Sonne der Wahrheit/Jahrgang 17/Heft 2/Text

Aus Bahaiworks
Wechseln zu:Navigation, Suche

[Seite 15]

SONNE

DER WAHRHEIT
 
 
Organ der Bahá’í
in Deutschland und
Öesterreich
Heft 2 17. Jahrgang April 1937


[Seite 16]

Die Bahá’í-Lehre,[Bearbeiten]

die Lehre Bahá’u’lláhs erkennt in der Religion die höchste und reinste Quelle allen sittlichen Lebens.

Die Ausdrucksformen des religiösen Lebens des Einzelnen, ganzer Völker und Kulturkreise haben im Laufe der Geschichte entsprechend den jeweils anderen Verhältnissen und dem Wachstum des menschlichen Erkenntnisvermögens Wandlungen erfahren. Die äußeren Gesetze und Gebote aller Weltreligionen entsprachen immer den entwicklungsgeschichtlich gegebenen Erfordernissen in bezug auf den Einzelnen, die soziale Ordnung und das Verhältnis zwischen den Völkern. Alle Religionen beruhen aber auf einer gemeinsamen, geistigen Grundlage. „Diese Grundlage muß notwendigerweise die Wahrheit sein und kann nur eine Einheit, nicht eine Mehrheit bilden.“ ('Abdu'l-Bahá.) „Die Sonne der Wahrheit ist das Wort Gottes, von dem die Erziehung der Menschen im Reich der Gedanken abhängig ist.“ (Bahá’u’lláh.) Alle großen Religionsstifter waren Verkünder des Wortes Gottes entsprechend der Fassungskraft und Entwicklungsstufe der Menschen. Das Wesen der Religion liegt darin, im Bewußtwerden der Abhängigkeit des Menschen von der Wirklichkeit Gottes Seine Offenbarer anzuerkennen und nach Seinen durch sie übermittelten Geboten zu leben.

Die Bahá’i-Lehre bestätigt und vertieft den unverfälschten und unwandelbaren Sinn und Gehalt aller Religionen von neuem und zeigt darüber hinaus die kommende Weltordnung auf, welche die geistige Einheit der Menschheit zur Voraussetzung haben wird. Die in ihr zum Ausdruck kommende Weltanschauung steht mit den Errungenschaften der Wissenschaft ausdrücklich in Einklang.

Die Lehre Bahá’u’lláhs enthält geistige Grundsätze und Richtlinien für eine harmonische Gesellschafts-, Staats- und Wirtschaftsordnung. Sie beruhen auf dem Gedanken der natürlich gewachsenen, organischen Einheit jedes Volkes und der das Völkische übergreifenden geistigen Einheit der Menschheit. Den Interessen der Volksgemeinschaft sind die Sonderinteressen des Einzelnen unterzuordnen, denn nur die Gesamtwohlfahrt verbürgt auch das Wohl des Einzelnen.

Wie jede Religion, so wendet sich auch die Bahá’i-Lehre an die Herzensgesinnung des Menschen, um die religiösen Kräfte in den Dienst wahren Menschentums zu stellen. Sie erstrebt die Höherentwicklung der Menschheit mehr durch die Selbsterziehung des Einzelnen als durch äußerlich-organisatorische Maßnahmen. Der Bahá’i hat sich daher über seine ernst aufgefaßten staatsbürgerlichen Pflichten hinaus nicht in die Politik einzumischen, sondern sich zum Träger der Ordnung und des Friedens im menschlichen Gemeinschaftsleben zu erheben. Bahá’u’lláhs Worte sind: „Es ist euch zur Pflicht gemacht, euch allen gerechten Regenten ergeben zu zeigen und jedem gerechten König eure Treue zu beweisen. Dienet den Herrschern der Welt mit der höchsten Wahrhaftigkeit und Treue. Zeiget ihnen Gehorsam und seid ihre wohlwollenden Freunde. Mischt euch nicht ohne ihre Erlaubnis und Zulassung in politische Dinge ein, denn Untreue gegenüber dem Herrscher ist Untreue gegenüber Gott selbst.“

Bahá’u’lláh weist den Weg zu einer befriedeten, im Geiste geeinigten Menschheit. Ein alle Staaten umfassender Bund in ihrer Eigenart entwickelter und unabhängiger Völker auf der Grundlage der Gleichberechtigung, ausgestattet mit völkerrechtlichen Vollmachten und Vollstreckungsgewalten gegenüber Friedensstörern, soll die übernationalen Interessen aller Völker der Erde in völliger Unparteilichkeit und höchster Verantwortung wahrnehmen. Zwischenstaatliche Konflikte sind durch einen von allen Staaten beschickten Weltschiedsgerichtshof auf friedlichem Wege beizulegen.

Die geistige Wesensgleichheit aller Menschen und Völker erheischt einen organischen Aufbau der sozialen Weltordnung, in der jedem seine einzigartige, besondere Eingliederung und Aufgabe zugewiesen ist. Die geographischen, biologischen und geschichtlichen Gegebenheiten bedürfen im Gemeinschaftsleben der Völker immer einer besonderen Beachtung, ohne die sie umschließende Einheit im Reiche des Geistes aus den Augen zu verlieren.

Die Lehre Bahá’u’lláhs „ist in ihrem Ursprung göttlich, in ihren Zielen allumfassend, in ihrem Ausblick weit, in ihrer Methode wissenschaftlich, in ihren Grundsätzen menschendienend und von kraftvollem Einfluß auf die Herzen und Gemüter der Menschen“.


[Seite 17]

SONNE DER WAHRHEIT
Organ der Bahá’í in Deutschland und Österreich
Verantwortlich für die Herausgabe: Dr. Eugen Schmidt, Stuttgart-W, Reinsburgerstraße 198
Schriftleitung: Dr. Adelbert Mühlschlegel, Dr. Eugen Schmidt, Alice Schwarz-Solivo
Verwaltung: Paul Gollmer Begründet von Alice Schwarz-Solivo
Preis vierteljährlich 1.80 Reichsmark
Heft 2 Stuttgart, im April 1937
Jal’al — Ruhm 94
17. Jahrgang

Inhalt: Ährenlese aus den Schriften Bahá’u’lláh’s. — Nabíl’s Erzählung: Ṭáhirih’s Reise von Karbilá nach Khurásán. — Die Sendung Bahá’u’lláh’s: Die Entscheidung. — Glaubenseinrichtungen und Religion. — Vom Wirkungsvermögen des Wortes Gottes.



O, Ihr Menschenkinder, die Grundabsicht, die den Gottesglauben und Seine Religion beseelt, ist, das Wohl des Menschengeschlechtes zu schützen und seine Einheit zu fördern... Dies ist der gerade Weg, die festgesetzte und unbewegliche Grundlage. Was auch immer auf dieser Grundlage errichtet ist, dessen Stärke kann Wechsel und Wandel der Welt nie beeinträchtigen, noch wird der Umschwung unzähliger Jahrhunderte dessen Bau untergraben.

Bahá’u’lláh



Ährenlese aus den Schriften von Bahá’u’lláh[Bearbeiten]

III. Die Offenbarung, welche seit undenklicher Zeit als Ziel und Verheißung aller Propheten Gottes und als die Herzenssehnsucht Seiner Gesandten gepriesen ward, ist nun kraft des durchdringenden Willens des Allmächtigen und Seines unwiderstehlichen Befehls den Menschen enthüllt worden. Das Kommen einer solchen Offenbarung ist in allen heiligen Schriften verkündet worden. Doch siehe, wie trotz solcher Ankündigung das Menschengeschlecht von seinem Pfade abgeirrt ist und sich selbst vor Seiner Herrlichkeit verschlossen hat.

Sprich: O ihr, die ihr den einen wahren Gott liebt! Strebet darnach, Ihn wahrhaftig anzuerkennen und zu erkennen und Seine Vorschriften nach Gebühr zu beachten. Dies ist eine Offenbarung, in welcher, wenn ein Mensch einen Blutstropfen für sie vergoß, Myriaden von Weltmeeren seine Belohnung sein werden. Hütet euch, o Freunde, daß ihr nicht eine so unschätzbare Wohltat verwirket noch ihre höchsterhabene Stufe mißachtet. Betrachtet die Menge von Leben, die dahingeopfert worden sind und noch dahingeopfert werden in einer von einem bloßen Phantom [Seite 18] genarrten Welt, das die nichtigen Einbildungen ihrer Völker gebaut haben. Saget Gott euren Dank; denn ihr habt ja eures Herzens Sehnsucht erreicht und seid vereint worden mit Ihm, der die Verheißung aller Völker ist. Bewahret mit des einen wahren Gottes Hilfe — gepriesen sei Seine Herrlichkeit! — die Unversehrtheit der Stufe, die ihr erreicht habt, und bleibt dem treu, was Seine Sache fördern soll. Er, wahrlich, hat euch zur Pflicht gemacht, was recht ist und zur Erhöhung der Stufe des Menschen führt. Gepriesen sei der Allbarmherzige, der Offenbarer dieses wundersamen Tablets!

IV. Dies ist der Tag, da Gottes herrlichste Gaben auf die Menschen ergossen worden sind, der Tag, da mit Seiner mächtigsten Gnade alles Erschaffene durchtränkt worden ist. Es ist die Pflicht aller Völker der Welt, ihre Streitfragen zu versöhnen und in vollkommener Einheit und Frieden unter dem Schatten des Baumes Seiner Obhut und göttlichen Gnade zu wohnen. Es ziemt ihnen, sich an das zu klammern, was immer an diesem Tage zur Erhöhung ihrer Stufen und zur Förderung ihrer besten Wohlfahrt dienlich ist. Glücklich sind die, zu derer Gedenken die allerherrlichste Feder bewegt wurde, und gesegnet sind die Menschen, deren Namen Wir kraft Unsres unerforschlichen Ratschlusses zu verbergen vorgezogen haben.

Flehet den einen wahren Gott an, zu gewähren, daß allen Menschen gnädiglich geholfen werde, das zu vollbringen, was vor Unserem Antlitz annehmbar ist. Bald wird der Befehl des heutigen Tages zurückgezogen und ein neuer an seiner Statt verbreitet werden. Wahrlich, dein Herr spricht die Wahrheit und ist der Wisser ungesehener Dinge.

V. Dies ist der Tag, da der Ozean der Gottesgnade den Menschen geoffenbart worden ist, der Tag, da das Tagesgestirn Seiner liebevollen Güte seine Strahlen über sie ergossen hat, der Tag, da die Wolken Seiner freigebigen Gunst das ganze Menschengeschlecht überschattet haben. Jetzt ist die Zeit, die Niedergeschlagenen zu ermuntern und zu erfrischen durch den stärkenden Hauch der Liebe und Kameradschaft und durch die belebenden Wasser des Wohlwollens und der Barmherzigkeit.

Die, welche die Geliebten Gottes sind, müssen, wo immer sie sich versammeln und wem immer sie begegnen, in ihrer Haltung Gott gegenüber und in der Art, wie sie Seinen Ruhm und Preis feiern, solche Demut und Ergebenheit beweisen, daß jedes Staubatom unter ihren Füßen die Tiefe ihrer Ergebenheit bezeugen möge. Die Gespräche, die diese heiligen Seelen führen, sollten mit solcher Kraft beseelt sein, daß eben diese Staubatome durch ihre Einwirkung erschüttert werden. Sie sollten sich solchen Wandels befleißigen, daß die Erde, die sie betreten, sie gleichsam mit solchen Worten ansprechen dürfte: „Ich sollte dir vorgezogen werden. Denn bezeuge, wie geduldig ich bin, die Bürde zu tragen, die der Landmann mir auferlegt. Ich bin das Werkzeug, das beständig allen Wesen die Segnungen zuerteilt, die Er, der Quell aller Gnade, mir anvertraut hat. Trotz der Ehre, die mir verliehen ist, und trotz den ungezählten Beweisen meines Reichtums — eines Reichtums, der die Not der ganzen Schöpfung stillt — betrachte das Maß meiner Demut, bezeuge, mit welch völliger Unterwürfigkeit ich mir vergönne, von den Menschenfüßen getreten zu werden...“

Erzeiget einander Langmut und Wohlwollen und Liebe. Sollte einer unter euch unfähig sein, eine gewisse Wahrheit zu erfassen, oder sich um ihr Verstehen noch bemühen, so weiset im Verkehr mit ihm den Geist äußerster Güte und Wohlgesinnung auf. Helft ihm, die Wahrheit zu sehen und zu erkennen, ohne euch ihm gegenüber im mindesten überlegen oder im Besitze größerer Gaben zu halten.

Die ganze Pflicht des Menschen an diesem Tage ist, jenen Anteil der Gnadenflut zu erlangen, den Gott für ihn ausströmen läßt. Laßt darum niemand auf die Größe oder Kleinheit des Behälters schauen. Der Anteil mancher mag in eines Menschen hohler Hand liegen, der Anteil anderer mag einen Becher füllen und der anderer sogar einen Eimer.

Jedes Auge sollte an diesem Tage darnach suchen, was am besten die Sache Gottes fördern wird. Er, die ewige Wahrheit, ist mein Zeuge! Nichts kann an diesem Tage dieser Sache ein größeres Leid zufügen als Zwist und Zank, Hader, Entfremdung und Gleichgültigkeit unter den Geliebten Gottes. Fliehet sie mit Gottes Macht und Seiner höchsten Hilfe und strebet darnach, die Herzen der [Seite 19] Menschen zusammenzufügen in Seinem Namen, des Einigers, des Allwissenden, des Allweisen.

Flehet zu dem einen wahren Gott, euch zu gewähren, daß ihr den Geschmack solcher Taten, wie sie auf Seinem Pfade begangen werden, erproben und an der Süße solcher Demut und Ergebenheit, wie sie um Seinetwillen bewiesen werden, teilhaben möget. Vergeßt euer eigenes Selbst und wendet eure Augen zu eurem Nachbar. Lenket eure Tatkraft auf alles, was die Erziehung der Menschen fördern mag. Nichts ist verborgen oder kann verborgen sein vor Gott. Wenn ihr Seinem Wege folgt, so werden Seine unzählbaren und unvergänglichen Segnungen sich über euch ergießen. Dies ist das leuchtende Tablet, dessen Verse geströmt sind von der Feder dessen, welcher der Herr aller Welten ist. Erwägt dies in eurem Herzen und seid von jenen, die ihre Vorschriften beachten.

(Fortsetzung folgt)



Nabíl’s Erzählung[Bearbeiten]

Übersetzung aus „The Dawn-Breakers“, Nabíl’s Narrative of the early days of the Bahá’í Revelation, New York 1932


Aus Kapitel XV: Ṭáhirih’s Reise von Karbilá nach Khurásán.

(Fortsetzung)

Barmherziger Gott! Taten von solch unbeschreiblicher Roheit sind in einer Stadt wie Qazvín geschehen, die sich der Tatsache rühmt, daß nicht weniger als hundert der höchsten Kirchenführer des Islám in ihren Mauern leben, und keiner von allen Einwohnern fand sich, der gegen solche empörende Mordtaten seine Stimme erhoben hätte. Kein Mensch schien ihr Recht zu beanstanden, solche unbilligen, schamlosen Taten zu verüben. Keiner schien die gänzliche Unvereinbarkeit zwischen solch bestialischem Tun derer zu erkennen, die sich anmaßten, die einzigen Schatzkammern der Geheimnisse des Islám zu sein, und der vorbildlichen Führung derer, die anfänglich dessen Licht der Welt brachten. Niemand fand sich, der empört gerufen hätte: „O böses und verderbtes Geschlecht! Zu welchen Tiefen der Niedertracht und Schande seid ihr gesunken! Haben die Greueltaten, die ihr verbrochen habt, in ihrer Grausamkeit nicht gar die Taten der niedersten Menschen übertroffen? Wollt ihr nicht erkennen, daß weder die Tiere des Feldes noch sonst etwas Lebendiges auf Erden der Wildheit eures Treibens gleicht? Wie lange wird euere Achtlosigkeit noch währen? Glaubt ihr nicht, daß die Auswirkung eines jeden Gebets eurer Gemeinde von der Würde dessen abhängt, der dieses Gebet leitet? Habt ihr nicht immer wieder erklärt, daß nur kein solches Gebet vor den Augen Gottes Annahme findet, es sei denn, daß der Imám, der die Gemeinde führt, sein Herz von jeder Spur von Bosheit gereinigt hat? Und nun erachtet ihr jene, die den Vollzug solcher Abscheulichkeiten anstiften und sich daran beteiligen, als die wahren Führer eures Glaubens, als die Verkörperung des Anstandes und der Gerechtigkeit. Habt ihr ihnen nicht die Zügel eurer Sache in die Hände gelegt und sie als die Herren über euer Schicksal betrachtet?“

Die Nachricht von diesen Gewalttaten erreichte Ṭihrán und verbreitete sich mit rasender Schnelligkeit in der ganzen Stadt. Ḥájí Mirzá Aqásí protestierte heftig. Er soll ausgerufen haben: „Auf welcher Seite des Qur’án, in welcher Überlieferung von Muḥammad ist die Hinmetzelung einer Anzahl Menschen gerechtfertigt, um den Mord einer einzigen Person zu rächen?“ Auch Muḥammad Sháh sprach sein starkes Mißfallen über den Verrat des Ṣadr-i-Ardibílí und seinen Spießgesellen aus. Er machte seine Verlogenheit bekannt, verstieß ihn aus der Residenz und verurteilte ihn zu einem Leben in Qum in Nacht und Vergessen. Seine Amtsenthebung behagte dem Groß-Vazír sehr, der bis dahin umsonst daran gearbeitet hatte, seinen Sturz herbeizuführen, und den die plötzliche Entfernung jenes von Ṭihrán von dem Argwohn befreite, den dessen zunehmender [Seite 20] Einfluß in ihm genährt hatte, Seine eigene Anzeige des Blutbades in Qazvín wurde beschleunigt, nicht in erster Linie wegen seiner Geneigtheit der Sache der wehrlosen Opfer gegenüber, als vielmehr in der Hoffnung, Ṣadr-i-Ardibílí in solche Verlegenheiten hereinzuziehen, wie sie ihn in den Augen seines Herrschers unvermeidlich in Ungnade fallen lassen mußten.

Die Unterlassung des Sháh und seiner Regierung, eine sofortige Strafe über die Missetäter zu verhängen, ermutigte sie, nach weiteren Mitteln zu suchen, um ihren Rachedurst an ihren Gegnern zu stillen. Sie richteten ihre Aufmerksamkeit nun auf Ṭáhirih selbst und beschlossen, daß sie von ihrer Hand das gleiche Schicksal leiden solle, wie ihre Glaubensgenossen. Aus ihrer Gefangenschaft sandte sie, sobald sie von dem Anschlag ihrer Feinde unterrichtet wurde, ein Schreiben an Mullá Muḥammad, der an seines Vaters Stelle emporgerückt war und jetzt als der Imám-Jum‘ih von Qazvín galt, folgende Zeilen: „'Gerne würden sie das Licht Gottes mit ihrem Mund ausblasen; aber Gott will nur, daß Sein Licht vollkommen scheine, wiewohl die Ungetreuen es verabscheuen.‘ Wenn meine Sache die der Wahrheit ist, wenn der Herr, dem ich diene, kein anderer ist, als der alleinig wahre Gott, so wird Er mich, ehe neun Tage vorüber sind, von dem Joch eurer Tyrannei erlöst haben. Sollte Er meine Befreiung nicht wünschen, so steht es euch frei, mit mir zu verfahren, wie ihr wollt. Ihr werdet sodann unwiderruflich den Irrtum meines Glaubens festgestellt haben.“ Mullá Muḥammad mußte, da er wohl einsah, daß er auf diese mutige Herausforderung nicht entgegnen konnte, diese Botschaft ganz unbeantwortet lassen, gedachte aber bei der ersten passenden Gelegenheit, seine Absicht auszuführen.

In diesen Tagen der von Ṭáhirih festgelegten Zeit, die sie zu ihrer Befreiung genannt hatte, gab Bahá’u’lláh Seinen Wunsch bekannt, daß sie befreit würde und nach Ṭihrán verbracht werden solle. Er beschloß in den Augen ihrer Gegner die Wahrheit ihrer Worte zu bestätigen und die Pläne, die ihre Feinde für ihren Tod geschmiedet hatten, zu durchkreuzen. Muḥammad-Hádíy-i-Farhádí wurde daher zu Ihm befohlen und mit der Aufgabe betraut, ihre augenblickliche Überbringung in Sein eigenes Haus in Ṭihrán zu bewerkstelligen. Muḥammad-Hádí wurde beauftragt, einen versiegelten Brief an seine Frau Khátún-Ján zu überbringen und sie anzuweisen, als Bettlerin verkleidet zu dem Hause zu gehen, in dem Ṭáhirih gefangen war, den Brief in ihre Hand zu geben, einen Augenblick im Hauseingang zu warten, bis sie ihr folgen könne und sie dann in aller Eile in seine Obhut zu bringen. „Sobald Ṭáhirih dir nachkommt“, beauftragte Bahá’u’lláh den Sendboten, „mache dich sogleich auf den Weg nach Ṭihrán. In der gleichen Nacht werde ich in die nächste Nähe des Qazvíner Tores einen Diener mit drei Pferden schicken, die du mitnehmen wirst und an einem Platz nach deinem Gutdünken außerhalb der Mauern Qazvín’s warten lassen wirst. Dahin wirst du Ṭáhirih führen, ihr werdet die Pferde besteigen und auf Nebenwegen suchen, schon bei Tagesanbruch die Vorstädte der Residenz zu erreichen. Sobald die Tore geöffnet werden, müßt ihr die Stadt betreten und sofort in Mein Haus kommen. Es muß die größte Vorsicht angewandt werden, daß Ṭáhirih nicht erkannt wird. Der Allmächtige wird gewißlich deine Schritte lenken und dich mit Seinem nieversagenden Schutz umgeben.“

Gestählt durch die Zusicherung von Bahá’u’lláh machte sich Muḥammad-Hádí sofort daran, die empfangenen Anweisungen auszuführen. Ohne Zwischenfall nahm er geschickt und getreu seine Aufgabe in Angriff, und es gelang ihm, Ṭáhirih wohlbehalten und zu angegebener Zeit in das Haus seines Meisters zu bringen. Ihr plötzliches und geheimnisvolles Verschwinden aus Qazvín erfüllte ihre Freunde, wie ihre Feinde, mit Bestürzung. Die ganze Nacht über suchten sie die Häuser ab, in der Hoffnung getäuscht, sie zu finden. Die Erfüllung ihrer Voraussage erstaunte sogar die ungläubigsten ihrer Gegner. Einige erkannten die übernatürliche Kraft des Glaubens, für den sie eintrat, und unterwarfen sich willig dessen Forderungen. Mírzá 'Abdu'l-Vahháb, ihr eigener Bruder, anerkannte eben an diesem Tag die Wahrheit der Offenbarung, versäumte aber späterhin, durch seine Taten die Aufrichtigkeit seines Glaubens zu beweisen.

(Fortsetzung folgt.)


[Seite 21]



Die Sendung Bahá’u’lláh’s: Die Entscheidung[Bearbeiten]

Von Anna Grossmann, Neckargemünd

Diese Ausführungen sind einem Referat der vierten Bahá’í-Sommerwoche in Eßlingen im August 1935 entnommen.

Wenn wir heute über Entscheidung sprechen, so meinen wir nicht irgend eine Entscheidung, wie sie täglich im Leben gefordert wird, auch zunächst nicht jene sehr wichtige Entscheidung, die in jedes Menschen Leben stehen sollte und die Jesus Christus die zweite Geburt genannt hat. Wir meinen die Entscheidung für oder gegen die Religion Gottes in der Zeit, wenn sie noch jung und von der Mehrzahl der Menschen nicht erkannt ist. Dies ist eine außerordentlich wichtige Entscheidung.

Warum ist dies eine so wichtige Entscheidung, wie tritt sie an den Menschen heran und welche Möglichkeiten sind dem Menschen gegeben, sich recht zu entscheiden?

Nahezu jeder Mensch fühlt, wenn er draußen in der Natur ist, wenn er im Wald geht, das Rauschen der Bäume über sich, oder wenn er über ein weites gesegnetes Land vom hohen Berg aus schaut, daß dies alles durch eine wunderbare Macht ins Leben gerufen sein muß und von ewiger Kraft stets neubelebt wird. Und ehrfürchtig nennt er diese Macht Gott. Wie seltsam ist es nun, daß die Menschen nicht unmittelbarer und stärker noch an diesen selben Schöpfer gemahnt werden, angesichts der großen Erfindungen und Entdeckungen menschlichen Geistes, angesichts der Künste, Wissenschaft und Philosophie, und dies insbesondere dann, wenn sie sich den Entwicklungsweg vergegenwärtigen, den die Menschheit aus den Höhlen der Steinzeit bis heute gegangen ist. Hier müßten sie noch viel mehr darüber nachdenken, woher der Menschheit diese Erleuchtung, Kraft und Führung kam. Kann dies alles einen anderen Ursprung haben als den allmächtigen Gott? Bahá’u’lláh sagt: „Die Sonne der Wahrheit ist das Wort Gottes, von dem die Erziehung der Menschen im Reich der Gedanken abhängig ist. Es ist der Geist der Wirklichkeit und das Wasser des Lebens. Ihm verdanken alle Dinge ihr Dasein1).“ Es ist das Wort Gottes, durch das alle Kulturgüter in die Welt kamen und ebenso alle Güte, die in der Welt erschienen ist, wie Bahá’u’lláh sagt2). So ist das Wort Gottes, die Religion, das lebenspendende Element, das Heilmittel gegen alle Gebrechen, die den Körper der Menschheit immer wieder befallen. Ohne sie würde die Welt mehr und mehr in Unkultur und Dunkelheit versinken und sich schließlich in Hader und Grausamkeit selbst vernichten. Die Geschichte lehrt, daß die Religion, wenn immer sie in neuer Ausgießung unter die Völker kam, diese zu den größten Taten befähigt, aus Sittenverfall errettet und auf jedem Lebensgebiet neu belebt hat. Das Beispiel des Islám kann es besonders deutlich dartun. Die arabischen Stämme befanden sich in völligem Sittenverfall und waren im Begriff, sich in ewigen Kleinkriegen aufzureiben. Nachdem sie den Islám angenommen hatten, waren sie zu einer geeinten Nation geworden, Ihre barbarischen Sitten verschwanden, Künste und Wissenschaft blühten, das soziale und wirtschaftliche Leben war aufs beste geordnet. Daher ist die Annahme oder Ablehnung der Religion Gottes von allergrößter Bedeutung für den Einzelnen sowohl als für die Völker. Es ist die Entscheidung, ob man sich den neuen belebenden Kräften öffnet oder in törichter Abwehr sich dagegen stemmt und in Finsternis versinkt, sie ist wichtiger als eine Entscheidung über Sein oder Nichtsein, denn sie reicht über dieses Leben hinaus.

Das Wort Gottes ist die Religion und sie kommt in die Welt durch jene Wesen, die der Bahá’í Manifestationen nennt. Alle großen Religionen haben bezeugt, daß Gott selbst für die Menschen unerreichbar ist. „Gott einzig und allein wohnt an Seinem eigenen Ort, der über Raum und Zeit, Erwähnung und Äußerung, Zeichen, Beschreibung und Erklärung, Höhe und Tiefe heilig ist“, sagt Bahá’u’lláh3). Daher kann Er nicht zu den Menschen kommen, ihnen Sein Wort zu sagen, denn Er ist heilig über die Zustände des Herab- und Heraufsteigens. Daher ist der [Seite 22] Mittler notwendig, die Manifestation. In einem Tablet sagt Bahá’u’lláh: „Gott in Seiner Wesenheit und in Seinem Sein ist immer ein unfaßbares Geheimnis geblieben." Es handelt sich also um die Begegnung eines Wesens, das Sein Stellvertreter, unter den Menschen ist und das ebenfalls weder Gleiches noch Ähnliches hat4). Wer aber sind diese Wesen? Muḥammad sagte von sich und damit von allen Manifestationen: „Ich bin nur Mensch wie ihr“ und Bahá’u’lláh: „In Wahrheit sage Ich und sage es aus Liebe zu Gott: dieser Sklave, dieser Unterdrückte wagt kaum, sich das Leben und Dasein zuzusprechen: mit noch weniger Recht aber diese so viel höheren Zustände5).“ Und dennoch fühlen wir, daß wir Menschen niemals wagen dürften, die Manifestation als unseresgleichen zu betrachten, denn alle Manifestationen bezeugten wie Christus „Ich und der Vater sind eins“. Im Buch Iqán heißt es: „Die göttlichen Namen und die ewigen Eigenschaften wohnen in ihnen (den Manifestationen). Sie sind die vollendeten Spiegel und alles, was sie widerspiegeln, besteht in Gott, sichtbar und unsichtbar. Man kann den Ursprung der Ursachen nicht erfassen, ohne diese Wesen zu erfassen, die alle das Licht Gottes tragen. Darum ist ein Hintreten vor diese heiligen Persönlichkeiten ein Hintreten vor Gott. Ihr Wissen ist göttliches Wissen, ihr Antlitz Gottes Antlitz. Alles in diesen hehren Edelsteinen will nur verkünden: Gott ist „der Erste und der Letzte, der Sichtbare und der Verborgene, der Allwissende“. Darum ist ein jeder vor Gott getreten, der die glänzenden Strahlen von diesen leuchtenden Sonnen empfangen hat, wann immer sie erschienen, und ist schon in die Stadt des ewigen Lebens eingetreten6),“

Diese erhabenen Wesen kommen in die Welt gleich uns Menschen, sie leben wie wir, ausgezeichnet allerdings durch unerreichte Tugenden und Wissen, so daß von ihnen allen berichtet ist, daß sie schon in frühster Jugend Bewunderung und Staunen ihrer Umwelt hervorgerufen haben. Dann eines Tages treten sie vor die Welt mit dem Anspruch, Offenbarungen Gottes zu sein und von ihnen geht aus, was zugleich der stärkste Beweis ihres Anspruches ist: das Wort Gottes, die Verse, durch die die Menschen geführt und belebt werden.

Bahá’u’lláh lehrt die Menschen, die großen Offenbarungsreligionen als Lehrstunden eines großen Lehrganges anzusehen, und Er verglich sie mit dem Lauf des Jahres. Denn wie alles in der Welt sind auch die Religionen dem Gesetz der Entwicklung, Werden und Vergehen unterworfen. ‘Abdu'l-Bahá sagt darüber in den Beantworteten Fragen (S. 96): „In dieser irdischen Welt hat die Zeit bestimmte Perioden. Die Natur verändert sich durch den Wechsel der Jahreszeiten und auch für die Seelen der Menschen gibt es Fortschritt, Rückgang und Entwicklung. Es folgen einander Frühling, Sommer, Herbst und Winter“, deren Aufeinanderfolge im geistigen Zyklus der Propheten ‘Abdu’l-Bahá in „Beantwortete Fragen“ beschreibt7). Über den geistigen Winter sagt ‘Abdu’l-Bahá folgendes: „Die Fundamente der Religion Gottes sind zerstört und vernichtet, und nur die Formen und Gebräuche sind noch erhalten. Es treten Spaltungen auf, Standhaftigkeit wird zur Wankelmütigkeit, und das geistige Leben erlischt; die Herzen ermatten, die Seelen werden träge und der Winter bricht an, d.h. die Kälte der Unwissenheit umgibt die Welt und die Finsternis des menschlichen Irrtums herrscht vor. Dies hat im Gefolge: Gleichgültigkeit, Ungehorsam, Rücksichtslosigkeit, Trägheit, Gemeinheit, niedere Triebe, steinerne Kälte und Geistlosigkeit. Dieser Zustand gleicht dem Winter, da die Erde, der Sonnenwärme beraubt, öde und düster wird. Wenn die Welt des Verstandes und der Gedanken diesen Zustand erreicht hat, bleibt ihr nur dauernder Tod und ewiges Nichtsein8).“ Durch die Gnade Gottes aber folgt auch diesem Winter der neue Frühling: „Wenn dieser Winter vorüber ist, kehrt der geistige Frühling wieder und es beginnt ein neuer Zyklus. Die geistigen Lüfte wehen, die leuchtende Morgendämmerung schimmert, die göttlichen Wolken spenden Regen, die Strahlen der Sonne der Wirklichkeit brechen hervor, die [Seite 23] irdische Welt erhält ein neues Leben und ist geschmückt mit wunderbarem Gewand. Alle Zeichen und Gaben der vergangenen Frühlingszeit erscheinen in diesem neuen Zeitabschnitt wieder, vielleicht mit noch größerem Glanz denn zuvor9).“ Doch wie im frühen Frühjahr die Sonne mit ihren Strahlen erst das Eis wegschmelzen muß, so ist es auch im geistigen Frühling. Wie im Frühjahr heftige Stürme sich erheben, die manches zerstören, wie es dunkle Tage mit dichten Wolken gibt, die die Sonne nicht scheinen lassen wollen, so auch dann, wenn eine neue geistige Frühlingszeit anbricht. Materielles Denken, Trägheit des Herzens, Zweifelsucht und Vorurteile stellen sich den belebenden Kräften entgegen und führen den Kampf des Lichtes gegen die Finsternis, im altgermanischen Mythus als Kampf Baldurs gegen Hödur geschildert. So ist die Situation, wenn die Manifestation die Menschen aufruft, sich vom Bett der Nachlässigkeit zu erheben, ihr zu folgen und ihre Botschaft zu verbreiten. Dies ist die große und wichtige Entscheidung für alle, die in der Frühlingszeit der Religion leben.

„Wer nicht für mich ist, der ist wider mich“, sagt Jesus Christus und Bahá’u’lláh sagt: „Du aber wisse, daß jeder, der sich von dieser Schönheit abwendet, sich gleichfalls von den Gottgesandten früherer Zeiten abwendet und abwegig ist von Gott von Ewigkeit zu Ewigkeit.“ So unerhört wichtig ist die Entscheidung für oder gegen die Manifestation, daß Bahá’u’lláh sagt: „Die Toren, welche weder die Tragweite der Auferstehung noch das Nahen des Gerichts erfassen konnten, haben sich für immer der göttlichen Gnade beraubt10).“

„Tag des Gerichts“ nennen die Heiligen Bücher diese Zeit. In ihr wird, wie die Bibel sagt, die Spreu vom Weizen getrennt, diejenigen, die an die neue Offenbarung glauben von jenen, die sich ihr fernhalten. Bahá’u’lláh sagt: „Er aber will scheiden den Gerechten vom Schlechten, die Sonne vom Schatten, und darum hat Er zu allen Zeiten Seine Prüfungen auf die Menschen niederfallen lassen wie Regen vom Himmel... Ja, diese Dinge, die Verwirrung hervorrufen, sind für Gott der Prüfstein, womit er den Aufrichtigen vom Lügner scheidet und trennt.“ (Iqán.) In sinnbildlichen Worten erläutern alle Heiligen Schriften diesen Tag. Jesus Christus spricht davon, daß „Sonne und Mond den Schein verlieren und die Sterne vom Himmel fallen“, der Qur’án sagt „Sonne und Mond sind in der Hölle“ oder „der Tag wird kommen, da Erde und Himmel verwandelt sein werden“ und die Bibel spricht vom „neuen Himmel und der neuen Erde“. Alle diese symbolischen Worte erläutert Bahá’u’lláh im Buche Iqán und zieht den Schleier hinweg, der unsere Erkenntnis am Sehen hinderte.

Wenn Gott jeden Einzelnen in diesen für das Schicksal der Menschheit so wichtigen und schicksalsschweren Tagen zur Entscheidung ruft, so tut Er es doch nicht, ohne genügend Beweise und Möglichkeiten zum Erkennen des rechten Pfades zu geben. „Wollten wir behaupten, der Beweis Gottes wäre unvollkommen oder unvollständig und dadurch ein Grund zur Ungläubigkeit, so würden wir selbst wie Ungläubige handeln, denn nichts läge ferner der Güte des Barmherzigen und Seiner Gnade ohne Grenzen als einen unter den Menschen zum Führer Seiner Geschöpfe zu erwählen, ohne ihm einen vollständigen und hinreichenden Beweis mitzugeben, und so die Menschen ihrer Ungläubigkeit wegen zu strafen. Im Gegenteil, von jeher ist die Güte des Königs des Daseins durch Seine Manifestationen Seinen Geschöpfen enthüllt worden. Nicht einen Augenblick höret sie auf, wie wohltätiger Regen auf die Menschen zu ströinen11).“ Diese Beweise, die den Erwählten Gottes mitgegeben sind, enthüllt Bahá’u’lláh selbst im Buche Iqán. Er nennt als ersten Beweis das Buch der Manifestation: „Gott hat uns diesen Beweis gegeben. Müssen wir nicht alle uns auf das Buch berufen, um Gut von Böse, Irrtum von Führung zu unterscheiden? ... Wie hoch erhaben sind doch Gottes Worte und wie groß ist ihr Wert; denn der höchste Überzeugungsgrund, die allmächtige Kraft, der erfüllte Wille und der vollkommene Beweis sind in ihm enthalten. Und der König der Einheit, der diesen Beweis enthüllt hat, Er hat nichts aus zweiter Hand geschaffen, denn das Göttliche ist den anderen Begründungen und Beweisen gegenüber das, was die Sonne den Sternen gegenüber ist. Für die Völker ist dies das hellste Licht des höchsten [Seite 24] Wesens. Nichts kommt ihm an Güte gleich und nichts übertrifft es. Es ist die Schatzkammer der Geheimnisse der Einheit. Es ist der feste Faden, das unzerreißbare Seil, die unerschütterliche Handhabe und das unauslöschbare Licht. Die Fluten göttlicher Belehrung strömen von ihm herab und die ewige Weisheit thront in ihm. Es ist eine Flamme, die mit einem Male den Gläubigen mit dem Feuer der Liebe entzündet und den Ungläubigen in seiner Lässigkeit erstarren läßt.“ Dies ist der eigentliche und höchste Beweis, denn das Buch ist die natürliche Frucht Ihrer Wesenheit als Manifestation. „Großer Gott“, so ruft Bahá’u’lláh bezüglich dieses Beweises aus, „wie können die Menschen noch einen Beweis verlangen, wo doch die Fahne des „Er, der bewiesen ist“, entrollt ist! Wie können sie noch an ihrem eiteln Wissen festhalten nach dem Erscheinen der Manifestationen? Das hieße, von der Sonne den Beweis ihres Lichtes verlangen oder vom Aprilregen den Beweis, ob er wohltätig wirkt. Der Beweis der Sonne ist eben ihr Licht, das über die ganze Erde strahlt, und der Aprilregen zeigt sich eben dadurch, daß sein wohltätiges Wirken die Erde mit neuem Gewande bekleidet. Es ist wahr, daß der Blinde von der Sonne nur ihren Brand verspürt, und daß den kahlen Fels nicht die Wohltat des Frühlingsregens berührt12).“ Durch Jahrhunderte hindurch führt das göttliche Buch die Menschheit, veredelt und erzieht sie und bewirkt jeglichen Fortschritt. Bahá’u’lláh lenkt den Blick auf einen anderen wichtigen Beweis: „Es gibt einen anderen Beweis, der über allen Beweisen steht. Ich höre von der Festigkeit erzählen, die die ewige Schönheit — der Báb — in der Sache Gottes bewiesen hat, als Er noch ein Jüngling war. Seine Offenbarung setzte alles Bestehende in Bewegung, die Gedanken eines jeden, hoch und niedrig, reich und arm, mächtig und verachtet, Könige und Untertanen. Niemand flößte ihm Furcht ein, vor niemandem machte er Halt. Kann so etwas sich ereignen ohne Gottes Befehl und Willen? Bei Gott, es lohnt sich ernstlich darüber nachzudenken. Wer würde, selbst mit dem Mut der ganzen Welt, es wagen, sich in solche Abenteuer zu stürzen, wenn er nicht Gottes Erlaubnis dazu hätte; wenn er nicht im Herzen Erbarmen, in der Seele göttliche Güte empfinden würde? Wie kann man diese Festigkeit erklären? Darf man sagen, dies sei ein Narr, wie man von den alten Propheten einstens gesagt hatte? Oder war dies ein Streber, begierig Güter dieser Welt zu erwerben? Großer Gott! Zu Beginn seines ersten Buches, betitelt „Kayum-ul-Asma“, das sein größtes und erstes Werk zugleich ist, hat er sein Märtyrertum vorausgesagt. Er schreibt wörtlich: „O du, letzte Offenbarung Gottes, ich opfere mich völlig für dich und nehme auf mich die Leiden auf deinem Wege. Mein einziger Wunsch ist, um deiner Liebe willen getötet zu werden. Gott, der Allmächtige, der ewige Beschützer, ist mein ein und alles!“... Kann man behaupten, daß wer solche Gedanken äußert, nicht auf dem Weg wandle und anderes suche als Gottes Wohlgefallen? ... Die Festigkeit in der Sache ist also ein wohlgefügter Beweisgrund und eine erhabene Prüfung13).“ Den dritten Beweis für die Manifestation sehen die Bahá’í in der Tatsache, daß sich ihre Sache allmählich durchsetzt, obwohl der Manifestation keinerlei menschliche Macht, sei es durch den Einfluß Mächtiger, durch Waffengewalt oder Geld zur Verfügung stand, sie im Gegenteil in außergewöhnlichem Maße der Gegnerschaft von vielen Seiten ausgesetzt war. So sagt Bahá’u’lláh: „Woran man ebenso die Gottgesandten erkennt, das ist ihr schließlicher Sieg, ihre machtvolle Herrschaft über alle Länder der Erde, eine Macht, die diese Schöpfer des Daseins aus ihrem Innersten spenden14).“ Weiter gibt es noch die Beweise der von der Manifestation verrichteten Wunder und der erfüllten Prophezeiungen, die die Bahá’í-Lehre allerdings nur als unterstützende und nicht als Hauptbeweise ansieht.

Was muß nun unser Rüstzeug sein, wenn wir in den Kampf dieser Entscheidung hineingehen? Zuerst und vor allem ist es ein reines Herz und ein wahrhaft aufrichtiges Gemüt, die Wahrheit zu finden. Bahá’u’lláh sagt: „O Sohn des Geistes! Mein erster Rat ist, besitze ein reines, gütiges und strahlendes Herz, damit du eine Herrschaft erlangst, die himmlisch ewig und unvergänglich ist15).“ Und an anderer Stelle: „An diesem Tag muß der, welcher das Licht der Sonne der Wahrheit [Seite 25] sucht, seinen Geist von den Überlieferungen der Vergangenheit freimachen; er muß sein Haupt mit der Krone der Trennung und seinen Tempel (Körper) mit dem Kleid der Tugend schmücken. Dann wird er zu dem Meer der Einheit und Einzigkeit Gottes gelangen. Das Herz muß von dem Feuer des Aberglaubens frei werden, damit es das helle Licht der Gewißheit empfangen und die Herrlichkeit Gottes begreifen kann16).“ Wir dürfen, ja wir sollen sogar auch unseren Verstand anwenden bei diesem Kampf um innere Klarheit. ‘Abdu’l-Bahá nennt den Verstand „die größte Gabe Gottes an die Menschen“ und sagt: „Die größte Gabe, welche Gott den Menschen verliehen hat, ist sein Verstand... Durch diesen Besitz ist der Mensch die Krone der ganzen Schöpfung, er ist fähig, mit den verschiedenen Reichen in Berührung zu kommen, und durch diese Gabe kann er mit Hilfe seines Wissens bis zur Stufe des prophetischen Schauens gelangen... Studieret die Wissenschaften, erwerbet euch immer mehr Wissen, denn es ist gewiß, daß der Mensch bis zu seinem Lebensende lernen muß. Gebrauchet eure Kenntnisse stets auch zum Nutzen anderer17).“ Vor allem sollen wir unseren Verstand benutzen, um die Vorurteile und falschen Meinungen in uns zu überwinden. „Um die Wahrheit finden zu können“, so sagt ‘Abdu’l-Bahá, „müssen wir alle Vorurteile und kleinlichen unbedeutenden Begriffe aufgeben: ein offenes empfängliches Gemüt ist die Hauptsache. Wenn unser Herzenskelch gefüllt ist mit unserem Selbst, dann ist kein Platz mehr in ihm vorhanden für das Wasser des Lebens. Die Tatsache, daß wir uns einbilden, wir allein seien im Recht und alle andern im Unrecht, ist das größte Hindernis auf dem Pfade der Einigkeit und Einigkeit ist erforderlich, wenn wir die Wahrheit erlangen wollen, denn es gibt nur eine Wahrheit. Wenn wir daher den ernstlichen Wunsch haben, die Wahrheit zu suchen, dann ist es notwendig, daß wir unseren eigenen, besonderen Vorurteilen entsagen; denn solange wir nicht zwischen Glaubenssätzen, Aberglauben und Vorurteilen einerseits und der Wahrheit andererseits zu unterscheiden vermögen, werden wir keinen Erfolg haben. Wenn wir ernstlich nach etwas suchen, so suchen wir überall darnach. Dieses Prinzip muß auch in unserem Suchen nach der Wahrheit angewandt werden18).“ Es gehört im weiteren Verlauf der Wille dazu, sich ganz der Führung Gottes unterstellen zu wollen und aufrichtig und treu den Weg zu gehen, den sie uns weist. Es gehört Geduld und Standhaftigkeit dazu, wenn Schwierigkeiten und Prüfungen kommen. Bahá’u’lláh sagt: „O Menschensohn! Für jedes Ding gibt es ein Sinnbild. Das Zeichen der Liebe ist die Seelenstärke, mit der du dich in Meinen Ratschluß fügst und die Geduld in Meinen Prüfungen19).“ Wir müssen zur Loslösung, zum Erlebnis (des Opfers durchdringen, über dessen verschiedene Bedeutungen wir auf die Worte von ‘Abdu’l-Bahá hinweisen dürfen20). Und dieses Opfer schließt selbstverständlich ein tägliches Opfer an Zeit, Mühe und Arbeit, an Geld und Gut ein. Wenn wir so streben und uns führen lassen, bringt jeder Tag neue Beweise für die Richtigkeit des Weges, auf dem wir uns bewegen und jeder Beweis feuert die Kräfte an, sich um eine immer innigere Vereinigung mit Gott zu mühen.

Heute stehen wir wieder in einer solchen Entscheidung. Auf den Befehl Gottes hat Bahá’u’lláh den Ruf an die Menschheit ergehen lassen, sich aus der Nachlässigkeit zur eigentlichen menschlichen Bestimmung zu erheben. Und täglich durchdringt dieser Ruf mehr die Welt um immer mehr Menschen vor die große Entscheidung zu stellen. Wir müssen uns darüber klar sein, daß der Tag Bahá’u’lláh’s ein Tag von besonderer Bedeutung für die Menschheit ist. Wohl sind sich die Offenbarungen an Bedeutung gleich, was ihre Herkunft und Quelle anbetrifft, doch was ihre Wirksamkeit und Bedeutung in dieser Welt anbelangt, hat Gott, wie Bahá’u’lláh erklärt hat, die einen über die andern erhoben. Der Bahá’í-Glaube gründet sich auf die Gewißheit, daß die Menschheit im Anbruch eines glänzenden Zeitalters steht, das die Verheißung der Religionen und der Traum der Völker durch die Jahrtausende hindurch gewesen ist. Die Verheißung dieses großen Tages besteht in der Erhöhung der menschlichen [Seite 26] Stufe und in der Vollendung der Einheit der Menschen untereinander. In den heiligen Schriften ist er „Tag Gottes‘ genannt und Bahá’u’lláh sagt von ihm: O Gott! Dies ist ein Tag, dessen Licht Du über die Sonne und ihren Glanz geheiligt hast. Ich bezeuge, daß dieser Tag durch das Licht Deines Antlitzes und durch den Glanz des dämmernden Lichts Deiner Offenbarung erleuchtet wird.

O Du mein Gott und Geliebter meines Herzens! Mit dem Namen dieses Tages hast Du Dein Tablet, das nur Dir bekannt ist, geschmückt. Du hast ihn „Den Tag Gottes“ genannt. An diesem Tag wird nichts als Dein erhabenes Selbst gesehen und außer Deines süßesten Namens wird an nichts gedacht. Daher erzitterten bei seinem Erscheinen die Fundamente der Nationen, die Gelehrten wurden bestürzt und die Weisen verwirrt; nur diejenigen, die sich Dir nahten, nahmen aus der Hand der Gunst den reinen Wein Deiner Erleuchtung und tranken in Deinem Namen, indem sie anbetend riefen: „Preis sei Dir, o Du Ersehnter der Völker! Preis sei Dir, o Geliebter der Herzen der Sehnsuchtsvollen21)!“ Oft hat ‘Abdu’l-Bahá in seinen Reden, insbesondere in Amerika gesagt, daß die heutige Menschheit anzusehen ist, wie ein Jüngling, der die Reife erlangt hat. Wenn wir also die ganze Entwicklungszeit bisher als das Kindheitsalter der Menschheit ansehen können, in dem sie wohl durch die Religionen erzogen wurde, aber doch nicht im eigentlichen Sinne selbstverantwortlich war, welch eine Verantwortung ergibt sich dann heute im Zeitalter der Reife, aber auch welch eine Aussicht! Durch die Fortschritte der Zivilisation ist die Erde eng zusammengerückt, Eisenbahn, Dampfschiff, Auto, Flugzeug, Telephon, Post und Radio verringern den Raum. So sind die äußeren Möglichkeiten für die Einheit der Menschen, für die Verbundenheit in einer Religion gegeben, so daß die Zeit reif ist, daß „eine Herde und ein Hirte“ werde. Durch die fortgeschrittene Reife der Menschheit konnte in dieser Offenbarung der Menschheit auch an geistigen Wahrheiten mehr geschenkt werden als in früheren Zeiten.

Wir dürfen uns nicht durch Ablehnung entmutigen lassen, sondern müssen in der unerschütterlichen Gewißheit des verheißenen Sieges arbeiten mit unserer ganzen Kraft. Im Tablet an Aḥmad sagt Bahá’u’lláh: „Sei standhaft in deiner Liebe zu Mir. Wenngleich die Schwerter der Feinde sich über dir kreuzen und alles im Himmel und auf Erden sich wider dich erheben sollte, darf dein Herz nicht zagen. Sei eine Feuerflamme für Meine Feinde und ein Strom des ewigen Lebens für Meine Geliebten und zähle nicht zu den Zweifelnden. Sollte Kummer über dich kommen auf Meinem Pfad und Mutlosigkeit in Meinem Namen dich befallen, so sei nicht bestürzt darüber. Vertraue auf Gott, deinen Herrn, und den Herrn deiner Väter.“ Wir müssen es wieder viel klarer wissen, daß Gott „tut was Er will“, daß Er, der alles hat erstehen lassen und erhält, auch alles nach Seinem Plan und Willen führt und niemand fähig ist, Ihm „Seine Erhabenheit, Seine Herrschaft, Seine Souveränität zu entziehen“, denn „im Himmel und auf Erden in allen Reichen Gottes ist Er der Siegreiche und der Eroberer“. Von Ihm heißt es „Wahrlich, ewig ist Er dagewesen und nichts war nebst Ihm da22).“ Seine Verheißung heißt: „Dies ist ein neuer Zyklus menschlicher Macht. Alle Horizonte der Welt sind erleuchtet und die Welt wird tatsächlich ein Garten und Paradies werden.“

Darum darf es für uns kein Zaudern geben. Rastlos wie ‘Abdu’l-Bahá sollten wir uns keinen Augenblick der Ruhe wünschen und niemals von dem Weg der Hingabe an diese Sache abirren. Jeden Morgen sollten wir uns 'Abdu'l-Bahá’s Mahnung vor Augen halten: „Arbeitet, arbeitet mit all euren Kräften: verbreitet die Lehre des Reiches Gottes auf Erden unter euren Mitmenschen. Lehrt die Selbstzufriedenen sich vor Gott zu demütigen, die Sünder sich zu bessern und erwartet freudigen Herzens das Kommen des Reiches Gottes. Liebet euren Vater im Himmel und seid Ihm gehorsam. Verlaßt euch mit aller Bestimmtheit darauf, daß Seine Hilfe mit euch ist. Wahrlich, ich sage euch, ihr werdet die Welt besiegen. Habt Glauben, Geduld und Mut. Wir stehen am Anfang einer großen Zeit. Ihr werdet den Erfolg haben, denn Gott ist mit euch!“ Es ist ein Sieg über die Herzen, den Gott für sich erkämpft haben will. „O Sohn des Seins! Dein Herz ist Meine [Seite 27] Wohnstätte; heilige es für Mein Kommen. Dein Geist ist Mein Ausblick, reinige ihn für Meine Offenbarung23).“ So müssen wir unser Herz läutern und reinigen, damit der Geist des neuen Tages es erfüllen kann. Dann wird unsere ganze Haltung zu einem einzigen Dank werden und zu einem Gebet, daß wir befähigt werden mögen, ganz in den neuen Tag einzutreten und für ihn unter den Menschen zu zeugen.


1) Worte der Weisheit, S. 57.

2) Vgl. Suratu’l Haykal S. 40.

3) Verborgene Worte, S. 60.

4) Tablet über die „Begegnung“, S.d.W. XIV, 12, S. 101.

5) Tablet über die „Begegnung“, S.d.W. XIV, 12, S. 98.

6) S.d.W. X, 8. 111, ebenso Suratu’l Haykal S.d.W. XIII, 5, S. 51.

7) S. 98ff.

8) Ebenda, S. 99/100.

9) Ebenda, S. 100.

10) „Sonne der Wahrheit“, X, S. 122.

11) „Sonne der Wahrheit“, X, S. 17.

12) Iqán, S.d.W., XI, S. 29.

13) Iqán, S.d.W., XI, S. 63.

14) Iqán, S.d.W., XI, S. 63.

15) Verborgene Worte, S. 5.

16) Verborgene Worte, S. 60.

17) Pariser Ansprachen, S. 39 und 41.

18) Pariser Ansprachen, S. 148.

19) Verborgene Worte, S. 16.

20) „Sonne der Wahrheit“, IV, S. 18 ff.

21) Verborgene Worte, S. 81/82.

22) Súratu’l Haykal, S.d.W., XIII, 6, S. 63.

23) Arab. V. Worte Nr. 58.



Glaubenseinrichtungen und Religion[Bearbeiten]

Von Ruhi Afnán*)

Die heutige Denkweise neigt dazu, anzunehmen, daß jede Organisationsform dem Geiste wahrer Religion schädlich sei, und sie begründet ihre Meinung auf den Glauben, daß, da doch die Religion eine Freiheit des Geistes erfordere, Gesetze und feste Einrichtungen ihn in eine Schablone zwingen und einer bestimmten und ausgeklügelten Form unterwerfen. Wie könnte der Geist sich erheben und seine höchste Entwicklungsstufe erreichen, wenn ihm durch Vorschriften einer Organisation Schranken gesetzt werden? Für den Bahá’í ist ein sicheres Wissen hierüber grundlegend und lebenswichtig, denn die Einrichtungen des Hütertums und der örtlichen, nationalen und übernationalen geistigen Räte sind untrennbar mit dem Glauben Bahá’u’lláh’s verbunden und bilden einen nicht wegdenkbaren Grundbestandteil desselben. Wir wollen deshalb dieser Frage nähertreten und die Beweise finden, auf denen der Bau der Verwaltung (Administration) dieser göttlichen Offenbarung ruht.

Wir könnten obigem Einwand zweifellos mit der unbestrittenen Annahme begegnen, die wir Glauben nennen. Die bloße Tatsache, daß Bahá’u’lláh und ‘Abdu’l-Bahá diese Verwaltungsgrundsätze verkündeten, ist für ihre Anhänger genügend Grund. Da wir ja unser Vertrauen in ihre göttliche Führung gelegt und in ihnen das leitende Licht Gottes erkannt haben, so sind wir voll und ganz berechtigt, ihnen bis zum Ende zu folgen und ihrem Führertum zu vertrauen. Solch eine Haltung gibt uns eine persönliche und individuelle Gewißheit, aber sie hilft uns nicht, der Kritik einer ungläubigen Welt entgegenzutreten.

Um die vernunftmäßige Rechtfertigung für die Einrichtungen des Glaubens zu entdecken, haben wir davon auszugehen, zunächst eine klare Ansicht von dem zu gewinnen, was wahre Religion ausmacht, denn die Zurückweisung oder die Annahme der Notwendigkeit einer Verwaltung oder Organisation in religiösen Dingen hängt davon ab, an welche der beiden Auffassungen wir uns halten: mystische oder Offenbarungsreligion.

Es gibt zwei Philosophien, zwei Annäherungsweisen zu jener hochwichtigen Lebensbetrachtung, die wir Religion nennen. Die erste, die gegenwärtig am weitesten verbreitete, die das Denken schon seit dem Beginn des letzten Jahrhunderts beherrscht hat, ist die mystische, die das innere Fühlen des Menschen besonders betont. Nach dieser Auffassung ist Religion ein inneres Erleben, das sich in jenen Augenblicken der Erhebung offenbart, in denen wir uns eins fühlen mit dem Göttlichen.

Die zweite Religionsphilosophie, die dem frühen Christentum und dem Islám eigentümlich war, jedoch von den gebildeten Schichten einen sehr langen Zeitraum hindurch verworfen wurde, die aber in den letzten Jahren wieder anfängt, Interesse zu erwecken, ist die Offenbarungsreligion. Nach dieser Auffassung ist Religion sowohl eine geistige Kraft als auch eine Setzung moralischer Gesetze und Grundsätze, welche die Propheten Gottes bei ihrem Erscheinen in der Welt ins Leben rufen, um die Menschengemeinschaft zu erneuern, den Menschen zu erziehen und ihn geistig weiterzuentwickeln. Sie leugnet aber nicht die Wirksamkeit noch schmälert sie den Wert des innerlichen mystischen Erlebens. Sie kann nicht anders als diese Augenblicke der Erhebung und inneren Vereinigung mit Gott, sofern sie nicht mit der [Seite 28] Idee der Gottwerdung des Menschen verwechselt werden, als die größten Triebkräfte anzuerkennen, die wir für unsere moralische und geistige Entwicklung brauchen.

Diese Offenbarungsauffassung geht jedoch einen Schritt weiter. Dieses innere Erleben mag wohl ein Grundteil, ein wesentlicher Bestandteil unseres geistigen Lebens sein, aber es bildet nicht die Ganzheit dieses Lebens. Wir brauchen außerdem das Element des Glaubens, daß die Propheten das Sprachrohr Gottes sind und daß strenger Gehorsam gegenüber ihren Gesetzen für unser geistiges Wachstum unerläßlich ist. Wenn diese beiden letztgenannten Grundteile fehlen, dann wird auch keine Form inneren Erlebens dazu helfen, unsere geistige Erneuerung und Entwicklung zu fördern.

Wenn unter Religion nur ein inneres Fühlen einer Wesenseinheit mit Gott verstanden wird, dann wird sie individuell und persönlich. Wie die Mystik lehrt, gibt es keinen besonders abgegrenzten und vorgeschriebenen Pfad, den jeder Wanderer zu gehen hat. Jeder Einzelne hat seine ihm eigentümliche Weise der Annäherung an jenen ekstatischen Zustand, welcher für die Geistigkeit das Gepräge der Echtheit ist. Vorgeschriebene Gesetze, festgefügte Einrichtungen und äußere Formen bilden für die Bewegung des Geistes eine Last, der zu seiner wahren Bestimmung nur gelangen kann, wenn er frei ist.

Solch eine Auffassung war zweifellos die schärfste und wirksamste Waffe gegen festes Verwaltungswesen und Brauchtum in der Religion. Sie hat in das Bewußtsein der Jugend den Gedanken hineingetragen, daß die Kirche eine zu beseitigende Einrichtung sei, daß das geistige Leben des Menschen nicht in eine Form gepreßt oder ihm vorgeschriebene Gesetze und Lehren auferlegt werden können.

Nach der Auffassung der Religion als Offenbarung jedoch sind Gesetze und Einrichtungen für unser geistiges Wachstum unerläßliche Grundbestandteile. Dieser Philosophie entsprechend wird die Seele nicht erlöst durch das bloße Durchstoßen ihrer materiellen Schale, daß sie sich nur befreit von irdischen Gebundenheiten. Von diesem Standpunkt aus hat der Geist nach einem bestimmten Wirkungsvermögen alle Eigenschaften Gottes in sich eingeschlossen. Durch stufenweisen Fortschritt und dauernde Entwicklung, durch Zuwendung des Herzens zu dem von den Propheten Gottes ausgestrahlten Lichte, durch inneres Drängen und Sehnen nach Göttlichem entwickelt der Mensch seine Persönlichkeit und macht sie der Segnungen der kommenden Welt würdig. Deshalb muß die Seele erzogen und geübt werden, jene göttlichen Eigenschaften in wachsendem Maße widerzuspiegeln. Ihr Ziel ist nicht Freiheit von materieller Beschränkung. Ihre Vervollkommnung ist nicht schon erreicht und ihr angeboren. Sie hat diese Vervollkommnung vielmehr erst zu erwerben, sie hat sich zu entwickeln.

Um sich zu entfalten, braucht deshalb der Geist die liebevolle Unterstützung eines himmlischen Lehrers, der mit bestimmten Gesetzen und Einrichtungen, die für diese besondere Aufgabe zugeschnitten sind, der Seele nachhilft und sie zur Reife führt. Dazu nötig sind Antrieb, Führung, Abschreckung, Liebe, Ergebenheit, Hoffnung auf Belohnung, Furcht vor den schrecklichen Folgen böser Taten. Ohne solche Kräfte ist der Fortschritt nicht gesichert. Und diese Kräfte sind in den Gesetzen und Einrichtungen verkörpert, welche die Offenbarungsreligion vorsieht.

Geoffenbarte Religion legt einen besonderen Nachdruck auf das soziale Zusammenleben, was die Mystik nicht tut. Während mystische Bewegungen nie bedeutende Faktoren in der sozialen Entwicklung des Menschen gewesen sind, haben erstere bewiesen, daß sie die größten sozialisierenden Kräfte sind, welche die Welt je hatte. Bedenke, wie das Christentum und der Islám Menschen verschiedener Rasse, Nationalität und Klassen zu einem Ganzen zusammenschweißten. Der Glaubensbruder war wie der engste Blutsverwandte. Solch eine einigende und soziale Kraft muß sich in Form einer Einrichtung als dem äußeren Ausdruck jener geistigen Einheit verkörpern, die unter den Anhängern des Glaubens besteht.

So unwegdenkbar ist Organisation von einer geoffenbarten Religion, daß die meisten, wenn nicht alle Propheten sie in irgend einer Form vertraten. Wenn in einigen Fällen, wie beim Christentum, die Worte des Propheten es nicht deutlich genug darlegten, so brachte das logische und wesentliche Bedürfnis des Glaubens sie hervor. Tatsächlich ist es so, daß jedesmal, wenn eine Gruppe sich erhob und [Seite 29] die bestehende Kirche oder Kirchen angriffen und Freiheit ihnen gegenüber verteidigte, sie zu guter Letzt kein anderes Ergebnis zeitigte, als die Gründung einer neuen Organisation, um die schon bestehenden zu bekämpfen. Dies zeigt über allem Zweifel, daß Organisation für die wahre Natur der Religion wesentlich und aufs engste mit ihr verbunden ist.

Wenn wir jedoch die mystischen Bewegungen betrachten, sowohl die im Osten als auch im Westen, so beobachten wir, daß sie nicht mehr als die Bildung einer kleinen Gemeinschaft erreichten, die unter der Führung eines Leiters lebte, wobei aber jedes Glied der Gemeinschaft versuchte, seine eigene Erlösung dadurch zu erarbeiten, daß es seinen eigenen ihm gemäßen Pfad zur Gottheit beging. Keine derselben schuf eine wirksame Organisation, die das Leben Tausender von Anhängern mit der Macht und Größe gestaltete, wie wir es bei den geoffenbarten Religionen finden.

Daß irgend eine Art der Organisation von der wahren Natur einer geoffenbarten Religion nicht hinwegzudenken ist und aus ihr hervorgehen muß, kann noch besser begriffen werden, wenn wir die grundlegenden Lehren der Bahá’í-Offenbarung studieren. Wir werden also erklären, daß ohne eine verwaltungsmäßige Körperschaft die Gedanken des Begründers des Glaubens nie verwirklicht werden können.

Eine grundlegende Lehre Bahá’u’lláh’s ist, daß Religion fortschreitend ist, daß ihre Wahrheiten immer wieder ausgelegt werden müssen, um den bestehenden Bedürfnissen der Gesellschaft zu genügen, daß neue Gesetze und Grundsätze niederzulegen sind, wenn für sie ein Bedürfnis vorliegt, daß sie auf diese Weise mit der fortschreitenden Zivilisation Schritt zu halten hat. Alle tausend Jahre ungefähr erscheint ein Prophet in der Welt und vertieft die Gesetze und Lehren des vorangegangenen Propheten und gestaltet sie um für die Erfordernisse der neuen Zeit. Aber der Geist eines Systems von Gesetzen kann nicht als fortschreitend angesehen werden, wenn er nur einmal alle tausend Jahre verändert erscheint, wenn während dieses langen Zeitraums diese vom Propheten verkündeten grundlegenden Gesetze nicht neu ausgelegt angewendet werden.

Es ist deshalb für eine geoffenbarte Religion wie den Bahá’í-Glauben gebieterische Notwendigkeit, eine besondere Einrichtung zu haben, wie sie im Hütertum vorgesehen ist, um die Schriften im Lichte zeitgemäßen Denkens zu erklären. Auslegung macht die Lehren zu lebenden Geboten. Die Auslegung der Schrift war in der Vergangenheit die Quelle des Streites unter den verschiedenen Sekten einer jeden Religion. Wenn immer jemand die Schriften deutete, erhob sich ein anderer, schmähte ihn und legte eine gegenteilige Ansicht dar. Dies führte zu sich bekämpfenden Sektenbildungen und unzählbaren Streitfragen. Um nun eine solche Ursache und Quelle der Zwietracht von vorneherein zu unterbinden, übertrug Bahá’u’lláh das ausschließliche Recht der Auslegung 'Abdu'l-Bahá. Wie anders könnte Er Seinen Glauben vor den zerstörenden Einflüssen, welche die älteren Glauben auseinanderspalteten, beschützen als durch die Einrichtung des Hütertums, durch eine Einrichtung, dessen besonderes Vorrecht es sein soll, die Schrift zu erklären?

Um den fortschrittlichen Charakter der Zivilisation zu erhalten, hatte 'Abdu'l-Bahá neben der Vorsehung eines bevollmächtigten Auslegers eine gesetzgebende Körperschaft einzurichten, die in späteren Zeiten, wenn die Bedürfnisse der Gemeinschaft sich geändert haben, neue Gesetze erläßt. Ohne eine solche Einrichtung, die Gesetze erläßt, wenn in den Heiligen Schriften eine genaue Anweisung fehlt, würde der Glaube bald ein toter Buchstabe werden und aufhören, unmittelbar auf die Anforderungen des Tages anwendbar zu sein. Es ist somit augenscheinlich, daß Einrichtungen zur Erhaltung des fortschreitenden Wesens der Religion unerläßlich sind.

Die verwaltungsmäßige Seite des Glaubens Bahá’u’lláh’s zu schmähen oder in irgend einer allgemeinen Form an der Meinung festzuhalten, daß Religion nicht organisiert werden kann und sollte, verrät einen Mangel des Verstehens der Philosophie geistigen Lebens. Nur mystische Bewegungen können logischerweise darauf beharren, daß Organisation den Geist niederdrücke, daß sie seinen Fortschritt verzögere. Die Anhänger der geoffenbarten Religionen andererseits, seien sie Christen, Moslems oder Bahá’í, können mit keinerlei rechtmäßigen Gründen einer solchen Theorie zustimmen. Es ist wohl wahr, daß zu gewissen [Seite 30] Zeiten Organisation ein Hemmnis für eine geistige Bewegung werden kann, aber das tritt nur dann ein, wenn ihre Tätigkeit überbetont ist, wenn die Organisation Selbstzweck geworden ist, statt ein von Gott vorgesehenes Mittel für die geistige Entwicklung des Menschen.

Die Schwäche des verwaltungsmäßigen Grundbestandteils der Religionen der Vergangenheit ist teilweise dem Umstand zuzuschreiben, daß der Begründer des Glaubens keine ins Einzelne gehende und ausdrückliche Vorkehrung über die Form getroffen hat, welche die Verwaltung nach Ihm anzunehmen hat. Jede Institution, die nachträglich sich bildete, stand in bezug auf ihre gesetzliche Rechtmäßigkeit auf schwachen Füßen und war deshalb Angriffen ausgesetzt. Einzig im Bahá’í-Glauben finden wir in dieser Hinsicht genaue Vorkehrungen. Bahá’u’lláh hat den Grundsatz niedergelegt, den ‘Abdu’l-Bahá in Seinem Willen und Testament ausführlich darstellte. Sie haben Einrichtungen geschaffen und übertrugen ihnen die Macht, die Aufgabe der menschlichen und sozialen Erneuerung weiterzutragen, für die sie ihr Leben hingaben. Die Rechtmäßigkeit dieser Einrichtungen wird deshalb immer unanfechtbar sein,

Wenn immer wir eine Einrichtung oder irgend eine Form menschlicher Tätigkeit studieren, sollten wir auf der Hut sein und unterscheiden zwischen der wahren Natur jener Einrichtung und den Übeln, die durch die Fehltritte der Menschen ihre Form verdrehten. Die Einrichtung mag segensreich und vielleicht für den Fortschritt des Menschen unerläßlich sein, aber trotzdem allmählich so zerrüttet werden, daß sie seinem Fortschritt hinderlich ist. Wir können ein klares Beispiel einer solchen Erscheinung in der politischen und wirtschaftlichen Organisation des Staates finden. Kein Kenner politischer Lehren kann bestreiten, daß irgend eine Form der Regierung für das Leben einer Nation nötig ist; er erkennt aber auch, welche Verwüstung sie, wenn sie zerrüttet ist, am menschlichen Leben und Eigentum anrichten kann. Ähnliches gilt auch für eine Organisation auf dem Gebiete der Religion; sie ist in ihrer reinen Form für unser geistiges Leben nicht wegzudenken, obwohl sie in vergangenen Zeiten unsere Tätigkeit fesselte und unseren Fortschritt hemmte. Jeder Organismus ist geboren, hat eine Periode des Reifens, wächst zu seiner vollen Größe, wird alt und geht dann zu Grunde, für einen neueren Organismus Platz machend, der gekommen ist, ihn zu ersetzen. Das gilt für die Religion als Ganzes und im besonderen für ihre verwaltungsmäßige Seite.

Die Verwaltung des Glaubens Bahá’u’lláh’s steht noch in ihrer Kindheit, sie hat zu wachsen und zu reifen, ihre Sendung in der Welt zu erfüllen; aber nach Zeiten höchster Tatkraft und nützlichen Dienstes wird auch sie dem Verfall unterworfen sein. Dann, das hat uns Bahá’u’lláh verheißen, wird ein neuer Prophet erscheinen und ein neuer Glaube wird die Stelle unseres jetzigen Glaubens einnehmen.


*) Entnommen und ins Deutsche übertragen aus „World Order“, Bd. 2, Nr. 1, April 1936, S. 31 ff.



Vom Wirkungsvermögen des Wortes Gottes[Bearbeiten]

Von Karl Klitzing, Graal

Nach dem Bahá’í-Glauben ist das Wort Gottes oder der Logos die einzige, schöpferische Wirklichkeit. Der Apostel Johannes erklärt dies durch die Worte: „Alle Dinge sind durch dasselbige1) gemacht, und ohne dasselbige ist nichts gemacht, was gemacht ist2)

In dieser erschaffenen Welt wird die schöpferische Kraft des Wortes Gottes in dem Mineral-, dem Pflanzen-, dem Tierreich und dem Reich des Menschen sichtbar. Der Mensch, der alle bestehenden Reiche in sich vereinigt, ist die Krone der ganzen Schöpfung.

In jedem Menschen ruht eine zweifache Natur: eine geistige oder höhere und eine materielle oder niedere Natur, Nach seiner niederen Natur ist er grausam und ungerecht, nach seiner geistigen bringt er die Eigenschaften des Reiches Gottes zum Ausdruck. In Galater 5, 19—21 sind Feindschaft, Hader, Neid, Zorn, Zank, Zwietracht, Haß usw. als [Seite 31] die Eigenschaften der niederen Natur genannt. „Die Frucht aber des Geistes ist Liebe, Freude, Friede, Geduld, Freundlichkeit, Gütigkeit, Glaube, Sanftmut, Keuschheit3).“ In Epheser 5, 9 lesen wir: ‚Wandelt wie die Kinder des Lichtes4). Die Frucht des Geistes ist allerlei Gütigkeit und Gerechtigkeit und Wahrheit.“

Das tiefer stehende Reich weiß nichts von den Eigenschaften des höher stehenden Reiches. Das Mineralreich weiß nichts von dem Zellenaufbau des Pflanzenreiches, das Pflanzenreich weiß nichts von dem Instinkt des Tierreiches und das Tierreich weiß nichts von der Vernunft des Menschen. Wie soll nun der Mensch, der nur zu erfassen vermag, was er mit den Augen sehen oder mit den Ohren hören kann, das Licht aus dem über ihm stehenden Reiche wahrnehmen, einem Reiche, „das kein Auge gesehen und kein Ohr gehöret hat und in keines Menschen Herz kommen ist"5)? Kann der dem Gesetz der Begrenzung durch Zeit und Raum unterworfene Mensch die unendliche göttliche Wirklichkeit erkennen, um sich daraus einen selbständigen Gottesbegriff zu bilden, der ihm und seinen Mitmenschen als Richtlinie auf ihrem Lebenswege dienen kann? Oder welchen von den vielen aufgestellten Begriffen über die Gottheit sollen wir zustimmen, um dadurch die Wahrheit erreicht zu haben?

Die verschiedenen Darstellungen von dem Wesen der Gottheit weichen in den verschiedenen Zeitaltern, den verschiedenen Erdstrichen und den verschiedenen Kulturstufen sehr voneinander ab. War ein Volk, wie die alten Griechen, unehrlich, so hatten sie Götter, die sich gegenseitig überlisteten. War es, wie die alten Germanen, ein tapferes Volk, so hatten sie Götter, die kriegerische Tugenden liebten. Ein Volk voll Wahrhaftigkeit preist Gott als Wahrheit. Ein sehr aufrichtiges Volk betrachtet Ihn als Gerechtigkeit. Wie können wir aber wissen, welche der vielen Erklärungen die Attribute der Gottheit auch wirklich zum Ausdruck bringen? „O daß ich wüßte, wie ich Gott finden könnte!“

Die göttliche Wirklichkeit ist mit einem Ozean vergleichbar, in dem köstliche Juwelen und Perlen, die für uns die Quelle aller Glückseligkeit bilden, geheimnisvoll verborgen sind, die zu bergen wir uns vergeblich mühen. „Wie nur dem Kopf nicht alle Hoffnung schwindet, der immerfort an schalem Zeuge klebt, mit gier’ger Hand nach Schätzen gräbt und froh ist, wenn er Regenwürmer findet6)!“

„O daß ich wüßte, wie ich Gott finden könnte!“ Christus gibt uns auf diese Frage die Antwort, indem Er sagt: „Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben, niemand kommt zum Vater, denn durch Mich. Wenn ihr Mich kennetet, so kennetet ihr auch Meinen Vater...7).“ Die Bahá’í-Lehre sagt, daß in der erschaffenen Welt außer den von uns bereits aufgezählten Reichen noch die Stufe der Propheten sichtbar in die Erscheinung tritt. Die Propheten stellen die vollkommenste Manifestation des göttlichen Wortes dar, die im Ev. Joh. 1, 14 durch die Worte ausgedrückt ist: „Und das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns, und wir sahen seine Herrlichkeit, eine Herrlichkeit als des eingeborenen Sohnes vom Vater, voller Gnade und Wahrheit.“ Wir können Gott nicht durch unsere eigene begrenzte menschliche Erkenntnis oder die unserer Mitmenschen begreifen, wohl aber in der geistigen Wesenheit der Gottgesandten, ebenso wie wir das Licht der Sonne in einem klarpolierten Spiegel erkennen können. Wir können den Weg zur göttlichen Wahrheit nicht in unserer eigenen Brust ergründen! Er kann uns nur durch die göttlichen Botschafter gewiesen werden, die zwar für eine gewisse Zeit eine irdische Persönlichkeit, jedoch voll göttlicher Weisheit und mit einer alldurchdringenden Kraft ausgestattet und schon in ihrem Erdendasein über Raum und Zeit erhaben sind. Daher konnte Christus sagen: „Mir ist gegeben alle Gewalt im Himmel und auf Erden8).“ Bahá’u’lláh lehrt: „Das Wort Gottes, der Logos, ist Seine höchste, überfließende Güte (überströmende Liebe). Ja, das Wort Gottes, der Logos, ist das einzig Seiende, die schöpferische Wirklichkeit (die zeugende Wesenheit) in allem, was gewesen ist, was ist und was sein wird9).“ Zoroaster, Buddha, Moses, Christus, Muḥammad und in unseren Tagen Bahá’u’lláh sind Manifestationen der [Seite 32] göttlichen Wirklichkeit, die ihre heiligen Strahlen über eine Welt der Feindschaft und des Hasses ausschütteten, um sie mit geistigen Lebensenergien zu erfüllen.

Der Mensch ist der Sprecher des Wortes. Er wird durch Worte gelehrt und erzogen. Durch Worte gibt er seine Ideen zum Ausdruck, die er bis ans Ende der Welt bringt. Er meisselt seine Worte in Stein ein und schreibt sie auf Pergament und Papier nieder, damit sie der Nachwelt erhalten bleiben, 'Abdu'l-Bahá sagt: „Wisse, der Unterschied zwischen dem Worte Gottes und dem der Menschen ist der, daß die Worte Gottes schöpferische Kraft besitzen, das heißt, ein jedes Wort, welches Er spricht, enthält erschaffenden Geist.

Das göttliche Wort hat, wenn es aus der Höhe, das heißt, von Gott herniederkommt, eine besondere Kraft. Seine Strahlen dringen in jede Region bis in die niederen Reiche der Tiere ein. Durch das Herniederkommen dieses Lichtkreises werden alle Regionen dieser langen Reihenfolge so viel Lebensenergie und geistiges Licht empfangen, als sie aufzunchmen befähigt sind. Diese erhabene Wirkung und diese allumfassende Macht sind die Eigenschaften des göttlichen Wortes. Darum ist gesagt: „Wenn sich auch alle Menschen vereinigen würden, um ein derartiges Wort hervorzubringen, so würde es ihnen doch nicht gelingen.“ Dieses ist eine sehr kurz zusammengefaßte Erklärung des Wortes Gottes.

Die göttlichen Worte sind also die erzeugende Kraft alles Lebens. Ausgesprochen durch den Mund eines Propheten, fallen sie auf den empfänglichen Grund des Gemütes und offenbaren sich durch lobenswerte Taten.

Das Wort ist der geistige Samen aus der Schatzkammer Gottes und wird durch den göttlichen Gärtner in den Acker des Lebens gesät. Es wächst und bringt Früchte zu seiner Zeit hervor.

Wie jeder Baum aus seinem besonderen Samen hervorwächst, so hat auch der geistige Baum des Menschen seinen Ursprung im Worte Gottes. Die fruchtbaren Bäume und die geistigen Charaktere kommen aus Samen, die im vorhergehenden Zeitalter durch eine Offenbarung Gottes gepflanzt wurden. Der gute Samen ist der göttliche Strahl des Wortes, und seine Wirkung ist die wiedergeborene Seele: der fruchtbare Baum.

Die erste Offenbarung des Lichtes und der ursprüngliche Ausdruck des Wortes erscheint in dem reinen Spiegel eines vollkommenen Menschen jeden Zeitalters. Im christlichen Zeitalter war Jesus der Meister, der höchste Ausdruck des göttlichen Wortes, der erste Offenbarer des Lichtes, — dann Seine Jünger und später jede Seele, deren reiner Herzensspiegel zubereitet war und treue Nachfolge leisteten.

In diesem neuen, hervorragenden Zeitalter ist Bahá’u’lláh „der Größte Name“, der erste und größte Reformator, der Offenbarer der göttlichen Wirklichkeit. Er ist „der Fürst des Friedens“, das Bild des „himmlischen Vaters“10).


1) Durch das Wort Gottes.

2) Ev. Joh. 1, 3.

3) Galater 5, 22.

4) „Bahá’í” bedeutet Kinder des Lichtes.

5) Vgl. 1. Kor. 2, 9.

6) Faust, Erster Teil.

7) Ev. Joh. 14, 6 und 7.

8) Ev. Matth. 28, 18.

9) „Sonne der Wahrheit“, I. Jahrg., S. 9 und 10.

10) „Sonne der Wahrheit“, I. Jahrg., S. 107.



Bekanntmachungen:[Bearbeiten]

Die 15. Bahá’í-Nationaltagung findet am 24. und 25. April in Heidelberg statt. Rechtzeitige Anmeldung an Bahá’í-Gemeinde Heidelberg, Adresse Friedel Bleck, Mozartstr. 9a, Heidelberg, zu richten.

Sechste Bahá’í-Sommerwoche in Eßlingen a. N. wird sich in Abänderung der zuerst ergangenen Mitteilung auf 1½ Wochen, nämlich vom 22. August bis 1. September 1937 erstrecken, wobei zwei in sich abgeschlossene Programmteile vorgesehen sind, um einer erhöhten Besucherzahl besser Rechnung tragen zu können. Die Anmeldung kann für eine der beiden Programmteile oder für die ganze Dauer der Sommerwoche erfolgen (siehe XVI, 12, S. 191).



In der „Sonne der Wahrheit“ finden nur solche Manuskripte Veröffentlichung, bezüglich deren Weiterverbreitung keine Vorbehalte gemacht werden. — Alle auf den Inhalt der Zeitschrift bezüglichen Anfragen, ferner schriftliche Beiträge wie auch alle die Schriftleitung betreffenden Zuschriften sind an Dr. Eugen Schmidt, Stuttgart W, Reinsburgstraße 198, zu senden. — Bestellungen von Abonnements, Büchern und Broschüren sind an die Verlagsabteilung des Nationalen Geistigen Rats der Bahá’í in Deutschland und Österreich e. V., Stuttgart, Alexanderstr. 3 (Nebengebäude) zu richten. — Alle Zahlungen sind zu leisten an den Nationalen Geistigen Rat der Bahá’í in Deutschland und Österreich e. V., Stuttgart, Alexanderstraße 3 (dessen Postscheckkonto Nr. 19340 Amt Stuttgart). — Alle Rechte vorbehalten. Copyright by Verlagsabteilung des Nationalen Geistigen Rats der Bahá’í in Deutschland und Österreich e. V., Stuttgart. — Druck von J. Fink, Hofbuchdruckerei, Stuttgart.


[Seite 33]


Der Nationale Geistige Rat der Bahá’í in Deutschland und Oesterreich e. V., Stuttgart

Fernsprecher Nr. 261 68 / Postscheckkonto Stuttgart Nr. 193 40 / Alexanderstr. 3, Nebengebäude


Von unserer Verlagsabteilung können bezogen werden:


(Der Versand erfolgt gegen Nachnahme oder gegen Voreinsendung des Betrages zuzüglich Porto)


Bahá’u’lláh

Verborgene Worte.. Worte der Weisheit und Gebete. Geschrieben während seiner Verbannung in Bagdad 1857/58 . . . kart. —.80

gebunden 1.--

Frohe Botschaften. Worte des Paradieses, Tablet Tarasat (Schmuck), Tablet Taschalliat (Lichtstrahlen), Tablet Ischrakat (Glanz). Mahnrufe und Anweisungen an die Völker der Erde . . gebunden 2.00

Ganzleinen 2.50

Buch der Gewißheit oder Kitábu’l-Iqán. Eine Auseinandersetzung mit theologischen Fragen verschiedener Religionen, geschrieben in Bagdad um 1862. Ist fortsetzungsweise in den beiden Jahrgängen X und XI unserer Zeitschrift „Sonne der Wahrheit“ enthalten.

Jahrgang gebunden je 3.--


'Abdu'l-Bahá Abbas

Ansprachen in Paris. ‘Abdu’l-Bahá spricht hier über zahlreiche Fragen, nach deren Klärung die Völker der Erde suchen.

gebunden 2.--

Beantwortete Fragen. Erklärungen zu christlichen und islamischen Fragen, Behandlung allgemeiner weltanschaulicher Probleme . . . . . . Ganzleinen 2.50

Sendschreiben an die Haager Friedenskonferenz 1919 . . . . . -.20

-----

Die Weltreligion Kurze Charakterisierung des Bahá’í-Glaubens. Shoghi Effendi . . . -.10


Sonstiges

Geschichte und Wahrheitsbeweise der Bahá’i-Religion, Einführung in die Gedankenwelt der Bahá’i-Lehre von einem orientalischen Gelehrten. Von Mirza Abul Fazl . . . . . gebunden 2.--

Bahá’u’lláh und das neue Zeitalter. ein Lehrbuch von Dr. J. E. Esslemont. 2. Auflage . . . . . Ganzleinen 2.50

'Abdu'l-Bahá Abbas’ Leben und Lehren, von Myron H. Phelps. . . . . .gebunden 2.--

Die Bahá’i-Offenbarung, ein Lehrbuch von Thornton Chase. . . . . . . kart. 2.--

Am Morgen einer neuen Zeit. Untersuchung der geistigen Ursachen der Weltkrise und Beleuchtung der letzthin einzigen Möglichkeit ihrer Überwindung durch die Bahá’i-Lehre. Von Dr. Hermann Großmann . . . . . kart. 1.80

Ganzleinen 2.50

Lebensgestaltung. Das Leben und ich. Das Leben und mein Nächster. Das Leben und Gott. Kursberichte der Eßlinger Bahá’í-Sommerwoche 1933 . . . . . -.30

Die Bahá’i-Weltanschauung. Eine kurze Einführung. Von Pauline Hartmann . . . . —.20

Das Hinscheiden 'Abdu'l-Bahás ("The Passing of 'Abdu'l-Bahá") . . . . . -.30

Sonne der Wahrheit. Bahá'i-Monatszeitschrift.

Jahrgang III - XI gebunden je 3.--
Jahrgang XII - XV gebunden je 6.--