Sonne der Wahrheit/Jahrgang 18/Heft 6-7/Text
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SONNE DER WAHRHEIT Zeitschrift für Weltreligion und Welteinheit ORGAN DER BAHA’I IN DEUTSCHLAND UND ÖSTERREICH Verantwortlich für die Herausgabe und Schriftleitung: Paul Gollmer, Stuttgart O, Neckarstraße 127 |
Heft 6/7 Preis vierteljährlich DM 1.80 |
JANUAR/FEBRUAR 1948 Sharaf · Sultan · Mulk Ehre · Herrschaft · Oberherrschaft |
18. JAHRGANG |
- Leitgedanken: Einheit der Menschheit - Universaler Friede - Universale Religion
Inhalt: Ährenlese - Göttliche Lebenskunst - 'Abdu'l-Bahá über die Weltschöpfung - Der verheißene Tag ist gekommen - Der Glaube Bahá’u’lláh’s - Gottesdienst in einem Glauben - Der junge Mensch und die Welt - Gandhi - Aus der Bahá’i-Welt
OH, IHR MENSCHENKINDER,
die Grundabsicht, die den Gottesglauben und Seine Religion beseelt, ist, das Wohl des Menschengeschlechtes zu schützen und seine Einheit zu fördern . . . .
Dies ist der gerade Weg, die festgesetzte und unbewegliche Grundlage. Was auch immer auf dieser Grundlage errichtet ist, dessen Stärke kann Wechsel und Wandel der Welt nie beeinträchtigen, noch wird der Umschwung unzähliger Jahrhunderte dessen Bau untergraben.
- Bahá’u’lláh
ÄHRENLESE[Bearbeiten]
AUS DEN SCHRIFTEN VON BAHÁ’U’LLÁH
Nach der englischen Übersetzung von Shoghi Effendi (New York, Bahá’i Publishing Committee 1935) ins Deutsche übertragen
Wir werden diese erlesene Sammlung von Worten Bahá’u’lláh’s in Fortsetzungen abdrucken und anschließend in Buchform herausbringen (Schriftleitung).
I. Gepriesen und verherrlicht seist Du, o Herr, mein Gott! Wie kann ich
Dich erwähnen, da ich sicher weiß, daß keine Zunge, und wäre die Weisheit,
die sie kündet, noch so tief, Deinen Namen je gebührend rühmen kann, und
daß der Vogel des Menschenherzens, und wäre auch sein Sehnen noch so
groß, nie hoffen darf, sich in den Himmel Deiner Erhabenheit und Erkenntnis zu erheben. ’
Wenn ich Dich, o mein Gott, als den Allwahrnehmenden beschreibe, muß ich gestehen, daß jene, die die höchsten Verkörperungen der Wahrnehmung sind, auf Deinen Befehl erschaffen wurden. Und wenn ich Dich als den Allweisen preise, muß ich gleichermaßen anerkennen, daß die Quellen der Weisheit allein aus dem Wirken Deines Willens hervorsprangen. Und wenn ich Dich als den Unvergleichlichen verkünde, entdecke ich bald, daß jene, die das innerste Wesen der Einheit bilden, durch Dich herabgesandt wurden und nur als Beweise Deiner Schöpfung dienen. Und wenn ich Dich als den Erkenner aller Dinge grüße, muß ich zugeben, daß die Wesenskerne der Erkenntnis nur Geschöpfe und Werkzeuge Deines Planes sind.
Erhaben, unermeßlich erhaben bist Du über das Bemühen der Sterblichen, Dein Geheimnis zu enthüllen, Deine Herrlichkeit zu schildern oder gar die Natur Deines innersten Wesens anzudeuten. Denn, was immer ihr Bemühen erreichen mag, nie können sie hoffen, die Deinen Geschöpfen gesetzten Grenzen zu überschreiten, da dieses Sichmühen durch Deinen Ratschluß geweckt wird und Deiner Erfindung entsprungen ist. Die erhabensten Gefühle, die die heiligsten der Heiligen zu Deinem Lobe äußern, und die tiefste Weisheit, die die gelehrtesten der Menschen in ihren Versuchen, Deine Natur zu begreifen, enthüllen können — alles kreist um jenen Mittelpunkt, der Deiner Herrschaft völlig unterworfen ist, der Deine Schönheit anbetet und in Schwingung versetzt wird durch die Bewegung Deiner Feder.
Nein, verhüte, o mein Gott, daß ich Worte geäußert haben sollte, die notwendigerweise das Bestehen irgendeiner unmittelbaren Beziehung zwischen der Feder Deiner Offenbarung und dem Wesen alles Erschaffenen in sich schließen. Weit, weit stehen diejenigen, die mit Dir verbunden sind, über dem Begriff einer solchen Verwandtschaft! Alle Vergleiche und Bilder versäumen, dem Baum Deiner Offenbarung gerecht zu werden, und jeder Weg zum Begreifen der Manifestation Deines Selbstes und des Tagesanbruchs Deiner Schönheit ist versperrt.
Weit, weit von Deiner Herrlichkeit entfernt sei, was der Sterbliche von Dir
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behaupten oder Dir zuschreiben kann, oder der Lobpreis, mit dem er Dich
verherrlichen kann! Und hast Du auch immer Deinen Dienern zur Pflicht gemacht,
Deine Erhabenheit und Herrlichkeit aufs höchste zu preisen, so ist es
nur ein Zeichen Deiner Gnade für sie, damit sie befähigt werden, zu der
Stufe emporzusteigen, die ihrem innersten Sein verliehen wurde, der Stufe
der Erkenntnis ihres eigenen Selbsts.
Niemand außer Dir ist jemals fähig gewesen, Dein Geheimnis zu ergründen oder Deine Größe gebührend zu rühmen. Unerforschlich und hoch über dem Preise der Menschen wirst Du für immer verbleiben. Es ist kein Gott außer Dir, dem Unzugänglichen, dem Allmächtigen, dem Allwissenden, dem Heiligen der Heiligen.
II. Der Anfang aller Dinge ist die Erkenntnis Gottes, und das Ziel aller Dinge ist die genaue Befolgung dessen, was immer aus dem höchsten Himmel des göttlichen Willens herabgesandt worden ist, der alles durchdringt, was in den Himmeln und auf Erden ist.
III. Die Offenbarung, der seit undenklicher Zeit als dem Ziel und der Verheißung aller Propheten Gottes und der tiefsten Sehnsucht Seiner Botschafter jubelnd entgegengesehen wurde, ist nun kraft des durchdringenden Willens des Allmächtigen und auf Sein unwiderstehliches Geheiß hin den Menschen enthüllt worden. Das Kommen einer solchen Offenbarung wurde in allen heiligen Schriften verkündet. Seht nun, wie die Menschheit, ungeachtet einer solchen Verkündigung, von ihrem Pfade abgeirrt ist und sich von ihrer Herrlichkeit ausgeschlossen hat.
Sprich: O Ihr Geliebten des einen, wahren Gottes! Strebet darnach, daß ihr Ihn wirklich annehmet und erkennet, und befolget geziemend Seine Verordnungen. Wenn um dieser Offenbarung willen ein Mensch einen Tropfen Blutes vergießt, so werden Myriaden von Weltmeeren seine Belohnung sein. Habet acht, o Freunde, daß ihr einer so unschätzbaren Wohltat nicht verlustig gehet und ihre erhabene Stufe mißachtet! Schaut auf die Menge der Leben, die geopfert worden sind und noch geopfert werden in einer durch ein bloßes Gaukelbild getäuschten Welt, das von den leeren Einbildungen ihrer Völker ersonnen wurde. Danket Gott, daß sich eures Herzens Sehnsucht erfüllt hat, und ihr mit Ihm vereinigt wurdet, der die Verheißung aller Völker ist. Bewahrt euch mit Hilfe des einen wahren Gottes — gepriesen sei Seine Herrlichkeit — die Unverletztheit der Stufe, die ihr erreicht habt, und folget dem, was Seine Sache fördert. Er, wahrlich, befiehlt euch, was recht und der Erhöhung der menschlichen Stufe dienlich ist. Verberrlicht sei der Allbarmherzige, der Offenbarer dieses wunderbaren Tablets.
IV. Dies ist der Tag, an dem Gottes erhabenste Gunst den Menschen zugeströmt ist,
der Tag, an dem Seine mächtigste Gnade sich in alles Erschaffene
ergossen hat. Alle Völker der Welt haben die Pflicht, ihre Verschiedenheiten
auszugleichen und in vollkommener Einigkeit und im Frieden unter dem
Schatten des Baumes Seiner Obhut und liebenden Güte zu wohnen. Es geziemt ihnen,
dem zu folgen, was immer an diesem Tage der Erhöhung ihrer Stufe und der Förderung
ihres eigenen Besten dienlich ist. Glücklich sind
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diejenigen, zu deren Gedenken die allherrliche Feder bewegt wurde, und gesegnet
sind jene Menschen, deren Namen nach Unserem unerforschlichen Ratschluß zu
verbergen Wir vorgezogen haben.
Bittet den einen, wahren Gott, Er möge gewähren, daß allen Menschen gnädig geholfen werde zu erfüllen, was annehmbar ist in Unseren Augen. Bald wird die heutige Weltordnung aufgerollt und eine neue an ihrer Statt entfaltet werden. Wahrlich, Dein Herr spricht die Wahrheit und ist der Wisser unsichtbarer Dinge.
V. Dies ist der Tag, an dem das Meer der Barmherzigkeit Gottes den Menschen offenbar wurde, der Tag, an dem die Sonne Seiner göttlichen Gnade ihren Glanz über sie ergoß, der Tag, an dem die Wolken Seiner freigebigen Gunst die ganze Menschheit überschattet haben. Jetzt ist die Zeit, die Niedergeschlagenen zu trösten und sie zu erfrischen mit dem belebenden Winde der Liebe und der Kameradschaft und den strömenden Wassern des Wohlwollens und der Barmherzigkeit.
Sie, die Geliebten Gottes, müssen in ihrer Haltung gegen Gott und in der Art, wie sie Seinen Ruhm und Seine Herrlichkeit preisen, wo immer sie sich treffen und wem immer sie begegnen mögen, eine Demut und einen Gehorsam an den Tag legen, daß jedes Stäubchen zu ihren Füßen die Tiefe ihrer Ergebenheit spürt. Die Unterhaltung, die diese heiligen Seelen pflegen, sollte von einer Kraft beseelt sein, daß eben diese Stäubchen unter ihrem Einfluß erschauern. Sie sollten sich in einer Weise führen, daß die Erde, über die sie schreiten, niemals Worte wie diese an sie richten dürfte: „Ich muß euch vorgezogen werden, denn siehe, wie geduldig ich bin im Tragen der Last, die mir der Landmann auferlegt. Ich bin das Mittel, das unausgesetzt an alle Wesen die Segnungen weitergibt, mit denen Er, der Quell aller Gnade, mich ausgestattet hat. Betrachte, ungeachtet der Ehre, die mir zuteil wurde und der unzähligen Beweise meines Reichtums - eines Reichtums, der den Bedürfnissen der ganzen Schöpfung Erfüllung verleiht - das Maß meiner Demut. Siehe, wie völlig ergeben ich mich unter den Füßen der Menschen treten lasse...“
Erzeiget einander Langmut und Wohlwollen und Liebe. Sollte einer unter euch nicht imstande sein, eine bestimmte Wahrheit zu erfassen, oder sich um ihr Begreifen mühen, so zeigt in eurer Unterhaltung mit ihm einen Geist äußerster Freundlichkeit und guten Willens. Helft ihm, die Wahrheit zu sehen und zu erkennen, ohne euch im geringsten über ihn zu erheben oder euch für befähigter und begabter zu halten als ihn.
Die ganze Verpflichtung des Menschen besteht an diesem Tage darin, jenen Teil der Gnadenflut zu erlangen, den Gott für ihn ausströmen läßt. Lasset daher niemanden auf die Weite oder Enge des Behälters schauen. Der Anteil einiger mag in eines Menschen Handfläche gehen, der anderer mag einen Becher füllen und der wieder anderer sogar das Maß einer Gallone.
Jedes Auge sollte an diesem Tage ausschauen nach dem, was die Sache Gottes
am besten fördert. Er, die ewige Wahrheit, zeugt Mir dafür! Nichts, was
immer es sei, kann an diesem Tage dieser Sache größeren Harm bereiten, als
Uneinigkeit und Streit, Hader, Entfremdung und Gleichgültigkeit unter den
Geliebten Gottes. Fliehet sie durch die Macht Gottes und Seinen höchsten
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Beistand und bemüht euch in Seinem Namen, dem Namen des Vereinigers,
des Allwissenden, des Allweisen, die Herzen der Menschen miteinander zu
verbinden.
Bittet den einen wahren Gott, euch zu gewähren, daß ihr den Duft solcher Taten einatmen möget, wie sie auf Seinem Pfade vollbracht werden, und der Süße solcher Demut und Ergebenheit teilhaftig werdet, wie sie um Seinetwillen dargebracht werden. Vergeßt euer eigenes Selbst und richtet eure Augen auf euren Nächsten. Lenkt eure Kräfte auf alles, was der Erziehung der Menschen dient. Nichts ist vor Gott verborgen oder kann jemals vor Ihm verborgen werden. Wenn ihr Seinem Wege folgt, werden Seine unerrechenbaren und unvergänglichen Segnungen über euch herabströmen. Dies ist das leuchtende Tablet, dessen Verse aus der beweglichen Feder Dessen flossen, der der Herr aller Welten ist. Überdenkt es in eurem Herzen und gehöret zu denen, die Seine Verordnungen befolgen!
VI. Siehe, wie die verschiedenen Völker und Geschlechter der Erde auf das Kommen des Verheißenen gewartet haben! Kaum war Er, die Sonne der Wahrheit, geoffenbart, als sich, ach, alle von Ihm wandten außer denen, die zu führen Gott geruhte. Wir wagen es nicht, an diesem Tage den Schleier zu lüften, der die erhabene Stufe, die jeder wahre Gläubige erreichen kann, verbirgt, denn die Freude, die eine solche Offenbarung auslösen müßte, möchte bei einigen bewirken, daß sie dahinsinken und sterben.
Er, das Herz und der Mittelpunkt des Bayán, hat geschrieben: „Der Keim, in dem die Möglichkeiten der kommenden Offenbarung ruhen, ist mit einer Macht ausgestattet, die stärker ist als die vereinten Kräfte aller derer, die Mir nachfolgen.“ Und weiter sagt Er: „Von allem Tribut, den Ich Ihm gezollt habe, der nach Mir kommen wird, ist der höchste dieses, Mein schriftliches Bekenntnis, daß keines Meiner Worte Ihn angemessen schildern, noch irgend ein Hinweis auf Ihn in Meinem Buche, dem Bayán, Seiner Sache gerecht werden kann.“
Wer die Tiefen der Meere, die in diesen erhabenen Worten verborgen liegen, erforscht und ihren Sinn ergründet hat, von dem kann gesagt werden, daß er einen Schimmer der unaussprechlichen Herrlichkeit erspäht hat, mit der diese mächtige, diese erhabene und heiligste Offenbarung ausgestattet ist. Aus der Vollkommenheit einer so großen Offenbarung kann man die Würde, mit der ihre getreuen Anhänger notwendigerweise ausgestattet sein müssen, wohl erahnen. Bei der Gerechtigkeit des einen wahren Gottes! Der bloße Atem dieser Seelen ist kostbarer als alle Schätze der Erde. Selig der Mensch, der dazu gelangt ist, und Weh treffe den Achtlosen!
VII. Wahrlich, Ich sage, dies ist der Tag, an dem das Menschengeschlecht das Antlitz des Verheißenen schauen und Seine Stimme hören kann. Der Ruf Gottes ist erklungen, und das Licht Seines Angesichts ist über der Menschheit aufgegangen. Es geziemt jedem Menschen, die Spur jeder eitlen Worte von der Tafel seines Herzens zu löschen und offenen und vorurteilsfreien Sinnes auf die Merkmale Seiner Offenbarung, die Beweise Seiner Sendung und die Zeichen Seiner Herrlichkeit zu blicken.
Groß in der Tat ist dieser Tag! Die Anspielungen, die in allen heiligen
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Schriften auf ihn als dem Tage Gottes gemacht wurden, bezeugen seine Größe.
Die Seele eines jeden Propheten Gottes, jedes göttlichen Boten, hat nach
diesem wunderbaren Tage gedürstet. Die verschiedenen Geschlechter der Erde
haben sich gleichfalls gesehnt, ihn zu erreichen. Kaum hatte sich jedoch die
Sonne Seiner Offenbarung am Himmel des Willens Gottes enthüllt, als alle
außer denen, die zu führen der Allmächtige geruhte, wie vom Donner gerührt
standen und achtlos erfunden wurden.
O du, der du Meiner gedacht hast! Der schmerzlichste Schleier hat die Völker der Erde von Seiner Herrlichkeit getrennt und sie gehindert, Seinem Rufe zu lauschen. Gott gebe, daß das Licht der Einheit die ganze Erde umhülle und daß das Siegel, „das Reich ist Gottes“, auf die Stirn ihrer Völker gedrückt werde.
VIII. Bei der Gerechtigkeit Gottes! Dies sind die Tage, an denen Gott die Herzen der gesamten Gemeinschaft Seiner Boten und Propheten geprüft hat und darüber hinaus jene, die an Seinem geweihten und unverletzlichen Heiligtum wachen, die Bewohner des himmlischen Gezelts und die im Hause der Herrlichkeit sind. Wie streng muß daher die Prüfung sein, der jene, die Gott Gefährten zugesellen, notwendigerweise unterzogen werden!
IX. O Husayn! Betrachte die tiefe Sehnsucht, mit der gewisse Völker und Nationen die Wiederkehr des Imám Husayn erwartet haben, dessen Kommen nach dem Erscheinen des Qá’im in vergangenen Tagen von dem Erwählten Gottes — gepriesen sei Seine Herrlichkeit — verheißen wurde. Diese Heiligen haben ferner verkündet, daß alle Propheten und Boten einschließlich des Qá’im sich unter dem Schatten des heiligen Banners, das der Verheißene hissen wird, versammeln werden, wenn Er, der Tagesanbruch der mannigfachen Gunstbeweise Gottes, Sich selber offenbart. Diese Stunde ist nun da. Die Welt ist durch die strahlende Herrlichkeit Seines Angesichts erleuchtet, und dennoch siehe, wie weit ihre Völker von Seinem Pfade abgeirrt sind! Niemand hat an Ihn geglaubt außer denen, die durch die Macht des Herrn der Namen die Götzenbilder ihrer eitlen Einbildungen und ihrer vergifteten Wünsche zerschlagen und die Stadt der Gewißheit betreten haben. Das Siegel des kostbaren Weines Seiner Offenbarung ist erbrochen worden an diesem Tage und in Seinem Namen, dem Selbstgenügenden. Seine Gnade wurde über die Menschen ausgegossen. Fülle deinen Becher und trinke ihn in Seinem Namen, dem Heiligsten, dem Allgepriesenen.
X. Die den Völkern und Geschlechtern der Erde vorbestimmte Zeit ist nun
gekommen. Die Verheißungen Gottes, wie sie in den heiligen Schriften
aufgezeichnet wurden, sind alle erfüllt. Aus Zion ist das Gesetz Gottes
hervorgegangen und Jerusalem und dessen Hügel und Land sind erfüllt von der
Herrlichkeit Seiner Offenbarung. Selig der Mensch, der in seinem Herzen das
bewegt, was in den Büchern Gottes, des Helfers in Gefahr, des Selbstbestehenden,
geoffenbart wurde! Denket darüber nach, o ihr Geliebten Gottes und heißet
euer Ohr aufmerksam auf Sein Wort achten, auf daß ihr durch Seine
Gunst und Gnade euch satt trinken mögt aus den kristallklaren Wassern der
Beständigkeit und so standhaft und unerschütterlich werdet wie ein Berg in
Seiner Sache.
[Seite 167]
Im Buche Jesaja steht geschrieben: „Gehe in den Felsen und verbirg dich im Staub aus Furcht vor dem Herrn und vor der Herrlichkeit Seiner Majestät.“ Niemand, der über diesen Vers nachdenkt, kann umhin, die Größe dieser Sache zu erkennen und kann den erhabenen Charakter dieses Tages, des Tages von Gott selbst, bezweifeln. Diesem Verse folgen jene Worte: „Und der Herr allein wird erhaben sein an jenem Tag.“ Dies ist der Tag, den die Feder des Höchsten in allen heiligen Schriften verherrlicht hat. Es ist kein Vers in ihnen, der nicht die Herrlichkeit Seines heiligen Namens kündete, und es ist kein Buch, das nicht Zeugnis ablegte für die Erhabenheit dieses höchsten Themas. Würden wir alles erwähnen, was in den himmlischen Büchern und heiligen Schriften über diese Offenbarung enthüllt wurde, so würde dieses Tablet ein unmögliches Ausmaß annehmen. An diesem Tag ist es die Pflicht eines jeden Menschen, sein ganzes Vertrauen in die mannigfachen Gaben Gottes zu setzen und sich zu erheben, um mit äußerster Weisheit die Wahrheit Seiner Sache zu verbreiten. Dann und nur dann wird die ganze Erde von dem Morgenlichte Seiner Offenbarung umhüllt werden.
XI. Alle Herrlichkeit sei auf diesem Tag, dem Tag, an dem die Düfte der Gnade über alles Erschaffene strömten, einem Tage, so gesegnet, daß vergangene Zeitalter und Jahrhunderte niemals mit ihm in Wettstreit treten können, einem Tag, an dem das Antlitz des Urewigen Tages sich Seinem heiligen Throne zugewandt hat. Hier wurden die Stimmen alles Erschaffenen und darüber hinaus diejenigen der Scharen der Höhe mit lautem Rufen also laut: „Beeile dich, o Karmel, denn siehe, das Licht des Angesichtes Gottes, des Herrschers des Reiches der Namen und Gestalter der Himmel, hat sich über dir erhoben.“
Von Ausbrüchen der Freude ergriffen und hoch seine Stimme erhebend rief er aus: „Möge mein Leben ein Opfer für Dich sein, da Du Deinen Blick auf mich gerichtet, mich mit Deiner Güte überschüttet und Deine Schritte zu mir gelenkt hast. Die Trennung von Dir, o Du Quell des ewigen Lebens, hat mich nahezu verzehrt, und meine Entfernung aus Deiner Gegenwart hat meine Seele hinweggebrannt. Aller Lobpreis sei Dir, da Du mich befähigtest, Deinem Rufe zu lauschen, da Du mich beehrtest mit dem Tritte Deiner Füße und meine Seele wiedererwecktest durch den belebenden Duft Deines Tages und die ergreifende Stimme Deiner Feder, einer Stimme, die Du zum Posaunenruf inmitten Deines Volkes bestimmt hast. Und als die Stunde schlug, in der Dein unwiderstehlicher Glaube geoffenbart werden sollte, bliesest Du einen Hauch Deines Geistes in Deine Feder, und siehe, die ganze Schöpfung erbebte in ihren Grundfesten und enthüllte der Menschheit solche Geheimnisse, wie sie verborgen in den Schatzkammern Dessen liegen, der der Besitzer alles Erschaffenen ist.“
Kaum hatte seine Stimme jenen erhabensten Punkt erreicht, als Wir
erwiderten: „Danke Deinem Herrn, o Karmel! Das Feuer deiner Trennung von
Mir hatte stark an dir gezehrt, als das Meer Meiner Gegenwart vor deinem
Antlitz wogte und deine Augen und die aller Schöpfung tröstete und alle
sichtbaren und unsichtbaren Dinge mit Entzücken erfüllte. Frohlocke, denn Gott
hat an diesem Tag Seinen Thron auf dir errichtet, hat dich zum Dämmerungsort
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Seiner Zeichen und zum Tagesanbruch der Beweise Seiner Offenbarung
gemacht. Wohl dem, der dich umkreist, der die Offenbarung deiner Herrlichkeit
verkündet und berichtet von dem, was die Freigebigkeit des Herrn, deines
Gottes, über dir ausgegossen hat. Ergreife den Kelch der Unsterblichkeit im
Namen deines Herrn, des Allherrlichen, und zolle Ihm Dank, da Er als Zeichen
Seines Erbarmens mit dir deine Sorge in Freude gewandelt und deinen
Kummer umgestaltet hat in seliges Entzücken. Er, wahrlich, liebt den Ort, der
zum Sessel seines Thrones gemacht wurde, den die Tritte Seiner Füße berührt
haben, den Seine Gegenwart beehrte, von dem aus Er Seinen Ruf erhob und
über den Er Seine Tränen goß.
„Rufe aus gen Zion, o Karmel, und verkündige die frohen Botschaften: Er, der sterblichen Augen verborgen war, ist gekommen! Seine allbesiegende Herrschaft ist offenbar. Sein alles umstrahlender Glanz ist enthüllt. Hüte dich, daß du nicht zögerst oder schwankest. Eile hin und umschreite die Stadt Gottes, die vom Himmel herabgekommen ist, die himmlische Kaaba, welche die Lieblinge Gottes in Anbetung umkreist haben, die Reinen im Herzen und die Gesellschaft der erhabensten Engel. Oh, wie sehne Ich Mich darnach, jedem Ort an der Oberfläche der Erde sie zu künden und in jede ihrer Städte sie zu tragen — die frohe Botschaft dieser Offenbarung, einer Offenbarung, zu der das Herz des Sinai hingezogen wurde und in deren Namen der Brennende Busch ausruft: ‚Gott, dem Herrn der Herren, gehören die Reiche der Erde und des Himmels.‘ Wahrlich, das ist der Tag, an dem Land und Meer frohlocken bei dieser Verkündigung, der Tag, für den jene Dinge aufgespeichert wurden, die Gott aus einer Güte, die über die Fassungskraft des menschlichen Verstandes und Herzens hinausgeht, zur Offenbarung bestimmt hat. Binnen kurzem wird Gott Seine Arche auf dich zusteuern und das Volk Bahá’s offenbaren, das im Buche der Namen erwähnt ist.“
Geheiligt sei der Herr der ganzen Menschheit! Bei der Erwähnung Seines Namens wurden alle Atome der Erde in Schwingung versetzt und die Zunge der Erhabenheit ist bewegt worden das zu offenbaren, was in Seiner Erkenntnis verhüllt und in der Schatzkammer Seiner Macht verborgen lag. Er ist wahrlich durch die Kraft Seines Namens, des Machtvollen, des Allmächtigen, des Höchsten, der Herrscher alles dessen, was im Himmel und auf Erden ist.
XII. Rühre dich, o Volk, in Erwartung der Tage göttlicher Gerechtigkeit, denn die verheißene Stunde ist nun da. Hüte dich, daß du nicht verfehlest, ihre Bedeutung zu erkennen, und mehr zu den Irrenden zählest.
XIII. Betrachte die Vergangenheit! Wie viele, hoch und niedrig, haben zu
allen Zeiten sehnsüchtig das Erscheinen der Manifestationen Gottes in den
geheiligten Persönlichkeiten Seiner Erwählten erwartet. Wie oft haben sie
Sein Kommen erhofft, wie häufig haben sie gefleht, daß der Wind göttlicher
Gnade wehen und die verheißene Schönheit hinter dem Schleier der Verborgenheit
hervortreten und aller Welt offenbar werden möge. Und wann immer die Tore
der Gnade sich öffneten und die Wolken göttlicher Güte auf die Menschheit
herabregneten und das Licht des Nieerschauten über dem Horizont
himmlischer Macht leuchtete, haben sie Ihn alle verleugnet und
sich von Seinem Antlitz abgewandt, dem Antlitz von Gott selbst...
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Überlege: Was könnte der Grund für ein solches Handeln gewesen sein, was könnte ein solches Verhalten gegen die Offenbarer der Schönheit des Allherrlichen hervorgerufen haben? Was auch immer in vergangenen Tagen die Ursache zu Verleugnung und Widerstand bei den Menschen gewesen sein mag, es hat nun zu der Verworfenheit der Menschen dieses Zeitalters geführt. Zu behaupten, daß das Zeugnis der Vorsehung unvollständig war, daß das die Ursache der Verleugnung von seiten der Menschen gewesen ist, ist offene Gotteslästerung. Wie fern liegt es der Gnade des Allgütigen und Seiner liebevollen Vorsehung und milden Barmherzigkeit, eine Seele unter allen Menschen zur Führung Seiner Geschöpfe herauszugreifen und ihr einerseits das volle Maß Seines göttlichen Zeugnisses vorzuenthalten und andererseits schreckliche Vergeltung über Sein Volk zu verhängen, weil es sich von Seinem Erwählten abgewandt hat! Nein, die mannigfachen Gaben des Herrn aller Dinge haben zu allen Zeiten durch die Offenbarungen Seines göttlichen Wesens die Erde und alle, die auf ihr leben, umfaßt. Nicht einen Augenblick lang ist Seine Gnade zurückgehalten worden oder haben die Schauer Seiner liebenden Güte aufgehört, auf die Menschheit zu regnen. Ein derartiges Verhalten kann daher nur der Kleinheit solcher Seelen zugeschrieben werden, die im Tale der Anmaßung und des Stolzes wandern, die sich in den Wüsten der Entfernung verlieren, die auf dem Wege ihrer eitlen Einbildungen wandeln und dem Befehle ihrer Glaubensführer folgen. Ihr Hauptansinnen ist reiner Widerstand, ihr einziger Wunsch, die Wahrheit zu verleugnen. Es ist für jeden scharfen Beobachter einleuchtend und offenbar, daß jene Menschen, hätten sie in den Tagen einer jeden Offenbarung der Sonne der Wahrheit ihre Augen, ihre Ohren und Herzen von allem, was sie sahen, hörten und fühlten, geheiligt, nicht des Schauens der Schönheit Gottes beraubt worden und weit von den Wohnstätten der Herrlichkeit abgeirrt wären. Da sie aber das Zeugnis Gottes mit dem Maße ihres eigenen Wissens wogen, das zusammengetragen war aus den Lehren ihrer Glaubensführer, und es im Widerspruch mit ihrem begrenzten Verständnis fanden, erhoben sie sich, um solch ungeziemende Taten zu begehen ...
Betrachte Moses! Versehen mit dem Stab himmlischer Herrschaft, geschmückt
mit der weißen Hand göttlichen Wissens, vom Párán der Liebe Gottes kommend
und die Schlange der Macht und ewiger Hoheit tragend, erstrahlte Er vom
Sinai des Lichtes über die Welt. Er rief alle Völker und Geschlechter der
Erde zum Reiche der Ewigkeit und lud sie ein, mitzuessen von der Frucht
des Baumes der Treue. Sicher habt ihr von dem grimmigen Widerstand
Pharaos und der Seinen vernommen und von den Steinen eitler Einbildung,
welche die Hände der Ungläubigen nach jenem gesegneten Baume
warfen. Das geschah in solchem Maß, daß der Pharao und seine Leute sich
schließlich erhoben und äußerste Anstrengungen machten, um mit den
Wassern der Falschheit und der Verleugnung das Feuer jenes geheiligten Baumes
zu löschen, uneingedenk der Wahrheit, daß kein irdisches Wasser die Flammen
göttlicher Weisheit ersticken kann und keine vergänglichen Windstöße
die Lampe ewiger Herrschaft zum Löschen bringen. Nein, ein solches Wasser
kann das Brennen der Flamme nur vertiefen und solche Windstöße können
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die Erhaltung der Lampe nur stärken — wenn ihr mit dem Auge der Einsicht
beobachtet und auf dem Wege von Gottes heiligem Willen und Gefallen
wandelt...
Und als die Tage von Moses beendet waren und das Licht Jesu, das aus dem Morgen des Geistes hervorbrach, die Welt umfaßte, erhob sich das ganze Volk Israel im Widerstand gegen Ihn. Sie schrien laut, daß Er, dessen Kommen die Bibel vorausgesagt, durchaus die Gesetze Mose verkünden und erfüllen müsse, während dieser junge Nazarener, der Anspruch auf die Stufe des göttlichen Messias erhob, das Gesetz der Ehescheidung und des Sabbats, die wichtigsten aller Gesetze Mose, aufgehoben habe. Wie war es überdies mit den Zeichen der Manifestation bestellt, die nunmehr erscheinen sollte? Dieses Volk Israel erwartet noch bis auf den heutigen Tag die Offenbarung, welche die Bibel vorausgesagt hat. Wie viele Manifestationen der Heiligkeit, wie viele Offenbarer des ewigen Lichtes sind seit der Zeit Mose erschienen und dennoch lebt Israel, eingehüllt in die dichtesten Schleier satanischer Einbildungen und falscher Vorstellungen, weiter der Erwartung, daß sein selbstgeschaffenes Götzenbild mit solchen Zeichen erscheinen werde, wie es selber sie erdacht hat! Daher hat Gott es geschlagen für seine Sünden, hat den Geist des Glaubens in ihm vernichtet und es gepeinigt mit den Flammen niedersten Feuers. Und dies aus keinem anderen Grund, als daß Israel sich weigerte, den Sinn solcher Worte, die in der Bibel über die Zeichen der kommenden Offenbarung enthüllt wurden, zu erfassen. Da es deren wahre Bedeutung nie begriff und dem äußeren Anschein nach solche Ereignisse sich auch niemals zutrugen, blieb es ihm versagt, die Schönheit Jesu zu erkennen und das Angesicht Gottes zu schauen. Und noch immer erwarten sie Sein Erscheinen. Seit undenklicher Zeit bis auf den heutigen Tag haben alle Geschlechter und Völker der Erde solche wunderlichen und unziemlichen Gedanken verfolgt und beraubten sich so der klaren Wasser, die aus den Quellen der Reinheit und Heiligkeit strömen...
Für die Verstehenden ist das Folgende klar und offenbar: Als das Feuer der Liebe Jesu die Schleier jüdischer Begrenzung verbrannte, und Sein Einfluß in Erscheinung trat und sich auch zum Teil durchsetzte, hat Er, der Offenbarer der unsichtbaren Schönheit, auf Sein Hinscheiden hingewiesen, während Er sich eines Tages an seine Jünger wandte und, das Feuer der Verlassenheit in ihren Herzen entzündend, zu ihnen sprach: „Ich gehe hin und werde wieder zu euch kommen.“ Und an anderer Stelle sagte Er: „Ich gehe und ein anderer wird kommen, der euch all das sagen wird, was Ich euch nicht gesagt habe und all das erfüllen wird, was Ich gesagt.“ Diese beiden Aussprüche haben nur eine Bedeutung, wenn ihr über die Offenbarungen der Einheit Gottes mit göttlicher Einsicht nachdenkt.
- (Forts. folgt)
GÖTTLICHE LEBENSKUNST[Bearbeiten]
Eine Zusammenfassung, übersetzt aus dem Englischen: „The Divine Art of Living“ compiled by Mabel Hyde Paine, Bahá’i Publishing Committee, Wilmette, Ill., USA. 1944
(Fortsetzung)
2. KAPITEL: DIE PFORTE ZUM REICHE GOTTES
Wiedergeburt
Es sei denn, daß der Mensch wiedergeboren werde, kann er das Reich Gottes nicht schauen. .
Es sei denn, daß der Mensch wiedergeboren werde aus Wasser und aus dem Geiste, kann er nicht in das Reich Gottes kommen.
Was aus dem Fleisch geboren ist, ist Fleisch, und was aus dem Geist geboren wird, ist Geist (1)
Obwohl das Dasein der Geschöpfe „Leben“ genannt wird, ist es in
Wirklichkeit, im Vergleich zum Dasein der Gotteskinder, kein Leben,
sondern Tod.
Eine mineralische Substanz zum Beispiel enthält auch Leben, aber es ist Tod im Vergleich zu dem der Pflanze. So ist auch das Leben der Pflanze Tod im Vergleich zum Leben des Tieres. Ebenso ist das Leben der Menschen Tod im Vergleich zu dem der Gotteskinder. Der heilige Mund Christi sprach: „Lasset die Toten ihre Toten begraben, denn wer aus dem Fleische geboren ward, der ist Fleisch, und wer aus dem Geiste geboren ward, der ist Geist.“
Es ist demnach klar, daß Leben (in seinem wahrsten Sinne) geistiges Leben ist. Und dieses Leben ist: Liebe zu Gott, göttliche Erleuchtung, geistige Freuden und frohe Botschaft von Gott. Suche dieses Leben, o Diener Gottes, bis du Tag und Nacht in grenzenloser Freude strahlst! (2)
Wahrlich, wisse, daß Gott die innere Schau dem Augenschein vorzieht, denn das Auge sieht die materiellen Dinge, während die Einsicht die geistigen Dinge erahnt. Das erstere nimmt die irdische Welt wahr, die zweite dagegen schaut die Welt des Gottesreiches. Dieses urteilt zeitlich, während jene ewige Sehkraft besitzt. (3)
Geistiges Schaffen ist Wiedergeburt, es ist höchste Führung, ewiges Leben,
universaler Wert, Aneignung allumfassender göttlicher Vollkommenheit
auf allen Stufen menschlicher Begabung. — Neues Werden und Wiedergeburt
bedeuten Fortschritte auf den Stufen zu göttlicher Vollkommenheit,
die Entwicklung menschlicher Fähigkeiten und der Aufgang göttlichen
Lichtes. (4)
Möge euch Leben zuteil werden!
Wendet euer Antlitz ab von der Betrachtung eures eigenen sterblichen Selbstes und richtet eure Blicke auf den ewigen Glanz, dann werden eure Seelen in vollem Maße die göttlichen Geisteskräfte und die Segnungen unendlicher Gnade genießen. (5)
Glück und Macht
Ich war glücklich in der Gefangenschaft. Meine Seele befand sich in
höchster Verzückung, denn ich war kein Verbrecher, man hatte mich auf
Gottes Pfad gefangen gesetzt... Ich war glücklich, daß ich — gepriesen sei
Gott! — ein Gefangener für die Sache Gottes war, daß mein Leben nicht
vergeblich war, sondern im Dienste Gottes verlief. Niemand, der mich
[Seite 172]
sah, konnte sich vorstellen, daß ich ein Häftling war. Man sah mich nur
in größter Freudigkeit, vollkommener Dankbarkeit und bei bester Gesundheit,
ohne daß ich der Gefängnismauern geachtet hätte. (6)
Bei anderer Gelegenheit schildert ‘Abdu’l-Bahá folgendermaßen die
Zeit Seiner Gefangenschaft:
„Des Menschen Seele muß glücklich sein, wo immer er sich auch befinde. Man muß den Zustand innerer Seligkeit und Harmonie erreichen, dann können äußere Umstände der inneren Seelenruhe und Freudigkeit nichts anhaben. Es kann sich niemand einen übleren Ort vorstellen, als die Kasernen von Akka*). Das Klima war schlecht, das Wasser nicht minder. Die Umgebung war dreckig, die Behandlung durch die Beamten unerträglich. Man betrachtete uns als Religionsfeinde und Sittenverderber. Die Regierung hatte befohlen, daß während unseres Aufenthaltes in Akka niemand mit uns sprechen dürfe. Wir durften uns auch nicht miteinander unterhalten.
Als wir nach Akka kamen, stellte es sich heraus, daß die Kaserne gar nicht genug Räume hatte, um jeden von uns in Einzelhaft zu schließen, und so wurden wir alle zusammen in zwei ganz unmöblierte Räume gesperrt. Der Kasernenhof bot einen überaus trüben Anblick. Er war mit drei oder vier Feigenbäumen bepflanzt, aus deren Gezweig einige Eulen allnächtlich ihre schauerlichen Rufe ertönen ließen. Alle wurden krank und es gab weder Lebensmittelvorräte noch Medikamente. Am Eingang der Kaserne befand sich die Stube des Leichenbestatters. Es war ein gräßliches Gemach, und doch lebte ich darin zwei Jahre lang in höchster Glückseligkeit. Ich hatte bis dahin nie die Muße gefunden, den Koran von Anfang bis zum Ende durchzulesen, nun hatte ich reichlich Zeit dazu und las voll Eifer und Begeisterung dieses heilige Buch. Wenn ich über die verschiedenen Vorfälle und Ereignisse im Leben früherer Propheten las und mir vergegenwärtigte, wie sehr sie mit den Erlebnissen Bahá’u’lláh’s parallel liefen, fühlte ich mich getröstet und ermutigt. So las ich z. B. die nachstehenden Verse: ‚Wie gedankenlos sind doch die Menschen! Wenn ihnen ein Prophet gesandt wird, dann verspotten oder verfolgen sie ihn.‘ Oder aber ich las: ‚Wahrlich, unsere Schar ist siegreich über ihnen!‘ Diese ganze Zeit über war ich sehr glücklich, denn ich war frei. Wenn ich auch eingesperrt war in jener Kammer, so wanderte doch mein Geist durch die Unendlichkeit des Raumes.“ (7)
Wisse denn, o du tugendhafte Seele, sobald du dich von allem gelöst hast,
außer Gott, und dich getrennt hast von den Dingen dieser Welt, wird
dein Herz erstrahlen von göttlichem Lichte und vom Glanze der Sonne
der Wahrheit am Horizonte des Reiches der Macht, und du wirst erfüllt
sein mit dem Geiste göttlicher Kraft und befähigt, das zu tun, was du
wünschest. Dies ist wahrhaftig wahr. (8)
Wenn der Mensch dürstet, trinkt er Wasser; wenn ihn hungert, nimmt
er Nahrung zu sich. Wenn der Mensch aber nicht durstig ist, dann schmeckt
ihm das Wasser nicht, und wenn sein
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Hunger gestillt ist, widert das Essen ihn an. Anders ist es um die geistigen
Genüsse bestellt. Geistige Genüsse bringen stets Freude. Liebe zu Gott
bedeutet unendliches Glück. Hieraus erwachsen uns wahre Freuden, nicht
bloß Linderung. Das Leben der Tiere ist einfacher, als das des Menschen.
Die Bedürfnisse des Tieres werden alle befriedigt. Alles Gras der Wiesen
steht ihnen zur Verfügung. Die Vögel bauen ihre Nester in den astreichen
Baumkronen und kein Königspalast kann schöner sein. Wenn die irdischen
Bedürfnisse alles sind, dann sind die Tiere besser versorgt, als die
Menschen. Aber der Mensch hat noch andere Speise, das himmlische Manna
des Wissens um Gott. Alle göttlichen Propheten und Offenbarer erstanden
der Welt, damit dieses himmlische Manna dem Menschen zuteil würde.
Dies ist die Speise, welche geistiges Wachstum und geistige Kraft fördert
und der Menschenseele wahre Erleuchtung bringt, daß sie mit dem
Atem des Heiligen Geistes erfüllt werde und wachse in der Weisheit
Gottes und in jenen Tugenden, die der Menschenwelt eigen sind, und daß
sie zum Gleichnis und Bilde Gottes werde.
Gott erschuf in uns einen göttlichen heiligen Geist, den Menschengeist mit seinen verstandesmäßigen Kräften, die sich über die Naturgewalten erheben. Durch ihn können wir die Entzückungen des Geistes genießen und die Welt erleuchtet sehen. Den Bäumen und Steinen ist diese Kraft nicht verliehen, sie haben weder Gemüt noch Geist. Daher wird ihnen auch vergeben. Uns aber wird nichts vergeben. Diese Kräfte geben dem Menschen tatsächlich die Herrschaft über die Natur. Er besitzt die Fähigkeit, das Wesen der Dinge zu erforschen und Unsichtbares in den Bereich des Sichtbaren zu bringen. So hat er auch die Befähigung, den Willen Gottes zur Ausführung zu bringen und ihm auf Erden äußere Gestalt zu verleihen. Dies ist es, was Bahá’u’lláh meinte, als Er sprach: „Wahrlich, Wir haben euch reich erschaffen, warum habt ihr selbst euch arm gemacht?“ — und Jesus Christus, da Er sagte: „Der Vater ist in Mir und Ich bin in euch!“ Es war diese Kraft, die durch Bahá’u’lláh sprach: „Edel habe Ich dich erschaffen, warum erniedrigst du dich selbst?“ Diese Kraft erhebt euch über alle anderen Geschöpfe, warum nützt ihr sie nur für euer materielles Dasein aus? Es ist die Kraft, die ihr gebrauchen solltet, um göttliche Gnaden zu erwerben und zur Geltung zu bringen, auf daß das Reich Gottes unter den Menschen errichtet werde und ihr der Seligkeit in beiden Welten, der sichtbaren, wie der unsichtbaren, teilhaftig werdet. (9)
Wisse, daß es zweierlei Arten von Glück gibt, geistiges und materielles.
Was nun das materielle Glück anbelangt, so ist es nicht vorhanden. Es
ist eine Einbildung, ein Spiegelbild, ein Hirngespinst und ein Schatten.
Denke über das Wesen des materiellen Glückes nach. Es ist etwas, das
unsere Last nur ein wenig erleichtert, und doch bilden die Menschen sich
ein, es sei Freude, Wonne, Jubel und Segen. Alle materiellen Segnungen,
einschließlich Essen, Trinken und so weiter, dienen nur dazu, Durst,
Hunger, Müdigkeit zu beheben. Sie beseligen nicht das Gemüt, erfreuen
nicht die Seele, sondern befriedigen nur die leiblichen Bedürfnisse. Diese
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Art des Glückes hat daher kein wirkliches Bestehen.
Geistiges Glück dagegen ist der wahre Grundstein des Menschenlebens, denn das Leben ist zum Glücklichsein geschaffen, nicht zum Trauern. Freudigkeit ist Leben, Gram ist Tod. Geistige Glückseligkeit ist ewiges Leben. Auf dieses Licht folgt keine Finsternis und auf diese Ehrung keine Schande. Es ist ein Leben, darauf kein Tod, ein Dasein, darauf keine Vernichtung folgt. Diese große Segnung und köstliche Gabe werden dem Menschen nur durch göttliche Führung zuteil...
Diese Glückseligkeit ist der Urgrund, aus dem der Mensch erschaffen wurde und Welten entstanden, dem alle Wesen ihr Dasein verdanken und der die Gotteswelt erstrahlen läßt, wie die Sonne zur Mittagszeit.
Diese Glückseligkeit liegt nur in der Liebe zu Gott...
Nur um dieser Glückseligkeit willen ist die Welt des Daseins erschaffen worden. (10)
O Sohn des Menschen! Jauchze in deiner Herzensfreude, auf daß du
würdig befunden werdest, Mich zu erblicken und Meine Schönheit
widerzuspiegeln! (11)
Dies ist der Tag des Jubels und die Stunde der Verzückung. Dies ist die
Zeit, da die Toten aus ihren Gräbern auferstehen und sich sammeln. Und
dies ist die verheißene Zeit, um überreichen Segen zu empfangen.
Sei ruhig, stark, dankbar! Sei wie eine leuchtende Lampe, auf daß die Finsternis der Trübsal zunichte werde, die Sonne ewiger Freude aus Herz und Seele der Dämmerung entsteige und in hellem Glanze erstrahle. (12)
Eins aber ist not
Zu Beginn seines Erdenlebens war der Mensch ein Keimling in seiner Mutter Schoß. Dort erhielt er die Fähigkeiten und Gaben, die er für sein irdisches Leben brauchen würde. Die auf dieser Welt erforderlichen Triebe und Kräfte wurden ihm in diesem seinem winzigen Zustand gegeben. Auf dieser Welt braucht er Augen; die Anlagen hierzu erhielt er in der anderen. Er braucht hier Ohren, dort erhielt er sie fertig und bereit für sein neues Dasein. Alle Kräfte, die er in diesem Dasein braucht, wurden ihm im Mutterschoße zuteil.
Auf dieser Welt muß er sich daher für das jenseitige Leben vorbereiten. Hier muß er erwerben, was er in der Welt des göttlichen Königreiches brauchen wird. So, wie er sich im Mutterschoße auf das Leben in dieser Daseinssphäre vorbereitete, indem er die hierfür erforderlichen Kräfte erwarb, so müssen auch die zum göttlichen Dasein unerläßlichen Kräfte ihrer Anlage nach in diesem Leben erworben werden. Was braucht er in dem Reich, das jenseits des Lebens und der Beschränkungen dieser sterblichen Welt liegt? Die Welt des Jenseits ist eine Welt der Heiligkeit und des Strahlens, er muß sich daher diese göttlichen Eigenschaften in dieser Welt erwerben. In jener Welt werden Durchgeistigung, Glauben, Zuversicht, das Wissen um Gott und die Liebe zu Ihm verlangt, und diese muß er hier erwerben, damit er bei seinem Aufstieg aus der irdischen in die himmlische Welt alles bereit finde, was er im ewigen Leben brauchen wird.
Die göttliche Welt ist offensichtlich eine Welt des Lichtes, also muß der
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Mensch schon hier erleuchtet werden. Es ist eine Welt der Liebe — also ist
Liebe zu Gott wesentlich. Es ist eine Welt der Vollkommenheit — also müssen
Tugend und Vollkommenheit erworben werden. Jene Welt wird vom
Odem des Heiligen Geistes belebt also müssen wir ihn schon in dieser
Welt suchen. Solches ist das Reich des ewigen Lebens; es muß im Laufe
dieses vergänglichen Daseins erworben werden.
Mit welchen Mitteln kann nun der Mensch alles dieses erreichen? Wie kann er zu solchen Gaben und Kräften gelangen?
Erstens: durch die Erkenntnis Gottes; zweitens: durch die Liebe zu Gott; drittens: durch Glauben; viertens: durch Werke der Nächstenliebe; fünftens: durch Selbsthingabe; sechstens: durch Loslösung von den Dingen dieser Welt; siebentens: durch Reinheit und Heiligkeit. Solange der Mensch diese Kräfte nicht erworben hat und diesen Anforderungen nicht genügt, wird er wahrlich nicht des Lebens teilhaftig werden, welches ewig ist.
Wenn er aber die Erkenntnis Gottes hat, vom Feuer der Liebe zu Gott durchglüht ist, zu einem Brunnquell der Liebe unter den Menschen wird und in größter Reinheit und Heiligkeit wandelt, wird er wahrlich eine Wiedergeburt erleben, vom Heiligen Geist getauft werden und das ewige Dasein genießen. (13)
Ein Gebet ‘Abdu’l-Bahá’s
O Du barmherziger Gott, schenke mir ein Herz, das dem Kristalle gleich vom Lichte Deiner Liebe durchstrahlt wird, und verleihe mir die Erleuchtung, welche diese Welt durch geistige Gnade in einen Rosengarten verwandeln kann. Du bist der Erbarmer, der Gnadenvolle! Du bist der große, wohltätige Gott! (14)
3. KAPITEL: AUF DEM PFADE ZUR UNSTERBLICHKEIT
O Sohn der Liebe! Nur eines Schrittes Weite trennt dich vom Dome der Unnahbarkeit und vom erhabenen Baume der Liebe. Tue den ersten Schritt und mit dem nächsten schreite hin zu der urewigen Welt und gehe ein in das Zelt der Ewigkeit. So höre denn, was durch die Feder der Herrlichkeit geoffenbart wurde. (1)
O Sohn des Geistes! Das Liebste von allem ist mir die Gerechtigkeit. Sehne dich nicht weg von ihr, wenn du Mich ersehnst, und vernachlässige sie nicht, damit du Mir treu werdest! Handle darnach, damit du die Dinge mit deinen eigenen Augen siehst und nicht mit den Augen anderer Menschen und damit du sie mit deinem eigenen Verständnis erkennst und nicht mit dem irgendeines Nebenmenschen! Denke darüber nach, wie es not tut, damit solches durch Meine Gaben und Meine Gnade für dich geschieht! Und halte dir dies immer vor Augen! (2)
Unsere Pflicht in diesem strahlenden Jahrhundert ist es daher, die
Wesenszüge göttlicher Religion zu prüfen, den Wahrheiten nachzuforschen,
welche die Einheit des Menschengeschlechtes begründen, und die Quelle
der gemeinsamen Gottesverehrung und des Einverständnisses zu finden,
welche die Menschheit mit den
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himmlischen Banden der Liebe vereinigen wird. (3)
Ich flehe zu Gott, daß das göttliche Licht, von dem im zwölften Kapitel
des Johannesevangeliums die Rede ist, dir immerdar leuchten möge, damit
du stets im Lichte wandelst. Kurz ist dieses Menschenleben und neigt
sich bald schon seinem Ende zu. Daher muß man jeden Atemzug dieses Lebens
schätzen und darnach streben, was zu ewiger Seligkeit führt. (4)
O Sohn des Seins! Ziehe dich jeden Tag selbst zur Rechenschaft, ehe denn
du zur Rechenschaft gezogen wirst. Denn der Tod wird plötzlich über dich
kommen und du wirst über dich selber vor Gericht gerufen werden. (5)
Ein neues Leben regt sich heute in allen Völkern der Welt, doch hat
noch niemand seine Ursache entdeckt oder seine treibenden Kräfte erkannt.
Schau auf die Völker des Westens und sieh, wie sie in ihrem Streben
nach dem, was eitel und unwichtig ist, zahllose Leben opferten und noch
immer opfern...
O Freunde, vernachlässigt nicht die Tugenden, die euch beschert wurden, und seid nicht gleichgültig gegen eure erhabene Bestimmung. Duldet es nicht, daß eure Bemühungen zunichte werden durch eitle Hirngespinste, die von gewissen Herzen ersonnen wurden. (6)
Selig sind die Weisen, welche den geraden Gottespfad erkannt und sich
Seinem Reich zugewendet haben. Selig sind die Freudigen und Aufrechten,
deren Herzen durchglüht sind vom Wissen um den Allerbarmenden, deren
Selbstentäußerung sie schützt vor den rauhen Stürmen der Prüfungen
und Kümmernisse. Selig sind die Tapferen, deren Herzen der Macht
der Bedrücker standhalten. Selig sind die Klarblickenden, die gelernt
haben, das Zeitliche vom Ewigen zu unterscheiden, die ihr Antlitz dem
Unvergänglichen zuwenden und deren Namen im Reiche der Macht und
Herrlichkeit zu den Unsterblichen zählen. (7)
Wie edel und vortrefflich ist doch der Mensch, wenn er sich zu der Stufe
aufschwingt, zu der er erschaffen wurde - und wie gemein und wie
verächtlich, wenn er seine Augen vor dem Allgemeinwohl verschließt und
seine kostbaren Gaben für eigene und selbstsüchtige Zwecke vergeudet. Die
größte Seligkeit liegt doch darin, andere zu beglücken!...
Leider bilden die Menschen sich ein, daß Größe und Ruhm auf die Anhäufung weltlicher Reichtümer und ähnlicher Eitelkeiten folgen. Und nun überlege dir: Wenn der Mensch darüber nachdächte, dann würde er sehen, daß der allmächtige Gott ihn vor allen Seinen Geschöpfen durch das Gewand der Ehre, der Tugend und der Einsicht ausgezeichnet hat... Der Mensch ist zum Quell göttlicher Wunder und zum Mittelpunkt der Geheimnisse des Himmelreiches geworden. Warum sollte er dann diese reine Hülle mit den Flecken selbstsüchtiger Begierden verunreinigen und diese ewige Ehre gegen die tiefste Tiefe der Niedrigkeit eintauschen? ...
Durch die Einzelheiten, welche wir oben erläuterten, haben wir versucht
zu zeigen, daß Ruhm, Glück, Ehre und Friede des Menschen nicht auf
persönlichem Reichtum beruhen,
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sondern im Gegenteil, auf seelischer Erhabenheit, edler Gesinnung,
ausgedehnter Bildung und der Lösung des Lebensrätsels... „Wahrlich,
der einzige Ruhm der Menschen liegt in ihren eigenen Seelen!“ (8)
Du fragst, ob durch die Erscheinung des Reiches Gottes jede Seele
errettet worden sei. Die Sonne der
Wirklichkeit ist aller Welt erschienen. Diese leuchtende Erscheinung ist
Heil und Leben; doch nur der wird
gerettet werden, der sein Auge der
Wirklichkeit geöffnet und diese Lichtzeichen gesehen hat. (9)
Vom Sinn und Zweck unseres Lebens
O mein Gott! Ich bezeuge, daß Du mich erschaffen hast, Dich zu erkennen und Dich anzubeten. Ich bezeuge, hier, diesen Augenblick, daß ich kraftlos bin und Du mächtig, daß ich arm bin und Du reich.
Es gibt keinen anderen Gott außer Dir, dem Helfer in Gefahr, dem Selbstbestehenden. (10)
Es war, als Gott den Menschen erschuf, Seine Absicht und wird es auch
ewig sein, diesem die Fähigkeit zu geben, seinen Schöpfer zu erkennen
und zu dessen Gegenwart zu gelangen. Alle himmlischen Bücher und alle
von Gott geoffenbarten und maßgeblichen Schriften bezeugen dieses
vortrefflichste Ziel, diesen höchsten Zweck in nicht
mißzuverstehender Weise. (11)
Im Alten Testament steht geschrieben: „Gott sprach: Lasset uns Menschen
machen zu unserem Bilde und Gleichnis.“ Dies zeigt, daß der Mensch
ein Bild und Gleichnis Gottes ist, das heißt, Gottes Vollkommenheit,
göttliche Tugenden sind im menschlichen Wesen widergespiegelt und
geoffenbart. So wie das Licht und die Glorie der Sonne von einem
blanken Spiegel voll und leuchtend zurückgestrahlt werden, so
strahlen auch die göttlichen Eigenschaften und Merkmale aus
den Tiefen eines reinen Menschenherzens. Dies beweist, daß
der Mensch das edelste Wesen ist, welches Gott erschuf....
Lasset uns nun näher forschen, inwieweit er ein Bild und Gleichnis Gottes ist, und mit welchem Maße er zu messen und zu werten ist. Es kann sich hierbei nur um den Maßstab der in ihm geoffenbarten göttlichen Tugenden handeln. Jeder Mensch, der mit göttlichen Eigenschaften begnadet, himmlische Reinheit und Vollkommenheit widerspiegelt und der ideale und lobenswerte Tugenden verkörpert, ist daher wahrlich ein Bild und Gleichnis Gottes. (12)
Es heißt, daß der Mensch Gottes vornehmster Vertreter sei, das Buch
der Schöpfung, weil alle Geheimnisse des Seins in ihm verborgen seien.
Wenn er in den Bannkreis des wahren Erziehers gelangt und erzogen
wird, dann wird er zum wesenhaftesten Wesen, zum leuchtendsten Licht,
zum geistigsten Geist; er wird zum Mittelpunkt göttlicher Erscheinungen,
zur Quelle geistiger Eigenschaften, zum Aufgangsort himmlischen Lichtes
und zum Gefäß göttlicher Eingebungen. Wird ihm jedoch diese Erziehung
nicht zuteil, dann wird er zu einer Verkörperung satanischer
Eigenschaften, zum Inbegriff tierischer Laster und zur Ursache
aller trüben Zustände. (13)
O Herrscher des Lebens! Ost und West haben sich in der Anbetung verblichener Sterne geeinigt und sich im Gebet verdunkelten Himmeln zugewendet. Beide haben die Grundlagen der heiligen Gesetze Gottes mißachtet und das Wesen Seiner Religion und die ihr innewohnenden Kräfte in Vergessenheit geraten lassen. Sie haben bestimmte Gebräuche und Vorschriften als die unverrückbare Basis göttlicher Religion betrachtet und sich fest darauf versteift. Sie haben sich eingebildet, daß sie den strahlenden Gipfel der Vollkommenheit und des Wohlstandes erreicht hätten, während sie in Wahrheit in den tiefsten Tiefen der Achtlosigkeit sich befinden und sich gänzlich der gesegneten Gottesgaben beraubt haben. Eckstein göttlicher Religion ist die Erlangung göttlicher Tugenden und die Teilnahme an Seinen mannigfaltigen Gaben.
Der wesentliche Zweck von Religion und Glauben ist es, das innerste Sein des Menschen durch die Ausgießungen höchster himmlischer Gnaden zu veredeln. Kann solches nicht erreicht werden, so ist dies wahrlich äußerste Entbehrung und Höllenpein.
Es obliegt daher allen Bahá’i, diese äußerst heikle und bedeutsame Sache im Herzen zu erwägen, auf daß sie sich nicht, wie die Angehörigen anderer Religionen an dem Getöne, dem Lärm, der Hohlheit religiöser Dogmen Genüge sein lassen. Sie sollen vielmehr in jeder Lebenslage ein Beispiel solcher Eigenschaften und Tugenden geben, die aus Gott geboren werden, und sollten bemüht sein, sich durch anmutiges Benehmen auszuzeichnen. Sie sollten ihren Anspruch, Bahá’i zu sein, durch Taten und nicht nur durch den Namen rechtfertigen. Ein wahrer Bahá’i strebt Tag und Nacht danach, auf dem Pfade menschlicher Vervollkommnung voranzuschreiten. Es ist sein sehnlichster Wunsch, so zu leben und so zu handeln, daß die Welt durch ihn bereichert und erleuchtet wird. Die göttlichen Tugenden sind der Quell seiner Eingebung. Sein Lebensziel ist es, sich so zu betragen, daß er zum Anstoß immerwährenden Fortschrittes wird. Erst wenn ein Mensch solche vollkommenen Gaben erworben hat, kann er als wahrer Bahá’i angesehen werden. Denn im Zeichen dieser heiligen Sendung, welche der leuchtende Schlußstein verflossener Jahrtausende und Religionszyklen ist, gilt die bloße Anerkennung der Einheit Gottes noch nicht als der wahre Glauben; dieser muß vielmehr durch ein Leben bewiesen werden, das alle diesem Glauben innewohnenden Vollkommenheiten und Tugenden offenbart... (14)
Ein Gebet ‘Abdu’l-Bahá’s
O Herr, ich habe mein Antlitz Deinem Reich der Einheit zugewandt und bin versunken im Meer Deiner Barmherzigkeit. O Herr, erleuchte mich durch den Anblick Deiner Sterne in dieser dunklen Nacht und beglücke mich mit dem Weine Deiner Liebe in dieser wunderbaren Zeit. O Herr, lasse meine Ohren Deinen Ruf vernehmen und öffne vor meinem Angesicht die Tore Deines Himmels, auf daß ich das Licht Deiner Herrlichkeit schaue und angezogen werde von Deiner Schönheit.
Wahrlich, Du bist der Spender, der Großmütige, der Barmherzige, der Vergebende! (15)
*) Das Gefängnis in Palästina, in das Bahá’u’lláh, Seine
Familie und einige Bahá’i im Jahr 1868 eingeliefert wurden.
‘ABDU’L-BAHA ÜBER DIE WELTSCHÖPFUNG[Bearbeiten]
(Nach Aufzeichnungen von Frau Dr. Fallscheer im Sommer 19101))
Miß St. sagt: Meister, du hast uns vorgestern gelehrt, daß die Altheidnische Lehre des Aristoteles also laute:
„Die wahrnehmbare Welt ist als Objekt des göttlichen Wissens und Erkennens von Ewigkeit her da; diese Welt ist notwendigerweise von jeher in Gott, also ewig wie Er selbst.“
Alle Religionsstifter von Zoroaster und Buddha bis zum Báb und Bahá’u’lláh lehren jedoch, daß Gott die Welt erschaffen habe oder daß Er sie emanieren, d. h. aus Sich fließen ließ, woraus sich ergibt, daß Gott ewig ist, die Welt aber zeitlich. Es gibt jedoch viele Bahá’i und Freunde der Bahá’i, besonders in Amerika und England, die sagen, daß die Bahá’i-Lehre über Schöpfer und Schöpfung der des Aristoteles ähnlich sei und daß die Bahá’i von dir, Abbas Effendi, gelehrt würden, daß Darwin recht habe, wenn er sage, die Welt sei so gut wie ewig und die Erde ein Planet, auf dem es seit Millionen von Jahren organisches Leben gebe. Nach der Bibel wäre aber die Schöpfung ein Akt von sechs Tagen und die ganze Schöpfung noch nicht zehntausend Jahre alt. Hochverehrter Meister, hast du heute Zeit, uns diese, wie wir annehmen wollen, nur scheinbaren Widersprüche aufzuklären?
Der Meister: Wir haben wohl alle heute etwas Zeit, über dieses ebenso schwierige wie wichtige Thema zu reden, und der Ort — im Angesicht des unermeßlichen Meeres — ist gut gewählt für unsere Unterhaltung. Bei der hohen Bedeutung der Schöpfungsgeschichte will ich jetzt ausdrücklich anordnen, daß meine Worte sofort niedergeschrieben werden, damit ich sie nachher überprüfen kann, bevor sie je irgendwo im Druck erscheinen. (Der arabische Vortrag wird Wort für Wort ins Englische übersetzt und von drei Personen, einem Perser, Miß St. und Frau Dr. F. nachgeschrieben.)
Der Meister fährt fort: Die Gesegnete Vollkommenheit, Bahá’u’lláh, hat im Jahre 1891 für seinen Jünger Muhammad Nabil in Baghdád die Schöpfungsgeschichte in der religiös-philosophischen Schrift „Lawh-i-Hikmat2)“ zusammengestellt. Bahá’u’lláh begann schon 1869, kurz nach dem Märtyrertod des Badi3), diese Schrift zu verfassen. Nabil erhielt sie jedoch erst 1891. Unser großer französischer Bahá’i, Mr. Dreyfus, hat sie ins Französische übersetzt und wird sie herausgeben unter dem Titel „Sur la Sagesse“4). Nabil ist ein sehr getreuer und verständnisvoller Anhänger und Jünger von Bahá’u’lláh gewesen. Schon in Baghdád (1852-1864) war er unter den Bevorzugten, welche von Bahá’u’lláh Unterricht in Theologie und Philosophie erhielten.
In dieser bedeutenden Schrift Lawh-i-Hikmat zeigt die Gesegnete
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Vollkommenheit, Bahá’u’lláh, wie die philosophische Lehre von der Ewigkeit
der Welt aufzufassen ist und wie sie sich verhält zu dem prophetischen
Schöpfungsbericht in den heiligen Schriften.
1. Die Propheten haben in ihren Darstellungen von der Schöpfung der Welt Rücksicht auf die Bildungsstufe der Völker genommen; ihre Berichte sind deshalb der jeweiligen Zeit und Kultur angepaßt und müssen symbolisch ausgelegt werden. Daher darf z. B. ein Schöpfungstag des mosaischen Schöpfungsberichts nicht als ein Tag von 24 Stunden aufgefaßt werden.
2. Die Weisen des Altertums, obgleich den Propheten zu vergleichen, sind keine Religionsstifter. Ihre philosophischen Systeme über den „Ursprung der Welt“ sind nicht etwa religiöse, zeitgemäße Gleichnisse; nein, es sind wissenschaftliche Lehren, welche alles Wissen und Erkennen ihrer Zeit in der Schöpfungsgeschichte niederlegen, woraus sich folgendes ergibt:
- a) Die Schöpfungsgeschichte der heiligen Schriften der prophetischen Religionsstifter aller Zeiten und Völker sind zeitgemäße, symbolische Darstellungen religiöser Wahrheiten.
- b)Die philosophischen Systeme über den Ursprung der Welt sind wissenschaftliche Fixierungen eines zeitlichen Erkennungsvermögens.
3. Der Prophet und der Philosoph haben beide recht, denn sie stellen eine und dieselbe Wahrheit, nur in anderer Beleuchtung, von einer anderen Seite und einem anderen Standpunkte aus dar.
Die Philosophen und Gelehrten sagen: die wahrnehmbare Welt ist von Ewigkeit her da, denn Gott ist das Subjekt, das ewig ist, und die Welt muß, als Objekt des göttlichen Wissens und Erkennens, logischerweise auch ewig sein. Die Propheten und Religionsstifter sagen: die wahrnehmbare Welt ist von Gott geschaffen worden, sie ist also zeitlich nach ihm da. Gott, der Schöpfer, ist die Ursache, das Primäre, das Ewige. Die Welt, die Schöpfung, ist die Wirkung, das Sekundäre, das Zeitliche.
Bahá’u’lláh, die Gesegnete Leuchte, lehrt nun:
I. Es gibt nur einen Gott und nichts außer Ihm.
II. Gott sprach: Ich war ein verborgener Schatz und begehrte erkannt zu werden. Deshalb erschuf Ich das Universum. Ich erschuf es nicht etwa aus dem Nichts, sondern durch Selbstentäußerung; Mein Hauch wurde zum schöpferischen Befehlswort, zum Logos, welcher Form und Gestalt gebend sich auswirkte.
III. Gott ist die reine, ursachlose Einheit.
IV. Gott ist die Ursache der Welt; die Folge (d. h. die Welt) ist mit und in der Ursache (d. h. in Gott) zugleich und notwendig gegeben. Warum dies? Weil Gott, die Ursache, vollkommen und unveränderlich ist; die Folge ist also in der vollkommenen und ewigen Ursache eingeschlossen.
V. Gottes Sein geht - dem Wesen nach - der Welt voraus. Gottes Sein geht zeitlich der Welt nicht voraus, denn die Welt war von jeher in Gott.
VI. Gott hat drei Eigenschaften der Welt gegenüber voraus:
[Seite 181]‘ABDU’L-BAHA ÜBER DIE WELTSCHÖPFUNG
- a) Gott ist wesentlich zuerst da, weil Er die Ursache ist; die Welt ist wesentlich nach Ihm da, weil Er - Gott — sie mit Seinem Hauch emaniert hat.
- b) Gott ist Sich selbst genügend. Gott vermag die Welt durch Selbstentäußerung hervorzubringen. Die Welt ist also nicht sich selbst genügend.
- c) Gott ist notwendig, denn Gottes Wesen ist Seinsnotwendigkeit. Gott braucht die Welt nicht, aber die Welt braucht Ihn; denn ohne Ihn, die Ursache, wäre sie, die Folge, nicht da.
Manche Philosophen (z. B. Aristoteles) sagen: die Welt als Objekt ist ewig, weil Gott als Subjekt ewig ist.
Bahá’u’lláh lehrt: die Welt ist nur insofern ewig, als sie, die Folge, in der Ursache alles Seins - in Gott noch unerschaffen ruhte, d. h. die Welt war, solange sie unerschaffen in Gott ruhte — als ein Teil Gottes ewig und trat zeitlich in die Erscheinung, als der ewige Gott sie emanierte.
Der Prophet und Religionsstifter, z. B. Moses, sagt: Gott der Schöpfer war von Ewigkeit, und Er erschuf die Welt, in sechs Tagen erschuf Er sie. Bahá’u’lláh lehrt: Gott der Schöpfer war von Ewigkeit her, und Er begehrte, durch Selbstentäußerung, die Welt zu erschaffen, damit Er vom Geschöpf erkannt würde. Aus Seinem Hauch (Logos) entfaltete Er die Welt.
O meine Töchter, wollt ihr es in philosophischer Weise erkennen, so läßt es sich in kurzem so ausdrücken: Der Philosoph und Weltweise betont die logische Präexistenz des Kausalverhältnisses von Gott dem Schöpfer zur Welt der Schöpfung. Der Prophet und Religionsstifter betont die zeitliche Präexistenz des Kausalverhältnisses von Gott dem Schöpfer zur Welt der Schöpfung.
Bahá’u’lláh, die Gesegnete Vollkommenheit, die größte Leuchte der Gegenwart, führt die zeitliche Präexistenz Gottes vor der Welt zurück auf die logische Präexistenz des Kausalverhältnisses von Gott zur Welt; oder mit anderen Worten: Bahá’u’lláh verknüpft den Emanationsgedanken der Philosophen und Gelehrten mit dem Schöpfungsgedanken der Propheten und Religionsstifter. Er versöhnt und vereinigt Wissenschaft und Glauben, Erkenntnis und Wollen, Kennen und Können, Wollen und Vollbringen.
Kehren wir nun zu der Niederschrift Bahá’u’lláh’s („Lawh-i-Hikmat“) zurück:
Das schöpferische Befehlswort Gottes, der Logos, ist nicht etwa ein Funken aus Gott, sondern der Logos ist der Lebenshauch Gottes. Im Logos, im Lebenshauch Gottes, liegt die potentielle Schöpfung; in ihm, dem Logos, dem Lebenshauch Gottes, ruhen bereits alle Existenzmöglichkeiten, alle Daseinsformen der Schöpfung. Lassen wir Bahá’u’lláh selbst sprechen: „Wahrlich, es ist kein Unterschied zwischen dem Wort Gottes und der Welt.“ - Das Wort Gottes, der Logos, ist Gottes höchste, überströmende Güte und das „Seiende“ in allem, was ist und gewesen ist; d.h. Güte und Liebe sind der ruhende Pol in der Flucht der Erscheinungen.
Die mosaische Schöpfungsgeschichte wird sowohl von Gelehrten wie von
Laien meistens mißverstanden. Gott schuf die Welt nicht etwa aus dem
Nichts. Die frühchristlichen Kirchenlehrer haben in unrichtiger Auslegung
der Bibel von einer „Creatio ex nihilo“, d.h. „Schöpfung aus dem Nichts“
[Seite 182]
gesprochen. Das ist ein Irrtum. Moses lehrte: „Am Anfang schuf Gott
Himmel und Erde; und die Erde war wüst und leer, und es war finster auf
der Tiefe, und der Geist Gottes schwebte auf dem Wasser. Und Gott
sprach: ‚Es werde Licht!‘ Und es ward Licht usf.“ Hier steht nirgends
geschrieben: Gott schuf die Welt aus dem Nichts. Nein, aus Nichts wird
Nichts. „Nichts“ sollte die Antithese, das Gegenteil von Gott sein. Die
Antwort darauf lautet: es existiert nur Gott und außer Ihm kein Nichts
(wörtlich). Die richtige Auslegung der Worte Mose lautet vielmehr: im
Anfang selbst emanierte (entäußerte) Gott den Himmel und die Erde. Und
die Erde war wüst und leer, und es war finster über der Tiefe, und der
Hauch Gottes schwebte auf dem Wasser. Und Gott sprach das Wort, d.h.
den Logos „Licht“, und es ward Licht!
Moses lehrt, daß die Welt in sechs Schöpfungstagen entstanden sei. Das ist ein Gleichnis, eine symbolische Einkleidung der uralten Wahrheit, daß die Welt sich allmählich entwickelt hat. Darwin kann sich mit seiner Entwicklungslehre auf Moses berufen. Gott ließ die Welt nicht plötzlich entstehen, sondern der Lebenshauch Gottes wird zum schöpferischen Befehlswort Gottes, zum Logos, welcher fortzeugend die Welt erschafft. Wir haben eine „creatio continua“, eine fortlaufende und nicht eine einmalige Schöpfung. Mose Schöpfungstage sind Zeitspannen von Jahrmillionen. Von Pythagoras über Ibn Sina (als Avicenna bekannt) bis zu den „getreuen Brüdern von Basra“ und herüber zu Darwin und zu den gesegneten Manifestationen Báb und Bahá’u’lláh bezeugen sowohl Forscher wie Propheten die fortlaufende Schöpfungstätigkeit des Logos (Lebenshauches Gottes). Die Entwicklungs- und Abstammungslehre der Darwinisten und Monisten ist nicht eine materielle, atheistische Theorie, sondern eine religiöse Wahrheit, welche von gottlosen, verblendeten Menschen zu Unrecht wider Religion und Bibel ins Feld geführt wird.
Lassen wir die Gesegnete Vollkommenheit, Bahá’u’lláh, noch einmal wiederholen, was Er im „Lawh-i-Hikmat“ lehrt: „Wahrlich, es ist kein Unterschied zwischen dem Wort Gottes und der Welt. Das Wort Gottes, der Logos, ist Seine höchste, überfließende Güte. Ja, das Wort Gottes, der Logos, ist das einzig Seiende, die schöpferische Wirklichkeit (die zeugende Wesenheit) in allem, was ist, gewesen ist und sein wird.“ Bahá’u’lláh lehrt ferner: „Das Leben auf der Erde ist also nicht von Anfang an und auf einmal dagewesen, sondern es hat sich stufenweise entwickelt. Die Atome aller Elemente sind zu ihrer naturgesetzlich erfolgenden Zusammenordnung und Ineinandergliederung potentiell prädisponiert.“
Das ist die Art und Weise, wie das schöpferische und ewig zeugende Wort
Gottes, d. h. der Logos, in allen Atomen sich manifestiert und auswirkt.
Im Mineralreich zeigt sich der Logos als Anziehung und Abstoßung, demnach
als Erdmagnetismus. Im Pflanzenreich wirkt der Logos als Aufbau
und Zersetzung des Zelleiweißes. Im tierischen Reich offenbart sich der
Logos als Nervensubstanz, als Instinkt. Im Menschenreich baut der
Logos die Vernunft und Phantasie über dem Instinkt auf; und hier beginnt
die Verantwortlichkeit des Geschöpfs. Im übergeistigen Reich der
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Auserwählten Gottes, der Träger der Geistesentwicklung, gibt es drei Stufen
im Einswerden ihres Geistes mit dem absoluten Geiste, dem Lebenshauch Gottes:
Die höchste Stufe stellt der Prophet, die reinste Manifestation des Logos, dar. Der Prophet ist eine für eine gewisse Zeit irdische Persönlichkeit, voll göttlicher Weisheit und der alles durchdringenden Kräfte des Logos; der Prophet erkennt sich selbst als einen Teil des Absoluten und ist schon in seinem Erdendasein über Raum und Zeit erhaben. Im Propheten hat der Logos die Stufenleiter der Selbstentwicklung zurückgelegt, er kehrt von seiner Emanation aus dem Hauche Gottes zum Ausgang, d. h. ins Göttliche und Absolute zurück.
Die durch Vermittlung des Propheten vollkommen erlösten Seelen, die auserwählten Gläubigen mit der verliehenen und erworbenen Vollkommenheit haben ihren Eigenwillen in den Willen Gottes versenkt und sind reif geworden für den unmittelbaren Eintritt in das ewige Reich Gottes.
Die Menschen aber, die im Sinnlichen leben und vergehen, lassen sich vom Logos nicht zu einer höheren Geistigkeit emporheben, sie lassen sich nur unvollkommen erleuchten vom höheren Lichte, von der Geistessonne des Logos; sie mögen sich ihrer Unvollkommenheiten (mehr oder weniger klar) bewußt sein, aber sie wollen und können sich von der vergänglichen Welt der Sinne und ihrer Begierden nicht völlig losreißen und werden ihre Läuterung noch im Jenseits abschließen dürfen. „In meines Vaters Hause sind viele Wohnungen“, sagt Christus. Ja, wahrlich, auch für die Schwachen und Unvermögenden und Irrenden ist im Reiche Gottes gesorgt. Nicht auf irdischen Planeten spielt sich die Weiterentwicklung und Läuterung der unvollkommen ausgereiften Seelen ab, sondern in den ungezählten geistigen Welten Gottes; auch nicht in eigener Anstrengung und ermüdender Buße, sondern im schöpferischen Lichte, in der verklärenden Barmherzigkeit und der läuternden Gnade Gottes, des Ewigen und Allgütigen. Die Fürbitten aller Heiligen und Propheten folgen dem aus seiner irdischen Mangelhaftigkeit Strebenden und begleiten und fördern seine himmlische Läuterung und ewige Vollendung.
Man hat schon Seiner Heiligkeit dem Báb den Vorwurf gemacht, die
Bábi und später die Bahá’i hätten die Lehre von der Seelenwanderung
übernommen. O nein, wir Bahá’i haben vom Báb und noch mehr von
der Gesegneten Vollkommenbeit, Bahá’u’lláh, die Lehre von der Wiederkehr
aller Dinge geoffenbart bekommen. Diese Wiederkehr aller
Dinge geht aus unserer Geschichtsauffassung und Naturphilosophie
hervor. Schon im Baján, dem Offenbarungsbuch Seiner Heiligkeit des
Báb, ist gezeigt, daß die Geschichte unserer Planeten sich in sieben
Weltperioden wiederholt, entsprechend den sieben mosaischen Welttagen
(sechs Schöpfungstagen und einem Ruhetag). Jede prophetische Periode
ist ein Zyklus der Wiederkehr der vorangegangenen. Wie wir z. B. eine
Zeitperiode Mose, Christi, Muhammads haben, so sind wir jetzt in den
Endzyklus eingetreten. In diesem siebenten Zyklus hat sich der Logos,
Gottes Lebenshauch, manifestiert in der Gesegneten Vollkommenbeit,
Bahá’u’lláh, dessen Vorläufer und Wegbereiter ‘Ali Muhammad El Báb
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war und zu dessen Ausleger und Verkündiger meine Person gewählt wurde.
Wenn dieser Weltzyklus zu Ende ist, dann bricht der letzte, der jüngste
Tag an: die Welt kehrt in Gott zurück, indem alles in Ihm untergeht.
Dies bedeutet für die Gottfernen, Ungläubigen und Gottlosen ihre
Vernichtung, d. h. das Weltgericht, für die Gottgläubigen, für die
Strebenden und Gottsucher aber die ewige Seligkeit.
Schon ‘Ali Muhammad El Báb lehrte: jedes Ding hat sein Paradies, nämlich seine Vollkommenheit oder Reife, und seine Hölle, womit seine Unvollkommenheit und Unreife gemeint ist. Gott der Herr hat dies so bestimmt. Wir, der Ton, sollten Ihn, den Töpfer, nicht nach dem Warum fragen, dessen Beantwortung wir in dieser Zeitlichkeit doch nicht verstehen würden.
Alles Geschaffene, d. h. Emanierte, bewegt sich in einem Zyklus, besser gesagt, in einer elliptischen Kurve.
Báb und Bahá’u’lláh lehrten: die Schöpfung, das Emanierte, ist der absteigende Bogen des Logos (Lebenshauches Gottes), und die Entwicklung ist der aufsteigende Bogen; dieser aber ist nichts anderes als die Wiederkehr oder Rückkehr aller Dinge in Gott, sei es zur Vernichtung, sei es zur absoluten Vollendung. Es ist demnach unrichtig, wenn die göttlichen Wahrheiten Bahá’u’lláh’s den Lehren des griechischen Philosophen Platon gleichgestellt werden. Platons Lehre von der periodischen Wiederkehr der Einzelerscheinungen und der Einzelwesen stimmt vielmehr überein mit dem altindischen Dogma der Seelenwanderung und des Karma.
So wenig die Seele eines Tieres nach dem Tode, d. h. nach der Auflösung seines Leibes, in den Körper einer Pflanze eingehen kann, ebenso wenig kann die Seele eines Menschen nach seinem Tod in den Leib eines Tieres eintreten. Nein, der Mensch ist ein Doppelwesen; seine materielle Natur stammt aus der größten Emanationsentfernung von Gott, denn das Stoffliche ist im Emanationsbogen der äußerste Pol. Je mehr ein Geschöpf im Stofflichen gefangen ist, desto größer ist seine Entfernung von Gott im Emanationskreislauf.
Der Vollkommenheit des rein Geistigen steht die Unvollkommenheit der Materie gegenüber. Der Geist des Menschen ist im stofflichen Leib wie in einem Käfig oder in einem Kerker gefangen und sehnt sich bewußt oder unbewußt nach dem kosmischen Geist, d. h. nach Gott, zurück, dessen Ausstrahlung er ist, und der Tod, d. h. der Zerfall des Stofflichen in seine Elemente, ist die Befreiung des erlösten oder noch nicht erlösten Geistes. Hat der Geist während des irdischen Lebens seine Erlösung von der Welt und dem Ich nicht erlangt, so wird ihm durch die läuternde Gnade Gottes in den geistigen Welten der Ewigkeit noch Gelegenheit zur Reife und zur Vollendung gegeben.
Die Gesegnete Vollkommenheit, Bahá’u’lláh, hat in allen ihren prophetischen Schriften betont:
1. Gott ist vor der Welt und ohne sie da.
2. Er ist völlig unabhängig von ihr und selbst unveränderlich.
Der heidnische Pantheismus früherer Zeiten lehrt dagegen: „Die
wahrnehmbare Welt ist als Wissensobjekt Gottes ewig wie Er, das Subjekt
selbst, und existiert notwendigerweise in Gott“ Nein und abermals nein.
Bahá’u’lláh, die letzte Manifestation,
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hat gelehrt, daß es in Gottes freiem Willen lag, die Welt zu emanieren
oder sie für Sich und in Sich unerschaffen zu lassen. Gott hatte die Welt
als Objekt nicht nötig, wohl aber hat die Welt Gott, ihren Urheber, seit
ihrer Emanation nötig.
So wenig die Sonne von ihrer Substanz oder Wesenheit der Erde etwas mitteilt, ebensowenig gibt Gott der Welt etwas von Seiner Gottheit. Wie die Sonne vielmehr nur ihre Eigenschaften, Licht, Wärme und Kraft, der Erde gibt, so läßt Gott seine Attribute in die Welt ausstrahlen. Wie das Wort aus dem Redner, die Schrift aus dem Schreibenden, das Werk aus dem Schöpfer hervorgeht, so fließt und strahlt das Stoffliche (das Ding), das Geistige (der Mensch) und das Übergeistige (der Prophet) aus Gott.
Gott wirkt in seiner Emanation dynamisch:
Alles Stoffliche ist gegliedert wie ein Planetensystem. Im Zentrum ist der göttliche Dynamo, und um ihn kreisen in rasendem Tanz die Stoffpartikelchen, die sogenannten Atome. Je schneller die Bewegung, um so fester und dichter erscheint uns die Materie.
Der menschliche Geist ist nicht innerhalb des Leibes, denn er steht über allem Austritt und Eintritt, über allem Kreisen und Drehen, das nur dem Wesen des Materiellen anhaftet. Der menschliche Geist ist ein Strahl, ein Reflex aus Gott, und das Verhältnis von Geist und Leib ist wie das der Sonne und des Spiegels. Der Geist belichtet den Leib. „Es ist der Geist, der sich den Körper baut“, der ihm sein Leben und seine Schönheit verleiht. Genau genommen ist es unrichtig, wenn man den Leib als den Käfig oder das Gefängnis des Geistes bezeichnet. Der Geist ist vielmehr dem Leib lebenslänglich verliehen. Löst sich der Leib auf, so ist der geliehene Geist frei, um zu dem Verleiher — Gott — zurückzukehren. Oder aber, Gott der Herr ruft den verliehenen Geist zurück, und der Leib, das Organ des Geistes löst sich alsbald auf. Darüber wäre noch viel zu sagen. Es ist aber spät geworden.
Schließen wir mit den prophetischen Worten Seiner Heiligkeit des Báb in Seiner Schrift „Suratu tauhid“5): „Gott war wissend vor dem Dasein aller Dinge, und Sein Wissen hat das Dasein eines Objektes des Wissens nicht nötig. Wahrlich, das reine Sein verbindet sich mit nichts, und die Ursache der irdischen Welt liegt im freien Willen Gottes, der mit Seinem Lebenshauch die Welt emanierte und dadurch zu Seiner Schöpfung stempelte.“
1) ImI. Jahrgang, Heft1l und 2 dieser Zeitschrift erstmals veröffentlicht; vorliegende
Fassung nach dem Manuskript neu überarbeitet. Diese Ausführungen ‘Abdu’l-Bahá’s
gelten ihrem Aufzeichnungscharakter entsprechend als nicht völlig authentisch.
2) Essay regarding wisdom, deutsch: Abhandlung über die Weisheit.
3) Überbringer des Sendschreibens von Bahá’u’lláh an Schah Nasiru’d-Din, 1869 grausam hingerichtet.
4) Deutsche Übersetzung im Jahrgang XIII Seite 113 ff. dieser Zeitschrift.
5) „Verkündung der Einheit Gottes.“
DER VERHEISSENE TAG IST GEKOMMEN[Bearbeiten]
- Von Shoghi Effendi
- (Fortsetzung)
O König! Wir hörten die Worte, die du als Antwort gabest dem Zaren
von Rußland, deinen Entschluß zum Krieg (Krimkrieg) betreffend. Dein
Herr, wahrlich, ist wissend, und Er kennt alles. Du sagtest: „Ich lag
schlafend auf meinem Bette, als der Schrei der Unterdrückten, die im
Schwarzen Meer ertranken, mich
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weckte.“ Solches hörten Wir dich sagen, und wahrlich, dein Herr ist
Zeuge dessen, was Ich sage. Wir bezeugen, daß das, was dich weckte,
nicht ihr Schrei war, sondern die Einflüsterungen deiner eigenen
Leidenschaften. Denn Wir prüften dich und fanden dich fehlerhaft. Erfasse
die Bedeutung Meiner Worte und gehöre zu den Einsichtsvollen... Wärest du
aufrichtig gewesen in deinen Worten, so hättest du das Buch Gottes nicht
beiseite geworfen, als es dir zugesandt wurde von Ihm, dem Allmächtigen,
dem Allweisen. Wir haben dich damit geprüft und fanden dich anders,
als wie du vorgibst. Erhebe dich und suche nachzuholen, was du versäumt
hast. Binnen kurzem wird die Welt und all dein Besitz untergehen und
das Reich wird Gottes bleiben, deines Herrn und des Herrn deiner Väter
von alters her. Es geziemt dir nicht, deine Geschäfte nach den Befehlen
deiner Wünsche zu führen. Fürchte die Seufzer dieses Mißhandelten und
schirme Ihn vor den Speeren derer, die Unrecht tun. Für das, was du getan,
soll dein Reich in Verwirrung gestürzt werden, und dein Kaiserreich
soll deinen Händen entgleiten zur Strafe für das, was du gemacht hast.
Dann wirst du erkennen, wie sehr du abgeirrt bist. Aufruhr wird das ganze
Volk jenes Landes ergreifen, es sei denn, du helfest dieser Sache und folgest
Ihm, welcher der Geist Gottes (Jesus) ist auf diesem, dem geraden
Pfade. Hat dein Pomp dich stolz gemacht? Bei meinem Leben! Er soll
nicht von Dauer sein, nein, er soll bald dahinschwinden, es sei denn, du
hältst dich standhaft an dieses feste Seil. Wir sehen Erniedrigung dich
verfolgen, während du unter den Achtlosen weilst... Überlasse deine
Paläste dem Volke der Gräber und dein Kaiserreich jedem, der es begehrt,
und wende dich sodann dem Reiche Gottes zu. Dies, wahrlich, ist
es, was Gott für dich erwählt hat wärest du doch von denen, die sich
Ihm zuwenden... Solltest du wünschen die Last deiner Herrschaft zu
tragen, so trage sie denn, um der Sache deines Herrn beizustehen. Gepriesen
sei diese Stufe, wo jeder, der zu ihr gelangt, zu allem Heil gelangt
ist, das von Ihm ausströmt, dem Allwissenden, dem Allweisen... Frohlockst
du über die Schätze, die du besitzest, wo du doch weißt, daß sie
vergehen werden? Freust du dich darüber, daß du eine Spanne Erde
beherrschst, während die ganze Welt nach der Schätzung des Volkes von
Bahá soviel wert ist wie das Schwarze im Auge einer toten Ameise? Überlasse
sie denen, die ihre Lust dareingesetzt haben, und wende dich Ihm
zu, der die Sehnsucht der Welt ist. Wohin sind die Stolzen und ihre
Paläste gefahren? Blicke in ihre Gräber, so magst du lernen an diesem
Beispiel, das wir ja zur Lehre für jeden Betrachter machen. Würde der
Windhauch der Offenbarer dich erfassen, so würdest du die Welt fliehen
und dich dem Reiche Gottes zuwenden und alles hergeben, was du
besitzest um dieser erhabenen Schau nahezukommen.“
Dem Papste geoffenbart
Dem Papste Pius IX. offenbarte Bahá’u’lláh folgendes: „O Papst!
Zerreiße die Schleier! Er, der Herr der Herren, ist gekommen, von
Wolken überschattet, und der Ratschluß ist erfüllt worden durch Gott, den
Allmächtigen, den Unbeschränkten ...
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Er, wahrlich, ist wieder herniedergekommen vom Himmel, wie Er von
dort zum ersten Male herniedergekommen war.
Hüte dich, mit Ihm zu streiten, so wie die Pharisäer mit Ihm (Jesus) stritten ohne klares Zeichen oder Beweis. Zu Seiner Rechten strömen die lebendigen Wasser der Gnade und zu Seiner Linken der auserlesene Wein der Gerechtigkeit, während vor Ihm die Engel des Paradieses einhergehen, das Banner Seiner Zeichen tragend. Hüte dich, daß nicht irgendein Name dich von Gott ausschließe, dem Schöpfer von Himmel und Erde. Lasse die Welt hinter dir und wende dich deinem Herrn zu, durch welchen die ganze Erde erleuchtet worden ist... Wohnst du in Palästen, während Er, der König der Offenbarung in der trostlosesten Behausung lebt? Überlasse sie solchen, die sie begehren, und wende dein Antlitz mit Freude und Wonne dem Reiche Gottes zu... Erhebe dich im Namen deines Herrn, des Gottes der Barmherzigkeit, inmitten der Völker der Erde und ergreife den Kelch des Lebens mit den Händen des Vertrauens, und trinke du zuerst davon und biete ihn sodann solchen an, die sich ihm zuwenden inmitten der Völker allen Glaubens...
Rufe dir Ihn ins Gedächtnis zurück, welcher der Geist war (Jesus), wie, als Er kam, die Gelehrtesten Seiner Zeit in Seinem eigenen Lande das Urteil gegen Ihn fällten, während einer, der nur ein Fischer war, an Ihn glaubte. Gebt acht denn, ihr Menschen mit einsichtsvollen Herzen! Du bist in Wahrheit eine der Sonnen des Himmels Seiner Namen. Hüte dich, daß die Finsternis nicht ihre Schleier über dich breite und dich verhülle fernab von Seinem Lichte... Betrachte jene, die sich dem Sohne (Jesus) widersetzten, als Er zu ihnen kam mit Macht und Herrschaft. Wie viele von den Pharisäern warteten darauf, Ihn zu schauen, und wehklagten, weil sie von Ihm getrennt waren! Und doch, als der Wohlgeruch Seines Kommens über sie wehte und Seine Schönheit sich enthüllte, da wandten sie sich von Ihm ab und stritten mit Ihm... Keiner außer ganz wenigen, die jeder Macht bei den Menschen ermangelten, wandte sich Seinem Antlitz zu. Heute aber brüstet sich jeder mit Macht ausgestattete und mit Herrschaft bekleidete Mensch mit Seinem Namen. Ebenso betrachte, wie zahlreich heutzutage die Mönche sind, die in Meinem Namen sich in ihren Kirchen abgeschlossen haben und die, als die festgesetzte Zeit erfüllt war und Wir Unsere Schönheit enthüllten, Uns nicht erkannten, obwohl sie nach Mir rufen zur Abendzeit und zur Morgendämmerung ...
Das Wort, das der Sohn verbarg, ist offenbar geworden. Es ist herabgesandt
worden in Gestalt des Menschentempels am heutigen Tage. Gesegnet sei
der Herr, welcher der Vater ist! Er, wahrlich, ist gekommen
zu den Völkern in Seiner größten Majestät. Wendet euer Angesicht Ihm
zu, o Schar der Rechtschaffenen! ... Dies ist der Tag, wo der Fels (Petrus)
ausruft und jauchzt und den Lobpreis seines Herrn, des Allbesitzenden,
des Höchsten verherrlicht mit den Worten: „Sehet, der Vater ist gekommen,
und, was euch verheißen ward in Seinem Reich, das ist erfüllet!...“
Mein Leib sehnt sich nach dem Kreuze und Mein Haupt erwartet den Wurf
des Speeres auf dem Pfade des Allbarmherzigen, auf daß die Welt von
ihren Übertretungen geläutert werde...
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O höchster Priester! Neige dein Ohr dem zu, was der Gestalter modernder Knochen dir rät, wie von Ihm Seinem größten Namen, verkündet wird. Verkaufe allen Zierat, den du besitzest, und spende ihn auf dem Pfade Gottes, der die Nacht auf den Tag und den Tag auf die Nacht folgen läßt. Übergib dein Königreich den Königen und tritt hervor aus deiner Wohnung, das Gesicht zum Reiche Gottes erhoben. Und dann verkünde, losgelöst von der Welt, das Lob deines Herrn zwischen Erde und Himmel. Also hat dir Er geboten, der Besitzer aller Namen, von deinem Herrn, dem Allmächtigen, dem Allwissenden. Ermahne die Könige und sprich: „Verfahret gerecht mit den Menschen. Hütet euch, die im Buche festgesetzten Grenzen zu überschreiten.“ Dies wahrlich geziemet dir. Hüte dich, die Dinge der Welt und ihre Reichtümer dir anzueignen. Überlasse sie denen, die sie begehren, und halte fest an dem, was dir von Ihm, dem Herrn der Schöpfung, befohlen ist. Sollte irgend jemand dir alle Schätze der Erde anbieten, so gönne ihnen nicht einmal einen Blick. Sei so, wie dein Herr gewesen ist. Also hat die Zunge der Offenbarung ausgesprochen, was Gott zum Schmucke des Buches der Schöpfung gemacht hat... Sollte die Trunkenheit des Weines Meiner Verse dich überkommen und solltest du dich entschließen, vor dem Throne deines Herrn, des Schöpfers von Himmel und Erde zu erscheinen, so mache Meine Liebe zu deinem Gewande und zu deinem Schilde, Meiner zu gedenken und zu deiner Wegzehrung dein Vertrauen auf Gott, den Offenbarer aller Macht. Wahrlich, der Tag der Ernte ist gekommen, und alle Dinge sind von einander geschieden worden. Er hat das, was Er wollte, in den Gefäßen der Gerechtigkeit verwahrt und hat ins Feuer geworfen, was dem verfallen ist. So ist es beschlossen worden von deinem Herrn, dem Mächtigen, dem Liebevollen an diesem verheißenen Tage. Wahrlich, Er verordnet, was Ihm gefällt. Es gibt keinen andern Gott außer Ihm, dem Allmächtigen, dem Allbezwingenden.“
In dem an den Zaren von Rußland, Alexander II., gerichteten Sendschreiben
lesen wir: „O Zar von Rußland! Neige dein Ohr der Stimme Gottes
zu, des Königs, des Heiligen, und wende dich dem Paradiese zu, der
Stätte, wo Er wohnet, der unter den himmlischen Scharen die erhabensten
Titel trägt und im Reiche der Schöpfung mit dem Namen Gottes, des
Strahlenden, des Glorreichen genannt wird. Hüte dich, daß deine Begierde
dich nicht hindere, dich dem Angesichte deines Herrn zuzuwenden, des
Mitleidigen, des Barmherzigsten. Wir haben wahrlich die Sache vernommen,
um die du deinen Herrn angefleht hast in heimlicher Zwiesprache. Darum
wehten die Winde Meiner liebevollen Güte und wogte das Meer Meiner
Barmherzigkeit, und Wir antworteten dir in Wahrheit. Dein Herr ist
wahrlich der Allwissende, der Allweise. Als Ich gefesselt und angekettet
im Kerker lag, bot Mir einer deiner Gesandten seinen Beistand an. Deshalb
hat Gott einen Rang für dich verordnet, welchen keine Erkenntnis
begreifen kann, ausgenommen Seine Erkenntnis. Hüte dich, diesen erhabenen
Rang zu verschachern... Hüte dich, daß deine Herrschaft dich nicht
von Ihm zurückhalte, welcher der höchste Herrscher ist. Wahrlich, Er
ist gekommen mit Seinem Reiche,
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und alle Atome rufen laut: ‚Sehet, der Herr ist gekommen in Seiner
hehren Majestät!‘ Er, der Vater, ist gekommen, und der Sohn (Jesus), in
dem heiligen Tale rufet aus: ‚Hier bin Ich, hier bin Ich, o Herr, Mein
Gott!‘, während der Sinai das Haus umkreiset und der brennende Busch
laut ausruft: ‚Der Allfreigebige ist gekommen auf den Wolken thronend!
Glückselig ist, wer sich Ihm nähert, und wehe denen, die weit in der
Ferne sind.‘
Erhebe dich inmitten der Menschen im Namen dieser allbezwingenden
Sache, und rufe sodann 'die Nationen zusammen zu Gott, dem
Erhabenen, dem Großen. Gehöre du nicht zu denen, die Gott angerufen
haben bei einem Seiner Namen, die aber, als Er, der Gegenstand aller
Namen, erschien, Ihn verleugneten und sich von Ihm abwandten und
schließlich das Urteil gegen Ihn fällten mit offenbarer Ungerechtigkeit.
Bedenke und rufe dir die Tage ins Gedächtnis zurück, als der Geist
Gottes (Jesus) erschien und Herodes das Urteil gegen Ihn sprach. Gott aber
half Ihm mit den unsichtbaren Heerscharen und beschützte Ihn in Treue
und sandte Ihn hinweg in ein anderes Land nach Seiner Verheißung.
Wahrlich, Er verordnet, was Ihm gefällt. Dein Herr behütet sicher, wen
Er will, sei er auch in der Mitte der Meere oder im Bauch der Schlange
oder unter dem Schwerte des Tyrannen...“
„Wiederum sage Ich: Horche auf Meine Stimme, die aus Meinem Gefängnis ruft,
daß sie dir künde, was Meiner Schönheit widerfahren ist von
der Hand derer, die dadurch Meine Herrlichkeit offenbaren, und damit
du verstehen mögest, wie groß Meine Geduld gewesen ist, ungeachtet
Meiner Macht, und wie unermeßlich Meine Nachsicht, ungeachtet Meiner
Gewalt. Bei Meinem Leben! Könntest du nur die Dinge erkennen,
die durch Meine Feder herabgesandt sind, und die Reichtümer Meiner
Sache entdecken, und die Perlen Meiner Geheimnisse, welche in den
Meeren Meiner Namen und in den Bechern Meiner Worte verborgen liegen,
so würdest du in deiner Liebe für Meinen Namen und in deiner
Sehnsucht nach Meinem herrlichen und erhabenen Reich dein Leben
hingeben auf Meinem Pfade. Wisse, daß, wenn auch Mein Leib unter dem
Schwerte Meiner Feinde liegt und Meine Glieder von unermeßlichen
Leiden befallen sind, Mein Geist doch von einer Freude erfüllt ist, womit
alle Freuden der Erde nimmermehr verglichen werden können.
Setze dein Herz auf Ihn, welcher das Ziel der Anbetung der Welt ist,
und sprich: O Völker der Erde! Habt ihr Den verleugnet, auf dessen Pfad
Er, der mit der Wahrheit kam und die Verkündigung eueres Herrn, des
Erhabenen, des Großen überbrachte, den Märtyrertod erlitt? Sprich: Dies
ist eine Verkündigung, worüber die Herzen der Propheten und Gesandten
frohlockt haben. Dies ist der Eine, dessen das Herz der Welt gedenkt,
der verheißen ist in den Büchern Gottes, des Mächtigen, des Allweisen.
Die Hände der Gesandten waren im Verlangen, Mir zu begegnen, zu Gott
erhoben, dem Mächtigen, dem Verherrlichten ... Einige wehklagten über
ihre Trennung von Mir, andere erduldeten Ungemach auf Meinem Pfade
und wieder andere gaben ihr Leben hin um Meiner Schönheit willen - o
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könntet ihr das doch erkennen! Sprich: Ich habe wahrlich nicht
darnach getrachtet, Mich zu rühmen, vielmehr Gott Selbst tat es — würdet
ihr doch aufrichtig urteilen! Nichts kann in Mir gesehen werden außer
Gott und Seiner Sache — könntet ihr doch dessen gewahr werden! Ich bin
Der, den die Zunge Jesajas gepriesen, Der, mit Dessen Namen sowohl die
Torah wie das Evangelium geschmückt werden... Gesegnet sei der König,
dessen Herrschaft ihn nicht von seinem Herrscher abgehalten hat und
der sich mit seinem Herzen zu Gott gewandt hat. Er, wahrlich, wird zu
jenen gezählt, die das erreicht haben, was Gott gewollt hat, der Mächtige,
der Allweise. Binnen kurzem wird ein solcher unter die Monarchen der
Reiche des Königreiches gezählt werden. Dein Herr ist, wahrlich, mächtig
über alle Dinge. Er gibt, was Er will, wem immer Er will, und versagt,
was Ihm beliebt, wem immer Er will. Er, wahrlich, ist der Allgewaltige,
der Allmächtige!“
An Königin Viktoria hat Bahá’u’lláh geschrieben: „O Königin in London! Neige dein Ohr der Stimme deines Herrn, des Herrn des ganzen Menschengeschlechtes, die vom göttlichen Lotosbaum ruft: Wahrlich, es gibt keinen Gott außer Mir, dem Allmächtigen, dem Allweisen! Wirf hinweg alles, was auf Erden ist, und schmücke das Haupt deines Königreichs mit der Krone des Gedenkens deines Herrn, des Glorreichen. Er, wahrlich, ist in die Welt gekommen in Seiner größten Herrlichkeit und alles, was im Evangelium verkündet ist, hat sich erfüllet. Das Land Syrien ist geehrt worden durch die Fußspuren seines Herrn, des Herrn aller Menschen, und Nord und Süd sind beide trunken vom Wein Seiner Gegenwart. Gesegnet ist der Mensch, der den Duft des Barmherzigsten einatmete und sich dem Aufgangsort Seiner Schönheit zuwandte in dieser strahlenden Morgendämmerung. Die Moschee von Aqsá schwingt im Wehen ihres Herrn, des Allerherrlichen, während Bathá (Mekka) erzittert vor der Stimme Gottes, des Erhabenen, des Höchsten. Und so feiert jeder Stein von ihnen den Lobpreis des Herrn durch diesen großen Namen.
Lege dein Begehren beiseite und richte sodann dein Herz auf deinen
Herrn, den Altehrwürdigen der Tage. Wir erwähnen dich um der Sache
Gottes willen und wünschen, daß dein Name erhöhet werde durch dein
Gedenken an Gott, den Schöpfer von Erde und Himmel. Er, wahrlich, ist
Zeuge dessen, was Ich sage. Wir haben erfahren, daß du den Handel mit
Sklaven, Männern sowohl wie Frauen, verboten hast. Wahrlich, dies ist, was
Gott in dieser wundervollen Offenbarung zur Pflicht gemacht hat. Gott
hat, wahrlich, dir dafür eine Belohnung bestimmt. Er wird, wahrlich,
dem Wohltuenden seinen schuldigen Lohn zahlen — mögest du dem folgen,
was dir zugesandt ward durch Ihn, den Allwissenden, den alles
Durchschauenden. Was aber den betrifft, der sich abwendet und sich vor Stolz
bläht, nachdem klare Zeichen zu ihm gekommen sind von dem Offenbarer
der Zeichen, dessen Werk wird Gott zunichte machen. Er, wahrlich, hat
Gewalt über alle Dinge. Des Menschen Taten sind annehmbar, nachdem er
(die Manifestation) anerkannt hat. Wer sich von dem Wahren abwendet,
ist in der Tat am tiefsten verschleiert unter Seinen Geschöpfen.
Also ist es bestimmt worden durch
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Ihn, den Allmächtigen, den Gewaltigsten.
Wir haben auch gehört, daß du die Zügel der Beratung den Händen der Volksvertreter anvertraut hast. Du hast fürwahr gut daran getan; denn dadurch werden die Grundmauern des Baues deiner Angelegenheiten gekräftigt und die Herzen aller, die unter deinem Schatten sind, ob hoch oder niedrig, beruhigt werden. Es geziemt ihnen jedoch, vertrauenswürdig unter Seinen Dienern zu sein und sich als die Vertreter aller zu betrachten, die auf Erden wohnen. Dies ist es, was Er ihnen in dieser Tafel rät, Er der Herrscher, der Allweise ... Gesegnet ist, wer in die Versammlung geht um Gottes willen und aus reiner Gerechtigkeit zwischen den Menschen entscheidet. Er gehört fürwahr zu den Glückseligen ...
Wende dich Gott zu und sprich: O mein höchster Herr! Ich bin nur Dein Vasall und Du bist in Wahrheit der König der Könige. Ich habe meine flehenden Hände zum Himmel Deiner Gnade und Deiner Gaben erhoben. So sende denn herab auf mich aus den Wolken Deiner Großmut, was mich befreien wird von allem außer Dir, und ziehe mich näher zu Dir. Ich bitte Dich, o mein Herr, bei Deinem Namen, den Du zum König der Namen gemacht hast und zu Deiner Offenbarung für alle, die im Himmel und auf Erden sind, zerreiße die Schleier, die zwischen mich und mein Erkennen des Aufgangsortes Deiner Zeichen und des Tagesanbruchs Deiner Offenbarung eingedrungen sind. Du bist, wahrlich, der Allmächtige, der Allgewaltige, der Allgütige. Beraube mich nicht, o Herr, der Düfte des Gewandes Deiner Barmherzigkeit in Deinen Tagen und schreibe nieder für mich, was Du für Deine Dienerinnen niedergeschrieben hast, die an Dich und Deine Zeichen geglaubt und Dich erkannt und ihre Herzen dem Horizonte Deiner Sache zugewandt haben. Du bist wahrlich der Herr der Welten und der Barmherzigste derer, die Barmherzigkeit erzeigen. So stehe mir bei, o mein Gott, Deiner zu gedenken inmitten Deiner Dienerinnen und Deiner Sache zu helfen in Deinen Ländern. So nimm an, was mir entströmt ist, als das Licht Deines Antlitzes hervorstrahlte. Du hast fürwahr die Macht über alle Dinge. Ruhm sei Dir, o Du, in dessen Hand das Reich der Himmel und der Erde ruht.“
Im Kitáb-i-Aqdas, Seinem heiligsten Buche, wendet sich Bahá’u’lláh
an den deutschen Kaiser Wilhelm I. also: „Sprich: O König von Berlin!
Schenke Gehör der Stimme, die aus diesem offenbaren Tempel ruft:
Wahrlich, es gibt keinen Gott außer Mir, dem Immerwährenden, dem
Unvergleichlichen, dem Altehrwürdigen der Tage. Gib acht, daß Stolz dich
nicht hindere, den Tagesanbruch göttlicher Offenbarung zu erkennen,
daß irdische Wünsche dich nicht wie durch einen Schleier abschließen von
dem Herrn des Thrones hoch oben und auf Erden hienieden. Also rät dir die
Feder des Höchsten. Er, wahrlich, ist der Gnadenvollste, der Allgütige.
Denke an den (Napoleon III.), dessen Macht deine Macht überragte und
dessen Rang deinen Rang übertraf. Wo ist er? Wohin ist entschwunden,
was er besaß? Sei gewarnt und gehöre nicht zu denen, die fest schlafen.
Er war es, der die Tafel Gottes beiseite warf, als Wir ihm kund taten,
was die Scharen der Tyrannen Uns erdulden ließen. Darum befiel ihn
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Unglück von allen Seiten und großer Verlust; und so sank er hinab in den
Staub. Denke wohl über ihn nach, o König, und über solche, die gleich
dir Städte erobert und Menschen beherrscht haben. Der Allbarmherzige
stürzte sie hinab von ihren Palästen in das Grab. Sei gewarnt! Gehöre zu
denen, die überlegen!“
Und weiterhin in diesem gleichen Buch diese auffallende Weissagung: „O Ufer des Rheins! Wir haben euch mit Blut bedeckt gesehen; denn die Schwerter der Vergeltung wurden gegen euch gezückt; und es soll noch eine Wendung mit euch geben. Und wir hören das Wehklagen Berlins, obgleich es heute in sichtbarem Ruhme strahlt.“
Ebenfalls im Kitáb-i-Aqdas sind folgende an den Kaiser Franz Joseph gerichteten Worte verzeichnet: „O Kaiser von Österreich! Er, der Tagesanbruch des Gotteslichtes, weilte im Gefängnis zu Akka zu der Zeit, da du dich aufmachtest, die Aqsá-Moschee (Jerusalem) zu besuchen. Du zogst an Ihm vorüber und forschtest nicht nach Ihm, durch den jedes Haus erhöht und jede erhabene Pforte erschlossen ist. Wir, wahrlich, machten es (Jerusalem) zu einem Platz, wohin die Welt sich wenden soll, um Meiner zu gedenken. Doch du hast Ihn, das Ziel dieses Gedenkens, verschmäht, als Er erschien mit dem Reiche Gottes, deines Herrn und des Herrn der Welten. Wir sind allezeit mit dir gewesen und fanden dich am Zweig angeklammert, der Wurzel nicht achtend. Dein Herr, wahrlich, ist Zeuge dessen, was Ich sage. Wir waren bekümmert, dich um Unseren Namen kreisen zu sehen, ohne Unser gewahr zu werden, obgleich Wir vor deinen Augen waren. Öffne deine Augen, diese herrliche Erscheinung zu betrachten und Ihn, den du des Tages und zur Nachtzeit anrufest, zu erkennen und in das Licht zu schauen, das von diesem erleuchteten Horizonte strahlt.“
In der Suriy-i-Muluk wird Sultan ‘Abdu‘l-Aziz in folgenden Worten angeredet: „Lausche, o König, den Worten Dessen, der die Wahrheit spricht, Ihm, der nicht von dir Belohnung für dich fordert durch Dinge, die Gott dir zu gewähren beliebt hat, Ihm, der unbeirrt den geraden Pfad wandelt. Er ist es, der dich vor Gott, deinem Herrn entbietet, der dir die rechte Bahn zeigt, den Weg, der zu wahrem Glück führt, auf daß du vielleicht zu jenen gehörest, denen es wohl ergehen wird... Mit dem, der sich Gott ganz hingibt, wird Gott sicherlich sein; und den, der sein ganzes Vertrauen auf Gott setzt, wird Gott wahrlich beschützen vor allem, was ihm schaden tun könnte und beschirmen vor der Bosheit aller Unheilstifter.
Würdest du dein Ohr Meiner Rede zuneigen und Meinen Rat beachten, so würde Gott dich in eine so hervorragende Stellung erheben, daß die Pläne keines Menschen auf der ganzen Erde je dich berühren oder verletzen könnte. Beobachte, o König, aus innerstem Herzen und mit deinem ganzen Sein die Gebote Gottes und wandle nicht auf dem Pfade des Tyrannen. Ergreife du die Zügel der Angelegenheiten deines Volkes und halte sie fest im Griffe deiner Gewalt und prüfe persönlich alles, was sie betrifft. Lasse dir nichts entgehen, denn darin liegt das höchste Gut.
Danke Gott dafür, daß Er dich aus der ganzen Welt erwählte und dich
zum König gemacht hat über die, welche deinen Glauben bekennen. Es
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geziemt dir wohl, die wundervollen Gunstbezeigungen hochzuschätzen,
womit Gott dir gewogen war, und immerfort Seinen Namen zu verherrlichen.
Du kannst Ihn am besten damit preisen, daß du Seine Geliebten
liebst und Seine Diener beschützest und behütest gegen die Anschläge der
Verräter, so daß niemand sie fürderhin unterdrücken mag. Noch mehr, du
solltest dich dazu aufraffen, das Gesetz Gottes bei ihnen zur Geltung zu
bringen, so daß du zu denen gehörest, die in Seinem Gesetze fest gegründet
dastehen.
Würdest du Ströme der Gerechtigkeit ihre Wasser auf deine Untertanen ergießen lassen, so würde Gott dir sicherlich beistehen mit den Heerscharen des Unsichtbaren und des Sichtbaren und dich stärken in deinem Tun. Keinen Gott gibt es außer Ihm. Die ganze Schöpfung und ihr Reich sind Sein. Zu Ihm kehren die Werke der Gläubigen zurück.
Setze nicht dein Vertrauen auf deine Schätze. Lege dein ganzes Vertrauen in die Gnade Gottes, deines Herrn. Lasse Ihn deine Zuversicht sein in allem, was du tust, und sei von denen, die sich Seinem Willen unterworfen haben. Lasse Ihn dein Helfer sein und bereichere dich mit Seinen Schätzen, denn Sein sind die Schatzkammern der Himmel und der Erde. Er spendet sie, wem Er will, und versagt sie, wem Er will. Es gibt keinen anderen Gott außer Ihm, dem Allbesitzenden, dem Allgepriesenen. Alle sind nur Arme an der Türe Seiner Barmherzigkeit. Alle sind hilflos vor der Offenbarung Seiner höchsten Herrschaft und flehen um Seine Gunst.
Überschreite nicht die Grenzen der Mäßigung und verfahre gerecht mit denen, die dir dienen. Spende ihnen nach ihren Nöten und nicht in dem Übermaß, das ihnen ermöglicht, für sich Reichtümer aufzustapeln, ihre Person auszuputzen, ihr Heim zu verzieren, Dinge anzuschaffen, die ihnen nicht zum Wohle gereichen, und unter die Verschwender zu geraten. Behandle sie mit unwandelbarer Gerechtigkeit, so daß keiner von ihnen Mangel leide noch durch Luxus verweichlicht werde. Dies ist nur offenbare Gerechtigkeit. Lasse nicht zu, daß Verworfene über Edle und Ehrenwerte regieren und herrschen, und dulde nicht, daß die Hochgesinnten in der Gewalt der Verächtlichen und Wertlosen seien, denn dies ist es, was Wir bei Unserer Ankunft in der Stadt (Konstantinopel) bemerkten. Dessen sind Wir Zeuge.
Halte dir Gottes unbeirrbare Waage vor Augen und wäge als einer, der in Seiner Gegenwart steht, auf dieser Waage deine Taten jeden Tag, jeden Augenblick deines Lebens. Ziehe dich zur Rechenschaft, ehe du zur Abrechnung gerufen wirst an dem Tage, da kein Mensch aus Furcht vor Gott die Kraft haben wird, aufrecht zu stehen, an dem Tage, da die Herzen der Achtlosen erzittern werden...
Du bist Gottes Schatten auf Erden. So strebe danach, in solcher Art zu
handeln, wie es einer so hervorragenden, so erhabenen Stufe zukommt.
Wenn du davon abgleitest, die Dinge zu befolgen, die Wir auf dich
herabkommen ließen und dich lehrten, so wirst du sicherlich dieser großen
und unschätzbaren Ehre verlustig gehen. So kehre denn um und halte dich
gänzlich an Gott und reinige dein Herz von der Welt und all ihrem
Tand und dulde nicht, daß die Liebe eines Fremdlings sich dort einniste
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und darin hause. Nicht eher, als bis du dein Herz reinigest von jeder Spur
solcher Liebe, kann der Glanz des Lichtes Gottes Seine Strahlen darauf
ergießen, denn niemandem hat Gott mehr gegeben als ein Herz. Dies,
wahrlich, ist verordnet worden und steht verzeichnet in Seinem
altehrwürdigen Buche. Und da das Menschenherz, wie es von Gott geschaffen,
eines und ungeteilt ist, so geziemt es dir, acht zu geben, daß seine
Neigungen auch eins und ungeteilt seien. Hänge dich daher mit der ganzen
Neigung deines Herzens an Seine Liebe und ziehe es zurück von der Liebe
zu irgend jemand außer Ihm, auf daß Er dir beistehe, dich in den
Ozean Seiner Einheit zu versenken, und dich befähige, eine getreue Stütze
Seiner Einzigkeit zu werden...“
Halte den Unterdrücker ab...
„Lasse dein Ohr, o König, achtsam sein auf die Worte, die Wir an dich richteten. Halte den Unterdrücker ab von seiner Tyrannei und schließe die Täter von Ungerechtigkeiten vom Kreise derer aus, die deinen Glauben bekennen. Bei der Rechtschaffenheit Gottes! Die Trübsale, die Wir ausgehalten haben, sind derart, daß eine Feder, die sie schildert, überwältigt wird von Seelenschmerz. Keiner derer, die aufrichtig glauben und die Einheit Gottes hochhalten, kann die Bürde ihrer Schilderung tragen. So groß sind Unsere Leiden gewesen, daß selbst die Augen Unserer Feinde, ja, die Augen eines jeden einsichtsvollen Menschen, über Uns geweint haben. Und all diesen Prüfungen sind Wir unterworfen worden, trotzdem Wir uns dir näherten und den Menschen befahlen, unter deinen Schatten zu treten, auf daß du ein Bollwerk seiest, für alle, die an die Einheit Gottes glauben und sie hochhalten.
Habe Ich, o König, jemals dir nicht gehorcht? Habe Ich irgendwann eines deiner Gesetze mißachtet? Kann einer deiner Minister, die dich in Irak vertreten, irgend einen Beweis erbringen, der Meine Unredlichkeit gegen dich begründen könnte? Nein, bei Ihm, welcher der Herr aller Welten ist! Nicht einen kleinen Augenblick haben Wir uns gegen dich aufgelehnt oder gegen einen deiner Minister. Niemals, so Gott will, werden Wir Uns gegen dich empören, selbst wenn Wir strengeren Heimsuchungen ausgesetzt wären als allen, die Wir jemals in der Vergangenheit erduldeten. Am Tage und zur Nachtzeit, am Abend und am Morgen beten Wir zu Gott für dich, daß Er dir gnädig beistehe, Ihm zu gehorchen und Seine Gebote zu beachten, daß Er dich beschirme vor den Scharen der Bösen. Tue denn, wie dir beliebt, und behandle Uns wie es deiner Stufe zusteht und deiner Herrschaft geziemt. Vergiß nicht das Gesetz Gottes in allem, was du zu tun wünschest, jetzt oder in künftigen Tagen. Sprich: Preis sei Gott, dem Herrn aller Welten!“
Des weiteren steht im „Kitáb-i-Aqdas“ folgender gewaltiger Anruf
Konstantinopels: „O Ort, der du an den Küsten zweier Meere liegst!
Wahrlich, der Thron der Tyrannei ist auf dir errichtet und die Flamme des
Hasses ist in deinem Busen entzündet, so sehr, daß die Versammlung in der
Höhe und jene, die den erhabenen Thron umkreisen, geklagt und gejammert
haben, Wir sehen in dir den Narren über den Weisen herrschen
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und Finsternis vor dem Lichte sich brüsten. Wahrlich, du bist mit
offensichtlichem Stolz erfüllt. Hat dein äußerer Glanz dich hochmütig
gemacht? Bei Ihm, dem Herrn des Menschengeschlechtes! Er soll rasch
vergehen und deine Töchter und deine Witwen und alle deines Stammes, die
in dir wohnen, sollen wehklagen. Dies gibt dir kund der Allwissende,
der Allweise.“
Was Schah Násiri’d-Din betrifft, so verkündet das „Lawh-i-Sultán“, welches von Akka aus an ihn gesandt wurde und welches das längste Sendschreiben Bahá’u’lláh’s an einen einzelnen Herrscher darstellt, folgendes: „O König! Ich war nur ein Mensch wie andere und lag schlafend auf Meinem Lager — siehe, da wehten die Winde des Allherrlichen über Mich und lehrten Mich die Kenntnis all dessen, was gewesen ist. Das geschah nicht von Mir, sondern von Dem, welcher allmächtig und allwissend ist. Und Er gebot Mir, Meine Stimme zu erheben zwischen Erde und Himmel, und um dessetwillen befiel Mich, was die Tränen eines jeden Menschen von Einsicht fließen ließ. Die Gelehrsamkeit der Menschen von heute studierte Ich nicht; ihre Schulen betrat Ich nicht. Frage nach in der Stadt, wo Ich wohnte, und sei dessen wohl versichert, daß Ich nicht von denen bin, die falsch reden. Das hier ist nur ein Blatt, das die Winde des Willens deines Herrn, des Allmächtigen, des Allgepriesenen bewegt haben. Kann es still sein, wenn der Sturmwind weht? Nein, bei Ihm, dem Herrn aller Namen und Attribute! Er bewegt es, wie er will. Das Dahinschwindende ist wie ein Nichts vor Ihm, dem Ewigen. Sein allbezwingender Ruf hat Mich erreicht und ließ Mich Seinen Lobpreis reden unter allem Volke. Fürwahr, Ich war wie ein Toter, als Sein Befehl erscholl. Die Hand des Willens deines Herrn, des Mitleidigen, des Barmherzigen verwandelte Mich. Kann irgend jemand frei aus eigenem Willen etwas aussprechen, weswegen alle Menschen, hoch und niedrig, Einspruch gegen ihn erheben werden? Nein, bei Ihm, der die Feder die ewigen Geheimnisse lehrte: nur der, welchen die Gnade des Allmächtigen, des Allgewaltigen gestärkt hat. Die Feder des Höchsten wandte sich Mir zu und sprach: Fürchte dich nicht! Berichte Seiner Majestät dem Schah, was über dich gekommen ist. Sein Herz, wahrlich, ist in der Hand deines Herrn, des Gottes der Barmherzigkeit, so daß vielleicht die Sonne der Gerechtigkeit und Freigebigkeit aufstrahlt über dem Horizonte seines Herzens. Also ist der Beschluß unwiderruflich festgesetzt worden durch Ihn, welcher der Allweise ist.
Blicke auf diesen jungen Mann, o König, mit den Augen der Gerechtigkeit. Urteile sodann aufrichtig über das, was Ihn befallen hat. Wahrhaftig, Gott hat dich zu Seinem Schatten gemacht unter den Menschen und zum Zeichen Seiner Macht für alle, die auf Erden wohnen. Urteile du zwischen Uns und denen, die Uns Unrecht taten ohne Beweis und ohne ein erleuchtendes Buch. Sie, die um dich sind, lieben dich um ihres eigenen Vorteils willen, wogegen dieser junge Mann dich um deines Vorteils willen liebt und keinen Wunsch gehabt hat außer dem, dich dem Sitze der Gnade näher zu bringen und dich der rechten Hand der Gerechtigkeit zuzuführen. Dein Herr ist Zeuge dessen, was Ich erkläre.
O König! Würdest du dein Ohr
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dem Ertönen der Feder der Herrlichkeit zuneigen und dem Gurren der
Taube der Ewigkeit, die auf den Zweigen des Lotosbaumes, über welchen
hinaus kein Durchgang ist, den Lobpreis Gottes singt, des Erschaffers
aller Namen und des Schöpfers der Erde und des Himmels, so würdest du zu
einer solchen Stufe gelangen, von welcher aus du in der Welt des Daseins
nichts als den Glanz des Angebeteten schauen und deine Herrschaft
als das Verächtlichste deines Besitzes ansehen würdest und sie jedem
überließest, der sie gerade begehrt, dein Angesicht dem Horizonte zugewandt,
der im Lichte Seines Antlitzes erglüht. Auch würdest du nicht mehr
gewillt sein, die Bürde der Herrschaft anders zu tragen als mit der Absicht,
deinem Herrn zu helfen, dem Erhabenen, dem Höchsten. Dann würde
die Versammlung in der Höhe dich segnen. Oh, wie ausgezeichnet ist diese
höchst erhabene Stufe — könntest du doch dahin aufsteigen durch die
Macht einer Herrschaft, die als von dem Namen Gottes stammend erkannt
wird!...
O König der Zeitlichkeit! Die Augen dieser Flüchtlinge sind nach der Barmherzigkeit des Barmherzigsten gewandt und auf sie geheftet. Keinerlei Zweifel besteht, daß diesen Trübsalen die Ausgießungen höchster Barmherzigkeit folgen werden und daß nach diesen gräßlichen Anfeindungen ein überströmendes Wohlergehen kommen wird. Wir würden gerne hoffen, daß Seine Majestät der Schah diese Dinge selbst erforschen und den Herzen Hoffnung bringen werde. Was Wir deiner Majestät unterbreitet haben, ist fürwahr zu deinem Besten. Und Gott, wahrlich, ist für Mich hinreichend Zeuge...
O geschähe es doch, daß du Mir gestatten würdest, o Schah, dir das zu senden, was die Augen ergötzt und die Seelen beruhigt und jeden ehrlich gesinnten Menschen überzeugt, daß bei Ihm die Erkenntnis des Buches liegt... Wäre die Zurückweisung durch die Narren und die falsche Nachsicht der Geistlichen nicht gewesen, so hätte Ich eine Rede gehalten, welche die Herzen durchschauert und in ein Reich entführt hätte, wo aus dem Rauschen der Winde zu hören wäre: „Keinen Gott gibt es außer Ihm!“...
Ich habe, o Schah, auf dem Pfade Gottes geschaut, was noch kein Auge
geschaut und kein Ohr gehört hat... Wie zahlreich sind die Trübsale,
welche auf Mich geregnet haben und bald noch regnen werden! Ich schreite
voran, den Blick auf Ihn gerichtet, den Allmächtigen, den Allgütigen,
während hinter Mir die Schlange gleitet. Von Meinen Augen haben Tränen
geregnet, bis Mein Bett getränkt war. Jedoch sorge Ich nicht für Mich. Bei
Gott! Mein Haupt sehnt sich nach dem Speer aus Liebe zu seinem Herrn.
Ich ging nie an einem Baum vorbei, ohne daß Mein Herz Ihn anredete
und sprach: „O würdest du doch abgehauen in Meinem Namen und
würde doch Mein Leib an dir gekreuzigt auf dem Pfade Meines Herrn!“
...Bei Gott! Obgleich Müdigkeit Mich niederdrückt und Hunger Mich
verzehrt und der nackte Fels Mein Bett ist und Meine Genossen die Tiere
des Feldes sind, so will Ich nicht klagen, sondern will es geduldig
ertragen, wie jene mit Standhaftigkeit und Festigkeit Begabten es
geduldig ertragen haben durch die Kraft Gottes, des ewigen Königs und
Schöpfers der Nationen, und will Gott Dank abstatten
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in allen Lebenslagen. Wir bitten, Er möge in Seiner Güte — gepriesen
sei Er! — durch diese Kerkerhaft die Nacken der Menschen von Ketten
und Fesseln befreien und sie mit aufrichtigen Mienen sich Seinem Antlitz
zuwenden lassen, Ihm, welcher der Mächtige ist, der Freigebige. Er ist
bereit, jedem zu antworten, wer immer Ihn anruft, und denen ist Er
nahe, die mit Ihm Umgang pflegen.“
Im Qayyumu’l-Asmá’ wandte sich der Báb seinerseits an den Schah Muhammad: „O König des Islam! Hilf du in Wahrheit, nachdem du dem Buche geholfen hast, auch Ihm, welcher Unser größtes Gedenken ist; denn Gott hat, das ist gewißlich wahr, für dich und solche, die dich umgeben, am Tage des Gerichtes eine verantwortliche Stellung auf Seinem Pfade bestimmt. Ich schwöre bei Gott, o Schah! Wenn du Ihm, welcher Sein Gedenken ist, Feindschaft erweisest, so wird Gott am Tage der Auferstehung dich vor den Königen verdammen zu höllischem Feuer, und du sollst, das ist gewißlich wahr, an jenem Tage keinen Helfer finden außer Gott, den Erhabenen. Reinige, o Schah, das Heilige Land (Teheran) von solchen, die das Buch verschmäht haben, ehe der Tag mit dem Gedenken Gottes kommt, schrecklich und plötzlich mit Seiner mächtigen Sache durch den Willen Gottes, des Höchsten. Gott, wahrlich, hat dir verordnet, dich Dem zu unterwerfen, der Sein Gedenken ist, und Seiner Sache, und mit der Wahrheit und mit Seiner Erlaubnis die Länder zu unterwerfen; denn in dieser Welt bist du gnadenreich mit Herrschaft bekleidet worden und wirst in der nächsten dicht unter dem Sitze der Heiligkeit wohnen mit den Bewohnern des Paradieses Seines Wohlgefallens. Lasse nicht deine Herrschaft, o Schah, dich täuschen, denn jede Seele soll vom Tode schmecken‘, und wahrlich, dies ist als Gottes Ratschluß verzeichnet.“
In Seinem Tablet an den Schah Muhammad hat der Báb des weiteren geoffenbart: „Ich bin der erste Punkt, aus welchem alle erschaffenen Dinge erzeugt worden sind. Ich bin das Antlitz Gottes, dessen Glanz niemals verdunkelt werden kann, das Licht Gottes, dessen Glanz niemals verblassen kann... Alle Himmelsschlüssel hat Gott in Meine Rechte zu legen beliebt und alle Höllenschlüssel in Meine Linke... Ich bin einer der Stützpfeiler des Urwortes Gottes. Wer immer Mich erkannt hat, hat alles erkannt, was wahr und recht ist, und alles erreicht, was gut und schicklich ist... Der Stoff, aus dem Gott Mich erschaffen hat, ist nicht der Lehm, aus dem andere geformt worden sind. Er hat Mir verliehen, was weder die Weltklugen je erfassen noch die Gläubigen je entdecken können ...
Bei Meinem Leben! Wenn nicht wegen der Verpflichtung, die Sache Dessen, welcher das Zeugnis Gottes ist, anzuerkennen... würde Ich dir dies nicht verkündet haben... In diesem gleichen Jahre (Jahr 60) sandte Ich einen Boten und ein Buch an dich ab, daß du der Sache Dessen, welcher das Zeugnis Gottes ist, zustrebest, wie es der Stufe deiner Herrschaft geziemt...
Ich schwöre bei der Wahrheit Gottes: Würde der, welcher Mich in
solcher Weise zu behandeln gewillt war, erkennen, wen er so behandelt hat,
so würde er wahrlich nie mehr in seinem Leben glücklich werden. Es
ist vielmehr — Ich tue dir gewißlich
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die Wahrheit kund — wie wenn er alle Propheten eingekerkert hätte
und alle Männer der Wahrheit und alle Auserwählten... Wehe dem, von
dessen Händen Böses kommt, und gesegnet sei der Mensch, von dessen
Händen Heil kommt ...
Ich schwöre bei Gott: Ich suche kein irdisches Gut bei dir, und sei es auch nur soviel wie ein Senfkorn... Ich schwöre bei der Wahrheit Gottes: Würdest du wissen, was Ich weiß, so würdest du die Herrschaft über die Welt und über deine Nächsten aufgeben, um Mein Wohlgefallen zu erlangen durch deinen Gehorsam zu dem Wahren... Würdest du es ablehnen, so würde der Herr der Welt einen erwecken, der Seine Sache erhöhen wird, und, wahrlich, der Befehl Gottes wird zur Tat werden.“
Liebe Freunde! Wie weit ist doch der Rundblick, den diese kostbaren, diese erschütternden, göttlich verkündeten Aussprüche vor unseren Augen ausbreiten!
Gottes Stellvertreter auf Erden
Welche Erinnerung rufen sie wach! Wie erhaben sind die Grundsätze, die sie einprägen! Welche Hoffnungen erzeugen sie! Welche Vorstellungen erregen sie! Und doch, wie bruchstückhaft müssen diese Worte erscheinen, seien sie auch dem eigentlichen Plan meines Stoffes angepaßt, wenn sie mit der hinreißenden Majestät vergleichen, die nur das Lesen des vollen Textes erschließen kann! Er, der Gottes Stellvertreter auf Erden war, hat in dem höchstentscheidenden Augenblick, als Seine Offenbarung ihren Höhepunkt erreichte, jene angeredet, die in ihrer Person den Glanz, die oberste Gewalt und die Macht irdischer Bedeutung vereinigten. Da konnte Er wahrlich nicht ein Jota oder Tüpfelchen von dem Gewicht und von der Kraft ablassen, welche die Überreichung einer so geschichtlichen Botschaft erforderte. Weder die Gefahren, die so schnell über Ihn hereinbrachen, noch die schreckliche Gewalt, womit die Lehre von der absoluten Herrschaft zu jener Zeit die Kaiser des Westens und die Machthaber des Ostens bekleidete, konnten den Verbannten und Gefangenen von Adrianopel davon abhalten, die volle Sturmkraft Seiner Botschaft, Seine beiden kaiserlichen Verfolger und auch die übrigen zeitgenössischen Herrscher fühlen zu lassen.
Die Größe und Verschiedenartigkeit des Stoffes, die zwingende Kraft
der Beweisführung, die Erhabenheit und Kühnheit der Sprache bannen
unsere Aufmerksamkeit und erstaunen unser Gemüt. Kaiser, Könige und
Fürsten, Kanzler und Minister, der Papst selbst, ferner Priester, Mönche
und Philosophen, die Vertreter der Wissenschaft, Parlamentarier und
Abgeordnete, die Reichen auf Erden, die Anhänger aller Religionen und das
Volk von Bahá - sie alle sind in den Wirkungsbereich des Urhebers dieser
Botschaften einbezogen und erhalten, jeder nach Verdienst und Wert, die
Ratschläge und Ermahnungen, die sie verdienen. Nicht minder überwältigend
ist die Mannigfaltigkeit der Gegenstände, die in diesen Sendschreiben
berührt werden. Die alles überragende Majestät und Einheit eines
unbegreifbaren, unnahbaren Gottes wird hervorgehoben und das Einmalige
Seiner Gesandten verkündet und mit Nachdruck erklärt. Die Einzigkeit,
die Weltweite und die Wirkungsmöglichkeiten
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des Bahá’i-Glaubens werden betont und Zweck und Wesensart der
Bábi-Offenbarung entwickelt. Die Bedeutung von Bahá’u’lláh’s Leiden und
Verbannungen wird erschlossen und die auf Seinen Herold und
auf Seinen Namensbruder herabgeströmten Trübsale werden anerkannt
und beklagt. Seinem eigenen Sehnen nach der Krone des Märtyrertums,
die Sie beide in so geheimnisvoller Weise gewannen, wird Ausdruck
verliehen, und die unaussprechlichen Herrlichkeiten und Wunder, die
Seiner eigenen Sendung vorbehalten sind, werden angedeutet. Begebenheiten,
erregend und wunderbar zugleich, aus den verschiedenen Zeiten
Seiner Wirksamkeit werden geschildert und die Vergänglichkeit der Welt
mit ihrem Pomp und Ruhm und Reichtum und Herrschertum wiederholt
und klar vor Augen geführt. Kraftvoll und eindringlich wird zur
Anwendung der erhabensten Grundsätze in persönlichen und
internationalen Beziehungen aufgerufen und befohlen, entehrende,
dem Glück und Wachstum, der Wohlfahrt und Einheit der Menschenrasse
schädliche Gewohnheiten und Gebräuche aufzugeben. Könige werden getadelt,
kirchliche Würdenträger angeklagt, Minister und Bevollmächtigte verdammt
und die Gleichheit Seines Kommens mit dem Kommen des Vaters selbst
unzweideutig zugegeben und wiederholt verkündet. Der gewaltsame Sturz
einiger dieser Könige und Kaiser wird geweissagt, zwei von ihnen werden
eindeutig zur Verantwortung gezogen, die meisten gewarnt, alle angerufen
und ermahnt.
Im Lawh-i-Sultán (Sendschreiben an den Schah von Persien) erklärt Bahá’u’lláh: „Möge doch der weltverschönernde Wunsch Seiner Majestät beschließen, daß dieser Diener den Geistlichen dieser Zeit gegenübergestellt werde und Beweise und Zeugnisse in der Gegenwart Seiner Majestät des Schah vorbringe. Dieser Diener ist bereit und setzt Seine Hoffnung auf Gott, daß eine solche Versammlung einberufen werde, damit die Wahrheit der Sache vor Seiner Majestät dem Schah klar und offenbar gemacht werde. Es ist nunmehr an dir, zu befehlen, und Ich stehe bereit vor dem Throne deiner Herrschaft. So entscheide denn für Mich oder gegen Mich.“
Und fernerhin hat Bahá’u’lláh im Lawh-i-Ra’is, in Erinnerung an Sein
Gespräch mit dem mit der Durchführung Seiner Verbannung in die feste
Stadt Akka beauftragten türkischen Offizier, geschrieben: „Es geht
darum, daß Ich dich bitte, wenn du es möglich findest, Seiner Majestät dem
Sultan zu unterbreiten, daß diesem jungen Manne gestattet sei, zehn
Minuten so mit ihm zusammenzutreffen, daß er dann nach allem fragen möge,
was er sich als genügendes Zeugnis denkt und als Beweis für die
Wahrhaftigkeit Dessen betrachtet, der die Wahrheit ist. Sollte Gott
Ihn befähigen, solches vorzubringen, so möge jener diese Mißhandelten
befreien und sich selber überlassen.“ „Er versprach“, fügte Bahá’u’lláh
in jenem Schreiben hinzu, „diese Botschaft zu übermitteln und uns
Antwort zu geben. Wir erhielten jedoch keine Nachricht von ihm.
Wenngleich es Ihm, der die Wahrheit ist, nicht ansteht,
sich bei irgendeinem Menschen zu melden, da ja alle erschaffen sind,
Ihm zu gehorchen, so haben Wir doch im Hinblick auf die Lage dieser
kleinen Kinder und die große
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Zahl so weit von ihren Freunden und ihrer Heimat verschickter Frauen in
diese Sache eingewilligt. Trotzdem ist nichts erfolgt. ‘Umar selbst ist am
Leben und erreichbar. Erkundige dich bei ihm, damit dir die Wahrheit
bekannt werde.“
Über diese an die Herrscher der Erde gerichteten Sendschreiben, die ‘Abdu’l-Bahá als ein „Wunder“ gepriesen hat, schrieb Bahá’u’lláh: „Ein jedes von ihnen ist mit einem besonderen Namen bezeichnet worden. Das erste ist „das Dröhnen“ genannt worden, das zweite „der Stoß“, das dritte „das Unvermeidliche“, das vierte „das Einfache“, das fünfte „der Zusammenbruch“ und die anderen „der betäubende Trompetenstoß“, „das nahende Ereignis“, „der große Schrecken“, „die Posaune“, „das Signalhorn“ und dergleichen, so daß alle Völker der Erde sich erkennen und mit äußeren und inneren Augen bezeugen mögen, daß Er, welcher der Herr der Namen ist, die Herrschaft hat und sie weiterhin haben wird unter allen Umständen, über alle Menschen ... Nie seit Beginn der Welt ist eine Botschaft so öffentlich verkündet worden... Verherrlicht sei diese Macht, die erstrahlt ist und die Welten umfaßt hat. Diese Tat des Verursachers aller Ursachen hat, als sie geoffenbart ward, ein zweifaches Ergebnis hervorgebracht. Sie hat zugleich die Schwerter der Ungläubigen geschärft und die Zungen derer gelöst, die sich Ihm zugewandt haben zu Seinem Gedenken und Lobpreis. Dies ist die Wirkung der befruchtenden Winde, die früher schon erwähnt waren im Lawh-i-Haykal. Die ganze Erde ist jetzt im Zustand der Trächtigkeit. Der Tag naht heran, da sie ihre edelsten Früchte hervorbringen wird, da ihr die höchsten Bäume entsprießen werden, die entzückendsten Blüten, die himmlischsten Segnungen. Unermeßlich erhaben ist der Windhauch, der aus dem Gewande deines Herrn, des Verklärten, wehet. Denn siehe, Er hat Seinen Duft ausströmen lassen und alle Dinge neu gestaltet! Wohl denen, die das erfassen! Es ist zweifellos klar und offensichtlich, daß dabei Er, der Herr der Offenbarung, nichts für Sich selbst gesucht hat. Obgleich dessen gewahr, daß sie zu Drangsalen führen und Kummer und schmerzliche Prüfungen verursachen würde, hat Er doch, einzig und allein als ein Zeichen Seiner göttlichen Gnade und Gunst und in der Absicht, die Toten zu beleben und alle auf Erden zu erlösen, Sein Auge Seinem eigenen Wohlergehen verschlossen und das getragen, was kein anderer Mensch getragen hat noch tragen wird.“
Die wichtigste Seiner an die einzelnen Herrscher gerichteten Sendschriften
befahl Bahá’u’lláh in der Form eines Pentagramms zu schreiben, das
den Tempel Mensch versinnbildlicht. Er fügte darin als Abschluß die
folgenden Worte ein, welche die Wichtigkeit enthüllen, die Er diesen
Botschaften beimaß, und ihre direkte Verbindung mit der Prophezeiung
des Alten Testamentes anzeigen: „Also haben Wir den Tempel erbaut mit
den Händen der Kraft und Macht — könntet ihr das doch erkennen! Dies
ist der euch im Buche verheißene Tempel. Nähert euch ihm! Dies ist,
was euch frommt — könntet ihr das doch verstehen! Seid ehrlich, o Völker
der Erde! Welcher ist vorzuziehen, dieser oder ein aus Lehm gebauter
Tempel? Wendet euer Angesicht ihm zu! Also ist euch von Gott
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befohlen worden, der Hilfe in der Gefahr, dem Selbstbestehenden.
Folget Seinem Geheiß und preiset Gott, eueren Herrn, für das, was Er euch
verliehen hat. Wahrlich, Er ist die Wahrheit. Keinen Gott gibt es außer
Ihm. Er offenbart, was Ihm gefällt, durch Seine Worte: Sei! - und es ist.“
Auf diesen gleichen Gegenstand sich beziehend, redet Er die Anhänger Jesu Christi in einem Seiner Sendschreiben an: „O Scharen der Anhänger des Sohnes! Wahrlich, der Tempel ist mit den Händen des Willens eueres Herrn, des Allmächtigen, des Allgütigen erbaut worden. So sei denn Zeuge, o Volk, dessen, was Ich sage: Was ist vorzuziehen — was aus Lehm erbaut ist oder was durch die Hand eueres Herrn, des Offenbarers von Versen, erbaut ist? Dies ist der in den Schriften euch verheißene Tempel. Er rufet laut: ‚O Anhänger der Religionen! Eilet, zu Ihm zu gelangen, dem Quell aller Ursachen, und folgt nicht jedem Ungläubigen und Zweifler‘.“
Es sollte nicht vergessen werden, daß, abgesehen von diesen besonderen Sendschreiben, worin die Könige der Erde einzeln und insgesamt angeredet werden, Bahá’u’lláh noch andere Tafeln geoffenbart hat — das Lawh-i-Ra’is ist ein hervorragendes Beispiel dafür — und in die Masse Seiner umfangreichen Schriften unzählige Stellen eingestreut hat, wo Minister, Regierungen und deren beglaubigte Vertreter klar angeredet worden sind oder wenigstens auf sie hingewiesen wird. Doch gehe ich nicht näher auf solche Anreden und Hinweise ein, welche, so lebenswichtig sie sind, augenscheinlich doch nicht mit dieser eigenartigen Bedeutung ausgestattet sind, welche unmittelbar zu diesem besonderen Zweck von der Manifestation Gottes ausgesprochene und an die höchsten Stellen der Welt ihrer Tage gerichtete Botschaften besitzen müssen.
Liebe Freunde! Genug ist nun gesagt worden, um die Trübsale zu
schildern, die so lange Zeit die Begründer einer so überragenden
Offenbarung überflutet haben, und welche die Welt in so unheilvoller
Weise unbeachtet gelassen hat. Genügend Aufmerksamkeit ist auch den
Botschaften geschenkt worden an jene selbständigen Herrscher, welche
in Ausübung ihrer absoluten Gewalt diese Leiden mit Bedacht hervorgerufen
haben oder in der Fülle ihrer Macht sich hätten erheben können, deren
Auswirkungen zu mildern oder deren tragischen Verlauf abzuwenden. Laßt
uns nun die Folgen, die nachgekommen sind, betrachten. Die Rückwirkung
von seiten der Monarchen war, wie schon erwähnt, verschieden und
unmißverständlich und, wie der Gang der Dinge schrittweise enthüllte,
unglückselig in ihren Folgen. Einer der hervorragendsten dieser Herrscher
behandelte die göttliche Mahnung mit plumper Mißachtung und wies
sie mit einer kurzen, unverschämten, durch einen seiner Minister
geschriebenen Antwort ab. Ein anderer ließ den Überbringer der Botschaft
gewaltsam ergreifen, foltern, brandmarken und brutal erschlagen. Andere zogen
es vor, ein verächtliches Schweigen zu bewahren. Alle versäumten gänzlich
ihre Pflicht, sich aufzuraffen und Hilfe zu leisten. Besonders aber zwei
von ihnen, von Furcht und Zorn zugleich getrieben, schnürten ihren Griff
noch enger um die Sache, die sie gemeinsam zu vertilgen entschlossen
waren. Der eine verdammte den göttlichen Gefangenen zu einer weiteren
[Seite 202]
Verbannung, in „die Stadt von ärmlichstem Aussehen, von abscheulichstem
Klima, mit fauligstem Wasser“, während der andere, unmächtig, an
den Urheber eines verhaßten Glaubens Hand zu legen, dessen Anhänger
abscheulichen und wilden Grausamkeiten unterwarf. Die Kunde von
Bahá’u’lláh’s Leiden, in jene Botschaften eingekleidet, konnten kein
Mitgefühl in ihren Herzen hervorrufen. Seine Anrufe, dergleichen weder
in den Annalen des Christentums noch selbst in denen des Islam
verzeichnet sind, wurden mit Geringschätzung zurückgewiesen. Die
düsteren Warnungen, die Er verkündete, wurden hochmütig verhöhnt.
Die kühnen Herausforderungen, die Er aussprach, wurden übersehen,
die Züchtigungen, die Er vorhersagte, spöttisch abgetan.
Was ist nun — könnten wir so nicht erwägen? - angesichts einer so völligen und schimpflichen Ablehnung geschehen und was geschieht noch im weiteren Verlauf und besonders in den abschließenden Jahren dieses ersten Bahá’i-Jahrhunderts, eines Jahrhunderts, das mit solchen ungestümen Leiden und heftigen Beschimpfungen für den verfolgten Glauben an Bahá’u’lláh beladen ist? - In Staub gefallene Kaiserreiche, gestürzte Königreiche, ausgelöschte Herrscherhäuser, beschmutzte Königswürde, ermordete, vergiftete, in die Verbannung getriebene, in ihren eigenen Reichen unterjochte Könige, während die wenigen übriggebliebenen Throne durch den Rückstoß des Falles ihrer Gefährten erzittern.
Dieser so gigantische, so verhängnisvolle Ablauf der Geschehnisse nahm, das darf man wohl sagen, in jener denkwürdigen Nacht seinen Anfang, als in einem dunkeln Winkel von Schiras der Báb in Gegenwart des ersten „Buchstaben“, der an Ihn glaubte, das erste Kapitel Seiner berühmten Auslegung der Sure Josephs (das Qayyumu’l-Asmá’) offenbarte, aus der Sein Ruf wie ein Trompetenstoß an die Herrscher und Fürsten der Erde erscholl. Das Geschehnis ging aus dem Keimzustand in die sichtbare Offenbarung über, als die für alle Zeiten in der Suriy-i-Haykal verwahrten und vor Napoleons III. dramatischem Sturz und Papst Pius IX. selbstauferlegter Gefangenschaft verkündeten Weissagungen Bahá’u’lláh’s sich erfüllten. Es gewann an Bedeutung, als zu ‘Abdu’l-Bahá’s Lebzeiten der große Krieg die Herrscherhäuser der Romanow, der Hohenzollern und der Habsburger vernichtete und mächtige, altehrwürdige Monarchien in Republiken verwandelte. Es beschleunigte sich weiterhin bald nach ‘Abdu’l-Bahá’s Hinscheiden durch das Erlöschen des Herrscherhauses der Kadscharen in Persien und durch den erstaunlichen Zusammenbruch des Sultanats und des Kalifats zugleich. Es wirkt noch weiter unter unseren eigenen Augen, wenn wir das Schicksal betrachten, das im Verlauf des riesigen, verheerenden Ringens die gekrönten Häupter des europäischen Erdteils nacheinander überfallen hat. Sicherlich kann niemand bei leidenschaftsloser Betrachtung der Erscheinungen dieses unbarmherzigen, in verhältnismäßig so kurzer Zeit umwälzenden Geschehens der Schlußfolgerung sich entziehen, daß die letzten hundert Jahre, soweit sie das Los des Königtums betreffen, wohl als einer der Zeitabschnitte stärkster Sintflut in den Annalen der Menschheit betrachtet werden können.
DER GLAUBE BAHA’U’LLAH’S[Bearbeiten]
Eine Weltreligion
Von Shoghi Effendi
- Diese kurze Einführung in Ursprung, Lehren und Einrichtungen der Bahá’i-Religion wurde von Shoghi Effendi, in seiner Eigenschaft als der von ‘Abdu’l-Bahá testamentarisch bestimmte Hüter dieses Glaubens, für die Palästinakommission der Vereinten Nationen verfaßt. Der deutschen Übersetzung liegt die englische Originalfassung zugrunde, die in „World Order“, Band XIII, Nr. 7, Oktober 1947, S. 219 ff. erschien.
Der Glaube, der von Bahá’u’lláh begründet wurde, entstand in Persien um die Mitte des neunzehnten Jahrhunderts. Nach längerer Verbannung des Gründers, zuletzt nach der türkischen Strafkolonie von Akka, und späterhin nach Seinem Tod und Seiner Beisetzung in Akka, hat der Glaube sein endgültiges Zentrum im Heiligen Land gefunden und ist jetzt im Begriff, die Grundlagen seines Verwaltungszentrums für die ganze Welt in der Stadt Haifa aufzubauen.
Wenn man seinen Anspruch, wie er unmißverständlich durch seinen Begründer
verfochten wurde, und die Art des Wachstums der Bahá’i-Gemeinde
in allen Teilen der Welt betrachtet, so kann dieser Glaube nicht
anders angesehen werden als eine Weltreligion, die dazu bestimmt ist,
sich im Laufe der Zeiten in ein weltumfassendes Gemeinwesen zu entwickeln.
Dessen Kommen muß das goldene Zeitalter der Menschheit ankündigen,
das Zeitalter, das die Einheit des Menschengeschlechtes unerschütterlich
begründet, seine Reife erreicht und seine Bestimmung durch die Geburt
und das Errichten einer alles umfassenden Zivilisation erfüllen wird.
Neue Darlegung ewiger Wahrheiten
Obwohl dem schiitischen Islam entsprungen und in den ersten Entwicklungsphasen von den Anhängern des mohammedanischen und des christlichen Glaubens nur als eine obskure Sekte, ein asiatischer Kult oder ein Ableger der mohammedanischen Religion betrachtet, beweist dieser Glaube nunmehr in wachsendem Maße sein Anrecht auf eine andere Beurteilung als nur die eines weiteren religiösen Systems, das den sich bekämpfenden Glaubensbekenntnissen, die so viele Geschlechter lang die Menschheit zerspalten und ihre Wohlfahrt verwüstet haben, sich zugesellt hat. Vielmehr ist er eine neue Darlegung der ewigen Wahrheiten, die allen Religionen der Vergangenheit zugrunde liegen, und eine einigende Macht, die den Anhängern dieser Religion einen neuen geistigen Elan einflößt, eine neue Hoffnung und Liebe zur Menschheit und sie durch eine neue Vision befeuert, die der grundsätzlichen Einheit der religiösen Lehren, und vor ihren Augen die herrliche Berufung ausbreitet, die dem Menschengeschlecht winkt.
Die Anhänger dieses Glaubens stehen fest zu dem grundlegenden
[Seite 204]
Prinzip, wie es von Bahá’u’lláh verkündet worden ist, daß religiöse
Wahrheit nicht absolut, sondern relativ ist, daß Gottesoffenbarung ein
fortdauerndes und fortschreitendes Geschehnis ist, daß alle großen
Religionen der Welt göttlich in ihrem Ursprung sind, daß ihre Grundsätze
zueinander in völligem Einklang stehen, daß ihre Ziele und Absichten
eine und dieselben sind, daß ihre Lehren nur Widerspiegelungen der
einen Wahrheit sind, daß ihr Wirken sich ergänzt, daß sie sich nur in
unwesentlichen Teilen ihrer Lehren unterscheiden und daß ihre Sendungen
aufeinanderfolgende geistige Entwicklungsstufen der Menschheit darstellen.
Zur Versöhnung der sich streitenden Bekenntnisse
Die Ziele Bahá’u’lláh’s, des Propheten dieses neuen und großen Zeitalters, in das die Menschheit eingetreten ist — denn Sein Kommen erfüllt die Prophezeiungen des Neuen und Alten Testamentes wie auch des Koran, die sich auf das Erscheinen des Verheißenen am Ende der Zeiten, am Tage des Gerichtes beziehen — sind nicht die Zerstörung, sondern die Erfüllung der Offenbarungen der Vergangenheit und viel mehr die Versöhnung als die Betonung der Gegensätze der sich streitenden Glaubensbekenntnisse, welche die heutige Menschheit noch zerreißen.
Er ist weit davon entfernt, die Stufe der Ihm vorausgegangenen
Propheten herabsetzen oder ihre Lehren schmälern zu wollen. Vielmehr will
Er die Grundwahrheiten, die in allen diesen Lehren beschlossen sind, in
einer Weise aufs neue darlegen, wie sie den Nöten der Menschheit
entsprechen und auf ihre Fassungskraft abgestimmt sind und auf die Fragen,
Leiden und Verwirrungen der Zeit, in der wir leben, angewendet werden
können.
Seine Sendung ist: zu verkünden, daß die Zeiten der Kindheit und
Unreife des Menschengeschlechtes dahin sind, daß die Erschütterungen der
heutigen Stufe der Jugend langsam und schmerzvoll sie zur Stufe der
Reife vorbereiten und das Nahen jener Zeit der Zeiten verkünden, da die
Schwerter in Pflugscharen umgewandelt werden und das von Jesus Christus
verheißene Reich begründet wird und der Friede auf diesem Planeten
endgültig und dauernd gesichert ist. Auch stellt Bahá’u’lláh nicht den
Anspruch auf Endgültigkeit Seiner eigenen Offenbarung, sondern erklärt
vielmehr ausdrücklich, daß ein volleres Maß der Wahrheit, als Ihm von dem
Allmächtigen für die Menschheit in einem so kritischen Zeitpunkt gestattet
wurde, in den späteren Phasen der endlos weiterschreitenden
Menschheitsentwicklung enthüllt werden muß.
Einheit des Menschengeschlechtes
Der Bahá’i-Glaube hält die Einheit Gottes hoch, anerkennt die Einheit
Seiner Propheten und betont vor allem den Grundsatz der Einheit und
Ganzheit aller Menschenrassen. Er verkündet, daß die Einigung der
Menschen notwendig und unvermeidbar ist, hebt hervor, daß wir uns ihr
schrittweise nähern und stellt die These auf, daß nichts anderes als der
verwandelnde Geist Gottes, der durch Sein erwähltes Sprachrohr an diesem
[Seite 205]
Tage wirkt, letzten Endes diesen Zustand herbeizuführen fähig ist. Noch
mehr: Der Bahá’i-Glaube legt seinen Anhängern vor allem die Pflicht des
ungehemmten Suchens nach Wahrheit auf, verwirft alle Arten von
Vorurteil und Aberglauben und erklärt, daß der Zweck der Religion die
Förderung von Freundschaft und Eintracht sei; er verkündet in
wesentlichen Fragen ihr Zusammengehen mit der Wissenschaft und erkennt sie
als die größte Kraft der Befriedung und des geregelten Fortschrittes der
Menschheit. Er hält ohne Zweideutigkeit den Grundsatz gleicher Rechte,
gleicher Möglichkeiten und Vorrechte für Männer und Frauen hoch, besteht
auf guter Erziehung als Pflicht, tilgt die Extreme von Armut und Reichtum
aus, schafft die Einrichtungen eines Priesterstandes ab, verbietet
Sklaverei, Askese, Bettelei und Mönchtum und schreibt Einehe vor,
mißbilligt Scheidung, betont die Notwendigkeit festen Gehorsams zur
Regierung, erhöht jede Arbeit, die im Geiste des Dienens getan wird, auf
den Rang des Gottesdienstes, drängt auf die Schaffung oder Auswahl einer
Welthilfssprache und gibt einen Umriß für die Einrichtungen, welche den
Weltfrieden begründen und dauerhaft machen sollen.
Der Herold
Der Bahá’i-Glaube kreist um drei Hauptgestalten, deren erste ein Jüngling aus Schiras namens Mirzá ‘Ali Muhammád war, bekannt als der Báb (das Tor). Er erhob im Mai 1844, im Alter von 25 Jahren den Anspruch, der Herold Dessen zu sein, der nach den heiligen Schriften früherer Offenbarungen den Einen, der größer ist wie Er selbst, verkünden und den Weg für Sein Kommen bereiten soll. Seine Sendung sei, nach eben diesen Schriften, eine Ära des Friedens und der Gerechtigkeit einzuleiten, die als die Vollendung aller früheren Sendungen begrüßt würde, um einen neuen Zyklus in der Religionsgeschichte der Menschheit einzuleiten. Rasch setzte strenge Verfolgung ein, die von den organisierten Mächten der Kirche und des Staates Seines Geburtslandes ausging und schließlich zu Seiner Gefangenschaft und Verbannung in die Berge Adharbayjáns führte und zu Seiner Einkerkerung in die Festungen Máh-Ku und Chihriq und zu Seiner Hinrichtung im Juli 1850 durch das Feuer eines Regimentes auf einem öffentlichen Platz in Täbris. Nicht weniger als 20000 Seiner Anhänger wurden in so barbarischer Grausamkeit hingemordet, daß sie das warme Mitgefühl und die unbegrenzte Bewunderung abendländischer Schriftsteller, Diplomaten, Reisender und Gelehrter hervorrief. Einige derselben waren Zeugen dieser entsetzlichen Gewalttaten und erwähnten sie in ihren Werken und Tagebüchern.
Bahá’u’lláh
Mirzá Husayn-‘Ali, genannt Bahá’u’lláh (die Herrlichkeit Gottes),
aus der Provinz Mázindarán stammend, dessen Kommen der Báb
verkündet hatte, wurde von diesen gleichen Mächten der Dummheit und
des Fanatismus angegriffen, in Teheran eingekerkert, 1852 aus Seinem
Heimatland nach Bagdad verbannt und von dort nach Konstantinopel und
Adrianopel und schließlich in die
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Gefängnisstadt Akka, wo Er nicht weniger als 24 Jahre noch gefangengehalten
wurde. Unweit davon starb Er im Jahre 1892. In der Zeit Seiner Verbannung,
vor allem in Adrianopel und in Akka, gab Er den Gesetzen und
Vorschriften Seiner Sendung Ausdruck und erklärte in mehr als
hundert Bänden die Grundsätze Seines Glaubens, verkündete Seine Botschaft
den Königen und Herrschern des Ostens und des Westens, Christen
sowohl wie Mohammedanern. Er wandte sich an den Papst, den Kalifen des
Islam, die Regierungshäupter der Republiken des amerikanischen
Kontinentes, an die ganze christliche Kirche, an die Führer des schiitischen
und sunnitischen Islam und an die Hohepriester der zoroastrischen Religion.
In diesen Schriften verkündete Er Seine Offenbarung, gebot Er allen,
an die Sein Ruf erging, Ihn zu hören und Seinen Glauben anzunehmen,
warnte sie vor den Folgen ihrer Ablehnung und tadelte sie in einigen
Fällen wegen ihrer Anmaßung und Tyrannei.
‘Abdu’l-Bahá
Sein ältester Sohn, ‘Abbás Effendi, bekannt als ‘Abdu’l-Bahá (Diener Bahá’s), war von Bahá’u’lláh zu dessen gesetzlichem Nachfolger und bevollmächtigtem Ausleger Seiner Lehren ernannt worden. Er war seit Seiner frühesten Kindheit Seinem Vater eng verbunden und teilte dessen Verbannung und Leiden. Er blieb ein Gefangener bis 1908, wo Er in Auswirkung der jungtürkischen Revolution aus der Haft entlassen wurde. Nunmehr verlegte Er Seinen Wohnsitz nach Haifa, schiffte sich dann bald zu einer drei Jahre langen Reise nach Ägypten, Europa und Nordamerika ein, in deren Verlauf Er vor einer zahlreichen Hörerschaft die Lehren Seines Vaters auslegte und das Nahen der Katastrophe voraussagte, die bald darauf die Menschheit überfallen sollte. Er kehrte nach Hause zurück am Vorabend des ersten Weltkrieges, in dessen Verlauf Er dauernd Gefahren ausgesetzt war bis zur Befreiung Palästinas durch die Streitkräfte unter General Allenby, der Ihm und der kleinen Gruppe Seiner Mitverbannten in Akka und Haifa die größte Hochachtung erwies.
1921 verließ Er diese Welt. Er wurde in dem auf dem Berge Karmel errichteten Grabmal beigesetzt, das nach dem Gebot Bahá’u’lláh’s für die sterblichen Reste des Báb, die nicht weniger als 60 Jahre einbalsamiert und verborgen und dann von Täbris nach dem Heiligen Land verbracht worden waren, errichtet war.
Die Verwaltungsordnung
Das Hinscheiden ‘Abdu’l-Bahá’s bedeutete das Ende des heroischen
Zeitalters des Bahá’i-Glaubens und bezeichnete zugleich den Beginn des
gestaltgebenden Zeitalters, das den schrittweisen Aufstieg der
Verwaltungsordnung des Glaubens schaffen soll. Ihre Errichtung war von dem
Báb vorhergesagt, ihre Gesetze wurden von Bahá’u’lláh geoffenbart, ihre
Umrisse wurden von ‘Akdu’l-Bahá in Seinem Willen und Testament
vorgezeichnet; ihre Grundlage wird zur Zeit durch die Nationalen und
Örtlichen Räte geschaffen, welche von den erklärten Anhängern des
Glaubens gewählt werden. Sie sollen den Weg zur Errichtung des Weltrates
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bahnen, der als das „Universale Haus der Gerechtigkeit“ bezeichnet wird.
Es muß in Verbindung mit mir, dem ernannten Haupt und bevollmächtigten
Ausleger der Bahá’i-Lehre, die Angelegenheiten der Bahá’i-Gemeinschaft
ordnen und leiten. Sein Sitz wird für dauernd im Heiligen Lande
errichtet werden, in nächster Nähe des geistigen Weltzentrums, dem
Ruheplatz der Begründer des Glaubens.
Die Verwaltungsordnung des Glaubens von Bahá’u’lláh ist dazu bestimmt, sich zu einem Bahá’i-Weltgemeinwesen zu entwickeln. Sie hat schon die Angriffe überdauert, die solche furchtbaren Feinde wie die Könige der Kadscharen-Dynastie, die Kalifen des Islam, die führenden Geistlichen Ägyptens und das Naziregime in Deutschland gegen ihre Einrichtungen gerichtet hatten, und hat ihre Zweige in alle Teile der Erde ausgedehnt, von Island bis zum äußersten Chile. In nicht weniger als 88 Ländern der Erde ist sie errichtet, und sie hat in ihren Bereichen die Vertreter von nicht weniger als 31 Rassen, darunter Christen verschiedener Bekenntnisse, Muselmänner der sunnitischen und schiitischen Sekten, Juden, Hindu, Sikhs, Zoroastrer und Buddhisten. Sie hat durch ihre festgesetzten Organe Bahá’i-Schriften in 48 Sprachen veröffentlicht und verbreitet. Sie hat ihren Bau durch die Eingliederung von fünf Nationalen Geistigen Räten und 77 Örtlichen Geistigen Räten allein in so abseits gelegenen Ländern wie Südamerika, Indien und den Antipoden gefestigt. Diese Körperschaften ermächtigen gesetzeskräftig ihre erwählten Vertreter, als Treuhänder der Bahá’i-Gemeinde deren Vermögen zu verwalten.
Die Verwaltungsordnung verfügt über internationale und örtliche Vermögenswerte, die auf einige Millionen Pfund Sterling geschätzt werden und über alle Erdteile verbreitet sind. Sie erfreut sich in mehreren Ländern der amtlichen Anerkennung durch die Zivilbehörden und ist dadurch befreit von Besteuerung ihres Besitzes und hat auch dadurch die Vollmacht, eine Bahá’i-Trauung zu vollziehen. Unter ihre stattlichen Bauten kann sie zwei Tempel zählen: der eine ist in Russisch-Turkestan, der andere am Ufer des Michigansees in Wilmette, nicht weit von Chicago.
Diese Verwaltungsordnung ist, im Unterschied von den anderen Systemen,
die sich nach dem Tode der Gründer in den verschiedenen Religionen
entwickelt haben, göttlich in ihrem Ursprung, beruht mit Gewißheit
auf den Gesetzen, Vorschriften, Verordnungen und Einrichtungen, die
vom Begründer des Glaubens selbst ausdrücklich niedergelegt und
unzweideutig festgesetzt sind und waltet in fester Übereinstimmung mit den
Auslegungen der bevollmächtigten Ausleger der heiligen Texte. Sie hat
trotz heftiger Angriffe seit ihrem ersten Beginn vermöge ihres Charakters,
der in den Annalen der religiösen Weltgeschichte einzig dasteht, mit
Erfolg die Einheit des so verschiedenartigen und weithin verbreiteten
Organismus ihrer Bekenner bewahrt und ihnen die Kraft gegeben, vereint
und methodisch in beiden Erdhälften Unternehmungen auszuführen, die
ihre Grenzen erweitern und ihre Verwaltungseinrichtungen festigen sollen.
Der Glaube, dem diese Ordnung dient, den sie schützt und fördert, ist,
das sollte in diesem Zusammenhang
[Seite 208]
wohl bemerkt werden, in seinem Wesen übernatürlich, übernational,
gänzlich unpolitisch, parteilos und jedem System oder jeder Schule von Ideen,
die irgendeine besondere Rasse, Klasse oder Nation über die andere
zu stellen sucht, völlig entgegengesetzt. Er ist frei von jeglicher Form
von Kirchentum, hat weder Priesterstand noch Riten und wird allein
durch freiwillige Gaben seiner erklärten Anhänger getragen.
Wenn auch die Bekenner des Bahá’i-Glaubens ihren Regierungen treu ergeben sind, in Liebe ihrem Vaterland verbunden und darauf bedacht, zu allen Zeiten dessen Wohl zu fördern, so werden sie doch, weil sie die Menschheit als eine Einheit betrachten und deren Lebensinteressen tief verpflichtet sind, ohne Zögern jedes Einzelwohl, sei es persönlich, örtlich oder national, dem übergeordneten Wohl der Menschheit als Ganzes unterordnen; denn sie wissen gar wohl, daß in einer Welt der gegenseitigen Abhängigkeit der Völker und Nationen der Vorteil des Teiles am besten durch den Vorteil des Ganzen erreicht werden kann, und daß kein Dauererfolg durch eines der zugehörigen Teile erreicht werden kann, wenn das Allgemeinwohl des Ganzen hintangestellt wird.
Auch darf die Tatsache nicht übersehen werden, daß der Glaube schon seinen unabhängigen religiösen Charakter verfochten und bewiesen hat, als er sich aus den Fesseln der Orthodoxie in gewissen Ländern des Islam befreit und in einem derselben ein ungefordertes Zeugnis einer unabhängigen religiösen Körperschaft bekommen hat. Auch wurde ihm schon beschieden, ein Glied eines Königshauses für seine Sache zu gewinnen.
Beiträge führender Persönlichkeiten
„Der Bahá’i-Glaube ist wie eine weite Umarmung“, so lautet der Beitrag der Königin Maria von Rumänien, „die alle versammelt, die nach Worten der Hoffnung gesucht haben. Er läßt alle großen Propheten der Vergangenheit gelten, Er zerstört keine anderen Bekenntnisse und läßt alle Türen offen... Die Bahá’i-Lehre bringt der Seele Frieden und dem Herzen Hoffnung. Wer nach Gewißheit forscht, für den sind die Worte des Vaters wie ein Quell in der Wüste nach langem Wandern... Es ist eine wunderbare Botschaft, die Bahá’u’lláh und Sein Sohn ‘Abdu’l-Bahá uns gegeben haben. Sie haben sie unaufdringlich verkündet, denn sie wissen wohl, daß der Keim ewiger Wahrheit, der in der Schale liegt, nur Wurzeln zu fassen braucht, um sich auszubreiten.... Es ist Christi Botschaft, die aufs neue gebracht wird, fast in denselben Worten, aber dem mehr als tausend Jahre alten Unterschied angepaßt, der zwischen dem Jahre eins und heute liegt... Wenn je der Name von Bahá’u’lláh oder von ‘Abdu’l-Bahá zu eueren Ohren kommt, so legt deren Schriften nicht beiseite. Lest in Ihren Büchern und laßt Ihre herrlichen, friedebringenden, liebeschaffenden Worte und Lehren tief sich in euere Herzen senken, so wie es auch bei mir geschah.“
„Die Lehren der Bábi“, so schrieb Leo Tolstoi, „...haben eine große
Zukunft... Daher sympathisiere ich mit dem Bábismus aus ganzem Herzen,
denn er lehrt die Menschenbruderschaft und Gleichheit und das [Seite 209]
Opfer des irdischen Lebens im Dienste Gottes. Die Lehren der Bábi, die aus
dem Islam zu uns herüberkommen, sind durch Bahá’u’lláh’s Lehren
weiterentwickelt worden und bieten uns heute die höchste und reinste Form
religiöser Lehre.“
„Bringt diese Grundsätze zu den Diplomaten“, ist der Rat des verstorbenen Präsidenten Masaryk, „zu den Universitäten, Kollegs und anderen Schulen und schreibt auch darüber. Dies sind die Menschen, die den Weltfrieden bringen werden.“
„Die Bahá’i-Lehre“, so lautet das Zeugnis des Präsidenten Eduard Benesch, „ist eines der größten Instrumente für den endgültigen Sieg des Geistes und der Menschlichkeit... Die Bahá’i-Sache ist eine der großen moralischen und sozialen Mächte in der weiten Welt von heute. Ich bin angesichts der wachsenden moralischen und politischen Krise in der Welt mehr denn je davon überzeugt, daß wir eine größere, gemeinsame internationale Ordnung haben müssen. Eine Bewegung wie die Bahá’i-Sache, die den Weg zur Weltorganisation des Friedens ebnet, tut uns not.“
„Wenn wir zu irgendeinem Propheten der neueren Zeit gehen müssen“, so bekräftigt der Rev. T. K. Cheyne in seinem Buche „Die Versöhnung der Rassen und Religionen“, „so ist es Bahá’u’lláh. Der Charakter ist der letzte Maßstab. Bahá’u’lláh war ein Mann der höchsten Klasse, der der Propheten.“
„Es ist tatsächlich möglich“, so erklärt Viscunt Samuel of Carmel, „aus allen Glaubensbekenntnissen grundsätzliche Übereinstimmungen herauszulesen. Dies ist das Hauptziel der Bahá’i-Religion, deren Gründung und Heranwachsen eine der auffallendsten Kräfte ist, die aus dem Orient in den letzten Generationen hervorgegangen sind.“
„Palästina“, so bezeugt Prof. Norman Bentwich, „kann tatsächlich jetzt als das Land nicht von drei, sondern von vier Glaubensbekenntnissen angesehen werden, denn der Bahá’i-Glaube, der sein Zentrum und Wallfahrtsziel in Akka und Haifa hat, erreicht nachgerade den Charakter einer Weltreligion. Soweit sein Einfluß im Lande reicht, ist er eine Macht, die für internationale und interreligiöse Verständigung wirkt.“
Und schließlich noch das Urteil einer so hervorragenden Gestalt wie die des verstorbenen Meisters von Balliol, Prof. Benjamin Jowett: „Die Bábi-Bewegung, das ist gar nicht unmöglich, wird vielleicht die Verheißung der Zukunft in sich tragen.“
Prof. Lewis Campbell, ein hervorragender Schüler von Dr. Jowett, hat diese Erklärung bekräftigt, indem er dessen Ausspruch zitiert: „Diese Bahá’i-Bewegung ist das größte Licht, das in die Welt gekommen ist seit der Zeit Jesu Christi. Ihr müßt auf sie achten und sie nicht aus eueren Augen lassen. Sie ist zu groß und zu nahe, als daß dieses Geschlecht sie erfassen könnte. Die Zukunft allein kann ihre Bedeutung enthüllen.“
GOTTESDIENST IN EINEM GLAUBEN[Bearbeiten]
Von Bertha Hyde Kirkpatrick
Zu den Dingen, die manchen im Anfangsstadium der Erforschung der
äußeren Beweise und Merkmale des Bahá’i-Glaubens umwälzend erscheinen,
gehört die Form der Anbetung. Oft wird gefragt: Was nimmt im
Bahá’i-Glauben den Platz des wöchentlichen Gottesdienstes des
christlichen und jüdischen Glaubens ein? Andere, wenn ihnen von einer
universalen Religion, ohne Sekten oder Spaltungen, mit einem universalen
Haus der Anbetung gesagt wird, fragen oft: Brauchen wir nicht viele
Arten der Anbetung, um die religiösen Bedürfnisse der verschiedenen
Menschen zu befriedigen, weil die einzelnen Menschen so verschieden
sind in Temperament, Glauben und geistiger und verstandesmäßiger
Veranlagung? Wir sind mit der Freiheit des Glaubens und der Anbetung
vertraut, und darum scheint es manchen unnötig und vielleicht gar intolerant,
vorwärts zu blicken auf eine Zeit, in der alle Menschen ohne Rücksicht auf
früheren oder überkommenen Glauben ihre Andacht gemeinsam in einem
universalen Haus der Anbetung verrichten werden. Aber weiteres
Studium der Lehren von Bahá’u’lláh vergegenwärtigt uns, daß Er der
Menschheit nicht ein willkürliches Gebot gab, das die Menschen in eine
gemeinsame Form zwingt, sondern etwas unendlich viel Größeres, die
Aufrichtung der grundlegenden Einheit aller wahren Religion.
Der Gedanke und die Ausübung religiöser Toleranz hat in den letzten Jahren Fortschritte gemacht, aber es scheint für die Menschen schwierig, die große Wahrheit der Einheit in der Religion zu erfassen. Daran ist zum Teil schuld die Gleichgültigkeit gegen Religion und Glauben, zum Teil die Tatsache, daß wir auf die Unterschiede der Religionen der Welt, so wie sie heute geübt werden, sehen. Und wahrlich, diese Unterschiede sind groß. Aber Bahá’u’lláh ruft uns auf, die Grundlehren jener heiligen Botschafter Gottes zu betrachten, die in allen Fällen und trotz aller Auflehnung die Liebe zu Gott und zu den Mitmenschen lehrten und aufrichteten. Unterschiede sind bedingt durch die Bedürfnisse der Zeit und durch spätere von den Menschen vorgenommene Auslegungen der ursprünglichen Lehren, durch Riten und Zeremonien, die durch den Priesterstand eingeführt wurden.
Aber es ist mehr als nur die verstandesmäßige Annahme der Tatsache
der Einheit der Religion, was den aufrichtigen Sucher die Worte
Bahá’u’lláh’s erwägen, religiöse Unterschiede vergessen und mit Freude
wissen läßt, daß die großen vom heiligen Geist beseelten Propheten, die
eine reine Religion begründeten, nicht nur im Wesen die gleiche Botschaft
von Gott brachten, sondern, daß Sie eins sind im Geist, da Sie
ja alle von dem einen, ihnen innewohnenden Geist Gottes bewegt werden, „alle
erschienen sind und den Ruf erhoben mit dem einen Vorsatz, die Welt des
Menschen in das Reich Gottes umzuwandeln“. Er weiß auch, daß durch
Bahá’u’lláh Gott wieder den Ruf erhob, das Reich Gottes auf Erden zu
errichten und die Einheit der Religion
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zum Grundstein des Reiches Gottes machte, zur notwendigen Basis
für dauerhaften Frieden.
Jene, für die diese Wahrheit zur Wirklichkeit wird, finden sich froh zum Gottesdienst zusammen, ob sie vom christlichen, jüdischen oder einem anderen Glauben herkommen, und stellen die Riten, Bekenntnisse und Zeremonien des früheren Glaubens beiseite.
So ist der Bahá’i-Gottesdienst einfach, denn entsprechend den Anweisungen Bahá’u’lláh’s gibt es im Bahá’i-Glauben keine Priesterschaft, keine Predigten, keine Riten. Religiöse Unterweisung wird in der Schule, zu Hause und in besonderen Klassen erteilt. Seit dieser neuen Sendung von Bahá’u’lláh in dem Zeitalter, da die Menschheit ihre geistige Reife erreicht, ist eine Priesterschaft nicht länger nötig; jeder einzelne ist für sein eigenes Nähertreten zu Gott und für seine Gemeinschaft mit Ihm selbst verantwortlich. Geoffenbarte Gebete und andere heilige, durchgeistigte Worte und Betrachtungen werden verwandt. Jeden Morgen und Abend werden Gebete und heilige Texte im universalen Haus der Anbetung, das für jede Gemeinde vorgesehen ist, gelesen oder gesungen. Tägliche Pflichtgebete bringt jeder einzelne zu Hause dar. Gottesandacht wird geübt und soll besonders gepflegt werden beim Einigkeitsfest, das alle 19 Tage abgehalten wird.
Shoghi Effendi, der Hüter des Bahá’i-Glaubens, macht uns die Bedeutung, Schönheit und Wirksamkeit des Bahá’i-Gottesdienstes klar, wenn er schreibt:
„Das zentrale Haus der Anbetung der Bahá’i... wird in seinen edlen Mauern in gehobener, geistiger Atmosphäre nur solche versammeln, die, indem sie für immer das schmückende Beiwerk und die prunkende Zeremonie verwerfen, bereitwillige Anbeter des einen wahren Gottes sind, wie Er in diesem Zeitalter durch die Gestalt Bahá’u’lláh’s geoffenbart wurde...
Sie werden der Überzeugung sein, daß ein alliebender und immer wachsamer Vater, der in der Vergangenheit und bei verschiedenen Stadien in der Entwicklung der Menschheit Seine Propheten als die Träger Seiner Botschaft und die Offenbarungen Seines Lichtes für die Menschheit ausgesandt hat, in dieser entscheidenden Periode ihrer Zivilisation, Seinen Kindern die Führung nicht vorenthält, die sie so dringend brauchen, inmitten der Dunkelheit, die sie umgibt und die weder das Licht der Wissenschaft, noch das menschlichen Verstandes und menschlicher Weisheit erfolgreich vertreiben kann.“
DER JUNGE MENSCH UND DIE WELT[Bearbeiten]
Zum Bahá’i-Weltjugendtag am 15. Februar 1948*)
Von Dr. Eugen Schmidt
Der heutige Tag gilt in der Bahá’i-Welt unserer Jugend, die sich in mehr
als 80 Ländern, in Hunderten von Gemeinden und Städten, unter dem
Banner der Weltreligion unserer Zeit zusammenfindet, getreu einer vor
[Seite 212]
mehr als 80 Jahren in Persien von Bahá’u’lláh an die ganze Menschheit
verkündeten Botschaft: „Ruhm gebührt nicht dem, der sein eignes Land
liebt, sondern vielmehr dem, der die ganze Erde liebt. Die Welt ist nur
eine Heimat und die Menschen ihre Bürger.“
Muß sich nicht das Herz eines jeden jungen Menschen weiten, wenn sich ihm die Welt durch eine solche Botschaft öffnet, als ein großer, weiter Lebensraum? Wir wollen aber den Boden der Wirklichkeit nicht verlieren und müssen uns eingestehen, daß nach dem, was hinter uns liegt, die Jugend sich nicht so ohne weiteres einer solchen Botschaft aufschließt. Wir wissen, daß es das Vorrecht der Jugend ist, optimistisch, lebensbejahend zu sein. Aber stellen wir nicht überall, besonders bei unserem Volk und seiner Jugend, fest, daß einem Lebensmut eine ungleich stärkere Skepsis gegenübersteht? Wir wissen, daß die zwölf Jahre eines totalitären Machtregimes dem heranwachsenden Geschlecht jener Zeit die frische Luft geistiger Blickweite und unabhängiger Forschung entzogen haben. Mißbrauchtes Vertrauen und seelischer Zwang verstockten das Herz so vieler Junger Menschen. Daraus erklärt sich weitgehend die geistige Haltung, die seelische Einstellung unserer Jugend zu den heutigen Lebensfragen. Wo man sich umschaut, wenn man die Jugendzeitschriften in die Hand nimmt, wenn man junge Menschen hört, dann ist die zutage tretende seelische Haltung der Jugend offensichtlich leider mehr durch Mißtrauen, durch Hoffnungslosigkeit, durch Apathie oder Resignation, durch Zurückhaltung gekennzeichnet, als durch eine gläubige, frohe Bereitschaft für den Aufbau eines neuen Lebens, einer neuen Gemeinschaft. Man spricht heute wohl mit Recht von einem politischen und religiösen Nihilismus, der sich auch in unsere Jugend hineinfrißt. Wir wissen, daß man mehr und mehr ein abwehrendes Verhalten seitens unserer Jugend gegenüber der älteren Generation feststellt. Es heißt in einer Zeitschrift: „Sie (die Jungen) leben mit widerspruchsvollen Erinnerungen in der Gegenwart, ohne Illusionen, ohne große Hoffnungen, ohne Träume. Sie lernten nichts kennen als jene eine Macht und die vielfältige, verwirrende Gegenwart.“
Anderswo heißt es in einer Jugendzeitschrift: „Die alten Götter sind
verbrannt worden. Die neuen erscheinen keineswegs verehrungswürdig.“
Einem Artikel „Jugend ohne Zukunft“ entnehmen wir die besorgte
Frage: „...Was soll werden, wenn eine ganze Jugend nicht nur materiell,
sondern auch geistig von der Hand in den Mund lebt, wenn sie
dem sich formenden Gemeinwesen ihr Interesse und ihre tätige Mitwirkung
versagt?“ Im Hinblick auf die Erlebnisse der Jugend bis zum Zusammenbruch
heißt es, daß sie jedes Vertrauen zu allem verloren habe, „was
von der älteren Generation vorgeschlagen wird. Sie wittert überall
nichts als Versuche, sie wieder für einen neuen Glauben einzuspannen.
Sie verlangt gebieterisch nach Wissen“. Hier, glauben wir, ist
eines der Kriterien für die heutige Haltung der Jugend, dem wir voll
Rechnung tragen müssen. Die Jugend hat ein unverbrüchliches Recht auf
Eigenverantwortlichkeit, auf unabhängige Erforschung der Wahrheit, die
vornehmlich eine weitgehende Vertrautmachung mit den Religionen und
Kulturen der
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anderen Völker und Rassen erheischt. Aber ohne farbige Brille, ohne fremde
Hilfe, muß sich der junge Mensch über die Welt, über das, was geschehen ist
und was heute geschieht, unterrichten können und wir begrüßen es,
daß gerade auch von den westlichen Siegerstaaten alles getan wird,
um die Freiheit der Nachrichten, der Orientierung, der Informationsmittel
mehr und mehr zu gewährleisten. Nur eine freie Wahrheitsfindung führt
den jungen Gralssucher zu dem befreienden Erlebnis selbsterarbeiteter Einsicht,
einer Einsicht, daß der Mensch in seinen geistig-sittlichen
Wertsetzungen und Zielen nicht national oder rassisch gebunden
ist, ja daß ihm in diesem Sinne die ganze Welt gehört. Er findet so den
Weg zu einer Weltschau.
Er muß sich allerdings von der materialistischen Denkweise der vergangenen Jahrhunderte losmachen, von einer Denkweise, die immer wieder nur von den Erscheinungen ausgeht und zuerst die äußeren Verhältnisse zu ändern bestrebt ist. Es geht heute darum, auch der Jugend den Weg freizumachen zu einer genetischen Lebensbetrachtungsweise, d. h., daß auch sie das Zweit- und Drittrangige von dem Wichtigsten und von den Voraussetzungen des Lebens unterscheiden lernt, daß sie aus der Vergangenheit heraus erkennt, daß die Katastrophe, daß dieser Bankrott, vor dem nicht nur das deutsche Volk, sondern die ganze Menschheit auf Grund der letzten Jahrhunderte steht, tieferreichende, geistige Wurzeln hat. Deshalb ist eine Spiritualisierung, d. h. eine Vergeistigung des kritischen Denkens notwendig. Das reale und geistige Trümmerfeld Deutschlands und Europas läßt sich nicht allein ökonomisch, politisch oder soziologisch erklären. Die Wurzeln der Katastrophe, wir wissen es, sie liegen viel, viel tiefer. Aber gerade dieser Umstand, diese geistige Verwirrung als notwendige Folge der beiden Weltkriege, die Schwierigkeit, deren Ursachen und Verwurzelung zu erkennen, die Not, in der wir heute doch ziemlich ratlos, ganz allgemein betrachtet, stehen, machen es der Jugend unendlich schwer, sich zurechtzufinden.
Es wird eine neue Philosophie dargeboten. Man spricht von einer neuen
Lebensbetrachtung, vom persönlichen, vom individuellen Sein oder Dasein
ausgehend. Man frägt von neuem: Was ist der Mensch? Was bedeutet
dieses Leben? Hat dieses Leben überhaupt noch einen Sinn? Man untersucht
die Existenz des Menschen und die Hintergründe seines Lebens. Innerhalb
dieser Anschauung, der sogenannten Existentialphilosophie, beobachtet
man schon wieder zwei Strömungen, die sich scharf voneinander abzeichnen.
Eine Richtung, die seltsamerweise — und zwar vorerst speziell in
Frankreich — bei der Jugend so großen Anklang findet, geht ganz
kompromißlos von der Nichtexistenz Gottes aus und will
mit einer, wie sie glaubt, logischen Konsequenz, das Leben des Einzelnen
von seiner „Verlassenheit“ ableiten, wobei man natürlich zu seltsamen
Konsequenzen, zu der Moral des Sinnlosen, kommt. Auf der anderen Seite
wird versucht, die Existentialphilosophie von der christlichen Warte aus
darzustellen und von dieser aus eine Antwort zu finden, wie sie vor allem
von der katholischen Seite, vom Vatikan aus, erfolgt. Es wird gesagt, daß
gerade diese Ausweglosigkeit unserer
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Zeit der unleugbare Beweis dafür ist, daß der Mensch wieder zurückfinden
muß zur Religion, zu Gott, zu Christus. Aber auch materialistische
Strömungen sind überall am Werk. Man bezeichnet sie vielfach mit einer
rationalen Auffassung des Lebens: man appelliert an den Verstand und man
glaubt erneut, daß es eigentlich nur der Verstand, ein ganz klares,
nüchternes, vernünftiges Denken sein könnte, um uns aus dieser
Katastrophenlage herauszuführen. Wie sieht es im religiösen Bereich aus, wenn
sich heute der junge Mensch informieren möchte? Müssen wir nicht
leider feststellen, daß die kirchlichen, die konfessionellen Grenzen sich
immer noch stärker erweisen als die Kräfte der christlichen Una-Sancta-Bewegung?
Wir wollen dabei nicht außer Betracht lassen, denn wir müssen weltweit
denken, daß es ja nicht nur die Angehörigen der christlichen
Religion sind, die nach einer Einheit streben müssen, sondern auch ein
großer, ein noch größerer Teil der Menschheit, der nach anderen
religiösen Vorstellungen, Auffassungen und Überlieferungen lebt. Wo sind
die Brücken, die vom christlichen Bekenntnis zu den anderen
Offenbarungsreligionen führen? Was lehrt den jungen Menschen das Geschehnis
in Indien, wenn er jetzt von der Nachricht überrascht wurde, daß Mahatma
Ghandi einer furchtbaren Verirrung religiösen Fanatismusses zum Opfer
fiel? Daß einer der edelsten Menschen unserer Zeit der Menschheit jäh
entrissen wurde, ein Mensch, der wirklich mit der ehernen und selbstlosen
Konsequenz nicht nur seinem eigenen Volk, sondern der ganzen Menschheit
gezeigt hat, wie man aus seiner innersten, religiösen Verantwortung heraus
diese furchtbar tragischen Gegensätze konfessioneller oder dogmatischer
Auffassung überwinden kann und muß, um zur Einheit durchzustoßen,
um gerade auch seine hohe, früher doch kulturell so hochstehende
Religion zu einem einigenden, versöhnenden Glauben zurückzuführen.
Wenn der Menschheit solche Beispiele gegeben werden, so sind sie wie ein Fanal, wie ein Weckruf, daß man sich endlich auch von jeder religiösen Engstirnigkeit lossagen muß. Wir fragen uns hier mit Recht, ob der Zustand überwunden ist, in dem die Religion und die Philosophie zur Dienerin der Politik oder der Theologie gemacht werden? Wir wissen, die Religion kann und darf nicht länger privatisiert, noch politisiert oder ökonomisiert werden. Das soll heißen: die Religion muß überhaupt der Lebensgrund des Menschen in allen seinen Daseinsbereichen sein. Man kann die Religion nicht wie einen Sektor herausschneiden aus unserem Leben. Das war ja gerade das Verhängnis. Auch die Theologie verfiel der Gefahr und hat dazu geführt, daß sie in der Religion nicht, wie es ihrem Wesen, nach Worten von Bahá’u’lláh, entspräche, zur Eintracht führte, sondern sie hat Spaltungen wachgerufen. Wenn man die Gründe untersucht, sind es nicht entscheidende, sondern zweitrangige Fragen, worüber man sich nicht zwingend einigen konnte, weil es menschliche Konzeptionen waren, die nicht ganz klar auf dem Boden des Wortes Gottes fußen.
Wir wollen eine Religion der Tat, eine Religion, die wirklich in alle
Lebensbereiche hinein zu strahlen, hinein zu wirken vermag. Dabei wollen
wir uns kurz auch mit der Mentalität des Deutschen, vor allem des
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jungen deutschen Menschen, befassen. Hier droht nämlich immer wieder
eine Gefahr, die nach den jüngsten Erfahrungen nicht von der Hand zu
weisen ist, nämlich die, daß der deutsche Mensch seelisch sich spaltet.
Unser Nachbarvolk, die Franzosen, weisen immer wieder darauf hin, daß
man uns nicht recht trauen könnte. Wir seien ein Menschentyp, ein
Nationaltyp, den man nicht fassen könne, der nie fertig sei, der sich aber
dessen rühme. Deshalb sei er gefährlich und sei er aggressiv. Man zitiert z. B.
Nietzsche: „Die deutsche Seele hat Gänge und Zwischengänge in sich.“
Hier liegt aber ein tragisches Verbängnis vor, daß nun auch wir Deutsche
allgemein glauben, daß das nun wirklich ein deutscher Wesenszug
wäre. Dieser faustische Trieb „Ach, zwei Seelen in meiner Brust!“ wird
geradezu zu einer deutschen und deshalb einmaligen Wesenshaltung
gestempelt. Wir wissen aber, daß diese Zweiheit, diese zwei Mächte in
unserer Brust, das Kennzeichen für jeden Menschen überhaupt sind. Ob man
nun diese Kräfte mit Licht und Finsternis, Gut und Böse oder Hoch und
Nieder bezeichnet, ist nicht entscheidend. Die Menschen stehen ja immer
durch ihr Gewissen bei allen Entscheidungen, in allen Situationen vor
einem Tatbestand, der von innen her, d. h. eben vom Gewissen her, ein Ja
oder Nein erfordert. Es mag wohl sein, daß wir Deutsche aus unserer
ganzen Geschichte, Tradition und Anlage heraus, leichter vielleicht
als die Franzosen, die Neigung haben, uns mehr den Gefühlen anzuvertrauen
und nicht das ganz kühle, nüchterne Denken parallel mit einzuschalten
wissen. Deshalb sagt man ja auch, dem Deutschen sei seine Gefolgschaftstreue,
die Gefahr, die Vernunft an das Gefühl, an das Unbestimmbare zu verraten,
besonders eigentümlich.
Rufen wir uns das Gelöbnis der deutschen Jugend von 1913 auf dem
Hohen Meißner ins Gedächtnis zurück. Damals, also wenige Monate vor
dem ersten Weltbrand, sammelte sich die deutsche Jugend mit der ehrlichen
Absicht, sich gegen die starre überlieferte und verbürgerlichte
Gesellschaftsform zu wenden und aus einer eigenen, freien, lebensnahen
Verantwortung heraus sich ihr Leben zu gestalten. Jene junge Generation hat
damals schöne Thesen formuliert. Sie sprach von innerer Wahrhaftigkeit,
von Selbstzucht, von Überzeugungstreue, von der Verwirklichung des
echten Gemeinschaftsgedankens. Sie hat sich sogar gegen den Alkohol- und
Nikotingenuß ausgesprochen, Zu bald, ach zu bald, sollte dann diese
Jugend in den ersten Weltkrieg eintreten, und wir wissen, daß leider
viele, vielleicht der größere Teil, nun eben aus einer irregeleiteten
Begeisterung heraus, dann zu den Waffen griff. Nach diesem furchtbaren Kriege
wurde der Ruf: „Nie wieder Krieg!“ in der Jugend erneut laut, und zwar
nicht nur in der deutschen Jugend, sondern in fast allen europäischen
Ländern. Man hatte sich entschlossen, einen Weltbund der Jugend für
den Frieden zu gründen. 1919 wurde eine Weltjugendliga gebildet. Es
folgten internationale Aussprachen und Veranstaltungen. Die Weltbundidee
ist dann 1924 von einer amerikanischen Jugendgruppe aus Quäkerkreisen
(Harrison) hinausgetragen worden. Diese Bewegung nun konnte ihre
Stoßkraft gegen nationalistische und imperialistische Bestrebungen der
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Nachkriegszeit nur durch Einmütigkeit und Einheit erreichen. Am
Fehlen einer solchen tatkräftigen Phalanx trat die Schwäche dieser
überbündischen und internationalen Jugendbewegung deutlich zutage. Das
erste große Weltjugendtreffen auf deutschem Boden, auf der Freusburg
im Sommer 1927, drohte aus diesem Grunde zu scheitern. Mir bleibt dieses
Erlebnis unvergeßlich. Bei einer Gedenkstunde am 1. August 1927 trafen
sich alle Tagungsteilnehmer auf einsamer Höhe am Feuer und der Dichter
Fritz von Unruh hielt eine Feuerrede, eine Gedenkrede zum Ausbruch
des ersten Weltkrieges. An der Sammelstelle trat nun eine Gruppe des
Jungnationalen Bundes (Deutsche Jungenschaft) mit ihrer Bundesfahne
auf, die die deutsche Kriegsmarineflagge war. Ein heftiger Protest wurde
von sozialistischer Seite laut und viele andere Stimmen schlossen sich diesem
Protest an. Die ganze Tagung schien durch diesen Zwischenfall jämmerlich
auseinanderzubrechen und nur dank einiger beherzter, klarer und
vor allem versöhnlicher Köpfe ist es durch einen Appell an alle
Teilnehmer in letzter Minute gelungen, das Scheitern der Tagung zu verhindern.
Aber trotzdem, wie ein Blitz, wie ein jähes Licht, flammte die Uneinigkeit,
nämlich die innere Uneinigkeit der Jugend durch diesen Zwischenfall
auf. Die trennenden Kräfte blieben stärker als die verbindenden. Das
Friedenspostulat, unter dem sich ja damals die deutsche Jugend einmütig
zusammengeschlossen hatte, war noch zu sehr dem Gefühlsbereich verhaftet,
noch von wilhelminischem Denken umflort, und krankte an seiner
moralischen Vieldeutigkeit. Denn man kann ja den Frieden aus sehr
verschiedenen Gründen wollen. So war es nicht verwunderlich, daß von den
Arbeitsgemeinschaften der Tagung jene, die sich mit Religion und
Weltanschauung befaßte, zu keiner Thesenformulierung kam. Es zeigten sich
hier sofort die auseinanderstrebenden protestantischen, katholischen und
freidenkerisch-materialistischen Strömungen innerhalb der Jugend. Dies
beweist wiederum, daß eine Einigung, daß eine Einheit von der geistigen
Fundierung ausgehen muß, daß überhaupt der Gedanke der Einheit in
seiner vollsten Konsequenz verstanden und verfolgt werden muß.
Die Jugend hat ein Recht darauf, im besten, tiefsten und breitesten Sinne des Wortes über diese Zusammenhänge aufgeklärt zu werden. Die Werte: Freiheit, Moral, Glauben, Wissen und Religion müssen in den Mittelpunkt einer traditionsballastfreien, einer geschichtswahren, einer vorurteilslosen Wesensschau gestellt werden. Bahá’u’lláh sagt: „Laß deine Schau viel mehr weltumfassend als begrenzt auf dein eigenes Selbst sein!“
Wir wissen, daß jede äußere Ordnung, wenn sie eine organische
und eine freiheitsbestimmte ist, eine innere, eine
geistige Ordnung zur Voraussetzung hat. Aus bitterer
Erfahrung und täglichen Berichten erkennen wir, daß die Zukunft unseres
Volkes und Europas, ja der ganzen Menschheit, mit der Möglichkeit
der Schaffung einer neuen Weltordnung steht und fällt. Was aber noch
nicht eindringlich genug in das Bewußtsein der Menschen und der Völker
getreten ist, ist die Tatsache, daß eine sittliche Ordnung im politischen,
im wirtschaftlichen, im sozialen Bereich aus dem Geiste, aus dem Logos,
aus dem Worte Gottes, aus dem
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Willen Gottes hervorgeht. Eine solche organische Ordnung muß im wachen
Gewissen der Menschen verankert sein und nicht in irgendwelchen äußeren
Dokumentierungen oder organisatorischen Einrichtungen. Denn immer
wieder ist es der Mensch, der eine Einrichtung oder ein Werkzeug
mißbrauchen kann, wenn die Entscheidung des Herzens in Verbindung
mit einer klaren verstandlichen Erkenntnis fehlgeleitet ist.
Bahá’u’lláh hat in den sechziger Jahren des vorigen Jahrhunderts sich mahnend und fordernd zugleich an die ganze Menschheit gewandt. Er offenbarte einen einigenden, mit allem wahren Wissen versöhnten Weltglauben, einen Weltplan, eine welterlösende Ordnung der Gerechtigkeit und der Liebe, die von den Schwingen der Religion und der Wissenschaft getragen sein wird. Denn das hat uns ja nun gerade auch die jüngste Vergangenheit gelehrt, daß, wenn die Wissenschaft, d. h. die wissenschaftlichen Ergebnisse nicht bewußt in den höheren Zusammenhang der Religion als Verbindung zum Schöpfer gestellt werden, wenn die Wissenschaft sich weiterhin so emanzipiert, so lossagt von der moralischen, sittlichen Orientierung und Bindung, es nicht auszusprechen ist, was der Menschheit droht. Professor Albert Einstein hat sich am 19. September 1947 als Mitglied des „Emergency Committee of Atomic Scientists, Inc.“ an das Hilfskomitee der amerikanischen Quäker brieflich gewandt und u. a. geschrieben: „... Was wir nicht verlieren dürfen, wenn wir nicht alles verlieren wollen, ist unsere Bereitschaft, die Wahrheit zu suchen, und unseren Mut, der Wahrheit gemäß zu handeln. Wenn wir das behalten, können wir nicht verzweifeln... Wir fordern: ‚einen größeren Realismus, der erkennt, daß... unser Schicksal mit demjenigen unserer Mitmenschen auf der ganzen Welt verbunden ist‘.“
Im Zeichen der Weltreligion Bahá’u’lláh’s wird wahre Freiheit
freiwillige Unterwerfung unter den Willen Gottes sein, wird nach Seinen
Worten die Quelle des Mutes und der Macht die Förderung des Wortes
Gottes und die Standhaftigkeit in Seiner Liebe sein. Er sagt, daß
Vertrauenswürdigkeit das größte Tor zur Sicherheit und Ruhe der Menschheit
sei. In der Bahá’i-Weltreligion leuchtet der Gedanke der Einheit,
der geistigen Einheit der Menschheit, in erhabenster Konsequenz auf. In dem
Buch von Emery Reves: „Anatomie des Friedens“, in dem sich der
Verfasser mit der Weltfriedensfrage grundlegend und in jeder Richtung
auseinandersetzt, spricht dieser aus, daß die menschliche Gesellschaft nur
durch einen Universalismus gerettet werden könne. Er spricht im Hinblick
auf das Versagen der Religion — im konfessionellen Sinne des Wortes — von
der „unwiderstehlichen Macht der neuen Religion des Universalismus“. Was
will er damit sagen? Mit „Universalismus“ will er nichts anderes klarmachen,
und in diesem Sinne setzt er sich mit allen Offenbarungsreligionen der
Vergangenheit klar auseinander, daß es eine Religion sein muß, die alles umfaßt,
nämlich alle Lebensbereiche, alle Völker, die ganze Menschheit. Daß es
irgendwann doch aufhören muß, von Konfessionen zu sprechen und zu fragen:
Welcher Konfession gehörst du an? Denn wir gehören alle einer
Religion, nämlich der Religion Gottes an und wir bekennen uns ja als
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Menschen. Dies ist das Entscheidende, daß wir zuerst Menschen
sind und erst in zweiter Linie Angehörige einer Nation oder Rasse. Der Geist
trägt keine Hautfarbe. Jede Offenbarungsreligion war ursprünglich universell.
Warum? Weil die Wahrheit, weil das Wort Gottes universell ist. Diese
Einsicht muß aber Gemeingut aller Menschen, Völker und Rassen werden.
Der Gedanke der Auserwähltheit bestimmter Völker, der Auserwähltheit
im Sinne von Vorrechten, ist endlich als Irrlehre entlarvt worden. Alles,
was Menschenantlitz trägt und guten Willens ist, tritt in den Dom der
Einheit der Menschheit ein. Die Großen des Geistes reichen sich über
Grenzen, Berge und Meere hinweg die Hand. Geistiger Heroismus wird
fortan menschheitsverbunden sein.
Im deutschen Raum sind endlich die „Siegfriedvorstellungen“ zersprungen, an denen sich immer wieder unsere Jugend begeisterte. Die Glaubenskraft und Glaubensinnigkeit des deutschen jungen Menschen bedürfen einer neuen Ausrichtung: Das Wissen um sein Menschsein wird weltweit und geistestief, seine Sehnsucht und Seelentiefe können nicht mehr durch trügerische Idole eingefangen oder mißbraucht werden. Gläubig und wissend, frei und unabhängig, vorurteilslos und aufgeschlossen, stößt er die Tore auf zum liebenden Verstehen der Welt, zum Zwiegespräch mit den Dus anderer Völker, Rassen und Bekenntnisse. Wenn er dem Rufe von Bahá’u’lláh folgt, wird er ein Fackelträger des Friedens, dessen Feuer er am Geist der Liebe entzündete. Weder Mystizismus noch Rationalismus irgendwelcher Färbung können ihn verstricken, weil er dem Sonnenlicht göttlicher Führung vertraut, dem sich Herz und Verstand aufschließen. Glauben und Wissen, aus eigener Verantwortung und Hingabe erworben, werden ihm zum Unterpfand der Einheit von Intuition und Erkenntnis. Seine Liebe und seine Tat erstrecken sich so in wachsendem Maße auf die ganze Menschheit. Die ganze Erde wird ihm zur Heimat, die weltumspannende Bruderschaft eine heilige, eine unabdingbare Verpflichtung und Aufgabe zugleich.
So möge der heutige Bahá’i-Weltjugendtag zum Fanal tatverbundener Freudigkeit und Lebensbereitschaft der friedensgewillten Jugend in der ganzen Welt werden!
*) Nach einem in Stuttgart (Schubertsaal)
an diesem Tag gehaltenen Vortrag.
GANDHI[Bearbeiten]
Von Günther Heyd, Hamburg
- „Das Licht ist gut — in welcher Lampe es auch leuchten mag.“
- (‘Abdu’l-Bahá)
„Ich weiß nicht, wie ich es sagen soll! Der Vater lebt nicht mehr“ —.
Mit diesen erschütternden Worten teilte Pandit Nehru, der ehemalige
Schüler Gandhis und Ministerpräsident der Indischen Union, am Abend
des 30. Januar dem indischen Volk das Scheiden seines Lehrers von dieser
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Erde mit. „Das Licht ist aus unserem Leben gegangen“, fuhr Nehru
schmerzerfüllt fort, „und wir, die wir ihn viele Jahre lang gesehen haben,
können uns nun nie mehr um Rat oder um Tröstung an ihn wenden.
Dies ist nicht nur für mich, sondern auch für die Millionen und aber
Millionen Menschen unseres Landes ein fürchterlicher Schlag.“
Der „Mahatma“, die „Große Seele“, ist nicht mehr. Aber ein Hauch von dieser großen Seele hat uns alle angerührt, denn wir fühlen: Es hat nicht nur Indien seinen größten Sohn, es hat vielmehr die Menschheit eines ihrer schönsten und leuchtendsten Beispiele verloren. Sein Leben bestand darin, Menschen von der Gewalt abzubringen und zum Frieden und zur Nächstenliebe zu erziehen. Religiöser Fanatismus hat ihn jetzt zum Märtyrer für die Sache der Gewaltlosigkeit gemacht. Denn für jeden, der Indien kennt, ist es außer Zweifel, daß er jetzt, nach seinem Tode, in noch verstärktem Maße als ein Heiliger im Herzen nicht nur seines eigenen Volkes, sondern vieler Menschen in aller Welt weiterleben wird. So ist der gewaltsame Tod dieses Einen, der selber keinem Lebewesen je etwas zu Leide tun konnte, nur scheinbar sinnlos. Der höhere Sinn ist heute noch verborgen, aber eines Tages wird er offenbar werden als ein Baustein zur Vollendung. Der sich schon dem Ende seines achten Lebensjahrzehntes Zuneigende hatte, als er, zur Andacht schreitend, unter den Schüssen eines jungen Fanatikers zusammenbrach, sein politisches Lebenswerk vollendet: die Freiheit Indiens. Sein anderes, das ethische Lebensziel harrt noch anderer Kräfte.
Gemäß seinem Worte „Die Freiheit ist keine Treibhauspflanze“ hatte Gandhi sich an die Spitze seines Volkes gestellt in diesem Freiheitskampfe, den er ohne Blutvergießen führen wollte. Aber nicht so sehr dies war seine eigentliche Größe, sondern daß er sich immer und immer wieder, wann und wo sein Gewissen es ihm befahl, den fanatischen Massen seines eigenen Volkes entgegenstellte. Er fürchtete weder Unpopularität noch Flüche, weder Erniedrigung noch Tod oder, was vielleicht noch schlimmer sein kann für einen Mann der Öffentlichkeit: Vergessenheit und Spott. Denn immer wieder konnte man es schon vor einem Jahrzehnt und länger in Indien hören, von den Professoren in Bombay, in Lahore, in Kalkutta und in Delhi und von den jungen Studenten — und nicht nur von jenen, die sich Sozialisten, Kommunisten, Anarchisten oder sonst etwas Politisches nannten: „Gandhi? Der ist längst erledigt, überholt, tot.“ Für die größere Mehrheit der in Colleges erzogenen und sportlich trainierten Generation war Dienen und Demut kein anziehendes Programm; sie hatte zuviel von Europa gelernt! Und es waren viele, die in Indien freimütig bekannten: „Gewaltlosigkeit? Gandhis Privatnarrheit - lassen wir sie ihm!“ Sehen wir uns den Künder dieser „Narrheit“ an:
Mohandas Karamtschand Gandhi wurde am 2.Oktober 1869 in einer
kleinen Hafenstadt der Küstenlandschaft Gudscherat im Nordwesten
Indiens als Sohn eines dortigen Würdenträgers geboren. Vom Vater, der
ziemlich jung starb, berichtet uns der Sohn weniger als von seiner Mutter,
von der er erinnernd spricht: „Ein Duft von Heiligkeit weht mich an,
wenn ich ihrer gedenke. Sie war tief
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innerlich fromm und hätte nie einen Bissen zum Munde geführt, ohne ihre
täglichen Gebete verrichtet zu haben.“ Der Sitte seines Landes entsprechend,
heiratete der junge Gandhi schon mit 14 Jahren — die Ehe wurde sehr
glücklich — und ging später nach London, um dort das Rechtsstudium zu
absolvieren. Indische Kaufleute schickten ihn mit einem schwierigen
juristischen Auftrag nach Südafrika, wo Tausende von Indern lebten, die dort
unter mancherlei Widrigkeiten ihrer Existenzbedingungen zu leiden hatten.
Hatte der junge Jurist in seiner Heimat das dort herrschende
Kastenwesen — oder besser Unwesen — in seinen bedrückendsten Auswirkungen
kennengelernt, so traten ihm hier in Südafrika die Rassenvorurteile kaum
minder beschämend entgegen, galt doch dem Hochmut der Weißen die
braune Haut des Inders nicht mehr als die schwarze des Negers. Schon
bei der Fahrt im Postwagen hatte der Inder mit den einheimischen Kaffern
auf das Verdeck zu klettern. Zwar durfte er den Platz im Innern der
Kutsche voll bezahlen, besaß er aber die Dreistigkeit, ihn auch einnehmen
zu wollen, so warf ihn der Postillon kurzerhand hinaus. Gandhi berichtet
solche und zahllose ähnliche Begebenheiten ohne jede Bitternis. Er nahm
sie ebenso gelassen hin, wie die händeringenden Bitten des Wirtes in jenem
kleinen Hotel, in dem er angemeldet und abgestiegen war, doch ja
nur die Nebentüre zu benutzen und keinesfalls den Speisesaal zu betreten,
damit die weißen Gäste kein Ärgernis nähmen und „verletzt“ würden.
Wer wurde hier in Wirklichkeit verletzt? Gandhi hat auch hieran und
an die Verletzungen des Herzens, denen der Menschenbruder vom
Menschenbruder fast täglich ausgesetzt ist, gedacht — und nicht nur
an das Töten -, wenn er später verkündet: „Das Nichtverletzen anderer
Wesen ist das höchste Gesetz." Darum auch schuf er später, als er längst
wieder in seine Heimat zurückgekehrt war, die Bewegung, die sich die
menschliche Gleichberechtigung der annähernd 60 Millionen Parias zum
Ziele gesetzt hat, jener „Unberührbaren“, die sich auf der Straße zu
verkriechen hatten, wenn ein Brahmane vorüberging, damit auch nicht
der Schatten eines Angehörigen „höherer Kaste“ verunreinigt werde!
Noch in Afrika hatte Gandhi sich sehr eingehend in hinduistische und urchristliche Lehren vertieft. Besonders die moralischen Schriften des Grafen Leo Tolstoi übten unverkennbaren Einfluß auf ihn aus. Tolstoi schrieb 1905 dem Inder Baba Premanand Bharati in einem Briefe:
„Lieber Freund und Bruder, die Aufgabe, die uns gestellt ist, besteht in der Bekräftigung einer Wahrheit, die allen Menschen gemein ist, die die ganze Menschheit in einem und demselben Glauben und in denselben Lebensregeln, die darauf gegründet sind, vereinigen soll. Die Menschheit muß sich in einem und demselben Glauben vereinigen, denn die Menschenseele scheint bloß, wie Sie wissen, vielfältig und unterschiedlich in jedem Einzelnen, in der Tat ist es aber immer ein und dieselbe. Und daher, lieber Bruder, meine ich, müssen wir unsere nationalen Traditionen und Besonderheiten ablegen und nur die große internationale Wahrheit unserer Religion predigen.“
Tolstoi hatte die Idee von der Einheit der Religionen aus der Bahá’i-Lehre
geschöpft und war in seinem
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Bemühen, die Grundwahrheiten zu erkennen und alles Trennende zu
beseitigen, zu der Erkenntnis gekommen, daß das Grundgesetz aller
Religionen die Liebe ist. Christus sagt: „Gott ist die Liebe, und wer
in der Liebe bleibet, der bleibet in Gott und Gott in ihm.“
Krishna, der im Hinduismus göttliche Verehrung genießt, sagt: „Meine Hand hat überall Liebe gesät und bietet sie dem, der empfangen will. Das Heil ward allen meinen Kindern gegeben, aber oft ist es, daß sie es in ihrer Blindheit nicht sehen.“
Mohammed sagt: „O Herr, gib mir Liebe zu Dir! Gib mir Liebe zu denen, die Du liebest. Mache, daß Deine Liebe mir teurer sei als ich selbst.“
Buddha sagt: „Die wahre Erlösung ist Liebe. Nur der Mensch, der sich an Stelle seiner begehrlichen Wünsche mit Liebe erfüllt, zerreißt die Ketten der Unwissenheit und der Leidenschaft und erlöst sich von Leiden und Tod.“
Laotse sagt: Der einzige Weg, auf welchem sich der Mensch mit Gott vereinen kann, ist die Liebe.“
Unter dem tiefen Eindruck dieser Liebesbotschaften gründete Gandhi in der Nähe von Johannisburg auf der „Tolstoi-Farm“ in Verbindung mit landwirtschaftlicher Tätigkeit eine „Schule für Satyagrahis“. Die Grundforderungen an die Schüler lauteten „Satyagraha“ (Sat = Wahrheit, Agraha = Stärke), das heißt, Erforschung der Wahrheit (auch Ausübung der Seelenstärke) und „Ahimsa“ = Gewaltlosigkeit. Hier lehrte er, daß Leiden für einen Satyagrahi Lust und Ahimsa der äußerste Grad von Demut, ja, die höchste Frömmigkeit sei, und daß kein Mensch wahres Heil erlange, der sich nicht aus eigenem freien Willen an die letzte Stelle unter seinen Mitgeschöpfen stelle. „Selbstverleugnung ist die höchste Art von Religion.“ Hier auch wurde unter dem verpflichtenden Gesetz der Gewaltlosigkeit das Prinzip des passiven Widerstandes erklärt, mit dem er später so viele Kämpfe gewann: „Der passive Widerstand ist ein immer verwendbares Schwert; es rostet niemals und kann nicht gestohlen werden; es kann stets und von jedem geführt werden und bringt gleichermaßen Segen für den, der es führt als auch für den, gegen den es geführt wird, und es fließt dabei kein Tropfen Blut. Seine Wirkungen reichen weit.“
In der Tat hat Gandhi unwahrscheinliche Wirkungen mit diesem besonderen Kampfmittel wie auch mit seinem berühmten Fasten erreicht, als er später wieder nach Indien zurückkehrte, entschlossen, seinem Volke zunächst die Freiheit zu gewinnen. „Jeder große Reformator muß gegen die besonderen Übel seines Zeitalters ankämpfen.“
Selbst seine Gegner in diesem Kampfe konnten ihm die höchste
menschliche Achtung nicht versagen. Das schönste Beispiel hierfür gibt uns
der Richter, der ihn (wegen eines von Gandhi nicht beabsichtigten Aufruhrs
in Bombay) zu 6 Jahren Kerker verurteilen mußte, mit den Worten, die
er bei der Urteilsverkündung an ihn richtete: „Auch wer in politischen
Dingen anderer Ansicht ist als Sie, erblickt in Ihnen einen Menschen von
hohen sittlichen Bestrebungen und edler, ja, heiligenhaft-frommer
Lebensführung.“ Damals gab das Volk ihm den Beinamen „Mahatma“, das
heißt „Große Seele“, einen Ehrentitel, den keine Regierung und keine
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irdische Konstitution verleihen kann. Für eine große Seele kann ein
Gefängnis keine Schrecken haben, wie wir Bahá’i aus unserer eigenen
Geschichte wissen. „Das Gefängnis ist mein zweites Heim“, pflegte Gandhi
oft lächelnd zu sagen.
Immer mehr trat jetzt die religiöse Richtung in Mahatma’s Leben und Lehren hervor. Die meiste Zeit verbrachte er hockend vor der Tscharka, dem indischen Urväterspinnrad, das ihn fortab auch auf seinen Reisen begleitete, Symbol unermüdlicher Tätigkeit. Er vertauschte die europäische Kleidung mit dem einfachen Leinentuch, das um den Körper geschlungen wird und ging barfuß gleich dem ärmsten Feldarbeiter. So betrat er Paläste und Hütten, verhandelte mit Vizekönigen und Politikern. Unscheinbar und unansehnlich ist diese kleine, in einfaches Linnen gehüllte, zusammengeschrumpfte Gestalt von Photographen, Zeichnern und — Karikaturisten aller Länder festgehalten worden. Doch welche Ehrfurcht flößt dieses Bild ein, dieser zerbrechliche Körper, Gefäß einer wahrhaft großen Seele. Niemand, der je mit Gandhi sprach, konnte sich dem Zauber seiner Persönlichkeit und seiner Güte entziehen.
In seinem unermüdlichen Streben, seine Lehren auch vorzuleben, bekannte er sich freimütig nicht als Fertiger, sondern als ein immer nur Strebender, Werdender, mit diesen Worten:
„Wenn jene Reinheit des Geistes, nach der ich trachte, mir natürlich geworden sein wird, dann erst — und nicht eher — wird meine Idee der Gewaltlosigkeit alle Herzen in aller Welt bezwingen können.“ Die Idee der Gewaltlosigkeit, die er in der Bergpredigt kennengelernt hat, und die einen so tiefen und bleibenden Einfluß auf sein ganzes Leben nahm, so daß er sagen konnte: „Seit vielen Jahren betrachte ich Jesus von Nazareth als einen der ganz großen Lehrer, die der Welt geschenkt worden sind, — und ich sage dies in tiefster Demut.“ Freudig und unterschiedslos bekannte der Mahatma sich gleichermaßen zu den Wahrheiten Abraham’s, Christi, Mohammed’s und Buddha’s und vertrat diese seine Gefolgschaft im Geist auch öffentlich mit den Worten: „Sie alle dienten zu ihrer Zeit dazu, die Menschheit zu bereichern, ja, sie tun es noch heute: Alle Religionen sind nur verschiedene Wege zu Gott.“
Nicht durch dieses Bekenntnis, aber durch das daraus folgende Bemühen wurde wieder einmal in unseren Tagen an den Fundamenten eines Weltreiches gerüttelt, wie wir es noch öfter erleben werden. Denn immer in der Weltgeschichte und im Weltgeschehen erwiesen sich Ethik und Religion zuletzt doch stärker als das Schwert. Dies wußte Mahatma Gandhi, die Große Seele Indiens, als er verkündete:
„Nie wird das Werk eines Menschen, mag er auch noch so groß sein, wahrhaft gedeihen, wenn es nicht einer klaren religiösen Überzeugung entspringt.“
Vor der edlen, gottergebenen, selbstlosen Gestalt Gandhi’s verstummen alle Vorurteile. In seinem Leben und Werk erfüllte sich das eingangs angeführte Wort ‘Abdu’l-Bahá’s für die ganze Menschheit in bezwingender Größe: „Das Licht ist gut — in welcher Lampe es auch leuchten mag.“
— Dieses Licht wird nicht verlöschen.
AUS DER BAHA’I-WELT[Bearbeiten]
Ägypten:
Der ägyptische Nationale Jugendausschuß (NJA) trat — wie der deutsche — im Herbst 1946 zum erstenmal zusammen. Seither hat er sich eingearbeitet und schon viele weittragende Beschlüsse gefaßt. Zwei Unterausschüsse hat er sich vor kurzem geschaffen: den einen für Übersetzungen und Veröffentlichungen, den anderen zur Förderung der Verbindung und besonders des Briefwechsels mit dem Ausland.
Die wichtigsten Jugendgruppen sind die in Kairo, Alexandrien, Port Said, Suez und Ismailia (am Suezkanal). Neben ihnen gibt es noch ein Dutzend kleinerer Gruppen, die der NJA betreut. Die ägyptischen Bahá’i und besonders die Jugend sandten auch schon Pioniere nach dem Sudan und nach Abessinien, denen zu verdanken ist, daß dort bis jetzt schon mehrere Geistige Räte entstanden.
Schon drei Sommerschulen hielten die ägyptischen Bahá’i ab: die ersten beiden in Port Fuad (bei Port Said), die dritte in Alexandrien. Die im letzten Jahr abgehaltene dritte wurde von vielen Jugendlichen aus ganz Ägypten, aus Transjordanien, Palästina und aus Abessinien besucht. Sie dauerte den ganzen August hindurch und bot viel Gelegenheit zu Studium und Gedankenaustausch.
Während der Choleraepidemie im letzten Herbst hatten die Bahá’i das Glück, daß kein einziger von ihnen angesteckt wurde. Dies kam nicht zuletzt daher, daß sie sich alle willig impfen ließen und daß ein junger Bahá’i, der Medizin studierte, ihnen Aufklärungsvorträge hielt. Der Bahá’i-Jugendausschuß in Kairo bot sich auch dem Gesundheitsministerium an, am Kampf gegen die Cholera teilzunehmen und täglich tausend Menschen im Bahá’i-Haus zu impfen. Viele Briefe aus dem Ausland bewiesen den ägyptischen Bahá’i die teilnahmsvolle Sorge der ganzen Bahá’i-Welt.
Indien:
Die indischen Bahá’i konnten im letzten Jahr weder ihre Sommer- noch ihre Winterschule abhalten, weil die allgemeine Lage zu unruhig war. Das Verwaltungszentrum in Delhi war von Flüchtlingen geplündert worden und büßte große Werte an Büchern usw. ein. Aber den Weltjugendtag konnte die Bombayer Jugend unter Beteiligung von fünfzig Jugendlichen begehen.
Iraq:
Die Bahá’i in Iraq haben mit Beginn des Bahá’i-Jahres 105 einen Dreijahresplan aufgestellt, nach welchem u. a. fünf neue Gemeinden gegründet und eine große Halle im Verwaltungszentrum in Baghdad gebaut werden sollen.
Deutschland:
Am 4. und 5.Oktober 1947 fand ein „Bahá’i-Lehrertreffen" auf dem Bahá’i-Heim bei Eßlingen statt. Die Tagung verlief sehr anregend.
In Stuttgart fand zum Jahrestag des Geburtstags von Bahá’u’lláh eine eindrucksvolle öffentliche Feier statt, an welcher über 500 Zuhörer teilnahmen.
QUELLENERLÄUTERUNG für „GÖTTLICHE LEBENSKUNST"[Bearbeiten]
von Mabel Hyde Paine
(Die Seitenangaben gelten für die englischen Ausgaben)
AHW Arabic Hidden Words (Verborgene Worte, aus dem Arabischen)
BW Bahá’i World
BWF Bahá’i World Faith
ESW Epistle to the Son of tha Wolf (Epistel an den Sohn des Wolfes)
Gl. Gleanings from the Writings of Bahá’u’lláh (Ährenlese aus den Schriften von Bahá’u’lláh)
MFC Mysterious Forces of Civilization
P&M Prayers and Meditations by Bahá’u’lláh
PHW Persian Hidden Words (Verborgene Worte, aus dem Persischen)
[Seite 224]
PUP Promulgation of Universal Peace
SAQ Some Answered Questions (Beantwortete Fragen)
SW Star of the West
TAB Tablets of 'Abdu'l-Bahá
WAB Wisdom of 'Abdu'l-Bahá
WF The World Faith
Erstes Kapitel: Gottvertrauen
1. Lukas 12: 6, 7. 2. WAB S. 99. 3. TAB S. 190. 4. TAB S. 200. 5. TAB S. 557. 6. TAB S. 170. 7. TAB S. 158. 8. ESW S. 76. 9. BWF S. 140. 10. WAB S. 101. 11. TAB S. 177. 12. TAB S. 381. 13. TAB S. 455. 14. TAB S. 337, 338. 15. PUP S. 45, 46. 16. P&M S. 236. 17. P&M S. 113, 114. 18. P&M S. 250. 19. P&M S. 212. 20. P&M S. 245 bis 246. 21. PUP S. 463.
Zweites Kapitel: Die Pforte zum Reiche Gottes
1. Johannes 3: 3,5,6. 2. SW Bd. 7, S. 150. 3. TAB Band 3, S. 604-605. 4. WF S. 22, 23. 5. WAB S. 155. 6. PUP S. 220. 7. SW Band 7, S. 172. 8. TAB Band 3, S. 709. 9. SW Band 7, S. 155. 10. SW Band 7, S. 163. 11. AHW Nr.36. 12. TAB S. 406. 13. PUP S. 220, 221. 14. TAB S. 641.
Drittes Kapitel: Auf dem Pfade zur Unsterblichkeit
1. PHW Nr. 7. 2. AHW Nr. 2. 3. BWF S. 229. 4. TAB S. 206. 5. AHW Nr. 31. 6. Gl. S. 196. 7. BW Band 1, S. 43. 8. MFC S. 8, 26, 30. 9. BWF S. 389, 390. 10. P&M S. 3l4. 11. Gl. S. 70. 12. PUP. S. 66, 67. 13. SAQ 273—274. 14. BW Band 1, S. 12. 15. TAB S. 676.
INHALTSÜBERSICHT für den Jahrgang XVIII (1947/48)[Bearbeiten]
Bahá’u’lláh
Worte . . . . . 1, 10/16, 18, 20/25, 37, 76, 97, 161
Gebet . . . . . 33
Ährenlese . . . . . 98, 162
'Abdu'l-Bahá
Worte . . . . . 8/12, 14/26
Erläuterung der zwölf Grundsätze des Bahá’i-Glaubens . . . . . 27
Göttliche Lebenskunst, zusammengestellt von Mary M. Rabb . . . . . 34, 66
Göttliche Lebenskunst, Zusammenfassung von Mabel Hyde Paine . . . . . 102, 171
Aus einer Rede . . . . . 47
Über die Weltschöpfung . . . . . 179
Shoghi Effendi
Die Weltreligion. . . . . 4, 203
Der verheißene Tag ist gekommen . . . . . 78, 107, 185
Aufsätze und Artikel
Zu neuem Leben. Geleitwort von der Schriftleitung . . . . . 1
Unser Weg. Von Dr. A. Mühlschlegel . . . . . 50
Der Weg zur Seligkeit. Von Marie Schenck, Darmstadt . . . . . 87
Die Sendung von Bahá’u’lláh. Von Else Maria Großmann, Neckargemünd . . . . . 123
Der Herr des neuen Zeitalters. Von Dr. A. Mühlschlegel . . . . . 133
Der Bahá’i-Menschheitsglaube und die Deutschen. Von Karl Schück, Hollywood . . . . . 141
Weltordnung ist das Ziel. Von Horace Holley, Wilmette . . . . . 148
Gedanken beim Lesen des Koran. Von Johann Karl Teufel . . . . . 149
Gottesdienst in einem Glauben. Von Bertha Hyde Kirkpatrick . . . . . 210
Der junge Mensch und die Welt. Von Dr. Eugen Schmidt . . . . . 211
Gandhi. Von Günther Heyd . . . . . 218
Aus der Bahá’i-Welt
Berichte . . . . . 62, 95, 158, 223
Herausgegeben unter Lizenz US-W-Nr. 6871 der Nachrichtenkontrolle der Militärregierung
Auflage 2000 — Januar/Februar 1948
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