Sonne der Wahrheit/Jahrgang 16/Heft 3/Text

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SONNE

DER WAHRHEIT
 
 
Organ der Bahá’í
in Deutschland und
Öesterreich
Heft 3 16. Jahrgang Mai 1936


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Die Bahá’í-Lehre,[Bearbeiten]

die Lehre Bahá’u’lláhs erkennt in der Religion die höchste und reinste Quelle allen sittlichen Lebens.

Die Ausdrucksformen des religiösen Lebens des Einzelnen, ganzer Völker und Kulturkreise haben im Laufe der Geschichte entsprechend den jeweils anderen Verhältnissen und dem Wachstum des menschlichen Erkenntnisvermögens Wandlungen erfahren. Die äußeren Gesetze und Gebote aller Weltreligionen entsprachen immer den entwicklungsgeschichtlich gegebenen Erfordernissen in bezug auf den Einzelnen, die soziale Ordnung und das Verhältnis zwischen den Völkern. Alle Religionen beruhen aber auf einer gemeinsamen, geistigen Grundlage. „Diese Grundlage muß notwendigerweise die Wahrheit sein und kann nur eine Einheit, nicht eine Mehrheit bilden.“ ('Abdu'l-Bahá.) „Die Sonne der Wahrheit ist das Wort Gottes, von dem die Erziehung der Menschen im Reich der Gedanken abhängig ist.“ (Bahá’u’lláh.) Alle großen Religionsstifter waren Verkünder des Wortes Gottes entsprechend der Fassungskraft und Entwicklungsstufe der Menschen. Das Wesen der Religion liegt darin, im Bewußtwerden der Abhängigkeit des Menschen von der Wirklichkeit Gottes Seine Offenbarer anzuerkennen und nach Seinen durch sie übermittelten Geboten zu leben.

Die Bahá’i-Lehre bestätigt und vertieft den unverfälschten und unwandelbaren Sinn und Gehalt aller Religionen von neuem und zeigt darüber hinaus die kommende Weltordnung auf, welche die geistige Einheit der Menschheit zur Voraussetzung haben wird. Die in ihr zum Ausdruck kommende Weltanschauung steht mit den Errungenschaften der Wissenschaft ausdrücklich in Einklang.

Die Lehre Bahá’u’lláhs enthält geistige Grundsätze und Richtlinien für eine harmonische Gesellschafts-, Staats- und Wirtschaftsordnung. Sie beruhen auf dem Gedanken der natürlich gewachsenen, organischen Einheit jedes Volkes und der das Völkische übergreifenden geistigen Einheit der Menschheit. Den Interessen der Volksgemeinschaft sind die Sonderinteressen des Einzelnen unterzuordnen, denn nur die Gesamtwohlfahrt verbürgt auch das Wohl des Einzelnen.

Wie jede Religion, so wendet sich auch die Bahá’i-Lehre an die Herzensgesinnung des Menschen, um die religiösen Kräfte in den Dienst wahren Menschentums zu stellen. Sie erstrebt die Höherentwicklung der Menschheit mehr durch die Selbsterziehung des Einzelnen als durch äußerlich-organisatorische Maßnahmen. Der Bahá’i hat sich daher über seine ernst aufgefaßten staatsbürgerlichen Pflichten hinaus nicht in die Politik einzumischen, sondern sich zum Träger der Ordnung und des Friedens im menschlichen Gemeinschaftsleben zu erheben. Bahá’u’lláhs Worte sind: „Es ist euch zur Pflicht gemacht, euch allen gerechten Regenten ergeben zu zeigen und jedem gerechten König eure Treue zu beweisen. Dienet den Herrschern der Welt mit der höchsten Wahrhaftigkeit und Treue. Zeiget ihnen Gehorsam und seid ihre wohlwollenden Freunde. Mischt euch nicht ohne ihre Erlaubnis und Zulassung in politische Dinge ein, denn Untreue gegenüber dem Herrscher ist Untreue gegenüber Gott selbst.“

Bahá’u’lláh weist den Weg zu einer befriedeten, im Geiste geeinigten Menschheit. Ein alle Staaten umfassender Bund in ihrer Eigenart entwickelter und unabhängiger Völker auf der Grundlage der Gleichberechtigung, ausgestattet mit völkerrechtlichen Vollmachten und Vollstreckungsgewalten gegenüber Friedensstörern, soll die übernationalen Interessen aller Völker der Erde in völliger Unparteilichkeit und höchster Verantwortung wahrnehmen. Zwischenstaatliche Konflikte sind durch einen von allen Staaten beschickten Weltschiedsgerichtshof auf friedlichem Wege beizulegen.

Die geistige Wesensgleichheit aller Menschen und Völker erheischt einen organischen Aufbau der sozialen Weltordnung, in der jedem seine einzigartige, besondere Eingliederung und Aufgabe zugewiesen ist. Die geographischen, biologischen und geschichtlichen Gegebenheiten bedürfen im Gemeinschaftsleben der Völker immer einer besonderen Beachtung, ohne die sie umschließende Einheit im Reiche des Geistes aus den Augen zu verlieren.

Die Lehre Bahá’u’lláhs „ist in ihrem Ursprung göttlich, in ihren Zielen allumfassend, in ihrem Ausblick weit, in ihrer Methode wissenschaftlich, in ihren Grundsätzen menschendienend und von kraftvollem Einfluß auf die Herzen und Gemüter der Menschen“.


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SONNE DER WAHRHEIT
Organ der Bahá’í in Deutschland und Österreich
Verantwortlich für die Herausgabe: Dr. Eugen Schmidt, Stuttgart-W, Reinsburgerstraße 198
Schriftleitung: Dr. Adelbert Mühlschlegel, Dr. Eugen Schmidt, Alice Schwarz-Solivo
Verwaltung: Paul Gollmer Begründet von Alice Schwarz-Solivo
Preis vierteljährlich 1.80 Reichsmark
Heft 3 Stuttgart, im Mai 1936
Jamál — Schönheit 93
16. Jahrgang

Inhalt: Der Glanz Seiner Herrlichkeit. — Nabíl’s Erzählung: Der Aufenthalt des Báb in Iṣfáhán. — Von Christus bis Bahá’u’lláh. — Die Quelle der Religion (Schluß). — Die Geschichte des Islam.


Der Geist erscheint wie ein Bächlein, wenn die Erde die Seele erfüllt. Lege das Irdische ab, und mächtige Ströme lebendigen Wassers werden durch deinen befreiten Körper ziehen.

‘Abdu’l-Bahá*)


*) Aus „Göttliche Lebenskunst“, I. Kapitel.



Der Glanz Seiner Herrlichkeit[Bearbeiten]

Worte von Bahá’u’lláh1)


1) Entnommen und ins Deutsche übertragen aus „World Oder“, Februar 1936, Bd. 1, Nr. 11, S. 417 ff.


O Meine Diener, kehret um und wendet euere Herzen Ihm zu, Welcher der Ursprung euerer Schöpfung ist. Befreit euch von eueren bösen und verderbten Neigungen und beeilt euch, das Licht des unsterblichen Feuers in euch aufzunehmen, des Feuers, das glüht auf dem Sinai dieser geheimnisvollen und unfaßlichen Offenbarung. Verderbt nicht das heilige, allumfassende und uranfängliche Wort Gottes und trachtet nicht, seine Heiligkeit zu entweihen oder seinen erhabenen Rang zu erniedrigen. O ihr Unachtsamen! Obwohl die Wunder Meiner Barmherzigkeit alle sichtbaren und unsichtbaren erschaffenen Dinge umgeben und obwohl die Offenbarungen Meiner Gnade und Güte jedes Atom des Weltalls durchdrungen haben, so ist doch die Rute, mit der Ich die Gottlosen züchtigen kann, schmerzlich und der Grimm Meines Zornes gegen sie furchtbar. Höret mit Ohren, die geheiligt sind gegen Ruhmredigkeit und weltliche Wünsche, auf die Ratschläge, die Ich in Meiner barmherzigen Güte euch geoffenbart habe, und betrachtet mit inneren und äußeren Augen die Beweise Meiner wundervollen Offenbarung.

O Meine Diener! Beraubt euch nicht des unauslöschlichen und glänzenden Lichtes, das in der Lampe der göttlichen Herrlichkeit leuchtet. Lasset die Flamme der Liebe Gottes hell brennen in eueren strahlenden Herzen. Nähret sie mit dem Öle göttlicher Führung und schützet sie unter dem Dache euerer Standhaftigkeit. Behütet sie im Schoße des Vertrauens und der Loslösung vor allem andern außer Gott, so daß das üble Geflüster der Gottlosen ihr Licht nicht löschen kann. O Meine Diener! Meine heilige, göttlich bestimmte Offenbarung kann mit einem Weltmeer verglichen werden, in dessen Tiefen unzählige Perlen von hohem Wert, von unübertrefflichem Glanz verborgen liegen. Es [Seite 34] ist die Pflicht eines jeden Suchers, sich anzustrengen und darnach zu streben, die Gestade dieses Weltmeeres zu erreichen, so daß er, nach dem Eifer seines Suchens und den Anstrengungen, die er gemacht hat, an den Wohltaten teilnehmen kann, wie sie in Gottes unwiderruflichen und verborgenen Tablets vorherbestimmt worden sind. Wenn niemand zu seinen Gestaden gehen wollte, oder wenn es jedem mißlingen sollte, zu Ihm aufzusteigen und Ihn zu finden, könnte man dann behaupten, solch ein Mißlingen hätte dieses Weltmeer seiner Macht beraubt oder irgendwie seine Schätze geschmälert? Wie nichtig, wie verächtlich sind die Einbildungen, die euere Herzen ersonnen haben und noch ersinnen. O Meine Diener! Der eine wahre Gott ist Mein Zeuge. Dieses größte, unergründliche und wogende Weltmeer ist dir nahe, wundersam nahe. Siehe, es ist dir näher als deine Lebensader. In einem Augenblick, so schnell könnt ihr, so ihr nur wollt, zu ihm gelangen und teilnehmen an dieser unvergänglichen Gunst, dieser gottgegebenen Gnade, dieser unverderblichen Gabe, dieser mächtigsten und unaussprechlich herrlichen Güte.

O Meine Diener! Könntet ihr begreifen, mit welchen Wundern Meiner Freigebigkeit und Güte Ich eueren Seelen habe Vertrauen erzeigen wollen, wahrlich, ihr befreitet euch von der Verhaftung mit allen erschaffenen Dingen und gewännet eine wahre Kenntnis eueres Selbstes — eine Erkenntnis, die dasselbe ist wie das Erfassen Meines eigenen Seins. Ihr fändet euch unabhängig von allem außer Mir und nähmet mit dem inneren und äußeren Auge und so greifbar wie die Offenbarung Meines glänzenden Namens die Meere Meiner liebenden Güte und Freigebigkeit wahr, die in euch wogen. Erlaubt nicht eueren müßigen Phantasien, eueren übeln Leidenschaften, euerer Unaufrichtigkeit und euerer Herzensblindheit, den Glanz einer so erhabenen Stufe zu trüben und ihre Heiligkeit zu beflecken. Ihr seid dem Vogel gleich, der mit der vollen Kraft seiner mächtigen Schwingen und mit vollkommener und freudiger Zuversicht durch die Unermeßlichkeit der Himmel aufsteigt, bis er sich durch den Trieb, seinen Hunger zu stillen, sehnsüchtig dem Wasser und Schmutz der Erde unter sich zuwendet, dann aber, im Netze seiner Begierde verfangen, sich unfähig sieht, seinen Flug zu den Reichen, aus denen er kam, wieder aufzunehmen. Ohnmächtig, die Bürde abzuschütteln, die auf seinen beschmutzten Schwingen lastet, muß sich dieser Vogel, der bisher ein Bewohner der Himmel war, eine Wohnstätte im Staube suchen. O Meine Diener, beflecket deshalb euere Schwingen nicht mit dem Schmutz des Eigensinns und eitler Begierden und laßt es nicht zu, daß sie mit dem Staub des Neides und des Hasses verunreinigt werden, auf daß ihr euch unbehindert in die Himmel Meiner göttlichen Erkenntnis erheben könnt.

Befreit euch, o Nachtigallen Gottes, aus den Dornen und dem Gestrüpp des Elends und der Not und nehmet eueren Flug zum Rosengarten des unauslöschlichen Glanzes. O Meine Freunde, die ihr im Staube wohnt! Eilet zu euerer himmlischen Wohnung. Verkündigt einander die frohe Botschaft: „Er, der Herzgeliebte, ist gekommen. Er hat Sich Selbst mit dem Ruhm der Gottesoffenbarung gekrönt und hat dem Anblick der ganzen Menschheit die Tore Seines altehrwürdigen Paradieses erschlossen.” Lasset alle Augen erfreut und jedes Ohr entzückt sein, denn nun ist die Zeit, Seine Schönheit anzustaunen, nun ist die rechte Zeit, Seiner Stimme zu lauschen. Tut es jedem sehnsuchtsvollen Liebenden kund: „Siehe, dein Vielgeliebter ist zu den Menschen gekommen!“ Und den Boten des Königs der Liebe gebt die Botschaft: Siehe, der Angebetete ist erschienen, gekleidet in der Fülle Seiner Herrlichkeit! O ihr Seine Schönheit Liebenden! Verwandelt die Angst euerer Trennung von Ihm in die Freude einer immerwährenden Wiedervereinigung und lasset die Bitterkeit eueres Ferneseins von Seinem Hofe dahinschwinden durch die Süße Seiner Gegenwart.

Sehet, wie die vielfältige Gnade Gottes, die sich aus den Wolken der göttlichen Herrlichkeit ergießt, an diesem Tag die Welt umfaßt hat. Denn während in vergangenen Tagen jeder Liebende nach seinem Geliebten flehte und nach Ihm suchte, ist es der Geliebte Selbst, der heute Seine Liebenden ruft und sie einlädt, Seine Gegenwart zu erreichen. Achtet darauf, daß ihr eine so kostbare Gunst nicht verwirkt; hütet euch, solch ein bemerkenswertes Zeichen Seiner Gnade gering zu schätzen. Verzichtet nicht auf die [Seite 35] unverderblichen Segnungen und seid nicht zufrieden mit dem, was vergänglich ist. Lüftet den Schleier, der euer Gesicht verdunkelt, und vertreibt die Finsternis, womit es umhüllt ist, auf daß ihr die offenbare Schönheit des Antlitzes des Geliebten betrachten, was kein Auge geschaut hat, schauen und, was kein Ohr gehört hat, hören möget.

Höret auf Mich, ihr sterblichen Vögel! Im Rosengarten unveränderlichen Glanzes ist eine Blume aufgeblüht, der gegenüber jede andere Blume nur ein Dorn ist und vor deren Glanz und Herrlichkeit selbst das Wesen der Schönheit verblassen und verwelken muß. Erhebt euch deshalb und strebet mit der ganzen Begeisterung euerer Herzen, mit dem ganzen Eifer euerer Seelen, der vollen Inbrunst eueres Willens und der gesammelten Anstrengung eueres ganzen Seins danach, das Paradies Seiner Gegenwart zu erreichen, und bemüht euch, den Hauch der unverwelklichen Blume und die süßen Düfte der Heiligkeit einzuatmen und jenes Wohlgeruches himmlischen Ruhmes teilhaftig zu werden. Wer diesen Rat befolgt, wird seine Ketten zerbrechen, die Erdgelöstheit verzückter Liebe kosten, seinen Herzenswunsch verwirklicht sehen und seine Seele in die Hände seines Geliebten legen. Wie der Vogel des Geistes wird er, das Käfig durchbrechend, seinen Flug zu seinem heiligen und immerwährenden Neste nehmen.

Nacht folgte auf Tag, und Tag folgte auf Nacht, und die Stunden und Augenblicke eueres Lebens kamen und gingen und noch keiner von euch hat für einen Augenblick eingewilligt, sich von dem Vergänglichen zu lösen. Regt euch, auf daß die kurzen Augenblicke, die euch noch gehören, nicht verschwendet und verloren werden. In Blitzeseile werden euere Tage vergehen und euere Körper werden zur Ruhe gelegt unter eine Decke Staubes. Was könnt ihr dann vollbringen? Wie könnt ihr euere vergangenen Fehler sühnen?

Das ewige Licht strahlt in seiner offenbaren Herrlichkeit. Siehe, wie es jeden vergänglichen Schleier verzehrt hat. O ihr mottengleichen Liebenden Seines Lichtes! Trotzet jeglicher Gefahr und weihet euere Seele der verzehrenden Flamme. O ihr, die ihr nach Ihm dürstet! Streifet jegliche irdische Neigung ab und eilet, eueren Geliebten zu umarmen. Eilet mit Verlangen ohnegleichen zu Ihm hin. Die Blume, der Sicht der Menschen so ferne verborgen, ist eueren Augen unverhüllt. Im offenen Glanze Seiner Herrlichkeit steht Er vor euch. Seine Stimme lädt alle heiligen und geheiligten Wesen ein, zu Ihm zu kommen und sich mit Ihm zu vereinigen. Glücklich ist, wer sich dorthin wendet; gut steht es um den, der angelangt ist und in das Licht eines solch wunderbaren Antlitzes schaut.

Und nun einiges über deine Frage bezüglich der Seele des Menschen und ihres Fortlebens nach dem Tode. Wisse du in Wahrheit, daß die Seele nach ihrer Trennung vom Körper unaufhörlich fortschreitet, bis sie Gottes Gegenwart erreicht in einer Stufe und in einem Zustand, die weder der Verlauf der Zeitalter und Jahrhunderte, noch Glück und Wandel dieser Welt zu ändern vermögen. Sie wird bestehen, so lange wie das Königreich Gottes, Seine Unumschränktheit, Seine Herrschaft und Macht bestehen wird. Sie wird die Zeichen Gottes und Seine Attribute offenbaren und wird Seine liebende Güte und Freigebigkeit enthüllen. Meine Feder muß ruhen, wenn sie versucht, geziemend die Höhe und Herrlichkeit einer solch erhabenen Stufe zu beschreiben. Die Ehre, mit der die Hand der Barmherzigkeit die Seele schmücken wird, ist derart, daß keine Zunge sie angemessen offenbaren, noch sonst ein irdisches Tun sie schildern kann. Gesegnet ist die Seele, die zur Stunde ihres Scheidens vom Körper geheiligt ist gegen die nichtigen Einbildungen der Menschen der Welt. Solch eine Seele lebt und webt im Einklang mit dem Willen ihres Schöpfers und tritt ein in das allerhöchste Paradies. Die Himmelsmägde in den erhabensten Wohnungen werden sie umgeben und die Propheten Gottes und Seine Auserwählten werden ihre Gesellschaft suchen. Jene Seele wird mit ihnen freien Umgang haben und wird ihnen erzählen, was sie befähigt hatte, auf dem Pfade Gottes, des Herrn aller Welten, auszuharren. Wenn jemandem das, was für eine solche Seele in den Welten Gottes, des Herrn des Thrones in der Höhe und auf Erden hienieden, verordnet ist, erzählt wird, so wird dessen ganzes Sein augenblicks aufglühn in großer Sehnsucht, jene hoch erhabene, geheiligte und glänzende Stufe zu erreichen... [Seite 36] Die Natur der Seele nach dem Tode kann niemals beschrieben werden, noch ist es angebracht und erlaubt, Menschenaugen ihre ganze Wesensart zu offenbaren. Die Propheten und Gottesboten sind herniedergesandt worden, nur um die Menschheit auf den geraden Pfad der Wahrheit zu führen. Der ihrer Offenbarung zu Grunde liegende Plan war, alle Menschen zu erziehen, damit sie in der Todesstunde in höchster Reinheit und Heiligkeit und in unbeschränkter Loslösung zum Throne des Höchsten aufsteigen mögen. Das Licht, das diese Seelen ausstrahlen, liegt dem Fortschritt der Welt und ihrer Menschen zu Grunde. Sie sind gleichsam der Sauerteig, der die Welt des Daseins säuert, und bilden die belebende Kraft, durch welche die Künste und Wunder der Welt offenbart worden sind. Durch sie regnen die Wolken ihre Freigebigkeit auf die Menschheit hernieder und bringt die Erde ihre Früchte hervor. Alle Dinge müssen notwendigerweise eine Ursache haben, eine bewegende Kraft, ein belebendes Prinzip. Diese Seelen und Sinnbilder der Loslösung gaben und geben immerwährend der Welt des Daseins die höchste Antriebskraft. Die jenseitige Welt ist so verschieden von dieser Welt wie diese von der des Kindes im Mutterleib. Wenn die Seele die Gegenwart Gottes erreicht, wird sie die Form annehmen, die am besten ihrer Unsterblichkeit gerecht wird und ihrer himmlischen Wohnung würdig ist. Solch ein Dasein ist ein bedingtes und nicht ein unbedingtes Dasein, insofern als dem Ersteren eine Ursache vorangeht, während das Letztere davon unabhängig ist. Unbedingtes Dasein bleibt streng auf Gott beschränkt — erhaben sei Sein Ruhm. Gut steht es um die, welche diese Wahrheit begreifen.



Nabíl’s Erzählung[Bearbeiten]

Übersetzung aus „The Dawn-Breakers“, Nabíl’s Narrative of the early days of the Bahá’í Revelation, New York 1932


Aus Kapitel X: Der Aufenthalt des Báb in Iṣfáhán


Gegen Ende des Sommers 1262 d. H./1846 n.Chr. zog der Báb in Begleitung von Siyyid Káẓim-i-Zanjání von Shíráz nach Iṣfáhán. Als Er Sich dieser Stadt näherte, schrieb Er einen höflichen Brief an den Mu’tamid Manúchihr Khán, den Statthalter der Provinz, und bat ihn um Anweisung einer Wohnung. Manúchihr Khán überwies Ihn an den obersten Geistlichen der Provinz, den Sulṭánu’l-'Ulamá und Imám-Jum'ih von Iṣfáhán. Dieser bot dem Báb einen feierlichen Empfang und bewirtete seinen erhabenen Gast mit größter Ehrfurcht. Auch die Leute in der Stadt zeigten Ihm solche Verehrung, daß sie sich sogar um Sein Badewasser stritten, dem sie Wunderwirkung zuschrieben.

Eines Abends nach der Mahlzeit bat der Imám-Jum'ih den Báb, Er möge ein Kommentar über die Súrih Va’l-’Aṣr1) schreiben. Der Báb erfüllte bereitwillig die Bitte und schrieb ohne die geringste vorherige Überlegung mit erstaunlicher Geschwindigkeit eine sehr bedeutende Auslegung dieser Súrih nieder. Bis Mitternacht schrieb der Báb die vielseitigen Erklärungen über den ersten Buchstaben dieser Súrih. Jener Buchstabe, Váv, auf den Shaykh Aḥmad-i-Aḥsá’í schon einen solchen Nachdruck gelegt hatte in seinen eigenen Abhandlungen, bedeutete für den Báb den Anbruch eines neuen Zyklus göttlicher Offenbarung und ist später von Bahá’u’lláh im Kitáb-i-Aqdas in solchen Stellen als „das Geheimnis der Großen Umkehrung“ und „das Zeichen des Allherrschers“ angedeutet worden. Kurz darauf begann der Báb in Gegenwart Seines Gastgebers und dessen Gefährten die Lehrpredigt zu.singen, mit der Er Sein Kommentar über die Súrih begonnen hatte. Seine machtvollen Worte versetzten Seine Zuhörer in helle Bewunderung. Sie schienen wie verzückt von dem Zauber Seiner Stimme. Instinktiv erhoben sie sich und küßten zusammen mit dem Imám-Jum'ih voll Ehrerbietung den Saum Seines Gewandes. Mullá Muḥammad-Taqíy-i-Harátí, ein hervorragender Mujtahid, brach in Bewunderung und Lobpreisung aus und rief: „Wie [Seite 37] unvergleichlich und einzigartig Er mit diesen Worten, die Seiner Feder entströmten, in so kurzer Zeit eine so wunderbare Schrift verfaßte, dazu in solcher Länge, die den vierten Teil, nein, ein Drittel des Qur’án ausmachte! An sich schon eine Leistung, die ein Sterblicher ohne Gottes Hilfe niemals zustande zu bringen vermag. Weder das Spalten des Mondes noch die Beruhigung der Kiesel des Meeres können mit einer so gewaltigen Leistung verglichen werden!“

Als sich der Ruhm des Báb immer mehr in ganz Iṣfáhán verbreitete, kamen die Besucher aus allen Stadtteilen unaufhörlich nach dem Hause von Imám-Jum'ih herbeigeströmt. Die einen, um ihre Neugier zu befriedigen, andere, um einen tieferen Einblick in die grundlegende Wahrheit des Glaubens zu gewinnen, und wieder andere, um bei Ihm Heilung von ihren Leiden und Nöten zu suchen. Der Mu’tamid selbst kam eines Tages zu Besuch, als sich der Báb inmitten einer Versammlung der ausgezeichnetsten und gelehrtesten Priester Iṣfáhán’s befand, und bat Ihn, ihm das Wesen und den Wert des Nubuvvat-i-Kháṣṣih2) zu erklären. Er hatte früher schon in einer gleichen Versammlung an die Anwesenden die Frage gestellt, Beweise und Tatsachen über diesen grundsätzlichen Teil ihres Glaubens zu äußern, die als unwiderleglicher Beweis für jene gelten sollten, welche dessen Wahrheit ablehnen. Aber auch nicht einer von ihnen war imstande, seiner Aufforderung zu entsprechen. „Was ziehst du vor“, frug ihn der Báb, „eine mündliche oder eine schriftliche Beantwortung deiner Frage?“ Er erwiderte: „Eine schriftliche Antwort würde nicht nur die Anwesenden befriedigen, sondern außer den Anwesenden auch ferneren Geschlechtern zur Bildung und Belehrung dienen!“

Der Báb griff alsbald nach Seiner Feder und begann zu schreiben. In nicht ganz zwei Stunden hatte Er etwa fünfzig Seiten ausgefüllt in belebendem und ausführlichem Eingehen auf den Ursprung, das Wesen und den durchdringenden Einfluß des Islám.

Die Eigenart Seiner Niederschrift, die Kraft und Lebendigkeit Seiner Ausdrucksweise, die Genauigkeit in kleinsten Einzelheiten machten Seine Behandlung dieses vornehmen Themas zu einer überragenden Leistung, die in diesem Falle hier keiner der Anwesenden außer acht lassen konnte. Mit meisterhaftem Überblick verband Er den Hauptgedanken auf den letzten Seiten dieser Niederschrift mit dem Erscheinen des verheißenen Qá’im und der erwarteten „Wiederkehr“ des Imám Ḥusayn3). Er erbrachte Beweise mit solcher Kraft und solchem Mut, daß die Anwesenden, die Ihn diese Worte aussprechen hörten, von der Größe Seiner Offenbarung erschüttert waren. Niemand wagte auch nur den geringsten Einwurf zu machen, noch weniger aber frei heraus gegen Seine Stellungnahme aufzutreten. Der Mu’tamid mußte seiner Begeisterung und Freude Worte verleihen: „Hört mich“, so rief er aus, „ihr Mitglieder dieser hochgeehrten Versammlung, ich rufe euch zu Zeugen auf! Bis zum heutigen Tag war ich in meinem Herzen nie ganz von der Wahrheit des Islám überzeugt. Ich darf mich nun aber hinfort dank der Auslegung, die dieser Jüngling niederschrieb, als treuen Anhänger des durch den Boten Gottes verkündeten Glaubens erklären. Ich bezeuge feierlich meinen Glauben an die Wirklichkeit der übermenschlichen Macht, mit der dieser Jüngling begnadet ist, einer Macht, die keine Gelehrsamkeit, und sei sie noch so groß, jemals zu übermitteln vermöchte.“ Mit diesen Worten schloß er die Versammlung.

Die zunehmende Volkstümlichkeit des Báb erweckte die Eifersucht der geistlichen Oberhäupter von Iṣfáhán, die die Grundlagen ihrer materiellen Existenz bedroht fühlten. Sie enthielten sich offener Feindseligkeit, streuten jedoch wilde Gerüchte aus, die schließlich auch in Ṭihrán den Großwezir Ḥájí Mirzá Áqásí erreichten. Dieser selbstsüchtige, anmaßende Staatsmann fürchtete ebenfalls um seine Stellung, falls es dem Báb gelänge, den leicht beeinflußbaren Muḥammad Sháh umzustimmen. Er wies daher den Imám-Jum’ih in einem strengen Schreiben zurecht und befahl ihm, „dieser obskuren und verwerflichen Bewegung“ entgegenzutreten. Der Imám-]Jum’ih aber, beleidigt durch diesen Ton des Großwezirs, verharrte in seiner Ehrerbietung seinem Gaste gegenüber. [Seite 38] Ein anderer Geistlicher jedoch namens Muḥammad-Mihdí begann, den Báb unflätig zu beschimpfen. Daraufhin lud der Statthalter Manúchihr Khán den Báb, den Imám-um’ih und eine Reihe anderer führender Geistlicher zu einer offenen Aussprache in sein Schloß. Außer dem Erstgenannten folgte nur ein Teil der Geistlichen dieser Einladung, darunter auch Muḥammad-Mihdí. Der Báb beantwortete schlicht und treffend alle an Ihn gestellten Fragen. Als Muḥammad-Mihdí auch dort seine Angriffe fortsetzte, wurde er von Manúchihr Khán nach Hause geschickt. Der besorgte Statthalter entließ schließlich auch die übrigen Geistlichen und behielt den Báb zu Dessen Sicherheit in seinem Palaste bei sich.

Einige Tage vorher hatte sich noch folgende Begebenheit zugetragen: Der Báb war von Mírzá Ibráhím, der, ein Freund des Imám-Jum’ih und Vater des damals noch jungen Sulṭánu’sh-Shuhadá’ (des „Königs der Märtyrer“) war, für den Abend zu Gast gebeten. Das Festmahl, das an diesem Abend für den Báb veranstaltet wurde, war von unübertroffenem Prunk. Es wurde allgemein vermerkt, daß weder die Staatsbeamten noch die Häupter der Stadt ein solches Fest mit einer derartigen Üppigkeit und Pracht jemals gegeben hatten. Der Sulṭánu’sh-Shuhadá’ und sein Bruder, der Maḥbúbu’sh-Shuhadá’, damals Knaben von neun und elf Jahren, bedienten bei diesem Festmahl voll Ehrfurcht und wurden vom Báb Seiner besonderen Aufmerksamkeit gewürdigt. Während des Mahls an jenem Abend wandte sich Mírzá Ibráhím an seinen Gast mit den Worten: „Mein Bruder, Mírzá Muḥammad-'Alí hat kein Kind. Ich bitte Dich, für ihn einzustehen und seines Herzens Wunsch zu erfüllen.“ Der Báb nahm ein Stückchen der Speise, die Ihm vorgelegt worden war, drückte sie mit den Händen zu einem Kuchen, reichte dies Seinem Gastgeber und sagte, er möchte es Mírzá Muḥammad-'Alí und seiner Frau geben. „Es sollen beide davon essen”, so sagte Er, „und ihr Wunsch wird ihnen erfüllt werden.“ Durch diesen Bissen, den der Báb der Frau von Mírzá Muḥammad-'Alí zu schicken beliebt hatte, wurde sie guter Hoffnung und gebar zur gegebenen Zeit eine Tochter, die späterhin mit dem Größten Zweig4) verheiratet wurde, eine Vereinigung, die als der Höhepunkt aller Erwartungen, die ihre Eltern hegen konnten, anzusehen ist. Während nun der Báb im Schlosse des Statthalters weilte, schwoll der Haß der meisten Geistlichen der Stadt gegen Ihn noch mehr an. Schließlich taten sich die führenden ‘Ulamá’s zusammen und verfertigten ein Dokument, worin sie Ihn zum Tode verurteilten. Dies wurde von fast allen unterzeichnet. Auch der schwache Imám-Jum’ih ließ sich umstimmen und bezeugte schriftlich, daß jener „junge Mann“ „jeder Vernunft und Urteilskraft bar“ sei. Kaum hatte der Mu’tamid von der Verurteilung vernommen, die durch die ‘Ulamá’s von Iṣfáhán gefällt worden war, als er durch einen Plan, den er selbst entwarf, die Wirkung dieses grausamen Verdikts null und nichtig zu machen gedachte. Er gab sofortige Anweisung, daß gegen Sonnenuntergang der Báb in Begleitung von 500 Reitern von der eigenen Leibgarde des Statthalters aus den Toren der Stadt hinausgeleitet werden solle in Richtung Ṭihrán. Der Befehl wurde gegeben, daß nach jedem Farsakh5) 100 Mann dieser berittenen Eskorte geradewegs nach Iṣfáhán zurückzukommen hätten. Dem Führer der Übrigen, einem verläßlichen Mann, gab der Mu’tamid vertraulich den Auftrag, daß nach jedem Maydán6), 20 Leute von den 100 gleichfalls den Befehl erhalten sollten, in die Stadt zurückzukehren. Von den übrigen 20 Reitern verlangte der Statthalter, daß 10 davon nach Ardistán zum Zweck der staatlichen Steuereinziehung gesandt würden und daß die Übrigen, die alle zuverlässige und erprobte Männer waren, auf einsamen Wegen den Báb verkleidet nach Iṣfáhán wieder zurück bringen sollten. Ferner hatten sie den Befehl, ihren Weg so zu machen, daß vor Tagesanbruch der Báb in Iṣfáhán wieder eintreffen und bis zu seinem Wohnhaus geleitet werden sollte. Dieser Plan wurde sogleich aufgenommen und genau ausgeführt. Zu verschwiegener Stunde traf der Báb wieder in der Stadt ein und wurde sogleich zu dem privaten Wohnsitz des Mu’tamid gebracht, dessen Name 'Imárat-i-Khurshíd ist, und durch einen Seiteneingang, der nur vom Mu’tamid selbst benützt wurde, in dessen Privaträume geführt. Der Statthalter bediente persönlich den Báb, [Seite 39] trug Ihm die Speisen auf und besorgte alles, was zu Seinem Bedarf und zu Seiner Sicherheit notwendig war.

Einstweilen verbreiteten sich die tollsten Gerüchte über den Báb. Die Gläubigen gerieten in große Angst um Ihn. Durch Vermittlung des Statthalters konnte der Báb einen derselben, Mullá ‘Abdu’l-Karím, heimlich zu Sich rufen. Er erhielt von seinem Meister einige Seiner Schriften mit der Anweisung, diese gemeinsam mit Siyyid Ḥusayn-i-Yazdí und Shaykh Ḥasan-i-Zunúzí abzuschreiben. Zu diesen kehrte er rasch zurück mit den willkommenen Nachrichten über das Wohlbefinden des Báb und Seine Sicherheit. Von allen Gläubigen der Stadt Iṣfáhán waren diese drei Männer die einzigen, welche die Erlaubnis hatten, Ihn zu sehen.

Eines Tages, während der Mu’tamid in seinem Privatgarten im Haushof mit dem Báb zusammensaß, zog er seinen Gast ins Vertrauen und sagte Ihm folgendes: „Der allmächtige Geber hat mir große Reichtümer verliehen. Ich weiß nicht, wie ich sie am besten nützen soll. Da ich nun durch die Gnade Gottes diese Offenbarung erkennen durfte, ist es mein höchstes Bestreben, all meinen Besitz zu ihrer Förderung und zur Verbreitung ihres Ansehens hinzugeben. Ich habe die Absicht, zugleich mit Eurem Aufbruch nach Ṭihrán Euch dahin zu folgen und mein Bestes zu tun, in der Absicht, Muḥammad Sháh, der festes, unerschüttertes Vertrauen in mich setzt, für die Sache zu gewinnen. Ich zweifle nicht daran, daß er sie begierig aufnehmen und sie auch weit und breit bekanntmachen wird. Ich werde auch versuchen, den Sháh dahin zu beeinflussen, den ruchlosen Ḥájí Mirzá Áqásí abzusetzen, dessen Torheit in der Verwaltung dieses Land an den Rand des Verderbens gebracht hat. Sodann werde ich mich bemühen, für Euch um die Hand einer der Schwestern des Sháh zu werben und werde selbst die Vorbereitungen zu Euerer Vermählung treffen. Schließlich hoffe ich, dazu fähig zu sein, den Sinn der Regenten und Könige auf dieser Erde für diese erstaunlich mächtige Bewegung zu erwecken und auch jede Verzögerung durch diese verdorbene Kirchenherrschaft, die den vornehmen Namen des Islám geschändet hat, zu vereiteln.“ — „Gott möge dich für dein edles Bestreben belohnen“, antwortete ihm der Báb. „Eine solch ehrenhafte Absicht bedeutet mehr für Mich, als deren Ausführung selbst. Jedoch deine Tage wie auch die Meinigen sind gezählt. Sie sind zu kurz, Mich dessen Zeuge sein zu lassen und dir zu gestatten, die Verwirklichungen deiner Hoffnungen zu erleben. Nicht durch diese Mittel, die du dir so schön vor Augen stellst, wird die allmächtige Vorsehung den Sieg ihres Glaubens vollziehen. Durch die Armen und Niederen in diesem Land, durch das Blut, das sie auf Seinem Pfade vergossen haben werden, wird der allmächtige Herr die Erhaltung Seiner Sache sicherstellen und ihre Grundlage befestigen. Dieser alleinige Gott wird in der kommenden Welt die Krone unvergänglicher Herrlichkeit auf dein Haupt setzen und auf dich Seine unschätzbaren Gnadenströme senden. Es verbleibt dir nur noch die Spanne von drei Monaten und neun Tagen für dein irdisches Dasein; nach dieser Zeit wirst du im Glauben und mit Gewißheit zu deiner ewigen Heimat eilen!“ — Der Mu’tamid war höchst beglückt von diesen Worten. Ergeben in den Willen Gottes bereitete er sich für sein Abscheiden vor, das so deutlich die Worte des Báb ihm vorgezeichnet hatten, Er schrieb sein Testament, erledigte seine privaten Angelegenheiten und vermachte seinen ganzen Besitz dem Báb. Gleich nach seinem Tod entdeckte aber sein raubgieriger Neffe Gurgín Khán das Testament und vernichtete es, eignete sich den Besitz an und mißachtete schmählich den Willen des Verstorbenen.

Als er seinen Tod herannahen fühlte, verlangte der Mu’tamid immer häufiger nach dem Báb, und in den Stunden innigsten Vertrautseins mit Ihm erwarb er sich noch eine tiefere Erkenntnis des Geistes, der seinen Glauben beseelte. „Da meine Sterbestunde kommt“, so sprach er eines Tages zum Báb, „fühle ich eine unbeschreibliche Freude meine Seele durchdringen. Ich denke aber an Euch, ich zittere im Gedanken, Euch nun verlassen zu müssen, der Gnade eines so unbarmherzigen Nachfolgers, wie es Gurgín Khán ist, überantwortet. Er wird ohne Zweifel Euere Anwesenheit in diesem Hause entdecken und wird Euch, wie ich befürchte, sehr grausam behandeln.“ „Fürchte dich nicht“, antwortete ihm der Báb, „Ich habe Mich ganz in Gottes Hand gegeben. Ich vertraue [Seite 40] Ihm. Die Macht, die Er Mir verliehen hat, ist so groß, daß Ich, wenn Ich wollte, selbst diese Steine in Edelsteine von unendlichem Wert umwandeln und in das Herz des schlimmsten Verbrechers den höchsten Begriff von Rechtschaffenheit und Pflicht einpflanzen könnte. Aus eigenem Willen habe Ich erwählt, von Meinen Feinden gequält zu werden, daß Gott geben möge, daß die Dinge, die getan werden sollen, auch erfüllt werden7)!“ Im Verlauf dieser unwiederbringlichen Stunden überkam eine rückhaltlose Ergebung, eine wachsende Gewißheit der Nähe Gottes über das Herz des Mu’tamid. In seinen Augen schwand der Pomp und Prunk zu nichts zusammen, als er sich der ewigen Wirklichkeit gegenüber sah, die in der Offenbarung des Báb enthalten ist. Der Ausblick auf ihre Herrlichkeit, ihre unendliche Wirkungskraft, ihre unabsehbaren Segnungen stieg im Verhältnis zu der zunehmenden Erkenntnis der Eitelkeit irdischen Ehrgeizes und der Kleinlichkeit irdischen Bemühens. Er erwog immer wieder diese Gedanken im Herzen bis zu der Zeit, da ihn ein Schüttelfrost überfiel, der die Nacht über andauerte und plötzlich seinem Leben ein Ende bereitete. Ruhig und voll Vertrauen trat er den Flug zum Höchsten an, der über uns waltet.

Schon einige Tage nach dem Tode Manúchihr Khán’s erfuhr dessen Neffe und Nachfolger Gurgín Khán von dem heimlichen Aufenthalt des Báb. Er sandte eine eilige Meldung an den Sháh. Dieser, von der Treue des edlen Manúchihr Khán überzeugt, vermutete richtig, daß dieser nur eine günstige Gelegenheit hatte abwarten wollen, um ihn mit dem Báb zusammenzuführen. Er befahl daher, den Báb heimlich nach Ṭihrán zu geleiten.

Gurgín Khán begab sich daraufhin sofort zum Báb und übergab Ihm den schriftlichen Befehl des Sháh. Dann rief er den vom Sháh selbst bestimmten Muḥammad Big-i-Chápárchí zu sich und gebot ihm, unter strengster Verschwiegenheit, auch allen Begleitern gegenüber, den Báb nach Ṭihrán zu eskortieren. So zog der Báb kurz nach Mitternacht in aller Stille aus der Stadt Iṣfáhán.

(Fortsetzung folgt.)


1) Qur’án, 103.

2) Muḥammad’s besondere Mission.

3) bezieht sich auf Seine eigene Mission und auf die darauffolgende Offenbarung Bahá’u’lláh’s.

4) bezieht sich auf Munírih Khánum’s Verheiratung mit ‘Abdu’l-Bahá.

5) etwa eine Gehstunde.

6) ein Teil eines Farsakh.

7) Qur’án, 8, 42.



Von Christus bis Bahá’u’lláh[Bearbeiten]

Von Dr. Hermann Grossmann


Die Ausführungen stellen die Zusammenfassung eines Kurses dar, der auf der 2. deutschen Bahá’í-Sommerwoche im August 1954 gehalten wurde.

Die Bahá’í-Lehre lehrt eine religiöse Entwicklung in Zyklen. Die verschiedenen großen Religionskünder sind alle Offenbarer des gleichen göttlichen Geistes und des einen religiösen Entwicklungsgesetzes in der Menschheit. Verschieden in den durch Zeit und Verhältnisse bedingten Aufgaben und Möglichkeiten sind sie doch eins im Geist und Plan. Jede Religionsoffenbarung bewegt sich in einem besonderen Zyklus mit Aufstieg, Höhe und Wiederabstieg in vermenschlichter Entstellung, alle zusammen aber bilden wieder Teile einer größeren Entwicklung, Teilzyklen in dem großen Zyklus der universalen Manifestation. Der gegenwärtige universale Zyklus hat seinen Ausgang in der Erscheinung Adams und findet seine Vollendung in der Offenbarung Bahá’u’lláh’s. So erscheint uns auch Christus als Einzelzyklus innerhalb der Entwickelung des universalen Zyklus.

Im Matthäusevangelium1) lesen wir, daß der Hohe Rat Christus einen Ausspruch vorwirft, wonach er „den Tempel Gottes zerstören und ihn in drei Tagen aufbauen“ wolle, und im Evangelium Lukas2) heißt es: „Des Menschen Sohn muß überantwortet werden in die Hände sündiger Menschen und gekreuzigt werden und am dritten Tage wieder auferstehen. Da erinnerten sie sich seiner Worte.“

Der Tempel ist die Religion Gottes. Fassen wir die zu Christi Lebenszeit durch verschiedene Einflüsse stark entstellte mosaische [Seite 41] Lehre als einen Tag, so können wir die Periode des Wirkens der Lehre Christi, die sie durch größte Tiefen des Mißverständnisses und menschlichen Machtmißbrauchs hindurchführte, als den zweiten Tag erkennen, während wir heute am Aufgang des dritten Tages stehen, an dem wir in Bahá’u’lláh den Geist Christi wiedererkennen und die geistige Wiederauferstehung Christi mit einer Neugeburt der Religion erleben.

Es ist von Wichtigkeit, festzustellen, daß die Manifestation Bahá’u’lláh’s identisch ist mit derjenigen Christi, und allen anderen großen Manifestationen. Nur der Tempel (der vollkommene menschliche Träger der Offenbarung) ist verschieden. Das Wesen der Manifestation ist geistig, im Reich des Geistigen aber gibt es kein „gestern“, „heute“ und „morgen“, weil diese Begriffe dem Reich der Materie angehören. Darum können wir im geistigen Sinne nicht von den vorigen, den gegenwärtigen und den nächsten Manifestationen reden. Dies ist vielmehr aus der materiellen menschlichen Begrenztheit heraus gesprochen. Alle Manifestationen sind Aufgangsorte der gleichen religiös-geistigen Sonne. Wir können darum nicht eine Manifestation anerkennen und die andere ablehnen, sondern müssen in ihnen allen den Geist Gottes bejahen. So sagt Bahá’u’lláh im „Tablet von der Manifestation“:

„Wisse, daß die Manifestation nicht aus den vier Elementen (Erde, Feuer, Luft und Wasser) zusammengesetzt ist, nein, Er (Gott) ist vielmehr das Geheimnis der Einheit, der Wesensgleichheit von alters her, die ewige Wesenheit und die unfaßbare Wirklichkeit, und Er kann wahrlich durch niemanden andern als Ihn selbst erkannt werden. Darum können wir uns niemals vorstellen, daß Er aus irgend einem der vier Elemente hervorgegangen sein könnte, oder aus irgend einem der Stoffe, die die Zungen der Philosophen erwähnen, oder aus irgend einem der vier Zustände der Natur, Hitze, Kälte, Trockenheit und Nässe, um so mehr, als diese alle durch Seinen Befehl und Willen erschaffen worden sind, der von jeher von allem andern getrennt gewesen ist und immer ge- trennt sein wird...

„Was die Körper anbelangt, so sind sie gleich Thronen für Seine Manifestation, von denen niemand weiß, außer Ihm. Obgleich diese Körper in der Welt der Schöpfung erschienen sind, in dem Tempel, in dem ihr von ihnen (Moses, Jesus usw.) unterrichtet worden seid, so würdet ihr doch, wenn ihr mit dem Auge der Wirklichkeit und des angeborenen Bewußtseins auf sie schauen würdet, bekennen, daß sie, obwohl sie aus den Elementen erschaffen sind, in solchem Maße von ihnen geheiligt sind, daß dazwischen keine Ähnlichkeit ist. Schau den Diamanten an — kann man den Stein mit ihm vergleichen?“

Und im „Tablet an Aḥmad“ sagt Bahá’u’lláh: „Du aber wisse, daß jeder, der sich von dieser Schönheit abwendet, sich gleichfalls von den Gottgesandten früherer Zeiten abwendet und abwegig ist von Gott von Ewigkeit zu Ewigkeit.“

Christus war sich der Notwendigkeit wohl bewußt, daß Seine Lehre zunächst durch die tiefsten Tiefen des Allzumenschlichen hindurch gehen mußte, ehe die Menschen sie aus der geistigen Not heraus in ihrem Wesen zu erfassen vermöchten. Noch am Schluß Seiner Heilslaufbahn rang Er darum, dieses Schicksal von der Menschheit abzuwenden, um dann zu erkennen, daß für sie kein anderer Weg als der des tiefen geistigen Leides blieb, ehe der Aufstieg zur Höhe möglich würde. Dies ist eine der Bedeutungen der Gethsemane-Erzählung, jenes dreimalige „Mein Vater, ist es möglich, so gehe dieser Kelch (der zweite Tag) an mir vorüber” und die Aufforderung, mit ihm zu wachen. Aber die Jünger haben das Menschliche in sich noch nicht genügend überwunden. Zweimal kehrt Christus zurück und findet sie schlafend, und beim zweiten Male weiß Er, daß es nicht möglich sein wird, in dieser Menschheit schon den reinen Geist Seiner Lehre wachzuhalten. So kommt Er zu den Worten „schlafet denn fernerhin und ruhet3).“

Aber trotz allem ist das Opfer Seines Lebens nicht umsonst gebracht. Er wußte, daß Seine Lehre nicht sterben, daß sie trotz aller Vermenschlichung die Menschen auflockern und schließlich am dritten Tage in verklärter Reinheit auferstehen würde: „wenn aber jener kommt, der Geist der Wahrheit, so wird [Seite 42] er euch in die ganze Wahrheit leiten, denn er wird nicht aus sich selbst reden, sondern was er hören wird, das wird er reden, und was zukünftig ist, wird er euch verkündigen. Derselbe wird mich verherrlichen, denn von dem Meinen wird er nehmen und euch verkündigen. Alles, was der Vater hat, das ist mein, darum habe ich gesagt, daß er von dem Meinen nehmen und euch verkündigen werde4).“

Werfen wir einen kurzen Blick auf die geschichtliche Entwickelung: die Lehre Christi ist klar. Sie besteht einmal in der Hervorhebung des Gebotes der Liebe gegen Gott und den Nächsten:

„Du sollst den Herrn deinen Gott lieben von deinem ganzen Herzen und von deiner ganzen Seele und von deinem ganzen Gemüt“, und „du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.“

Zum andern bestätigt Christus immer wieder die ihm voraufgehende Religionsoffenbarung Mose, wobei Er sich bewußt in den Entwicklungszug des Universalen Zyklus einordnet. In dem wiederholten „ihr habt gehört, daß zu den Alten gesagt ist,... ich aber sage euch...“ liegt zugleich die Bestätigung und Fortentwicklung im Sinne einer Durchbrechung der engen dogmatisch erstarrten Auffassung seiner Zeitgenossen.

Und zum dritten betont die Lehre Christi ihren allgemeinen Charakter, der nicht nur für ein bestimmtes, auserwähltes Volk beabsichtigt ist, jenes: „Gehet und machet zu Jüngern alle Völker5)

Trotzdem erkennen wir, wie sehr bald schon die Lehre Christi sowohl ihres allgemeinen Charakters beraubt zu werden drohte, wie der Gedanke der allgemeinen Nächstenliebe völlig mißachtet und die entwickelungsgesetzliche Beweglichkeit durch einseitige Dogmenfestsetzung beengt und sogar benommen wird.

Bezüglich der Beraubung ihres allgemeinen Charakters ist der Streit um die Frage des nur-Judenchristentums oder Heidenchristentums bezeichnend. Während der oben angeführte Missionsbefehl ausdrücklich nur auf den Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes lautet, erhebt sich später die Forderung vorheriger Beschneidung, also Übernahme des jüdischen Gesetzesbrauches als Voraussetzung für die Taufe6).

In bezug auf die Mißachtung des Gedankens der Nächstenliebe seien nur die Grausamkeiten und Unmenschlichkeiten der Inquisition, die im Namen Christi geführt wurde, und das grausige Schauspiel der Hexenverbrennungen genannt.

Gegen die Entstellung und Einengung der Lehre Christi durch seine Nachfolger wendet sich Muḥammad wiederholt tadelnd im Qur’án7).

In der Reformation erleben wir eine große Auflehnung gegen die Verderbnis, die im Christentum bis zur völligen Entstellung der reinen Lehre Christi Platz gegriffen hatte, einen Versuch, die Reinheit wiederherzustellen. Die Auflehnung ist dabei eine doppelte:

einmal gegen die Gewissensknechtung,
zum andern gegen die Knechtung der persönlichen Freiheit durch die Macht der Kirche.

Der Grundzug der Reformation bestand im Protest (Protestanten!) gegen die bestehenden Mängel. Trotz des Versuches, zur Reinheit der Lehre Christi zurückzufinden, fehlte es ihm an einer einheitlichen neuen Idee, die er wirksam aufbauend der großen katholischen Idee der Civitas Dei, des Staates Gottes auf Erden, gegenüberzustellen vermocht hätte.

Infolgedessen konnte die Reformation zwar zu einer gewaltigen Neubesinnung des Christentums, nicht aber zu einer kraftvollen allgemeinen Neuform und Tatwerdung führen, die imstande gewesen wäre, dem fortschreitenden Zerfall und der wachsenden Kirchenabkehr entgegen zu wirken.

Wir erkennen heute: Die Schuld für diese Zerfallserscheinungen liegt nicht so sehr bei den evangelischen Kirchen, vielmehr konnte die Reformation gar nicht mehr die als Voraussetzung erforderliche Wiederherstellung der reinen Christuslehre bringen, weil die Entwickelung der vorangegangenen Jahrhunderte die Kenntnis ihrer wahren Bedeutung vernichtet hatte. [Seite 43]

Hieraus folgt klar auch für das Christentum die Notwendigkeit der religiösen Neuoffenbarung. Der Zyklus Christi hat sich, dessen eigenen Vorausschau entsprechend, in sich selbst geschlossen. Jenes durch die menschliche Schwachheit bedingte „schlafet denn fernerhin und ruhet“, hat sich im Wiederabstieg erfüllt, und die Zeit der Auferstehung am dritten Tag ist gekommen und mit ihr jener verheißene „Geist der Wahrheit“, der nun „in die ganze Wahrheit leiten“ soll. Das ist der tiefe Sinn des heutigen neuen Tages und der Offenbarung in Bahá’u’lláh.

Welches sind die inneren Ursachen für die geschichtliche Entwickelung der Lehre Christi in der Menschheit? Sicher liegt einer der Hauptgründe in der menschlichen Unzulänglichkeit jener Zeit, ihren Geist rein zu erfassen und zu überliefern. Die Reife für die Erscheinung der universalen Manifestation war noch nicht gekommen, und darum konnte auch Christus nur Wegbereiter sein, Zyklus im großen universalen Zyklus, der zur Vollendung des letzteren führt. Sein Zyklus konnte mit Rücksicht auf den unzureichenden Reifezustand der Menschheit noch nicht bis zu dem weiten Ziel der Erfüllung des universalen Zyklus führen, und dies mag auch der Grund sein, warum Christus, wenigstens nach den uns erhaltenen Quellen, nicht in stärkerem Maße den Verfallserscheinungen vorgebeugt hat, ein Verhalten, das klar und eindrucksvoll durch die Gethsemane-Erzählung verständlich gemacht wird.

Zweierlei Erscheinungen sind kennzeichnend für den späteren Verfall des Christentums: einmal die Bildung verschiedener, sich einander bekämpfenden Lehrmeinungen, und zum andern der Kampf um die Vormachtstellung, und zwar sowohl im innern als auch in bezug auf die weltliche Herrschaft der Kirche. Die erste Erscheinung ergibt sich aus dem Fehlen einer von Christus selbst autorisierten Auslegung und Anpassungsmöglichkeit Seiner Lehre an die fortschreitende Menschheitsentwickelung, während die zweite aus der Tatsache folgt, daß wir keine von Christus selbst eingesetzte und ermächtigte Organisation als Trägerin des Glaubens kennen. (Selbst wenn die Worte Christi an Petrus: „Du bist der Fels, und auf diesen Felsen will ich meine Gemeinde bauen“ echt und im Sinne einer Berufung Petri gemeint gewesen sind, so liegt darin noch nicht eine Einsetzung der einzelnen Kircheninstitutionen.)

Im Bahá’í-Glauben ist diesen beiden Momenten des Verfalls von Bahá’u’lláh selber vorgebeugt worden, indem Er die Grundlage zur gegenwärtigen Bahá’í-Verwaltungsordnung mit ihren hervorstechenden Einrichtungen des Hütertums und des universalen wie der nationalen Häuser der Gerechtigkeit schuf. Mit ihnen ist die Gewähr für die Reinheit und Fortentwicklungsmöglichkeit des Glaubens und eine stoßkräftige Ordnung als Trägerin desselben gegeben.


1) Kap. 26, V. 61.

2) Kap. 24, Vers 7 und 8.

3) Vgl. Ev. Matth. 26, V. 36-45 und Markus 14, V. 32—41.

4) Joh. 16, V. 13—15.

5) Matth. 28, 19.

6) Vgl. Apostelgeschichte, Kap. 15.

7) Vgl. Sure 57, 27; 5, 19; 5, 76 und 77; 5, 116 und ebenso Luther in seinen 95 Thesen und anderen seiner Schriften.



Ein Weltglaube[Bearbeiten]

Studien in den Lehren Bahá’u’lláh’s

I. Die Quelle der Religion

Von Horace Holley (Fortsetzung)


Die Vorstellung, daß irgend eine wirtschaftliche oder politische Philosophie aus sich heraus etwa die alte mit der neuen Ordnung wieder in Übereinstimmung zu bringen vermöge, verringert sich von Tag zu Tag. Ihr unvermeidlicher Zusammenbruch in der nahen Zukunft hat eine verhängnisvolle Bedeutung. Nichts im ganzen Verlauf der Geschichte kann mit der bestehenden Krise verglichen werden, welche das, was wir Zivilisation nennen, bedroht, weil sie bedeutet, daß die Masse der Menschheit die Verbindung mit irgend einem religiösen Einfluß verloren hat, der fähig wäre, die Weltverbundenheit, von der wir alle abhängig geworden sind, zu schaffen. Jeder Sektiererglaube heißt irgend [Seite 44] einen Ausdruck des wetteifernden Instinkts gut, welcher dem Samson zu vergleichen ist, der die Säulen des Erdentempels des Menschen umstürzt. Das Bedürfnis geistiger Erneuerung zur Wiederbelebung menschlicher Zielstrebigkeit und zur Erweiterung der Grenzen des Mitgefühls und der Zusammenarbeit, welche die Welt umfassen, ist die größte Lebensnotwendigkeit der Menschheit geworden.

Wie gelangt der Geist der Religion zur Menschheit? Welches ist die Lebensquelle in der Seele, welche allein die Kräfte für die Schaffung einer organischen Gesellschaft entbindet? Von wo geht der geheimnisvolle Einfluß aus, welcher gleich dem Nil regelmäßig wiederkehrend den Herzensgrund für neue Ernten der Erfahrung und Erfüllung überflutet und wieder fruchtbar macht? Wo sind die Menschen, die sich einem Glauben zuwenden, der sich mit dem neuen und größeren Kosmos messen läßt, wie er von der heutigen Vernunft anerkannt wird? Wie sollen wir uns zu einer Menschheit verhalten, die jetzt in ihrer Zerrissenheit und Verwirrung uns mit gemeinsamem Untergang bedroht?

In den Lehren Bahá’u’lláh’s ist der Menschheit das innere Wesen der Religion, die Erfüllung und Reife des Glaubens, der Weltausblick auf soziale Entwicklung und die umfassende Schau der Natur des einzelnen Menschen gegeben worden. Bahá’u’lláh offenbart die Gesetze und Grundsätze des neuen Zeitalters in ihrer aufbauenden Wirklichkeit, wie der Ablauf der Geschehnisse im neuen Zeitalter ihr Spiegelbild offenbart, die Unterbrechung des umgestaltenden Lichts durch eine versagende und ungläubige Welt. In dem Maße, wie wir gemeinsam versagt haben, durch die Strafen, die wir uns durch unsere geistige Unwissenheit zugezogen haben, mögen wir teilweise die Heiligkeit der Wahrheiten ermessen, die unbeachtet geblieben sind.

Die Lehren Bahá’u’lláh’s können als die wahre Auslegung der in der Vergangenheit geoffenbarten Religionen, als der Schlüssel zur geistigen Geschichte des Menschen angesehen werden, wie wenn den Heiligen Büchern, die die Menschen schon besitzen, ein Schlußkapitel hinzugefügt worden wäre. Sie haben auch als die schöpferische Quelle eines Weltglaubens und als ein in die zukünftige Entwicklung des Menschen sich eröffnenden Pfades zu gelten.

Das „Buch der Gewißheit“ vermittelt klares Verständnis der Quelle der Religion und ihrer Erneuerung von Zeitalter zu Zeitalter.

„Es ist klar ersichtlich, daß die durch jede Sendung bewirkten Veränderungen die dunklen Wolken bilden, die zwischen das Auge menschlichen Verständnisses und das göttliche Gestirn treten, welches vom Tagesanbruch der göttlichen Wesenheit hervorleuchtet. Bedenket, wie die Menschen seit Generationen blindlings ihren Vätern nachgeahmt haben und nach solchen Methoden und Regeln erzogen worden sind, wie sie in den Vorschriften ihres Glaubens niedergelegt waren. Wenn folglich diese Menschen plötzlich entdecken sollten, daß ein Mann, der in ihrer Mitte gelebt hatte, der bezüglich jeder menschlichen Beschränkung ihresgleichen war, sich erhoben hätte, um jeden eingeführten Grundsatz, der von ihrem Glauben vorgeschrieben war, abzuschaffen — Grundsätze, nach denen sie jahrhundertelang erzogen wurden, wobei sie jeden Widersacher und Leugner derselben als Ungläubigen, Bösewicht und Gottlosen betrachtet hätten — sie würden bestimmt einen Schleier vor den Augen haben und verhindert sein, Seine Wahrheit anzuerkennen... Seid achtsam und wachsam, erinnert euch daran, daß alle Dinge ihre Vollendung im Glauben an Ihn, in Erreichung Seines Tages und in der Verwirklichung Seiner göttlichen Gegenwart haben.“

Die im Mittelpunkt stehende Tatsache der Religion ist, wie Bahá’u’lláh uns klarmacht, der Prophet oder die Manifestation, die in der Person Moses’, Jesu oder Muḥammad’s als der Vermittler zwischen Gott und dem Menschen stehen. „Jedem einsichtsvollen und erleuchteten Herz ist es klar, daß Gott, die unerkennbare Wesenheit, das göttliche Sein, unermeßlich erhaben über jeder menschlichen Eigenschaft ist... Er ist und war immer verhüllt in der Urewigkeit Seiner Wesenheit und Er wird in Seiner Wirklichkeit vor den Augen der Menschen immerfort verborgen bleiben... Kein Band direkter Verbindung kann möglicherweise Ihn an Seine Geschöpfe binden... Da das Tor der Erkenntnis aus den Zeiten aller Zeiten, das bis dahin vor dem Angesicht aller Geschöpfe verschlossen war, hat Er die Quelle unerschöpflicher [Seite 45] Gnade geöffnet, um diese leuchtenden Edelsteine der Heiligkeit in der edlen Form des menschlichen Tempels aus dem Reich des Geistes erscheinen zu lassen und sich allen Menschen kundzutun ... Diese geheiligten Spiegel, diese Aufgangspunkte urewiger Herrlichkeit, sind einer wie der andere die Erklärer auf Erden von Ihm, der die Sonne des Mittelpunkts des Weltalls, seine innerste Wesenheit und höchste Erfüllung ist. Von Ihm geht ihr Wissen und ihre Macht aus; von Ihm kommt ihnen ihre Erhabenheit zu...

„Diese Propheten und Gotterwählten sind die Gefäße und Offenbarer all der unveränderlichen Eigenschaften und Namen Gottes. Sie sind die Spiegel, welche das Licht Gottes wahr und getreu widerspiegeln... Wenn der Kanal der menschlichen Seele von allem weltlichen und hindernden Anhängsel gereinigt ist, wird sie unfehlbar den Odem des Geliebten über unermeßliche Entfernungen hinweg wahrnehmen, und wird, von seinem Duft geleitet, die Stadt der Gewißheit erreichen und betreten... Jene Stadt ist nichts anderes als das Wort Gottes, wie es in jedem Zeitalter und durch jede Sendung geoffenbart wurde.“

Indem 'Abdu'l-Bahá dieses höchste Geheimnis den Völkern der abendländischen Welt auslegte, erklärte er: „Die Erziehung ist von dreierlei Art, materiell, menschlich und geistig. Die materielle Erziehung beschäftigt sich mit dem Fortschritt und der Entwicklung des Körpers, indem sie ihm seine Nahrung, sein Wohlbefinden und Behagen verschafft. Diese Erziehung ist den Tieren und dem Menschen gemeinsam.

„Die menschliche Erziehung bedeutet Zivilisation und Fortschritt: das heißt Regierung, Verwaltung, wohltätige Werke, Handel, Kunst und Handwerk, Wissenschaften, große Erfindungen und Entdeckungen physikalischer Gesetze, welche die wesentlichsten Tätigkeiten des Menschen sind, durch welche er sich vom Tiere unterscheidet.

„Göttliche Erziehung ist diejenige des Königreiches Gottes: sie besteht in der Erlangung göttlicher Vollkommenheiten, und dies ist wahre Erziehung; denn in diesem Zustand wird der Mensch der Mittelpunkt göttlicher Erscheinung, die Offenbarung der Worte: „Laßt uns den Menschen erschaffen nach Unserem Bildnis und nach Unserem Ebenbild.“ Dies ist das höchste Ziel der Welt der Menschheit.

„Nun brauchen wir einen Erzieher, der gleichzeitig ein physischer, menschlicher und geistiger ist und dessen Autorität sich unter allen Bedingungen geltend machen wird...

„Es ist klar, daß menschliche Kraft nicht imstande ist, ein solch großes Amt auszuüben, und daß die Vernunft allein die Verantwortung einer so großen Mission nicht übernehmen könnte. Wie kann eine einzelne Person ohne Hilfe und ohne Unterstützung die Grundlagen zu einem so edlen Gebäude legen? Sie muß sich auf die Hilfe geistiger und göttlicher Macht verlassen, um dieses Werk zu unternehmen. Eine Heilige Seele gibt der Welt der Menschheit Leben, verändert das Gesicht des Erdballs, bewirkt den Fortschritt des Erkenntnisvermögens, belebt Seelen, legt die Grundlagen eines neuen Daseins, errichtet das Fundament einer wunderbaren Schöpfung, ordnet die Welt, bringt Völker und Religionen unter den Schatten einer Fahne, befreit den Menschen von der Welt der Unvollkommenheiten und Laster und flößt ihm den Wunsch und das Bedürfnis nach natürlichen und erworbenen Vollkommenheiten ein. Sicherlich konnte nichts geringeres als eine göttliche Macht ein so großes Werk vollbringen1).“

„Aus dem Samen der Wirklichkeit ist die Religion zu einem Baume geworden, der Blätter und Zweige, Blüten und Früchte hervorgebracht hat. Nach einer gewissen Zeit ist dieser Baum in einen Zustand des Verfalls geraten. Die Blätter und Blüten sind verwelkt und abgestorben; der Baum ist getroffen und unfruchtbar geworden. Es wäre nicht verständlich, wenn der Mensch zu dem alten Baume halten würde, dabei behauptend, daß dessen Lebenskräfte unvermindert, seine Frucht ohnegleichen, sein Dasein ewig seien. Der Same der Wirklichkeit muß wieder in menschliche Herzen gesät werden, damit ein neuer Baum daraus wachse und neue göttliche Früchte die Welt erquicken.

Wie das Leben der Erde von der Sonne herstammt, so hängt der Geist des Menschen von der lebendigen Erleuchtung ab, die in jedem Zeitalter von dem Propheten [Seite 46] ausgegangen ist. „Wisse, daß in der Welt des Seins“, hat ‘Abdu’l-Bahá gesagt, „ein Mittelpunkt für jede große Sache ist und daß von diesem Mittelpunkt Gaben reichlich fließen. So ist zum Beispiel im Kreislauf der Sonne diese der Mittelpunkt des Lichts. Gleicherweise gibt es einen wirklichen Mittelpunkt für reine Liebe und jetzt ist jener Mittelpunkt, von dem Lichter der Liebe nach allen Teilen des Weltalls ausstrahlen, in dieser Welt offenbar geworden2).“

Die Grundlage der Religion ist die Vaterschaft Gottes, und abgewandt von wahrer Anerkennung dieser Vaterschaft kann kein Mensch seine eigene Wirklichkeit erreichen noch eine dauernde und schöpferische Verbindung mit seinen Mitmenschen erlangen. Der Zweck der Trübsale, von welchen die Menschheit heutzutage heimgesucht wird, ist der, die Sehnsucht der Menschen nach Gott wieder hervorzurufen und ihr Suchen nach geistiger Nahrung, welche die Seele erhält, zu beleben. Das Feuer der Todesangst allein wird unsere Sicht reinigen und uns befähigen, das Ziel menschlichen Daseins wieder zu erleben und eine neue Weltordnung nach göttlichem Gesetz aufzurichten. „O Sohn des Allerhöchsten! Ich rufe dich zu dem Ewigen, doch du suchst das, was vergänglich ist. Was hat dich von Unserem Wunsch hinwegwenden und deinen eigenen suchen lassen3)?“

(Fortsetzung folgt.)


1) Aus „Beantwortete Fragen“ von ‘Abdu’l-Bahá.

2) Aus „Göttliche Lebenskunst“ von 'Abdu’l-Bahá.

3) Verborgenes Wort von Bahá’u’lláh.



Die Geschichte des Islam (Fortsetzung)

Von Zia M. Bagdadi

Während der zwei Jahre und drei Monate von Abá-Bakr’s Führerschaft jedoch wurden alle Bewohner von Arabien, Palästina und einem Teil von Syrien unter die Flagge des Islám gebracht. Nach Abú-Bakr’s Tod wurde ‘Umar der zweite Kalif. Zu seiner Zeit wurde ganz Syrien, Ägypten und der größte Teil Persiens dem Islám unterworfen. Auf ‘Umar, der bei der Moschee des Propheten in Medina von einem persischen Sklaven namens Fayrúz Daylamí ermordet wurde, folgte ‘Uthmán als dritter Kalif. Als Schreiber des Propheten hatte er den Text des Qur’án niedergeschrieben. Während seiner Regierungszeit wurde vollends ganz Persien erobert und der Einfluß des Islám drang bis in das Herz Afrikas vor. Bald jedoch entstanden neue Unruhen, denn ‘Uthmán begann, die Häuptlinge der Omajaden, die mit ihm verwandt waren, zu begünstigen. Weise Männer, unter ihnen ‘Alí, ermahnten ihn, gerecht zu sein und seine gefährliche Haltung zu ändern, insbesondere, weil Muḥammad selbst den Führern der Omajaden nicht traute.

Aber Uthmán verharrte bei seinen Begünstigungen, bis er von Muḥammad, dem Sohn Abú-Bakr’s, ermordet wurde.

‘Alí mit dem Beinamen „der Löwe Gottes“ wurde der vierte Kalif. Mu‘áwiyih, der Beherrscher und Führer der Omajaden, dessen Hauptstadt Damaskus in Syrien war, beschuldigte ‘Alí fälschlich der Anstiftung zur Ermordung Uthmán’s. Nachdem es ihm gelungen war, die Häupter in Mekka, wie auch 'A’yshih, Muḥammad’s zweite Frau zu überreden, ging er dazu über, einen Aufstand gegen 'Alí zu erregen, der zu einer Schlacht führte, bekannt als „Schlacht am Tage des Kamels“, die im Irak geschlagen wurde und bei der ‘Alí’s Streitkräfte ihm eine Niederlage beibrachten.

Später jedoch sammelte Mu’áwiyih seine Streitkräfte erneut und marschierte von Syrien aus gegen ‘Alí an der Spitze von 19 000 Kriegern. Fünf Jahre lang kämpften sie mit ‘Alí ohne entscheidenden Erfolg. Schließlich wurde ‘Alí, während er in der Moschee in Kufíh in der Nähe von Baghdád betete, von einem Fanatiker, ‘Abdu’l-Rahmán, dem Sohne Muljam’s, meuchlings erstochen. ‘Alí wurde in Najaf bei Baghdád bestattet.

Bald nach ‘Alí’s Tod starb auch Mu’áwiyih. Auf ihn folgte sein Sohn Yazid, der noch mehr als sein Vater geneigt war, Muḥammad’s Familie auszurotten.

Zu dieser Zeit war der Islám in drei große Sekten gespalten: Erstens die Schiiten, deren Wunsch war, daß die Macht in den Händen von Gottes bevorzugtem Volk — den [Seite 47] Propheten und Seinen Nachkommen — liege und deren Führer „Imám“ genannt wurde.

Zweitens die Sunniten oder Sunní, die eine Volksregierung vorzogen, an deren Spitze der Kalif steht, welcher durch eine Versammlung der Vornehmen gewählt wird.

Drittens die Khawarij (die Verstoßenen), die nur durch das Buch Gottes, die Gesetze des Qur’án regiert werden wollten.

Die Schiiten hielten nächst Muḥammad niemand gleichwertig mit ‘Alí, dessen Frau Fatimih, der Tochter des Propheten, und ‘Alí’s Söhnen Ḥasan und Ḥusayn. Sie verachten sogar bis zum heutigen Tag alle andern Kalifen des Islám. Die Sunniten andererseits verachten ‘Alí nicht, aber sie erheben ihn nicht über die andern Kalifen.

Nun war durch diese Spaltung und Verwirrung der Sohn von ‘Alí und Fatimih, Ḥusayn, die einzige Persönlichkeit, die erhaben über all dem als Führer dastand. Sein Bruder Ḥasan war auf des verruchten Mu’áwiyih Befehl vergiftet worden. Zu dieser Zeit war Yazid, der Sohn Mu‘áwiyih’s derjenige, der Ḥusayn nach dem Leben trachtete und die Familie Muḥammad’s ausrotten wollte. Yazid, wohl wissend, wie er Ḥusayn schließlich zugrunde richten könnte, hatte einen Brief an ihn geschrieben, in dem er ihn einlud, Mekka zu verlassen und nach Syrien zu kommen, wo das Volk begierig darauf warte, ihn als seinen Führer und Kalifen auszurufen, denn er wußte, daß er so Ḥusayn zur letzten Vernichtung herbeilocken könnte. Er hatte diesen Brief überdies von 10 000 seiner Männer unterschreiben lassen.

Beim Empfang des Briefes war Ḥusayn zunächst abgeneigt, der Einladung zu folgen, aber später willigte er doch ein, hinzugehen. Alle Mitglieder der Familie Muḥammad's, 70 an der Zahl, begleiteten ihn. Als sie Karbilá im Irak erreichten, sahen Ḥusayn und seine Gefährten, daß sie in eine von Yazid gestellte Falle gegangen waren. Sie wurden von 10 000 Kriegern Yazid’s umringt, die, nachdem sie ihnen Wasser und Lebensmittelzufuhr abgeschnitten hatten, auf Befehl Yazid’s verlangten, daß Ḥusayn seine Unterwerfung unter ihr Oberhaupt geloben oder um sein Leben kämpfen solle. Ḥusayn und seine männlichen Begleiter, sehr wenige der Zahl ihrer Feinde gegenüber, zogen ihre Schwerter und der Kampf begann. Drei Tage lang fochten sie verzweifelt. Schließlich wurde Ḥusayn verwundet und von Shimr enthauptet, der dadurch eine Prophezeiung Muḥammad’s erfüllte,

Diese Geschichte des Märtyrertods Ḥusayn’s und seiner tapferen Begleiter ist so wichtig nach der Meinung der Schiiten, daß diese Sekte bis zum heutigen Tag, besonders in Persien und in jedem Land, wo sie ist, in religiösen Feiern die Erinnerung wachhält. Sie nennen diesen Jahrestag „den Tag von ’Ashurá“ oder den „zehnten Tag“ des arabischen Monats Muharram im Jahre 680 n. Chr., an dem Ḥusayn den Tod erlitt1).

Im zweiten, dritten und vierten Jahrhundert der Hedschra befanden sich die Anhänger des Islám unter den Fahnen dreier Königreiche verschiedener Kalifen:

1. Das Omajadische Reich, dessen Herrscherhaus von Mu’áwiyih im Jahre 661 n. Chr. in Syrien begründet war, mit der Hauptstadt Damaskus.

2. Das Abbasidische Reich, dessen Herrscherhaus von ‘Abbás, Muḥammad’s Onkel herstammte und im Jahre 749 n. Chr. begründet wurde. Die Hauptstadt war Baghdád.

3. Das Fatimidische Königreich, benannt nach Fatimih, der Tochter Muḥammad’s und Frau ‘Alí’s, begründet im Jahre 1258, Seine Hauptstadt war Tunis in Algerien.

Später entstanden noch zahlreiche andere Sekten, aber der Kürze wegen sollen nur die Türken hier erwähnt werden. Diese Türken und das Türkische und Ottomanische Kaiserreich spielten später im Islám eine große Rolle. Die Heimat der Türken ist in Zentralasien, dem Land, das heute noch Turkestan heißt. Es waren damals etwa 200 000 Menschen. Als die Religion des Islám das Herz Asiens durchdrang, nahmen alle sie an. An Kraft und Gastfreiheit gleichen sie den Arabern und durch den Einfluß der Lehren Muḥammad’s begannen sie in guten Sitten und hohen Idealen Fortschritte zu machen. Die arabischen Staatsmänner und besonders einige der Abbasidischen Kalifen in Baghdád, wurden sehr beunruhigt über die Erfolge und das Ansehen der Türken. Da sie schließlich [Seite 48] fürchteten, die aufstrebenden Türken könnten sich erheben und die Macht den Händen der Araber entreißen, beschlossen sie, deren Macht dadurch zu brechen, daß sie sie in zwei Teile zerrissen. Die eine Hälfte, 100 000, sollten ihr Land Turkestan zusammen verlassen und nach dem nahen Osten in Kleinasien auswandern. Durch diesen Plan vergaßen die Araber, Muḥammad’s Mahnung zu beachten: „Laßt die Türken allein und belästigt sie nicht, solange sie euch nicht belästigen.“

Kurz, die Araber führten ihren Plan vollständig und wirksam durch. Sie zwangen die Hälfte der Türken, ihr Land zu verlassen. Daher ist die heutige Türkei in Kleinasien begründet.

Diese Bedrückung seitens der Araber war für die Türken ein derartig tragischer Anstoß, daß von demselben Augenblick an das unterdrückte Volk entschlossen wurde, die Araber zu zermalmen und sich zum Herrscher zu machen. Sie versahen sich schließlich mit der nötigen Kriegsausrüstung und fegten wie ein Orkan über die Araber hinweg. Sie erwiesen sich als unwiderstehlich, und die Araber sahen ihren verhängnisvollen Irrtum ein, als es zu spät war.

Nachdem sie die Araber unterworfen hatten, wandten sich die Türken gegen die Griechen und die (Ost-) Römer, bis sie ihre Hauptstadt Konstantinopel (Istanbul) eroberten. Das geschah im Jahre 1453 unter der Führung Muḥammad’s II., des Eroberers.

Die ottomanischen Sultane und Kalifen begannen mit Ultiman I., der im Jahre 1299 dieses türkische Herrscherhaus begründete.

Die Sultane der Türkei wurden als das Oberhaupt der geistlichen und weltlichen Regierung des Islám angesehen und ihre Hauptstadt Konstantinopel blieb der Sitz ihrer Herrscher bis nach dem Weltkrieg im Jahre 1918, wo durch Mustapha Kamál Pascha Ata Türk die Stadt Ankara, im Herzen Kleinasiens, die neue Hauptstadt wurde, der Name Kalif abgeschafft und die Staatsform in eine Republik umgewandelt wurde.


IV.

Die wichtigsten religiösen Pflichten im Islám, denen jeder gläubige Nachfolger nachkommt, sind folgende:

1. Das Glaubensbekenntnis, daß es nur einen Gott gibt und daß Muḥammad der Gesandte Gottes ist.

2. Täglich fünfmalige Gebetsverrichtung: bei Sonnenaufgang, zur Mittagszeit, am Nachmittag (etwa um 3 Uhr), bei Sonnenuntergang und zur Abendzeit (eineinhalb Stunden nach Sonnenuntergang).

Jedem Gebet muß eine Abwaschung vorausgehen.

3. Einmonatliches Fasten. Das Fasten dauert von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang. Während des Fastens ist es nicht erlaubt, Speisen oder Getränke irgend welcher Art zu sich zu nehmen oder zu rauchen. Erst wenn die Sonne untergegangen ist, darf wieder Speise genossen werden. Die Anhänger der schiitischen Sekte essen nicht, bevor es ganz dunkel geworden ist und die Sterne erscheinen.

4. Den Armen und Bedürftigen Almosen zu geben.

5. Wenigstens einmal im Leben eine Wallfahrt nach Mekka zu unternehmen. Wer eine solche Pilgerreise gemacht hat, wird „Ḥájí“ genannt. Angenommen es heißt jemand Ḥasan. Nach seinem Besuch in Mekka und Medina führt er den Namen „Ḥájí Ḥasan“.

(Fortsetzung folgt.)


1) Sven Hedin beschreibt in seinem Werk: „Zu Land nach Indien“ solche Ḥusayn-Feiern, an denen er ungesehen teilnahm und bei denen aufgepeitschte Fanatiker sich mit Schwertern Wunden an Kopf und Brust beibringen.



Anmeldung zur 5. Bahá’í-Sommerwoche in Eßlingen[Bearbeiten]

Dieser Nummer liegt ein Anmeldebogen zur diesjährigen Bahá’í-Sommerwoche bei. Der Verwaltungsausschuß Bahá’í-Heim, Anschrift Anna Köstlin, Eßlingen a. N., Wehrneckarstr. 1, bittet die Besucher derselben um recht baldige Einsendung der Anmeldung an seine Adresse. Die Themen der 5. Bahá’í-Sommerwoche werden in Kürze bekanntgegeben.


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[Seite 49]


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Verborgene Worte.. Worte der Weisheit und Gebete. Geschrieben während seiner Verbannung in Bagdad 1857/58 . . . kart. —.80

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Buch der Gewißheit oder Kitábu’l-Iqán. Eine Auseinandersetzung mit theologischen Fragen verschiedener Religionen, geschrieben in Bagdad um 1862. Ist fortsetzungsweise in den beiden Jahrgängen X und XI unserer Zeitschrift „Sonne der Wahrheit“ enthalten.

Jahrgang gebunden je 3.--


'Abdu'l-Bahá Abbas

Ansprachen in Paris. ‘Abdu’l-Bahá spricht hier über zahlreiche Fragen, nach deren Klärung die Völker der Erde suchen.

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Beantwortete Fragen. Erklärungen zu christlichen und islamischen Fragen, Behandlung allgemeiner weltanschaulicher Probleme . . . . . . Ganzleinen 2.50

Sendschreiben an die Haager Friedenskonferenz 1919 . . . . . -.20

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Die Weltreligion Kurze Charakterisierung des Bahá’í-Glaubens. Shoghi Effendi . . . -.10


Sonstiges

Geschichte und Wahrheitsbeweise der Bahá’i-Religion, Einführung in die Gedankenwelt der Bahá’i-Lehre von einem orientalischen Gelehrten. Von Mirza Abul Fazl . . . . . gebunden 2.--

Bahá’u’lláh und das neue Zeitalter. ein Lehrbuch von Dr. J. E. Esslemont. Ganzleinen 2.50

'Abdu'l-Bahá Abbas’ Leben und Lehren, von Myron H. Phelps. . . . . .gebunden 2.--

Die Bahá’i-Offenbarung, ein Lehrbuch von Thornton Chase. . . . . . . kart. 2.--

Am Morgen einer neuen Zeit. Untersuchung der geistigen Ursachen der Weltkrise und Beleuchtung der letzthin einzigen Möglichkeit ihrer Überwindung durch die Bahá’i-Lehre. Von Dr. Hermann Großmann . . . . . kart. 1.80

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Lebensgestaltung. Das Leben und ich. Das Leben und mein Nächster. Das Leben und Gott. Kursberichte der Eßlinger Bahá’í-Sommerwoche 1933 . . . -.30

Die Bahá’i-Weltanschauung. Eine kurze Einführung. Von Pauline Hartmann . . . . —.20

Das Hinscheiden 'Abdu'l-Bahás ("The Passing of 'Abdu'l-Bahá") . . . -.30

Sonne der Wahrheit. Bahá'i-Monatszeitschrift.

Jahrgang III - XI gebunden je 3.--
Jahrgang XII - XV gebunden je 6.--