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| SONNE DER WAHRHEIT Zeitschrift für Weltreligion und Welteinheit ORGAN DER BAHA’I IN DEUTSCHLAND UND ÖSTERREICH Verantwortlich für die Herausgabe und Schriftleitung: Paul Gollmer, Stuttgart O, Neckarstraße 127 |
| Heft 3 Preis vierteljährlich RM 1.80 |
OKTOBER 1947 ‘Ilm — Erkenntnis (104) |
18. JAHRGANG |
- Leitgedanken: Einheit der Menschheit - Universaler Friede — Universale Religion
Inhalt: Göttliche Lebenskunst - Der verheißene Tag ist gekommen - Der Weg
zur Seligkeit - Aus der Bahá’i-Welt.
RELIGION IST EIN STRAHLENDES LICHT
und eine uneinnehmbare Feste für den Schutz und das Wohlergehen der Völker der Welt, denn die Gottesfurcht treibt den Menschen an, sich an das festzuhalten, was gut ist, und alles Böse zu meiden. Sollte die Lampe der Religion verdunkelt werden, so werden Chaos und Verwirrung die Folge sein, und die Lichter der Ehrlichkeit, der Gerechtigkeit, der Ruhe und des Friedens werden zu scheinen aufhören.
- BAHÁ’U’LLÁH
GÖTTLICHE LEBENSKUNST[Bearbeiten]
Aus den Schriften von 'Abdu'l-Bahá
Zusammengestellt von Mary M. Rabb (New York, Brentanos Publishers)
Aus dem Englischen übertragen von Johanna von Werthern
2. KAPITEL: EINIGE EIGENSCHAFTEN GÖTTLICHER SEELEN
Wandelt, dieweil ihr das Licht habt, daß euch die Finsternis
nicht überfalle. Wer in der Finsternis wandelt, der weiß nicht,
wo er hingebet. Glaubet an das Licht, dieweil ihr’s habt, auf
daß ihr des Lichtes Kinder seid. (Johannes 12, 35—36.)
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Ich erbitte von Gott, daß das göttliche Licht, von dem Johannes im 12. Kapitel spricht, seine Strahlen für immer über dich ergieße, daß du immer im Lichte wandeln mögest. Das Leben des Menschen in dieser Welt ist kurz und wird bald zu Ende gehen; darum muß man jeden Augenblick seines Lebens hochschätzen und dem nachstreben, was zu ewigem Ruhm führt.
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Die Sonne ist der größte Glanz, aber die ihr zugekehrte Fläche muß ein Spiegel sein, soll er zurückgestrahlt werden. Je reiner er ist, desto mehr Licht wird sich durch ihn widerspiegeln.
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Geistigkeit ist der Besitz eines guten, reinen Herzens. Wenn das Herz rein ist, kann der Geist einziehen, und dann ist Wachstum natürlich und sicher. Ein jeder kennt den Zustand seiner Seele besser als die Seelen anderer. Unsere Verantwortung Gott gegenüber wächst mit unseren Jahren.
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Wenn der Geist bestätigt und unterstützt wird von den Bestätigungen des Heiligen Geistes, dann wird er seine Wirkung in jedem Zustand der Welt des Daseins zeigen.
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Nur wenn der Mensch geistige Fortschritte macht in der Welt des Geistes, des Verstandes und des Herzens, kann er allumfassende Erfolge aus materiellem Emporsteigen gewinnen,
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Das geistige Leben wird gekennzeichnet durch Einfachheit und Betrachtung, verbunden mit Nützlichkeit und wohlüberlegter Tätigkeit.
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Frage: Was kann ich tun, um ein wirklicher Diener Gottes zu werden?
‘Abdu’l-Bahá: „Lebe in Übereinstimmung mit den Lehren von [Seite 67]
Bahá’u’lláh. Lies sie nicht nur. Es ist ein großer Unterschied zwischen einem
Menschen, der die Worte von Bahá’u’lláh nur liest, und einem, der versucht,
sie zu leben. Lies die „Verborgenen Worte“. Denke nach über ihre
Bedeutungen und bringe sie in deinem Leben zum Ausdruck. Alles, was ich
sagen könnte, ist nur ein Tropfen dieser unendlichen See. Meine Aufgabe
ist es, die Schriften von Bahá’u’lláh zu erklären, zu erläutern, auszulegen.
Zum Beispiel: wir müssen die Wirklichkeit erforschen; wir müssen der
Welt der Menschheit wahrhafte Liebe erzeigen; wir müssen für die Errichtung
des universalen Friedens arbeiten; wir müssen unser Leben in der
Führung der Menschheit opfern; wir müssen gütig sein zu allen Geschöpfen
Gottes; wir müssen den Ruf des Königreiches erheben; wir müssen uns
kennzeichnen mit geistigen Merkmalen; wir müssen in unseren Worten
und Taten die Eigenschaften der Heiligen aufweisen.
Ich erkläre bei Ihm, außer dem nichts wirklich besteht: wenn wir in Übereinstimmung mit einer der Lehren leben, so werden wir leuchtend werden wie diese Lampe. Wenn wir wörtlich bekennen, daß Bahá’u’lláhs Prinzipien die Ursache von ewigem Heil sind und das Mittel, Gottes Thron nahe zu kommen, und doch nicht nach ihren Unterweisungen leben, sind wir keine Bahá’i. Darum müssen wir Tag und Nacht für einander beten, so, daß uns geholfen werde, in unserem Leben den allumfassenden Geist Bahá’u’lláhs zum Ausdruck zu bringen.“
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Die Sache Gottes ist wie eine Hochschule. Die Gläubigen sind wie die Studenten. Die Schule wurde gegründet zur Erlangung von Wissenschaft, Künsten und Literatur. Würden die Wissenschaften nicht in ihr gepflegt und die Schüler erzogen, so wäre der Zweck der Schule nicht erreicht. Die Lernenden müssen die Früchte ihres Studiums in ihrem Verhalten und ihren Taten zeigen, sonst haben sie ihre Zeit vergeudet. Nun müssen die Freunde Gottes so leben und sich so verhalten, daß sie der Religion Gottes größeren Ruhm und größeren Erfolg bringen. Für sie muß die Sache Gottes eine dynamische Kraft sein, die das Leben der Menschen umgestaltet, nicht eine Frage von Versammlungen, Ausschüssen, nichtigen Wortgefechten, unnötigen Debatten und politischer Drahtzieherei.
Was ist Zweck und Ziel des Ackerns, Pflügens, Säens der Saat
und der Bewässerung? Steht ein anderer Gedanke hinter all diesen
Arbeiten als die Ernte des Getreides? Wenn die Garben nur grün und frisch
sind, aber keine Weizen- oder Gerstenkörner enthalten, so ist der Zweck
nicht erreicht. Das Ziel war nicht das üppige Grün des Feldes, sondern die
Fülle der Ernte. Ich hoffe, die
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Gläubigen werden sich aufs äußerste bemühen, ihr Leben mit überreicher
Ernte zu krönen.
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Frage: Wie kann man Ziel und Zweck seines Lebens verstehen?
'Abdu’l-Bahá: „Es gibt zwei Arten des Verstehens, eine objektive und eine subjektive. Zur Erklärung: du siehst dieses Glas oder dieses Wasser, und du verstehst in objektiver Weise ihre Bestandteile. Auf der anderen Seite kannst du Liebe, Verstand, Haß, Zorn, Trauer nicht sehen, aber du erkennst sie in subjektiver Weise durch ihre Zeichen und Äußerungen. Das erste ist materiell, das zweite geistig. Das erste ist äußerlich, das zweite innerlich erfaßt. Ich hoffe, daß du große Fortschritte machen mögest in der zweiten Art des Verstehens. Wende dein Antlitz zu Gott und sage:
‚O Gott! Belebe und erfreue meinen Geist! Läutere mein Herz! Entzünde meine Fähigkeiten! Ich lege alle Angelegenheiten in Deine Hände! Du bist mein Führer und meine Zuflucht. Ich will nicht mehr traurig und niedergeschlagen sein! Ich will ein glückliches und freudiges Wesen sein. O Gott! Ich will mich nicht länger quälen. Ich will mich nicht mehr durch Unannehmlichkeiten niederdrücken lassen. Ich will nicht bei den unerfreulichen Dingen des Lebens verweilen. Du bist gütiger zu mir, als ich selbst es bin. Ich weihe mich Dir, o Herr!‘“
Alle Dinge sind für den Menschen, der Mensch aber ist für Gott erschaffen. Der Mensch ist vor allen anderen Schöpfungen ausgezeichnet. Der Mensch, der zum Teil Tier ist, besitzt alle Eigenschaften des Mineralreiches, denn er hat einen Körper; zudem besitzt er die Fähigkeit des Pflanzenreiches, Wachstum, und die Eigenschaft des Tierreiches, Empfindung; und dazu wurden ihm Überlegungs- und Geisteskräfte geschenkt, durch welche er die Wirklichkeit der Dinge begreift. Wenn er sichtbare Dinge sieht und über sie nachdenkt, kann er die Wirklichkeit von unbekannten Dingen erfassen. Wenn ein Mensch die Erde aufmerksam betrachtet, so stellt sie sich ihm als weite Fläche dar, aber durch seine Vorstellungskraft findet er, daß sie die Form einer Kugel hat. Dieses Vorstellungsvermögen kann niemals im Tierreich gefunden werden; aber der Mensch kann durch diese Kraft beweisen, daß die Sonne ein Mittelpunkt ist und daß andere Weltkörper um sie kreisen. Diese Urteilskraft, die nur der Mensch besitzt, beweist seine Vortrefflichkeit; denn die Eigenschaften und Fähigkeiten anderer Dinge und Substanzen sind für den Menschen geschaffen, und überdies wurden ihm Eigenschaften verliehen, mit denen kein anderes Reich begabt ist. Alles ist für den Menschen da.
Wir sprechen nun in Beispielen, wie Christus in Gleichnissen sprach.
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Die Welt ist wie ein Baum; das Mineralreich ist seine Wurzel, das Pflanzenreich kann mit den Zweigen verglichen werden, das Tierreich mit den Blüten und der Mensch mit den Früchten an diesem Baume. Der Baum ist nur wegen seiner Früchte da. Wenn der Gärtner keine Früchte erwartete, würde er den Baum nicht pflanzen. In derselben Weise ist alles für den Menschen erschaffen.
Es gibt zwei Seiten beim Menschen. Die eine ist göttlich, die andere weltlich, eine ist erleuchtet, die andere dunkel, eine ist engelhaft, die andere teuflisch. Der Mensch ist den Tieren gleich in allen Bedingungen der Sinne, denn alle tierischen Eigenschaften bestehen in ihm. Göttliche und teuflische Eigenschaften sind gleicherweise im Menschen vorhanden: Wissen und Unwissenheit, Führung und Irrtum, Wahrheit und Falschheit, Freigebigkeit und Geiz, Neigung zu Gott und Hang zum Teufel, Keuschheit und Reinheit, Verderbnis und Laster; Tapferkeit und Feigheit, Sparsamkeit und Begierde, Gutes und Böses; alles ist im Menschen vorhanden.
Wenn die engelhafte Seite stärker wird und die göttliche Macht und Herrlichkeit den Menschen umgibt, dann findet die zweite Geburt statt, und ewiges Leben wird aus diesem Geschehen gewonnen. Der Mensch wird das vornehmste unter den Geschöpfen. Wenn auf der anderen Seite sinnliche Eigenschaften überwiegen und irdische Dunkelheit und sinnliche Leidenschaften vorherrschen, wenn sie im Menschen nur die weltlichen Gefühle treffen, ihn als Gefangenen schlechter Eigenschaften und immerwährendem Tode verfallen finden, dann ist solch ein Mensch das niedrigste und verworfenste unter allen Geschöpfen. In solchem Menschen lebt keine göttliche Kraft. Ein Tier kann wegen seiner Grausamkeit und Ungerechtigkeit nicht als ungerecht und böse bezeichnet werden, denn es ist nicht, wie der Mensch, mit göttlichen Kräften begabt worden. Wenn aber der Mensch in ebensolche böse Zustände verfällt, so ist es klar, daß er der nicht göttlichen Seite seines Wesens erlaubte, die göttlichen Eigenschaften zu besiegen, mit denen er beschenkt wurde. Dies beweist dann die Niedrigkeit und Gemeinheit, die der menschlichen Natur innewohnt.
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Der Adel und Ruhm des Menschen besteht darin, daß inmitten aller Geschöpfe durch ihn die Rechtschaffenheit offenbar wird. Kann der Mensch sich eine größere Segnung denken, als das Bewußtsein, daß durch Gottes Hilfe die Mittel für Behaglichkeit, Frieden und Wohlgedeihen der Menschheit in seine Hand gelegt sind?
Nein, es gibt keine vollkommenere Freude, kein größeres Glück als dies.
Wie lange sollen wir unsere eigenen selbstischen Wünsche zu erfüllen suchen?
Sinne und innere Fähigkeiten
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wurden uns gegeben, damit wir sie zum Wohle der Menschheit anwenden
und damit wir von der niedrigen Natur des Menschen erhoben werden
durch die Festigkeit und Gerechtigkeit unseres Urteils und damit wir
fortwährend Gutes tun mögen.
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Wie edel und gut ist der Mensch, wenn er nur die Stätte erreicht, die ihm bereitet ist; und wie nieder und verächtlich, wenn er seine Augen dem allgemeinen Wohl verschließt und seine wertvollen Fähigkeiten zu eigenen selbstischen Wünschen nützt. Das größte Glück liegt im Glücke anderer.
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Der, welcher träge und gleichgültig in seinem Egoismus verharrt und dabei fortwährend dem Verlangen seiner Sinne folgt, steigt zu den tiefsten Niederungen der Entwürdigung und Unwissenheit herab, tiefer als das gefährlichste wilde Tier. Denn es steht geschrieben: „Diese sind in der Tat schlimmer als wilde Tiere; und niedriger als das Vieh sind in den Augen Gottes die Tauben und Stummen, welche nicht hören wollen.“
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...Sie haben noch nicht verstanden, daß der größte Ruhm des Menschen im allgemeinen Glück der Welt, in der Freude der Seele, in hohen Zielen, guten Absichten, in Tugenden und Keuschheit liegt.
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Unglücklicherweise bilden sie sich ein, daß Größe und Ruhm der Anhäufung weltlicher Reichtümer folge. Nun überlege genau! Wenn der Mensch ein wenig nachdenkt, sieht er, daß der allmächtige Gott ihn vor allen seinen Geschöpfen mit dem Kleid der Ehre, Tugend und Intelligenz ausgezeichnet hat... Der Mensch wurde zur Quelle göttlicher Wunder und zum Mittelpunkt der Geheimnisse vom himmlischen Königreich.
Warum sollte er nun diesen reinen Mantel mit den Flecken selbstischer Wünsche entweihen und diese ewige Ehre mit der tiefsten Erniedrigung vertauschen? „Wähnst du, dein Körper sei etwas Geringes, während doch das ganze Weltall in dir eingeschlossen ist?“
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Durch die Einzelheiten, welche wir schon erklärt haben, suchten wir darzulegen, daß Ruhm, Glück, Ehre und Frieden des Menschen nicht in persönlichem Reichtum bestehen, sondern im Gegenteil in der Ergebenheit der Seele, in der Vornehmheit der Entschlüsse, in der Förderung wahrer Erziehung und in der Lösung des Lebensproblems... „Wahrlich, in der Seele des Menschen liegt ihr einziger Ruhm!“
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Es ist ein großer Unterschied zwischen einem glaubwürdigen Manne
und dem Nachahmer eines solchen. Der erste ist David selbst, der zweite
kaum der Ton seiner Stimme. Wissen
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und Weisheit, Reinheit und Treue und die Freiheit der Seele wurden
nicht und werden nie nach äußerer Erscheinung und Kleidung beurteilt.
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Der Mensch sollte eine ständige Ursache von Wohlbefinden und Zufriedenheit und eine wirkliche Hilfe für die Wohlfahrt vieler Mitmenschen sein.
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Wir fragen: welche Tat in der Welt könnte größer sein, als für das allgemeine Wohl der Menschheit zu arbeiten? Kann man sich eine höhere Laufbahn vorstellen, als wenn ein Mensch sich der Erziehung, dem Fortschritt, dem Ruhm und Wohlstand der Diener Gottes widmet? Die größte der Gott wohlgefälligen Taten ist es, wenn die gesegneten Seelen die Hilflosen bei der Hand nehmen und sie von Unwissenheit, von Erniedrigung und Armut befreien, und, erfüllt von aufrichtigem Bestreben, um Gottes Willen die Lenden ihres Ehrgeizes zum Dienst an allen Menschen gürten, dabei ihren weltlichen Vorteil vergessend, um nur für das allgemeine Beste zu kämpfen. Wie es geschrieben steht: „Und zieht andere euch selbst vor, auch wenn sie arm sind; die besten der Menschen sind, die Gutes ihren Mitmenschen tun, und die schlimmsten sind, die ihnen Böses zufügen.“
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“Es ist klar und offensichtlich, daß der größte Ruhm der Menschheit darin besteht, dem allmächtigen Gott zu gehorchen, und des Menschen Adel und Ehre hängt ab von der Befolgung, der Unterweisungen und Verbote des Herrn, des Einzigen.
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Es ist klar und augenscheinlich, daß das Leben dieser sterblichen Welt wie der Morgenwind vergeht. Gesegnet ist darum der Große, der auf dem Pfade des Willens Gottes wandelt und guten Ruf und glückhafte Erinnerung hinterläßt.
„Wenn die reine Seele hinscheidet — was tut’s, ob sie einen Thron verläßt oder nur die nackte Erde?“
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Die sieben Fähigkeiten der himmlisch erleuchteten Seele, über die du eine Erklärung erbatest, sind die folgenden:
Erkenntnis. Der Mensch muß die Erkenntnis Gottes erreichen.
Glaube.
Standhaftigkeit.
Wahrhaftigkeit. Wahrhaftigkeit ist die Grundlage für alle Tugenden der Welt der Menschheit. Ohne Wahrhaftigkeit sind für eine Seele Fortschritt und Erfolg in allen Welten Gottes unmöglich. Wenn diese heilige Eigenschaft im Menschen besteht, werden alle anderen himmlischen Kennzeichen auch verwirklicht werden können.
Aufrichtigkeit. Auch sie ist eine der größten göttlichen Eigenschaften.
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Treue. Sie ist ebenfalls ein schöner Charakterzug des himmlisch gesinnten Menschen.
Bescheidenheit oder Demut. Das heißt, der Mensch muß vor Gott demütig werden. Der Mensch muß seinen eigenen selbstsüchtigen Zustand vergessen, damit er so zur Stufe des Opfers gelangen möge.
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Gesegnet ist der Barmherzige, denn er wird ewiges Leben erben.
Gesegnet ist, wer die Fehler anderer übergeht, denn er wird sich göttlicher Glückseligkeit erfreuen.
Gesegnet ist, wer sich mit allen in Freude und Harmonie vereint, denn er gehorcht dem Befehl Bahá’u’lláhs.
Gesegnet ist, wer die Menschheit liebt, denn er hat den Rat Bahá’u’lláhs beachtet.
Gesegnet ist, wer gütig ist gegen seine Feinde, denn er wandelt in den Fußstapfen Christi.
Gesegnet ist, wer die Lehre geistiger Bruderschaft verkündet, denn er wird ein Kind des Lichtes sein.
Gesegnet ist, wessen Herz weich und mitleidig ist, denn er wird auf niemand Steine werfen.
Gesegnet ist, wer nichts Böses von irgend jemand spricht, denn er hat das Wohlgefallen des Herrn erlangt.
Gesegnet ist, wer die Sünden anderer nicht aufdeckt, denn er wird begünstigt werden an der Schwelle des Allmächtigen.
Gesegnet ist, wessen Natur vergebend ist, denn er wird die geistigen Gnaden Gottes gewinnen.
Gesegnet ist, wer nur die süßen Düfte von den Blumen der Freundschaft und gegenseitiger Verbindungen verbreitet, denn er wird einen reichen Teil von den Gaben des Barmherzigen erlangen.
Gesegnet ist, wer Einheit und Eintracht lehrt und lebt, denn er wird leuchten wie ein Stern am Himmel.
Gesegnet ist, wer liebende Güte und gegenseitige Zusammenarbeit übt, denn er wird von himmlischen Segnungen umgeben sein.
Gesegnet ist, wer den Niedergetretenen Erleichterung bringt, denn er wird der Freund Gottes sein.
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Die Gläubigen müssen fest verankert sein in den Grundsätzen der Moral und Redlichkeit.
Erstens in Wahrhaftigkeit. Keiner sollte je eine Lüge sagen.
Zweitens in Redlichkeit bei allen Handlungen.
Drittens ist Langmut und Geduld erforderlich.
Viertens müssen die Gläubigen größte Güte walten lassen, so daß sich
alle untereinander als Diener betrachten, und sie müssen wahrhaft und
ehrlich zur ganzen Menschheit sein. Wenn sie nach diesen Befehlen leben,
so werden ihnen sicherlich die Bestätigungen des Geistes gewährt. Der
Geist wird über sie kommen und sie werden sicherlich Fortschritte machen.
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Von nun an müßt ihr darnach streben, die sittliche Seite eueres Lebens zu verschönern. Gebt euch gegenseitig Ratschläge mit größter Überlegung; prüft euere Taten und Worte jeden Tag. Also, daß ihr euch vom ersten Anfang an durch göttliche Ideale auszeichnen möget. Die göttlichen Ideale sind Demut, Ergebenheit, vollkommenes Auslöschen des eigenen Selbstes, Barmherzigkeit und liebende Güte. Ihr müßt euch selbst sterben und in Gott leben. Ihr müßt äußerst mitfühlend sein gegeneinander und gegen alle Menschen der Welt. Liebet und dienet der Menschheit, nur um Gottes Willen und nicht um irgend etwas anderes sonst. Die Grundlage euerer Liebe zur Menschheit muß geistiger Glaube und göttliche Sicherheit sein. Und wiederum: ihr müßt sehr achtsam sein, daß nicht — Gott möge es verhüten — ein einziges unwahres Wort über eure Lippen komme. Eine Falschheit stürzt den Menschen von der höchsten Stufe der Ehre in die tiefste Niederung der Ungnade. Seid stets auf der Hut vor diesem Feinde, damit alles, was ihr äußert, mit der Wirklichkeit übereinstimme. Fleht und bittet zu allen Zeiten am erhabenen Thron und betet um Bestätigung und Hilfe. Strengt euch an, damit ihr das Wohlgefallen von Bahá’u’lláh erlanget. Alle natürlichen und übernatürlichen Fortschritte der menschlichen Welt kreisen um dieses Problem. Wenn ihr dieses erhabene Ziel erreichet, werden alle Elemente der Schöpfung bereit sein, euch nach euerem Geheiß zu dienen, d. h. sie werden ihre höchste Stufe in euch und durch euch erreichen, oder mit anderen Worten, ihr werdet die Frucht der Schöpfung sein. ...Die Entwicklung des vollkommenen Menschen ist eine Frucht der Schöpfung, ebenso wie die Entwicklung der Äste, Zweige, Blätter und Blüten des Baumes deren Frucht ist. Erhebet euere Gedanken. Denkt nach über alle euere Angelegenheiten. Vergrößert euer Streben. Erweitert den Kreis euerer Ideale. Entfaltet die Schwingen geistiger Weisheit. Setzt euere Hoffnung auf größte Taten, die dereinst euere Namen unsterblich machen. All das, woran sich die Leute klammern, ist nur Blendwerk und wird nicht von Dauer sein.
Wenn das Leben eines Menschen nach reiner Moral gelebt wird, wenn seine täglichen Handlungen durch ethische Kräfte bewegt werden, so wird er das Leben derer, die mit ihm in Berührung kommen, gewaltig beeinflussen. Der unaufrichtige Mensch lernt von ihm Aufrichtigkeit, der Untreue wird treu, der Unwissende weise und der Feige mutig.
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All diese Wünsche sind des Bittens wohl wert, besonders der um
Befreiung von Eigenliebe. Sie ist ein merkwürdiger Charakterzug
und die Ursache der Zerstörung vieler bedeutender
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Seelen in der Welt. Wenn ein Mensch alle guten Eigenschaften besitzt,
dabei aber selbstsüchtig ist, werden alle anderen Tugenden verblassen
oder verschwinden, und schließlich wird er schlimmer werden als zuvor.
Ich hoffe, daß die Geliebten Gottes und die Dienerinnen des Barmherzigen ganz von der Eigenliebe befreit werden. Wird ihnen dieses Freisein zur Natur, so werden sie in Wirklichkeit Offenbarungen großer Gaben, und die Tore göttlicher Gnaden werden sich ihnen auftun.
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Unzufriedenheit mit sich selbst ist ein Zeichen des Fortschrittes. Die Seele, die mit sich selbst zufrieden ist, ist eine Offenbarung des Satans, und der mit sich Unzufriedene eine Offenbarung des einen Gütigen. Wenn ein Mensch tausend gute Eigenschaften hat, soll er nicht auf diese blicken; er soll vielmehr bestrebt sein, seine Fehler und Unvollkommenheiten zu finden. Zum Beispiel, wenn ein Mensch einen palastartigen Wohnsitz hat, der die kostbarsten Möbel birgt und mit den erlesensten Kunstwerken geschmückt ist, wird er zweifellos all diese Pracht vergessen, sobald er bemerkt, daß eine Spalte in der Mauer oder Zimmerdecke ist, und, ohne Zeit zu verlieren, wird er sich daran machen, den Schaden zu beseitigen. Andererseits ist Vollkommenheit dem Menschen unerreichbar. Wie viele Fortschritte ein Mensch auch machen möge, so ist er doch unvollkommen, denn immer ist eine Stufe über ihm. Er blickt nicht eher auf diese, als er mit seinem eigenen Zustande unzufrieden wird und jene zu erreichen strebt. Christus wollte uns dies deutlich machen, als Ihn jemand ansprach: „Guter Meister.“ Er antwortete: „Was nennst du mich gut? Niemand ist gut, denn allein der Vater im Himmel.“
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Sich selbst zu rühmen ist ein Zeichen von Selbstsucht. Anderen zu befehlen ist kein Passierschein zum Lande geistigen Fortschrittes. Vergleiche einen Menschen, der nur wenig spricht, dabei aber immer arbeitet und alle seine Pflichten erfüllt, mit einem, der herumsitzt, fortwährend redet und sich vergangener Heldentaten rühmt!
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Es gibt Menschen, die diese kurze Lebensspanne sich und anderen jammerbar
machen, weil ihre Herzen voll Neid sind. Neid ist die verabscheuungswürdigste
Eigenschaft im Menschen. Manche sind so erfüllt von Neid, daß sie es
nicht ertragen, irgend einen ihrer Freunde größere Annehmlichkeiten
oder höhere Ehren im Leben erreichen zu sehen als sich selbst.
Wie Gift tötet der Neid alle ihre edleren Gefühle. Neid erniedrigt den
Menschen und macht ihn zum größten Egoisten und Selbstmittelpunkt.
Wenn der Mensch sich aus den Klauen
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dieses gemeinen Ungeheuers befreit, hat er die Macht Satans gebrochen.
Dann wird er Ruhe und Frieden der Seele gewinnen.
Der Mensch muß sich selbst verleugnen; dann werden alle Schwierigkeiten und Mühsale der Welt ihn nicht mehr berühren. Er wird wie das Meer werden: wenn auch auf der Oberfläche der Sturm wütet und Wellenberge sich erheben, so ist doch in seiner Tiefe völlige Ruhe und Stille.
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Gottes Wohlgefallen zu erlangen, sollte des Menschen einziges Ziel sein.
Bist du dir deiner Mängel und Fehler bewußt? Man muß immer seine Mängel zu erkennen suchen, um sie an der Schwelle der Einheit zu bereuen und beschützt und beschirmt zu werden; sonst werden Stolz und Hochmut das Herz beherrschen, und dadurch wird es der Gnade vom Hofe der Einzigkeit verlustig gehen.
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Sei rein: rein sein heißt selbstlossein,
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Euer Wort sei eindeutig und stimme mit. eueren Ansichten überein, und euere Morgenstunden seien besser als der Vorabend und euer Morgen wertvoller als das Gestern. Der Wert des Menschen hängt von seinem Dienst und seinen Vorzügen ab, nicht von Reichtum und Prunk. Laßt euere Rede frei sein von Falschheit und Begierde und euere Handlungen erhaben über allen Verdacht und frei von Heuchelei. Wahrlich! Vergeudet nicht den Reichtum eueres kostbaren Lebens an die Erfüllung wollüstiger Wünsche und beschränkt euere Angelegenheiten nicht nur auf persönliche Interessen, sondern gebt, wenn ihr habt, und seid geduldig, wenn ihr nicht habt. Dem Unglück folgt Überfluß und der Verwirrung Klarheit. Vermeidet die Lüge und Faulheit und haltet euch an das, was den Menschen, ob jung oder alt, bejahrt oder verwitwet, Gutes bringt.
Wahrlich! Hütet euch, die Saat der Zwietracht unter den Geschöpfen zu säen oder den Stachel des Zweifels und Verdachtes in reine und strahlende Herzen zu senken. Wahrlich, o ihr Geliebten Gottes, begehet nicht, was die Reinheit des klaren Wassers der Liebe trüben oder die leuchtenden Bande der Freundschaft zerstören könnte. Bei meinem Leben! Ihr seid zur Liebe und Zuneigung erschaffen, und nicht zum Haß und Starrsinn. Rühmet euch nicht der Liebe zu eueren Landsleuten, sondern der Liebe zu allen eueren Mitmenschen. Rühmet euch nicht der Liebe zu euerem Heimatlande, sondern der Liebe zur ganzen Welt,
Euere Augen seien keusch, euere Hände treu, euere Zunge wahr und
euer Sinn weise. Erniedrigt nicht den glorreichen Stand der Gelehrten
und vermindert nicht die Ehre der führenden Männer, welche gerecht
unter euch richten.
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Laßt Gerechtigkeit euere Armee sein, Vernunft euere Waffen und Versöhnlichkeit euere Wesensart und Natur. ... Seht nicht auf das Volk und seine Handlungen, blickt vielmehr auf die Wahrheit und ihre Herrschaft. ... Trinke das reine Wasser der Freude aus dem Kelch der Äußerungen vom Dämmerungsort der Offenbarung, welche dich aus dieser starken Festung ermahnt. Scheue keine Anstrengung, die in deiner Macht liegt, um die Wahrheit durch Weisheit und Erklärungen aufzurichten und die Lüge unter den Geschöpfen zu zerstören.
- Worte von Bahá’u’lláh.
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Wenn ein Mensch sich ein Vergehen zu schulden kommen läßt, so war er ungerecht gegen sich selbst, und bald wird er offensichtlich Reue und Bedauern empfinden.
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Das dünne Augenlid verhindert das Auge, die Welt und alles, was in ihr ist, zu sehen. Nun bedenke, was geschieht, wenn der Vorhang der Habgier das Sehen des Herzens unmöglich macht. Wahrlich, o Völker, das Dunkel der Habgier und des Neides verdüstert das Licht der Seele, wie die Wolke das Durchbrechen der Sonnenstrahlen verhindert.
- Worte von Bahá’u’lláh.
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Ein dankbarer Mensch ist unter allen Umständen dankbar. Eine mürrische Seele murrt, selbst wenn sie im Paradiese lebte... Wenn wir nicht dankbar sind, wer sollte dann dankbar sein? Sind wir nicht umgeben von den Gnaden Gottes? Sind wir nicht umhüllt von Segnungen der Gesegneten Vollkommenheit? Hat Er nicht eine strahlende Lampe in unserem Heim entzündet? ... Bedenket, wie ein jeder einzelne von uns umgeben ist von Seinen Gunstbezeugungen! Wieviel göttliche Gnade strömt auf uns herab! Wie oft antwortet unser Herz Seinem Ruf! ... Wenn wir nicht freudevoll sind, wer sollte es dann sein?
Mündlicher Dank ist fruchtlos. Dank kann auf zweierlei Weise wirksam dargebracht werden. Erstens durch die Verwirklichung geistiger Empfänglichkeit, welche die Herzen mit den hellen Sternen des Glückes erleuchtet und mit den frohen Botschaften des Barmherzigen erfreut. Zweitens durch Taten, das heißt, nach dem Wohlgefallen des Herrn zu leben, unser Wesen mit Seinen himmlischen Eigenschaften zu schmücken und zu versuchen, das Leid und Elend der Menschen zu mildern.
Wenn ein Mensch dies nicht tut, so wird er, selbst wenn er Gott preist
und Ihm in jeder Sekunde hunderttausend Danksagungen darbringt, davon
nicht den kleinsten Erfolg haben, denn es sind nur Worte ohne Licht.
Darum müssen wir sehr glücklich, sehr froh, sehr vergnügt, sehr zufrieden,
sehr freudig sein, denn wir sind
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versenkt in den Ozean der Gaben Bahá’u’lláhs ... Ein nachdenklicher
Mensch erfreut sich der Gaben und Segnungen Gottes.
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Niedergeschlagenheit und Kummer kommen vom Zustande des Unzufriedenseins mit dem, was Gott für uns verordnet hat. Wer sich Gott anheimgibt, ist glücklich.
Ein Mann frug einen anderen: „Wie fühlst du dich?“ Er antwortete: „Vollkommen glücklich.“ „Weshalb bist du so glücklich?“ Er antwortete: „Weil alle Dinge des Daseins sich meinem Willen gemäß verhalten; darum finde ich nichts, was meinem Wunsche zuwider läuft: folglich habe ich keine Trübsal. Ohne Zweifel geschehen alle Dinge nach dem Willen Gottes, und ich habe meinen eigenen Willen aufgegeben und verlange nach dem Willen Gottes. Folglich wird mein Wille zum Willen Gottes, denn nichts ist von mir selbst. Alles geschieht nach Seinem Willen, darum geschieht es nach meinem Willen. In diesem Zustand bin ich sehr glücklich.“ Wenn der Mensch sich ergibt, wird alles nach seinem Willen geschehen.
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Der Mensch, als Einzelwesen der menschlichen Gesellschaft, sollte seine Taten nicht auf das Gesetz der Vergeltung gründen. Er muß vergeben, wie Gott die Sünden und Übertretungen Seiner Geschöpfe vergibt.
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Der Mensch muß eine Fundgrube von Mitleid und Mitgefühl sein. Er muß sich mit der ganzen Menschheit in Freude und Sympathie verbinden. Er darf sein Antlitz von keiner Seele abwenden. Er muß die Gefallenen aufrichten und die Hoffnungslosen trösten. Er muß beiden, Freund und Fremdling, mit Güte begegnen.
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O ihr Freunde Gottes! Zeiget ein solches Betragen, daß alle Nationen und Vereinigungen der Welt und selbst die Feinde ihr Glauben, Vertrauen und Hoffen auf euch setzen, daß, wenn ein Mensch hunderttausendmal irrt, er euch doch sein Antlitz in der Hoffnung zuwendet, ihr werdet ihm vergeben; denn er soll weder hoffnungslos werden, noch gramzerrissen oder verzweifelt. Dies ist das Betragen und die Art des Volkes von Bahá. Ihr solltet euere Haltung den Ratschlägen ‘Abdu’l-Bahás anpassen!
- —————
Mögen die Menschen einen solch hohen Grad von Uneigennützigkeit erlangen, daß sie ihr Leben füreinander opfern! Dies ist das wahre Leben der Menschheit. Dies ist in Übereinstimmung mit dem Wohlgefallen der Gesegneten Vollkommenheit!
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Der Mensch sollte sich immer zu denen gesellen, von welchen er Licht
empfangen kann, oder zu denen, welchen er Licht geben kann. Er sollte
[Seite 78]
Förderung entweder empfangen oder geben; mit Menschen zusammen zu
sein ohne eine dieser beiden Möglichkeiten, ist Zeitverschwendung um
nichts, und damit gewinnt weder er selbst, noch veranlaßt er andere, etwas
zu gewinnen.
- (Fortsetzung folgt)
DER VERHEISSENE TAG IST GEKOMMEN[Bearbeiten]
Von Shoghi Effendi*)
- An die Geliebten Gottes und die Dienerinnen des Barmherzigen im Westen. Freunde und Miterben des Königreiches von Bahá’u’lláh!
Ein Sturm, beispiellos in seiner Heftigkeit, unberechenbar in seinem Verlauf, niederschmetternd in seinen unmittelbaren Auswirkungen, unvorstellbar herrlich aber in seinen letzten Folgen, fegt zur Zeit über das Antlitz der Erde. Seine treibende Gewalt wächst unbarmherzig an Raum und Bedeutung. Seine läuternde Kraft wächst mit jedem dahinschwindenden Tage, wenn sie auch erst von wenigen entdeckt wurde. Die Menschheit, von den Klauen seiner verheerenden Macht erfaßt, wird gepeitscht von den Ausbrüchen seines unwiderstehlichen Wütens. Sie kann weder seinen Ursprung erfassen, noch seine Bedeutung ergründen, noch seine Folgen beurteilen. In Todesangst verwirrt und hilflos sieht sie diesen gewaltigen Sturm Gottes die fernsten und schönsten Regionen der Erde befallen, ihre Grundfesten erschüttern, ihr Gleichgewicht zerstören, ihre Nationen spalten, die Heime ihrer Menschen vernichten, ihre Städte verwüsten, ihre Könige verstoßen, ihre Bollwerke niederreißen, ihre Einrichtungen entwurzeln, ihr Licht verdüstern und die Seelen ihrer Bewohner zermürben.
„Die Zeit der Zerstörung der Welt und ihrer Menschen ist gekommen“,
hat Bahá’u’lláhs prophetische Feder verkündet. „Die Stunde naht“, so
bekräftigt Er ausdrücklich, „da sie in heftigsten Krämpfen zuckt.“ „Der
verheißene Tag ist gekommen, der Tag, da qualvolle Heimsuchungen
über eueren Häuptern und unter eueren Füßen wogen und künden:
„Schmecket, was euere Hände geschaffen haben!“ „Bald werden die Schläge
Seiner Züchtigung auf euch niedersausen und der Staub der Hölle wird
euch verhüllen.“ Und wiederum: „Und wenn die festgesetzte Stunde
gekommen ist, dann wird plötzlich erscheinen, was die Glieder der Menschheit
erbeben macht.“ „Der Tag naht heran,
[Seite 79]
da ihre (d. h. der Zivilisation) Flamme die Städte verzehren wird,
da die Zunge der Erhabenheit verkünden wird: ‚Das Reich ist Gottes,
des Allmächtigen, des Allgepriesenen!'“ „Bald wird der Tag kommen“,
hat Er, auf die Narren der Welt verweisend, geschrieben, „da sie um Hilfe
hinausschreien werden und keine Antwort empfangen werden.“ „Der Tag
naht heran“, hat Er des weiteren geweissagt, „da des Allmächtigen
grimmer Zorn sie gepackt hat. Er, wahrlich, ist der Allmächtige, der
Allbezwinger, der Machtvollste! Er wird die Erde von der Besudelung ihrer
Verderbnis säubern und wird sie solchen unter Seinen Dienern zum Erbe
geben, die Ihm nahe sind.“
„Was aber jene betrifft, die Ihn, der das erhabene Tor Gottes ist, verleugnen“, so hat der Báb seinerseits im Qayyúmu’l-Asmá’ bekräftigt, „denen haben Wir, nach Gottes gerechter Verordnung, schmerzliche Qualen vorgesehen. Und Er, Gott, ist der Mächtige, der Weise.“ Und weiter sodann: „O Völker der Erde! Ich schwöre bei euerem Herrn! Ihr werdet tun, wie frühere Geschlechter getan. So warnet euch denn selbst vor der schrecklichen, der höchst schmerzlichen Vergeltung Gottes. Denn wahrlich, Gott ist mächtig über alle Dinge.“ Und wiederum: „Bei Meiner Herrlichkeit! Ich will mit den Händen Meiner Macht die Ungläubigen Vergeltungen kosten lassen, die niemand kennt außer Mir, und will über: die Getreuen moschusgewürzte Düfte wehen lassen, die Ich im innersten Herzen Meines Thrones gehegt habe.“
Liebe Freunde! Das machtvolle Walten dieser titanischen Umwälzung ist nur denen faßbar, die den Anspruch Bahá’u’lláhs sowohl wie den des Báb erkannt haben. Ihre Anhänger wissen gar wohl, woher es kommt und wohin es letzten Endes führen wird. Wenn sie auch nicht wissen, wie weit es reichen wird, so erkennen sie doch klar seinen Ursprung, werden seiner Richtung gewahr, sehen seine Notwendigkeit ein, beobachten zuversichtlich seinen geheimnisvollen Verlauf, beten inbrünstig um Milderung seiner Strenge, bemühen sich einsichtsvoll, sein Wüten zu lindern und sehen mit ungetrübtem Blick das Ende der Schrecknisse und die Hoffnungen voraus, die es ja notwendig erzeugen muß.
Dieses Gottesgericht.
Dieses Gottesgericht, wie es von denen geschaut wird, die Bahá’u’lláh als Sein Sprachrohr und als Seinen größten Gesandten auf Erden erkannt haben, ist sowohl eine Trübsal der Vergeltung wie auch ein Akt heiliger und höchster Züchtigung. Es ist zugleich eine Heimsuchung von Gott und ein Läuterungsprozeß für die ganze Menschheit. Seine Feuer strafen die Verderbnis der Menschenrasse und schweißen ihre einzelnen Teile zu einer organischen, unteilbaren, weltumfassenden Gemeinschaft zusammen. Die Menschheit wird in diesen schicksalschweren Jahren — die zugleich den Ablauf des ersten und den Anbruch eines neuen Jahrhunderts des Bahá’i-Zeitalters ankünden, wie es von Ihm, dem Richter und Erlöser der menschlichen Rasse, verordnet ist — gleichzeitig über ihre vergangenen Taten zur Rechenschaft aufgerufen und für ihre zukünftige Sendung geläutert und vorbereitet. Sie kann weder den Verantwortungen für die Vergangenheit entgehen, noch denen für die Zukunft ausweichen. Gott, der Wachsame, der Gerechte, der Liebende, der allweise Verordner, kann in dieser höchsten Sendung weder die Sünden einer noch nicht neugeborenen Menschheit, seien es Unterlassungs- oder Tatsünden, unbestraft hingehen lassen, noch wird Er gewillt sein, Seine Kinder ihrem Schicksal zu überlassen und ihnen jenen Höhepunkt und Wonnezustand in ihrer langen, langsamen und schmerzenreichen Entwicklung durch die Zeitalter hindurch zu versagen, der zugleich ihr unveräußerliches Recht und ihre wahre Bestimmung ist.
„Regt euch, ihr Völker“, ist einerseits die schicksalvolle Warnung, die Bahá’u’lláh selbst ertönen ließ, „in der Vorschau auf die Tage göttlicher Gerechtigkeit, denn die verheißene Stunde ist jetzt gekommen.“ „Gebt auf, was ihr besitzet, und ergreifet das, was Gott, der die Nacken der Menschen beugt, euch gebracht hat. Wisset wahrlich, daß, wenn ihr euch nicht abkehrt von dem, was ihr begangen habt, Züchtigung über euch kommen wird von allen Seiten, und ihr schlimmere Dinge schauen werdet, als ihr je zuvor geschaut.“ Und weiter dann: „Wir haben eine Zeit für euch bestimmt, o Menschen! Wenn ihr versäumt, zur festgesetzten Stunde euch Gott zuzuwenden, so wird Er, wahrlich, gewaltig Hand an euch legen und euch mit schmerzlichen Leiden von allen Seiten bedecken. Wahrlich, streng ist die Züchtigung, wenn euer Herr euch heimsuchen wird!“ Und wiederum: „Gott beherrscht gewißlich das Leben jener, die Uns Unrecht taten, und wird ihres Tuns wohl gewahr. Er wird sie sicherlich um ihrer Sünden willen ergreifen. Er, wahrlich, ist der grimmigste der Rächer.“ Und schließlich: „O ihr Völker der Welt! Wisset wahrlich, daß unvorhergesehene Trübsal euch folgen wird und daß schmerzliche Vergeltung eurer wartet. Denkt nicht, die Taten, die ihr begangen habt, seien ausgelöscht vor Meinem Antlitz. Bei Meiner Schönheit! All euer Tun hat Meine Feder mit offenen Lettern auf Tafeln von Chrysolith eingegraben.“
„Die ganze Erde ist jetzt im Zustande der Trächtigkeit“, gibt
Bahá’u’lláh andererseits mit Nachdruck kund, eine glänzende Zukunft für eine
in Finsternis gehüllte Welt
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voraussagend. „Der Tag naht heran, da sie die edelsten Früchte zeitigt, da ihr
die stolzesten Bäume entsprießen, die entzückendsten Blüten, die himmlischsten
Segnungen.“ „Die Zeit ist nahe, da alles Erschaffene seine Bürde abwerfen wird.
Verherrlicht sei Gott, der diese Gnade gewährt, die alle Dinge umfängt,
die sichtbaren wie die unsichtbaren!“ „Diese großen Unterdrückungen“, hat Er
ferner geschrieben, der Menschheit goldenes Zeitalter vorausdeutend, „bereiten sie
für das Kommen der ‚Größten Gerechtigkeit‘ vor.“ Diese ‚Größte Gerechtigkeit‘
ist in der Tat die Gerechtigkeit, auf welcher der Bau des ‚Größten Friedens‘
allein beruhen kann und schließlich muß, während der Größte
Friede umgekehrt jene größte, jene Weltzivilisation einleiten wird, die
für immer Ihm verbunden sein wird, der den ‚Größten Namen‘ trägt.
Geliebte Freunde! Wohl nahezu hundert Jahre sind dahingegangen, seit
die Offenbarung von Bahá’u’lláh über der Welt aufdämmerte, eine Offenbarung,
deren Wesen, wie Er selbst bestätigt, „die Manifestationen alter
Zeiten nur bis zu einem vorgezeichneten Grade jemals völlig begriffen
haben.“ Ein ganzes Jahrhundert hat Gott dem Menschengeschlecht Frist
gewährt, auf daß es den Begründer einer solchen Offenbarung anerkenne,
für Seine Sache eintrete, Seine Größe verkünde und Seine Ordnung
aufrichte. In hundert Bänden, den Verwahrungsorten unschätzbarer Lehren,
mächtiger Gesetze, einzigartiger Grundsätze, leidenschaftlicher Ermahnungen,
wiederholter Warnungen, erstaunlicher Prophezeiungen, erhabener
Anrufungen und gewichtiger Auslegungen, hat der Träger einer solchen
Botschaft wie kein Prophet vor Ihm die Sendung verkündet, mit welcher.
Gott Ihn betraut hat. An Kaiser, Könige, Fürsten und Machthaber, an
Herrscher, Regierungen, Geistlichkeit und Völker im Osten wie im Westen,
an Christen, Juden, Mohammedaner wie Zoroastrer, sandte Er vor nahezu
fünfzig Jahren und unter den tragischsten Umständen diese unschätzbaren
Perlen der Erkenntnis und Weisheit, die in dem Weltmeer Seiner
unvergleichlichen Sprache verborgen sind. Ruhm und Reichtum entsagend,
Gefangenschaft und Verbannung erduldend, Verruf und Schmähung
nicht achtend, körperliche Unbill und grausame Entbehrungen ertragend,
litt Er es, der Statthalter Gottes auf Erden, verbannt zu werden von Ort
zu Ort, von Land zu Land, bis Er zuletzt, im allergrößten Gefängnis,
Seinen gemarterten Sohn zum Opfer darbrachte als Pfand für die Erlösung
und Einigung des ganzen Menschengeschlechts. „Wir, wahrlich“, so hat
Er selbst bezeugt, „sind nicht hinter Unserer Pflicht zurückgeblieben, die
Menschen zu ermahnen und ihnen zu bringen, was Uns von Gott,
dem Allmächtigen, dem Allgepriesenen,
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geheißen ward. Hätten sie auf Mich gehört, so hätten sie die Erde als eine
andere Erde geschaut.“ Und wiederum: „Gibt es für irgend jemand noch
irgend eine Entschuldigung in dieser Offenbarung? Nein, bei Gott, dem
Herrn des mächtigen Thrones! Meine Zeichen haben die Erde umfaßt und
Meine Macht hat das ganze Menschengeschlecht umhüllt, und dennoch sind
die Menschen in seltsamem Schlaf umfangen.“
Welche Antwort auf Seinen Ruf?
Wie hat — so mögen wir uns wohl fragen — die Welt, der Gegenstand solch göttlicher Fürsorge, es Ihm gedankt, Ihm, der Sein Alles um ihretwillen geopfert hat? Welche Art des Willkomms gewährte sie Ihm, und welche Antwort rief Sein Appell hervor? Ein Geschrei, ohnegleichen in der Geschichte des schiitischen Islam, begrüßte das junge Licht des Glaubens in seinem Geburtslande inmitten eines Volkes, das verrufen war durch seine krasse Unwissenheit, seinen grimmen Fanatismus, seine barbarische Grausamkeit, seine eingewurzelten Vorurteile und den unbegrenzten Einfluß, den eine fest verschanzte Kirchenherrschaft auf die Massen ausübte. Die Verfolgung entflammte einen Mut, der, wie von keinem Geringeren als dem verstorbenen Lord Curzon of Kedleston bezeugt, auch von dem Mut, den die Feuer von Smithfield entfachten, nicht übertroffen ward, und mähte mit tragischer Schnelle nicht weniger als zwanzigtausend heldenhafte Anhänger nieder, die sich weigerten, ihren neugeborenen Glauben gegen flüchtige Ehren und Sicherheiten eines sterblichen Lebens einzutauschen.
Zu den körperlichen Qualen, die diesen Duldern zugefügt wurden, gesellten sich noch ganz unverdiente Anschuldigungen, als handle es sich um Nihilismus, Okkultismus, Anarchismus, Eklektizismus, Unmoral, Sektiererei, Ketzerei, politisches Parteigängertum, eine jede einzelne durch die Grundsätze des Glaubens und durch die Haltung seiner Anhänger überzeugend widerlegt. Und dies ließ die Zahl derer anschwellen, die, aus Unwissen oder Bosheit, seiner Sache Schaden zufügten.
Erschreckende Gleichgültigkeit von seiten der Männer von Stand und
Rang, unerbittlicher Haß von den kirchlichen Würdenträgern eben
des Glaubens, dem dieser Glaube entsprungen war, verächtlicher Spott
durch das Volk, aus dessen Mitte er geboren war, tiefste Verachtung von
seiten der meisten Könige und Herrscher, an die sein Stifter sich gewandt hatte,
dazu die ausgesprochenen Verdammungen, die ausgestoßenen Drohungen, die
Verbannungen, die beschlossen wurden von jenen, unter deren
Macht er sich erhoben und zuerst verbreitet hatte, die Verdrehung,
der seine Grundsätze und Gesetze durch
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die Neider und Bösen unterworfen waren, in Ländern und unter Leuten
weit jenseits seines Ursprungslandes all dies sind nur die Beweise der
Behandlung, die ihm von einem in Selbstzufriedenheit versunkenen,
seines Gottes nicht achtenden und die von Seinen Boten geoffenbarten
Vorzeichen, Weissagungen, Warnungen und Mahnungen vergessenden
Geschlechte zugemessen wurden.
Die Schläge, die so schwer auf die Anhänger eines so köstlichen, herrlichen und mächtigen Glaubens niederfielen, konnten jedoch nicht die Erbitterung seiner Verfolger besänftigen. Und es genügten auch nicht die wohl überlegten und böswilligen Verdrehungen seiner Grundlehren, seiner Ziele und Zwecke, seines Hoffens und Strebens, seiner Einrichtungen und Tätigkeiten, um die Hand des Unterdrückers und Verleumders aufzuhalten, der mit allen ihm zu Gebote stehenden Mitteln seinen Namen zu vernichten und sein System zu vertilgen suchte. Die Hand, die eine so große Zahl seiner untadeligen, demütigen Verehrer und Diener niedergeschlagen hatte, war jetzt erhoben, um den Begründern des Glaubens die schwersten und grausamsten Schläge zu erteilen.
Der Báb - „der Punkt“, wie Bahá’u’lláh bekräftigt, „um den die Wirklichkeiten der Propheten und Gottgesandten kreisen“ — ward als erster in den Strudel gezogen, der Seine Anhänger verschlang. Plötzliche Gefangennahme und Haft schon im ersten Jahre Seiner kurzen, dramatischen Laufbahn, öffentliche, wohl überlegte Beschimpfung in Gegenwart der kirchlichen Würdenträger in Schiras, strenge, langhin verschleppte Kerkerhaft in den kahlen Bergfesten von Adhirbáyjáns, verächtliche Geringschätzung und feige Eifersucht, die Ihm besonders von der höchsten Amtsstelle des Reiches und vom ersten Minister der Regierung zuteil wurden, das sorgfältig inszenierte, possenhafte Verhör, das Er in Gegenwart des Thronerben und hervorragender Geistlicher in Täbris durchmachen mußte, die schändliche Verhängung der Bastonade im Gebethause aus der Hand des Shaykhu’l-Islám jener Stadt und schließlich das Erhängen im Kasernenhof in Täbris und die Salve von über siebenhundert Kugeln auf Seine jugendliche Brust unter den Augen einer verstockten Menge von etwa zehntausend Menschen, und als Gipfel die schmachvolle Schaustellung seiner zerfetzten Überreste am Rande des Grabens draußen vor dem Stadttor — das waren Schritt für Schritt die Stationen des stürmischen und tragischen Dienens dessen, der mit Seiner Zeit die Vollendung aller Zeitalter einleitete und dessen Offenbarung die Verheißung aller Offenbarungen erfüllte.
„Ich schwöre bei Gott“, so hat der Báb selbst in Seiner Botschaft an
Schah Muhammad geschrieben, „wüßtest
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du von den Dingen, welche Mir im Zeitraum dieser vier Jahre aus den
Händen deines Volkes und deines Heeres zugestoßen sind, so würde dir
dein Atem stocken aus Furcht vor Gott... Wehe, wehe ob der Dinge,
die Mich betroffen haben! Ich schwöre bei dem allergrößten Herrn! Würde
man dir erzählen, an welchem Ort Ich hause, so wärest du selbst der erste,
der Erbarmen mit Mir empfände. Im Herzen eines Gebirges ist eine Festung
(Mákú)... deren Bewohner auf zwei Wächter und vier Hunde begrenzt sind.
So male dir denn Meinen Zustand aus... In diesem Gebirge bin
Ich allein verblieben und bin in eine solche Lage geraten, daß keiner jener,
die Mir vorangegangen waren, das erlitten hat, was Ich erlitten habe, noch
je ein Übeltäter ertragen hat, was Ich ertragen habe.“
„Wie verhüllt seid ihr doch, o Meine Geschöpfe“, hat Er, mit der Stimme Gottes redend, im Bayán geoffenbart, „...die ihr, ohne jedes Recht, Ihn einem Berge (Mákú) ausgeliefert habt, von dessen Bewohnern nicht einer der Erwähnung wert ist... Mit Ihm, das heißt mit Mir, ist nicht einer außer dem, der einer der Buchstaben des Lebendigen Meines Buches ist. In Seiner Gegenwart, welche Meine Gegenwart ist, da scheint zur Nachtzeit nicht einmal eine Lampe. Und doch leuchten in Andachtstätten, die in vielerlei Graden zu Ihm sich hinwenden, unzählige Lampen. Alles, was auf Erden ist, ist für Ihn erschaffen, und alle nehmen an der Wonne Seiner Wohltaten teil, und doch sind jene so verhüllt vor Ihm, daß sie Ihm sogar eine Lampe verweigern.“
Und was hat erst Bahá’u’lláh betroffen, dessen Offenbarung in ihrem Kern, wie vom Báb bezeugt ist, mit einer den vereinten Kräften der babistischen Sendung überlegenen Kraft begabt ist? Ward Er - für welchen der Báb gelitten hat und unter solch tragischen und wundersamen Umständen gestorben ist — nicht fast ein halbes Jahrhundert lang unter der Herrschaft der beiden mächtigsten Gewalthaber des Ostens zur Zielscheibe einer methodisch ausgeheckten Verschwörung gemacht, die an Wirkung und Dauer kaum ihresgleichen findet in den Annalen früherer Religionen?
„Die Grausamkeiten, die Mir Meine Unterdrücker zufügten“, so hat Er
selbst in Seiner Qual ausgerufen, „haben Mich niedergebeugt und Mein
Haar gebleicht. Solltest du dich vor Meinem Throne zeigen, so würdest du
die altehrwürdige Schönheit nicht wiedererkennen, denn die Frische
Ihres Antlitzes ist verwandelt und Ihr Glanz dahingeschwunden als Folge
der Bedrängnis durch die Ungläubigen. Ich schwöre bei Gott! Ihr Herz,
Ihre Seele und Ihre Lebenskraft sind dahingeschmolzen.“ „Könntest du mit
Meinem Ohre hören“, so erklärt Er des weiteren, „dann würdest du hören,
wie 'Alí (der Báb) Mich in Gegenwart
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des herrlichen Gefährten beklagt und wie Muhammad um Mich weinet am
allerhöchsten Horizonte und wie der Geist (Jesus) sich ans Haupt schlägt
im Himmel Meines Ratschlusses um dessetwillen, was diesem Mißhandelten
zugestoßen ist von seiten eines jeden gottlosen Sünders.“ „Vor Mir“, hat
Er an anderer Stelle geschrieben, „steigt die Schlange der Wut hoch
mit aufgesperrten Kiefern, Mich zu verschlingen, und hinter Mir schleicht
der Löwe des Zornes, um Mich in Stücke zu zerreißen, und über Mir,
o Mein Vielgeliebter, ziehen die Wolken Deines Ratschlusses und regnen
auf Mich die Schauer der Trübsale, während unter Mir die Speere des
Unglücks starren, bereit, Meine Glieder und Meinen Körper zu verwunden.“
„Könnte man dir erzählen“, so bekräftigt Er weiterhin, „was die urewige
Schönheit befallen hat, so würdest du in die Wildnis fliehen und
weinen in großem Jammer. In deinem Gram würdest du dich ans Haupt
schlagen und aufschreien wie ein von der Natter Gestochener... Bei der
Gerechtigkeit Gottes! Jeden Morgen, da Ich Mich von Meinem Bett erhob,
entdeckte Ich unzählige Trübsale hinter Meiner Türe in Scharen versammelt,
und auch jeden Abend, da Ich Mich niederlegte, war, ach, Mein Herz
zerrissen von Angst und Qual durch all das, was es durch die teuflische
Grausamkeit der Feinde zu leiden hatte. Mit jedem Stück Brot, das die
urewige Schönheit bricht, ist der Ansturm neuer Trübsale gepaart und
jedem Tropfen, den Sie trinkt, ist die Bitternis schmerzlichster Versuchungen
zugemischt. Jedem Schritt, den Sie tut, geht ein Heer unvorhergesehenen
Elends voran, während im Hintergrund Legionen quälender Sorgen
Ihr folgen.“
War nicht Er es, der sich im jugendlichen Alter von siebenundzwanzig
Jahren aus freiem Entschluß erhob, um, nur in der Eigenschaft eines
Anhängers, für die im Werden begriffene Sache des Báb einzutreten? War
nicht Er es, der mit der Übernahme der tatsächlichen Führung einer geächteten
und gehetzten Sekte Sich selbst, Seine Familie, Seine Besitzungen,
Seinen Rang und Seinen Ruf schweren Gefahren, blutigen Angriffen,
allgemeiner Plünderung und wütenden Schmähungen aussetzte, von
seiten der Regierung sowohl wie des Volkes? War nicht Er es — der Träger
einer Offenbarung, dessen Tag „jeder Prophet verkündigt hat“, nach
welchem „die Seele eines jeden Gottgesandten gedürstet hat“ und mit welchem
„Gott die Herzen der ganzen Schar Seiner Gesandten und Propheten geprüft
hat“ — der Träger einer solchen Offenbarung, der auf Anstiften der schiitischen
Geistlichen und auf Befehl des Schah selbst gezwungen wurde, nicht weniger als
vier Monate lang in gänzlicher Finsternis zu leben, in der Gesellschaft gemeinster
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Verbrecher, niedergedrückt durch wund reibende Ketten, in der Pestluft
des ungezieferverseuchten unterirdischen Kerkers in Teheran — an einem
Orte, der, wie Er später selbst erklärte, auf mystische Weise in nichts
Geringeres als in den Schauplatz von Gottes Ankündigung Seiner
Prophetenschaft verwandelt ward?
„Wir wurden“, so schrieb Er in Seinem ‚Brief an den Sohn des Wolfes‘, „für vier Monate in einen unvorstellbar stinkenden Ort verwiesen. Dem Kerker, worin dieser Mißhandelte und andere ähnlich Mißhandelte festgehalten waren, wäre eine dunkle, enge Grube vorzuziehen ... Der Kerker war in dichte Finsternis gehüllt, und Unsere Mitgefangenen zählten nahezu hundertfünfzig Seelen: Diebe, Mörder und Räuber. Obwohl überfüllt, hatte er keinen anderen Ausgang als den Durchlaß, durch den Wir hereingekommen waren. Keine Feder kann jenen Ort schildern, noch eine Zunge seinen ekelhaften Gestank beschreiben. Die meisten dieser Männer hatten weder Tuch noch Bettzeug, um darauf zu liegen. Gott allein weiß, was Wir auszuhalten hatten an jenem fauligstinkenden, finsteren Ort!“ „'Abdu’l-Bahá“, schreibt Dr. J. E. Esslemont, „erzählt, wie Ihm eines Tages erlaubt wurde, den Gefängnishof zu betreten, um Seinen geliebten Vater zu sehen, als Er zu Seiner täglichen Bewegung herauskam. Bahá’u’lláh war schrecklich entstellt und so krank, daß Er kaum gehen konnte. Sein Haar und Bart waren ungekämmt, Sein Nacken wundgescheuert und geschwollen durch den Druck eines schweren Stahlhalsringes, Sein Körper gebeugt durch das Gewicht der Ketten.“ „Drei Tage und drei Nächte“, so hat Nabil in seiner Chronik verzeichnet, „wurde Bahá’u’lláh keinerlei Essen oder Trinken gegeben. Ruhe sowohl wie Schlaf waren Ihm unmöglich. Der Ort war mit Ungeziefer übersät und der Gestank jener düsteren Behausung genügte, die Lebensgeister derer zu ersticken, die verdammt waren, seine Schrecken zu erdulden.“ „So heftig waren Seine Leiden, daß die Spuren jener Grausamkeit Seinem Körper das ganze Leben eingekerbt blieben.“
Und was für andere Trübsale betrafen Ihn vor und unmittelbar nach dieser
schrecklichen Episode? Was war das mit Seiner Haft in dem Hause eines
der Kad-Khudás in Teheran? Und die wilde Gewalttat, als Er von
der zornigen Volksmenge in der Nähe des Dorfes Níyálá gesteinigt wurde?
Und Seine Einkerkerung durch die Sendlinge des Heeres des Schah in
Mázindarán und die Bastonade, die Er auf Befehl und in Gegenwart der
versammelten Siyyids und Mujtahids erhielt, denen Er durch die
Zivilbehörden von Amul in die Hände geliefert worden war? Und das
Spott- und Schimpfgeheul, womit eine Menge von Raufbolden Ihn weiterhin [Seite 87]
verfolgte? Und die ungeheuerliche Anklage, die das kaiserliche Haus, der
Hof und das Volk gegen Ihn erhoben, als der Anschlag auf das Leben des
Schah Násiri’d-Din verübt war? Und die schändlichen Beschimpfungen, die
Schmach und der Spott, mit denen Er überhäuft wurde, als Er von den
verantwortlichen Offizieren der Regierung gefangengesetzt und aus Niyávarán,
„zu Fuß und in Ketten, barhäuptig und barfuß“ und den grimmen
Strahlen der Hochsommersonne ausgesetzt, nach dem Siyáh-Chál in Teheran
geführt wurde? Und die Habgier, womit verdorbene Beamte Sein
Haus plünderten, all Seinen Besitz hinwegtrugen und über Sein Vermögen
verfügten? Und der grausame Erlaß, der Ihn von der kleinen Schar
der verwirrten, gehetzten und hirtenlosen Anhänger des Báb hinwegriß,
Ihn von Verwandten und Freunden trennte und Ihn im tiefen Winter,
geplündert und verunglimpft, nach dem Irak verbannte?
So streng diese Trübsale waren, die mit verwirrender Schnelligkeit einander folgten als Ergebnis vorbedachter Angriffe und planmäßiger Ränke des Hofes, der Geistlichkeit, der Regierung und des Volkes, so waren sie doch nur das Vorspiel einer qualvollen, langgedehnten Gefangenschaft, die jener Erlaß der Form nach eingeleitet hatte. Diese lange Verbannung erstreckte sich über einen Zeitraum von mehr als vierzig Jahren, führte Ihn nacheinander in den Irak, nach Sulaymániyyih, Konstantinopel, Adrianopel und zuletzt in die Strafkolonie Akka und ging erst mit Seinem Tode im Alter von über siebzig Jahren zu Ende. So kam eine Gefangenschaft zum Abschluß, wie sie an Reichweite, an Dauer und an Verschiedenheit und Strenge ihrer Leiden ohne Beispiel in der Geschichte früherer Gottesoffenbarungen ist.
Es ist nicht nötig, sich weiterhin über die einzelnen Geschehnisse auszulassen, die ein düsteres Licht auf die erschütternden Annalen jener Jahre werfen, nicht nötig, bei dem Charakter und den Taten der Völker, Herrscher und Geistlichen zu verweilen, die dabei eine Rolle spielten und dazu beitrugen, die Schärfe der Szenen dieses größten Dramas der geistigen Weltgeschichte noch zu steigern.
- (Fortsetzung folgt)
*) In Englisch erschienen: Bahá’i Publishing Committee, Willmette, Ill., USA, 1941. 2. Auflage 1943; ins Deutsche übertragen von Dr. Adelbert Mühlschlegel.
DER WEG ZUR SELIGKEIT[Bearbeiten]
Von Marie Schenck, Darmstadt*).
Liebe Freunde, alles was auf dieser Erde atmet, strebt nach Lust, nach
Freude, nach Seligkeit. Auch wir Menschen brauchen uns dieses Triebes
nicht zu schämen, er ist uns von Gott eingeboren. Er ist wohl der
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stärkste Trieb überhaupt, und er verbindet uns wie kein anderer mit der
gesamten übrigen Schöpfung. Jede Pflanze strebt zum Licht, genau ebenso
streben wir dem entgegen, was unser Dasein erhöht, und das ist die
Freude.
Aber alles, was in der unbewußten Natur einfach und gradlinig ist, spaltet sich beim Menschen, und kann so oder so geleitet, so oder so gedeutet werden, weil er nun einmal den freien Willen hat und als einziges der Geschöpfe wählen kann. So ist es auch mit seinem Trieb nach Lust, nach Erhöhung seines Lebensgefühls. Ihn kann alles in den Abgrund führen, und dann ist er weit tiefer erniedrigt als irgend ein Tier, das immer die Unschuld der Natur umgibt; alles kann aber auch seiner höheren, seiner göttlichen Natur dienen, kann ihn Gott näher bringen!
Die Bahá’i-Religion ist eine ausgesprochen freudige Religion. Wie könnte es auch anders sein; sie will ja die Fülle der Zeit, das goldene Zeitalter einleiten. Bahá’u’lláh sagt niemals, daß wir uns nicht freuen sollten; im Gegenteil, diese Erde soll eine Stätte der Freude werden. Er sagt nur wieder und wieder, daß wir zu Höchstem berufen seien, und daß wir uns darum doch nicht an so niedrigen Dingen genügen lassen sollen! Die „Verborgenen Worte“ sind voll von solchen Mahnungen.
„Verlaßt die ewige Schönheit nicht um eines vergänglichen Reizes willen und hängt Euer Herz nicht an die Welt des Staubes ... Suche keine Zuflucht, außer in der Heimat des Wohlgeliebten... Löse dich innerlich ab von jeglichem Reichtum, auf daß dir ein dauernder Anteil am Meer Meines ewigen Reichtums zufließe.... O Sohn des Menschen! Meine Ewigkeit ist Meine Schöpfung. Ich schuf sie für dich. Mache sie zum Gewande deines Tempels! Meine Einheit ist Mein Werk. Ich webte sie für dich. Kleide dich darein, auf daß du in alle Ewigkeit die Offenbarung Meines ewigen Wesens werdest!... Nimm aus den Händen des göttlichen Schenken den Kelch des unsterblichen Lebens! ... Herrlich ist das Reich der Ewigkeit. O würdest du dich über diese vergängliche Welt erheben! ... Würdest du diese Stufe erreichen, so würdest du frei sein von Tod, Verderben, Mühsal und Sünde!“
So lockt uns Bahá’u’lláh zu immer höheren Stufen! Wir sollen es lernen, rein irdische Freuden mit geistigen Freuden zu vertauschen. Denn dies ist ja der Kernpunkt der neuen Offenbarung: Wir sollen uns Gott zuwenden, um uns zu vergeistigen! Wir sollen endlich dazu gelangen, unsre irdische Natur zu überwinden, wir sollen geistige, göttliche Wesen sein!
Wenn wir es doch recht verstünden,
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daß es nichts Schlimmes oder Trauriges ist, wozu Er uns ruft, sondern
etwas Wundervolles, eine frohe Botschaft, — ja, daß die eigentliche,
ewige und ganz unzerstörbare Freude hier erst anfängt! 'Abdu'l-Bahá
spricht das sehr deutlich aus:
„Alle Sorge, aller Gram rührt aus der stofflichen Welt her, — die geistige Welt schenkt nichts als Freude! All unsre Sorge, Mühe, Schande und Kümmernis werden in der Welt des Stoffes geboren, während das geistige Reich nie Traurigkeit hervorruft. Ein Mensch, der mit seinen Gedanken in diesem Reich lebt, kennt ständige Freude. Laßt uns die Herzen hinwegheben von der Welt des Stoffes und in der Welt des Geistes leben! Sie einzig kann uns Freiheit geben.“
So sollen wir also die Spanne unsrer Lebenszeit benutzen, um uns zu vergeistigen, und so soll auch unsre Freude immer edler, immer geistiger werden. — Ein kleines Kind, das selig und jauchzend im Sonnenschein herumtollt, ist ein erfreulicher Anblick, wenn es sich auch nicht sehr von einem jungen Hündchen unterscheidet, das dasselbe tut. Ein junger Mensch, der an einem schönen Frühlingsmorgen auf einem edlen Pferd in die Welt galoppiert, mag in seiner Daseinsfreude sich sehr stark mit dem Pferd verbunden fühlen; daneben wird er aber auch Verschiedenes denken und fühlen, woran das Pferd keinen Teil mehr hat. Dafür ist er ein Mensch! Und die geistigen Freuden und Erhebungen, die ein alternder Mann, eine alte Frau haben, sind überhaupt nicht mehr zu vergleichen mit denen irgend eines Tieres. Wer schön und würdig altern will, muß sich notwendig vergeistigen. Am kleinen Kind freuen wir uns, wenn es auch noch auf der kreatürlichen Stufe steht. In der Jugend, im empfänglichsten Alter, muß der Samen des Geistigen gesät werden, muß dann im Laufe des Lebens zur Weisheit heranreifen. Und aus dieser Weisheit entspringt geistige Freude, die über dieses Leben hinausführt und aus der sich dann die nur uns Menschen verheißene höchste Stufe der Freude, die Seligkeit, entwickeln wird.
Denken wir doch immer daran, daß wir wirklich Geschöpfe ganz besonderer
Art sind, mit keinem anderen Geschöpf dieser Erde zu vergleichen.
Das schöne Wort, daß Gott den Menschen zu seinem Ebenbilde erschuf,
ist ein Gleichnis für diese Einzigartigkeit seines Wesens. Alle Verirrungen,
alle noch so grauenhaften Entgleisungen, die wir gerade in den letzten
Zeiten schaudernd miterlebt haben, dürfen uns nicht irre daran machen,
daß wir trotz allem zum Höchsten berufen sind. Wir beten am Morgen:
„Ich bezeuge, o Herr, mein Gott, daß Du mich erschaffen hast, Dich
zu erkennen und Dich anzubeten!“ Dies umschließt unsre einzigartige
hohe Berufung. Wir und nur wir von allen
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Geschöpfen dieser Erde vermögen Gott wenigstens bis zu einem gewissen
Grade zu erkennen, und wir können Ihn anbeten, Ihn loben und Ihm
danken.
Es ist noch nicht lange her, daß ich an einem schönen Frühlingsmorgen in einer der herrlichsten Gegenden Deutschlands auf einer Anhöhe stand. In unendlichen Wellen war das reiche, fruchtbare Gelände vor mir ausgebreitet; weit hinten die glitzernde Fläche des Sees, und noch weiter dahinter, nur noch eine Vision in zartesten morgenroten Tönen, die Kette der Alpen. In diesem Augenblick empfand ich überwältigend und fast wie einen Rausch, welches Vorrecht es ist, daß wir Menschen diese Schönheit sehen, empfinden, erkennen und Gott unserem Schöpfer dafür danken können! Diese hohe Freude ist unser Vorrecht!
Aber auch die Gefühle, die etwa eine Beethoven’sche Symphonie in uns erweckt, oder die wir beim Lesen eines großen Dichterwerkes haben, auch sie sind ausschließlich menschlicher Natur. Wir teilen sie mit keinem andern Geschöpf dieser Erde.
Wir sind arm geworden und vieles ist uns Deutschen jetzt verschlossen. Aber wir wollen doch erkennen, daß gerade die edelsten Genüsse dieser Erde uns noch offen stehen: die Freude an schöner Natur, die Freude an hoher Kunst, die Freude an geliebten Menschen und an großen, göttlichen Gedanken. Auch hier sehen wir, wie der Geist frei macht: gerade die höchsten Güter dieses Lebens können uns nicht genommen werden, und je mehr wir unsre Natur reinigen, erhöhen, vergeistigen, desto unabhängiger werden wir von irdischen Gegebenheiten. Dies mag vielen unter uns, die jetzt so bitter zu leiden haben unter den Nöten und Anforderungen des Alltags, ein gewisser Trost und ein Ansporn sein.
Es ist überhaupt merkwürdig, wie unabhängig wirkliches Glück von
äußeren Umständen ist. Es ist ja nicht wahr, daß Reiche immer glücklich
und Arme immer unglücklich sind. Es gibt sehr arme Reiche und sehr
reiche Arme. Ein Mensch, den seine Mitmenschen auf der höchsten Höhe
des Glückes glauben, kann todunglücklich sein. Ein anderer, der sich
in der denkbar schrecklichsten Lage befindet, kann glückselig sein.
'Abdu'l-Bahá erzählt von einer Periode Seines Lebens, die von außen gesehen
wohl eine Hölle war: „Am Eingang zu den Gefängniskasematten lag das Zimmer
eines Leichenbestatters. Es war ein schrecklicher Raum, und doch
lebte ich hier zwei Jahre in größtem Glück, denn ich war ein freier Mann.
Eingeschlossen in diesen Raum schweifte mein Geist durch die Unendlichkeit
des Weltenraumes. Zur Nacht stieg ich auf das Dach und
hielt Zwiesprache mit den zahllosen Sternen. Welch ein göttliches Fest!
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Welch eine geistige Freiheit! Welch beseligende Wonne! Welch
überirdische Herrschaft!“
Wir wollen auch hier die wunderbare Freiheit des menschlichen Geistes erkennen. Es gibt fast keine Lebenslage, sie mag noch so furchtbar sein, ja, es mag der Augenblick dicht vor einem qualvollen Martertod sein — wo wir uns nicht aufschwingen können zu wahrhaft göttlicher Freude! Dies ist keine Phantasie, keine Übertreibung! Wir wissen von Märtyrern, die jubelnd und freudig, ja begeistert in ihren Tod gingen! Auch dies kann einzig und allein nur der Mensch!
'Abdu'l-Bahá legte so großen Wert darauf, daß wir glücklich sein sollten. Es wird von Ihm erzählt, daß Er Seine Freunde immer wieder liebevoll befragte: „Are you happy?“ - Bist du glücklich? Natürlich meinte Er damit nicht das billige, nur irdisch bedingte Glück, sondern das Glück, das einem erhobenen, gottzugewandten Geisteszustand entspringt. Er sagt: „Wisse, daß es zwei Arten von Glück gibt, ein geistiges und ein materielles. Was das materielle Glück betrifft, so existiert es nie wirklich, nein, es ist vielmehr nichts als Einbildung, nur ein im Spiegel gesehenes Bild, ein Gespenst und Schatten. Betrachte die Art des materiellen Glückes: es ist etwas, das kaum unsere Betrübnisse mildern kann, und doch bilden die Menschen sich ein, es sei Freude, Entzücken, Frohlocken und Segnung.... Was das geistige Glück betrifft, so ist es die wirkliche Basis, auf der das Menschenleben beruht; denn das Leben wurde zum Glück erschaffen, nicht zum Leid, zur Freude, nicht zum Kummer. Glück ist Leben, Leid ist Tod. Dies ist ein Licht, welchem keine Nacht folgt. Dies ist eine Ehre, welcher keine Schande folgt. Dies ist ein Leben, welchem kein Tod folgt. Dies ist eine Existenz, welcher keine Vernichtung folgt. Dieser große Segen und diese kostbare Gabe kann vom Menschen nur durch die Führung Gottes erlangt werden.“
Es ist nun vielleicht geboten, genauer zu untersuchen, welchen Freuden
wir uns auf dieser Erde hingeben dürfen und welchen nicht. Es gibt
dafür zwar keine festen Formeln - gerade die Bahá’i-Religion ist in all
diesen Dingen so erstaunlich frei. Die Menschheit tritt jetzt in das Zeitalter
der Reife, sie hat die innere Stimme des Gewissens, sie hat die Lehre und
das Vorbild der großen Begründer, sie kann sich Gott im Gebet und in der
Meditation zuwenden, um zur Klarheit zu kommen. Jeder Einzelne soll
und muß selber entscheiden, was er darf und was er nicht darf. Die
Menschen sind ja so sehr verschieden; was dem einen ein harmloser kleiner
Genuß ist, kann bei dem andern zum Laster werden, das ihn von Gott
scheidet. Und hier sind wir gleich bei dem wichtigsten Punkt: alles, was
uns von Gott scheidet, ist zu meiden!
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Und daneben tritt das andere. Alles, was dem Nächsten schadet, darfst du
nicht tun. Man kann noch hinzusetzen: alles, was dir selber, deinem Geist
oder deinem Körper schadet, ist auch zu unterlassen; diese Freuden sind zu
teuer erkauft.
Wir sehen, daß es einer täglichen, unaufhörlichen Wachsamkeit bedarf, um sein Leben richtig zu leben. Aber freudig sollen wir es leben, immer wieder werden wir dazu ermahnt, und Freudigkeit ist ja auch der beste Zustand, um etwas Gutes zu leisten. Niemand taugt ohne Freude, sagt ein altes Wort.
Es gibt eine selbstsüchtige Freude, die nur alles für sich oder höchstens für die Allernächsten haben will - sie hat etwas von einem kreisenden Strudel, der immer nur in sich hineinsaugen möchte. Die wahre, die göttliche Freude ist das Gegenteil davon, ist etwas Ausstrahlendes, Quellendes, sie möchte sich verschenken und so viele wie irgend möglich teilhaben lassen an dem eigenen Reichtum. Dem ersten Glück, wenn man es überhaupt so nennen kann, ist immer Angst beigemischt, die zweite Art ist vollkommen furchtlos und sicher. Wer nichts oder nicht viel für sich begehrt, braucht auch nichts zu fürchten. Diese Freude nimmt immer zu, sie wird dauernd bereichert durch die Freude derer, denen sie ihre Liebe und Hilfe zuwendet. Die ängstliche, die raffende Art ist immer von tausend Gefahren bedroht, steht auf einer sehr unsicheren Basis. Gerade unsre Generation hat es ja so schmerzlich erlebt, wie alles, was ein Mensch erwerben kann, aller irdische Besitz, an einem einzigen Tag, ja, in einer Stunde oder sogar in einer Sekunde vernichtet werden kann. Der liebende, der ausstrahlende, der schenkende Mensch kann sich immer betätigen, es gibt kaum einen Lebenszustand, in dem man nicht mit Kleinigkeiten, mit einer Hilfeleistung, mit einem guten Wort oder vielleicht nur mit einem Lächeln dem noch ärmeren Mitmenschen eine Freude bereiten kann. Wer jemals in der Not einem solchen Menschen begegnet ist, wird auch einen Eindruck gewonnen haben von der Unzerstörbarkeit, auf der sein Glück beruht.
Zu diesem Glück des Dienens und Helfens sind wir alle berufen. Besitz
ist uns nicht verboten, wir dürfen uns auch daran freuen; aber prüfen wir
uns immer wieder, ob wir unser Herz nicht zu sehr daran hängen, ob wir
nicht Schaden leiden an unsrer Seele! Das materielle Glück ist vergänglich;
unvergänglich ist allein das Glück, das geistiger Natur ist, und nur an
diesem wachsen wir, entwickeln wir uns. Alles in der Natur strebt nach
höheren Formen, nach größerer Vollkommenheit, auch der Mensch; d.h.
er sollte es wenigstens tun. Entwicklung macht Freude. Wer kennt nicht
den glückseligen Ausdruck, mit dem ein kleines Kind, das eben laufen gelernt
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hat, durch die Stube schwankt?! Eben konnte es das noch nicht, nun plötzlich
kann es allein laufen. Jeder junge Mensch, der sich entwickelt, der auf
Schritt und Tritt seine Kräfte, seine Fähigkeiten wachsen fühlt, empfindet
dabei Freude. Je älter wir werden, desto seltener werden solche Freuden,
aber geistig können und müssen wir immer und bis ins höchste Alter wachsen;
denn immer haben wir Gelegenheit, unsre Natur zum Höheren zu entwickeln,
schlechte Eigenschaften zu unterdrücken, höhere zu befestigen. Dieser
dauernde Kampf mit unserer niederen Natur hört wohl niemals auf bis
zu unserem Ende. Von Gott kommen wir her, zu Ihm sollen wir uns wieder
hin entwickeln, so daß wir in der Stunde unseres Todes diejenigen
Eigenschaften in uns vorgebildet haben, die wir im jenseitigen Leben
brauchen. Denn Bahá’u’lláh sagt uns, daß wir auch auf der anderen
Seite, wenn wir unsern Leib verlassen haben, weiter und Gott entgegen
wachsen, und daß auch dort höchste Freuden und Seligkeiten auf uns
warten. „Den Tod habe Ich als eine frohe Botschaft für dich bestellt“,
sagt Er. Welch ein herrlicher Trost!
Von allen hohen Eigenschaften, die der Mensch erwerben kann, ist wohl keine so innig mit dem Glück verbunden wie die Liebe. Liebe und Freude bedingen sich gegenseitig, man kann sich einen Liebenden nicht ohne Freude denken, einen freudigen Menschen nicht ohne Liebe. Liebe erweitert unsre Grenzen und bereichert uns um das, was wir lieben. Wir fühlen das Glück der andern mit, als wäre es unser eigenes. Freilich hat dies auch seine Kehrseite, denn auch seine Nöte und Leiden fühlen wir mit. Aber sobald wir helfen können, ist auch dies mit Freude und Befriedigung verbunden. Leiden zu sehen und beim besten Willen nicht helfen zu können, ist wohl mit das schlimmste Leid, das es gibt, aber in äußersten Fällen bleibt immer noch eines: das Gebet.
Im großen ganzen lebt der Liebende immer besser als der Kalte und Selbstsüchtige. Die Liebe, die er ausstrahlt, strömt ihm auf hundert Wegen wieder zurück und macht sein Leben reich. Ich glaube nicht an die echte und selbstlose Liebe derer, die immer von ihren Enttäuschungen reden, als Dank für ihre Guttaten. Die Welt lechzt nach Liebe, jetzt mehr denn je, und wo sie in echter Form auftritt, wird sie fast immer freudig aufgenommen. Ja, Liebende sind glückliche Menschen, nur auf eines müssen sie verzichten: auf ein ruhiges Leben!
'Abdu'l-Bahá schreibt einmal sehr schön über die Liebe: „Sei versichert,
Liebe ist das Geheimnis der Erscheinung Gottes, Liebe ist die geistige
Gnade, Liebe ist das Licht des Königreiches, Liebe ist der Odem des
heiligen Geistes, wirkend im Geiste des
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Menschen, Liebe ist das notwendige Band zwischen Gott und der Wirklichkeit
aller Dinge. Liebe ist die Quelle der größten Glückseligkeit, sowohl in
den materiellen wie in den geistigen Welten. Liebe ist das Licht,
das den Menschen inmitten der Finsternis führt. Liebe ist für alle
erleuchteten Menschen das Mittel des Wachstums. Liebe ist das größte
Gesetz in diesem großen Universum Gottes. O Freunde Gottes, seid
Offenbarungen der Liebe Gottes und Lampen der Führung, die
durch das Licht der Liebe und der Harmonie an allen Horizonten
leuchten! — Wie schön ist das Leuchten dieses Lichtes!“
Wo solche Worte gesprochen werden, wo wir zur Liebe ermahnt werden, da dürfen wir Vertrauen haben. Aber eines möchte ich besonders allen jungen Menschen ans Herz legen: Nie wieder wollen wir jemand Glauben schenken, der uns zum Haß aufruft! Haß ist unter allen Umständen schlecht und führt zu keinem Heil, sondern zum Untergang. Wo Haß ist, da ist Gott nicht gegenwärtig.
Es gibt viele, die meinen, ein solches Leben der Liebe sei für uns irdische Menschen nicht möglich, es liege nicht in unserer Natur, die nun einmal böse sei. Aber wir alle kennen ja aus der Geschichte, und manche wohl auch aus persönlicher Erfahrung einzelne, die dieses Ideal schon sehr weitgehend verwirklicht haben. Alle großen Propheten, alle Heiligen sind solche Vorbilder. Und ist nicht jede richtige Mutter eine solche große Liebende, die ihre Kinder tatsächlich mehr liebt als sich selbst? — Auch Tiere sind einer starken, hingebenden Liebe fähig, auch Tiere helfen sich untereinander; das ist viel zu wenig bekannt. Gerade dies ist überall in der Natur vorgebildet, es gilt nur die Anlage zu entwickeln und zu verallgemeinern, es gilt, die Liebe zum tragenden Lebensprinzip zu machen. Alle großen Propheten haben Liebe gepredigt. — ‘Abdu’l-Bahá sagt einmal, daß jede neue Offenbarung auch neue Gebote und Wandlungen der Sitten bringen, nur das Gesetz der Liebe würde niemals angetastet, sondern sprudle fort und fort gleich einer Quelle.
So kann man zusammenfassend sagen, daß unser Weg zur Seligkeit darin
besteht, daß wir Menschen aus freiem Entschluß, geleitet durch Wort
und Lehre des Offenbarers, auf einer höheren Ebene zurückkehren in die
Ordnungen Gottes. Die gesamte übrige Schöpfung ruht in Gott, nur allein
der Mensch hat kraft seines selbständigen Geistes die Möglichkeit gehabt,
diese Ordnungen zu verlassen, sich außerhalb der Schöpfung zu stellen.
Dieser Weg war wohl notwendig, wenn auch von fürchterlichen Leiden
und Verirrungen begleitet. Aber wie es der einzelnen Seele schon immer
frei stand, sich wieder in die göttlichen Ordnungen einzufügen, so ist
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jetzt die Stunde gekommen, wo die gesamte Menschheit frei und bewußt
und freudig sich wieder einordnen soll in das große göttliche Schöpfungswerk.
Wir Bahá’i sind vor Millionen bevorzugt, daß wir durch die Lehre Bahá’u’lláhs diese Erkenntnisse und die große Hoffnung auf ein goldenes Zeitalter haben. Andre leiden stumm und hilflos und ersticken unter der Last des Alltags. Wir sollten alles tun, um den neuen, unerschöpflichen Kraftquell dieser Lehre so weit wie irgend möglich auszubreiten in der Dürre unsrer Zeit. Wir sollten den Menschen sagen, daß nicht nur dem einzelnen das Tor zur ewigen Seligkeit weit aufgetan ist, nein, daß auch diese arme, geschändete und doch so sehr geliebte Erde noch einmal ein Paradies, ein Ort der Glückseligkeit werden soll, eine Heimat, auf der lächelnde, liebende und strahlende Menschen in Eintracht miteinander leben.
Wer an diese überwältigende Verheißung glaubt, wer es vermag, sich liebend, dienend und betend in den Dienst dieser großen Sache zu stellen, der ist schon jetzt den irdischen Wechselfällen weitgehend entrückt, und für seinen Tod gilt das wundervolle Wort: „O Sohn des Menschen, steig auf in Meinen Himmel, auf daß dir die Freude der Vereinigung widerfahre und du den ewigen Wein aus dem Kelch der unvergleichlichen Herrlichkeit trinkest!“
*) Ein Vortrag, der auf der Bahá’i-Jugendsommerschule 1947
in Rainbach am Neckar gehalten wurde.
AUS DER BAHA’I-WELT[Bearbeiten]
Deutschland:
- Bahá’i-Jugendsommerschule 1947
Die deutsche Bahá’i-Jugend beging ihre zweite Jugendsommerschule vom 27. Juli bis zum 2. August.
Rainbach, ein reizendes Dörflein am Fuße des Dielsberges, zwischen Neckargemünd und Neckarsteinach, malerisch eingebettet in Hügel und Wälder am Ufer des Neckars, war für sieben herrliche Tage der Treffpunkt von rund 70 Jugendlichen aus allen Zonen Deuschlands.
Alles ist hier harmonisch und schön: Die Odenwaldberge, zu ihrem Fuße die Neckarschleife, Burgen und Mauern aus grauer Ritterzeit, Bauerndörfer und Zeugen moderner Zivilisation, wie Eisenbahn und Motorschiff, formen trotz ihrer Verschiedenheit nur ein Bild, das mit seiner alles überstrahlenden Sonne keinen besseren Rahmen hätte abgeben können zu unseren Tagen inneren Strebens nach Einheit und göttlicher Erkenntnis.
Fern waren uns alle Trümmer, fern alle Hungersorgen. Aber in Stunden gemeinsamer
Arbeit verschlossen wir uns nicht selbstisch der großen Not. Tiefes Verstehen
und Erleben der ewigen göttlichen Gesetze war die Frucht unserer Vorträge und
Diskussionen. „religio“, Rückverbindung zu Gott ward in uns lebendig und ließ uns die
tieferen Ursachen allen menschlichen Versagens erkennen. Wir blieben nicht auf der
Oberfläche banaler Betrachtungen. Im selbständigen Erforschen der Wahrheit
versuchten wir Gottes Güte und Liebe zu allen Zeiten zu erkennen. Wir durchforschten
die Reiche der Dichtkunst, Musik, Malerei und Architektur und fanden überall, wo
Ewigkeitswerte bestanden, den göttlichen Grundton, ohne den wirkliche Kultur nicht
existieren kann. Bei der Aussprache über das Thema „Körper und Geist“ wurde uns klar,
daß das Eine nicht ohne das Andere sein kann, und wir wurden uns dadurch der
Verpflichtung zur Kultivierung beider bewußt. Wir gingen über zur Betrachtung der
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Lebensformen heutiger Zeit. Wirtschaftliche, soziale und politische Probleme wurden in
ihrem Verhältnis zu dem ewigen göttlichen Gesetz der Liebe und Gerechtigkeit beleuchtet;
der heutigen Zerrissenheit wurde der Gedanke der Einheit in der Vielfalt aller
Erscheinungen von Bahá’u’lláh gegenübergestellt. Klar schälte sich der
Entwicklungsgedanke, der der ganzen Schöpfung zugrundeliegt, heraus, Bei uns müssen wir
mit einem besseren Leben beginnen! Werden die Menschen besser, kommen auch
bessere Zeiten. Der Mensch kann aber nur durch das lebendige Verhältnis zu Gott die
innere Kraft zu einem Leben voller Liebe und Gerechtigkeit aufbringen. Das Gute im
Menschen fördern! Das Schlechte wohl erkennen, aber darüber hinaus den Weg zum
Positiven, Aufbauenden finden! Es ist nichts so schlecht auf der Welt, daß es nicht zur
Erkenntnis eines Besseren dienen könnte!
— Das waren die Gedanken, die trotz mancher scharfen Kritik und wahrheitsbedingter Offenheit diese Tage uns allen zu einem besonderen Erlebnis und Richtungsweiser für die kommende Zeit werden ließen.
Erwachsene und Jugendliche sprachen zu uns, sprachen von vergangenen Zeiten, kaum verklungenen Tagen und dem Zeitalter des „Größten Friedens“, das der Menschheit durch alle Zeiten hindurch prophezeit wurde, und dessen Tagesgestirn im vorigen Jahrhundert mit Báb und Bahá’u’lláh am Horizonte der Menschheit erschien.
Uns braucht nicht bange zu sein! Wohl kaum habe ich eine fröhlichere und echtere Jugend erlebt, als in Rainbach, wenn sie abends vor den Zelten am Neckarstrande saß und alte Volksweisen sang oder lustige Schwänke vollbrachte. Dankbar nahm sie jene wenigen Stunden der Entspannung hin, um nachher um so entschlossener, allen Widerwärtigkeiten zum Trotz, in einer von Vorurteilen belasteten, in Trägheit und Gehässigkeit erstarrten Welt die Botschaft der Liebe für unsere Zeit zu verkünden und würdig zu vertreten.
Nur ungern sahen wir den letzten Tag unserer Sommerschulwoche nahen, der uns zurückführen sollte in alle Teile unseres deutschen Heimatlandes. Aber stark und zuversichtlich schieden wir mit dem Gelöbnis, die in diesen Tagen gewonnene innere Kraft weiterzugeben an alle mit uns in Berührung kommenden Menschen. — Möge Gottes Segen weiterhin auf unserer Arbeit ruhen, auf daß sie Glück und Frieden unter die Menschheit bringe.
- Martin Aiff
Indien und Burma:
Nach dem ermutigenden Verlauf der Sommerschule 1946 hat der Nationale Geistige Rat in Indien erstmals auch eine Winterschule veranstaltet. Nicht wenige indische und burmesische Bahá’i haben ihren Wohnort gewechselt, um in anderen Städten neue Zentren zu gründen. In Burma geht von Daidanaw und von der in Twante neugegründeten Gemeinde ein bemerkenswerter geistiger Impuls aus.
Iran:
Der Nationale Geistige Rat der Bahá’i in Iran hatte einen 45-Monate-Plan (Oktober 1946 bis Juli 1950) aufgestellt, worin die Lehrtätigkeit in Iran methodisch gestaltet und verdoppelt wird. 62 nicht mehr wiedergewählte Geistige Räte sollen wieder gegründet und 95 Zentren in den verschiedensten Teilen Persiens neu errichtet werden. 45 Familien aus Teheran werden an diese Orte umsiedeln. Besonders dazu bestimmte Bahá’i sind auf Reisen, um dauernde Verbindung mit diesen neugegründeten Plätzen und den Geistigen Räten zu pflegen. Auch hat eine Pioniertätigkeit der persischen Bahá’i in Afghanistan, Arabien und auf den Bahrein-Inseln und eine planmäßige, engere Zusammenarbeit mit den Bahá’i in Indien, Belutschistan und im Irak begonnen.
Herausgegeben unter Lizenz US-W-Nr. 6871 der Nachrichtenkontrolle der Militärregierung
Auflage 2000 — August 1947
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Gedruckt von J. Fink Stuttgart N