. Und wenn ich auf das Meer schaue, so gewahre ich, daß es mir von Deiner Erhabenheit kündet und von dem Walten Deiner Macht und von Deiner höchsten Herrschaft und von Deiner Größe. Und immer, wenn ich die Berge betrachte, so lässest Du mich die Zeichen Deines Sieges und die Fahnen Deiner Allmacht entdecken. (53)

Jede Trübsal, die mich betroffen hat auf Deinem Pfade, hat meine Freude vermehrt und meine Fröhlichkeit erhöht. Ich schwöre bei Dir, daß Du, der Du der König der Könige bist: keiner der Könige der Erde hat die Macht, mich daran zu hindern, Deiner zu gedenken und Deine Tugenden zu preisen. (54)

So viel Dank gebührt Dir, daß er die Schritte der Eigensinnigen zu dem Glanz des Morgenlichtes Deiner Führung leiten kann... So viel Dank gebührt Dir, daß er die Kranken näher zu den Wassern Deiner Heilung führen kann und denen, die Dir ferne sind, helfen kann, sich dem Lebensquell Deiner Gegenwart zu nähern... So viel Dank gebührt Dir, daß er alle Dinge begeistern kann... und die Zunge aller Wesen lösen kann,... Deine Schönheit zu verherrlichen ... So viel Dank gebührt Dir, daß er den verdorbenen Baum gute Früchte tragen läßt... und die Körper aller Wesen mit den sanften Winden Deiner überragenden Hand beleben kann... So viel Dank gebührt Dir, daß er dich die Sünden und Übertretungen vergeben und die Bedürfnisse der Völker aller Religionen erfüllen und die Düfte der Verzeihung über die ganze Schöpfung wehen läßt... So viel Dank gebührt Dir, daß er die Wünsche aller befriedigt, die Dich suchen, und die Ziele aller derer verwirklicht, die Dich erkannt haben. So viel Dank gebührt Dir, daß er aus den Herzen der Menschen alle Eingebungen ihrer Beschränktheit tilgen kann... (55)


Meditation und das geoffenbarte Wort Gottes

Eine Stunde tiefes Nachsinnen ist besser als siebzig Jahre frommer Gottesdienst. (56)

Durch die Kraft der Meditation erreicht der Mensch ewiges Leben. Durch sie empfängt er den Odem des heiligen Geistes, denn die Gabe des Geistes wird ihm im Nachsinnen und in der Meditation gespendet.

Diese Kraft der Meditation befreit den Menschen von der tierischen Natur, läßt ihn die Wirklichkeit der Dinge unterscheiden und bringt den Menschen in Berührung mit Gott. Diese Kraft bringt aus dem unsichtbaren Plan Wissenschaften und Künste zutage. Durch die Kraft der Meditation werden Erfindungen möglich, Riesenunternehmungen ausgeführt, durch sie können die Pläne der Regierung reibungslos in die Tat umgesetzt werden. Durch diese Kraft tritt der Mensch erst wirklich in das Reich Gottes ein...

Manche Gedanken jedoch sind für den Menschen nutzlos. Sie sind wie Wogen auf dem Meere, die dahinrollen ohne Ergebnis. Wenn aber die Kraft der Meditation in das innere [Seite 24] Licht getaucht und mit göttlichen Attributen gekennzeichnet ist, dann werden ihre Ergebnisse Bestätigung finden.

Die Kraft der Meditation ist einem Spiegel ähnlich. Wenn du ihn vor irdische Dinge hältst, dann wird er sie widerspiegeln. Wenn daher der Menschengeist Irdisches betrachtet, so wird er dieser Dinge gewahr. Wenn du aber den Spiegel deines Geistes himmelwärts wendest... so werden die Strahlen der Sonne der Wirklichkeit in Deinem Herzen widergespiegelt und du der Tugenden des Königreiches teilhaftig.

Laßt uns darum diese Kraft richtig lenken, sie der himmlischen Sonne und nicht irdischen Dingen zuwenden, so daß wir die Geheimnisse des Königreiches entdecken und die Sinnbilder der Bibel und die Mysterien des Geistes erfassen. (57)

Erforschet und studieret die Heiligen Schriften Wort für Wort, auf daß ihr Erkenntnis der darin verborgenen Geheimnisse erlangt. Seid nicht mit Worten zufrieden, sondern sucht die geistige Bedeutung, die im Herzen der Worte verborgen ist, zu verstehen ...

Zum Beispiel ... betrachtet die sinnbildliche Bedeutung der Worte und Lehren Christi. Seine Heiligkeit sprach: „Ich bin das lebendige Wort, das vom Himmel herabkam; wenn ein Mensch von diesem Worte isset, so wird er ewiglich leben.“ Als die Juden dieses hörten, nahmen sie es wörtlich und konnten sie dadurch Sinn und Bedeutung Seiner Lehre nicht verstehen. Die geistige Wahrheit, die Christus ihnen übermitteln wollte, ist die, daß die Wirklichkeit der Gottheit in ihm wie ein Segen vom Himmel herabgekommen war, und daß der, welcher an diesem Segen teilhatte, nimmer sterben würde. Das heißt, „Brot“ war das Sinnbild der Vollkommenheiten, die auf Ihn von Gott herabgestiegen waren, und wer von diesem Brot aß oder sich mit den Vollkommenheiten Christi schmückte, würde ohne Zweifel zu ewigem Leben gelangen. Die Juden verstanden Ihn nicht, nahmen die Worte buchstäblich und sagten: „Wie kann uns dieser Mensch sein Fleisch zu essen geben?“ Hätten sie die wirkliche Bedeutung des heiligen Buches verstanden, so hätten, sie an Christus geglaubt.

Alle Texte und Lehren der heiligen Testamente haben eine innere, geistige Bedeutung. Sie dürfen nicht wörtlich genommen werden... Das sind die Geheimnisse Gottes... Darum bete ich für euch, daß euch die Kraft des Verstehens dieser wirklichen Bedeutung der Heiligen Schriften gegeben wird und daß ihr der Mysterien innewerdet, die in den Worten der Bibel verschlossen sind, so daß ihr ewiges Leben erlanget und daß eure Herzen nach dem Reiche Gottes hingezogen werden. Mögen eure Seelen erleuchtet werden durch das Licht der Worte Gottes, und möget ihr Schatzkammern der Gottesmysterien werden, denn kein Trost ist stärker und kein Glück ist süßer als das geistige Erfassen der göttlichen Lehren. (58)

Singet (oder sprechet) die Worte Gottes jeden Morgen und jeden Abend. Wer dies vernachlässigt, der ist dem Bündnisse Gottes nicht treu, und wer sich an diesem Tage davon abwendet, gehört zu denen, die sich von Gott abgewandt haben. Fürchte Gott, o mein Volk! Werde nicht stolz durch zu vieles Lesen (des heiligen Wortes). [Seite 25] Nur einen Vers in Freude und Frohsinn zu singen, ist besser für euch, als alle Offenbarungen des allmächtigen Gottes achtlos zu lesen. Singet die Schriften Gottes nur in dem Maße, daß ihr nicht von Müdigkeit und Schwäche befallen werdet. Überbürdet die Seele nicht bis zur Erschöpfung und Abspannung, sondern erquicket sie vielmehr derart, daß sie sich auf den Schwingen der Offenbarung zum Dämmerungsort der Beweise erheben möge. Dies bringt euch näher zu Gott — o gehörtet ihr doch zu denen, die dies verstehen! (59)

Tauchet in den Ozean Meiner Worte, auf daß ihr seine Geheimnisse enträtseln und alle Perlen der Weisheit, die in seinen Tiefen verborgen liegen, entdecken möget. (60)


Quellenangaben (Stellen aus der gleichen Quelle sind durch die gleiche Ziffer erkenntlich, die der Seitenzahl vorgesetzt ist):

1. „Star of the West“, Bd. 8, S. 44/45. 2. „Tablets of ‘Abdu’l-Bahá“, S. 683. 3. = 2., S. 3. 4. = 2.,S. 69. 5. = 2., S. 694. 6. = 2., S. 98. 7. „Brief an den Sohn des Wolfes“ (Bahá’u’lláh). 8. „Gleanings from the Writings of Bahá’u’lláh“, S. 323. 9. „Verborgene Worte“, aus dem Arabischen, Nr. 16. 10. „Wisdom of ‘Abdu’l-Bahá“, S. 155. 11. = 9., Nr. 18. 12. = 2., S. 89. 13. = 8., S. 291. 14. = 2., S. 639. 15. = 2., S.522. 16. „World Order“, Bd. 9, S. 271. 17. „Bahá’i Prayers“ (1941), S. 60. 18. = 17., S. 49. 19. = 10., S. 45. 20. = 2., S. 168. 21. = 10., S. 55. 22. = 2., S. 247. 23. = 10., S. 86/87. 24. „Prayers and Meditations“ (Bahá’u’lláh), S. 312. 25. „Promulgation of Universal Peace“ ('Abdu'l-Bahá), S. 241/242. 26. „Seven Valleys“, S. 21. 27. = 24., S. 249. 28. = 1., Bd. 8, S. 48. 29. = 1., Bd. 8, S. 48. 30. = 8., S. 265. 31. = 2., S. 186. 32. = 2., S. 694/695. 33. = 10., S. 105. 34. = 8., S. 266. 35. = 2. S. 277. 36. = 8., S. 243. 37. = 2., S. 113. 38. = 2., S. 661. 39. = 1., Bd. 8, S. 47. 40. „Beantwortete Fragen“ ('Abdu'l-Bahá), Kap. 62, S. 293. 41. = 25., S. 182/183. 42. = 2., S.483. 43. = 2., S. 426. 44. = 2., S. 247. 45. = 8., S. 303. 46. = 9., Nr. 43. 47. = 24., S., 240. 48. = 24., S. 90. 49. = 24., S. 315. 50. = 24., S. 117. 51. = 8., S. 295. 52. = 24., S.103. 53. = 24. S. 272. 54. = 24., S. 105. 55.= 24., S. 329. 56. „Kitáb-i-Iqán“ (Bahá’u’lláh), Ausgabe in Englisch, S. 238 = „Sonne der Wahrheit“. 57. = 10., S. 163/164. 58. = 25., S. 454/456. 59. Esslemont, „Bahá’u’lláh und das neue Zeitalter“, S. 144/145. 60. = 8., S. 136.



DER VERHEISSENE TAG IST GEKOMMEN[Bearbeiten]

Von Shoghi Effendi
(Fortsetzung)


Rasche und gründliche Demütigung

Von allen Monarchen auf Erden zu der Zeit, als Bahá’u’lláh Seine Botschaften an sie in der Suriy-i-Muluk in Adrianopel offenbarte, waren die Erhabensten und Einflußreichsten der französische Kaiser und der Papst. Im politischen und religiösen Bereich hatten sie ihren entsprechenden höchsten Rang inne und die Demütigung, die beide erlitten, war zugleich rasch und gründlich.

Napoleon III, der Sohn von Louis Bonaparte (dem Bruder Napoleons I.) war, wie wohl wenige Geschichtschreiber bestreiten werden, der überragende Monarch seiner Zeit im Westen. „Der Kaiser ist der Staat“, so sagte man von ihm. Die französische Hauptstadt war die reizvollste in Europa, der französische Hof „der glänzendste und üppigste des neunzehnten Jahrhunderts“. Besessen von einem starren, unzerstörbaren Ehrgeiz trachtete [Seite 26] er darnach, dem Vorbild seines Oheims nachzueifern und dessen unterbrochenes Werk zu vollenden. Ein Träumer und Verschwörer verschlagener Natur, heuchlerisch und unbekümmert, hatte er, der Erbe des napoleonischen Thrones, seinen Vorteil aus der Politik gezogen, die das wiederauflebende Interesse für die Laufbahn seines großen Vorbildes nährte, und die Monarchie zu stürzen versucht. Aber sein Bemühen scheiterte, und er wurde nach Amerika verbannt. Später beim Versuch eines Einfalls in Frankreich wieder gefangen und zu lebenslänglicher Haft verurteilt, entkam er nach London, bis 1848 die Revolution seine Rückkehr zuwege brachte und ihn in den Stand setzte, die Verfassung umzustürzen. Daraufhin wurde er dann zum Kaiser ausgerufen. Wenngleich fähig, weitreichende Bewegungen einzuleiten, besaß er weder den Scharfsinn noch den Mut, sie zu beherrschen.

Diesem Manne, dem letzten Kaiser Frankreichs, welcher durch auswärtige Eroberungen seine Dynastie dem Volke wert zu machen strebte, welcher sogar den Traum hegte, Frankreich zum Mittelpunkt eines neuerweckten Römischen Reiches zu machen - einem solchen Manne hatte der Verbannte von Akka, dreimal schon durch den Sultan ‘Abdu’l-‘Aziz verbannt, aus der Kaserne, hinter deren Mauern Er eingekerkert lag, ein Sendschreiben übermittelt, welches diese zweifellos klare Anklage und verhängnisschwere Weissagung enthielt: „Wir bezeugen, daß das, was dich weckte, nicht ihr (der im Schwarzen Meer ertränkten Türken) Schrei war, sondern die Einflüsterungen deiner eigenen Leidenschaften; denn Wir prüften dich und fanden dich fehlerhaft... Wärest du aufrichtig gewesen in deinen Worten, so hättest du nicht das Buch Gottes (das erste Sendschreiben) beiseite geworfen, als es dir gesandt wurde durch Ihn, den Allmächtigen, den Allweisen... Für das, was du getan, soll dein Reich in Verwirrung gestürzt werden, und dein Kaiserreich soll deinen Händen entgleiten als eine Strafe für das, was du getan hast.“

Bahá’u’lláh’s frühere Botschaft war, durch einen der französischen Gesandten des Kaisers weitergeleitet, in einer Art und Weise aufgenommen worden, wie sie aus den im „Brief an den Sohn des Wolfes“ verzeichneten Worten vermutet werden kann: „Auf dieses (das erste Sendschreiben) antwortete er jedoch nicht. Nach Unserer Ankunft im größten Gefängnis erreichte Uns ein Brief seines Gesandten, dessen erster Teil in persisch, der zweite in seiner eigenen Handschrift geschrieben war. Darin war er ganz herzlich und schrieb folgendes: ‚Ich habe, wie Sie mich baten, Ihren Brief übergeben, bis heute aber noch keine Antwort erhalten, Wir haben jedoch die nötigen Empfehlungen an unseren Botschafter in Konstantinopel und an unsere Konsuln in jenen Gegenden gesandt. Wenn Sie noch irgendwelche Wünsche haben, teilen Sie sie uns mit, und wir wollen sie ausführen.‘ Aus diesen Worten geht klar hervor, daß er die Absicht dieses Dieners so verstand, als ob es sich um eine Bitte um materiellen Beistand gehandelt hätte.“

In Seinem ersten Sendschreiben hatte Bahá’u’lláh in dem Wunsche, die Aufrichtigkeit der Beweggründe des Kaisers zu prüfen, mit Vorbedacht einen sanften, nicht herausfordernden Ton angenommen. Er hatte [Seite 27] die Leiden, die Er zu erdulden hatte, ausführlich geschildert und dann die folgenden Worte an ihn gerichtet: „Zwei durch den König dieser Zeit gütig ausgesprochene Bemerkungen haben die Ohren dieser Mißhandelten erreicht. Diese Erklärungen sind wahrlich der König aller Erklärungen, dergleichen noch niemals von einem Herrscher gehört worden sind. Die erste war die Antwort an die russische Regierung, auf deren Frage, warum der (Krim-)Krieg gegen sie geführt werde. Du antwortetest: ‚Der Schrei der Unterdrückten, die ohne Schuld und Tadel im Schwarzen Meer ertränkt wurden, weckte Mich zur Zeit der Morgendämmerung. Daher ergriff ich die Waffen gegen dich.‘ Jedoch diese Unterdrückten hier haben noch größeres Unrecht erlitten und sind in noch größerer Not. Während die jenen Menschen angetane Trübsal nur einen Tag dauerte, haben sich die von diesen Dienern hier getragenen Leiden fünfundzwanzig Jahre lang hingezogen, in denen jeder Augenblick uns qualvolle Pein brachte. Die zweite wichtige Äußerung — wahrlich eine wundervolle Äußerung, die du der Welt verkündetest — war diese: ‚Uns liegt es ob, die Unterdrückten zu rächen und den Hilflosen beizustehen.‘ Der Ruf der Gerechtigkeit und Ehrlichkeit des Kaisers hat sehr vielen Seelen Hoffnung gebracht. Es geziemt dem König dieses Zeitalters, nach der Lage solcher zu forschen, denen Unrecht getan wurde, und es steht ihm zu, den Schwachen seine Sorge angedeihen zu lassen. Wahrlich, auf Erden sind nie solche Unterdrückten gewesen, wie wir es sind, noch gibt es solche heutzutage, oder so Hilflose wie diese Wanderer.“

Es wird berichtet, daß nach Erhalt dieser ersten Botschaft jener oberflächliche, verschlagene und hochmutstrunkene Monarch das Sendschreiben zu Boden geschleudert habe mit den Worten: „Wenn dieser Mann ein Gott ist, dann bin ich zwei Götter!“ Der Überbringer des zweiten Sendschreibens, so ist zuverlässig berichtet, hat, um der strengen Aufsicht der Wachen zu entgehen, es in seinem Hut verborgen und war so imstande, es dem französischen Geschäftsträger zu übergeben, der in Akka wohnte und, wie Nabil in seiner Erzählung bezeugte, es ins Französische übersetzte und es dem Kaiser sandte. Er selbst wurde ein Gläubiger, als er später die Erfüllung der so bemerkenswerten Weissagung erlebte.

Die Bedeutung der düsteren und schicksalschwangeren Worte Bahá’u’lláh’s in Seinem zweiten Sendschreiben enthüllte sich bald. Er, der zur Herausforderung des Krimkrieges durch selbstische Wünsche getrieben und durch persönlichen Groll gegen den russischen Kaiser gereizt war, der voll Ungeduld war, den Vertrag von 1815 zu zerreißen, um das Unglück von Moskau zu rächen, und der mit kriegerischem Ruhm seinen Thron zu schmücken suchte, wurde bald selbst von einer Katastrophe verschlungen, die ihn in den Staub warf und Frankreich von seinem überragenden Rang unter den Nationen zur vierten Macht in Europa herabsinken ließ.

Die Schlacht bei Sedan besiegelte 1870 das Schicksal des französischen Kaisers. Die Masse seines Heeres geriet in Auflösung und ergab sich, was die größte bis dahin in der modernen Geschichte verzeichnete Kapitulation darstellte. Eine schmerzliche Kriegsentschädigung wurde eingetrieben. Er selbst wurde gefangen genommen. [Seite 28]

Sein einziger Sohn, der kaiserliche Prinz, fiel einige Jahre später im Kriege gegen die Zulukaffern. Das Kaiserreich brach zusammen, ohne daß sein Programm verwirklicht war. Die Republik wurde ausgerufen. Paris wurde daraufhin belagert und kapitulierte. „Das Schreckensjahr“ folgte, durch Bürgerkrieg gekennzeichnet, das in seiner Wildheit noch den deutsch-französischen Krieg übertraf. Wilhelm I., der preußische König, wurde zum deutschen Kaiser gerade in dem Palaste gekrönt, der als „mächtiges Denkmal und Sinnbild der Macht Ludwigs XIV., einer Macht, welche bis zu einem gewissen Grade durch die Demütigung Deutschlands gesichert worden war“, dastand: Abgesetzt durch ein Unheil, „so schauderhaft, daß es in der ganzen Welt widerhallte“, litt dieser falsche und prahlerische Monarch schließlich bis zu seinem Tode die gleiche Verbannung, wie er sie im Falle Bahá’u’lláh’s so herzlos übersehen hatte.

Eine weniger dramatische, aber geschichtlich bedeutsamere Demütigung erwartete den Papst Pius IX. An ihn, der sich als den Vertreter Christi betrachtete, schrieb Bahá’u’lláh, daß „das Wort, welches der Sohn (Jesus) verbarg, geoffenbart worden ist“, daß „es herabgesandt worden ist in Gestalt des menschlichen Tempels“, daß das Wort Er selbst sei und Er selbst der Vater. Ihm, der sich als „Diener der Diener Gottes“ betitelte, verkündete der Verheißene aller Zeitalter, Seine Stufe in ihrer ganzen Fülle entschleiernd, daß „Er, welcher der Herr der Herren ist, gekommen ist im Schatten der Wolken“. Er war es, der bei seinem Anspruch, der Nachfolger Petri zu sein, von Bahá’u’lláh gemahnt wurde: „Dies ist der Tag, da der Fels (Petrus) ausruft und jauchzt ...mit den Worten: Sehet, der Vater ist gekommen und, was euch im Königreiche verheißen ward, das ist erfüllet.“ Er war es, der Träger der dreifachen Krone, der später der erste Gefangene des Vatikans wurde, dem der göttliche Gefangene von Akka befahl, „seine Paläste denen zu überlassen, die sie begehren“, „allen Schmuck und Zierat zu verkaufen“, den er besaß, und „den Erlös auf dem Pfade Gottes auszugeben“ und „sein Königreich den Königen zu überlassen“ und aus seiner Wohnung herauszutreten, sein Angesicht „dem Königreiche zugewandt“.

Graf Massai-Ferretti, Bischof von Imola, 254. Papst seit dem Beginn des Primats des hl. Petrus, welcher auf den apostolischen Thron zwei Jahre nach der Erklärung des Báb erhoben wurde und dessen Pontifikat an Dauer das jedes seiner Vorgänger übertraf, wird für immer in der Erinnerung bleiben als Verfasser der Bulle, welche die unbefleckte Empfängnis der gebenedeiten Jungfrau erklärte (1854), was im Kitáb-i-Iqán als ein Kirchenlehrsatz erwähnt wird, und als Verkünder des neuen Dogmas von der Unfehlbarkeit des Papstes (1870). Eine herrschsüchtige Natur, ein schlechter Staatsmann, unversöhnlich, entschlossen, alle Machtbefugnisse zu wahren, konnte er, obgleich er durch Annahme einer ultramontanen Haltung seine Stellung fortwährend abgrenzte und seine geistige Amtsgewalt stärkte, schließlich jene weltliche Herrschaft doch nicht behaupten, die so viele Jahrhunderte lang von den Häuptern der katholischen Kirche ausgeübt worden war.

Diese weltliche Macht war im Laufe der Zeiten zu einem unbedeutenden [Seite 29] Bruchteil zusammengeschrumpft. Die Jahrzehnte, die ihrem Erlöschen vorangingen, waren voll der schwersten Wechselfälle. Als die Sonne der Offenbarung Bahá’u’lláh’s zum vollen Mittagsglanze stieg, wurden die Schatten, welche das dahinschwindende Patrimonium Petri befielen, entsprechend tiefer. Das Sendschreiben Bahá’u’lláh’s an Pius IX. beschleunigte den Untergang. Ein flüchtiger Blick auf die Bahn seines sinkenden Glückes während jener Jahrzehnte wird genügen: Napoleon I. hatte den Papst aus seinen Staaten vertrieben. Der Wiener Kongreß hatte ihn als deren Oberhaupt und die Priester in deren Verwaltung wieder eingesetzt. Verdorbenheit, Zerrüttung und die Unfähigkeit, die innere Sicherheit zu verbürgen, sowie die Wiederherstellung der Inquisition hatten einen Geschichtsschreiber zu der Behauptung veranlaßt, daß „kein Land in Italien, vielleicht in Europa, mit Ausnahme der Türkei, so regiert werde wie dieser Kirchenstaat“. „Rom war eine Ruinenstadt, materiell sowohl wie moralisch.“ Aufstände führten zum Eingreifen Österreichs. Fünf Großmächte verlangten die Einführung weitreichender Reformen, welche der Papst versprach, aber nicht einführte. Österreich machte sich wieder geltend, erfuhr aber den Widerstand Frankreichs. Beide beobachteten einander in den Papststaaten bis 1838, als mit ihrem Rückzug der Absolutismus aufs neue eingeführt wurde. Des Papstes weltliche Macht wurde nunmehr von einigen seiner eigenen Untertanen öffentlich angeklagt und ihr Untergang im Jahre 1870 angekündigt. Innere Verwicklungen zwangen ihn in stockfinsterer Nacht, als einfacher Priester verkleidet, zur Flucht aus Rom, das zur Republik erklärt wurde. Später wurde durch die Franzosen sein früherer Status wiederhergestellt. Die Schaffung eines Königreiches Italien, die unzuverlässige Politik Napoleons III., das Unheil von Sedan und die von Clarendon auf dem den Krimkrieg abschließenden Pariser Kongreß öffentlich als ein „Schandfleck Europas“ bezeichneten Untaten der päpstlichen Regierung, besiegelten das Schicksal dieser wankenden Herrschaft. “

1870, nachdem Bahá’u’lláh Seinen Brief an Pius IX. geoffenbart hatte, trat Viktor Emmanuel I. in den Krieg mit den päpstlichen Staaten, und seine Truppen zogen in Rom ein und besetzten es. Am Vorabend dieser Besetzung begab sich der Papst in den Lateran und stieg, das Gesicht in Tränen gebadet, trotz seinem Alter mit gebeugten Knien die Scala Santa hinan. Am nächsten Morgen, als die Beschießung begann, befahl er, die weiße Flagge über dem Petersdom zu hissen. Seines Besitzes beraubt, weigerte er sich, diese „Schöpfung der Revolution“ anzuerkennen, exkommunizierte die Eindringlinge in seine Staaten, bezichtigte Viktor Emmanuel als „Räuberkönig“ und als „jedes religiösen Grundsatzes bar“, „Verächter jedes Rechtes und Vergewaltiger jedes Gesetzes“. Rom, „die ewige Stadt, auf welcher fünfundzwanzig Jahrhunderte des Ruhmes ruhen“ und über welcher die Päpste mit nie bestrittenem Rechte zehn Jahrhunderte lang geherrscht hatten, wurde schließlich zum Sitze eines neuen Königreiches und zum Schauplatz der Demütigung, die Bahá’u’lláh vorausgeschaut und die der Gefangene des Vatikans sich selbst aufgebürdet hatte.

„Die letzten Jahre des alten [Seite 30] Papstes“, schreibt ein Berichter seines Lebens, „waren mit Qualen erfüllt. Zu seinen körperlichen Gebrechen trat noch der Gram, allzuoft sogar im Herzen Roms den Glauben freventlich verletzt, die religiösen Orden beraubt und verfolgt, die Bischöfe und Priester an der Ausübung ihrer Amtshandlungen verhindert zu sehen“ .

Jede Anstrengung, die 1870 geschaffene Lage wieder rückgängig zu machen, erwies sich als fruchtlos. Der Erzbischof von Posen ging nach Versailles, um Bismarcks Einschreiten zugunsten des Papsttums zu erbitten, wurde aber kühl empfangen. Später wurde eine katholische Partei in Deutschland gebildet, um einen politischen Druck auf den deutschen Reichskanzler auszuüben. Aber alles war vergebens. Das mächtige, schon erwähnte Geschehen mußte unerbittlich seinen Lauf nehmen. Noch jetzt, nachdem über ein halbes Jahrhundert vergangen, hat die sogenannte Restauration der weltlichen Herrschaft nur dazu gedient, die Hilflosigkeit dieses ehemals mächtigen Fürsten noch stärker hervortreten zu lassen, bei dessen Namen Könige zitterten und dessen Doppelherrschaft sie sich völlig unterwarfen. Diese weltliche Herrschaft des Papstes, die sich tatsächlich auf die Zwergstadt des Vatikans begrenzte und Rom als unbestrittenen Besitz einer anderen weltlichen Monarchie überließ, ist erlangt worden um den Preis einer rückhaltlosen, so lange verweigerten Anerkennung des Königreiches Italien. Der Lateranvertrag, der ein für alle Male die ganze römische Frage gelöst haben will, hat tatsächlich einer weltlichen Macht hinsichtlich der von ihr umschlossenen Stadt eine Handlungsfreiheit gesichert, die voll Ungewißheit und Gefahr ist. „Die beiden Seelen der ewigen Stadt“, hat ein katholischer Schriftsteller bemerkt, „sind voneinander getrennt worden, nur um noch härter zusammenzustoßen denn je zuvor.“

Es mag sich wohl der höchste Priester die Regierung des mächtigsten seiner Vorgänger, Innozenz III., zurückrufen, der in den achtzehn Jahren seines Pontifikates Könige und Kaiser einsetzte und absetzte, dessen Interdikte Völker vom christlichen Gottesdienst ausschloß, dessen Gesandten der König von England seine Krone vor die Füße legte und auf dessen Ruf der vierte und auch der fünfte Kreuzzug unternommen wurden.

Könnte nicht das schon geschilderte Geschehen, im Laufe seines Wirkens während der der Menschheit noch bevorstehenden, wildbewegten Jahre auf diesem selben Gebiet eine noch verheerendere Erschütterung zutage bringen, als es schon getan hat?

Der dramatische Zusammenbruch des dritten Kaiserreiches und des napoleonischen Herrscherhauses, der tatsächliche Untergang der weltlichen Herrschaft des Papstes zu Lebzeiten Bahá’u’lláh’s waren nur die Vorläufer noch größerer Katastrophen, die, wie man wohl sagen kann, die Wirkungszeit ‘Abdu’l-Bahá’s gekennzeichnet haben. Die durch einen Konflikt, dessen volle Bedeutung noch unergründet bleibt und der als Vorspiel zu diesem verheerendsten aller Kriege betrachtet werden kann, entfesselten Kräfte können wohl als Anlaß zu diesen schrecklichen Zusammenbrüchen angesehen werden*). Der Verlauf des [Seite 31] Krieges von 1914-1918 entthronte das Haus Romanow, während sein Abschluß den Sturz der Herrscherhäuser Habsburg und Hohenzollern beschleunigte.


Der Aufstieg des Bolschewismus

Der Aufstieg des in den Feuern jenes erfolglosen Ringens geborenen Bolschewismus erschütterte und stürzte den Thron des Zaren Alexander II. Nikolajewitsch, welchem Bahá’u’lláh in Seinem Sendschreiben befohlen hatte, „sich zu erheben... und die Völker vor Gott zu laden“, welcher dreimal gewarnt worden war: „Hüte dich, daß deine Begierde dich nicht davon abhalte, dich dem Antlitz deines Herrn zuzuwenden“, „hüte dich, daß du diese erhabene Stufe nicht verschacherst“, „hüte dich, daß deine Herrschaft dich nicht von Ihm abhalte, welcher der oberste Herrscher ist“ — war tatsächlich nicht der letzte der Zaren, die im Lande herrschten, aber doch der Urheber einer rückschrittlichen Politik, welche sich am Ende für ihn selbst wie auch für sein Herrschergeschlecht als verhängnisvoll erwies.

In der letzten Zeit seiner Regierung führte er eine reaktionäre Politik ein, die weithin Enttäuschung hervorrief und den Nihilismus hochkommen ließ, der, als er sich verbreitete, eine Periode des Terrorismus mit beispiellosen Gewaltakten einleitete, schließlich zu verschiedenen Anschlägen auf des Zaren Leben führten und in seiner Ermordung gipfelte. Strenge Unterdrückung leitete auch die Politik seines Nachfolgers Alexander III., der „eine Haltung herausfordernder Feindseligkeit den Neuerern und Liberalen gegenüber einnahm“. Die Überlieferung eines unberechtigten Absolutismus und äußerster religiöser Rechtgläubigkeit wurden durch den noch strengeren Nikolaus II. aufrechterhalten, den letzten der Zaren, der, durch die Ratschläge eines Mannes, welcher „die Erzverkörperung eines beschränkten, steifnackigen Despotismus“ war, geleitet, durch eine verdorbene Bürokratie unterstützt und durch die unheilvolle Auswirkung eines weit fernab liegenden Krieges gedemütigt, die allgemeine Unzufriedenheit sowohl der Intelligenz wie der Bauern vermehrte. Für eine Zeitlang in unterirdische Kanäle getrieben und durch militärische Rückschläge entfacht, brach sie schließlich mitten im großen Krieg aus in Form einer Revolution, die im Aufstellen von Grundsätzen, im Umsturz von Einrichtungen und in dem Gemetzel, das sie schuf, kaum ihresgleichen in der modernen Geschichte hat.

Ein großes Beben ergriff und erschütterte die Grundlagen jenes Landes. Das Licht der Religion war verdüstert. Kirchliche Institutionen jedweden Namens wurden hinweggefegt. Der Staatsreligion wurde die Unterstützung entzogen, sie wurde verfolgt und abgeschafft. Ein ungeheures Weltreich wurde zerstückelt. Ein kriegerisches, triumphierendes Proletariat vertrieb die Geistesarbeiter und plünderte und massakrierte den Adel. Bürgerkrieg und Krankheit verminderte eine Bevölkerung, die sich ohnehin in den Qualen der Todesangst und Verzweiflung wand. Und schließlich wurde das Haupt des mächtigen Reiches zusammen mit seinen Gefährten, seiner Familie und seiner Dynastie in den Wirbel dieser großen Erregung gerissen und ging darin unter. [Seite 32]

Dasselbe Gottesgericht, das so gräßliches Unglück auf das Reich des Zaren häufte, brachte in seiner Abschlußphase den Fall des allmächtigen deutschen Kaisers, sowie des Erben des einstens berühmten Heiligen Römischen Reiches. Es zerschmetterte das ganz Gefüge des kaiserlichen Deutschlands, das sich aus dem Unheil, welches das napoleonische Herrscherhaus verschlang, erhoben hatte, und gab auch der Doppelmonarchie den Todesstoß.

Fast ein halbes Jahrhundert vorher hatte Bahá’u’lláh, der in klaren, weithin hallenden Worten den schmählichen Fall des Nachfahren des großen Napoleon vorausgesagt hatte, im Kitáb-i-Aqdás an Kaiser Wilhelm I., den neu bejubelten Sieger, eine nicht weniger bedeutungsvolle Warnung gerichtet und, in seiner Redewendung an die Ufer des Rheines, in ebenso unmißverständlichen Worten das Wehklagen geweissagt, welches die Hauptstadt des neu vereinigten Reiches befallen würde.

„Denke an den“ (Napoleon III.), so redete Bahá’u’lláh ihn an, „dessen Macht deine Macht überragte und dessen Rang deinen Rang übertraf... Denke wohl über ihn nach, o König, über ihn und über solche, die gleich dir Städte erobert und Menschen beherrscht haben.“ Und ferner: „O Ufer des Rheins! Wir haben euch mit Blut bedeckt gesehen, denn die Schwerter der Vergeltung waren gegen euch gezückt, und ihr werdet noch einmal an die Reihe kommen. Und Wir hören das Wehklagen Berlins, obgleich es heute in sichtbarem Ruhme strahlt.“

Auf ihn, der durch die Verfechter des heranflutenden Sozialismus in seinem hohen Alter noch zwei Anschläge auf sein Leben zu überstehen hatte, auf seinen Sohn Friedrich III., dessen drei Monate lange Regierung von einer tödlichen Krankheit überschattet war, und schließlich auf seinen Enkel Wilhelm II., den eigenwilligen und anmaßenden Monarchen und Vernichter seines eigenen Kaiserreiches — auf diese fiel in verschiedenem Maße das volle Gewicht der Verantwortungen, welche die Folgen dieser verhängnisvollen Verkündigungen waren.

Wilhelm I., der erste deutsche Kaiser und siebte König von Preußen, der seine ganze Lebenszeit seit seiner Thronbesteigung im Heere zugebracht hatte, war ein kriegerischer, selbstherrlicher, mit veralteten Ideen erfüllter Herrscher, der mit Hilfe eines mit Recht als „eines der Genies seines Jahrhunderts“ betrachteten Staatsmannes eine Politik ins Leben rief, die sozusagen ein neues Zeitalter nicht nur für Preußen, sondern für die Welt . eingeleitet hat. Diese Politik wurde mit charakteristischer Gründlichkeit verfolgt und ausgestaltet durch Unterdrückungsmaßnahmen, die sie sichern und stützen sollten, durch Kriege, die zu ihrer Verwirklichung geführt wurden, und durch politische Bündnisse, die späterhin zu ihrer Erhöhung und Festigung gebildet wurden, Bündnisse, die mit schrecklichen Konsequenzen für den europäischen Erdteil geladen waren.

Wilhelm II., Diktator aus Temperament, politisch unerfahren, militärisch aggressiv und religiös unaufrichtig, führte sich als Apostel des europäischen Friedens auf, bestand jedoch tatsächlich auf „der gepanzerten Faust“ und „der glänzenden Rüstung“. Verantwortungslos, indiskret, zügellos, ehrgeizig, war seine erste [Seite 33] Tat, jenen scharfsinnigen Staatsmann, den wahren Begründer seines Kaiserreiches, zu entlassen, dessen Weisheit Bahá’u’lláh anerkannt hatte, und dessen kaiserlichem, undankbarem Herrn von ‘Abdu’l-Bahá seine Unklugheit bezeugt wurde. Krieg wurde in des Kaisers Lande tatsächlich eine Religion und durch Erweiterung der Ziele seiner mannigfaltigen Tätigkeiten fuhr dieser fort, den Weg zu jenem schließlichen Zusammenbruch zu bereiten, der ihn und sein Haus entthronen sollte. Und als der Krieg ausbrach und die Macht seiner Heere seine Gegner scheinbar überwältigt hatte und die Nachrichten seiner Triumphe ins Ausland drangen und auch im fernen Persien widerhallten, da erhoben sich Stimmen, die jene Stellen des Kitáb-i-Aqdas bespöttelten, welche so klar das Unglück, das seine Hauptstadt befallen sollte, voraussagten. Jedoch plötzlich überraschten ihn verhängnisvoll schnelle, unvorhergesehene Rückschläge. Die Revolution brach aus, Wilhelm II. verließ seine Heere und floh schmählich nach Holland, gefolgt vom Kronprinzen. Die Fürsten der deutschen Staaten dankten ab. Eine Zeit des Chaos folgte. Die kommunistische Fahne wurde in der Hauptstadt gehißt, die zu einem Höllenkessel von Verwirrung und Bürgerkrieg wurde. Der Kaiser unterzeichnete seine Abdankung, Die Verfassung von Weimar errichtete die Republik und ließ so den schrecklichen, durch eine Politik von Blut und Eisen so sorgfältig aufgeführten Bau vollends krachend zusammenstürzen. Alle die einstigen Anstrengungen nach jenem Ziel, das seit der Besteigung des preußischen Thrones durch Wilhelm I. mit inneren Gesetzen und äußeren Kriegen stets so emsig erstrebt worden war, wurden zunichte. „Das Wehklagen Berlins“, das durch die Bedingungen eines ungeheuerlich strengen Vertrages gequält ward, erscholl und bildete einen Gegensatz zu dem Freudengeschrei, das ein halbes Jahrhundert vorher im Spiegelsaal des Palastes von Versailles erschollen war.

Der Habsburger Monarch, Erbe von Jahrhunderten ruhmvoller Geschichte, stürzte zu gleicher Zeit vom Throne. Es war Franz Josef, den Bahá’u’lláh im Kitáb-i-Aqdas tadelte, nicht Seine Sache erforscht und Seine Gegenwart aufgesucht zu haben, wie dies seine Pflicht gewesen wäre und er es mit Leichtigkeit hätte tun können, als er auf dem Wege, das heilige Land zu besuchen, in nächster Nähe war. „Du zogst an Ihm vorbei“, so wirft Er daraufhin dem Pilgerkaiser vor, „und forschtest nicht nach Ihm,... Wir sind allezeit mit dir gewesen und fanden dich am Zweige angeklammert, der Wurzel nicht achtend... Öffne deine Augen, auf daß du diese herrliche Erscheinung schauen und Ihn, den du des Tages und zur Nachtzeit anrufst, erkennen und das Licht, das über diesem erleuchteten Horizont strahlt, erblicken mögest.“

Das Haus Habsburg, welchem der Kaisertitel tatsächlich fast fünf Jahrhunderte lang erblich geblieben war, wurde, seit jene Worte ausgesprochen waren, in zunehmendem Maße durch die Kräfte innerer Zersetzung bedroht und säte so die Saaten äußerer Konflikte. Beiden mußte es schließlich erliegen. Franz Josef, Kaiser von Österreich, König von Ungarn, ein reaktionärer Herrscher, führte alte Mißbräuche wieder ein, übersah die Rechte der Nationalitäten und stellte jene Zentralisierung der Ämter wieder her, die sich am Ende seinem [Seite 34] Reiche so nachteilig erwies. Wiederholte Tragödien verdüsterten seine Regierung. Sein Bruder Maximilian wurde in Mexiko erschossen. Kronprinz Rudolf ging in einer unehrenhaften Affäre unter. Die Kaiserin wurde in Genf ermordet. Erzherzog Franz Ferdinand und seine Gemahlin wurden in Serajewo ermordet, was einen Krieg entflammte, in welchem der Kaiser selbst starb und damit eine Regierungszeit abschloß, die an Unheil, das sie dem Volke brachte von keiner anderen übertroffen wurde.


Ende des Heiligen Römischen Reiches

Verspätete Anstrengungen wurden noch gemacht, den wankenden Thron zu festigen. Das „morsche Kaiserreich“, ein Gemisch von Staaten, Rassen und Sprachen, ging jedoch unaufhaltsam und schnell seiner Auflösung entgegen. Die politische und wirtschaftliche Situation war verzweifelt. Die Niederlage Österreich-Ungarns in eben diesem Kriege läutete seine Totenglocken und brachte seine Zerstückelung. Ungarn löste seine Verbindung. Das zusammengewürfelte Reich wurde zergliedert, und alles, was von dem einst furchtbaren Heiligen Römischen Reich übrig blieb, war eine zusammengeschrumpfte Republik, die ein elendes Dasein führte, bis sie in neuerer Zeit, anders als ihr Schwestervolk, von der politischen Karte Europas völlig ausgelöscht und weggestrichen wurde.

Das war das Schicksal der Reiche der Napoleone, der Romanow, der Hohenzollern und der Habsburger, deren Herrscher mitsamt dem Herrscher auf dem päpstlichen Thron von der Feder des Höchsten einzeln angeredet und dann, je nachdem, gezüchtigt, vorher gewarnt, verurteilt, zurechtgewiesen und ermahnt wurden.

Wie war es nun aber mit dem Schicksal jener Herrscher, die eine staatliche politische Rechtsgewalt über den Glauben, seine Begründer und Anhänger ausübten und in deren Herrschaftsbereiche dieser Glaube geboren und zuerst verbreitet wurde, denen es also freistand, seinen Verkünder zu kreuzigen, seinen Begründer zu verbannen und seine Anhänger niederzumähen?


Was geschah mit der Türkei und Persien?

Schon zu Lebzeiten Bahá’u’lláh’s und später während der Amtswaltung ‘Abdu’l-Bahá’s fielen die ersten Schläge einer langsamen, doch andauernden und unbarmherzigen Vergeltung gleicherweise auf die Herrscher des türkischen Hauses der Osmanen wie auf das Geschlecht der Kadscharen in Persien, die Erzfeinde des jungen Gottesglaubens. Sultan ‘Abdu’l-'Aziz verlor an Macht und wurde bald nach Bahá’u’lláh’s Verbannung aus Adrianopel ermordet, während Schah Násiri’d-Din zur Zeit der Einkerkerung ‘Abdu’l-Bahá’s in der Festungsstadt Akka einer Mörderpistole erlag. Es war jedoch der formbildenden Periode des Gottesglaubens, dem Zeitalter der Geburt und des Aufsteigens der Verwaltungsordnung, vorbehalten — die, wie in früherem Zusammenhange dargelegt, mit ihrer Entfaltung solchen Aufruhr in die Welt wirft — Zeuge zu sein nicht nur des Untergangs der beiden Herrschergeschlechter, sondern auch der Zwillingseinrichtung des Sultanats und des Kalifats.

Von den beiden Gewaltherrschern war ‘Abdu’l-'Aziz der Mächtigere, ranghöher, an Schuld hervorstechender [Seite 35] und an Trübsal und Glück des Gründers unseres Glaubens mehr beteiligt. Er war es, der durch seine Fermane Bahá’u’lláh dreimal verbannt hatte und in dessen Herrschgebiet der Offenbarer Gottes fast alle vierzig Jahre Seiner Gefangenschaft zugebracht hat. Es war während seiner Regierung und der seines Neffen und Nachfolgers ‘Abdu’l-Hamid II., daß der Mittelpunkt des Gottesbündnisses nicht weniger als vierzig Jahre lang in der Gefängnisstadt Akka eine mit so vielen Gefahren, Beleidigungen und Entbehrungen erfüllte Kerkerhaft auszuhalten hatte.

„Horche, o König“, ist die von Bahá’u’lláh an den Sultan ‘Abdu’l-‘Aziz gerichtete Mahnung, „auf die Sache Dessen, der die Wahrheit redet, Dessen, der nicht von dir Belohnung für sich fordert durch Dinge, die Gott dir zu gewähren beliebt hat, Dessen, der unbeirrt den geraden Pfad wandelt... Befolge, o König, mit deinem innersten Herzen und mit deinem ganzen Sein die Vorschriften Gottes und wandle nicht auf den Pfaden des Unterdrückers... Setze nicht dein Vertrauen auf deine Schätze. Lege dein ganzes Zutrauen in die Gnade Gottes, deines Herrn... Überschreite nicht die Grenzen der Mäßigung und verfahre gerecht mit denen, die dir dienen... Halte dir Gottes unbeirrbare Waage vor Augen und wäge wie einer, der in seiner Gegenwart steht, auf dieser Waage deine Taten jeden Tag, jeden Augenblick deines Lebens. Ziehe dich zur Rechenschaft, ehe du zur Abrechnung gerufen wirst an dem Tage, da kein Mensch die Kraft zu stehen haben wird aus Furcht vor Gott, an dem Tage, der die Herzen der Achtlosen erzittern läßt.“

„Der Tag naht heran“, so weissagt Bahá’u’lláh im Lawh-i-Ra’is, „da das Land der Geheimnisse (Adrianopel) und seine Umgegend, verwandelt werden und den Händen des Königs entgleiten, und Aufruhr entsteht und die Stimme des Wehklagens erschallt und Zeichen des Unheils überall offenbar werden und Verwirrung sich ausbreitet um dessetwillen, was diesen Gefangenen zugestoßen ist von den Scharen der Unterdrücker. Der Lauf der Dinge wird sich ändern und die Zustände werden so drückend werden, daß sogar die Sandkörner auf den öden Hügeln stöhnen und die Bäume auf den Bergen weinen werden, und Blut wird überall fließen. Dann wirst du das Volk in schmerzlichem Elend schauen.“

„Bald“, hat Er überdies geschrieben, „wird Er dich ergreifen in Seinem grimmen Zorn, und Aufruhr wird sich in euerer Mitte erheben, und euer Landbesitz wird zerrissen werden. Dann werdet ihr heulen und wehklagen und werdet niemanden finden, der euch helfen und beistehen könnte... Manches Mal hat Unglück euch befallen, und doch habt ihr ganz und gar nicht dessen geachtet. Eines davon war die Feuersbrunst, die den größten Teil der Stadt (Konstantinopel) mit den Flammen der Gerechtigkeit verzehrte und worüber viele Gedichte geschrieben wurden, die besagten, daß kein solches Feuer je gesehen wurde. Und doch wurdet ihr noch achtloser... Desgleichen brach eine Seuche aus, und immer noch nicht gabet ihr acht darauf. Doch seid auf eurer Hut, denn Gottes Zorn ist bereit, euch zu befallen. Binnen kurzem werdet ihr schauen, was aus der Feder meines Befehls herabgesandt worden ist.“

„Durch eure Taten“, so tadelte Er [Seite 36] in einem anderen Sendschreiben, den Fall des Sultanats und des Kalifats vorausschauend, die vereinten Mächte des sunnitischen und des schiitischen Islam, „ist die erhabene Stufe des Volkes erniedrigt, die Standarte des Islam umgestoßen und sein mächtiger Thron gestürzt worden.“

Und schließlich im Kitáb-i-Aqdas, das bald nach Bahá’u’lláh’s Verbannung nach Akka geoffenbart wurde, redet Er den Sitz der türkischen kaiserlichen Macht also an: „O Ort, der du an den Küsten zweier Meere gelegen! Wahrlich, der Thron der Tyrannei ist auf dir errichtet und die Flamme des Hauses ist in deinem Busen entzündet... In der Tat, du bist von offenbarem Stolz erfüllt. Hat deine äußere Pracht dich hochmütig gemacht? Bei Ihm, dem Herrn des Menschengeschlechtes! Sie wird rasch vergehen, und deine Töchter und deine Witwen und alle deines Stammes, die in dir wohnen, werden wehklagen. Dies gibt dir kund der Allwissende, der Allweise.“

Tatsächlich wird an einer höchst bemerkenswerten Stelle im Lawh-i-Fu‘ád, worin der Tod des türkischen Außenministers Fu‘ád Pascha erwähnt ist, der Sturz des Sultans selbst unmißverständlich vorausgesagt: „Bald werden Wir den, der ihm gleich war, entlassen und ihr Haupt, welches das Land beherrscht, erfassen und Ich, wahrlich, bin der Allmächtige, der Allbezwinger.“

Des Sultans Gegenmaßnahmen nach diesen, auf seine Person, sein Reich, seinen Thron, seine Hauptstadt und seine Minister bezüglichen Worten kann aus der Schilderung der Leiden, die er Bahá’u’lláh zufügte und die schon am Anfang dieser Seiten berichtet sind, entnommen werden. Das Erlöschen der „äußeren Pracht“, die diesen Sitz kaiserlicher Macht umgab, ist der Gegenstand, den ich nun des weiteren erklären werde.


*) Das vorliegende Werk schrieb der Verfasser vor dem zweiten Weltkrieg nieder (Bemerkung der Schriftleitung).



DER WEG ZUR NEUEN WELTORDNUNG[Bearbeiten]

Eine Festrede von Dr. Adelbert Mühlschlegel am 2. Mai 1948 aus Anlaß der Jahrestagung der Bahá’i in Deutschland


Wie in einer schöneren Welt fühlen wir uns hier, wie auf einer Insel. Draußen wüten die Stürme des Zeitgeschehens. Uns aber haben Sehnsucht, Hoffnung, Glauben und Gewißheit zusammengeführt zu einer gemeinsamen Erhebung. Vereint sind wir hier im Suchen nach einem Quell der Erkenntnis und Kraft und Freude, vereint im Erleben schönerer, geistigerer Inhalte, als der Alltag uns bietet, vereint in dem Glauben, daß dieses Empfinden etwas Wichtigeres ist, als die Mächte der Welt da draußen. Und noch mehr: Vereint sind wir auch in der Gewißheit, daß die geistige Welt die Wirklichkeit ist, wirklicher, als die vergängliche Welt der Materie, und sei sie auch noch so schmerzhaft und lastend, da sie doch in ihrem ewigen Wandel nur dem Wasser und dem Flugsand gleicht. Wir aber wollen festen Grund auf dem Weg durch Meer und Wüste nach dem gelobten Land einer neuen Zeit. Wir wollen heute diese erlebte Wirklichkeit festhalten, uns nicht von dem Ungetüm dort draußen beirren [Seite 37] lassen, von den Süchten und Stimmungen, dem Lachen und Lärmen, dem Drängen und Drohen, dem Tand und Trug. Wir wissen: Hier sind wir näher der Wirklichkeit, dem Wesentlichen, dem Beständigen, dem Schöpferischen, dem Erlösenden. Darum wollen wir in Demut vor dieser Größe und in Dankbarkeit für diese Stunde uns sammeln, die besten Kräfte unserer Seele vereinen, um diese Stunde uns zu bewahren, ihren Segen zu erbitten und tief in uns aufzunehmen und ihren Sinn zu erfassen in einer Selbst-„Besinnung“, die uns diese Stunde schenken will. Wir alle glauben, daß es der Geist ist, welcher die Materie gestaltet nach seinem Sinn, und so ist es der Sinn der Zeit, den wir zu erfassen uns jetzt bemühen wollen, so daß dieser Sinn der Zeit mit dem Sinn, der in uns selbst waltet, für uns eine Einheit werde.

Nicht nur Persönliches zu klären, ist Ja unser Streben. Die Fragen: Warum mußte uns in den letzten Jahren so viel Leid begegnen? Womit haben wir es verdient, daß uns Gut und Geld und Gesundheit, Mann oder Frau oder Kind entrissen wurden? diese Fragen gehen über in die große Frage nach dem Sinn, der hinter diesen Katastrophen waltet.

Daß überall das Alte stürzt oder doch wenigstens versagt, wie es noch nie in einer früheren Zeit geschehen, das ist ja sehr vielen klar. Daß etwas Neues zur Gestaltung drängt, das spüren wir. Wo aber will das hinaus? Wo ist das Feste, das Beständige, das Grundsätzliche, das nie sich Wandelnde, das Wesentliche und Hilfreiche zugleich? Was ist es, das die Not wendet — das „Notwendige“?. Wir müssen und wollen dem nachforschen und es erkennen, denn wir vermögen uns ja nicht eine Erfüllung unseres Lebens zu denken, ohne den “rechten Dienst an unseren Mitmenschen. So weit fühlen wir uns der Dreieinheit, der Liebe zu Gott, zum Nächsten und zu uns selbst geöffnet. Wir wollen immer tiefer uns durchglühen lassen von dieser Flamme der Liebe, die alles verzehrt, was noch an Selbstsucht in uns wuchert, und alles befeuert, was stumpf und kühl und träge uns nur an das Kleinliche und Enge verhaftet.

Denn verantwortlich macht uns diese Liebe und Verbundenheit zu Gott, zum Nächsten, zu uns selbst. Sie ist nicht ein weiches Aufgehen in herrlichen Gefühlen. Wir wollen diese Verantwortung klar erkennen, diese Gebundenheit aus freiem Willen. Sie ist uns Gewißheit und damit ein Glaube zugleich, der die Berge von Schutt und Tand dieser Zeit versetzen, der die Wolken der Finsternis verwehen kann. Wir sind bereit, für das, was wir als richtig erkannt haben, als Ausweg aus Not und Chaos auch einzustehen. Denn wir erkennen oder fühlen es doch — das ist ja ein altes Entwicklungsgesetz der Natur: Der Einsatz, das Risiko in der Not lösen die umgestaltenden Kräfte aus. Wenn das kleine Tierchen nicht mehr entrinnen kann und sich duckt und der Ritze anschmiegt, dann werden Kräfte in Bewegung gesetzt, die seine Pigmentierung umwandeln in Schutzanpassung. Wenn die Gemse verfolgt in höchster Not vor der gähnenden Spalte steht, dann wagt sie, aller Erfahrung zum Trotz, den Sprung, der glückt und ihre Fähigkeiten zu klettern und zu springen weiterentwickelt. Und was wagt und leistet der Mensch doch alles aus Liebe und Glaube? [Seite 38] Das gleiche Naturgesetz waltet auch in seiner Seele, weit mehr als in der des nur Lauen oder des fromm Gefühlvollen oder des immer bürgerlich Anständigen, denen allesamt der Einsatz des Letzten mangelt.

So weit fühlen wir, so weit fühlen alle ähnlich oder gleich, die sich als verantwortlich erkennen und wahrhaft bereit sind, zu arbeiten für die Menschheit und für eine neue, bessere Zeit. Dann aber, wenn wir allesamt herabsteigen aus unserer klaren Bergeshöhe in das Tiefland und zur Tat schreiten wollen, zeigt sich alsbald, wie verschieden die Blickpunkte, die Weltbilder, die Wertungen sind, wie verschieden auch die Überlieferungen, die festen Regeln, denen die mutigen, einsatzbereiten, berufenen Seelen überall auf Erden noch verhaftet sind, und wie verschieden da aus alledem die Pläne, die Ziele, die Wege. Es greift an unser Herz, wenn diese Tragik uns deutlich wird, die Tragik, daß so viele im wesentlichen Gleichgesinnte, so viele gute, gerechte, ehrliche Menschen in zahllosen, oft feindlichen Fronten eingereiht sind und gar sich bekämpfen und sich so wenig verstehen, ja sich nicht einmal verständigen können. Eine grauenvolle babylonische Sprachverwirrung des Geistes — und das zu einer Zeit, da die Technik durch Verkehrsmittel und Nachrichtenwesen die Völker einander so nähergerückt hat!

Da blitzt vor uns das grelle Bild der sich in Krümmungen windenden Menschheit auf: Zerspalten und zersplittert in Hunderte von Fronten, Gruppen und Grüppchen. Überall die Herde der Lauen und der Egoisten, dazwischen Hetzer und Fanatiker. Und da und dort auch jene, die unserem Herzen am nächsten sind: Die Selbstlosen, die Dienenden, die Wege und Mittel suchen zu einer besseren Zeit. Sie glauben alle, das, wofür sie geradestehen, sei die Zukunft, das, was sie erstreben, sei das Allheilmittel. Und doch stopfen sie nur Löcher, die ihresgleichen aufzureißen mitgeholfen hatten, heilen sie Wunden, die ihresgleichen geschlagen oder doch wenigstens nicht verhindert hatten. Wie viele haben hüben und drüben um Sieg gebetet, wie viele die Waffen gesegnet, und wie viele so viele Menschen getötet. Denn das Gebot: „Du sollst nicht töten“ oder „Du sollst deinen Nächsten lieben“ galt nicht über die Grenzpfähle hinaus. So wurde man erzogen, so ließ man es geschehen, und auch, wer guten Willens war und reinen Herzens, mußte mitmachen. Die alten Institutionen — Staat, Kirche, Gesellschaft und Recht, Macht- und Moralbegriffe — die aus einer alten Zeit in die Gegenwart hereinragen, waren eben noch mächtiger.

Jetzt aber ist der Nächste, von dem einst Christus sprach, die Menschheit. Ihre Sorgen sind meine und deine Sorgen. Doch gehen wir nicht in das Einzelne, steigen wir nicht in das Für und Wider des Alltags hinab. Bleiben wir auf unserer Bergeshöhe und beschauen wir uns aus klarer Ferne, aber in der Liebe, die überall waltet, das streitende, bunte Gewimmel. Wir bleiben darum durchaus zeitnahe. Einst sprach schon Laotse: „Klar sieht, wer von ferne sieht, und nebelhaft, wer Anteil nimmt.“ Aber die allumfassende Liebe muß freilich immer dabei sein. Viele geben sich ja Mühe zu einer besseren Lösung. Die einen wollen zuerst den Menschen bessern, dann, so denken sie, werden nachträglich auch die Verhältnisse glücklicher und besser. Die anderen [Seite 39] wollen zuerst die Verhältnisse bessern, dann, so denken sie, werden nachträglich auch die Menschen glücklicher und besser. Und bei den einen wie bei den anderen gibt es solche, die sich immer wieder dem Alten zuwenden, weil sie meinen, alle diese Katastrophen rühren daher, daß man alten Lehren und Verpflichtungen untreu wurde, und bei den einen wie bei den anderen gibt es andererseits solche, die nach neuen Wegen und Formen suchen, weil die alten ja überall versagt haben.

Wozu Namen nennen und Beispiele anführen? Wozu auch den vielerlei Gründen nachspüren, warum sie alle nicht zum letzten Ziele gelangen können? Sie alle, die sich aufopfern, die um die Wahrheit ringen und die sich bemühen, dem Guten zu dienen, sind unsere Kameraden und Brüder. Aber daß wir — und da und dort auch andere — so brüderlich fühlen und denken, das genügt noch nicht. Es geht um mehr. Um dem Chaos zu entrinnen, um das geistige und materielle Elend zu beheben, ist viel mehr nötig. Der Durchbruch zu einem Bewußtsein der Einheit und zu einer Ordnung der Einheit ist es, wonach die Not der Menschheit schreit.

Die Menschheit ist reif zur Einheit geworden. Der Jäger Not und Tod hetzt hinter ihr, der Abgrund des Chaos gähnt vor ihr auf, aber sie vermag allein noch nicht, den Sprung zur Einheit zu wagen. Technisch sind die Voraussetzungen zur Welteinheit schon da. Während in allen den Jahrtausenden der Geschichte bis vor etwa hundert Jahren das Tier — nämlich Pferd oder Kamel — und der Wind, der die Segel bläht, die schnellsten Verkehrsträger waren, haben jetzt in raschem Siegeslauf Dampf, Elektrizität und Benzinmotor den Weltverkehr erobert. In drei Tagen trägt uns jetzt das Flugzeug um die Erde, was vor einigen Jahrzehnten nur nach monatelanger Reise möglich war. Und während früher durch Stafetten spärliche Nachrichten aus der Welt einliefen, berichten heute Telegraf und Radio alles Wissenswerte auf diesem Planeten schon am gleichen Tage allen Völkern der Erde. Und ebenso drängt die gerade auch durch Verkehr und Nachrichtenwesen eng verflochtene Wirtschaft der verschiedenen Staaten auf Weltwährung und Weltwirtschaft. Und die Not der Menschen dieser verschiedenen Staatengebilde drängt nach mehr als nur nach einem Völkerbund, nämlich nach einer Weltregierung, welche die souveräne Macht besitzt, Ordnung zu schaffen und Kriege zu verhindern. Und uns und vielen anderen, die Gläubige sind, ist es auch bewußt, daß aus dem Göttlich-Geistigen die rechten Gedanken und Gefühle entspringen, welche die Welt gestalten, daß es also das Religiöse ist, dem die höchste Bedeutung zukommt im Weltgeschehen, daß also die seelisch schwer leidende, zerspaltene Menschheit auch zur religiösen Einheit drängt.

Aber von sich aus findet sie nicht zu diesen Einheiten — wenigstens noch nicht so bald. Warum ist das denn so schwer? — Weil es vieler Liebe und Erkenntnis bedarf und starker Gottverbundenheit, um aus Glauben und Willen den Weg zur Einheit und zu einer Ordnung zu finden, in der alle edlen Bestrebungen sich vereinen können und ihre höchsten Ideale erfüllt sehen. So viel Liebe tut not, um frei und offen und rasch zueinander zu kommen; denn die [Seite 40] Zeit drängt furchtbar. So viel Erkenntnis tut not, um das Wesentliche, Notwendige von dem Unwesentlichen, Zeitbedingten und Überholten zu unterscheiden und daraus die Ordnung zu finden, in der alle Menschen umschlossen und alle echten Ideale erfüllt werden.

Würden etwa die Verantwortlichen aller Religionen zu einer Konferenz sich versammeln, um eine Einheitsreligion zu gründen, so würden sie sich doch nimmermehr vereinigen können, weil sie Unwesentliches für wesentlich halten. Sakramente und Kulte, Glaubenslehren und Kircheneinrichtungen, Gesetze und sittliche Gebote, vielleicht schon einst vom Religionsstifter begründet, meistens von den Menschen erst hinzugefügt, haben sich im Laufe der Jahrhunderte zu einem starren Gefüge verdichtet, das keiner mehr zu trennen vermag. Wie könnte etwa ein Christ das Dogma der Dreifaltigkeit aufgeben, das ein Mohammedaner für Gotteslästerung hält? Wie könnte ein Mohammedaner die fünf Säulen seines Glaubens — das Glaubensbekenntnis, die täglichen Pflichtgebete, das Fasten, das Almosengeben, die Wallfahrt nach Mekka — aufgeben, die dem Christen zumeist fremd oder zweitrangig erscheinen?

Ähnlich in der Politik. Wohl haben wir einen Völkerbund mit den Vertretern souveräner Nationalstaaten, aber das Menschheitsbewußtsein ist in diesen Staaten und Völkern noch nicht so weit über das Nationalbewußtsein hinausgewachsen, daß sie auf ihre souveränen Rechte zugunsten eines Weltstaates verzichten wollten. Und so geht es noch weiter mit diplomatischen Ränkespielen statt selbstverständlichem Sichzusammenfügen, mit Blockbildung und Kriegsgefahr statt Unterordnung gleichgestellter Bundesstaaten unter eine Weltsouveränität, die den Frieden sichern könnte.

Dies alles führt zu der Folgerung, daß ein Meister der Menschheit nottut, der sie wandelt und lehrt, zu der Menschenliebe und zu dem Menschheitsbewußtsein zu gelangen, wie wir sie eben erschaut haben. Ein Erzieher, der jeden einzelnen Menschen, Zelle des künftigen Weltstaates, selbst zu einem Weltstaat macht, in dem das Göttliche die souveräne Macht ist und das Denken, Fühlen und Wollen und der ganze Körper ihm gehorcht. „Denn sehet, das Reich Gottes ist inwendig in euch“, sprach ja auch einst Christus. Aber noch mehr: Ein Offenbarer tut not, der auch eine neue Ordnung gibt, in die sich die so gewandelten und erzogenen Menschen freiwillig einfügen, weil sie darin ihre höchsten und edelsten Ideale erfüllt sehen.

Ein unbeschreiblich großartiges Bild steigt vor unseren Augen auf, eine Einheit gleichsam in vertikaler und horizontaler Dimension, von Gott zum Einzelmenschen und von Mensch zu Mensch.

Solch ein ganz Großer, der nottut und dies zu vollbringen vermag, kann aber nicht bloß ein Reformator sein, denn der will ja nur alte Ideengänge in verbesserter Form wiederholen; kann auch kein Staatsmann sein, denn der bringt nicht die religiöse Sendung und Vollmacht mit sich; kann auch nicht nur ein Heiliger sein, denn der überschaut nicht die Dinge der Welt. Es muß ein Gottgesandter sein, wie die Allergrößten von ehedem, der, mit der gleichen Vollmacht ausgestattet wie sie, aus dem gleichen [Seite 41] Geiste offenbart, der das Wesentliche ihrer Lehre bestätigt und weiterentwickelt und erfüllt. Denn göttliche Offenbarung ist nicht etwas Einmaliges, das dann abgeschlossen ist. Bahá’u’lláh sagt: „Was Wir geoffenbart haben durch die Sprache der Macht und die Feder der Kraft, gaben Wir nach eurer Fassungskraft und nicht nach Unserer Stufe und nach Unserem Können.“

Einst, vor alter Zeit, da hatten die Menschen Kultmagie und Mythos nötig, um ihre Götter zu versöhnen und aus den Göttersagen Weisheiten zu erfühlen. Dann kam eine Zeit, wo strenge Gesetze die Menschen lehrten, gut zu sein, und wo mit Recht das Gute zu tun höher galt als etwa Erfüllung eines Opferkultes. Dann kam die Zeit, wo der einzelne ein freies, freiwilliges Verhältnis zu dem Göttlichen in sich finden mußte, wie es Christus uns schlicht und wundervoll vorlebte und lehrte in der Liebe zum Nächsten, in dem das gleiche Göttliche waltet, das auch wir nur in uns empfinden können. Später hatte Mohammed die Menschen zu einer engen Gemeinschaft von Gläubigen erzogen, die aber freilich bald erstarrte und zerfiel.

Und jetzt ist die Menschheit, wie wir erkannt haben, reif zur Einheit, zur Einheit auch der Religionen. Darum verkündet Bahá’u’lláh: „O Völker der Welt! Das Wesentliche dieser größten Offenbarung ist, daß Wir aus dem Buche gestrichen haben, was Ursache von Meinungsverschiedenheiten, Zersetzung und Mißklang war, und das darin niederlegten, was zu Einheit, Einklang und Eintracht führt. Freude sei denen, die darnach handeln!“

Schon hundert Jahre sind es her, daß Seine Sendung begann im Orient, wo Er jahrzehntelang als Gefangener lebte. Damals hat Ihn die Welt kaum beachtet, denn sie war noch sicher in ihren alten Ordnungen und geblendet von ihren aufgetürmten Weisheiten. Heute ist diese alte Ordnung im Zusammenstürzen. Ein Abgrund der Verdorbenheit und Ratlosigkeit gähnt auf. Aber klar und verheißungsvoll wie eine neue Heimat stehen die Lehren Bahá’u’lláh’s und das Fundament einer neuen Weltordnung vor den Augen der Schauenden und Wissenden.

Die Lehre ist die alte Weisheit in neuem Gewande, wie es dem heutigen Menschen angepaßt erscheint. Für die wahren, echten Christen bedeutet sie den wiedergekommenen Christusgeist, der zu ihnen spricht und Christi Lehren bestätigt und erfüllt, und für die anderen Religionen ist es der Geist ihres Meisters, der ihnen hier Erfüllung und Weiterentwicklung gibt. Darum hat Bahá’u’lláh auch die göttliche Autorität der früheren Gottgesandten ausdrücklich bestätigt und darum anerkennen alle Bahá’i auch freudig die Göttlichkeit der früheren Religionsstifter. Aber mit der gleichen Autorität hat Er das Zeitbedingte der alten Lehren, nämlich die Sakramente, Riten und Kulte und erst recht das Viele, was die Jahrtausende hinzugefügt haben, abgeschafft, denn ihrer bedarf die kommende Menschheit nicht mehr.

Frei und selbständig soll der Mensch die Wahrheit erforschen. Kein von Menschen aufgestelltes Dogma soll ihn einengen. Aber dieses große Recht schließt auch größere Pflichten in sich. Immer hat er sich zu prüfen, daß er keinen Vorurteilen unterliegt, und wo immer er sie findet, soll er [Seite 42] sie in Güte und Weisheit beseitigen. Nie darf die Religion zur Ursache des Streites werden, denn überzeugen kann man nur — wie schon das Wort sagt — durch schöpferische Gedanken der Liebe, und Zwang oder Haß oder Dialektik führen von Gott weg.

In diesem Geiste wird eine erleuchtete Menschheit auch den alten Gegensatz zwischen Religion und Wissenschaft, der Jahrhunderte lang die Kultur des Abendlandes so verwüstete, überwinden, denn diese beiden, die Exponenten des Glaubens und des Wissens, können sich in Wahrheit wundervoll ergänzen. Einem inniggeliebten Menschen gegenüber sind sie wie zwei Flügel, die uns ihm näherbringen. Glauben wir ihm, so verstehen wir ihn dadurch tiefer, und erkennen wir ihn besser, so glauben wir ihm eben darum um so mehr. Wie sollten die edelsten Seelenkräfte des Menschen dem Gott der Wahrheit gegenüber anders walten?

Auch für ein anderes Gleichnis wird in der Bahá’i-Religion das Bild der beiden Flügel gebraucht, auf denen die Menschheit sich in höhere Sphären schwingt: für Mann und Frau. Beide Geschlechter sollen in der neuen Weltordnung in allen Ländern der Erde gleichberechtigt sein und die beste Erziehung genießen, denn die Mädchen von heute sind die Mütter von morgen und die ersten Erzieherinnen eines neuen Geschlechtes. Wenn die Frau in allen Ländern aus ihrer Zurücksetzung und Unwissenheit erlöst ist, wird eine künftige Zivilisation ungeahnte Kräfte und Anregungen bekommen durch die Fähigkeiten, die heute in der Frauenseele noch unentwickelt schlummern.

Auch die soziale Frage, die so vielen Menschen heute die vordringlichste erscheint, wird erst aus einem besseren Menschentum und aus einer neuen Ordnung ihre wahre Lösung finden. Nicht Klassenkampf, nicht noch so ausgedachte, wirtschaftliche Systeme, nicht eine Weltrevolution werden die letzte Lösung bringen, sondern ein neues Menschentum, das sich nicht glücklich fühlen kann, wenn durch seine Mitschuld andere das Nötigste entbehren. Die Selbständigkeit und Freiheit des zukünftigen Menschen geben ihm ein Recht auf Privateigentum; aber da, wo ein solches unverdient oder nicht durch alleiniges Verdienst ihm zuströmt, wie etwa durch Erbschaft oder durch ein Großunternehmen, da soll ihn das Gesetz mehr wie bisher zur Teilung mit den anderen verpflichten. Die Arbeit, im Geiste des Dienstes an der Menschheit verrichtet, wird aus Zwang und Verachtung erhoben und dem Gebete gleichgeachtet.

Dies und noch anderes mehr — eine Welthilfssprache, die in allen Schulen der Erde gelehrt wird, eine Weltwährung, ein Weltschiedsgerichtshof — sind die Kennzeichen eines neuen Weltstaates, der den Rahmen dieser kommenden Weltzivilisation bildet. Die Nationalstaaten gleichen in seinem Gefüge nur Bundesstaaten oder Kantonen. Sie haben keine souveränen Rechte mehr, aber eben dadurch an Macht, Sicherheit und Wohlfahrt gewonnen. Hier wird auch dann „vom Rechte, das mit uns geboren ist“, mehr verwirklicht werden als in der alten Welt.

Wie aber wird dieses Neue erstehen? Die Katastrophen des Umbruchs, die Wandlung der Menschheit, das neu geoffenbarte Wort — sie sind nicht die einzigen, wenn auch über alles wichtigen Voraussetzungen dazu. Sie [Seite 43] werden noch ergänzt durch etwas Viertes: durch die neue Ordnung, die Bahá’u’lláh dem Körper der Bahá’i-Gemeinschaft hinterließ. Keine Kirche ist sie, und doch mehr als Rom und Bagdad je ersinnen und gestalten konnten. Keine Priester, kein Kult, keine Dogmen haben darin Platz. Sie ist das Walten des Geistigen im Alltag des Lebens — das Reich — gegründet auf Vertrauen und Freiheit von unten, auf Vollmacht und Inspiration von oben - Sehnsucht, Keimzelle, Vorbild und Tempel der neuen Menschheit.

Einst hatte der Seher Johannes auf Pathmos ein neues Jerusalem geschaut. So herrlich war es, daß er nur gleichnishafte Worte darüber stammeln konnte. Und seit bald zweitausend Jahren beten die Christen „Dein Reich komme, Dein Wille geschehe“. Jetzt ist der Christusgeist, wie in den Heiligen Schriften aller Religionen verheißen, aufs neue auf Erden erschienen. Ihn zu erkennen, ist denen leicht, die reinen Herzens sind. In Ihm zu leben aber ist schwer. Doch nur dies allein führt zur wahren Erkenntnis, und aus beidem, aus Leben und Erkenntnis, wird die neue Ordnung entstehen. Bahá’u’lláh, d.h. „die Herrlichkeit Gottes“, verkündete: „Bald wird die Ordnung der alten Welt aufgerollt werden und eine neue wird an ihrer Statt ausgebreitet.“

Herrlich ist es, in dieser Zeit der Erfüllung zu leben und mitbauen zu dürfen an diesem Reich. So wollen wir den Geist dieser Stunde in uns lebendig erhalten und ihn ein Leben lang weiter tragen und bilden und wandeln in immer reineres Fühlen, in selbstloseres Wollen und klareres Denken, im heiligen Dienste an der Menschheit.

Denn wir sind alle Brüder und Schwestern, die Blätter eines Baumes, wir alle — du, und du — und du.

Es gibt eine Liebe, die mächtiger ist als alles Irdische,

Es gibt eine Gerechtigkeit, die richtiger ist als alles Irdische.

Es gibt eine Wahrheit, die wirklicher ist als alles Irdische.


Was du im Herzen tief als wahr empfunden,
das wächst geheimnisvoll in zarter Stille,
und wandelt dich, durch Glück und Schmerz und Wunden.
Dann einmal bricht es auf aus seiner Hülle
und greift mit Kraft in deines Schicksals Runden,
und strahlt und schenkt in liebevoller Fülle. .
— Der Mensch, des heiligen Samens wert und trächtig,
wird Gottes Knecht — und wie ein König mächtig.



ERFÜLLTE PROPHEZEIUNGEN[Bearbeiten]

Von Elisabeth H. Cheney
Übertragung aus dem Englischen*)


Die Völker der Welt erwarten die zwei großen Manifestationen Gottes, deren Kommen auf Erden, wie es in den Prophezeiungen vorausgesagt ist, in die gleiche Zeitperiode fallen werden. „In der Bibel haben die Juden [Seite 44] die Verheißung des Herrn der himmlischen Heerscharen und des Messias - im Evangelium ist die Wiederkehr Christi und Elias verheißen. Die mohammedanische Religion sagt das Kommen des Mahdi und des Messias voraus — die gleichen Prophezeiungen finden wir bei den Zoroastriern und allen anderen offenbarten Religionen.“ (‘Abdu’l-Bahá: „Beantwortete Fragen“, Kap. 10, S.50.) Jeder Glaube erwartet, daß dieses Kommen ein neues großes Zeitalter der Menschheit verkünden wird, in welchem die Welt ihren Taten gemäß gerichtet wird. Dann wird das Reich Gottes auf Erden erstehen und Friede und Gerechtigkeit unter den Menschen herrschen.

In den heiligen Schriften finden wir häufige Hinweise auf diesen Tag des „Jüngsten Gerichtes“ unter den verschiedensten Namen, wie z. B.: „Der jüngste Tag“, „Die Zeit des Endes“ oder „Der Tag des Gerichtes“, oder einfach: „Jener Tag“. Allen Prophezeiungen aber unterliegt der gleiche Gedanke von Warnung und Verheißung. Die heiligen Schriften sind reich an Zeichen, durch die wir jenen Tag erkennen und das Wort Gottes erfahren sollen, wenn Er wieder in die Welt kommt, so daß es uns erspart sein möge, uns Ihm zu widersetzen oder Ihn zu verleugnen und wir die Gnade erlangen mögen, Ihn zu erkennen und unserem Herrn zu dienen.

Als Christus vor fast 2000 Jahren auf dem Ölberge war, kamen Seine Jünger zu Ihm und fragten Ihn über die Bedeutung Seiner früher gesagten Worte, „Das Ende der Welt“ betreffend. Matt. 24, 3-5: „Sage uns, wann wird das geschehen? Und welches wird das Zeichen sein Deines Kommens und der Welt Ende? Jesus aber antwortete und sprach zu ihnen: Sehet zu, daß euch nicht jemand verführe. Denn es werden viele kommen unter Meinem Namen, und sagen: Ich bin Christus, und werden viele verführen.“

Jesus warnte Seine Jünger, sich vor denen zu hüten, die Seinen Namen mißbrauchen werden. Er wußte, daß der Verheißene einer späteren Zeit nicht Seinen heiligen Namen tragen wird. Es würde wohl dasselbe Wort Gottes sein, das Jesus geoffenbart hat, dieselbe göttliche Wirklichkeit, jedoch ein anderer menschlicher Tempel und ein anderer Name. Ridpath’s „History of the World“ (Weltgeschichte) zeigt, wie die Warnungen Christi sich schon wenige Jahre nach Seinem Hinscheiden zu erfüllen begannen. Im Jahre 70 nach Christus erschien ein solcher, der behauptete, Christus zu sein; er organisierte eine Revolution gegen Rom, welche zu einer großen Zersplitterung der jüdischen Nation führte. Möge diese Warnung sich nicht auch in unserer heutigen Zeit bewahrheiten, durch das Auftauchen Hunderter von Sekten, deren jede den Namen Christus mißbraucht, jede das Recht beansprucht, den einzig wahren Weg zu Gott zu führen, und jede von der anderen in Auslegung der von Jesus Christus geoffenbarten heiligen Wahrheit abweicht.

Und wieder spricht der Herr zu Seinen Jüngern, Matt. 24, 6-7: „Ihr werdet hören Kriege und Geschrei von Kriegen; sehet zu und erschrecket nicht. Das muß zum ersten alles geschehen; aber es ist noch nicht das Ende da. Denn es wird sich empören ein Volk über das andere, und ein Königreich über das andere, und werden [Seite 45] sein Pestilenz und teure Zeiten, und Erdbeben hin und wieder.“

Sicherlich sehen wir das Eintreffen dieser Voraussagung in dem großen Weltkriegsgeschehen, dessen zweiter Abschnitt noch in der Welt wütet und jeden Teil der Erde in der einen oder anderen Weise verheert. Eine Million Chinesen starben in der großen Hungersnot vor einigen Jahren und weitere Millionen sterben Hungers in Indien, Spanien, Griechenland, China und allen „besetzten“ Ländern. Gewaltige Erdbeben ereigneten sich in Lissabon, San Francisco, Chile, Argentinien und vielen anderen Orten, die Tausenden das Leben raubten.

Matt. 24, 9: „Alsdann werden sie euch überantworten in Trübsal und werden euch töten. Und ihr müsset gehasset werden um Meines Namens willen von allen Völkern.“ Jesus wußte, daß in der christlichen Kirche eine anerkannte orthodoxe Religion in späteren Zeiten bestehen würde. Er wußte, daß nicht die Christen in der neuen Ära verfolgt, gehaßt und gemordet werden würden, sondern diejenigen, welche wie die ersten Christen, den von Gott neu gesandten Botschafter anerkennen und Seine Lehre befolgen würden. Die Bahá’i glauben, daß diese Prophezeiung erfüllt ist, denn mehr als 20000 Gläubige, Männer, Frauen und, Kinder, welche den Báb und Bahá’u’lláh als die beiden prophezeiten Manifestationen, d. h. Offenbarer Gottes, anerkannt haben, wurden von den Mohammedanern in Iran (Persien) im letzten Jahrhundert gemartert und ermordet.

Matt. 24, 12: „Und dieweil die Ungerechtigkeit wird überhand nehmen, wird die Liebe in vielen erkalten.“ In der heutigen Zeit sind die Berichte unserer Zeitungen der beste Beweis für die Zunahme des Bösen. Die Welteroberungskriege sind nur durch den Egoismus und Machthunger der Menschen entstanden; sie geben Zeugnis von dem Erkalten der Liebe, die Jesus lehrte, als Er zu Seinen Jüngern sagte (Joh. 13, 34-35): „Ein neu Gebot gebe Ich euch, daß ihr euch untereinander liebet, wie Ich euch geliebet habe, auf daß auch ihr einander lieb habet. Dabei wird jedermann erkennen, daß ihr Meine Jünger seid, so ihr Liebe untereinander habet.“

Matt. 24, 14: „Und es wird gepredigt werden das Evangelium vom Reich in der ganzen Welt, zu einem Zeugnis über alle Völker; und dann wird das Ende kommen.“

Nachdem Missionare die christliche Lehre im Jahre 1841 nach Tibet gebracht hatten, erklärte die amerikanische Bibelgesellschaft (The American Bible Society), daß das Evangelium Christi jetzt allen Nationen der Welt verkündet worden sei.

Matt. 24, 15: „Wenn ihr nun sehen werdet den Greuel der Verwüstungen, davon gesagt ist durch den Propheten Daniel, daß er stehe an der heiligen Stätte (wer das liest, der merke darauf)...“

In dieser Antwort verweist Jesus Seine Jünger auf das 8. Kapitel im Buche Daniel, daß ein jeder, der diese Worte liest und diese Wahrheit sucht, erkennen wird, daß die von Ihm vorausgesagte Zeit gekommen ist. Im 8. Kapitel, Vers 13 und 14, im Buche Daniel ist gesagt: Ich hörte aber einen Heiligen reden, und ein Heiliger sprach zu demselbigen, der da redete: ‚Wie lange soll doch währen solch Gesicht vom täglichen Opfer, und von [Seite 46] der Sünde, um welcher willen diese Verwüstung geschieht, daß beide, das Heiligtum und das Heer, zertreten werden?‘ Und Er antwortete: ‚Bis zweitausend und dreihundert Abende und Morgen um sind, so wird das Heiligtum wieder geweihet werden.‘ Vers 17: „Merke auf, du Menschenkind; denn dies Gesicht gehöret in die Zeit des Endes.“

Das bedeutet: Wie lange wird dieses Unglück, diese Erniedrigung und Entwürdigung dauern? Wann wird der Tag von Gottes heiligem Wort anbrechen und mit Macht das Heiligtum reinigen? Die Antwort lautet: „Zweitausend und dreihundert Tage“. Jeder Tag ist dem Text der Heiligen Schrift entsprechend ein Jahr. Das ergibt eine Zeitspanne von 2300 Jahren.

Diese 2300 Jahre beginnen mit der Wiederherstellung und dem Neuaufbau Jerusalems, auf welche sich vier Edikte dreier Könige beziehen. Das erste wurde von Cyrus im Jahre 536 v. Chr. gegeben und ist im 1. Kapitel des Buches Esra berichtet. Das zweite, welches sich auf den Wiederaufbau Jerusalems bezieht, stammt von Darius von Persien im Jahre 519 v. Chr. und ist im 1. und 6. Kapitel des Buches Esra verzeichnet. Das dritte ist das des Artaxerxes aus dem siebten Jahr seiner Regierung, also aus dem Jahre 457 v. Chr.; dies finden wir im 7. Kapitel des Buches Esra. Das vierte ist das des Artaxerxes aus dem Jahre 444 v. Chr. und steht geschrieben im 2.Kapitel des Buches Nehimia.

Daniel aber verweist besonders auf das dritte Edikt vom Jahre 457 v. Chr. ('Abdu'l-Bahá: „Beantwortete Fragen“ Kap. 10). Es war infolge dieses Ediktes, daß der Tempel in Jerusalem wieder aufgebaut wurde, dieses Allerheiligste, das von fremden Händen entehrt worden war und so die „verabscheuungswürdige Verwüstung“ verursachte, von welcher Christus und Daniel sprachen.

Von diesem Dekret, welches Artaxerxes im Jahre 457 v. Chr. gab, bis zur Geburt von Jesus Christus, haben wir eine Zeitspanne von 456 Jahren. Von der Geburt Christi bis zum Tage der Manifestation des Báb, am 23. Mai 1844 A.D., ist eine Zeitspanne von 1844 Jahren. Die ganze Periode entspricht also der Zeit von 2300 Jahren, welche uns von Daniel vorausgesagt war und auf welche Jesus als die Zeit des Endes dieser Ära hinweist.

Daniel gibt uns noch andere Hinweise, durch welche die Zeit erkannt werden wird:

Dan. 12, 1: „Zu derselbigen Zeit wird der große Fürst Michael, der für dein Volk stehet, sich aufmachen. Denn es wird eine solche trübselige Zeit sein, als sie nicht gewesen ist, seit daß Leute gewesen sind, bis auf dieselbige Zeit.“

Bahá’u’lláh, welcher, wie die Bahá’i glauben, die zweite große Manifestation Gottes in dem neuen Zeitalter ist, wurde als einer der reichsten und mächtigsten Fürsten in der Provinz Nur, im heutigen Iran, geboren. Bahá’u’lláh opferte Seinen Reichtum und Seine irdische Macht, und ertrug 40 Jahre unerbittlicher Gefangenschaft, um der Menschheit die Botschaft Gottes zu verkünden und die Gesetze für den Tag des Friedens festzulegen. Er ist der Fürst, den Daniel voraussagte. Wer hat je zuvor von einer Ära grausamster Leiden gehört, die allen Nationen der Erde Unglück brachte?

Dan. 12, 4: „Und du, Daniel, verbirg diese Worte und versiegle diese Schrift, bis auf die letzte Zeit; so [Seite 47] werden viele darüber kommen, und großen Verstand finden.“

Hiermit beweist Daniel, daß dieses die Zeichen für das Ende sind; die Weissagung aber wird die Menschheit erst dann verstehen, wenn sie erfüllt ist. Hat es je in der Weltgeschichte eine Zeit gegeben, die so von Unruhe erfüllt war, hervorgerufen durch Erfindungen von Flugzeugen, Eisenbahnen, Automobilen und modernen Dampfschiffen? Die ungeheure Entwicklung modernen Wissens und der Anfang allgemeiner Erziehung in jedem Lande der Welt machen den Fortschritt der Wissenschaft deutlich.

Im Jahre 1870 wurde in den Vereinigten Staaten und Großbritannien das erste Mal obligatorischer Schulbesuch Gesetz — nur sieben Jahre, nachdem Bahá’u’lláh Seine zwölf Grundsätze für die Festlegung eines Weltfriedens niedergelegt hatte; einer von ihnen war die der allgemeinen Erziehung. Frankreich und andere europäische Nationen folgten bald diesem Vorbild, bis zuletzt ein ähnliches Gesetz auch in Rußland nach der Revolution durchging. Die südamerikanischen Republiken haben Gesetze geschaffen, die eine allgemeine Erziehung fordern; selbst in China ist eine Bewegung im Wachsen, die eine Erziehung der Massen erstrebt. Bisher wurden Tausende von Kulis für unfähig gehalten, lesen zu lernen; durch die aufopfernden Bemühungen von Jimmy Yen mit Hilfe und Beistand von General Tschiang Kai Schek („Reader’s Digest“ Nov.1943, pp.38-44) wird der Bevölkerung seit einiger Zeit das Lesen und Schreiben in der chinesischen Sprache in vereinfachter Form gelehrt. Es ist wahr, daß in Ländern, welche Gesetze für Schulpflicht haben, ihre gegenwärtige Durchführung weit hinter den Forderungen dieser Satzungen zurücksteht. Es werden aber Anstrengungen gemacht, in einem in der Geschichte der Menschheit nie geträumten Umfang, Schulen zu bauen und Lehrer in die fern abseits gelegenen Teile dieser Länder zu senden.

Wir können keine bessere Schilderung unserer modernen Automobile haben als die Darstellung vergangener Zeiten, welche Nahum uns in seinem 2. Kap., V. 5 gibt: .

„Die Wagen rollen auf den Gassen, und rasseln auf den Straßen; sie blicken wie Fackeln, und fahren untereinander her wie Blitze.“

Ein anderes Beispiel finden wir im 2. Brief an die Thessalonicher, Kap. 2, 3-4: „Lasset euch durch niemand verführen, in keinerlei Weise. Denn jener Tag kommt nicht, es sei denn, daß zuvor der Abfall komme und geoffenbaret werde der Mensch der Sünden und das Kind des Verderbens, der da ist der Widersacher und sich erhebt über alles, das Gott oder Gottesdienst heißt, also daß er sich setzet in den Tempel Gottes als ein Gott, und gibt sich aus, er sei Gott.“

Können wir in unserer Zeit offenen Sinnes die Menschheit betrachten, ohne zu erkennen, daß Materialismus und Egoismus die Welt regieren und von den Menschen als Götter angebetet werden? Können wir in das Innere einer Kirche treten, ohne gewahr zu werden, daß ein großer Abfall vor sich geht, der selbst in den Tagen unserer Großväter unmöglich gewesen wäre? Der Nationalsozialismus erhob materielle Eroberungen und Rassenüberheblichkeit zu seinem Gott während im Kommunismus eine wirtschaftliche Theorie, die den Glauben [Seite 48] an Gott verdrängt hat, mit leidenschaftlichem Fanatismus verbreitet wird.

Bahá’u’lláh schrieb von diesen Zeiten: „Die Kraft des Glaubens an Gott ist in allen Ländern im Absterben. Nichts als Seine heilbringende Medizin kann ihn der Menschheit wiedergeben. Die Zersetzung durch Gottlosigkeit frißt sich in die Lebensorgane der menschlichen Gesellschaft. Was anders als das Elixir Seiner machtvollen Offenbarung kann den Glauben reinigen und wiederbeleben. Die Welt liegt in Wehen und ihre Unruhe wächst von Tag zu Tag. Ihr Antlitz ist auf Abtrünnigkeit und Unglauben gerichtet. Ihre Not wird so groß sein, daß es unertragbar wäre, sie jetzt zu verkünden.“ (Die Weltordnung von Bahá’u’lláh)

Gibt aber die Bibel uns Hinweise, den von Gott gesandten Heilbringer zu erkennen? Ja, sie nennt uns die Stätten, an welchen die zwei kommenden Manifestationen ihre Offenbarungen verkünden werden, und selbst die Namen, unter denen sie in ihrer Zeit erkannt werden können.

In Jeremia 49, 38 ist gesagt: „Meinen Stuhl will Ich in Elam setzen.“ Daraus können wir ersehen, daß das Wort Gottes in Elam verkündet werden wird, da „Stuhl“ in der Bibel häufig für das „Wort Gottes“ angewendet wird. Der Báb, der Vorläufer von Bahá’u’lláh, wurde in Schiras geboren, in dem Teil Irans, der früher als Elam bekannt war. Von dort verkündete Er am 23. Mai 1844 den Beginn einer neuen Ära. Daniel spricht im 8. Kapitel, Vers 2, von seiner Vision, daß der Auserwählte Gottes aus der „Provinz Elam“ kommen wird.

Eine andere interessante Prophezeiung finden wir in Micha 7, 12: „Und zur selbigen Zeit. werden sie von Assur, und von festen Städten zu dir kommen: von den festen Städten bis an das Wasser, von einem Meer zum andern, von einem Gebirge zum andern.“

Bahá’u’lláh wurde in Teheran geboren, der Hauptstadt des Teiles Irans, welcher in früheren Zeiten zu dem alten assyrischen Reich gehörte. Die uralte Prophezeiung Michas erfüllte sich, als Bahá’u’lláh, jeder eigenen Entscheidung und äußeren Macht beraubt, als Gefangener der mohammedanischen Staatskirche und Regierung festgenommen und verbannt wurde. Er verkündete die Botschaft „des Tages des Friedens“ vom Schwarzen Meer bis zum Mittelmeer — von den Suleiman-Bergen bis zum Berge Karmel - von der Stadt Konstantinopel bis Rumelien — aus Adrianopel und schließlich aus Akka. So erfüllte sich wörtlich die alte Voraussagung des Micha.

Jesaia 35, 1-2: „Aber Wüste und Einöde werden lustig sein und das dürre Land wird fröhlich stehen und wird blühen wie die Lilien. Sie wird blühen und fröhlich stehen in aller Lust und Freude. Denn die Herrlichkeit des Libanon ist ihr gegeben, der Schmuck Karmels und Sarons. Sie sehen die Herrlichkeit des Herrn, den Schmuck unseres Gottes.“

Bahá’u’lláh wurde in das einsame, wüste Gefängnis von Akka in Palästina verbannt. Von dort, aus dem Tale von Saron, von dem Berge Karmel verkündete Er Seine Lehren, so daß diese Stätten durch Seine Offenbarung im wahren Sinne Zeugen der Herrlichkeit Gottes wurden, wie es von Jesaia prophezeit war. Der Name Bahá’u’lláh bedeutet „Herrlichkeit Gottes“, ein Name, der in der [Seite 49] biblischen Geschichte oft der Manifestation der späteren Tage gegeben wurde.

Jesaia 65, 10: „Und Saron soll eine Weide für die Herde und das Tal Achor soll zum Viehlager werden Meinem Volk, das Mich suchet.“

Wieder waren es Saron und Akka (früher Achor geschrieben), welche als Stätten der Ehre und Gnade für die genannt wurden, welche den Herm in den späteren Tagen suchen würden. Hosea 2, 15 nennt Akka „das Tor der Hoffnung“ für „den Tag“; denn das Wort Gottes ist die Hoffnung d er Welt auf den Tag, da Er kommt.

Hesekiel 43, 1-2, 4-5: „Und er führte mich wieder zum Tor gegen Morgen. Und siehe, die Herrlichkeit des Gottes Israels kam vom Morgen und brausete, wie ein großes Wasser brauset, und es ward sehr licht auf der Erde von Seiner Herrlichkeit... Und die Herrlichkeit des Herrn kam hinein zum Hause durch das Tor gegen Morgen. Da hob mich ein Wind auf, und brachte mich in den inneren Vorhof; und siehe, die Herrlichkeit des Herrn erfüllete das Haus.“

Alle diese Prophezeiungen stimmen überein, daß die Herrlichkeit Gottes in das Heilige Land aus dem Osten kommt und sich im Westen erfüllen wird. Bahá’u’lláh erschien im Iran, östlich von Palästina; Er wurde in das Heilige Land verbannt, wo Er die letzten 24 Jahre verbrachte. Wäre Bahá’u’lláh als freier Mann dorthin gegangen, so hätte man sagen können, daß Er sich aus eigener Machtvollkommenheit als Prophet ausgegeben hätte. Er aber wurde als Gefangener dorthin gebracht. Die Prophezeiung findet auch im übertragenen Sinne ihre Bestätigung. Bahá’u’lláh (die Herrlichkeit Gottes) kam über den Weg des Tores „des Báb“, Seines Vorläufers - denn Báb bedeutet „Tor“, die Pforte des kommenden Tages.

Jesaia 9, 2, 6-7: „Das Volk, so im Finstern wandelt, siehet ein großes Licht, und über die da wohnen im finstern Lande, scheinet es helle... Denn uns ist ein Kind geboren, ein Sohn ist uns gegeben, und die Herrschaft ist auf seiner Schulter; Er heißt Wunderbar, Rat, Kraft, Held, Ewig-Vater, Friedefürst. Auf daß Seine Herrschaft groß werde, und des Friedens kein Ende, auf dem Stuhl Davids und in Seinem Königreich; daß Er es zurichte und stärke mit Gericht und Gerechtigkeit von nun an bis in Ewigkeit. Solches wird tun der Eifer des Herrn Zebaoth.“

Jesus Christus hätte die Macht gehabt, diese Prophezeiung zu erfüllen, denn ganz anders als die Philosophen, die das geistige Produkt der Menschen verkörpern, sind die Manifestationen Schöpfungen Gottes. Im Gegenteil, sie treten im dunkelsten Teil der Welt ihrer Zeit auf, im „Lande des Todesschattens“, wo die Menschen sich an die Form klammern und die geistige Wirklichkeit vergessen haben. Der materielle Tempel Jesu war von einer Nation von Sklaven unter der Peitsche der Römer erbaut worden. Christus aber hatte nichts von weltlicher Macht zu sagen außer Seinen Worten (Luk. 20, 25): „So gebet dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist.“ Die Ablehnung weltlicher Macht war einer der Gründe, warum die Juden den Heiland nicht anerkannten; sie hatten die Prophezeiung Jesaias mißverstanden und glaubten an ihre Erfüllung zur Zeit Christi. Sie erkannten nicht, daß diese Weissagung auf die Zeit des Endes hinweist, wenn die tausend Jahre des [Seite 50] Friedens erfüllt werden sollten, von denen Jesaia im 11. Kap., Vers 6-9, und im 65. Kap., Vers 21-25, spricht, und die wir später in der Offenbarung Johannis im 20. Kap., Vers 1-2, finden. Jesus selbst hat nie Anspruch darauf erhoben, der Friedensfürst zu sein; im Gegenteil, Er hat die großen Kriege vorausgesagt, die dem Zeitalter des Friedens vorangehen würden, wie Matt. im 24. Kap., Vers 6-7, schreibt. Im. 10. Kap., Vers 34, von Matt. finden wir folgende Worte: „Ihr sollt nicht wähnen, daß ich gekommen sei, Frieden zu senden auf die Erde. Ich bin nicht gekommen, Frieden zu senden, sondern das Schwert.“ Jesus, der „Sohn Gottes“, war niemals als „der Vater“ anerkannt. Diese mißverstandene Prophezeiung bezieht sich in Wirklichkeit auf unsere Zeit.

Das Licht Bahá’u’lláh’s strahlt aus Iran, dem in dieser Zeit bigottesten, unwissendsten und schlechtest regierten Lande der Welt zu Seiner Zeit. In etwa zweihundert Büchern, welche Er während der 40 Jahre Seiner Gefangenschaft, schrieb, verfaßte Bahá’u’lláh einen vollständigen Regierungsplan für den Tag des Weltfriedens. Viele Teile dieses Entwurfes sind in unserer Zeit von hervorragenden Persönlichkeiten allgemein anerkannt. Unter anderem ein Bund aller Nationen der Welt, ein internationaler Gerichtshof und eine internationale Polizei. Diese neue Weltordnung ist festgelegt, um den Menschen nach den Kriegen und Unruhen unserer Zeit den dauernden Frieden zu sichern. Bahá’u’lláh ist als die Manifestation des Vaters bekannt; das bedeutet, daß es Seine Mission ist, alle Religionen, Rassen und Nationen zu einer großen Familie vor Gott zu vereinen. Die Bahá’i glauben, daß Jesus von Bahá’u’lláh sprach, als Er sagte (Matt. 16, 27): „Denn es wird geschehen, daß des Menschen Sohn komme in der Herrlichkeit Seines Vaters.“

Viele überlegen es nicht genügend und versuchen nicht, in ehrlicher Nachforschung und Gebet die Behauptungen eines Propheten zu beurteilen, sondern nennen jeden, der die Weissagungen der heiligen Bücher zu erfüllen beansprucht: „Das ist der Antichrist.“ Im 1. Brief Johannis, 4, 1-3, finden wir die Erklärung des „Antichrist“. „Ihr Lieben, glaubet nicht einem jeglichen Geist, sondern prüfet die Geister, ob sie von Gott sind; denn es sind viele falsche Propheten ausgegangen in die Welt. Daran sollt ihr den Geist Gottes erkennen; ein jeglicher Geist, der da bekennet, daß Jesus Christus ist in das Fleisch gekommen, der ist von Gott; und ein jeglicher Geist, der da nicht bekennet, daß Jesus Christus ist in das Fleisch gekommen, der ist nicht von Gott. Und das ist der Geist des Antichristen, von welchem ihr habt gehöret, daß er kommen werde, und ist jetzt schon in der Welt.“

Eine selbst nur oberflächliche Untersuchung der Bahá’i-Lehren beweist, daß Bahá’u’lláh nicht der Antichrist sein kann, da Er uneingeschränkt die Lehren Christi bestätigt. Niemand kann ein Bahá’i werden, ohne vorher Jesus Christus anzuerkennen, welcher unter uns lebte als der Sohn Gottes, als „das Fleisch gewordene göttliche Wort“. Tausende von Juden und Mohammedanern haben sich durch die Bahá’i-Lehre zu Christus bekannt. Die Bahá’i glauben, daß Bahá’u’lláh der Geist der Wahrheit ist, den Jesus prophezeite, als Er sagte (Joh. 16, 12, 13): „Ich habe euch noch viel zu sagen, aber ihr [Seite 51] könnt es jetzt nicht tragen. Wenn aber jener, der Geist der Wahrheit, kommen wird, der wird euch in alle Wahrheit leiten.“

Jesus Christus war allwissend, denn Er war die Offenbarung Gottes, des Allwissenden — Seine Weisheit kam von Gott und nicht vom Menschen. In Seiner Weisheit wußte Er auch, daß die Menschen Seiner Zeit nur den Teil Seiner Offenbarungen empfangen konnten, den zu erfassen sie reif genug waren. Er sah aber den Tag voraus, an dem die Menschheit die Stufe größerer Reife erreicht haben würde, um dieselbe Wahrheit in vollerem Ausmaß zu verstehen. Dann würde ein anderer erscheinen, so verhieß Er, der gleich Ihm in der Herrlichkeit des Vaters kommen würde, um der Welt die vollere Wahrheit zu verkünden, welche die Menschheit dann zu verstehen imstande wäre.

Es ist, als leite Gott eine große Schule - in dieser werden zuerst für Siebenjährige die einfachen Grundsätze, später deren höhere Bedeutung in vollem Umfange gelehrt. Das Spätere verneint nicht das Frühere, sondern vervollständigt es nur. In derselben Weise haben die göttlichen Manifestationen die Welt in den verschiedenen Stadien ihrer Entwicklung gelehrt, eine jede die Wahrheit offenbarend, die der Aufnahmefähigkeit der Menschen ihrer Zeit entsprach. Da die Menschheit nun die Zeit ihrer Reife erreicht hat, sandte Gott den Geist der Wahrheit, um die geistigen und sozialen Gesetze zu offenbaren, die, wenn sie auf Erden angenommen und durchgeführt werden, das irdische Königreich Gottes bringen, wofür die Christen seit fast 2000 Jahren gebetet haben.

Eine große Schwierigkeit zur Verbreitung einer neuen Gottesbotschaft liegt immer in den Vorurteilen der Menschen, den Gottgesandten unter einem neuen Namen anzuerkennen, und doch warnte uns Jesus schon vor denen, die den Namen Christus führen würden (Matt. 24, 5), und Jesaia sowohl als Johannes prophezeiten einen neuen Namen.

Offenbarung Joh. 3, 12: „Wer überwindet, den will Ich machen zum Pfeiler in dem Tempel Meines Gottes; und soll Ich nicht mehr hinausgehen. Und will Ich auf ihn schreiben den Namen Meines Gottes, und den Namen des neuen Jerusalems, der Stadt Meines Gottes, die vom Himmel herniederkommt, von Meinem Gott, und Meinem Namen, den Neuen.“

Daraus ist zu ersehen, daß ein neuer Name für den Auserwählten Gottes bestimmt ist, welcher die Vollendung der mit Adam begonnenen Reihe der Propheten bedeutet, dann, wenn der alte Himmel und die alte Erde vergehen und eine neue Ordnung an Stelle der alten verbreitet wird. Daher bezieht sich der von Christen häufig zitierte Ausspruch nur für die Dauer der Mission von Jesus Christus. (Apostelgesch. 4, 12): „Und ist in keinem anderen Heil, ist auch kein anderer Name den Menschen gegeben, darinnen wir sollen selig werden.“

Wenn Alle Dinge neu geschaffen werden, dann wird natürlich ein neuer Name an die Stelle des alten treten müssen. Da Bahá’u’lláh Christi eigene Worte: „Der wird zeugen von mir“ (Joh. 15, 26) und „derselbige wird mich verklären“ (Joh. 16, 14), in Seinen Schriften und Büchern erfüllt hat, so bedeutet es Christum zu loben, wenn man Bahá’u’lláh als die Wiederkunft Christi lobt, preist und [Seite 52] verherrlicht. Jesaia 62, 2: „Daß die Heiden sehen Deine Gerechtigkeit und alle Könige Deine Herrlichkeit; und Du sollst mit einem neuen Namen genannt werden, welchen des Herrn Mund nennen wird.“

„Der Bahá’i-Glaube ist die Erfüllung und Vollendung aller alten Religionen. Die Juden erwarten den Messias — die Christen die Wiederkunft Christi — die Mohammedaner den Mahdi — die Buddhisten den fünften Buddha - die Zoroastrier Schah Bahram — die Hindus die Wiederverkörperung Krishna’s.“ („Das herrliche Reich des verheißenen Vaters“, S. 56). Der Name Bahá’u’lláh ist von keiner dieser Religionen der Vergangenheit erwählt worden, er ist „der neue Name“, den der Herr selbst verkündet hat. Dieser neue Name umfaßt und vereinigt alle Bekenntnisse der vergangenen Zeitalter und überwindet deren Wettstreit, Feindeseligkeiten und Eifersüchte. Gottes Manifestation für das Zeitalter des Friedens auf Erden ist gekommen, um alle Religionen in ihrer ursprünglichen Reinheit zu vereinen, und sie von den übernommenen Vorstellungen unwesentlicher Dogmen und Formen zu befreien.

Zacharias 14, 9: „Und der Herr wird König sein über alle Lande. Zu der Zeit wird der Herr nur einer sein, und Sein Name nur einer.“

Eine der Forderungen, die Bahá’u’lláh für die neue Zeit aufgestellt hat, ist eine internationale Sprache neben der Muttersprache für jede Nation. Dann würde auch der Name des Herrn für die neue Ära der gleiche in der ganzen Welt sein. Im Christentum gab es keinen einheitlichen Namen des Herrn, sondern so viele Namen wie es Sprachen gab. So wurde auch der Name Jesus Christus in verschiedenen Formen übersetzt. Es ist interessant, festzustellen, daß schon in den ersten Anfängen der Bahá’i-Sendung, der Name der Manifestation Gottes für dieses Zeitalter „Bahá’u’lláh“, in jedem Lande der Welt in derselben Form gebraucht wird und nicht, wie es zur Zeit Jesu war, in viele Formen übersetzt wurde.

Christen fragen oft: „Müssen wir Jesus aufgeben, wenn wir Bahá’u’lláh anerkennen?“

Seine Heiligkeit Jesus Christus antwortet mit Seinen eigenen Worten (Joh. 6, 39): „Das ist der Wille des Vaters, der Mich gesandt hat, daß Ich nichts verliere von allem, das Er Mir gegeben hat, sondern daß Ich es auferwecke am jüngsten Tage.“ Wir werden Ihm nicht abtrünnig, und Er verliert nichts an uns, wenn wir die Erfüllung Seiner Prophezeiungen anerkennen. Wir dienen sogar Seiner Herrlichkeit, wenn wir Seinen Willen erfüllen.

Jesaia 2, 2-4: „Es wird zur letzten Zeit der Berg, da des Herrn Haus ist, fest stehen, höher denn alle Berge, und über alle Hügel erhaben werden; und werden alle Heiden dazu laufen. Und viele Völker hingehen, und sagen: Kommet, lasset uns auf den Berg des Herrn gehen, zum Hause des Gottes Jakobs, daß er uns lehre Seine Wege, und wir wandeln auf Seinen Steigen. Denn von Zion wird das Gesetz ausgehen, und des Herrn Wort von Jerusalem. Und Er wird richten unter den Heiden, und strafen viele Völker. Da werden sie ihre Schwerter zu Pflugscharen und ihre Spieße zu Sicheln machen. Denn es wird kein Volk wider das andere ein Schwert aufheben, und werden hinfort nicht mehr kriegen lernen.“ [Seite 53]

Das Internationale Haus der Gerechtigkeit der Bahá’i wird auf dem Gipfel des Berges Karmel, biblisch bekannt als der „Berg des Herrn“, errichtet werden, dessen Abhänge schon jetzt durch die Bahá’i-Schreine und kunstvoll angelegten Gärten geschmückt sind und zum Gipfel hinführen. Das Gesetz Gottes war schon vom Berge Karmel ausgegangen; denn hier verkündete Bahá’u’lláh die geistigen und sozialen Gesetze für den Tag des Friedens.

Bahá’u’lláh schrieb: „Die den Völkern der Erde und ihren Kindern und Kindeskindern vorausbestimmte Zeit ist jetzt gekommen. Die in den heiligen Schriften niedergelegten Verheißungen Gottes sind alle erfüllt worden. Von Zion kam das Gesetz Gottes, und Jerusalem, seine Hügel und Länder sind voll von der Herrlichkeit Seiner Offenbarung. Glücklich ist der Mensch, der in seinem Herzen bewegt, was in den Büchern Gottes geoffenbart ist, der Hilfe in der Not, des in Sich Selbst Bestehenden. Denket darüber nach, o ihr Geliebten Gottes, höret aufmerksam auf Seine Worte, auf daß ihr durch Seine Gnade und Barmherzigkeit in Fülle von dem kristallklaren Wasser der Standhaftigkeit trinken möget und wie der Berg in Seiner Sache fest und unerschütterlich werdet.“ („Ährenlese aus den Schriften von Bahá’u’lláh.)


*) „Prophecy fulfilled“, Bahá’i Publishing Committee, Willmette (USA.), 1944.



MYSTIK UND IHRE BEDEUTUNG*[Bearbeiten]

Von G.A. Shook,
Professor der Physik, Wheaton College, Norton, Mass. (USA.)


Wenn sich die soziale Ordnung aufzulösen beginnt, so pflegen sich hochbegabte Menschen der Mystik zuzuwenden. Das Leben muß einen Sinn haben. Die althergebrachten religiösen Systeme bieten wenig Trost, Philosophie und Wissenschaft noch weniger, so daß sich die Menschen, die nach der letzten Wahrheit suchen, nach innen wenden. Durch das Gemüt, das Herz, kann (wie der Mystiker glaubt) die wahre Erkenntnis Gottes erlangt werden und so der Mensch das Unumschränkte (Absolute) unmittelbar erfahren,

Der moderne Mystizismus hat wenig mit der kalten, absoluten oder extremen Mystik Plotins oder Eckeharts oder selbst mit der abgewandelten mittelalterlichen Mystik eines Augustin und Franziskus von Assisi gemein; dennoch wollen wir uns mit den Grundzügen dieser älteren extremen Mystik befassen, da sie ein Erbteil der Vergangenheit ist.

Der extreme Mystiker glaubt, daß man durch asketisches Leben, Loslösung und Meditation in die Gegenwart Gottes kommen und mit dem Wesen Gottes eins werden kann. Das heißt, daß der Mensch in die Unendlichkeit Gottes eintreten und in seiner unendlichen Einheit aufgehen könne. Kein logischer Denker wird jedoch zugeben, daß der endliche Mensch jemals mit dem Unendlichen eins werden kann, und so mußte angenommen werden, daß der Mensch [Seite 54]54° irgendwie mehr als endlich sei. Daher wurde die Lehre von der Inkarnation eingefügt. Sie lehrt, daß ein Teil der göttlichen Wesenheit im Menschen ist.

Wenn jedoch ein Funken des Göttlichen im Menschen ist, oder, um es verfeinerter auszudrücken, wenn die Wirklichkeit des Menschen dem Wesen nach göttlich ist, so folgt daraus, daß er völlig von seinem vergänglichen Selbst und von allen Interessen an der materiellen Welt gelöst sein muß. Ebenso muß er frei vom Intellekt sein, der nur die materielle Welt erfaßt. Inkarnation aber setzt ein Vorsein (Präexistenz) voraus. Der Geist des Menschen war in einer noch nicht unterschiedenen Form bei Gott. Und daraus folgt logisch genug der göttliche Lebensprozeß — daß der Mensch von Gott kam und zu Ihm zurückkehren muß.

Für den Mystiker gibt es zwei und nur zwei Bereiche des Seins: den unendlichen Gott und den endlichen Menschen. Diese Annahme führt jedoch zu zwei logischen Widersprüchen:

1. Um zu erklären, wieso der endliche Mensch das Unendliche begreifen könne, nimmt der Mystiker an, daß das Unendliche geteilt sei und daß der sterbliche Mensch einen Teil davon besitzt. Er vermeidet in diesem Zusammenhang stillschweigend den Ausdruck „Gott“. Daß die Einheit des Unendlichen dabei zerstört wird, hat die Mystiker der Vergangenheit offenbar nicht gestört, wahrscheinlich, weil sie an Widersprüche dieser Art gewöhnt waren.

Wir erinnern uns, daß Parmenides (5. Jahrh. v. Chr.) in dem Bestreben, zu beweisen, daß es nur einen Urstoff gibt, die Tatsache der Sinnenwelt und die Möglichkeit der Bewegung und des Wandels leugnet. Zeno’s berühmtes Paradoxon von Achilles und der Schildkröte sollte beweisen, daß Bewegung bloße Täuschung sei. Etwas später hat die Atomlehre des Leucippus die Tatsächlichkeit der Sinnenwelt dadurch mit der Parmenidischen Lehre von der Einheit in Einklang gebracht, daß er das „Eine“ zu einer Vereinigung von Partikeln (Atomen) machte, die alle in der Substanz gleich, aber unveränderlich und unzerstörbar sind. Verschiedene Anordnung dieser Partikeln bringt die Veränderungen hervor, die unser Auge wahrnimmt.

2. Die Zwei-Welten-Lehre führt zu einer dualistischen Auffassung des Seins. Der Mensch ist zwar ein Teil Gottes, muß aber dennoch darnach streben, mit Gott eins zu werden. Dieses Dilemma wird durch die Drei-Welten-Lehre beseitigt, sie läßt aber der Seins-Einheit der Mystik keinen Raum mehr. Die Einheit, die diese Lehre aufrichtet, die Form, die die moderne Welt anzunehmen vermag, ist die sittliche Übereinstimmung mit den Vorschriften der Propheten, die indessen nicht das Ziel der Mystik ist.

Wir dürfen diesen wichtigen Punkt nicht übersehen. Kein Mystiker, der annimmt, daß in ihm ein Teil der göttlichen Wesenheit sei, kann dem Dualismus entgehen. Er mag auf die Erfahrung zurückkommen, wie es manche Moderne tun, und an der Theorie festhalten, daß man Gott nicht durch den Intellekt, sondern nur durch das Herz erkennt. Das klingt verständlich, doch hat die radikale Mystik immer erkannt, daß die unmittelbare Erkenntnis der Gegenwart Gottes nicht allein auf der Erfahrung beruhen kann. Es muß [Seite 55] irgendwelche metaphysischen Gründe geben, um die Erfahrung mit der Gegenwart Gottes gleichzusetzen.

In der Drei-Welten-Lehre, die sich sinngemäß in allen prophetischen Religionen und ausgesprochen im Bahá’i-Glauben findet, steht die Welt der Propheten zwischen dem unendlichen Gott und dem endlichen Menschen. Obgleich wir diese mittlere Welt nicht voll begreifen können, so können wir doch bis zu einem gewissen Grade das Leben des Propheten verstehen. Wir können ihn lieben, können über die in ihm gespiegelten Eigenschaften Gottes meditieren und seinem Beispiel nachstreben. Wir kennen auch den schöpferischen Genius, der zwischen uns und der unsichtbaren Welt der Musik und Kunst vermittelt. Wir können unsere Schau erweitern und bis zu einem gewissen Grade den Propheten verstehen.

Anderseits können wir uns als denkende Menschen nicht als mit Gott eins und zugleich von Ihm getrennt und zu Ihm strebend vorstellen. Wenn wir die heutige Mystik betrachten, müssen wir uns darüber klar sein, daß die Annahme eines Funkens des Göttlichen in uns auch die Annahme dieses Dualismusses bedingt, der der wissenschaftlichen Denkweise unverständlich ist.


Moderne Mystik

Der moderne Mensch kann die Begriffe der extremen oder radikalen Mystik nicht annehmen und vermöchte auch nicht, durch sie angezogen zu werden, doch sollte er sich mit zwei Erscheinungsformen der modernen Mystik vertraut machen.

Für den, der sich mit dem Studium von Wissenschaft und Kunst befaßt, gibt es etwas, was wir am besten als logische Mystik bezeichnen und das von den mystischen Philosophen, den geistig offenen Wissenschaftlern und bis zu einem gewissen Grade dem schöpferischen Genie anerkannt wird. Der erste Schritt auf dem Wege der mystischen Philosophie ist der Glaube, daß es eine Art von Weisheit gibt — mögen wir sie nun geistige Schau oder Eingebung (Intuition) nennen, die dem rein erfahrungsmäßigen Wissen überlegen ist. Sie fließt dem schöpferisch Arbeitenden durch Meditation zu. Sie ist die schöpferische Kraft, die neue Gedanken und Beziehungen enthüllt. Durch geistige Schau und vernünftige Schlußfolgerungen macht der Mensch neue Entdeckungen in den Welten der Wertungen und der Wissenschaft. Beide, Intuition und Vernunft, sind wesentlich, und ihre Funktionen ergänzen einander. Die Intuition entdeckt das Neue, das durch die Vernunft geordnet wird. Diese Art von Mystik ist nicht neu; sie geht zurück auf die Tage von Heraklit und Parmenides, ist aber heute allgemeiner anerkannt als in der Vergangenheit. Hier werden keine Behauptungen mehr über Gott und den göttlichen Funken aufgestellt. Der logische Mystiker mag annehmen, daß er in unmittelbare Verbindung mit einer höheren Vernunft treten kann oder nicht. Für ihn gibt es eine andere Welt, die wirklicher ist als die Erscheinungswelt, und seine erste Sorge ist, zu lernen, wie er in dieser Welt zu leben und zu handeln hat. Auch wenn er vielleicht nicht an ein überrationales oder übernatürliches Wesen glauben mag, so können wir doch nicht annehmen, daß das, was ihm in erleuchteten Augenblicken zufällt, allein aus seinem Ich kommt.

Dann ist da die religiöse Form der [Seite 56] Mystik, die wir in vielen volkstümlichen Bewegungen unserer Zeit finden. Diese Art der Mystik befaßt sich hauptsächlich mit dem geistigen Erleben, das aber so ziemlich in der gleichen Weise ausgelegt wird wie in der Vergangenheit. Der heutige religiöse Mystiker ist Pragmatiker. Wenn er in Momenten der Erleuchtung etwas erlebt, was ihn über das übliche Niveau des Daseins hebt und ihm in seiner individuellen Entwicklung hilft, so nimmt er an, daß er in der Gegenwart Gottes war. Und da er nun auf diese Weise unmittelbar um das Göttliche wissen könnte, glaubt er, mit den älteren Mystikern, daß etwas vom Göttlichen in ihm sein muß. Natürlich gibt ihm dieser Glaube Hoffnung und Mut in Zeiten des Unglücks.

Diese Grundauffassung wird immer und immer wieder in den Bahá’i-Schriften widerlegt. Doch hat der zeitgenössische Mystizismus noch eine andere Seite, die wir gleichfalls nicht übersehen dürfen.


Mystik und Wissenschaft

Die Philosophie hat seit jeher Interesse für die Mystik gezeigt, aber erst in neuester Zeit hat die Mystik eine gewisse Stütze sowohl von seiten der Philosophie als auch der Wissenschaft gefunden, weshalb wir das Wesen dieser Unterstützung sorgfältig untersuchen wollen.

Der mystische Philosoph sagt im wesentlichen: wir müssen, um gerecht zu sein, den Mystiker berichten lassen, was er erlebt.

Der materialistische Wissenschaftler hingegen antwortet darauf, daß der Mystiker keine unmittelbare Kenntnis der Gegenwart Gottes hat. Er könne höchstens berichten, daß er ein psychisches Erlebnis hatte. Seine metaphysische Lehre hält der Wissenschaftler für ein bloßes Produkt der Gemütserregung und obwohl diese Gemütserregung die Ursache edler Bestrebungen sein kann, könnten wir doch daraus nicht ableiten, daß der Mystiker mit dem Unendlichen eins geworden wäre.

Der mystische Wissenschaftler (wenn wir diesen Ausdruck gebrauchen wollen) widerlegt dieses Argument damit, daß geistiges Erleben innere Erkenntnis sei. Er behauptet, daß die Welt der Wertungen genau so ein Teil unseres Bewußtseins sei wie die Welt der Sinneseindrücke. Die geistige Welt ist ebenso wirklich, ja wirklicher als die sinnbildliche Welt der Wissenschaft. Können wir nicht daher, so schließt er daraus, annehmen, daß der Mensch auch in der Geisteswelt Entdeckungen zu machen vermag?

Nun können wir zwar vielem davon zustimmen, doch können wir nicht zugeben, daß die geistige Erkenntnis des Menschen nur aus dem Inneren stammt. Wohin würden wir in der Musik kommen, wenn wir uns einzig und allein auf unsere eigenen Neigungen verlassen und die Führung durch die Urheber der Musik vollkommen beiseite lassen wollten?

In der Tat: wenn wir die Offenbarung bei unserer These ausschließen und annehmen, daß das Herz ein Organ zur Erforschung der geistigen Welt ist, wie etwa der Verstand ein Organ zur Erforschung der materiellen Welt, dann freilich wird Gott zur bloßen spekulativen Ausdeutung eines ekstatischen Erlebnisses.

Wir müssen zugeben, daß der Mensch auf dem Gebiet der Wissenschaft sehr erfolgreich war. Auf diesem [Seite 57] Gebiete arbeitet der Intellekt in geradezu beispielhafter Weise. Doch müssen wir uns anderseits auch eingestehen, daß der Mensch mit dem Herzen in der geistigen Welt nicht so erfolgreich war. Bezüglich der Eingebung als einem Prüfstein der Wahrheit sagt ‘Abdu’l-Bahá: „Was ist Eingebung? Sie ist die Einströmung des menschlichen Herzens. Was aber sind satanische Einflüsterungen, die die Menschheit peinigen? Auch Einströmungen des Herzens.“ So ermahnt uns denn auch Bahá’u’lláh, daß die Fähigkeiten des Menschen verschiedene Entwicklungsmöglichkeiten zulassen. Ohne göttliche Erzieher würde der Mensch zum Wilden, nicht zum Heiligen werden.

Gewiß sind manche Menschen (wenn auch nur sehr wenige) fähig gewesen, ihr persönliches Verhalten zu veredeln, aber es ist genau so wahr, daß die Mystik keine Lösung für unsere sozialen Probleme bietet. Der Mystiker ist sich dessen bewußt, dennoch hofft er, daß unsere sozialen Probleme verschwinden könnten, wenn das Individuum einen gewissen Grad der Vollkommenheit erreichen würde. Aber die Gesellschaft ist ein lebender Organismus und nicht nur eine Ansammlung von Individuen. Das Individuum ist zwar der Liebe, Gnade und Vergebung fähig, kann aber nicht soziale Gerechtigkeit zuwege bringen. Soziale Gerechtigkeit erfordert ein kollektives, ein gemeinschaftliches Gewissen. „Das Zelt des Daseins“, sagt ‘Ahdu’l-Bahá, „ruht auf dem Pfeiler der Gerechtigkeit und nicht auf dem der Vergebung, und das Leben der Menschheit hängt von der Gerechtigkeit und nicht von der Vergebung ab.“

Die Stellung mancher Gelehrter zum zeitgenössischen Mystizismus zeigt objektive Klarheit und bringt ihm eine uninteressierte, intellektuelle Teilnahme entgegen. Wenn wir jedoch die Einstellung dieser selben Gelehrten zur Frage der Offenbarungswahrheiten betrachten, können wir nicht umhin, ihr Urteil zu mißbilligen.

Für diese Gelehrten bedeuten die in Ausmaß und Größe unvergleichlichen und von nichts auf dem Gebiete der Religion in der Vergangenheit und Gegenwart übertroffenen umfangreichen Schriften Bahá’u’lláh’s soviel wie Nichts verglichen mit den Aussagen der Durchschnittsmystiker, die uns weder soziale Gesetze noch Grundsätze für die Erreichung jener „Einheit“ geben, welche die Kernfrage aller Mystiker seit den Zeiten des Parmenides war. Wie eifrig haben diese Gelehrten die Schriften der alten Philosophen, wie Parmenides und Heraklit nach einer Handvoll Phrasen durchsucht, wie „Gut und Böse sind eins“ oder „die Wirklichkeit ist eine unteilbare Einheit“. Offensichtlich sind sie es, „die sich mit dem zufrieden geben, was gleich dem Nebel in der Ebene ist“.

Es gibt zweifellos viele Gründe, warum manche Gelehrte an den durch die Propheten offenbarten Wahrheiten vorübergehen und den Mystizismus stützen; aber vielleicht erklärt die Neigung der Mystik zur Absonderung ihre Beliebtheit. Der Weg der Mystik ist nur für Wenige, während die prophetische Religion darnach trachtet, keine Klasse zu unterscheiden.

Wer dem Propheten nachfolgt, steht in der Wirklichkeit. Für ihn ist Sünde eine Auflehnung gegen die gottgesetzte Sittenordnung und nicht [Seite 58] nur ein Abgehen vom Weg der Mystik oder ein weltliches Begehren. Für ihn hat sittliches Handeln einen tiefen Wert, ist es mehr als nur eine Vorstufe auf dem Wege zur ekstatischen Vereinigung mit Gott. Der Mystiker hingegen fühlt sich letzten Endes über religiöse Autorität erhaben, da sich ihm ja Gott selbst unmittelbar enthüllt.

Dort, bei der Mystik, handelt es sich in gewisser Hinsicht um eine dehnbare passive Duldsamkeit, die naturgemäß diejenigen anspricht, die eine starke individualistische Voreingenommenheit besitzen. Hier hingegen begegnen wir einer Religion, die nicht nur Frieden und Ruhe gibt, sondern uns auch in die Gegenwart Gottes einläßt und überdies den Menschen von den meisten unerwünschten Gegebenheiten des Lebens frei macht.

Zweifellos hat der Mystizismus mit der prophetischen Religion, soweit es sich um individuelle geistige Entwicklung handelt, vieles gemeinsam. Beide glauben sie an ein höchstes Sein und beide streben sie nach Vollkommenheit. Wir sollten die größte Wertschätzung für Mystiker wie Jalaluddin Rumi, Augustin oder Franziskus hegen, aber ihre Zeit ist dahin. Mit unserer wissenschaftlichen Grundlage und unserem Sinn für soziale Gerechtigkeit können wir nicht glauben, wie sie glaubten, und können wir nicht erleben was sie erlebten.

Im Lichte der Verkündungen Bahá’u’lláh’s wird das Ziel des Mystikers zur bloßen Einbildung, und die göttliche Gegenwart, zu der er hinfindet, lediglich zu einer Schöpfung seines Verstandes und Empfindungslebens. Nach den Worten Bahá’u’lláh’s hat „alles, was die Weisen und Mystiker gesagt oder geschrieben haben, nie die Grenzen überschritten (noch können sie jemals hoffen, es zu tun), die der endlichen menschlichen Erkenntnis unabänderlich gesetzt sind“. Und weiter: „Die Türe zum Verständnis Gottes war und wird für immer vor dem Angesicht der Menschen verschlossen bleiben. Keines Menschen Verstehen wird je zu Seinem heiligen Hofe Zugang finden.“


*) Ins Deutsche übertragen aus „Youth and the Modern World, II. Mysticism and its Implications“, World Order, 1947.



ÜBERSICHT ZUR UMSCHRIFT EINIGER ORIENTALISCHER AUSDRÜCKE[Bearbeiten]

‘Abá — persischer Mantel.

‘Abbás — männlicher Eigenname.

‘Abdu’l-Bahá — „Diener Bahá’s“, geistiger Name von ‘Abbás Effendi, dem ältesten Sohne Bahá’u’lláh’s.

Abu’l-Fadl — bekannter Bahá’i, gelehrter Schriftsteller.

Adhán — Ruf zum Gebet der Mohammedaner.

Adhirbáyján — Asserbeidschan, Landschaft und Provinz im nordwestlichen Persien. Hauptstadt Täbris.

Afnán — „Zweige“, Verwandte des Báb.

Aghsán — „Äste“, Nachkommen Bahá’u’lláh’s.

A.H. — After Hijirah (englisch) — „d.H.“, der Hedschrah, d. i. der Flucht Muhammad’s von Mekka nach Medina, 622 n. Chr. Beginn der mohammedanischen Zeitrechnung.

‘Ahd — „Bund“, „Bündnis“.

Ahmad — „der Gepriesene“, männlicher Eigenname. [Seite 59]

Akbar — „der Größere“, „der sehr Große“, männlicher Eigenname.

‘Akká — Akka, Stadt in Nordpalästina, alte Festung.

‘Ali — männlicher Eigenname; Schwiegersohn Muhammad’s und vierter Kalif.

Alláh-u-Abhá — „Gottes Herrlichkeit“, der „Große Name“ der Bahá’i.

Amir — Emir, Fürst.

Aqá — „Meister“, „Herr“; Titel, von Bahá’u’lláh an ‘Abdu’l-Bahá verliehen.

Aqdas — „heiligst“, s. Kitáb-i-Aqdas.

A'zam — „der Größte“; männlicher Eigenname.

‘Aziz — „der Geliebte“; männlicher Eigenname.

Báb — „Tor“, geistiger Name von Mirzá ‘Ali Muhammad, der ersten Manifestation Gottes in der Bahá’i-Sendung, dem Vorläufer Bahá’u’lláh’s, nach Seiner Erklärung 1844.

Bábi — Anhänger des Báb.

Bábu’l-Báb — „Tor des Tores“; Beiname des Mullá Husayn, eines Jüngers des Báb.

Baghdád — Hauptstadt des ‘Iráq.

Bahá — „(geistiges) Licht“, „Herrlichkeit“.

Bahá’i — „Einer vom Licht“, „Kind des Lichtes“, Anhänger Bahá’u’lláh’s.

Bahá’u’lláh — "Licht Gottes“, „Herrlichkeit Gottes“; geistiger Name von Mirzá Husayn ‘Ali Nuri nach Seiner Erklärung 1863.

Bahiyyih — Schwester ‘Abdu’l-Bahá’s, das „Größte Heilige Blatt“ genannt.

Bahji — Anwesen und Grabmal Bahá’u’lláh's unweit ‘Akká.

Bayán — „Erklärung“; Titel, den der Báb Seinen Schriften gab.

Baqiyyatu’lláh — „Überbleibsel Gottes“; geistiger Titel, der auf den Báb und auf Bahá’u’lláh angewandt wurde.

Big — (spr. Bej) Ehrentitel.

Bishárát — „Frohe Botschaften“, ein Tablet von Bahá’u’lláh.

Bismi’lláh — „im Namen Gottes“.

Bushir — Hafenstadt am Persischen Golf.

Chihriq — Feste, Gefängnis des Báb in Adhirbáyján.

Dawlih — „Staat“, „Regierung“.

Effendi — Titel, etwa Hochwohlgeboren entsprechend, ist zwischen Vornamen und Familiennamen zu setzen.

Farmán — „Befehl“; Erlaß des Schah.

Farrásh — Bedienter, Wärter.

Farrásh-Báshi — Oberwärter, Oberaufseher.

Fárs — Ältester Teil Persiens (daher der Name), Hauptstadt Schiras.

Farsakh — arabische Bezeichnung des persischen Farsang; Längenmaß, etwa 10 km.

Fath-‘Ali — Schah, regierte 1798-1834.

Firdawsi — großer persischer Dichter im 10. Jahrhundert n. Chr.

Hadith — „Legende“, die kanonische Überlieferung über Muhammad.

Hadrat — „Hochwürden“, „Hoheit“; Titel.

Háji — Titel eines Mohammedaners, der nach Mekka gewallfahrtet war.

Hasan — „schön“; männlicher Eigenname.

Haziratu’l-Quds — Verwaltungsgebäude und Versammlungshaus der Bahá’i.

Howdah — Art von Reisesänfte; auf dem Rücken eines Elefanten, Kamels, Pferdes oder Maultieres.

Husayn — „der Schöne“; sprachverwandt mit Hasan; männlicher Eigenname.

Il — „Stamm“ (der iranischen und türkischen Nomaden).

Imám — Titel der zwölf schiitischen Nachfolger des Propheten; später [Seite 60] auch auf andere mohammedanische religiöse Führer ausgedehnt.

Imám-Jumeih — Titel des obersten schiitischen Geistlichen einer Stadt.

Imám-Zádih — Nachkomme eines Imám; auch für dessen Grabstätte angewandt.

Iqán — „Gewißheit“.

Irán — Persien.

‘Iráq — Mesopotamien.

Isfahán — Stadt im Inneren Persiens, frühere Hauptstadt.

‘Ishqábád — Eschkabad, Stadt in Russisch-Turkmenistan, wo der älteste Bahá’i-Tempel steht.

Ishráqát — „Glanz“; Tablet von Bahá’u’lláh.

Islám — muhammedanische Religion.

Jáhiliyyih — das „Zeitalter der Finsternis“ bei den Arabern vor dem Auftreten Muhammad».

Jamál-i-Mubárak — „die gesegnete Schönheit“, Bahá’u’lláh.

Jubbih — Dschubbeh, das ungegürtete Straßenüberkleid der Orientalen.

Ka'bih — die Kaaba, der heilige Grabstein in Mekka.

Kalántar — Bürgermeister.

Kamál — „Vollkommenheit“; männlicher Eigenname.

Karawanserei — Reiseunterkunft für Karawanen.

Karbilá — Stadt im ‘Iráq, Wallfahrtsort und theologisches Zentrum der Schiiten.

Kawthar — Kauther, Strom im Paradies.

Khán — „Edelmann“; persischer Titel.

Khánum — „Edelfrau‘“; weiblicher persischer Titel.

Khurásán — Provinz im Nordosten Persiens.

Kitáb — „Buch“.

Kitáb-i-Aqdas — „das heiligste Buch“; das Buch der Gesetze von Bahá’u’lláh.

Kitáb-i-Iqán — „das Buch der Gewißheit“ von Bahá’u’lláh.

Kuláh — persische Lammfellmütze für Männer.

Kurdistán — Landschaft im persisch-türkisch-syrischen Grenzgebiet.

Madrisih — religiöse Schule.

Máh-Ku — Feste, Gefängnis des Báb in Adhirbáyján.

Mahmud — männlicher Eigenname.

Mashhad — Hauptstadt der persischen Provinz Khurásán, Wallfahrtsort.

Mashriqu’l-Adhkár — „Aufgang des Lobpreises“ (Gottes), Bahá’i-Tempel.

Mázindarán — persische Provinz am Kaspischen Meer.

Mihdi — Mahdi, Titel der vom Islam erwarteten Gottesoffenbarung.

Mirzá — Titel vor dem Namen: „Herr“; hinter dem Namen: „Prinz“.

Mu’adhdhin — Muezzin; Gebetesausrufer.

Muhammad, — Gottesoffenbarer, Stifter des Islám, 570-632.

Mujtahid — mohammedanischer geistlicher Rechtsgelehrter.

Mullá — mohammedanischer Geistlicher.

Munirih — weiblicher Eigenname; Frau ‘Abdu’l-Bahá’s.

Nabil — „edel“, „gebildet“; Jünger Bahá’u’lláh’s.

Najaf — Wallfahrtsort im ‘Iráq.

Násiri’d-Din — Schah, regierte 1848 bis 1896.

Naw-Ruz — „neuer Tag“; Neujahrstag der Bahá’i.

Nur — „Licht“; Heimatstadt Bahá’u’lláh’s unweit Tihrán.

Qádi — Richter.

Qá’im — „der sich erheben wird“; mohammedanischer Titel des Verheißenen. [Seite 61]

Qazvin — Kaswin; Stadt in Nordwestpersien.

Qiblih — Gebetsrichtung.

Quddus — Jünger des Báb.

Qum — Kum; Stadt in Mittelpersien.

Qurratu’l-‘Ayn — „Augentrost“, Beiname von Táhirih, Jüngerin des Báb.

Ramadán — mohammedanischer Monat, Fastenzeit.

Ridván — „Paradies“; Garten bei Baghdád, wo sich Bahá’u’lláh erklärte.

Sadratu’l-Muntahá — ein früher von den Arabern am Ende eines Weges als Richtpunkt gepflanzter Baum, bedeutet symbolisch den Offenbarer Gottes.

Salsabil — eine Quelle im Paradies.

Shaykh — Scheich; Stammeshaupt, Führer.

Shiráz — Schiras; Stadt im inneren Persien, Hauptstadt von Fárs, wo der Báb geboren wurde und sich erklärte.

Siyyid — Nachkomme des Propheten.

Sufi — mohammedanischer Mystiker.

Surih — Sure; Kapitel im Koran.

Tabriz — Täbris; Hauptstadt von Adhirbáyján, wo der Báb den Märtyrertod erlitt.

Táhirih — „rein“, „heilig“; weiblicher Eigenname.

Tajalliyát — „Lichtstrahlen“; Tablet Bahá’u’lláh’s.

Tarázát — „Schmuck“; Tablet Bahá’u’lláh’s.

Yazd — Stadt in Mittelpersien.

Einige wenige andere orientalische Worte, wie Kalif, Wesir, Sunniten, Koran, Mohammedaner, Schiiten, Mekka, Kairo, Teheran, Sultan, Schah u. a. sind im Laufe der Jahrhunderte so verdeutscht in unseren Sprachschatz übergegangen, daß sie für eine Umschrift nach einem internationalen System kaum mehr in Betracht kommen. Wir pflegen daher in unseren Bahá’i-Texten die bei diesen Namen schon längst einheitlich eingebürgerte Schreibweise zu belassen. Dr. A.M.



AUS DER BAHA’I-WELT[Bearbeiten]

Anerkennung der Internationalen Bahá’i-Gemeinschaft bei den Vereinten Nationen

Dem Nationalen Geistigen Rat der Bahá’i in Deutschland und Österreich e. V., Stuttgart, ging unter dem 14. April 1948 ein Brief des Nationalen Geistigen Rats der Bahá’i in USA und Kanada, Willmette (Ill.), zu, den wir seiner Bedeutung wegen zusammen mit dem Brief der UN vom 16. März 1948 und der Niederschrift über „Die Arbeit der Bahá’i zur Förderung der Menschenrechte“ in der deutschen Übersetzung nachstehend abdrucken. (Die Schriftleitung)

Liebe Bahá’i-Freunde!

Unser Rat erhielt kürzlich richtig die Vollmacht, die Sie uns in dreifacher Ausfertigung sandten, um uns beim Antrag an die UN zwecks Anerkennung der Internationalen Bahá’i-Gemeinschaft zu Ihrem Vertreter zu bestellen. Im Sinne dieser Vollmacht, wie sie uns von den sieben andern bestehenden Nationalen Geistigen Räten übertragen wurde, haben wir drei wichtige Schritte unternommen.

Erstens. Die Anerkennung aller acht Nationalen Bahá’i-Gemeinschaften bei der UN als die „Internationale Bahá’i-Gemeinschaft“. Dieser Status wurde uns gegeben, wie Sie aus der beiliegenden Fotokopie des Originalbriefes der UN vom 16. März 1948 ersehen.

Zweitens. Antrag auf Anerkennung der Internationalen Bahá’i-Gemeinschaft als eine internationale Organisation, die befähigt ist, einen beratenden Status unter dem UN-Wirtschafts- und Sozialrat zu erhalten, was [Seite 62] wichtiger ist als die Anerkennung als eine private Organisation. Das Gesuch der Bahá’i um den beratenden Status ist in Bearbeitung und die endgültige Entscheidung, die, wie wir zuversichtlich hoffen, günstig sein wird, dürfte im Juli fallen.

Drittens. Wir waren in der Lage, ein offizielles Gesuch an die UN, Abteilung Treuhandverwaltung, zwecks Schutz der Bahá’i-Interessen und -Besitztümer in Palästina zu richten. Unsere dringende Bitte wurde in den Beratungen der Treuhandverwaltung einbezogen und es wurden für alle Mitglieder Kopien angefertigt.

In der Zwischenzeit hat die UN die Internationale Bahá’i-Gemeinschaft eingeladen, zu zwei Konferenzen, die im Mai in Genf (Schweiz) stattfinden, Delegierte zu entsenden. Unser Rat hat ordnungsgemäß 5 Delegierte ernannt, drei Bahá’i von den USA, einen von England und einen von Italien.

Die Bahá’i wurden auch aufgefordert, kurz darzulegen, was unsere internationale Gemeinschaft im Interesse der Menschenrechte tut. Zwei Kopien unserer Niederschrift sind beigefügt.

Nachdem sich diese internationale Bahá’i-Aktivität unter der UN entwickelt, wird uns der Hüter ohne Zweifel beraten, wie alle Nationalen Räte am besten zu ihrem Erfolg beitragen können. Wir werden natürlich unsere Mit-Räte weiterhin unterrichten.

Getreulich Ihr

Nationaler Geistiger Rat

gez. Horace Holley

Sekretär.


UNITED NATIONS — NATIONS UNIES

DEPARTMENT OF PUBLIC INFORMATION

LAKE SUCRESS, NEW YORK, N. Y. — FIELDSTONE 7—1100


IN REPLY REFER TO: 1000.07-1 16. März 1948

Mrs. Mildred R. Mottahedeh

Bahá’i Assembly of the United States and Canada

225 Fifth Avenue, New York, N.Y.


Verehrte Mrs. Mottahedeh!

Haben Sie Dank für die Fotokopien der Briefe verschiedener nationaler Bahá’i, die Sie kürzlich meinem Sekretär überließen. Auf Grund der in diesen Briefen enthaltenen Informationen haben wir Ihre Organisation in unsere Liste der internationalen Organisationen aufgenommen und freuen uns, eine Einladung zu der im Mai in Genf stattfindenden Konferenz der „Internationalen Privaten Organisationen“ beifügen zu können. Wir übersenden Ihnen auch eine Kopie der vorgesehenen Tagesordnung der Diskussionen zur Unterrichtung. Die endgültige Tagesordnung und Arbeitspapiere sind in Vorbereitung und werden Ihnen in Kürze zugesandt.

Wir würden es begrüßen, sobald als möglich Ihren Antwortbrief zu erhalten, der die Namen und Anschriften Ihrer Vertreter enthält, die an der Konferenz teilnehmen werden. Sollte es notwendig sein, Hotelquartiere vorzumerken, so wollen Sie uns bitte die Zeit, für welche die Quartiere gewünscht werden, mitteilen.

Ihr ergebener

gez. J. B. Orrick

Chef der Abteilung für Privatorganisationen.



Die Arbeit der Bahá’i zur Förderung der Menschenrechte

Für die Arbeitspapiere Nr. 5 eingereicht zur Konferenz für Menschenrechte, Genf (Schweiz), vom 19.—20. Mai 1948
Vom Nationalen Geistigen Rat der Bahá’i in USA und Canada im Auftrag der Internationalen Bahá’i-Gemeinschaft


Die Internationale Bahá’i-Gemeinschaft glaubt, daß alle Menschen das Recht haben, in einer Gesellschaft zu leben, deren Gesetze und Einrichtungen mit den Wahrheiten einer fortschreitenden und allumfassenden Religion übereinstimmen.

Diese Auffassung wird von dem Glauben an eine göttliche Ordnung gestützt. Er erweckt moralische Verantwortung, für die Erfüllung der Menschenrechte in einer geeinten Welt zu arbeiten. Er anerkennt die Tatsache, daß, bevor Rechte in Wahrheit oder in Gesetzesform aufgestellt werden können, unter den Menschen ein Zustand geistiger Würdigkeit vorhanden sein muß. [Seite 63]

Die Bahá’i arbeiten an der Förderung der Menschenrechte auf mehrere Arten.

Erstens sucht der Einzelne in seinem persönlichen Leben sein Herz von Vorurteilen zu befreien, die ihn von seinen Vorfahren niederhalten oder in seiner Zivilisation allgemein verbreitet sind. Sein Glaube auferlegt ihm, alle Personen als Menschen zu betrachten ungeachtet ihrer Rasse, Klasse, Nationalität oder ihres Glaubens. Er bemüht sich durch Gebet, Meditation und geistige Erziehung ein fest begründetes Verstehen der Bahá’i-Grundlehre, die Einheit der Menschheit, zu erreichen. Infolge des Fehlens von Weltordnung und Frieden sieht der Bahá’i keine menschliche Autorität oder Macht in der Lage, neue und höhere Menschenrechte aufzurichten oder selbst die alten Rechte zu sichern, die lange als untere Grenze der Gesittung des Gemeinschaftslebens angesehen wurden.

Zweitens sind alle Bahá’i Mitglieder einer internationalen religiösen Gemeinschaft, die in ihren internen Beziehungen die Haltung eines Weltgemeinwesens einnimmt. Was beim einzelnen Tugend ist, wird in der Gruppe als Prinzip und Praxis der Gerechtigkeit hochgehalten. Jeder Bahá’i nimmt in gleicher Weise an der Gemeinschaft einer überrassischen, übernationalen und überkonfessionellen Ordnung teil. Er betet und bricht sein Brot zusammen mit seinen Freunden in einer Einheit, die nun über 88 Länder reicht, die mehr als dreißig Rassen und alle großen Offenbarungsreligionen vertritt. Das Gefühl der Einheit beruht auf dem Bahá’i-Verwaltungsprinzip, das Autorität schafft durch geheime Wahl aller erwachsenen Mitglieder ohne Vorschlagsrecht oder Parteimechanismus. Diese Gemeinschaft kennt auch keine Teilung in geistliche und Laienkörper. Im: Bahá’i-Glauben ist ein Berufspriestertum untersagt.

Drittens. Das tatsächliche Bestehen einer so weitverbreiteten und mannigfaltigen Gemeinschaft dient der Sache der Menschenrechte, indem sie beweist, daß unter gewissen Bedingungen der Geist der Gleichheit und Zusammenarbeit die Oberhand gewinnen kann. In dieser weltweiten Gemeinschaft, die weiße und dunkle Völker, den Osten und den Westen, den Armen und den Reichen umfaßt, haben die Bahá’i einen kleinen aber bedeutsamen Wirkungsbereich geistigen Friedens entwickelt. Ihr Ziel ist, durch Vereinigung die moralische Kraft hervorzubringen, die nötig ist, um Einrichtungen ins Leben zu rufen, die erfüllt sind von einem Weltausblick, unabhängig von auf sich selbst beschränkten Kulturen und Philosophien, die sich in der Vergangenheit entwickelten.

Viertens. Die Bahá’i-Gemeinschaft übt durch ihre verschiedenen örtlichen und nationalen Organe mehr und mehr tatkräftig ein Werk öffentlicher Erziehung zur Förderung der Menschenrechte aus. Diese Arbeit umschließt: Veröffentlichung von Büchern und Flugschriften in nahezu 50 Sprachen, Veröffentlichung von Zeitschriften; Abhaltung von Sommerschulen in sechs Ländern; öffentliche Konferenzen und Vorträge in Hunderten von Städten. Eine Schrift, betitelt „Eine Bahá’i-Erklärung der Menschenpflichten und -rechte“ wurde der UN-Kommission für Menschenrechte im Februar 1947 überreicht*).

Internationale Bahá’i-Gemeinschaft.


*) Diese Denkschrift werden wir in der Mai/Juni-Doppelnummer veröffentlichen (die Schriftleitung).



AUS DER BAHA’I-WELT[Bearbeiten]

Abessinien:

Unser Bahá’i-Freund Sabri Elias war 1945 nach Abessinien zurückgekehrt und fand sich zunächst wieder allein in diesem Lande. Aber schon 1947 konnte in Addis Abbeba aufs neue eine Gemeinde gegründet werden, die nun im Aufblühen ist.


Indien:

Der Druck der verworrenen politischen Verhältnisse auf die Bahá’i hält noch an. Aber als leuchtender Kontrast zu der Uneinigkeit dieses großen Reiches stehen die Bahá’i-Gemeinden da, die in Liebe und Einheit umschließen, was sich an Rassen und Religionen draußen bekämpft.


Iran:

Die Bahá’i verfolgen eifrig ihren 45-Monate-Plan. In Teheran haben ihn die Bahá’i in einem Bruchteil der Zeit schon fast ganz erfüllt. Sie haben u. a. fünf neue Gemeinden in der Umgebung der Hauptstadt gegründet. 25 Bahá’i reisten als Pioniere in ferne Gegenden. [Seite 64]


Der Bahá’i-Kalender

Im Zeichen des neuen Zeitalters der Einheit wird sich die Menschheit in nicht zu ferner Zeit auf einen für alle Völker und Kontinente einheitlichen Kalender einigen. Wir entnehmen darüber aus dem Buch von Dr. J. E. Esslemont „Bahá’u’lláh und das neue Zeitalter“ folgendes: „Der Báb kennzeichnete die Bedeutung des Zeitalters, als dessen Herold Er kam, durch die Einführung eines neuen Kalenders. In diesem ist wie im gregorianischen Kalender der Mondmonat fallen gelassen und das Sonnenjahr gewählt."

Das Bahá’i-Jahr besteht aus 19 Monaten zu je 19 Tagen (was 361 Tage ergibt), mit der Hinzunahme gewisser „Schalttage“ (vier im gewöhnlichen und fünf im Schaltjahr) zwischen dem 18. und dem 19. Monat, um den Kalender dem Sonnenjahr anzupassen. Der Báb nannte die Monate nach den Attributen Gottes. Das Bahá’i-Neujahr ist, gleich dem alten iranischen Neujahr, astronomisch festgelegt, beginnend bei der März-Tag- und Nachtgleiche (21. März). Das Bahá’i-Zeitalter beginnt mit dem Jahre der Erklärung des Báb (1844 n. Chr., 1260 d.H.).

Die Monate nach dem Bahá’i-Kalender sind die folgenden:


Monat — Arabischer Name — deutsche Übersetzung — Die ersten Tage fallen auf

1. — Bahá — Licht, Glanz — 21. März

2. — Jalál — Herrlichkeit — 9. April

3. — Jamál — Schönheit — 28. April

4. — ‘Azamat — Größe — 17. Mai

5. — Nur — Licht — 5. Juni

6. — Rahmat — Barmherzigkeit — 24. Juni

7. — Kalimát — Worte — 13. Juli

8. — Kamál — Vollkommenheit — 1. August

9. — Asmá — Namen — 20. August

10. — ‘Izzat — Macht — 8. September

11. — Mashiyyat — Wille — 27. September

12. — ‘Im — Erkenntnis — 16. Oktober

13. — Qudrat — Kraft — 4. November

14. — Qawl — Sprache — 23. November

15. — Masá’il — Fragen — 12. Dezember

16. — Sharaf — Ehre — 31. Dezember

17. — Sultán — Herrschaft — 19. Januar

18. — Mulk — Oberherrschaft — 7. Februar

Eingeschobene Tage: 26. Februar bis 1. März einschließlich (Besuchs- und Geschenktage)

19. — ‘Alá — Erhabenheit — 2. März


Die Neunzehntage-Feste leiten den Beginn der Bahá’i-Monate ein. Außerdem enthält der Bahá’i-Kalender folgende Gedenk- und Festtage: 21.3. Naw-Ruz-Fest (Neujahr); 21.4. bis 2.5. Ridvan - Zeit (Bahá’u’lláh’s Erklärung Seiner Sendung); 23.5. Erklärung des Báb und Geburtstag ‘Abdu’l-Bahá’s; 28.5. Hinscheiden Bahá’u’lláh’s; 9.7. Märtyrertod des Báb; 12.11. Geburtstag Bahá’u’lláh’s; 26.11. Einsetzung ‘Abdu’l-Bahá’s als Mittelpunkt des Bündnisses; 28.11. Hinscheiden ‘Abdu’l-Bahá’s; 2.3. bis 20.3. Fastentage.


Herausgeber: Der Nationale Geistige Rat der Bahá’i in Deutschland und Österreich, e. V., Stuttgart. Verantwortlich für die Herausgabe: Paul Gollmer, Stuttgart O, Neckarstraße 127. In der „Sonne der Wahrheit“ finden nur solche Manuskripte Veröffentlichung, bezüglich deren Weiterverbreitung keine Vorbehalte gemacht werden. — Alle auf den Inhalt der Zeitschrift bezüglichen Anfragen, ferner schriftliche Beiträge, Besprechungsexemplare wie auch alle die Schriftleitung betreffenden Zuschriften sind an Dr. Eugen Schmidt, Stuttgart N, Menzelstr. 24, zu senden. — Abonnementbestellungen sowie Zahlungen sind an die Geschäftsstelle der „Sonne der Wahrheit“, Paul Gollmer, Stuttgart O, Neckarstraße 127, Postscheckkonto Stuttgart Nr. 35 768, zu richten.

Druck von J. Fink KG., Stuttgart N — Auflage 2000 — März/April 1948

Veröffentlicht unter Lizenz US-W-Nr. 6871 der Nachrichtenkontrolle der Militärregierung.


[Seite 65]

diesem Tage wirkt, letzten Endes diesen Zustand herbeizuführen fähig ist. Noch mehr: Der Bahá’i-Glaube legt seinen Anhängern vor allem die Pflicht des ungehemmten Suchens nach Wahrheit auf, verwirft alle Arten von Vorurteil und Aberglauben und erklärt, daß der Zweck der Religion die Förderung von Freundschaft und Eintracht sei; er verkündet in wesentlichen Fragen ihr Zusammengehen mit der Wissenschaft und erkennt sie als die größte Kraft der Befriedigung und des geregelten Fortschrittes der Menschheit. Er hält ohne Zweideutigkeit den Grundsatz gleicher Rechte, gleicher Möglichkeiten und Vorrechte für Männer und Frauen hoch, besteht auf guter Erziehung als Pflicht, tilgt die Extreme von Armut und Reichtum aus, schafft die Einrichtungen eines Priesterstandes ab, verbietet Sklaverei, Askese, Bettelei und Mönchtum und schreibt Einehe vor, mißbilligt Scheidung, betont die Notwendigkeit festen Gehorsams zur Regierung, erhöht jede Arbeit, die im Geiste des Dienens getan wird, auf den Rang des Gottesdienstes, drängt auf die Schaffung oder Auswahl einer Welthilfssprache und gibt einen Umriß für die Einrichtungen, welche den Weltfrieden begründen und dauerhaft machen sollen.


Der Herold

Der Bahá’i-Glaube kreist um drei Hauptgestalten, deren erste ein Jüngling aus Schiras namens Mirzá ‘Ali Muhammád war, bekannt als der Báb (das Tor). Er erhob im Mai 1844, im Alter von 25 Jahren den Anspruch, der Herold Dessen zu sein, der nach den Heiligen Schriften früherer Offenbarungen den Einen, der größer ist als Er selbst, verkünden und den Weg für Sein Kommen bereiten soll. Seine Sendung sei, nach eben diesen Schriften, eine Ära des Friedens und der Gerechtigkeit einzuleiten, die als die Vollendung aller früheren Sendungen begrüßt würde, um einen neuen Zyklus in der Religionsgeschichte der Menschheit einzuleiten. Rasch setzte strenge Verfolgung ein, die von den organisierten Mächten der Kirche und des Staates Seines Geburtslandes ausging und schließlich zu Seiner Gefangenschaft, Verbannung und zu Seiner Hinrichtung im Juli 1850 in Täbris führten. Nicht weniger als 20000 Seiner Anhänger wurden in so barbarischer Grausamkeit hingemordet, daß sie das warme Mitgefühl und die unbegrenzte Bewunderung abendländischer Schriftsteller, Diplomaten, Reisender und Gelehrter hervorrief.


Bahá’u’lláh

Mirzá Husayn - ‘Ali, genannt Bahá’u’lláh (die Herrlichkeit Gottes), aus der Provinz Mázindarán stammend, dessen Kommen der Báb verkündet hatte, wurde von diesen gleichen Mächten der Dummheit und des Fanatismus angegriffen, in Teheran eingekerkert, 1852 aus Seinem Heimatland nach Bagdad verbannt und von dort nach Konstantinopel und Adrianopel und schließlich in die Gefängnisstadt Akka, wo Er nicht weniger als 24 Jahre noch gefangengehalten wurde. Unweit davon starb Er im Jahre 1892. In der Zeit seiner Verbannung, vor allem in Adrianopel und in Akka, gab Er den Gesetzen und Vorschriften Seiner Sendung Ausdruck und erklärte in mehr als hundert Bänden die Grundsätze Seines Glaubens, verkündete Seine Botschaft den Königen und Herrschern des Ostens und des Westens, Christen sowohl wie Mohammedanern.


‘Abdu’l-Bahá

Sein ältester Sohn, ‘Abbás Effendi, bekannt als ‘Abdu’l-Bahá (Diener Bahá’s), war von Bahá’u’lláh zu dessen gesetzlichem Nachfolger und bevollmächtigtem Ausleger Seiner Lehren ernannt worden. Er war seit Seiner frühesten Kindheit Seinem Vater eng verbunden und teilte dessen Verbannung und Leiden. Er blieb ein Gefangener bis 1908, wo Er in Auswirkung der jungtürkischen Revolution aus der Haft entlassen wurde. Nunmehr verlegte Er Seinen Wohnsitz nach Haifa, schiffte sich dann bald zu einer drei Jahre langen Reise nach Ägypten, Europa und Nordamerika ein, in deren Verlauf Er vor einer zahlreichen Hörerschaft die Lehren Seines Vaters auslegte und das Nahen der Katastrophe voraussagte, die bald darauf die Menschheit überfallen sollte. Er kehrte nach Hause zurück am Vorabend des ersten Weltkrieges, in dessen Verlauf Er dauernd Gefahren ausgesetzt war bis zur Befreiung Palästinas.

1921 verließ Er diese Welt. Er wurde in dem auf dem Berge Karmel errichteten Grabmal beigesetzt, das nach dem Gebot Bahá’u’lláh’s für die sterblichen Reste des Báb errichtet war.


Die Verwaltungsordnung

Das Hinscheiden 'Abdu'l-Bahá’s bedeutete das Ende des heroischen Zeitalters des Bahá’i-Glaubens und bezeichnete zugleich den Beginn des gestaltgebenden Zeitalters, das den schrittweisen Aufstieg der Verwaltungsordnung des Glaubens schaffen soll. Ihre Errichtung war von dem Báb vorhergesagt, ihre Gesetze wurden von Bahá’u’lláh geoffenbart, ihre Umrisse wurden von 'Abdu'l-Bahá in Seinem Willen und Testament vorgezeichnet.

Die Verwaltungsordnung des Glaubens von Bahá’u’lláh ist dazu bestimmt, sich zu einem Bahá’i-Weltgemeinwesen zu entwickeln. Sie hat schon die Angriffe überdauert, die solche furchtbaren Feinde wie die Könige der Kadscharen-Dynastie, die Kalifen des Islam, die führenden Geistlichen Ägyptens und das Naziregime in Deutschland gegen ihre Einrichtungen gerichtet hatten, und hat ihre Zweige in alle Teile der Erde ausgedehnt, von Island bis zum äußersten Chile. Sie hat in ihren Bereichen die Vertreter von nicht weniger als 31 Rassen, darunter Christen verschiedener Bekenntnisse, Muselmänner der [Seite 66] sunnitischen und schiitischen Sekten, Juden, Hindu, Sikhs, Zoroastrer und Buddhisten. Sie hat durch ihre festgesetzten Organe Bahá’i-Schriften in 48 Sprachen veröffentlicht und verbreitet.

Diese Verwaltungsordnung ist, im Unterschied von den anderen Systemen, die sich nach dem Tode der Gründer in den verschiedenen Religionen entwickelt haben, göttlich in ihrem Ursprung, beruht mit Gewißheit auf den Gesetzen, Vorschriften, Verordnungen und Einrichtungen, die vom Begründer des Glaubens selbst ausdrücklich niedergelegt und unzweideutig festgesetzt sind und waltet in fester Übereinstimmung mit den Auslegungen der bevollmächtigten Ausleger der heiligen Texte.

Der Glaube, dem diese Ordnung dient, den sie schützt und fördert, ist, das sollte in diesem Zusammenhang wohl bemerkt werden, in seinem Wesen übernatürlich, übernational, gänzlich unpolitisch, parteilos und jedem System oder jeder Schule von Ideen, die irgendeine besondere Rasse, Klasse oder Nation über die andere zu stellen sucht, völlig entgegengesetzt. Er ist frei von jeglicher Form von Kirchentum, hat weder Priesterstand noch Riten und wird allein durch freiwillige Gaben seiner erklärten Anhänger getragen.

Wenn auch die Bekenner des Bahá’i-Glaubens ihren Regierungen treu ergeben sind, in Liebe ihrem Vaterland verbunden und darauf bedacht, zu allen Zeiten dessen Wohl zu fördern, so werden sie doch, weil sie die Menschheit als eine Einheit betrachten und deren Lebensinteressen tief verpflichtet sind, ohne Zögern jedes Einzelwohl, sei es persönlich, örtlich oder national, dem übergeordneten Wohl der Menschheit als Ganzes unterordnen; denn sie wissen gar wohl, daß in einer Welt der gegenseitigen Abhängigkeit der Völker und Nationen der Vorteil des Teiles am besten durch den Vorteil des Ganzen erreicht werden kann, und daß kein Dauererfolg durch eines der zugehörigen Teile erreicht werden kann, wenn das Allgemeinwohl des Ganzen hintangestellt wird.

Shoghi Effendi


Die zwölf Grundsätze der Bahá’i-Weltreligion


1. Die gesamte Menschheit muß als Einheit betrachtet werden.

2. Alle Menschen sollen die Wahrheit selbständig erforschen.

3. Alle Religionen haben eine gemeinsame Grundlage.

4. Die Religion muß die Ursache der Einigkeit und Eintracht unter den Menschen sein.

5. Die Religion muß mit Wissenschaft und Vernunft übereinstimmen.

6. Mann und Frau haben gleiche Rechte.

7. Vorurteile jeglicher Art müssen abgelegt werden.

8. Der Weltfrieden muß verwirklicht werden.

9. Beide Geschlechter sollen die beste geistige und sittliche Bildung und Erziehung erfahren.

10. Die sozialen Fragen müssen gelöst werden.

11. Es muß eine Einheitssprache und eine Einheitsschrift eingeführt werden.

12. Es muß ein Weltschiedsgerichtshof eingesetzt werden.