Sonne der Wahrheit/Jahrgang 16/Heft 4/Text

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SONNE

DER WAHRHEIT
 
 
Organ der Bahá’í
in Deutschland und
Öesterreich
Heft 4 16. Jahrgang Juni 1936


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Die Bahá’í-Lehre,[Bearbeiten]

die Lehre Bahá’u’lláhs erkennt in der Religion die höchste und reinste Quelle allen sittlichen Lebens.

Die Ausdrucksformen des religiösen Lebens des Einzelnen, ganzer Völker und Kulturkreise haben im Laufe der Geschichte entsprechend den jeweils anderen Verhältnissen und dem Wachstum des menschlichen Erkenntnisvermögens Wandlungen erfahren. Die äußeren Gesetze und Gebote aller Weltreligionen entsprachen immer den entwicklungsgeschichtlich gegebenen Erfordernissen in bezug auf den Einzelnen, die soziale Ordnung und das Verhältnis zwischen den Völkern. Alle Religionen beruhen aber auf einer gemeinsamen, geistigen Grundlage. „Diese Grundlage muß notwendigerweise die Wahrheit sein und kann nur eine Einheit, nicht eine Mehrheit bilden.“ ('Abdu'l-Bahá.) „Die Sonne der Wahrheit ist das Wort Gottes, von dem die Erziehung der Menschen im Reich der Gedanken abhängig ist.“ (Bahá’u’lláh.) Alle großen Religionsstifter waren Verkünder des Wortes Gottes entsprechend der Fassungskraft und Entwicklungsstufe der Menschen. Das Wesen der Religion liegt darin, im Bewußtwerden der Abhängigkeit des Menschen von der Wirklichkeit Gottes Seine Offenbarer anzuerkennen und nach Seinen durch sie übermittelten Geboten zu leben.

Die Bahá’i-Lehre bestätigt und vertieft den unverfälschten und unwandelbaren Sinn und Gehalt aller Religionen von neuem und zeigt darüber hinaus die kommende Weltordnung auf, welche die geistige Einheit der Menschheit zur Voraussetzung haben wird. Die in ihr zum Ausdruck kommende Weltanschauung steht mit den Errungenschaften der Wissenschaft ausdrücklich in Einklang.

Die Lehre Bahá’u’lláhs enthält geistige Grundsätze und Richtlinien für eine harmonische Gesellschafts-, Staats- und Wirtschaftsordnung. Sie beruhen auf dem Gedanken der natürlich gewachsenen, organischen Einheit jedes Volkes und der das Völkische übergreifenden geistigen Einheit der Menschheit. Den Interessen der Volksgemeinschaft sind die Sonderinteressen des Einzelnen unterzuordnen, denn nur die Gesamtwohlfahrt verbürgt auch das Wohl des Einzelnen.

Wie jede Religion, so wendet sich auch die Bahá’i-Lehre an die Herzensgesinnung des Menschen, um die religiösen Kräfte in den Dienst wahren Menschentums zu stellen. Sie erstrebt die Höherentwicklung der Menschheit mehr durch die Selbsterziehung des Einzelnen als durch äußerlich-organisatorische Maßnahmen. Der Bahá’i hat sich daher über seine ernst aufgefaßten staatsbürgerlichen Pflichten hinaus nicht in die Politik einzumischen, sondern sich zum Träger der Ordnung und des Friedens im menschlichen Gemeinschaftsleben zu erheben. Bahá’u’lláhs Worte sind: „Es ist euch zur Pflicht gemacht, euch allen gerechten Regenten ergeben zu zeigen und jedem gerechten König eure Treue zu beweisen. Dienet den Herrschern der Welt mit der höchsten Wahrhaftigkeit und Treue. Zeiget ihnen Gehorsam und seid ihre wohlwollenden Freunde. Mischt euch nicht ohne ihre Erlaubnis und Zulassung in politische Dinge ein, denn Untreue gegenüber dem Herrscher ist Untreue gegenüber Gott selbst.“

Bahá’u’lláh weist den Weg zu einer befriedeten, im Geiste geeinigten Menschheit. Ein alle Staaten umfassender Bund in ihrer Eigenart entwickelter und unabhängiger Völker auf der Grundlage der Gleichberechtigung, ausgestattet mit völkerrechtlichen Vollmachten und Vollstreckungsgewalten gegenüber Friedensstörern, soll die übernationalen Interessen aller Völker der Erde in völliger Unparteilichkeit und höchster Verantwortung wahrnehmen. Zwischenstaatliche Konflikte sind durch einen von allen Staaten beschickten Weltschiedsgerichtshof auf friedlichem Wege beizulegen.

Die geistige Wesensgleichheit aller Menschen und Völker erheischt einen organischen Aufbau der sozialen Weltordnung, in der jedem seine einzigartige, besondere Eingliederung und Aufgabe zugewiesen ist. Die geographischen, biologischen und geschichtlichen Gegebenheiten bedürfen im Gemeinschaftsleben der Völker immer einer besonderen Beachtung, ohne die sie umschließende Einheit im Reiche des Geistes aus den Augen zu verlieren.

Die Lehre Bahá’u’lláhs „ist in ihrem Ursprung göttlich, in ihren Zielen allumfassend, in ihrem Ausblick weit, in ihrer Methode wissenschaftlich, in ihren Grundsätzen menschendienend und von kraftvollem Einfluß auf die Herzen und Gemüter der Menschen“.


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SONNE DER WAHRHEIT
Organ der Bahá’í in Deutschland und Österreich
Verantwortlich für die Herausgabe: Dr. Eugen Schmidt, Stuttgart-W, Reinsburgerstraße 198
Schriftleitung: Dr. Adelbert Mühlschlegel, Dr. Eugen Schmidt, Alice Schwarz-Solivo
Verwaltung: Paul Gollmer Begründet von Alice Schwarz-Solivo
Preis vierteljährlich 1.80 Reichsmark
Heft 4 Stuttgart, im Juni 1936
Núr — Licht
16. Jahrgang

Inhalt: Erfüllte Prophezeiungen. — Nabíl’s Erzählung: Der Aufenthalt des Báb in Káshán. — Zwei heilige Grabstätten. — Die Fortdauer der Religion. — Die Geschichte des Islam.


Sei lauter, o Volk Gottes, sei lauter; sei rechtschaffen, sei rechtschaffen... Sprich: O Volk Gottes! Das, was den Sieg Dessen verbürgen kann, Der die ewige Wahrheit ist — Seine Heerscharen und Helfer auf Erden — ist in den heiligen Büchern und Schriften niedergelegt worden, so klar und offenbar wie die Sonne.

Bahá’u’lláh*)


*) Entnommen und ins Deutsche übertragen aus „Gleanings from the writings of Bahá’u’lláh“, New York 1935, S. 287.



Erfüllte Prophezeiungen[Bearbeiten]

Ins Deutsche übertragen aus „L’Epître au Fils du Loup“, édition Champion, Paris 1913, S. 142—181


Nachfolgend veröffentlichen wir einen weiteren Teil des um das Jahr 1890 verfaßten, sehr umfangreichen Sendschreibens von Bahá’u’lláh, das unter dem Namen „Sendschreiben an den Sohn des Wolfes“ in der Bahá’í-Welt bekannt ist.
Der Empfänger des Schreibens war Shaykh Muḥammad Taqí, bekannter unter dem Namen Áqá-Najafí, der Sohn des mächtigen Mujtahid von Iṣfáhán, Shaykh Báqir, dem die Beseitigung zweier hochangesehener, treuer Anhänger Bahá’u’lláh’s sowie zahlreiche an den Bahá’í verübte Gewalttaten und Erpressungen den Beinamen „der Wolf“ eingetragen haben.
Im ersten Teil Seines Briefes sucht Bahá’u’lláh den „Sohn des Wolfes“, der in den Fußstapfen seines Vaters wandelte, an Hand Seiner früheren Sendschreiben an die Regenten in aller Welt (veröffentlicht im Jahrgang XIII unserer Zeitschrift) und anderer Kundgebungen von Seiner Mission zu überzeugen, und stellt ihm vor Augen, wie viel besser er in seinem eigenen wie im Interesse des ganzen Landes handeln würde, wenn er sich Ihm anschlösse, anstatt Seine Lehre zu bekämpfen. Im Verfolg der Beweisführung für die Begründetheit und Echtheit Seines Anspruches kommt Bahá’u’lláh dann auf die in früheren heiligen Schriften enthaltenen Hinweise auf Sein Kommen zu sprechen, indem Er fortfährt:

O Shaykh! Du hast das Gurren der Tauben der Erklärung auf den Ästen des Baumes der Erkenntnis vernommen; nun lausche den Liedern der Vögel der Weisheit, die in das allerhöchste Paradies emporsteigen. Wahrlich, sie werden dir das verständlich machen, was du unbeachtet ließest. Höre, was die Zunge der Macht und der Kraft redet in den Büchern Gottes, der Sehnsucht der Wissenden. Jetzt erhebt sich die Verkündigung vom Sadratu’l-Muntahá im Mittelpunkt des allerhöchsten Paradieses. Wir haben ihm befohlen, für dich zu erwähnen, was in den Blättern und Tablets geoffenbart ward, und was mein Ankündiger zu diesem Gegenstand geäußert hat, Er, Der Sich für diese große Botschaft und diesen geraden Weg aufgeopfert. [Seite 50]

Er sprach, und Sein Wort ist wahr: „Zu Seiner Erwähnung habe ich mit der Feder ein Kleinod geschaffen: wahrlich, Er ist Der, Den die Zeilen nicht beschreiben können, so wenig wie das, was im Bayán erwähnt wird.“ Sodann — Er sei verherrlicht und gepriesen! — sagt Er bei Erwähnung dieser großen Offenbarung und dieser allerhöchsten Botschaft: „Wahrlich, Er ist herrlich und so hoch, daß Er durch das, was außerhalb von Ihm ist, nicht erkannt, noch mittels der Zeichen Seiner Schöpfung beschrieben werden kann. Wahrlich, ich bin Sein erster Knecht; ich glaube an Ihn und an Seine Zeichen, ich habe Seine Worte der Wahrheit unter den Jungfrauen aus den Gärten des Paradieses der Erkenntnis gefunden. Ja, bei Seiner Herrlichkeit! Er ist der Wahre, und es gibt keinen anderen Gott als Ihn. Alle stehen wir aufrecht kraft Seines Befehls.“

Die Taube der Wahrheit hat diese Worte auf den Ästen des göttlichen Baumes gegurrt; glücklich, wer sie hat vernehmen können, wer seinen Teil genommen und aus den in jedem Wort verborgenen Meeren der göttlichen Erklärung getrunken hat!

Ebenso ist an einer anderen Stelle die Verkündigung der Erklärung vom höchsten Aste emporgestiegen. Er1) — gepriesen sei Er und verherrlicht! — sagt: „Im Jahre 9 werdet ihr die ganze Güte kennen lernen!“ Und anderswo sagt Er: „Und im Jahre 9 werdet ihr zur Begegnung Gottes gelangen2).“

Diese Gesänge, die von den Vögeln der Städte der Erkenntnis hertönen, stimmen mit dem überein, was der Barmherzige im Furqán3) geoffenbart hat. Selig sind die, welche sehen und angelangt sind!

O Shaykh! Bei Gott! Der Euphrat der Barmherzigkeit strömt, die See der Erklärung ist bewegt, die Sonne der Offenbarung ist aufgegangen und strahlt; mit freudigem Herzen, glücklicher Brust, lauterer und deutlicher Zunge lies diese allerhöchsten Worte, die von dem Ankündiger, d. h. von dem Ersten Punkte4) ausgeströmt sind. Er äußert — Seine Erklärung sei gepriesen! — Haḍrat-i-'Azím5) gegenüber: „Dahin geht die Verheißung, die Wir dir einstmals gegeben, da Wir dir geantwortet haben: sei geduldig, bis neun Jahre des Bayán ablaufen, und dann sprich: ‚Gepriesen sei Gott, der beste der Schöpfer!‘ Sprich: ‚Dies ist eine Verkündigung, die niemand versteht, außer Gott; aber heute fehlt euch das Wissen‘.“

Und im neunten Jahre ist diese allerhöchste Offenbarung erschienen und hat am Aufgangsorte des göttlichen Willens gestrahlt. „Allein die säumigen Zweifler werden sie verleugnen.“ Wir bitten Gott, Er möge Seinen Dienern helfen, sich Ihm zuzuwenden und zu bereuen, was sie in ihrem Leben voll Eitelkeit getan haben. Wahrlich, Er ist Der, Der um Verzeihung bitten läßt, der Verzeihende, der Barmherzige.

Und anderswo sagt Er6): „Wahrlich, ich bin der erste Knecht, der an Ihn und Seine Zeichen geglaubt hat.“ Und ebenso sagt Er im persischen Bayán bis zum Schlusse Seiner Darlegung — Er sei gepriesen und verehrt! -—-: „Wahrlich, Er ist Der, Der in jeder Lage erklärt: ‚In Wahrheit, Ich bin Gott..., usw.“ Die Bedeutung der Göttlichkeit und der Gottheit ist im Vorhergehenden dargelegt worden7). Wir haben die Schleier zerrissen und haben gezeigt, was die Menschen Gott, dem Herrn über die Häupter, näher bringt. Selig, wer zur Gerechtigkeit und Rechtlichkeit gelangt ist dank dieser Gunst, die, was im Himmel und auf Erden ist, einhüllt zufolge eines Befehls, der von Gott, dem Herrn der Welten stammt!

O Shaykh! Lausche mit gerechtem Ohr dem Lied des Evangeliums. Er8) sagt — Seine Erklärung sei gepriesen! —, daß „Er später die [Seite 51] Botschaften zukommen lassen werde9)..., von jenem Tag und jener Stunde aber habe keiner Kenntnis, nicht einmal die Engel, die im Himmel sind, noch etwa der Sohn, mit Ausnahme des Vaters10).“ Und Vater bedeutet hier Gott — Seine Herrlichkeit sei gepriesen! —. Und Er ist der wahre Meister, der geistige Erzieher.

Joël sagt: „Wahrlich der Tag des Herrn ist groß und schrecklich, und wer wird ihn ertragen können11)?“ So ist erstens in der im Evangelium enthaltenen erhabenen Erklärung gesagt, daß niemand den Zeitpunkt der Offenbarung kennen würde: keiner würde sie verstehen, außer Gott, dem Wissenden, dem Wohlunterrichteten. Sodann ist in der Folge die Größe der Offenbarung erwähnt. Und ebenso heißt es im Furqán: „Alles, was man bezüglich der allerhöchsten Botschaft gefragt hat, zeigt sich darin, in jener Botschaft, deren Größe euch in den meisten Büchern der Vor- und Nachzeit vorhergesagt worden ist, und welche die Adern der Bewohner der Erde erzittern läßt, jene ausgenommen, die Gott, der Beschützer, der Helfer, der Verteidiger gewollt hat! “ So hat man mit seinen eigenen Augen sehen können, daß alle Menschen und alles, was auf Erden war, erschüttert und in Verwirrung gesetzt worden sind, außer jenen, die Gott gewollt hat.

O Shaykh! Die Sache ist herrlich, und herrlich ist die Botschaft: sinne mit Geduld und Beharrlichkeit nach über die klaren Verse, die erhabenen Worte und alles, was in diesen Tagen erschienen ist: vielleicht wirst du dann die in den Büchern verborgenen Geheimnisse begreifen und dich um die Führung der Menschen bemühen.

Mit dem Gehör der Wahrheit lausche der Verkündigung Jeremias. Er sagt12): „Oh, wie herrlich und ohne Gleichen ist dieser Tag!“ Wenn du mit dem Auge der Rechtlichkeit schaust; wirst du die Herrlichkeit dieses Tages begreifen. Höre auf die Verkündigung dieses wissenden Ratgebers und beraube dich nicht der Barmherzigkeit, die dem Dasein des Unsichtbaren und des sichtbaren vorangegangen ist.

Horche auf den Gesang Davids. Er sagt: „Wer wird mich führen in die befestigte Stadt?"13) Mit der befestigten Stadt ist ‘Akká gemeint, die das Höchste Gefängnis genannt wird und die eine Festung und mächtige Wälle besitzt.

O Shaykh! Lies, was Jesaja hiezu in seinem Buche geschrieben hat. Er sagt: „Steige auf einen hohen Berg, o Zion, du Vorhersagerin froher Botschaften; erhebe daselbst deine Stimme vermöge deiner Macht. O Ankünderin froher Botschaften, Jerusalem, steige auf, fürchte nichts! Sage den Städten Judas: ‚Siehe, hier ist euer Gott, der Fürst, der Herr! Er ist gekommen mit Seiner Macht, und Sein Arm herrscht über euch‘14).“ Heute sind alle Zeichen, die der großen Stadt ihr Gepräge geben, vom Himmel herniedergestiegen; und Zion ist in Begeisterung und Freude über die Offenbarung Gottes, denn sie hat die göttliche Verkündigung allseits vernommen. Heute hat Jerusalem das neue Evangelium empfangen, das wie eine stolze Zypresse ragt. Und Jerusalem ist ein Wallfahrtsort für alle Glaubensrichtungen der Welt, was ihr den Namen „die Heilige“ einträgt. Dasselbe, was auf Zion, auf Palästina, trifft auf sie alle zu in diesen Gegenden. Deshalb ist gesagt: „Gesegnet, wer ausgewandert ist gen ‘Akká15)!“

Amos16) hat gesagt: „Wahrlich, der Herr wird brüllen aus Zion und Seine Stimme hören lassen aus Jerusalem; die Hütten der Schäfer werden jammern, und der Gipfel des Karmel wird austrocknen.“ Und in den göttlichen Büchern ward der Karmel „Kawm“17) Gottes und „Karm18)“ Gottes genannt; und hier ist der Ort, wo in diesen Tagen dank der Güte des Herrn der Offenbarung das Zelt der Herrlichkeit aufgeschlagen wurde. Selig, die herbeigekommen sind, selig, die sich genaht haben! Und gleicherweise sagt Er: „Unser Gott wird kommen, und Er wird nicht schweigen.“ [Seite 52]

O Shaykh ! Denke an die Worte, die der Ersehnte des Weltalls an Amos gerichtet hat. Er spricht: „Bereite dich für die Begegnung mit deinem Gott, o Israël! Denn wahrlich, Er ist’s, Der die Gebirge geformt, Der den Wind geschaffen und dem Menschen kundgetan hat, was Seine Absicht ist, Der den finsteren Tagesanbruch gemacht hat und auf den erhöhten Orten der Erde einherschreitet: Jehovah, Gott der Heerscharen ist Sein Name“19). Er sagt, Er verdunkele den Tagesanbruch, d.h. daß, wenn im Zeitpunkt der Offenbarung des Sprechers vom Sinaï sich einer als die wahre Morgenröte ansieht, er durch die Kraft und die Macht Gottes zur Finsternis werden wird: er wird die falsche Morgenröte sein, wenngleich er sich für die wahre hält. Wehe ihm, und wehe dem, der ihm gehorcht ohne den geringsten Ausweis von seiten Gottes, des Herrn des Weltalls!

Jesaia sagt: „Allein erhebt Sich der Herr an jenem Tage!“ und bezüglich der Größe der Offenbarung: „Unterwirf dich dem heiligen Stein, flüchte unter den Staub vor der Majestät des Herrn und zur Ehre Seiner Größe.“

Und anderswo sagt Er20): „Die Wüste und das ausgetrocknete Land werden sich freuen und die Einöde wird in lautem Jubel liegen und wird blühen wie eine Rose. Sie wird blühen und in rauschender Freude liegen: sie wird Freuden- und Triumphrufe ausstoßen; die Herrlichkeit des Libanon, die Pracht des Karmel und Sarons sind ihr verliehen. Sie werden sehen die Herrlichkeit des Herrn, den Strahlenglanz unseres Gottes!“

Diese Sätze brauchen nicht verdeutlicht zu werden: wie die Sonne brechen sie hervor und sind sie offenbar; wie das Licht leuchten und strahlen sie. Jedes rechtliche Wesen wird, sobald es erst einmal diese Erklärungen erfaßt hat, den Weg zu den Gärten der Erkenntnis finden und das erlangen, was den meisten Menschen verhüllt und entzogen ist. Sprich: „Fürchte Gott, o Volk, und folge nicht den Beispielen der Ungläubigen21), die den Vertrag Gottes und Seinen Bund gebrochen und die verleugnet haben Seine Barmherzigkeit, die dem, was im Himmel und auf Erden ist, vorangegangen ist.“

Und ebenso spricht Er: „Sag zu denen, deren Herzen zittern: ‚Seid stark und fürchtet euch nicht: Er ist es, euer Herr‘.“ Dieser heilige Vers ist ein Beweis für die Größe der Offenbarung und für die Größe der Sache, denn der Stoß der Trompete wird Bestürzung in die Welt werfen, und Zittern und Entsetzen werden einen jeden befallen. Selig, wer durch das Licht des Gottvertrauens und der Loslösung erleuchtet ist! Die Schwierigkeiten dieses Tages werden kein Hemmnis für ihn sein und ihm keine Angst einflößen. Also hat die Zunge der Erklärung gesprochen, einem Befehle gleich, der vom Barmherzigen ausgeht: wahrlich, Er ist der Starke, der Fähige, der Unabhängige, der Allmächtige!

Nun müssen die, so Auge und Ohr besitzen, über diese erhabenen Worte nachdenken, deren jedes einzelne die Meere der Bedeutungen und Erklärungen in sich schließt. Vielleicht läßt die Erklärung des Gebieters über die Religionen Seine Diener mit größter Glückseligkeit und Freude zum allerhöchsten Ziel und zum erhabenen Gipfel gelangen, allwo der Aufgang dieser Verkündigung zu sehen ist.

O Shaykh! Könntest du, und wäre es nur durch das Öhr einer Nadel, das sanfte Wehen dieser Erklärungen wahrnehmen, dann würdest du der Welt und ihren Bewohnern entsagen und dich dem Lichte vom Antlitz Seiner Majestät des Ersehnten zuwenden. Was immer es auch sei: in den Worten Jesu Christi sind zahllose Bedeutungen verborgen. Er hat eine bestimmte Anzahl Dinge erwähnt; aber im Hinblick darauf, daß man nicht auf Ihn hören und Ihm nicht gehorchen würde, hat Er das Meiste davon verschwiegen. Deshalb sagte Er, daß man „es jetzt nicht tragen könne“22).

Dieser Träger des Aufganges der Inspiration23) sagte, daß an jenem Tage der Verheißene „euch das Zukünftige künden wird“24). Dementsprechend sind im Kitáb-i-Aqdas, in den Tablets an die Könige, im Tablet des Ra’ís, in jenem Fu’ád Páshá’s die meisten Dinge, die sich hernach auf der Erde ereignet [Seite 53] haben, durch die allerhöchste Feder25) vorausgesagt und geoffenbart worden. Im Kitáb-i-Aqdas wurde geoffenbart: „O Land Tá26), sei über nichts betrübt. Gott hat dich zum Träger des Aufganges der Freude im Weltall gemacht. So Er will, wird Er deinen Thron durch einen weihen, der mit Gerechtigkeit regieren und die durch die Wölfe zerstreuten Schafe Gottes wieder sammeln wird. Wahrlich, er wird das Volk Bahás’27) mit Freude und Jubel aufnehmen; wahrhaftig, er ist in den Augen Gottes das Kleinod der Geschöpfe — über ihm sei der Strahlenglanz Gottes und der Strahlenglanz all derer, die im Königreich des Befehles sind, ewiglich! —“ Diese Verse sind einstmals geoffenbart worden, jetzt aber werden folgende geoffenbart: „Mein Gott, mein Gott! Bahá fleht Dich an und bittet Dich bei der Lichtfülle Deines Antlitzes, bei den Wogen der See Deiner Sache, beim Strahlenkranz der Sonne Deiner Erklärung, dem Herrscher28) zu helfen, gerecht und rechtlich zu sein, und sogar, wenn Du es wünschest, durch ihn den Thron Deiner Sache und Deines Befehles zu weihen. Wahrlich, Du bist Der, Der vermag, was Er will; es gibt keinen anderen Gott als Dich, den Erhörenden und Gewährenden.“ „Freu dich darob; o Land Tá, daß Gott dich zum Horizont von Núr29) gemacht hat, da der Träger des Aufganges der Offenbarung30) in dir geboren ist und du mit jenem Namen belegt wardst, der den Stern der Gnade erstrahlen läßt und der Himmel und Erde erhellt hat. Bald werden in dir die Verhältnisse geändert sein, und eine Gemeinschaft von Männern wird dich regieren. Wahrlich, dein Herr ist der Weise, der Allgegenwärtige! Hab Vertrauen in die Gnade deines Herrn: wahrlich, die Segnungen der Gunst werden sich nie von dir wenden; bald wirst du dich der Ruhe nach dem Sturm erfreuen. Also ward der Befehl in dem neuen Buche erlassen.“

(Fortsetzung folgt)


1) Der Báb.

2) Das neunte Jahr des öffentlichen Wirkens des Báb war das Jahr 1269 der Hedschra, d. h. das Jahr 1853 christlicher Zeitrechnung, in dem die Gesegnete Vollkommenheit, Bahá’u’lláh, sich zum erstenmal seiner engsten Umgebung als der vom Báb angekündigte „Man-Yuẓhiru-hu’lláh“, d. h. „Der, Den Gott offenbaren wird“ zu erkennen gab.

3) Gleichbedeutend mit Qur’án, dem Buche Muḥammad's.

4) Der Báb.

5) Mullá Shaykh ‘Alí mit dem Beinamen Jináb ‘Azím, einer der ersten und eifrigsten Jünger des Báb, der ihn nach Chihríq und Máh-Kú begleitete und im Jahre 1852 von den 'Ulamá in Ṭihrán hingerichtet wurde.

6) Der Báb.

7) Siehe „Sonne der Wahrheit“, 14. Jahrgang, Seite 97 ff.

8) Jesus.

9) Anm. d. deutschen Übersetzers: Vorbehaltlich genauer Wiedergabe dieser Stelle des Urtextes durch den französischen Übersetzer sind damit vermutlich folgende Stellen des Evangeliums gemeint: Joh. 14, 16; 14, 26; 15, 26; 16, 7.

10) Matth. 24, 36.

11) Joël 2, 11; 3, 4.

12) Jeremia 30, 7.

13) Psalm 60, 11.

14) Jesaja 40, 9 und 10.

15) Ḥadith.

16) Amos 1, 2.

17) D. h. Sitz.

18) D. h. Stätte.

19) Amos 4, 12, 13.

20) Jesaja 35, 1 ff.

21) Wörtlich „der Raben“.

22) Joh. 16, 12.

23) Jesus Christus.

24) Joh. 16, 13.

25) Bahá’u’lláh.

26) Persien.

27) Die Bahá’í.

28) Wörtlich: dem Sultán; gemeint ist der Sháh von Persien.

29) Núr in Persien, die Geburtsstadt Bahá’u’lláh’s; Núr heißt verdeutscht „Licht“.

30) Gemeint ist damit der leibliche Bahá’u’lláh, Ḥusayn ‘Alí, Sohn des Mírzá ‘Abbás von Núr.





Nabíl’s Erzählung[Bearbeiten]

Übersetzung aus „The Dawn-Breakers“, Nabíl’s Narrative of the early days of the Bahá’í Revelation, New York 1932


Aus Kapitel IX: Der Aufenthalt des Báb in Káshán

In der Nacht bevor der Báb in Káshán eintraf, träumte dem Ḥájí Mírzá Jání, der den Beinamen Parpá führt, einem hochgelehrten Einwohner dieser Stadt, er stünde zu später Stunde am Nachmittag am Tore ‘Aṭṭár, einem der Stadttore, als er plötzlich den Báb zu Pferd erblickte, der, anstatt des gewohnten Turban, den Kuláh trug, der bei den Kaufleuten Persiens gebräuchlich ist. Vor und hinter Ihm waren viele Berittene, deren Obhut Er anvertraut zu sein schien. Als sich der Báb dem Stadttor näherte, grüßte Er ihn und sprach: „Ḥájí Mírzá Jání, Wir werden drei Nächte lang dein Gast sein. Bereite dich vor, Uns zu empfangen!“

Als er erwachte, überzeugte ihn die Lebendigkeit seines Traumerlebens von der Wirklichkeit seines Gesichts. Diese unerwartete Erscheinung ward in seinen Augen zu einer Mahnung der Vorsehung, die zu bewahren und zu befolgen er sich verpflichtet fühlte. Infolgedessen begann er, sein Haus für den Empfang des Besuchers vorzubereiten und alles zu beschaffen, was ihm für Seines Gastes Bequemlichkeit notwendig erschien. Kaum hatte er die notwendigen Vorbereitungen für das Festmahl beendet, das er am selben Abend dem Báb zu geben sich entschlossen hatte, so eilte Ḥájí Mírzá Jání nach dem Stadttor ‘Aṭṭár und wartete dort auf das Erscheinen des Báb. Als er zur genannten Stunde den Horizont absuchte, erspähte er in weiter Entfernung etwas, das ihm als ein Trupp Reiter erschien, der auf das Stadttor zuhielt. Wie er nun ihnen entgegen eilte, erkannte er den Báb, umgeben von Seiner berittenen Gefolgschaft, angetan mit denselben [Seite 54] Kleidern und von gleichem Ansehen, wie er Ihn in seinem Traum, die Nacht zuvor, geschaut hatte, Ḥájí Mírzá Jání ging Ihm freudig entgegen und wollte Seine Steigbügel küssen. Der Báb hielt ihn davon ab und sprach: „Wir kommen als Gast zu dir für drei Nächte. Morgen ist der Tag von Naw-Rúz; wir werden ihn zusammen in deinem Hause begehen!“ Muḥammad Big, der dicht neben dem Báb ritt, dachte, daß Er ein naher Freund von Ḥájí Mírzá Jání sei. Er wandte sich an diesen und sagte: „Ich bin bereit, mich in alles zu fügen, was immer der Wunsch des Siyyid-i-Báb ist. Ich bitte Euch jedoch, die Zustimmung meines Kameraden einzuholen, der sich mit mir in den Auftrag teilt, den Siyyid-i-Báb nach Ṭihrán zu bringen.“ Ḥájí Mírzá Jání brachte diesem seine Bitte vor, bekam jedoch eine glatte Absage. Er erhielt zur Antwort: „Ich lehne deinen Vorschlag ab, ich habe die strengste Anweisung, diesem jungen Mann nicht zu erlauben, in eine Stadt einzukehren, ehe wir in die Residenz gekommen sind. Es wurde mir ausdrücklich befohlen, die Nacht vor den Stadttoren zu verbringen, meinen Marsch mit Sonnenuntergang zu beenden und ihn anderen Tags bei Sonnenaufgang wieder aufzunehmen. Ich kann nicht von dem Befehl abweichen, der mir gegeben worden ist.“ Dies gab den Anlaß zu einer erregten Auseinandersetzung, die schließlich zu Gunsten von Muḥammad Big ausfiel, dem es gelang, seinen Gegner zu überreden, den Báb der Gastfreundschaft von Ḥájí Mírzá Jání anzuvertrauen mit der ausdrücklichen Weisung, daß er am dritten Morgen seinen Gast wohlbehalten in ihre Hut zurückgeben müsse. Ḥájí Mírzá Jání, der beabsichtigt hatte, die ganze Eskorte des Báb in sein Haus aufzunehmen, wurde von Ihm angewiesen, diesen Gedanken fallen zu lassen. „Keiner außer dir“, drang Er in ihn, „soll Mich in dein Haus begleiten.“ Ḥájí Mírzá Jání erbat sich die Erlaubnis, den dreitägigen Aufenthalt in Káshán für die Reiter bestreiten zu dürfen. „Es ist nicht nötig“, bemerkte der Báb; „außer Meinem Willen hätte sie nichts veranlassen können, Mich in euere Hand zu geben. Alle Dinge liegen gefangen in der Hand Seiner Macht. Nichts ist Ihm unmöglich. Er beseitigt alle Schwierigkeiten und nimmt jedes Hindernis hinweg!“ Die Reiter wurden in einer Karawanserei in nächster Nähe des Stadttores untergebracht. Muḥammad Big begleitete den Báb auf Dessen Weisung bis zum Hause des Ḥájí Mírzá Jání. Nachdem er sich die Lage des Hauses gemerkt hatte, kehrte er zu seinen Kameraden zurück.

Die Stunde der Ankunft des Báb in Káshán fiel auf den Abend des dritten Naw-Rúz nach der Erklärung Seiner Mission, der dem 2. Tag des Monats Rabí‘u’th-Thání im Jahre 1263 d. H.1) entspricht. An eben diesem Abend wurde Siyyid Ḥusayn-i-Jazdí, der schon früher im Einvernehmen mit dem Báb nach Káshán gereist war, in das Haus von Ḥájí Mírzá Jání eingeladen und zu seinem Meister geführt. Der Báb diktierte ihm gerade ein Tablet zu Ehren Seines Gastgebers, als ein Freund des letzteren, ein gewisser Siyyid ‘Abdu’l-Báqí, in Káshán als Gelehrter bekannt, eintraf. Der Báb bat ihn, einzutreten, gestattete ihm die Verse, die Er offenbarte, mitanzuhören, gab Sich ihm aber nicht zu erkennen. In den Schlußzeilen des Tablets, das Er an Ḥájí Mírzá Jání richtete, betete Er für ihn und flehte zu dem Allmächtigen, sein Herz zu erleuchten mit dem Lichte göttlicher Erkenntnis und seine Zunge zu lösen für den Dienst und die Verkündigung Seiner Sache. Obgleich Ḥájí Mírzá Jání ungelehrt und ungeschult war, vermochte er, kraft dieses Gebets, mit seiner Sprache selbst den hochgelehrtesten Geistlichen Káshán’s zu beeindrucken. Es wurde ihm eine solche Macht geschenkt, daß er fähig war, jeden müßigen Herausforderer der Lehren seines Glaubens zum Schweigen zu bringen. Sogar der hochmütige und anmaßende Mullá Ja‘fari-Naráqí war trotz seiner vollendeten Redefertigkeit nicht imstande, sich der Macht seiner Argumente zu widersetzen und mußte öffentlich die Verdienste der Sache seines Gegners anerkennen, so sehr er auch im Herzen es ablehnte, an ihre Wahrheit zu glauben.

Siyyid 'Abdu’l-Báqí saß da und lauschte den Worten des Báb. Er vernahm Seine Stimme, schaute auf Seine Bewegungen, sah Seinen Gesichtsausdruck und merkte sich die Worte, die unaufhörlich von Seinen Lippen flossen und blieb dennoch unberührt von ihrer Erhabenheit und Kraft. Verhüllt in den Schleiern seiner eitlen Einbildung und Gelehrsamkeit, war er außerstande, den Sinn [Seite 55] der Äußerungen des Báb zu begreifen. Er bemühte sich nicht einmal nach dem Namen und der Art des Gastes zu fragen, dem er zugeführt worden war. Unberührt von dem Gehörten und Gesehenen, verabschiedete er sich, ohne die einmalige Gelegenheit wahrzunehmen, die er durch seine Teilnahmslosigkeit sich unwiederbringlich verscherzt hatte. Einige Tage später, als er den Namen des Jünglings erfuhr, den er mit so achtloser Gleichgültigkeit behandelt hatte, war er von Kummer und Selbstvorwürfen erfüllt. Doch, es war zu spät für ihn, Seine Gegenwart zu suchen, um sich seines Verhaltens wegen zu entschuldigen, denn der Báb war bereits von Káshán weitergereist. Voll Gram verzichtete er auf die Gesellschaft seiner Mitmenschen und lebte bis zum Ende seiner Tage in strengster Zurückgezogenheit.

Unter denen, die dem Báb im Hause von Ḥájí Mírzá Jání zu begegnen den Vorzug hatten, war ein Mann namens Mihdí, der das Schicksal hatte, später, im Jahre 1268 d. H.2), in Ṭihrán den Märtyrertod zu sterben. Er und einige andere wurden während dieser drei Tage von Ḥájí Mírzá Jání herzlich bewirtet, dessen Gastfreundschaft ihm das Lob und die Empfehlung seines Meisters eintrug. Auch gegen die Eskorte des Báb übte er dieselbe liebevolle Güte, und durch seine Freigebigkeit und die Anmut seines Wesens gewann er deren dauernde Dankbarkeit. Am Morgen des 2. Tages nach Naw-Rúz lieferte er den Gefangenen, seinem Versprechen getreu, in ihre Hände und mit von Jammer überströmendem Herzen nahm er einen letzten und rührenden Abschied von Ihm.

(Fortsetzung folgt)


1) 1847 n. Chr.

2) 1851/52 n. Chr.



Zwei heilige Grabstätten[Bearbeiten]

Von Dr. Adelbert Mühlschlegel

Mitten in Jerusalem, der vielbesungenen Stadt der Christenheit, ragt die Heilige Grabkiche, ein uralter, ehrwürdiger Bau.

Trittst du in sie ein, so umfängt dich in hoher Kuppelwölbung ein weihrauchgetränktes, mystisches Dunkel, worinnen Gold und geweihte Lampen funkeln. In der Mitte dieser Halle siehst du einen steinernen Bau, unter welchem Christi Leib begraben sein soll. Ein schmaler Zugang führt in das Innere an einen Stein, der das Ziel frommer Anbetung ist. Viele gläubige Christen zwängen sich zu ihm hinein, um dort einige Augenblicke in Andacht zu verweilen. Seitlich von der Mittelhalle aber zweigen einige kleinere Kirchenschiffe ab, für jede christliche Konfession ein anderes. Sonntags halten sie oft gleichzeitig Gottesdienst. Da kannst du hören, wie sich Worte und Töne vermengen und stören, Worte, die einstens verkündet wurden, um die Menschen zu verbrüdern, um ihnen den Frieden auf Erden zu bringen. An der Türe stehen mohammedanische Polizisten, um dafür zu sorgen, daß Ordnung herrscht und daß sich die verschiedenen Konfessionen nicht streiten oder gar tätlich werden, wie es auch schon vorgekommen sein soll. Und wendest du dann diesem alten Andachtsraum den Rücken und trittst du, geblendet von der grellen Sonne, hinaus in die lärmende Stadt, so gerätst du zunächst in eine Schar von Händlern, die dort vor der Kirche ihre Buden aufgeschlagen haben und dir religiöse Artikel aufdrängen wollen.

Den gläubigen Christen müssen diese Gegensätze erschüttern und zu tieferem Nachdenken zwingen. Ist dies alles nicht wie ein großes Sinnbild der religiösen Lage nicht nur des Christentums, sondern aller Religionen auf der Welt? In dem festen, ehrwürdigen Bau der alten Traditionen begraben, in das Dunkel rätselvoller Mystik gehüllt, geschmückt mit dem Golde menschlicher Zutaten, ruht das Lebendige, der Offenbarungsort des Wortes, unter der Erde vergraben. Die Menschen streiten sich um den Zugang zu ihm. Und, weil sie sich streiten, entfernen sie sich der Wahrheit immer mehr, brauchen sie Teilkirchen und Kirchenteile für ihre Teilwahrheiten. Die Religion, anstatt ein lebendiger, ungetrübter Quell der Kraft und Weisheit für den Staat in seinen Fragen und Nöten zu sein, bedarf im Gegenteil der Hilfe seines Armes, ja seiner Waffengewalt, um [Seite 56] ihre Würde und Ordnung zu behaupten. Das Ewige, Persönlichste aber wird in vermenschlichter Aufmachung als käufliche Ware auf der Straße verkitscht und verschachert.

Wo ist da ein Lichtblick, wo ein Weg empor? Bedarf es da nicht, um solche Zustände auf der ganzen Welt zu heilen, eines Mannes, der nicht nur irgendwo im Endlichen den Hebel ansetzt, etwa an einer alten Religion reformiert, oder von einer Nation ausgeht, sondern der eine unbedingte und unbeschränkte göttliche Vollmacht besitzt, kurz, der ein Gottgesandter ist? Der, weil er ein Gottgesandter ist, und Gott nur Einer und die Wahrheit nur Eine sein können, auch den früheren Gottgesandten und Wahrheitsverkündern nicht widerspricht, sondern sie bestätigt und erfüllt? Der aber eben deshalb klar das kirchliche Beiwerk, das die Menschen in Religionen, Konfessionen und Sekten aufgespalten hat und darin erstarren ließ, von der ewigen, zeitlosen Wahrheit scheidet, und eine neue, unverfälschte Offenbarung niederlegt, die zur ganzen Menschheit spricht und die ganze Menschheit einigt?

Wir Bahá’í wissen, daß ein solcher Gottgesandter unlängst schon über diese Erde gegangen ist und diese welthistorische Sendung vollbracht hat. Wir wissen auch, wo Bahá’u’lláh Seine irdische Bahn beschlossen hat und wo Seine irdische Hülle zur Ruhe gebettet ist.

Bahjí — ein köstliches Stück Erde. Fernab vom Geschrei und Gefälsche der Stadt, fernab von den Blicken der Neugierigen ragt aus dem grünen Saum herrlicher Gärten der edle Bau, einfach und docj achtunggebietend wie ein Herrschersitz, festgefügt und doch zierlich im Kranze seiner Säulenreihe, unsagbar ruhig zwischen Himmel und Erde und doch erfüllt und durchpulst von einer Kraft, die mächtiger ist als Zeit und Raum. Wenn wir uns diesem Heiligtum nähern, erfaßt von der Weihe der Stunde, die Sehnsucht nach geistiger Begegnung im Herzen und nicht abgelenkt durch die duftenden Arme der erdentwachsenen Zweige und Blüten des Gartens, gelangen wir nächst dem Palaste zu dem Mausoleum. Wir lassen unsere Schuhe vor dieser Stätte und mit ihnen alles, was uns seither mit der Erde verband, was vom Staube noch an uns haftet. Die Gärtner reichen uns Rosenwasser. So treten wir in den lichten, hochgewölbten Raum. Um duftende Blumen und Ziersträucher, die hier aus der Erde sprießen, sind kostbare Teppiche gelegt. Hinter der geweihten Schwelle ist der letzte heiligste Ort, unter welchem der Körper Bahá’u’lláh’s ruht.

Der Geist, der diesen Raum durchdringt, ist unbeschreiblich machtvoll. Kein Pilger kann sich ihm verschließen und seine suchende Seele kann sich an dieser Stätte zu einem Grade der Loslösung aufschwingen, wie er sie anderswo nicht so leicht erreicht. Die Welt mit ihren Nichtigkeiten versinkt dort draußen weit vor der Türe. Das Herz in der Brust aber, „die Schatzkammer des Freundes“, öffnet sich jubelnd, um den hier waltenden Geist in sich aufzunehmen, mit dem die Seele, hier allein und frei, innerste erschütternde Zwiesprache hält.

Als ein Neuer trittst du dann wieder in die Welt hinaus, geklärt, gestärkt und tatenfroh.




Ein Weltglaube[Bearbeiten]

Studien in den Lehren Bahá’u’lláh’s

II. Die Fortdauer der Religion

Von Stanwood Cobb1)

Religiöse Frömmelei und Vorurteile tragen die Hauptschuld, daß die Religionen mehr als geschichtliche statt als weiterlebende Ereignisse angesehen werden. Die Anhänger jeder großen Weltreligion neigen dazu, die Offenbarung ihres Glaubens und die um ihn [Seite 57] herum geschaffenen Einrichtungen als einzigartig in der Geschichte unseres Planeten zu halten, und leugnen so folgerichtig die Echtheit anderer Weltreligionen. Daher entstand bittere Feindschaft zwischen den Religionen, die einen Anspruch auf solch ein Monopol erhoben.

Wenn wir jedoch die Religion unter einem wissenschaftlichen Gesichtspunkt betrachten, daß sie nämlich ein lebendiger Vorgang in der Entwicklung der Menschheit ist, so sind wir fähig, nicht nur mit Duldsamkeit, sondern sogar mit Zuneigung auf andere Religionen als unsere eigene zu sehen. Wo immer eine aufrichtige geistige Kraft im Leben eines Volkes wirksam ist, sehen wir darin eine Religion, die wir achten sollten. Wenn jedoch die religiöse Ausdrucksform zu einer äußerlichen Einrichtung herabsinkt, bei uns oder bei andern, so mögen wir darin erkennen, daß die Religion fürderhin nicht mehr in der Lage ist, ihre normale Aufgabe zu erfüllen.

Die Aufgabe der Religion ist: erstens, die Menschheit gottbewust zu machen; zweitens, die Menschheit dem Göttlichen Willen gehorsam zu machen (dies schließt heute die Einigung der Menschheit in sich); und drittens, jedem menschlichen Wesen verständlich zu machen, wie es des Gebetes und der Führung teilhaftig werden und daraus die unschätzbaren Vorrechte, die dem Menschen von der Göttlichen Macht durch Gemeinschaft und Hilfsbereitschaft dargeboten werden, sich zu Nutzen machen kann.


II.

Religionen werden nicht zufällig ins Leben gerufen. Keine große geschichtliche Epoche und kein Teil der Erde sind vom Schicksal der Gelegenheit beraubt gewesen, die kostbaren Schätze wahrer Religion zu erwerben. Die geistige Entwicklung der menschlichen Rasse ist genau so ein Teil des majestätischen Planes des Schöpfers wie es die Entwicklung der Sonnensysteme ist. Verspürten die Herzen und das Bewußtsein der Menschheit nicht diese belehrende, aufrüttelnde und eingebungsvolle Macht der Religion, so würden die Menschen moralisch auf einer Stufe mit den Tieren bleiben. Mit andern Worten, sie wären unmoralisch ohne das geläuterte Bewußtsein, das der geistige Mensch besitzt. Sie wären Geschöpfe, ganz ihren plötzlichen Neigungen und ihrem Instinkt unterworfen, nur dem Herdentrieb folgend, den sie als das einzige Gesetz außer sich erkennen würden, dem sie zu gehorchen hätten.

Die Religion bringt dem Menschen ein neues Bewußtsein, unterweist ihn in den höheren Lebensgesetzen, die Eintracht, Glück und Wohlstand nach sich ziehen in individuellem und kollektivem Sinn. Durch die Religion ist der Mensch imstande, über sich hinauszuschreiten, höher zu steigen, als seine biologisch ihm anhaftenden tierischen Eigenschaften ihm gestatten würden. Durch die Religion ist er in der Lage, alle diese tierischen Eigenschaften zu veredeln — Eigenschaften, die in ihrer eigenen Ebene vollkommen zu Recht bestehen, die aber der Entwicklung einer allumfassenden und harmonischen menschlichen Gesellschaft hinderlich sind.

Durch die Religion wird der Mensch seiner geistigen Entwicklungsmöglichkeiten gewahr. Er lernt, daß seine Seele sich im Reiche des Geistes bewegen kann und nicht durch all die schweren Bürden der Fleischlichkeit niedergedrückt und dahingeschleift zu werden braucht. Wie ein kleines Kind, das gehen lernt, so beginnt er auch in sich Kräfte zu spüren, welche er in die Tat umsetzen kann. Gerade dadurch, daß er Glauben, Gebet und geistige Führung anwendet, wird er mehr und mehr geübt und wächst täglich näher hinein in die volle Stufe des geistigen Menschen, zu der er bestimmt ist.

Kann jemand leugnen, daß dies der Zweck und die Wirkungen der Religion sind? Jedes unbeeinflußte wissenschaftliche Studium der Religionsgeshichte als moralische, soziale und geistige Kraft im Leben der Menschheit wird das vorhergehend Gesagte belegen können.


III.

Was ist aber der Ursprung der Religion? Damit kommen wir zu einer viel besprochenen Frage. Die Begründer der großen Weltreligionen sagen uns, daß die Wahrheit, die [Seite 58] sie lehren, ihnen aus der göttlichen Quelle selbst geoffenbart wurde, daß sie nur Kanäle der göttlichen Unterweisung und Macht sind, die durch sie strömt, und daß ihr Wort in der Tat das Wort Gottes ist.

Das ist der Anspruch aller großen Gottesoffenbarer. Die Stellungnahme der Wissenschaft aber während des letzten Jahrhunderts war eine Herabsetzung solch übermenschlicher Ansprüche. Vom wissenschaftlichen Gesichtspunkt aus scheint es aussichtslos zu sein, die Ansprüche der Offenbarung sachlich zu prüfen. Der wissenschaftliche Verstand kann alles in der Welt der wahrnehmbaren Erscheinungen erforschen, aber er ist unfähig, die Absicht und die Wege Gottes zu erforschen. Dieser Bereich ist für eine Annäherung von der Wissenschaft her deutlich abgeriegelt. Es gibt nur einen Standpunkt, von dem aus die Ansprüche der Offenbarung erforscht, abgeschätzt und bestätigt werden können. Dieser Standpunkt ist die wirkliche religiöse Betätigung.

Wenn wir die Kraft studieren, die jeder großen Weltreligion innewohnt, — eine bestimmte und einzigartige Kraft, eine Kraft, deren Quellen zwar jenseits unserer Erforschung liegen mögen, welche aber in ihrem Wirken und Erfolg klar im Felde wissenschaftlicher Forschung liegt — was finden wir da? Die Geschichte zeigt, daß jede große Religion in den Tagen ihrer Reinheit — d.h. ehe starre Einrichtungen und menschliche Dogmen ihr verderbliches Wesen begannen — eine ungeheure Kraft auf die Lebensführung und den Charakter des Menschen ausübt, eine Kraft, die ohnegleichen ist in der Geschichte der menschlichen Sitten durch ihr Mitreißen, ihre wunderbare Macht, den Charakter zu wandeln, und ihre Fähigkeit, jedem einzelnen Anhänger Hilfen zur Durchführung einer neuen Lebenskunst zu geben. Diese Kraft der Religion ist in der Tat geheimnisvoll, so geheimnisvoll, wie die Kraft der Elektrizität.

Können wir vernunftgemäß begreifen, daß solch eine Kraft aus einer Quelle strömen soll, nicht höher als der menschliche Geist? Sind diese Religionsgründer nur geistige Größen, in Sitten und geistiger Innenschau eben um einige Grade erhabener als ihre Zeitgenossen? Wenn es so ist, wie vermochten sie dann diese zauberhaften Wirkungen auf die menschliche Natur im Persönlichen und in der Gesamtheit auszuüben? Wirkungen, die nicht nur einen Tag, sondern Jahrtausende lang anhalten! Wirkungen, denen keiner der Begründer philosophischer Schulen, nicht einmal die größten unter ihnen, auch nur im mindesten fähig waren, nahe zu kommen.

Zweitens sollten wir einfach annehmen, daß die Begründer der großen Weltreligionen in ihren Offenbarungsansprüchen entweder wohldurchdachte Schwindeleien anwandten oder an Halluzinationen litten. Diese beiden Standpunkte sind schon eingenommen worden. Vor der religiösen Toleranz des 20. Jahrhunderts war es bei ernsten Anhängern des Christentums Brauch, die Gründer anderer Weltreligionen als Heuchler, Betrüger oder Sendlinge des Teufels anzuklagen. Die theologische Lehre von der Einzigartigkeit des Christentums gab den Anlaß zu dieser Meinung. Als aber der wissenschaftliche liberale Geist den Weg in die christliche Theologie fand, und Religionsgeschichte ohne die Vorurteile des Sektierertums studiert zu werden begann, wurde es der wissenschaftlichen geschichtlichen Beobachtung offenbar, daß solche Charaktere wie Konfuzius, Buddha, Zoroaster und Muḥammad keine überlegten Fälschungen begingen, als sie den Anspruch erhoben, die Sprachrohre göttlicher Verkündungen an die Menschheit zu sein. Sie waren zum mindesten aufrichtig, darüber kann kein Zweifel herrschen. Daher nun — in der Voraussetzung der Unmöglichkeit, diesen Anspruch der göttlichen Offenbarung zu beweisen — wurden gewisse materialistisch eingestellte Gelehrte der vergleichenden Religionsgeschichte, Außenseiter der Psychologie und andere Freidenker zu der Schlußfolgerung verführt, daß diese Beansprucher göttlicher Offenbarung unter Halluzinationen litten.

Hat die Wissenschaft in ihrer materialistischen Zweifelsucht sich hier nicht selbst in einen lächerlichen Zwiespalt gebracht? Jene Wesen, so rein und sündlos in ihrem Charakter, so edel in ihrem sich aufopfernden Leben, daß kein anderer Mensch je in dieselbe Stufe mit ihnen eingereiht werden kann, jene Wesen, die so erhabene Wahrheiten verkündeten, daß sie die Menschheit intuitiv als vollkommenes Vorbild für menschliches Betragen annahmen, jene [Seite 59] Wesen, von denen durch ihr musterhaftes Leben und ihre hohen Lehren eine Kraft ausging, die die Menschheit mehr als irgend eine andere Kraft beeinflußte — ist es möglich, daß diese großen Seelen nur Geisteskranke waren? Daß ihre Vorstellung von der Art ihrer Mission und die Quelle ihrer Weisheit nicht allein trüglich, sondern auch der Ausdruck seelisch kranker Naturen war? Wenn ich nun diese Offenbarer eines edlen Glaubens und Lebens vergleiche mit den Meinungen modern sein wollender Freidenker über sie, so kann ich nicht einsehen, wieso das Urteil nachdenklicher Menschen sich zu Gunsten der materialistischen Psychologen hinneigt.


IV.

Ist denn die Idee der Offenbarung so unmöglich vom wissenschaftlichen Standpunkt aus? Der Maler, der Dichter, der Komponist fühlen, daß ihre Inspirationen aus einer Quelle kommen, die größer ist als sie selbst. Plato, der größte schöpferische Denker und Schriftsteller, den die Welt hervorbrachte, hatte eine ganz bestimmte Lehre, woher seine Inspirationen kamen. Der Künstler, stellt er fest, ist nur ein Kanal für Vorstellungen und Wahrheiten, die zu ihm aus der Welt der Ideale gelangen. Die Seele des großen Künstlers ist fähig, in diese höhere urbildliche Welt, in der alles vollkommen schon da ist, einzutauchen und so die künstlerischen Offenbarungen, schöpferischen Ideen und Entdeckungen aus dem Reich der Wahrheit zur Erde zu bringen. Da Plato selbst solch ein gewaltiger schöpferischer Denker war, müssen wir schließlich seiner Theorie der wahren Natur der Inspiration und Schöpfung einige Bedeutung zuerkennen.

So mancher große Künstler, Denker und Erfinder seit den Tagen Platos hat gleicherweise über die Natur der Inspiration gefühlt. Ihre größten Werke betrachteten sie nicht so sehr als ein Erzeugnis ihres eigenen begrenzten Geistes, sondern vielmehr als eine Ausstrahlung der Wahrheit oder Schönheit aus einer Welt außer ihnen durch die Feinfühligkeit ihres Wesens.

Wirklich, so verschieden von ihrem Schöpfer sind die größten Werke der schöpferischen Seele, daß er mit einem Gefühl der Ehrfurcht auf diese Schöpfungen blicken muß, die aus ihm hervorgingen, und sich ihrer in einem ganz unpersönlichen Verhältnis erfreut, wenn er von ihnen wie von einer gänzlich und wundersam außerhalb seiner eigenen Persönlichkeit stehenden Kraft Eingebungen empfängt.

Wenn es nun irgend einem schöpferischen Menschen möglich ist, aus einer geheimnisvollen Quelle außer ihm inspiriert zu werden, so ist es auch ganz gewiß möglich für die profetische Seele eines großen Welterlösers, ein Kanal zu werden für jene göttlichen Kräfte, die suchen, diesen Planeten auf eine höhere geistige Entwicklungsstufe zu leiten und zu treiben.

Diese Religionslehrer verkünden nicht nur eine Wahrheit, größer als sie sie selbst hervorbringen könnten, sondern sie sind schon für eine solche Aufgabe vorherbestimmt in die Welt geboren. Ihre Stufe ist höher als die gewöhnlicher Sterblicher, wie ja auch der Rang des Gesandten eines großen Kaiser unvergleichlich ist, in welchem Land er auch seinen amtlichen Wohnsitz haben mag. „Sie sind die Schatzkammer göttlicher Erkenntnis und die Verwahrungsorte himmlischer Weisheit. Durch sie ist eine Gnade herabgekommen, die niemals vergehen kann2).“


V.

Diese großen Gottgesandten sind ein wesentlicher Bestandteil des göttlichen Planes für die Entwicklung der Menschheit. Die biologische Entwicklung ist so weit vorangeschritten als notwendig war, den „homo sapiens“ hervorzubringen, den Menschen mit der Fähigkeit des Denkens. Die weitere Entwicklung des Menschen zur Entfaltung seiner schöpferischen Intelligenz und seines geistigen Fortschritts hängt von Kräften aus einer höheren Ebene ab. Die Religion ist diese unbedingt wesentliche Kraft zur geistigen Entwicklung des Menschen, zur Erweckung und Schulung möglicher Eigenschaften, die anders nie zu tätigem Ausdruck kommen würden.

Die Entwicklung hört nun auf, ein Etwas zu sein, das am Menschen ohne dessen eigene bewußte Mitarbeit wirkt. Der Mensch kann einen Fortschritt über das primitive Menschentum hinaus nur noch durch freiwillige, [Seite 60] bewußte Anstrengung machen. „Um diesen Ansporn zu höherer geistiger Selbstentwicklung der Menschheit zu wecken und zu unterstützen, dazu erschienen diese großen Lehrer auf der Erde. Ohne den geistigen Einfluß ihrer Lehren und dem kraftvollen Antrieb zu geistigem Fortschritt, die sie dem Menschen durch eine gewaltige Ausgießung jener kosmischen, geistigen, schöpferischen Kraft verleihen, die der Heilige Geist genannt worden ist, würde der Mensch auf der moralischen und geistigen Stufe des Tieres bleiben.

„Die weitere Entwicklung, wenn sie stattfindet“, sagt P. D. Ouspensky in seinem „Tertium Organum“, „kann nicht eine elementare und unbewußte Sache sein, sondern wird allein das Ergebnis von bewußtem Bemühen um das Wachstum sein. Ein Mensch, der nicht nach Entwicklung strebt, seiner Möglichkeit nicht bewußt ist, ihr nicht hilft, wird sich nicht entwickeln. Und das Individuum, das nicht in der Entwicklung begriffen ist, wird nicht dauernd auf seiner erlangten Stufe bleiben, sondern geht zu Grunde, degeneriert. Das ist das allgemein gültige Gesetz.“


VI.

Ein wichtiger Punkt, der hier noch zu betrachten ist, ist der, daß die religiösen Offenbarungen nicht zufällig erscheinen. Sie sind Teile eines fortlaufenden Planes für die geistige Entwicklung der Menschheit. Sie sind eine besondere Verbindung und Sendung jener großen schöpferischen und leitenden Kraft des Alls, die wir Gott nennen, und sie werden geoffenbart durch vergeistigte Wesen, die besondere Kanäle für die Flut dieser schöpferischen Kraft sind.

Die Menschheit ist, gleich einer elektrischen Batterie, die entladen wurde, in die Notwendigkeit versetzt, frische geistige Energien zu bestimmten Zeiten zu erhalten. Zum Glück für die geistige Entwicklung der Menschheit ist jedesmal zu dem Zeitpunkt, als eine Religion erschöpft war, eine neue Religion geheimnisvoll erschienen — eine Religion voller Lebenshoffnung und Verheißungen und geladen mit der Kraft, das Leben der ihrer Teilhaftigen umzuformen und zu erneuern.

„In ihrem Wesen sind alle diese Religionen eins. Geistige Wahrheit kann in der Tat nicht verschieden und widersprechend sein. Die Ziele aller großen Propheten waren eines: die menschlichen Wesen in das göttliche Bewußtsein zu bringen, ihre geistige Entwicklung vorwärts zu treiben und bessere Zustände im Leben untereinander zu erzielen.

Es kann den großen Religionsstiftern auch nicht zugemutet werden, daß bei ihnen untereinander Feindschaft in irgend einer Art und Weise herrsche. Ihr Zweck ist einer. Ihre Ergebenheit gegenüber der Gottheit ist eine. Es kann keine Möglichkeit der Rivalität zwischen diesen großen Seelen bestehen, deren erstes Erfordernis die Selbstverleugnung ist, deren Worte und Taten durch göttliche Eingebungen geleitet werden und deren Leben zu keinem andern Zweck dienen, als die Gottheit dem Menschen widerzuspiegeln3).“

Von diesem Gesichtspunkt aus wird erkannt werden, daß keine Religion die letzte ist. So wie die Menschheit sich entwickelt, erlangt sie die Fähigkeit für neue und höhere Offenbarungen. Im selben Maß, wie ihre Fähigkeit, alles mit dem Verstand zu begreifen ständig zunimmt, nimmt ihr Vermögen, ein geistiges Leben zu führen periodisch ab (wie bereits gesagt wurde), und dies macht ein regelmäßiges und bestimmtes Wiedererscheinen einer geistigen Offenbarung notwendig.

Jeder Gründer einer großen Religion gibt seinen Anhängern diesbezügliche Mahnungen. Er spricht von einer Wiederkehr und ermahnt sie, wachsam und bereit für die Wahrheit zu sein, wenn sie wiederkehrt, da sie wiederkehren muß, wenn durch Kirchentum und die natürlichen fleischlichen Neigungen der Menschen die allmähliche Erstarrung und Verkümmerung der bestehenden Religion um sich gegriffen hat.


VII.

Es ist heutzutage klar geworden, daß die Religion in der ganzen Welt dringend der Erneuerung bedarf. Das geistige Bewußtsein der Menschheit ist verfinstert. Das ist so nicht nur beim Christentum, sondern auch bei jeder andern großen Weltreligion — Konfuzianismus, [Seite 61] Buddhismus, Zoroastertum, Judentum und Islám. Gleichzeitig mit dem gewöhnlichen Rückgang religiösen Zwanges und mit der Verdunkelung des geistigen Bewußtseins des Menschen entsprechend der Betonung wissenschaftlicher Intelligenz sehen wir ein rasch zunehmendes Chaos und einen bedrohlichen Verfall der Zivilisation in der Welt um sich greifen.

Es ist klar genug, daß die Zeit reif ist für eine Erneuerung des geistigen Bewußtseins des Menschen; diese Erneuerung aber ist der Welt schon gebracht in der Offenbarung Bahá’u’lláh’s. Hier finden wir nicht nur eine Erneuerung all der geistigen Schönheit und dynamischen Kraft früherer Offenbarungen, sondern auch Verkündigungen, die den fortgeschrittenen Bedürfnissen dieses Tages besonders angepaßt sind. Wir haben nicht nur allgemeine moralische Gesetze, sondern auch ihre bestimmte Anwendung für das persönliche und gesellschaftliche Leben. Wir haben eine umfassende Sammlung von Grundsätzen, welche die Errichtung einer großen Weltordnung und eine große Weltzivilisation von einer Vollkommenheit festlegen, wie sie Vergangenheit schwerlich auch nur zu träumen erhoffte.


VIII.

Von allen Lehren Bahá’u’lláh’s ist vielleicht keine so nötig wie die bestimmte Erklärung, die Er über die Fortdauer der Religion gibt. Wie wir zu Anfang dieser Abhandlung ausführten, war gerade der Mangel eines solchen Wissens um die Erneuerung die Ursache der Erstarrung des religiösen Denkens und Ausdrucks und des Abgleitens in religiöse Gegnerschaften und Feindseligkeiten, die von der Göttlichen Macht nie beabsichtigt waren, aus deren großer Vorsehung für die Menschheit alle Religionen entstammen.

Bahá’u’lláh erklärt nicht nur, daß Seine Offenbarung eine Erneuerung der geistigen Wahrheit und Macht und notwendig wegen der Abnahme des geistigen Bewußtseins in der Welt ist, sondern daß geradeso wie andere Religionen verblaßt und zurückgegangen sind, auch die um Seine Sendung erschaffene religiöse Ausdrucksform ebenfalls im Laufe der Zeit zum Verfall bestimmt ist. So bereitet Er Seine Anhänger aufs bestimmteste vor und bewahrt sie vor den Gefahren der Bigotterie, der religiösen Selbstzufriedenheit und vor Blindheit für die richtigen und wohl erweislichen Ansprüche eines neuen Offenbarers, wenn Sein Tag erscheint.

Wie erfrischend ist dieser Anblick der Religion, der nun als Teil des normalen Ablaufs unseres planetarischen Lebens angesehen wird, so notwendig wiederkehrend wie die Jahreszeiten. In der Tat durchläuft jede Religion Wachstumsphasen, die den Jahreszeiten vergleichbar sind — ihre Frühlingszeit des Blühens und der Verjüngung, ihren Sommer des Wachstums, ihren Herbst reicher Früchte und ihren Winter der Erstarrung und des Niedergangs.

Und nun ist wieder eine geistige Frühlingszeit erschienen, und der Heilige Geist gießt seine Strahlen auf diesen Planeten aus mit einer Stärke, die alles zu rascherer Bewegung und erneuertem Wachstum aufrüttelt. Und wie in der Frühlingszeit alte Formen der Vegetation, die in ihrer Trockenheit und verdorrten Starre den Winter überdauerten, zerbrochen werden durch die treibende Kraft der Sonne und wunderbarem neuem Wachstum Platz machen, dessen Nahrung sie durch ihren eigenen Zerfall zubereiten helfen, so fallen auch heute überalterte Einrichtungen, und jede alte Form macht einer wunderbaren Neuheit Platz, welche, unvorbereiteten Seelen vielleicht störend, der Odem des Lebens und der Hoffnung denen ist, die über den gegenwärtigen Augenblick hinaussehen können.

„Wenn die Heilige Offenbarung Gottes, die die Sonne der Welt Seiner Schöpfung ist, auf die Welten des Geistes, der Gedanken und des Herzens scheint, dann bricht der geistige Frühling und neues Leben an; die Kraft der wunderbaren Frühlingszeit wird sichtbar, und wunderbare Segnungen kommen zum Vorschein. Und jetzt, in diesem göttlichen neuen Zeitalter, sieh, welche Entwicklung in der Welt der Seelen und Gedanken erlangt wurde, und es ist erst der Anfang seiner Dämmerung. In Bälde wirst du sehen, daß neue Wohltaten und göttliche Lehren diese dunkle Welt erleuchten und diese trüben Regionen in den Garten Eden verwandeln werden4).“

(Fortsetzung folgt)


1) Entnommen und ins Deutsche übertragen aus „World Order“, Oktober 1935, Bd. 1, Nr. 7, 5. 253 ff.

2) Buch „Iqán“.

3) „Security for a Failing World“ by St. Cobb.

4) „Beantwortete Fragen“ von 'Abdu'l-Bahá.

[Seite 62]



Die Geschichte des Islam[Bearbeiten]

(Schluß)

Von Zia M. Bagdadi


Die mohammedanischen Festtage sind folgende:

1. Der Freitag ist der Sabbath — ein Tag der Gebete.

2. Das Große Fest, auch das Fest El Adhá genannt, bedeutet das Fest des Opfers, weil an diesem Tage Schafe geopfert werden. Dieses Fest dauert vier Tage und beginnt am zehnten Tag des arabischen Monats Dhi’l-Ḥijjih, dem letzten Monat im Jahr. .

3. Das Kleine Fest, auch Fest Ramaḍán genannt, ist ein drei Tage währendes Fest. Es beginnt am ersten Tag des arabischen Monats Shavvál, gerade nach dem Ende des Fastenmonats Ramaḍán.

4. Der Geburtstag Muḥammad’s wird in den meisten mohammedanischen Ländern in gewisser Hinsicht wie der 4. Juli in Amerika gefeiert — mit Feuerwerk usw. Es ist dies der elfte Tag des arabischen Monats Rabí‘u’l. Er ist ein Tag des Gebets.

5. Der Tag ‘Ashura (der zehnte Tag) im Muḥarram ist der Gedenktag des Märtyrertods Ḥusayn’s. Dieser Tag jedoch wird nur von der schiitischen Sekte des Islám gefeiert.

Diese Geschichte des Islám wäre nicht vollständig, wenn der Leser nicht mit einigen Aussprüchen des Begründers des Islám bekannt gemacht würde, wie sie in Seinem Buch, dem Qur’án überliefert sind.

Zu dem Volke gewandt, das sich Gottes Propheten und Gesandten widersetzt, spricht Er: „O Not der Menschen! Kein Gesandter kommt zu ihnen, ohne daß sie ihn verlachen und verächtlich machen“, .... „wenn immer ein Gesandter zu euch kommt mit dem, was eure Seele nicht wünscht, weist ihr ihn hochmütig zurück, wobei ihr einige der Lüge bezichtigt und andere tötet“.

„Obgleich sie den Weg der Rechtschaffenheit sehen, schlagen sie ihn doch nicht ein. Aber wenn sie den Weg des Irrtums sehen, gehen sie diesen Weg, denn sie beschuldigen Unsere Zeichen der Fälschung und verfehlen den ersteren.“

„Sie haben Herzen, mit denen sie nicht verstehen, und sie haben Augen, mit denen sie nicht sehen.“ „Sie versuchen, das Licht Gottes mit ihren Mäulern auszulöschen, aber Gott will nichts anderes, als Sein Licht vollkommen machen, wenn auch die Ungetreuen diesem abgeneigt sind.“

„Er ist der Herr über alle Dinge.“

Über die Verfolgung Noahs sagt Er: „Und so oft eine Menschenmenge seines Volkes bei ihm vorbeikam, verlachte sie ihn; er aber sagte: ‚Wenn ihr uns jetzt auch verspottet, hernach aber werden wir euch verlachen und ihr werdet es sicherlich inne werden‘." Auf den spöttischen Einwurf seiner Feinde: „Siehe, Gott schloß mit uns ein Bündnis, daß wir nicht eher an einen Gesandten glauben sollten, bis er zu uns mit einem Brandopfer kommt, welches vom Feuer verzehrt wird“, erwiderte Er: „Bereits vor Mir sind zu euch Gesandte gekommen mit klaren Beweisen und mit dem Wunder, das ihr begehrt; warum habt ihr sie dennoch erschlagen, so ihr die Wahrheit sprechet?“

An die Juden und Christen gewandt, spricht Er: „O ihr, die ihr die Heiligen Schriften empfinget! Verwerft ihr Uns aus irgend einem andern Grunde als dem, daß Wir an Gott glauben oder wegen Unseres Glaubens an diese Offenbarung, die auf Uns herniedergesandt wurde, oder jene, die früher herabgesandt wurde, und ist aus diesem Grund allein die Mehrzahl von euch zu Übertretern geworden?“ „O Volk des Buches! (Christen und Juden) Warum verhüllt ihr die Wahrheit mit Nichtigkeit und verberget wissentlich, was wahr ist? Sprich, o Volk des Buches, warum versperrt ihr Gottes Pfad?“

Von den Heuchlern spricht Er: „Und wenn sie sich untereinander allein versammeln, so beißen sie sich in die Fingerspitzen aus Wut über dich, Sprich zu ihnen: ‚Sterbet in eurem Zorn; wahrlich Gott kennt das Innerste eures Busens‘.“ „Wehe jedem lügnerischen und gottlosen Menschen, der da hört die Verse, die ihm verlesen werden, und der doch stolz auf seinem Unglauben beharrt, als hätte er sie nicht vernommen; verkünde ihm eine qualvolle Strafe.“ Von den Theologen und ihren Schwächen sprechend, welche die ersten [Seite 63] sind, um Gottes Propheten und Gesandte mißzuverstehen, falsch darzustellen und zu verwerfen, sagt Er: „Unser Wort ist schwierig und verwickelt..., wahrlich Unsere Sache ist schwierig und verwickelt; niemand kann sie fassen außer einem Engel der Nähe, einem herabgesandten Propheten oder einem Diener, dessen Herz Gott zum Glauben gerüstet hat.“

Was die Ungerechten betrifft: „Und die unrecht tun, sollen bald inne werden, welche Behandlung ihnen widerfahren wird.“

Er wendet sich an die ganze Menschheit, wenn Er spricht: „O Menschen, ihr brauchet Gott, aber Gott ist sich selbst genügend...“ „Gottes ist der Osten und der Westen; deshalb, wohin ihr euch auch im Gebet wenden möget, da ist das Antlitz Gottes...“ „Euer Leben ist im Himmel und das, was für euch bestimmt ist, ebenso...“ „Rechtschaffenheit besteht nicht darin, euer Gesicht nach Osten oder Westen zu richten; rechtschaffen ist, wer an Gott glaubt und an den Jüngsten Tag.“ „Die Engel werden herabkommen und dienen denen, die da sagen: ‚der Herr ist unser Gott‘ und standhaft bleiben.“

Muḥammad schreibt folgendermaßen von Gott: „Gott ist das Licht der Himmel und der Erde... Das Auge begreift Ihn nicht, Er aber begreift das Auge. Er ist der Gnädige, der Weise... Da ist nichts, das Ihn nicht lobpreist... Er ist der Erste und der Letzte, der Offenbare und der Verborgene. Er tut, was immer Er will, und Er befiehlt, was immer Er wünscht... Wollte Gott die Menschen bestrafen um ihrer Missetat willen, Er würde auf Erden nichts Lebendiges übrig lassen, aber Er gewährt ihnen eine Frist bis zur festgesetzten Zeit... Wähnst du etwa, daß die Mehrzahl von ihnen (den Leugnern) hört oder versteht? Sie gleichen dem unvernünftigen Vieh, wahrlich, sie irren immer weiter ab vom wahren Pfad.“... „Gott wird aufheben und wird bestätigen, was Ihm gefällt, Ihm kommt die Urschrift des Buches zu.“

In bezug auf die aufrichtigen Wahrheitssucher heißt es: „Denen, welche sich um Uns bemühen, werden Wir auf Unsern Weg weisen.

Indem Er vom Kommen des Herrn spricht, sagt Er: „Die aber nicht an die Zeichen Gottes glauben und an Seine Begegnung, werden an Meiner Gnade verzweifeln und eine qualvolle Strafe erwartet sie... Lasse deshalb den, der hofft, seinem Herrn zu begegnen, rechtschaffene Werke tun... Er (Gott) befiehlt allen Dingen; Er offenbart Seine Zeichen deutlich, daß ihr dessen sicher sein möget, unserem Herrn zu begegnen.“

Die Geschichte des Islám ist zusammengefaßt in folgenden Worten 'Abdu’l-Bahá’s: „Muḥammad erschien zu einer Zeit, in der die Völker und Stämme Arabiens uneins und in einem dauernden Kriegszustand waren. Sie mordeten und plünderten gegenseitig und raubten einander Weiber und Kinder. Seine Heiligkeit Muḥammad einte diese wilden Stämme, schuf unter ihnen eine Grundlage der Gemeinschaft, so daß sie die Kriege gegeneinander völlig aufgaben und Gemeinwesen bildeten. Die Folge war, daß die arabischen Stämme das persische Joch abschüttelten und sich von der römischen Zwangsherrschaft frei machten. Sie gründeten ein unabhängiges Reich, das eine hohe Stufe der Zivilisation erreichte, Fortschritte in Kunst und Wissenschaft machte, und die Sarazenenherrschaft (das Reich der Araber Syriens, Palästinas und Nordafrikas) westlich bis nach Spanien und Andalusien ausdehnte und in der ganzen Welt berühmt wurde...“

„Eines der großen Religionssysteme der Welt ist der Muhammedanismus (Islám). Gegen 300 Millionen Menschen anerkennen ihn. Über 1000 Jahre lang herrschten Feindschaft und Streit zwischen Mohammedanern und Christen infolge von Mißverständnissen und geistiger Blindheit. Wenn die Vorurteile und Nachahmungen aufgegeben würden, so bestünde keine Feindschaft irgendwelcher Art zwischen ihnen, und 300 Millionen einander entgegenstehender religiöser Menschen würden die Welt der Menschheit durch ihre Einheit schmücken. Ich möchte nun eure Aufmerksamkeit auf einen höchst wichtigen Punkt lenken. Der ganze Islám betrachtet den Qur’án als das Wort Gottes. In diesem heiligen Buch sind klare, nicht überlieferte Texte enthalten, die folgendes besagen: Seine Heiligkeit Christus war das Wort Gottes, Er war der Geist Gottes, Jesus Christus kam in diese Welt durch den lebengebenden Odem des Heiligen Geistes; Maria, die Gnadenvolle, Seine Mutter war heilig und geheiligt. Ein ganzes Kapitel im Qur’án ist der [Seite 64]| Geschichte Jesu gewidmet. Es wird darin berichtet, daß Er in Seiner Jugendzeit Gott im Tempel von Jerusalem anbetete; daß zu Seinem Lebensunterhalt Manna vom Himmel herabkam und daß Er gleich nach Seiner Geburt Worte äußerte. Kurz, im Qur’án stehen Lobreden und Lobpreisungen über Christi, wie ihr sie im Evangelium nicht findet. Das Evangelium berichtet nicht, daß das Kind Jesus nach seiner Geburt sprach oder daß Gott für Ihn Nahrung vom Himmel herabkommen ließ; aber im Qur’án ist wiederholt festgestellt, daß Gott jeden Tag Manna zu Seiner Speise herabsandte. Es ist ferner bezeichnend und überzeugend zugleich, daß der erste Vorwurf, den Seine Heiligkeit Muḥammad seinen eigenen Anhängern machte, als Er Sein Werk und Seine Sendung verkündete, der war: ‚Warum habt ihr nicht an Jesus Christus geglaubt? Warum habt ihr das Evangelium nicht angenommen? Warum habt ihr nicht an Mose geglaubt? Warum befolgtet ihr nicht die Gebote des Alten Testamentes? Warum habt ihr die Propheten Israels nicht verstanden? Warum habt ihr nicht den Jüngern Christi geglaubt? Die erste Pflicht, die euch auferlegt ist, o Araber, ist, diese anzunehmen und ihnen zu glauben. Ihr müßt Mose als einen Propheten ansehen. Ihr müßt Jesu Christus als das Wort Gottes annehmen! Ihr müßt das Alte und das Neue Testament als das Wort Gottes erkennen! Ihr müßt an Jesus Christus als die Frucht des Heiligen Geistes glauben.‘

Sein Volk antwortete: ‚O Muḥammad! Wir wollen Gläubige werden, obgleich unsere Väter und Ahnen keine waren, und wir sind stolz auf sie. Sage uns, was wird aus ihnen werden?‘ Muḥammad erwiderte: ‚Wahrlich Ich sage euch, sie sitzen zu unterst in der Hölle, weil sie an Mose und Christus nicht glaubten und weil sie die Bibel verwarfen. Wenngleich sie auch Meine eigenen Ahnen sind, befinden sie sich dennoch verzweifelt in der Hölle.‘

Dies steht ausdrücklich im Qur’án geschrieben; es ist nicht eine Erzählung oder Überlieferung, sondern ist dem Qur’án selbst entnommen, der in den Händen des Volkes ist. Daher ist es klar, daß Unwissenheit und Mißverständnis so viel Krieg und Streit zwischen den Christen und Muhammedanern hervorgerufen haben. Wenn beide Teile die ihrem religiösen Glauben zugrundeliegende Wahrheit erforschen wollten, dann würde das Ergebnis Einigkeit und Übereinstimmung sein. Streit und Bitterkeit würden für immer verschwinden und die Welt der Menschheit fände Frieden und Ruhe.

Bedenket, daß es 350 Millionen Christen und 300 Millionen Muhammedaner gibt. Wieviel Blut ist in ihren Kriegen geflossen; wie viele Völker wurden vernichtet; wie viele Kinder haben den Vater verloren; wie viele Väter und Mütter beklagten den Verlust der Kinder und lieber Angehöriger! Das alles ging hervor aus Vorurteil, Mißverständnis und Nachahmungen überkommener Glaubensformen, ohne deren Wahrheit und Wirklichkeit zu erforschen. Wenn die Heiligen Bücher richtig verstanden worden wären, so würde nichts von diesem Zwiespalt und dieser Not aufgekommen sein, sondern Liebe und Gemeinschaft hätten dafür bestanden. Das gleiche gilt auch für alle anderen Religionen. Die Umstände, die ich anführe, können gleicherweise auf alle angewandt werden. Der wesentliche Sinn und Zweck der Religion Gottes ist, Einheit unter der Menschheit zu errichten. Die göttlichen Manifestationen waren die Begründer der Gemeinschaft und Liebe. Sie erschienen nicht, um Zwiespalt, Streit und Haß in der Welt zu schaffen. Die Religion Gottes ist die Ursache von Liebe; wenn sie aber zur Quelle von Feindschaft und Blutvergießen gemacht wird, dann ist wahrlich ihr Nichtsein dem Bestehen einer solchen Religion vorzuziehen, denn dann wird sie satanisch, schädlich und der menschlichen Welt ein Hindernis.“


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Bahá’u’lláh

Verborgene Worte.. Worte der Weisheit und Gebete. Geschrieben während seiner Verbannung in Bagdad 1857/58 . . . kart. —.80

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Buch der Gewißheit oder Kitábu’l-Iqán. Eine Auseinandersetzung mit theologischen Fragen verschiedener Religionen, geschrieben in Bagdad um 1862. Ist fortsetzungsweise in den beiden Jahrgängen X und XI unserer Zeitschrift „Sonne der Wahrheit“ enthalten.

Jahrgang gebunden je 3.--


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Ansprachen in Paris. ‘Abdu’l-Bahá spricht hier über zahlreiche Fragen, nach deren Klärung die Völker der Erde suchen.

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Sendschreiben an die Haager Friedenskonferenz 1919 . . . . . -.20

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Die Weltreligion Kurze Charakterisierung des Bahá’í-Glaubens. Shoghi Effendi . . . -.10


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Bahá’u’lláh und das neue Zeitalter. ein Lehrbuch von Dr. J. E. Esslemont. Ganzleinen 2.50

'Abdu'l-Bahá Abbas’ Leben und Lehren, von Myron H. Phelps. . . . . .gebunden 2.--

Die Bahá’i-Offenbarung, ein Lehrbuch von Thornton Chase. . . . . . . kart. 2.--

Am Morgen einer neuen Zeit. Untersuchung der geistigen Ursachen der Weltkrise und Beleuchtung der letzthin einzigen Möglichkeit ihrer Überwindung durch die Bahá’i-Lehre. Von Dr. Hermann Großmann . . . . . kart. 1.80

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Lebensgestaltung. Das Leben und ich. Das Leben und mein Nächster. Das Leben und Gott. Kursberichte der Eßlinger Bahá’í-Sommerwoche 1933 . . . -.30

Die Bahá’i-Weltanschauung. Eine kurze Einführung. Von Pauline Hartmann . . . . —.20

Das Hinscheiden 'Abdu'l-Bahás ("The Passing of 'Abdu'l-Bahá") . . . -.30

Sonne der Wahrheit. Bahá'i-Monatszeitschrift.

Jahrgang III - XI gebunden je 3.--
Jahrgang XII - XV gebunden je 6.--