Sonne der Wahrheit/Jahrgang 16/Heft 2/Text

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SONNE

DER WAHRHEIT
 
 
Organ der Bahá’í
in Deutschland und
Öesterreich
Heft 2 16. Jahrgang April 1936


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Die Bahá’í-Lehre,[Bearbeiten]

die Lehre Bahá’u’lláhs erkennt in der Religion die höchste und reinste Quelle allen sittlichen Lebens.

Die Ausdrucksformen des religiösen Lebens des Einzelnen, ganzer Völker und Kulturkreise haben im Laufe der Geschichte entsprechend den jeweils anderen Verhältnissen und dem Wachstum des menschlichen Erkenntnisvermögens Wandlungen erfahren. Die äußeren Gesetze und Gebote aller Weltreligionen entsprachen immer den entwicklungsgeschichtlich gegebenen Erfordernissen in bezug auf den Einzelnen, die soziale Ordnung und das Verhältnis zwischen den Völkern. Alle Religionen beruhen aber auf einer gemeinsamen, geistigen Grundlage. „Diese Grundlage muß notwendigerweise die Wahrheit sein und kann nur eine Einheit, nicht eine Mehrheit bilden.“ ('Abdu'l-Bahá.) „Die Sonne der Wahrheit ist das Wort Gottes, von dem die Erziehung der Menschen im Reich der Gedanken abhängig ist.“ (Bahá’u’lláh.) Alle großen Religionsstifter waren Verkünder des Wortes Gottes entsprechend der Fassungskraft und Entwicklungsstufe der Menschen. Das Wesen der Religion liegt darin, im Bewußtwerden der Abhängigkeit des Menschen von der Wirklichkeit Gottes Seine Offenbarer anzuerkennen und nach Seinen durch sie übermittelten Geboten zu leben.

Die Bahá’i-Lehre bestätigt und vertieft den unverfälschten und unwandelbaren Sinn und Gehalt aller Religionen von neuem und zeigt darüber hinaus die kommende Weltordnung auf, welche die geistige Einheit der Menschheit zur Voraussetzung haben wird. Die in ihr zum Ausdruck kommende Weltanschauung steht mit den Errungenschaften der Wissenschaft ausdrücklich in Einklang.

Die Lehre Bahá’u’lláhs enthält geistige Grundsätze und Richtlinien für eine harmonische Gesellschafts-, Staats- und Wirtschaftsordnung. Sie beruhen auf dem Gedanken der natürlich gewachsenen, organischen Einheit jedes Volkes und der das Völkische übergreifenden geistigen Einheit der Menschheit. Den Interessen der Volksgemeinschaft sind die Sonderinteressen des Einzelnen unterzuordnen, denn nur die Gesamtwohlfahrt verbürgt auch das Wohl des Einzelnen.

Wie jede Religion, so wendet sich auch die Bahá’i-Lehre an die Herzensgesinnung des Menschen, um die religiösen Kräfte in den Dienst wahren Menschentums zu stellen. Sie erstrebt die Höherentwicklung der Menschheit mehr durch die Selbsterziehung des Einzelnen als durch äußerlich-organisatorische Maßnahmen. Der Bahá’i hat sich daher über seine ernst aufgefaßten staatsbürgerlichen Pflichten hinaus nicht in die Politik einzumischen, sondern sich zum Träger der Ordnung und des Friedens im menschlichen Gemeinschaftsleben zu erheben. Bahá’u’lláhs Worte sind: „Es ist euch zur Pflicht gemacht, euch allen gerechten Regenten ergeben zu zeigen und jedem gerechten König eure Treue zu beweisen. Dienet den Herrschern der Welt mit der höchsten Wahrhaftigkeit und Treue. Zeiget ihnen Gehorsam und seid ihre wohlwollenden Freunde. Mischt euch nicht ohne ihre Erlaubnis und Zulassung in politische Dinge ein, denn Untreue gegenüber dem Herrscher ist Untreue gegenüber Gott selbst.“

Bahá’u’lláh weist den Weg zu einer befriedeten, im Geiste geeinigten Menschheit. Ein alle Staaten umfassender Bund in ihrer Eigenart entwickelter und unabhängiger Völker auf der Grundlage der Gleichberechtigung, ausgestattet mit völkerrechtlichen Vollmachten und Vollstreckungsgewalten gegenüber Friedensstörern, soll die übernationalen Interessen aller Völker der Erde in völliger Unparteilichkeit und höchster Verantwortung wahrnehmen. Zwischenstaatliche Konflikte sind durch einen von allen Staaten beschickten Weltschiedsgerichtshof auf friedlichem Wege beizulegen.

Die geistige Wesensgleichheit aller Menschen und Völker erheischt einen organischen Aufbau der sozialen Weltordnung, in der jedem seine einzigartige, besondere Eingliederung und Aufgabe zugewiesen ist. Die geographischen, biologischen und geschichtlichen Gegebenheiten bedürfen im Gemeinschaftsleben der Völker immer einer besonderen Beachtung, ohne die sie umschließende Einheit im Reiche des Geistes aus den Augen zu verlieren.

Die Lehre Bahá’u’lláhs „ist in ihrem Ursprung göttlich, in ihren Zielen allumfassend, in ihrem Ausblick weit, in ihrer Methode wissenschaftlich, in ihren Grundsätzen menschendienend und von kraftvollem Einfluß auf die Herzen und Gemüter der Menschen“.


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SONNE DER WAHRHEIT
Organ der Bahá’í in Deutschland und Österreich
Verantwortlich für die Herausgabe: Dr. Eugen Schmidt, Stuttgart-W, Reinsburgerstraße 198
Schriftleitung: Dr. Adelbert Mühlschlegel, Dr. Eugen Schmidt, Alice Schwarz-Solivo
Verwaltung: Paul Gollmer Begründet von Alice Schwarz-Solivo
Preis vierteljährlich 1.80 Reichsmark
Heft 2 Stuttgart, im April 1936
Jal’al — Ruhm 93
16. Jahrgang

Inhalt: Das Wesen der Seele. — Was ist Musik? — Nabíl’s Erzählung: Der Aufenthalt des Báb in Shíráz nach der Pilgerreise (9. Kapitel). — Über das Sprechen von Gott. — Die Quelle der Religion. — Die Geschichte des Islam.


Richte deine Seele zu Gott, so, daß sie wie eine Quelle wird, die das Wasser des Lebens den Durstigen ausströmt.

‘Abdu’l-Bahá1)

1) Aus „Göttliche Lebenskunst“, 4. Kapitel.



Das Wesen der Seele[Bearbeiten]

Worte von Bahá’u’lláh2)

2) Entnommen und ins Deutsche übertragen aus „World Order“, Bd. 1, Nr. 10, Januar 1936, S. 383 ff.


Du hast Mich über das Wesen der Seele befragt. Wisse, wahrlich, daß die Seele ein Zeichen Gottes ist, eine himmlische Blütenknospe, deren Wirklichkeit auch die Gelehrtesten unter den Menschen nicht erfaßt haben und deren Geheimnis zu enthüllen kein Geist, sei er auch noch so scharfsinnig, jemals hoffen kann. Ihr kommt es vor allen andern erschaffenen Dingen zu, die Erhabenheit ihres Schöpfers kund zu tun, Seine Herrlichkeit zu erkennen, an Seiner Wahrheit festzuhalten und sich in Anbetung vor Ihm zu neigen. Ist sie Gott treu, so wird sie Sein Licht widerspiegeln und dereinst zu Ihm zurückkehren. Läßt sie jedoch in ihrer Ergebenheit ihrem Schöpfer gegenüber nach, so wird sie ein Opfer der Selbstsucht und der Leidenschaft werden und schließlich tief hinabsinken.

Wer auch immer an diesem Tag nicht zuließ, daß die Zweifel und Einbildungen der Menschen ihn Dem abspenstig machten, der die Ewige Wahrheit ist, und nicht zugab, daß der Aufruhr, den die geistlichen und weltlichen Autoritäten heraufbeschworen haben, ihn daran hinderte, Seine Botschaft zu erkennen, den wird Gott, der Herr aller Menschen, als eines Seiner machtvollen Zeichen erachten und ihn zu jenen zählen, deren Namen durch die Feder des Höchsten in Seinem Buch eingeschrieben worden sind. Gesegnet ist der, der die wahre Größe und die geistige Stufe einer solchen Seele erkannt und ihre Tugenden wahrgenommen hat.

Vieles ist in alten Büchern geschrieben worden über die verschiedenen Zustände in der Entwicklung der Seele, wie z. B. Begierde, Jähzorn, Erleuchtung, Güte, Zufriedenheit, göttliches Wohlgefallen und dergl. mehr; die Feder des Höchsten aber ist nicht geneigt, hiebei zu verweilen. Jede Seele, die an diesem Tag demütig in Gott wandelt und Ihm anhängt, wird sich bekleidet finden mit der Ehre und dem Ruhm aller wünschenswerten Namen und Rangstufen.

Wenn der Mensch schläft, so kann seine Seele in keiner Weise durch etwas von außen her Kommendes wirklich berührt werden. [Seite 18] In ihrem Urzustand und ihrer Wesenheit ist sie nicht empfänglich für irgend eine Veränderung. Jede Wandlung in ihren Funktionen ist äußeren Ursachen zuzuschreiben und in diesen äußeren Einflüssen ist auch der Grund für irgend welche Veränderungen in ihrem Verstehen und Empfindungsvermögen zu suchen.

Betrachte das menschliche Auge. Obgleich es die Fähigkeit besitzt, alle erschaffenen Dinge wahrzunehmen, so reicht doch die geringste Störung hin, sein Sehvermögen so weit zu stören, daß es überhaupt nichts mehr zu erkennen vermag. Verherrlicht sei der Name Dessen, der da erschuf und die Ursache aller Ursachen ist und der da angeordnet hat, daß jegliche Veränderung und Wandlung in der Welt des Seins von Ihm abhängig sei. Jeglich erschaffen Ding im ganzen All ist nur ein Tor, das zu Seiner Weisheit führt, ein Zeichen Seiner Herrschaft, eine Offenbarung Seiner Namen, ein Sinnbild Seiner Erhabenheit, ein Wahrzeichen Seiner Macht, ein Mittel, auf Seinen geraden Pfad zu gelangen.

Wahrlich, Ich sage, die Seele des Menschen ist in ihrer Wesenheit eines der Zeichen Gottes, ein Geheimnis unter Seinen Geheimnissen. Sie ist eines der machtvollen Zeichen des Allmächtigen, der Vorbote, der von der Wirklichkeit aller Welten Gottes kündet. In ihr liegt verborgen, was zu erfassen die Welt jetzt noch völlig unfähig ist. Erwäge in deinem Herzen die Offenbarung der Seele Gottes, die all Seine Gesetze durchdringt, und stelle sie jenem niedrigen und triebhaften Wesen gegenüber, das sich gegen Ihn aufgelehnt hat, den Menschen verbietet, sich dem Herrn der Namen zuzuwenden und sie darin bestärkt, ihren Begierden und Schwachheiten nachzugehen. Solch eine Seele ist, wahrlich, weit gewandert auf dem Pfad des Irrtums....

Du hattest Mich überdies befragt über den Zustand der Seele nach ihrer Trennung vom Körper. Wisse wahrlich, daß, wenn die Seele des Menschen in den Pfaden Gottes gewandelt ist, sie sicherlich zurückkehren und zur Herrlichkeit des Geliebten versammelt werden wird. Bei der Gerechtigkeit Gottes! Sie wird eine Stufe erreichen, wie sie keine Feder zu beschreiben und keine Zunge auszusprechen vermag. Die Seele, die der Sache Gottes treu geblieben ist und unerschütterlich standhielt auf seinem Pfade, wird nach ihrem Aufstieg von einer solchen Kraft erfüllt sein, daß allen Welten, die der Allmächtige erschuf, durch sie Gutes widerfahren kann. Solch eine Seele wirkt auf das Geheiß des Himmlischen Königs und Göttlichen Erziehers mit an dem reinen Sauerteig, der die Welt des Seins durchdringt, und trägt bei zu der Kraft, durch welche die Künste und Wunder der Welt offenbar gemacht werden. Bedenke, wie sehr das Mehl des Sauerteigs bedarf, um von ihm gesäuert zu werden! Jene Seelen, die das Sinnbild der Loslösung darstellen, sind der Sauerteig der Erde. Denke darüber nach und geselle dich zu den Dankbaren!

In einigen Unserer Tablets haben Wir dieses Thema besprochen und haben die verschiedenen Stadien in der Entwicklung der Seele herausgeschält. Wahrlich, Ich sage, die Seele des Menschen ist erhaben über Ursprung und Rückkehr! Sie steht still und doch erhebt sie sich; sie ist in Bewegung und verharrt doch in Ruhe. Sie stellt in sich selbst einen Beweis dar, der Zeugnis ablegt sowohl vom Dasein einer Welt, die abhängig ist, als auch von der Wirklichkeit einer Welt, die weder Anfang noch Ende hat. Bedenke, wie ein Traum, den du gehabt hast, nach einer Reihe von vielen Jahren wieder vor deinen Augen ersteht! Überlege, wie seltsam das Geheimnis der Welt ist, die dir in deinem Traume erscheint! Erwäge in deinem Herzen die unergründliche Weisheit Gottes und denke nach über ihre mannigfachen Offenbarungen...

Bekenne die wunderbaren Zeugen von Gottes Werk und denke nach über ihre Stufe und ihre Wesensart! Er, der das Siegel der Propheten ist, hat gesagt: „Vergrößere mein Staunen und meine Bewunderung vor Dir, o Gott!“

Was deine Frage betrifft, in wieweit die physische Welt Beschränkungen unterworfen ist, so wisse, daß das Fassungsvermögen für diese Dinge vom Beobachter selbst abhängig ist. In einem Sinne ist sie beschränkt; in einem andern wieder ist sie erhaben über alle Begrenzungen. Der eine wahre Gott war von Anfang an und wird weiterhin immerwährend sein. Auch Seine Schöpfung hat keinen Anfang gehabt und wird kein Ende haben. Alles, was erschaffen ist, ist jedoch aus einer Ursache hervorgegangen. In dieser [Seite 19] Tatsache selbst liegt die Einheit des Schöpfers begründet und läßt auch nicht den Schatten eines Zweifels zu.

Du hattest Mich weiterhin befragt über die Art der himmlischen Sphären. Um ihre Natur verstehen zu können, wäre es nötig, auf die Bedeutung der Anspielungen einzugehen, die in den alten Büchern über die himmlischen Sphären und die Himmel gemacht worden sind und das Wesen ihrer Beziehung zu dieser physischen Welt und den Einfluß, den sie auf sie ausüben, zu enthüllen. Ein jeglich Herz ist erfüllt von Staunen über ein so verwirrendes Thema, und jeder Geist ist bestürzt über sein Geheimnis. Gott allein vermag seinen Sinn zu ergründen. Die Gelehrten, die das Leben dieser Erde auf mehrere tausend Jahre eingeschätzt haben, haben während der ganzen langen Zeit ihrer Beobachtung versäumt, entweder die Zahl oder das Alter der anderen Planeten mit einzubeziehen. Bedenke überdies die mannigfachen Abweichungen, die sich bei den Theorien, die diese Männer aufstellten, ergeben haben. So wisse denn, daß jeder Fixstern seine eigenen Planeten hat und jeder Planet seine eigenen Lebewesen, deren Zahl kein Mensch ermessen kann.

Denke einmal nach über die Fähigkeit der Vernunft, mit der Gott die Wesenheit des Menschen ausgestattet hat. Prüfe dein eigenes Selbst und siehe, wie deine Bewegung und deine Ruhe, dein Wille und deine Absicht, dein Gesicht und dein Gehör, dein Geruchsinn und dein Sprachvermögen und was auch immer damit in Verbindung steht oder noch darüber hinausgeht, deine körperlichen Sinne oder dein geistiges Fassungsvermögen, wie all dies aus ihr hervorgeht und sein Dasein ein und derselben Kraft verdankt. So eng steht dies alles in Beziehung zu ihr, daß, wenn diese Verbindung mit dem menschlichen Körper auch nur für weniger als einen Augenblick unterbrochen würde, jeder einzelne dieser Sinne seine Tätigkeit augenblicklich einstellen würde und die Fähigkeit verlöre, von seiner Tätigkeit Zeugnis abzulegen. Es ist über allen Zweifel klar und augenscheinlich, daß jedes dieser oben erwähnten Werkzeuge bezüglich seiner eigentlichen Tätigkeit abhängig war und immer abhängig bleiben wird von dieser Fähigkeit der Vernunft, die als ein Zeichen der Offenbarung Dessen, Der der erhabene Herr von allem ist, angesehen werden sollte. Durch ihre Offenbarung sind all diese Namen und Eigenschaften kund getan worden und mit der Aufhebung ihrer Tätigkeit werden sie alle zerstört und kommen um.

Es wäre vollkommen falsch, zu behaupten, daß diese Fähigkeit dieselbe wäre wie das Vermögen, zu sehen, und zwar insofern, als das Sehvermögen von ihr herkommt und sich in Abhängigkeit von ihr betätigt. Gleicherweise wäre es eitel, zu behaupten, daß diese Kraft dem Gehörsinn gleichgestellt werden könne, da ja der Gehörsinn von dieser Fähigkeit der Vernunft die erforderliche Energie zur Ausübung seiner Funktionen empfängt.

Diese selbe Verwandtschaft verbindet diese Fähigkeit mit allem, was da Empfänger dieser Namen und Eigenschaften im menschlichen Tempel war. Diese verschiedenen Namen und offenbarten Eigenschaften sind erzeugt worden durch die Vermittlung dieses Zeichens Gottes. Unermeßlich erhaben über alle derartigen Namen und Eigenschaften ist dies Zeichen in seinem Wesen und seiner Wirklichkeit...

Und ob du auch in deinem Herzen von nun an bis an das Ende, das kein Ende kennt, mit der konzentriertesten Klugheit und Vernunft, welche die größten Geister in der Vergangenheit erlangt haben oder in der Zukunft noch erreichen werden, nachdächtest über diese göttlich angeordnete und feine Wirklichkeit, dieses Zeichen der Offenbarung des all Ewigen, glorreichen Gottes, du würdest doch sein Geheimnis nicht verstehen und seine Kraft nicht ermessen. Und hast du erst einmal deine Unfähigkeit erkannt, jemals zu einem hinreichenden Verständnis jener Wirklichkeit, die in dir selbst liegt, zu gelangen, so wirst du auch gern zugeben, wie unzulänglich solche Versuche sind, die von dir oder irgend sonst einem erschaffenen Wesen unternommen werden mögen, das Geheimnis des Lebendigen Gottes, des Tagesgestirns unvergänglicher Herrlichkeit, des Ersten der immerwährenden Tage, zu ergründen. Dies Geständnis der Hilflosigkeit, zu dem schließlich jeder nach reiflicher Überlegung getrieben wird, bedeutet an und für sich den Gipfel menschlichen Verständnisses und bezeichnet den Höhepunkt der Entwicklung des Menschen.


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Was ist Musik?[Bearbeiten]

Worte von 'Abdu'l-Bahá1)


Musik ist von höchster Bedeutung.
Musik ist des Herzens eigene Sprache.
Ihre Schwingungen erheben den Geist;
sie ist sehr schön und eine große Kunst.


Musik ist eine der bedeutendsten Künste. Sie hat eine starke Wirkung auf den menschlichen Geist. Musikalische Melodien sind ein gewisses Etwas, das sich als Begleiterscheinung von ätherischen Schwingungen erweist, denn der Ton ist nichts als der Ausdruck von Schwingungen, welche beim Erreichen des Trommelfells die Gehörnerven beeinflussen. Musikalische Melodien sind deshalb jene besondere Wirkungen, die durch oder von Schwingungen hervorgerufen werden. Sie üben jedoch den stärksten Einfluß auf den Geist aus. In der Tat, wenngleich die Musik eine materielle Angelegenheit ist, so ist doch ihre gewaltige Wirkung eine geistige und verdankt sie ihre größte Zuneigung dem Reich des Geistes. Der Ton ist die Schwingung der Luft und gleicht den Wellen der See. Die Stimme wird durch die Lippen mit der Zunge hervorgebracht usw. Diese verursachen eine Welle in der Luft, und diese Welle erreicht den Nerv des Ohrs, welcher dadurch beeinflußt wird.

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Was ist Musik? Sie ist eine Verbindung harmonischer Töne. Was ist Dichtkunst? Sie ist eine ebenmäßige Zusammenfügung von Worten, weshalb diese uns durch Harmonie und Rhythmus ansprechen. Poesie ist viel wirkungsvoller und vollendeter als Prosa. Sie bewegt uns tiefer. Eine klangvolle Stimme, vereint mit schöner Musik, ruft eine große Wirkung hervor. Sie alle besitzen in sich eine Ordnung und sind auf Naturgesetzen aufgebaut, daher stimmen sie mit der Ordnung des Daseins überein wie etwas, das sich in das Bild der Natur einfügt. Wenn es sich so verhält, werden die Nerven hiervon beeinflußt, und diese üben eine Wirkung auf das Herz und den Geist aus. In der Welt des Daseins haben alle materiellen Dinge einen Zusammenhang mit geistigen Wirklichkeiten. So verbindet sich die Stimme selbst mit dem Geist und er kann dadurch emporgehoben werden. Kurz, eine musikalische Melodie spielt eine wichtige Rolle in der Vereinigung entweder von äußeren und inneren Merkmalen oder von Fähigkeiten des Menschen, denn sie ist der Eingeber oder die bewegende Kraft sowohl materieller als auch geistiger Empfänglickeiten... Wenn der Mensch sich an die Liebe Gottes hält, hat die Musik eine große Wirkung auf ihn... Die Kunst der Musik ist göttlich und wirkungsvoll. Sie ist die Nahrung der Seele und des Geistes.


1) Entnommen und ins Deutsche übertragen aus „The Bahá’í Magazine“, Bd. 25, Nr. 12, März 1935, S. 379.



Nabíl’s Erzählung[Bearbeiten]

Übersetzung aus „The Dawn-Breakers“, Nabíl’s Narrative of the early days of the Bahá’í Revelation, New York 1932


Aus Kapitel IX: Der Aufenthalt des Báb in Shíráz nach Seiner Pilgerreise


Ein anderer Würdenträger des Reiches war Mullá Muḥammad-‘Alí, aus Zanján gebürtig, dem der Báb den Beinamen Ḥujjat-i-Zanjáni gab. Als der Ruf von Shíráz zu Ḥujjat drang, beauftragte er Mullá Iskandar, einen seiner Jünger, auf den er sich voll verlassen konnte, die Sache zu erforschen und ihm über die Ergebnisse zu berichten. Mullá Iskandar kam zum Báb und empfand sofort die verjüngende Macht Seines Einflusses. Er weilte vierzig Tage in Shíráz, befaßte sich mit den Grundsätzen des Glaubens und erwarb, seiner Aufnahmefähigkeit entsprechend, ein Wissen von dem Ausmaß Seiner Herrlichkeit. Mit der Zustimmung des Báb nach Zanján zurückgekehrt, legte er Ḥujjat, um den sich alle führenden ‘Ulamás der Stadt versammelt hatten, einige Schriften des Báb vor. [Seite 21] Als dieser eine Abschrift des Qayyúmu’l-Asmá’ in die Hand bekam, und eine Seite des Buches gelesen hatte, bezeugte er vor der ganzen Versammlung die erhabene Größe des Báb und seine tiefe Ergebenheit.

„Wir haben an vorausgegangenen Stellen von der Ausstoßung von Quddús und Mullá Ṣádiq aus Shíráz und, wenn auch unzureichend, von den Züchtigungen berichtet, die ihnen durch den tyrannischen Ḥusayn Khán zugefügt wurden. Es soll nunmehr über ihre Arbeit nach ihrer Vertreibung aus jener Stadt berichtet werden: Nach einigen Tagen gemeinsamer Reise trennten sie sich und Quddús wandte sich nach Kirmán, während Mullá Ṣádiq sich nach Jazd begab...“

Quddús wurde nach seiner Ankunft im Hause von Ḥájjí Siyyid Javád-i-Kirmání, dem mächtigsten und angesehensten Einwohner Kirmáns, aufgenommen und stets mit außerordentlichem Zuvorkommen behandelt. Diese Auszeichnung entfachte den Neid der Jünger von Ḥájí Mírzá Karím Khán und sie beeinflußten ihn durch lügenhaftes Gerede, in jener Gastfreundschaft eine Gefahr für seine Autorität und seinen Ruhm zu erblicken. Durch diese Verleumdungen beunruhigt, wandte sich Karím Khán an den Gouverneur und bat ihn, persönlich zu Ḥájí Siyyid Javád zu gehen und ihn zu ersuchen, diesen Umgang mit Quddús abzubrechen. Durch die Ermahnungen des Gouverneurs aufs heftigste erzürnt, wies Siyyid Javád erneut auf seine Anweisungen hin, solch üblen Reden kein Gehör zu schenken und ließ Karím Khán warnen, sich vor Übertretung seiner Befugnisse zu hüten, andernfalls werde er ihn aus Kirmán ausweisen. Der Statthalter entschuldigte sich und versicherte, Ḥájí Mírzá Karím Khán auf die Torheit seines Benehmens aufmerksam zu machen.

Ḥájí Siyyid Javád hörte von Quddús vieles über seine Tätigkeit, über seine Glaubensannahme und seine Pilgerreise mit dem Báb, wodurch die Flamme des Glaubens in seinem Herzen entzündet wurde. Er zog es aber vor, seinen Glauben zu verheimlichen in der Hoffnung, dadurch den Interessen der neuen Gemeinde besser dienen zu können. Von Kirmán aus reiste Quddús nach Jazd und viele andere Städte. Überall hatte er trotz vieler Hindernisse den Erfolg, seinen Hörern Verständnis für die Grundsätze einzuflößen, die er so tapfer vertrat. In Ṭihrán gelangte Quddús in die Gegenwart Bahá’u’lláh’s, worauf er sich nach Mázindarán begab, wo er in seiner Heimatstadt Bárfurúsh im Hause seines Vaters etwa zwei Jahre verbrachte. Seine zweite Mutter, welche ihn mit großer Liebe und Sorgfalt umgab, hätte ihn gerne verheiratet. Quddús jedoch sagte: ..Der Tag meiner Vermählung ist noch nicht gekommen. Dieser Tag wird unaussprechlich herrlich werden. Nicht im eigenen Hause, sondern unter freiem Himmel unter dem Himmelsdom, inmitten des Sabzih-Maydán, vor den Augen der Menge, werde ich mein Hochzeitsfest feiern und das Ziel meiner Erwartungen vor mir sehen!“ An diese prophetischen Worte erinnerte sie sich, als sie drei Jahre darnach von den Umständen erfuhr, unter denen Quddús den Märtyrertod erlitt.

Nun zu Mullá Ṣádiq zurück: Als dieser in Jazd ankam, erkundigte er sich nach der Tätigkeit von Mírzá Aḥmad-i-Azghandí, welcher, als das Geheimnis des Glaubens noch unenthüllt war, alles daransetzte, das Volk auf die Annahme der zu erwartenden Manifestation vorzubereiten. Mullá Ṣádiq erfuhr, daß Mírzá Aḥmad über 12.000 Überlieferungen und Prophezeiungen über die Zeit und die Art der verheißenen Offenbarung zusammengestellt und sich entschlossen habe, alle Schritte zu tun, um die Abschrift und Verbreitung dieses Buches zu bewerkstelligen. Auch habe er, von seinem Onkel Siyyid Ḥusayn-i-Azghandí gebeten, nach Jazd zu kommen, dort dessen Inhalt den aus der ganzen Stadt versammelten ‘Ulamás vorgelesen, die alle von der Arbeit und Gelehrsamkeit tief beeindruckt gewesen seien. Doch sei ihm sein Buch auf schmähliche Art entwendet und vernichtet worden.

Mullá Ṣádiq war hocherfreut, durch diesen Bericht zu erfahren, daß Mírzá Aḥmad in Jazd tätig war und ging augenblicklich in den Masjíd, in welchem Siyyid Ḥusayn den Gebetsgottesdienst leitete und bei dem Mírzá Aḥmad die Predigt hielt. Nach Beendigung des Gebets betrat er unaufgefordert das Rednerpult. Mullá Ṣádiq leitete seine Ansprache mit einer der bestbekannten und hervorragendsten Lehrpredigten des Báb ein und sprach anschließend noch in beredten Worten zu der Gemeinde. Doch eine Woge des Unwillens ging über die ganze Gemeinde, [Seite 22] als diese Worte Mullá Ṣádiq’s erdröhnten, und nur Siyyid Ḥusayn gelang es, durch energisches Eingreifen, ihn von den wütenden, tätlichen Angriffen seiner Gegner zu befreien.

Auch Mullá Júsuf-i-Ardibílí war in jenen Tagen schweren Verfolgungen ausgesetzt und wäre ohne das Einschreiten von Mírzá Aḥmad und dessen Onkel der Wut und Rachsucht seiner Feinde zum Opfer gefallen.

Als Mullá Ṣádiq und Mullá Júsuf in Kírmán ankamen, erlitten sie ähnliche Anfechtungen von seiten Ḥájí Mírzá Karím Khán’s und seinen Genossen. Dort befreite sie Ḥájí Siyyid Javád aus den Händen ihrer Verfolger und ermöglichte ihnen, nach Khurásán weiterzureisen. Durch ihre Hingabe und unvergleichliche Willensstärke war es ihnen möglich, trotz der schweren Kämpfe und Belästigungen, vielen den veredelnden Einfluß des Glaubens, den sie verkündeten, klar zu machen.

Ḥájí Siyyid Javád, bekannt durch die Ehrenhaftigkeit seines Betragens, brachte die letzte Zeit seines Lebens in Khirman zu und blieb bis an seinen Tod ein getreuer Vertreter des Glaubens.

Shaykh Sulṭán-i-Karbilá’i gehörte zu denen, die in jenen Tagen den Báb in Shíráz trafen. Shaykh Sulṭán, welchen Krankheit verhinderte, den Báb aufzusuchen, erhielt eines Abends den Besuch seines geliebten Herrn. Während dieses Besuches bat er den Báb, sein Leben für Ihn opfern zu dürfen. Der Báb antwortete: „O Shaykh, auch Ich sehne Mich darnach, Mich selbst auf dem Altar des Opfers hinzugeben. Es ziemt sich für uns beide, uns an das Gewand des Geliebtesten zu klammern und von Ihm die Freude und den Ruhm zu erflehen, auf Seinem Weg Märtyrer sein zu dürfen. Sei gewiß, daß ich um deinetwillen den Allmächtigen anflehen werde, dich zu befähigen, in Seine Gegenwart zu gelangen. Erinnere dich Meiner an jenem Tag, einem Tag, desgleichen die Welt zuvor nie gesehen hat.“

Am zweiten Naw-Rúz nach der Erklärung des Báb, der auf den 21. Tag des Monats Rabí‘u‘l-Avval im Jahre 1262 a. H.1) fiel, war der Báb noch in Shíráz und feierte Naw-Rúz mit Seiner Familie und Seinen Verwandten. Anfänglich erkannte die Mutter des Báb die Bedeutung Seiner Mission nicht, doch Bahá’u’lláh öffnete ihr die Augen für den Wert dieses verborgenen Schatzes. Die Gattin des Báb dagegen erkannte die Herrlichkeit, das Einmalige Seiner Sendung und war Ihm tief ergeben. Ihr vertraute der Báb das Geheimnis Seiner künftigen Leidenszeit an und schenkte ihr ein besonderes, von Ihm geoffenbartes Gebet. „In der Stunde deiner Verzweiflung“, so befahl Er ihr an, „bete dieses Gebet, bevor du schlafen gehst. Ich Selbst will dir erscheinen und werde deine Angst bannen!“

Nachdem der Báb die Angelegenheiten Seines Haushalts geordnet hatte, verlegte Er Seinen Wohnsitz zu Ḥájí Mírzá Siyyid ‘Alí. Er wußte, daß das Märtyrertum, die Krönung Seines Lebens, bevorstand. Er bat die Jünger, die sich in Shíráz niedergelassen hatten, nach Iṣfáhán zu gehen und dort auf weitere Anweisungen zu warten.

Indessen machte Ḥusayn Khán, der Statthalter von Fárs, die größten Anstrengungen, den Báb in neue Schwierigkeiten zu stürzen und stellte heimliche Nachforschungen an. Eines Abends ließ der Statthalter ‘Abdu’l-Ḥamíd Khán, den Polizeipräsidenten der Stadt zu sich kommen und befahl ihm, unverzüglich in das Haus von Ḥájí Mírzá Siyyid ‘Alí einzudringen, den Báb und seine Besucher zu verhaften, sowie alle Bücher und Schriftstücke, die aufzufinden seien, zu beschlagnahmen. ‘Abdu’l-Ḥamíd Khán gehorchte und brach mit seinen Helfershelfern in jenes Haus ein. Er fand den Báb in Gesellschaft Seines Onkels mütterlicherseits und eines gewissen Siyyid Káẓim-i-Zanyání, der später in Mázindarán den Märtyrertod starb, sowie dessen Bruder Siyyid Murtaḍá, einer der sieben Märtyrer von Ṭihrán. Er verhaftete sie sofort, raffte alle erreichbaren Dokumente zusammen, befahl Siyyid ‘Alí, im Hause zu bleiben und führte die Festgenommenen vor den Statthalter. Unerschrocken und selbstbeherrscht hörte man den Báb folgenden Vers aus dem Qur’án aussprechen: „Das, womit sie behandelt werden, ist für den nächsten Tag. Ist der Morgen nicht nahe?“

Kaum war der Polizeipräsident bis an den Marktplatz gelangt, als er zu seinem Erstaunen sah, daß die Leute nach allen Seiten [Seite 23] hin bestürzt auseinanderstoben. Er wurde von Angst befallen, als er einen Zug von Särgen sah und das Wehklagen der Leidtragenden vernahm. Er frug nach der Ursache und erhielt zur Antwort: „Heute Nacht ist eine Seuche von ausnahmsweise schwerem Ausmaße ausgebrochen. Seit der Mitternachtsstunde sind über hundert Menschen gestorben.“ Voll Entsetzen und Verzweiflung fliehen die Leute aus ihren Häusern.

‘Abdu’l-Ḥamíd Khán entschied sich, da Ḥusayn Khán, dessen Haus ebenfalls von der Pest ergriffen war, sein Haus verlassen hatte, den Báb in seinem eigenen Hause in Gewahrsam zu halten. Als er sich seinem Hause näherte, hörte er entsetzt das Wehklagen der Mitglieder seiner Familie. Sein Sohn war von der Seuche befallen worden und dem Tod nahe. Verzweifelt warf er sich zu Füßen des Báb, beschwor Ihn, ein Gebet für die Rettung seines Sohnes zu sprechen und ihn nicht zu strafen für die Schuld seines Vaters. Er bereute seine Tat und gab feierlich sein Ehrenwort, nie mehr eine solche Stellung einzunehmen, selbst wenn er Hungers sterben müßte.

Der Báb, der eben Seine Abwaschungen vornehmen wollte und sich anschickte, Sein Morgengebet zu sprechen, gebot ihm, von dem Wasser zu nehmen, mit dem Er Sein Gesicht wusch, und seinem Sohn zum Trinken zu geben. Dies würde, so sagte Er, das Leben des Kindes retten. Kaum hatte ‘Abdu’l-Ḥamíd Khán Zeichen der Besserung an seinem Kind wahrgenommen, als er dem Statthalter schrieb, ihm die ganze Lage schilderte und ihn bat, die Angriffe auf den Báb zu unterlassen. Er fürchte, daß sonst kein einziger dieser Stadt übrig bleibe. Ḥusayn Khán erwiderte, daß der Báb sofort befreit und Ihm gestattet werden solle, frei Seiner Wege zu gehen. Als der Sháh von diesen Begebnissen hörte, veranlaßte er sofort die Enthebung Ḥusayn Khán’s von seinem Amt, der nun in Elend und Schmach lebte bis zu seinem Tod.

Der Báb, der im Hause von ‘Abdu’l-Ḥamíd Khán wohnte, ließ Seinen Onkel Ḥájí Mírzá Siyyid ‘Alí zu sich bitten und teilte ihm mit, daß Er Shíráz verlassen werde. Er befahl Seine Mutter und Seine Frau in dessen Obhut und trug ihm auf, allen Seine herzlichste Liebe und die Versicherung von Gottes niemals versagender Hilfe zu übermitteln. „Wo sie auch sein mögen“, sagte Er, „wird Gottes allumfassende Liebe und Behütung sie umgeben. Ich werde euch wiedersehen in den Bergen von Ádhirbáyján, von wo ich euch aussenden werde, um die Krone des Märtyrertums zu erlangen. Ich Selbst werde euch folgen zusammen mit einem Meiner getreuen Jünger und Mich mit euch im Reich der Ewigkeit vereinigen.“

(Fortsetzung folgt)


1) 1846.



Über das Sprechen von Gott[Bearbeiten]

Es gibt drei Arten, in denen man Gott künden kann: man kann von Ihm sprechen wollen oder sollen oder müssen. Sprechen wollen und sollen kann man nur über Gott, sprechen müssen dagegen auch von Gott, wie ja ein Muß zum Gottverkünden auch nur von Ihm allein ausgehen kann. Sprechen-wollen und Sprechen-sollen über Gott sind also unvollkommene Arten des Sprechens von Gott, während das Sprechen-müssen von Ihm die vollkommene Art darstellt.

Unnötig, sich darüber zu verbreitern, wie sehr die ersten beiden letzterer nicht nur unterlegen, sondern sogar feind, indem sie, wenn auch meistens unbewußterweise, in Wirklichkeit die Totengräber sind für das, was sie zur Auferstehung bringen sollten. Ihre Unreife und deren mannigfache geistmordenden, wahrheitsgefährdenden Begleiterscheinungen und Folgen meint zweifellos in erster Linie jene Feststellung aus heiligem Munde, die besagt, daß jeder idealen Sache größte Feinde — weil verkappt und weit davon entfernt, sich dessen selbst bewußt zu sein — stets in der Sache selbst zu suchen seien. So ist auch der heutige Zustand der Welt hinreichender Zeuge dafür, wer immer und zu allen Zeiten im Leben der Völker das Wort geführt. Ja, mit darin lag, wenn man so sagen darf, von jeher die Tragik im Leben des Geistes. Die Wenigen, die sprechen mußten, [Seite 24] hat man noch immer verlacht und verdammt und zu Tode gepeinigt.

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Um keinen Zweifel aufkommen zu lassen: auch sich zum Sprechen verpflichtet halten oder fühlen ist nicht nur weit entfernt, sondern ganz anders gelagert als das, was wirkliches Sprechenmüssen bedeutet. Nicht einmal „Opferwille“ kann das Sprechenmüssen erzeugen: wo das Herzblut sich nicht gänzlich verströmt im Dienste des Worts, besteht die Frage durchaus zu Recht, ob es nicht besser wäre, zu schweigen.

Auch die Mahnung heiliger Lehre, von Ihm zu künden, dieses „Du sollst sprechen" meint nicht das Reden über Gott, sondern die Erreichung des Zustandes des Sprechen müssens von Gott, in dem allein man auch nur von Ihm sprechen darf. Nicht umsonst ist befohlen, die Lehre zu leben und dann erst zu lehren. Denn wessen Worte der magischen Kraft erlebter Lehre entbehren, der lästert Gott und betrügt sich selbst, wenn er spricht, und vermag bestenfalls nur „etwas zu geben“. Nicht aber darin liegt des wahren Wortes Schöpferkraft, daß es zu geben weiß, vielmehr darin, daß es die Umwelt ändert. Schon seit Jahrtausenden rühmt der Mensch, daß dieses oder jenes Wort aus weisem Mund ihm „viel gegeben habe“, und trotzdem steht derselbe Mensch am heutigen Tag erschreckend nah vor seinem Grabe.

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Von Gott sprechen müssen bedeutet selbstloses, markdurchdringendes, schmerz- und freudetrunkenes, demütig-würdevolles Ringen mit dem Wort. Schmerz- und freudetrunken: fehlt eines von beiden, dann ist es nicht mehr Kündenmüssen, sondern Kündenwollen oder Kündensollen.

Was von solchem Sprechenmüssen an das Ohr des Hörers dringt, ist nur sein peripherer Ausklang, nicht das Ringen mit dem Worte selbst. Ist nicht, was aus dem Mund der Gottgesandten kommt, obgleich auch nur Ausklang in diesem Sinne, selbst noch die reinste Symphonie des Jubels und des Schmerzes?!

Solange der Lehrende nicht schon die Unzulänglichkeit der Träger der Übermittlung dessen, was es zu sagen gilt, aufs schmerzlichste empfindet — begonnen bei der eigenen Person über den Hörer bis zum Wort der Sprache —, ist er nicht frei von der Gefahr, Geschaffenes, und sei es selbst höchstes Erkenntnisgut, für sich und andere zum Gott zu machen, anstatt der Himmelsglut in ihm, aus der es selbst nur lebt, den ihr gehörenden Primat zu lassen und allewege zu beachten.

„Was nennst du mich gut", sagt selber das ‚Wort‘, „niemand ist gut denn der alleinige Gott1).“

Zwar „glänzt und strahlt” nunmehr „der Sonne gleich im Buch das göttliche Wort“, doch „liegt der Offenbarung sanftes Wehen“, also die Wirklichkeit, des Schriftworts eigentliche Wesenheit „jenseits von allem, was nicht Gott2)

„Gehet“, so sagt der Báb, „der Sicht nicht verlustig durch die Namen des Eigners der Namen, auch nicht dürch den Namen ‚Prophet‘, denn dieser Name ist kraft Seines Wortes erschaffen3).“

Name und Lehre sind letzter Ausklang des Sprechenmüssens von Gott, das sich bei dem Propheten darstellt nicht als Ringen mit dem Worte, sondern als Ringen des Worts: schwacher Versuch, die Sonderstellung des Gottgesandten im Reiche der Schöpfung in Worte zu kleiden.

Das Wesen dessen, was es der Menschheit zu künden gilt, vermitteln im Buche des Gottgesandten die Worte der Freude und die des Schmerzes gemeinsam gleich einem Stereoskop, dessen beide Linsen zusammen vollbringen, was eine allein nicht zu leisten vermag.

Gelehrsamkeit, von der geschrieben steht, daß sie zu fliehen sei, will man „zum Hofe Seiner Heiligkeit gelangen“4), Gelehrsamkeit, die allzu selbstbewußt und unentwegt noch mit dem Wort verfährt, Gelehrsamkeit, die für das Ohr des reinen Hörers harte Pein bedeutet, beginnt erst dort zu schwinden, wo man das Wort zutiefst, ja der Verzweiflung nah, auch als ein Schmerzenskind empfindet.

Der Gelehrsamkeit polares Gegenstück, Bigotterie, entspringt der gleichen Quelle: mangelndem Erleben des grenzenlosen Guts, [Seite 25] das da als einziges Heil der Welt in des erschaffenen Wortes Kerker schmachtet.

Ach, daß man doch zutiefst erkennte, daß das Erfassen hoher Lehre und Sich-zu-ihr-Bekennen erst Anfang ist vom Anfang eines langen Weges, der weder lustentsprechend noch bequem, der auch kein einziges Recht verleiht, es sei denn jenes, Diener zu sein und stets zuvörderst in sich selbst zu gehen, um „in dem Augenblicke, da das sanfte Wehen der Offenbarung und Eingebung sich herniederlassen will, es zu erkennen und aus ihm Gewinn zu nehmen“5).

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Ob und in welchem Grade einer reden muß von Gott oder von Ihm nur reden will oder soll, darf also daran zu erkennen und zu erfühlen sein, ob seine Rede jenes Ringen enthält und verrät, das sich in Jubel-Schmerzakkord zusammenfügt aus dem dreifachen Ringen: mit seinem unfaßbaren Gott, dem Urwort oder Logos oder wie sonst man es auch immer nennen mag, ferner mit dem nur allzu schnell und leicht gefaßten, gar sehr begrenzten und somit für die Sprache des Geistes höchst unzureichenden Wort der menschlichen Sprache — letzthinig in der eigenen Person verkörpert — und drittens mit dem Wort und Wortgemengsel, das man in der Gestalt der Hörer vor sich hat, auch mit den Kritikern und mit dem „Fremdwort“ und dem Schmähwort aus dem Mund des Nächsten; gleichgültig, ob man nun, je nach besonderer Begabung, vornehmlich mit der Zunge oder Feder, durch sein Verhalten oder in der Kunst oder, wie immer zu erstreben, mit allen Möglichkeiten seines Seins von seinem Schöpfer kündet.

Wo dieses Ringen, entsprungen der Sehnsucht nach höherem Leben, in seiner Gesamtheit vorhanden ist und bleibt und der Liebe niemals enträt, da bleibt auch jenes wichtige Erfordernis für den Erfolg nach jeder Richtung hin, die Ehrfurcht, voll erhalten. Denn Ehrfurcht, Sehnsucht und Liebe sind dieses subtilen Dynamos Getriebe.

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„Ringen mit dem Wort“ heißt wiederum nichts anderes als im Dienste allgemeiner Evolution, des wahren Lebens, alleinendes Verhältnis zu erringen zwischen Gott, Nebenmensch und eigenem Selbst: kein starrer Zustand, noch auch irgendwie begrenzt, sondern ein kraftvoll wogendes Ganzes, ein immer höher geläutertes, nie zu vollendendes Geschehen zwischen den Polen Erkenntnis und Liebe, wobei — wohl sei es beachtet — Liebe im höchsten Sinn Erkenntnis mitumfaßt, nicht umgekehrt, so wenig wie die Schöpfung ihren Schöpfer. Darum ist dort, wo nicht Liebe der Herrscher, selbst größte Erkenntnis nur „tönendes Erz“ oder bestenfalls „klingende Schelle“6). Das Suchen nach höherer Erkenntnis — in welchem selbst sich ja, wenn auch nur eine Art der Liebe offenbart — erfordert vor allem: Lieben, das Wandern durch das „zweite Tal“. Denn wie könnte ich Gott, der die Liebe ist, wie könnte ich Seinen Gesandten auf andere Weise wahrhaft erkennen, als wieder in wahrem Lieben?! Und wahres Lieben, das Erlösung bedeutet, ist hehrste, schwerste Kunst, die tiefer Einsicht bedarf, die Kunst, mit dem Worte zu ringen.

Wird dieses Ringen mangelhaft, sei es im Ganzen oder nur in einem seiner Teile, dann wird den mannigfachsten Fährlichkeiten für den Lehrer selbst wie für die Sache Tür und Tor geöffnet: Überheblichkeit, Vielwissen, Unduldsamkeit und wie sie alle heißen, schleichen sich ein, am unmerklichsten aber Verflachung, Sattheit und Geschäftigkeit. „Er liebt sich bald die unbedingte Ruh“ heißt es bedeutungsvoll vom Menschen in jenem größten deutschen Lied vom Streben und vom Ringen. So ist auch die Geschäftigkeit, richtig beschaut, nichts anderes als Wunsch nach Ruhe in der Selbstzufriedenheit oder in anderem, nur in verblüffend täuschendes Gewand gekleidet. Wer immer aber der Gefahr in dieser Richtung sich enthoben wähnt, hat sich damit bereits ihr ausgeliefert, denn bis in höchste Regionen dringt der Pesthauch dieses Tieres.

Wie bald ist die heilige Scheu verflogen, mit der man zuerst in den Schriften liest und über ihren Inhalt spricht, wie bald verfällt die Rede über die geheimnisreichsten Dinge in den Ton der Alltagsunterhaltung und schillert dann, je nach Veranlagung der Unterhaltungführenden, in einer Farbenkombination, [Seite 26] die gegenüber des Gespräches hehrem Stoff, zumal auch Außenstehende und Sucher, im besten Falle wunderlich anmutet. Es muß dabei durchaus kein schlechter Wille unterliegen: nur die Gewohnheit allein, die Geliebte des Wunsches nach Ruhe, braucht ihrem schlummernden Buhlen zu Willen gewesen sein, und — die Frucht, der Bastard, bleibt unverstanden. All diesen Farben nämlich gemein ist jene Selbstverständlichkeit, in der das kleine Ich, das eigene Wollen und Begreifen mit Worten operiert — und sei es noch so „gut gemeint” oder selbst höchster Lehre treulich nachgeredet —, die Selbstverständlichkeit, die mehr oder weniger weit entfernt von der Erkenntnis eigener Fehlbarkeit wie der der Sprache und des fremden Ohres, also entfernt liegt vom Streben und Ringen und steten Horchen nach Innen, das dringend vonnöten, um, wach und bewußt der Verantwortung, das Verhältnis der Worte abzuwägen und dann erst in schmerzvoller Freude dem Kinde der Liebe Leben zu geben.

Und auch dann noch vermag das Wort die ganze Wahrheit nicht zu bergen. Denn, um „mitten unter ihnen"7) zu sein, bedarf es mindestens „zwei oder drei“ solcher von hoher Verantwortung, Sehnsucht und Liebe getragenen Worte.

So unzulänglich ist das Wort der Sprache, daß man selbst in den Schriften eines und desselben Gottgesandten, die doch nur eine Wahrheit bergen, Widersprüchen begegnen kann. Der echte Sucher liebt sie zwar, da „zwischen ihnen“ durch — man kann auch sagen, in heißem Bemühen, sie gegenseitig auszugleichen — die Wahrheit und der richtige Weg vielleicht sogar am ehesten sich erahnen und ertasten lassen. Hier gilt des Größten Testamentes Mahnung, „auf Seine Einheit zu sehen und nicht auf Seine scheinbaren Verschiedenheiten“8). Kann doch der Widersprüche Fülle im Buch des Lebens selbst auch nur auf solche Weise ihren Einklang finden.

Also auch hier zeigt Liebe sich letzthin als einziger Retter. Und nicht nur dies: Erkenntnis muß in ihr zusammenschmelzen zu jenem inhaltschweren „Punkt, aus dem die Toren ein Gebirge machen“9). Das heißt beileibe nicht etwa, daß man Verstandeswissen meiden soll. Im Gegenteil, erst der, der eindringt in des Großhirns weitverzweigtes, windungsreiches Ordnungswissen, vermag — was wichtig ist — aus eigener Erfahrung zu erkennen, daß wir, wie jener alte Weise sagt, im Grund genommen gar nichts wissen, und wird dann erst auch Anderen in vollem Umfang dienend helfen können.

So wenig fassungsfähig ist die Sprache, daß man mit scheinbar gutem Recht auf Grund des Wortlauts einer Stelle der heiligen Schrift zu einer Auffassung gelangen, sie vertreten, und eine Bahn beschreiten kann, die bei genauerer Betrachtung sich als unvollkommen, wenn nicht gar abwegig erweisen.

Ganz weit abseits von wahrem Ringen mit dem Worte liegt es aber, wenn einer — sei es auch in noch so gutem Glauben oder gar unbewußt, in Wirklichkeit genasführt von dem Drang nach unbedingter Ruh in seines Wünschens Erfüllung — sich aus dem Schatze höchster Lehre das ausliest und vornehmlich oder nur dem huldigt, was ihm liegt und seiner Art entspricht — sei es in Richtung von „Erkenntnis“ oder „Harmonie“, sozialer, Nahrungs- oder sonstiger Frage —, um über andere dann, die seiner Meinung nach „nicht richtig mittun“, wehzuklagen, sie verächtlich abzutun, oder am Ende gar „im Dienst am Gottesreich und dem der Liebe“ auf seinem Lieblingsroß zum Kreuzzug und Turniere auszuziehen und, mit verdecktem oder offenem Visiere, in ewigem Kampf sich selbst und jene zu zermürben und dann zuguterletzt dem sicheren Tode in den Arm zu spielen; falsch deshalb auch sein Wähnen, damit „im Lichte einer neuen Zeit” zu triumphieren über „mittelalterliche Dunkelheit“!

So sehr das Ringen mit dem Wort ein Zu-ihm-stehen und -sich-stellen fordert, so wenig kann dies jedenfalls im Angriff auf Bestehendes geschehen. Wer so auch, wo nicht herbe Not dies unumgänglich macht, den Zeitgeist oder gar nur seine Äußerungen geißelt und an den Pranger stellt, anstatt in tiefem Schmerze ob der eigenen Ohnmacht ihn zu [Seite 27] ändern, nach Kräften alles aufzubieten, um ihm, wo immer ein Weg dazu sich auch im Kleinsten offen zeigt, dienend zur Wandlung zu verhelfen, der handelt nicht dem Worte gleich, das für des Zeitgeists Umkehr sich am Kreuze opfert. Vielmehr tut er im besten Fall nichts anderes als der Zeitgeist selbst: er weiß es besser. Und Besserwissen ist bekanntlich der größte Fluch, der auf der Menschheit lastet. Wahrhaftes Besserwissen aber kann sich nur im Bessermachen äußern. Auch stammt der Lehre Wissen nicht von uns, sondern von Gott. So gehe man immer erst in sich und bleibe stets bescheiden, zuvörderst aber dann, wenn man vom Zeitgeist selbst etwa noch dieses oder jenes lernen kann. Die Lehre Gottes wird zudem auf jene Art am allerwenigsten verbreitet, vielmehr kann sie durch solches Treiben den allergrößten Schaden leiden.

Ganzes gilt es zu leisten, und nicht, zu spekulieren! Was das besagen will, darüber ließen sich Bände schreiben. Es sind aber der Schriften genug vorhanden in heiliger Lehre, die alles enthalten. Und ringt man mit ihnen und mit der Welt und mit dem eigenen Innern, in sehnendem Eifer und jubelnder Ruh: „Den Aufrichtigen läßt Er’s gelingen10)!“ Doch hierzu auch, in Folgerichtigkeit des Ausgeführten, noch das Ergänzungswort: „Niemand“, sagt Christus, „kann zu Mir kommen, es sei ihm denn von Meinem Vater gegeben“11) und „Ringet danach, durch diese enge Pforte einzugehen“12), denn „der Weg ist schmal, der zum Leben führt, und wenige sind ihrer, die ihn finden13).“

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Wer selber wahrhaft mit dem Wort nach jeder Richtung hin in heiligem Ringen liegt, erkennt und achtet jedes Menschen freies Recht, im Dienst am Gottesreich der höchsten Lehren Sinn in schöpferischer Freude in seine eigene Ausdrucksform zu kleiden, nicht zuletzt zum Frommen derer, die artbedingterweise gern auf diese Sprache hören. Es kommt ihm nimmer in den Sinn, von seinem Bruder zu verlangen, daß er ausschließlich in der Sprache eines Anderen künde, wovon er künden muß, auch nicht, wenn jener Andere der anerkannte Meister selber wäre, der sicher solches nimmermehr gewollt.

Doch auf der anderen Seite weiß der also Ringende auch wohl, daß er die eigene Sprache zügeln und formen muß, soll sie dem Geist der Wahrheit und der Liebe zum Gefäße werden. Dazu zwingt ihn von selbst das Ringen mit dem Wort in seinen drei Aspekten, so er nur ohne jeden Vorbehalt sich mit der letzten Faser ihm ergeben. Hoher, nie endender Läuterung im Glutofen der Sehnsucht, Liebe und Gerechtigkeit, der heiligen Begeisterung und des Schmerzes ob aller Unvollkommenheit bedarf es, um zu den Sprachorganen zu gehören, von denen geschrieben steht: „Sie reden nur, wenn von dieser Stelle aus diese Zunge ihnen Hilfe leiht14).“

Hier ist — um es mit „eigenen“ Worten auszudrücken, nachgebend jenem menschlichen Verlangen, die weise Umschreibung hoher Lehre im Kleide begrifflichen Denkens zu sehen — gerade nicht von „eigener Sprache“ noch von der „Sprache Anderer“ die Rede. Vielmehr, was hier geschrieben steht, reicht hin an jene Form der Schrift: „Wir sagen“ oder „Sprich!“. Denn wer da sprechen muß von Gott, spricht nicht allein, weil er sich Hohem, Höherem, Höchstem eint und von Ihm wird durchdrungen: ein Zustand, dem des Feuerbusches gleich, welchen jedoch bei ihrer Jagd nach unbedingter Ruh „die meisten Menschen nicht begreifen können, da sie mit dem beschäftigt sind, was ihrem Reich entstammt, und achtlos gegenüber jenem, was von Gott herkommt"15). Nimmer aber kommt von Gott, was nicht im Feuerbusch, im Von-Ihm-sprechen-müssen, im wahren Ringen mit dem Wort sich offenbart; indes das lust- und angstgeborene Sprechen-wollen und -sollen noch erdgebundener Haltung angehört und so im besten Falle den Urteilspruch des Sprechers vom Sinai erfährt: „Bleibet zurück“, bedeutet er ‚seiner Familie‘, „bis daß ich euch von jenem Feuer Führung oder einen Funken bringe, auf daß vielleicht ihr wieder werdet warm16)!“ Denn ein Erwählter sagt: „Was die Bedeutungen betrifft, so sind Wir Seine [Seite 28] Bedeutungen, Wir Seine Weiche, Seine Hand, Sein Baum, Sein Wissen, Seine Zunge, Sein Befehl, Sein Recht. Wenn Wir etwas wollen, ist Er es, Der will; und Er wünscht das, was Wir wünschen17).“

Wer also sprechen kann, der ist durch höchste Läuterung gegangen. Er ist hinausgewachsen über das Erwarten und Erstreben des In-Erfüllung-gehens von Verheißenem, — es sei denn auf dem Wege durch den Feuerbusch, aus dessen Asche einzig und allein das zu Erwartende wahrhaft erstehen kann. Er ist dem Feuerbusche gleich geworden, in welchem die Erfüllung liegt und zur Gewißheit wird, daß andere Götter neben Gott nicht existieren.

So muß der Lehrende erst beider Schuhe ledig sein, will er das heilige Tal betreten können18) und seine Sehnsucht in Erfüllung gehen sehen. Nimmer aber kann zum Feuerbusche werden, zu einem Sonnenkörper, der in der Gottheit aus sich selber glüht und leuchtet, wer nicht mit aller Kraft und allen seinen Fähigkeiten, mit seinem ganzen Sein von Gottes Einzigkeit, Liebe und Weisheit kündet.

—0.G.—


1) Matth. 19, 17; Mark. 10, 18; Luk. 18, 19.

2) Brief an den Sohn des Wolfes, S.d. W. XIV, Seite 98 r.o.

3) Epître au Fils du Loup, Edition Champion, Paris 1913, Seite 175, Zeile 15-17.

4) Pers. Verborg. Wort Nr. 11.

5) Brief an den Sohn des Wolfes, S.d.W. XIV, Seite 100 links Mitte.

6) 1. Kor. 13, 1, 2,

7) Matth. 18, 20.

8) Kitáb-i-'Ahd, deutsche Ausgabe 1936, Seite 7 oben.

9) Buch der Gewißheit, S.d. W. XI, Seite 5 links unten.

10) Spr. 2,7.

11) Joh. 6, 65.

12) Luk. 13, 24.

13) Matth. 7, 14.

14) Suratu’l Haykal, S. d. W. XIII, Seite 34 r, Linie 39/40.

15) Brief an den Sohn des Wolfes, S. d. W. XIV, Seite 98 l., Linie 6/10.

16) Daselbst Seite 101 links 31. Linie und rechts 9. Linie.

17) Brief an den Sohn des Wolfes, S. d. W. XIV, Seite 100 links oben.

18) Brief an den Sohn des Wolfes, S. d. W. XIV, Seite 101 rechts 36. Linie; ferner 2. Moses 3, 5.



Ein Weltglaube[Bearbeiten]

Studien in den Lehren Bahá’u’lláh’s

I. Die Quelle der Religion

Von Horace Holley*)

*) Entnommen und ins Deutsche übertragen aus „World Order“, Bd. 1, Nr. 6, September 1935, Seite 228 ff.


Ob sie sich nun die Tatsache vergegenwärtigen, oder nicht, die Völker und Rassen der Menschheit leben am Beginn eines neuen Zyklus der Entwicklung. Sie sind neuen Gesetzen und Grundsätzen sowohl im Bereich der persönlichen Erfahrung als auch im Bereich der gesellschaftlichen Beziehungen unterworfen worden. Der neue Zyklus offenbart sich mit einer negativen und einer positiven Kraft, einer Macht der Zerstörung, die sich auf die Säulen der alten Ordnung auswirkt, und einer Macht der Schöpfung, die Kanäle für die Flut eines erneuernden Geistes schafft. Zwischen diesen beiden Kräften, wie zwischen den Polen einer ungeheueren elektrischen Energie, erfahren die gesellschaftlichen Einrichtungen und die Seelen und Gemüter der Menschen eine Umwandlung, die keine menschliche Fähigkeit kontrollieren kann. Heute entspricht ein Jahr menschlicher Geschichte tausend Jahren in der Vergangenheit.

Das erste erkennbare Zeichen der neuen Ära war im 19. Jahrhundert die Beendigung der jahrhundertelangen Bevölkerungsbewegung über die physikalische Erde. Bei der Vergegenwärtigung der organischen Einheit ihrer natürlichen Umgebung gingen die Menschen ihre erste Verbindung mit den geheimnisvollen Kräften ein, die bestimmt sind, die Welt umzuformen. Die ganze frühere Zeit hindurch hatten die menschlichen Wesen nicht in einer natürlichen Umgebung, sondern in vielen verschiedenen und getrennten Umgebungen gelebt, wobei jede eine gesellschaftliche in sich selbst vollständige Welt war.

Die moralische und geistige Welt des Individuums war auf das Gebiet seines eigenen Landes, auf sein eigenes Volk, seine eigene soziale Ordnung und seinen eigenen örtlichen Glauben beschränkt gewesen. Es war nicht imstande, außerhalb dieses Bereichs die Gültigkeit irgend eines menschlichen Anspruchs anzuerkennen. Sein Weltall war eine Insel, welche er zu allen Zeiten gezwungen war, gegen den Sturm der sie umgebenden See des gefahrvollen Unbekannten zu verteidigen. Gedanke und Gefühl, Kunst und Wissenschaft, Philosophie und Religion, Handel und Regierung — jeder Wert und jede Handlung bestärkte das Individuum in seiner ungeteilten Treue zu der örtlichen Ordnung, in die [Seite 29] er hinein geboren war. Seine soziale und seine stoffliche Welt konnten nur fortleben, weil sie selbständig und in sich selbst abgeschlossen waren.

Die menschliche Persönlichkeit ist so während eines unberechenbaren Zeitraumes von der grundlegenden stofflichen Tatsache bedingt gewesen, daß gebietliche Absonderung die Grundlage für die Existenz des Menschen und den Kampfplatz für seine intellektuelle und geistige Entwicklung bildete. Als ein organisches Reich, als eine Einheit vereinter Verwandtschaften gab es die Menschheit nicht und konnte es nicht geben. Was bestand, waren Stämme, Rassen, Völker und Nationen, jede eine besondere und abgesonderte Ganzheit, die in ständigem Kampfe zueinander standen.

Die Zerstörung der räumlichen Absonderung war daher weit mehr als ein Fortschritt in der Kenntnis der Erdkunde — es war die Zerstörung der letzten Grundlage, auf der die menschliche Persönlichkeit langsam und mühsam sich entwickelt hatte. Handlungen und Ideale, die während der Ära der Abgeschlossenheit nützlich und notwendig waren, wurden plötzlich schädlich oder unzulänglich, als der Grundsatz der Trennung die menschlichen Angelegenheiten nicht länger beherrschte.

Das zweite sichtbare Zeichen des neuen Zeitalters war der Aufstieg der Wissenschaft. Der menschliche Geist, gleih einem von einem Meister gespielten Instrument, wurde angetrieben, sich mit der Wahrheit in einer höheren Dimension zu befassen und erweckte neue Akkorde der Harmonie aus einem Kosmos, welcher zu aller Zeit der gefürchtete Tyrann des Menschen war, jetzt aber des Menschen gehorsamer Sklave wurde. Ein Schritt vorwärts auf diesem Kampffeld des umfassenden Wissens und die Menschheit fand sich über die Naturkräfte gestellt, im Besitz einer unerschöpflichen Fülle materieller Macht. Mit dieser Macht bekräftigten die Menschen die Einheit ihrer äußeren Umgebung, indem sie feste Bande der Verbindung zwischen allen Teilen der Erde woben. Sie schmiedeten ein unzerbrechliches mechanisches Bindewerk der Welteinheit, das technischen Fortschritt und Ausblick darstellte, jedoch keine Beziehung zu den Beschränkungen sozialen Mitgefühls und Verstehens und kein Verhältnis zu jahrhundertealter gesellschaftlicher Erfahrung hatte. Auf jede Rasse und Nation gingen Einwirkungen von der ganzen Welt aus. Der Geist eingewurzelter Ortsliebe in bezug auf Tun, Fühlen und Denken stand an der Schwelle eines neuen Zeitalters, dessen Mittelpunkt von der Nation auf die Welt verlegt worden war. Die geistige Ganzheit der Nation und ihre politische Oberherrschaft wurde meist zu einer leeren Form, aus der die Lebensenergie gewichen war.

Das dritte sichtbare Zeichen des neuen Zeitalters war die bewußte Anstrengung einiger bahnbrechender Geister in jeder Nation, Rasse und Religion von ihren örtlichen Werten in allgemeine Wahrheiten umzubilden. Weltgeschichtliche Werke wurden geschrieben; das Ideal des Friedens trat klar zutage; Erklärungen vergleichender Religion wurden verbreitet; viele Gesichtspunkte des Übernationalen wurden erforscht; eine universale Hilfssprache wurde entwickelt; die Welt wurde in ethischen und soziologischen Fragen zum Blickfeld. Ein Menschheitsbewußtsein spornte führende Denker an. Mit solch hohen Idealen und der neubelebten Wissenschaft schien es leicht möglich, die Gesellschaft auf einer Weltgrundlage umzubilden.

Die Haupttriebkräfte vereinter Handlung blieben jedoch örtlich und ausschließend. Jede Gemeinschaft benutzte die neuen Kräfte der Wissenschaft und Industrie zur Entwicklung ihrer eigenen Hilfsmittel und ihres eigenen Einflusses. Zwischen der Tatsache sozialer Scheidung und der Theorie gesellschaftlicher Vereinigung lag ein unüberbrückbarer Abgrund — die vernunftwidrigen Gefühle und die hervorgerufenen Gegenwirkungen der Massenseele. Innerhalb der feststehenden Schranken ihres sozialen Mitgefühls betätigte sich der Einzelne, als ob die Erde fortfahre, eine Reihe beziehungsloser Bruchstücke zu sein, deren normaler Verkehr Streit und dessen höchster Ruhm Krieg wäre. Um eine Anzahl miteinander wetteifernder Mittelpunkte entwickelten daher die Menschen ihre neuen wissenschaftlichen und technischen Kräfte, die sie dem der Gruppe zugewandten Ausblick aufs Leben dienstbar machten. Die größeren Nationen wurden rasch Kampfplätze schrecklicher sozialer Kräfteballungen mit dem Ergebnis, daß die dem Streit dienenden [Seite 30] Überlegungen und Mittel schneller wuchsen als die Überlegungen und Mittel, die dem Frieden dienen. Trotz all ihrer angesammelten Macht konnte keine der Nationen den Handel, der an die Stelle der Landwirtschaft als Grundlage menschlicher Existenz trat, unter ihren Zwang bringen.

Eben diese Unfähigkeit, die lebenswichtigsten sozialen Probleme zu lösen, bilden das vierte Zeichen und das Merkmal des neuen Zyklus. Anders als bei der Landwirtschaft ist der Handel in Wirklichkeit eine Weltfunktion und nicht die Rechtfertigung gebietlicher Absonderung. Landwirtschaftlicher Reichtum kann durch Krieg erfolgte Besitznahme übertragen werden. Aber der Krieg zerstört den Markt, von dem der Handel abhängig ist. Eine Landwirtschaft treibende Gesellschaft kann ihre Oberhoheit in vollem Umfange über ihre eigenen Mitglieder ausüben. Eine Handel treibende Gesellschaft ist Bedingungen jenseits ihrer Kontrolle unterworfen. Eine Handel treibende Gesellschaft, die sich in einer mit ihr im Wettbewerb. befindlichen Welt behaupten muß, hat mehr von innerer Revolution als von einem Einfall eines äußeren Feindes zu befürchten.

Der Verlust der natürlichen Oberhoheit seitens moderner Staaten hat die Beziehung des Einzelnen zu seiner Gemeinschaft untergraben. Sein Interesse ist zwiespältig geworden; es kann seine Treue nicht länger in Forderungen materieller und geistiger Sicherheit erfüllt werden. Eine wahre Gesellschaft ist eine solche, deren materielle, kulturelle und geistige Werte miteinander in Einklang stehen, die sich alle von einer grundlegenden Treue zu der Gruppe ableiten. Seine Zugehörigkeit zu einer wahren und organischen Gesellschaft ist die Quelle des Zustandes des Einzelnen als ein menschliches Wesen. Diese Mitgliedschaft bedeutet weit mehr als eine Angelegenheit politischer Freiheit — ihre kulturellen und ethischen Werte geben seinem Leben seine höchste Bedeutung und seine tiefste Befriedigung. Er ist ein Teil eines Organismus, in dem er mitwirkt und von dem er andererseits Nahrung für seine ganze Persönlichkeit bezieht.

Aber die in der Vergangenheit bestandene Gesellschaft ist fast von der Oberfläche der Erde verschwunden. Ihres lebensnotwendigen Geistes beraubt, ist die Gemeinschaft unfähig geworden, die notwendige Harmonie zwischen Kultur, Industrie und Glauben zu bewahren. Jedes grundlegende Interesse ist selbständig, ist spezialisiert geworden, indem es seine eigenen Werte zum Fortbestehen mit nur geringer Beziehung zur Beschaffenheit der Gemeinschaft als ein Ganzes aufstellte. Die heutigen Menschen sind, viel mehr als man dessen bewußt ist, geistige Verbannte in einer Welt, die ein Problem und nicht eine Heimat darstellt.

(Fortsetzung folgt.)



Die Geschichte des Islam[Bearbeiten]

Von Zia M. Bagdadi

(Fortsetzung)


Dreizehn Jahre vergingen, während welcher Zeit sowohl das Lehren wie die Anfeindung ohne Unterlaß fortdauerten. Des Propheten damalige Lehrweise bestand darin, dem Volke die Nutzlosigkeit des Götzendienstes klarzulegen. Seiner Güte und Nachsicht jedoch wurde durch Verfolgung und sogar Foltern der Gläubigen vergolten. Die Lage der Dinge wurde derart, daß eine Anzahl der Jünger, darunter Fatimih, Muḥammad’s Tochter und ‘Alí’s Frau, nach Äthiopien abreisten. Bald nachher starben Muḥammad’s Frau Khadijih und sein Onkel. Durch diese Trübsal im Hause des Propheten ermutigt, machten seine Feinde eine letzte Anstrengung, um ihn und alle seine Anhänger zu verderben. Ein überraschender Angriff auf sein Haus schlug fehl, da Muḥammad nach Medina abgereist war. Der Haufe drängte seiner Spur nach, und, um ihm zu entgehen, zog sich Muḥammad mit einem Begleiter in eine Höhle zurück. Als die Feinde die Höhle erreichten, hielten sie es für wertlos, dieselbe zu durchsuchen, da sie am Eingang ein Nest mit Tauben sahen; denn sie schlossen daraus, daß die Tauben das Nest [Seite 31] verlassen hätten, wenn irgendeiner die Höhle betreten hätte. Muḥammad kam am 16. Juli 622 A.D. in Medina an. Von diesem Datum geht die Zeitrechnung des Isláms aus.

Als Muḥammad’s Feinde in Mekka von seiner glücklichen Ankunft und guten Aufnahme in Medina hörten, sandten sie ein Heer dahin, um ihn zu ergreifen und zu töten. Erst dann, unter diesen Umständen befahl Muḥammad seinen Anhängern, sich zu verteidigen. In diesem Zusammenhang muß darauf hingewiesen werden, daß die muhammedanische Lehre von Krieg und Frieden im Westen gänzlich mißverstanden worden ist. Tatsächlich ertrug Muḥammad Feindschaft und Verfolgung dreizehn Jahre lang, als aber zur Wahl stand, ob die Ausrottung des Glaubens geduldet werden sollte oder ob er gegen einen unerbittlichen Feind verteidigt werden sollte, da pflanzte Muḥammad die Fahne der Gerechtigkeit auf und rettete die Unschuldigen vor den gierigen Wölfen. Wäre es ein Akt der Barmherzigkeit oder der Liebe gewesen, die Schafe dem plündernden Wolfe auszuliefern? Laßt Muḥammad’s Kritiker gerecht sein.

Während des zweiten Jahres der Hijírih ergriffen Führer seines Stammes wieder die Offensive, und eine schwere Schlacht, als „Badr“ bekannt, wurde geschlagen. Das folgende Jahr sah Schlachten, bei welchen andere Stämme gegen den Glauben angeworben worden waren, während dem Propheten fünf Jahre später christliche Streitkräfte zur Verfügung standen. Vor dem zehnten Jahre der Hijírih hatten die Stadt Mekka und alle Stämme des Landes um Mekka und Medina herum die Religion angenommen.

Am 7. Juni im Jahre 11 d. H. schied Muḥammad von der Erde.

Über die Art des Kriegführens unter Muḥammad hat ‘Abdu’l-Bahá geschrieben: „Wenn Christus selbst in solche Verhältnisse unter solche tyrannische und barbarische Stämme versetzt worden wäre, und wenn Er dreizehn Jahre lang mit Seinen Jüngern alle diese Prüfungen, die ihren Höhepunkt in der Flucht aus Seinem Heimatlande fanden, mit Geduld ertragen hätte, wenn trotzdem diese gesetzlosen Stämme weiterhin ihn verfolgt, die Männer niedergemacht, deren Besitztum geplündert und deren Frauen und Kinder gefangen genommen hätten, wie hätte sich wohl Christus ihnen gegenüber verhalten? Wenn diese Unterdrückung nur auf Ihn selbst gefallen wäre, so würde Er ihnen vergeben haben, und ein derartiger Akt der Vergebung wäre höchst lobenswert gewesen. Wenn Er aber gesehen hätte, daß diese grausamen, blutdürstigen Mörder töten, plündern, alle Unterdrückten schmähen und Frauen und Kinder gefangen nehmen wollten, so ist gewiß, daß Er diese beschützt und den Tyrannen Widerstand geleistet hätte1).“

Während einer dreiundzwanzigjährigen geistigen Führerschaft hat Muḥammad die feindlich gesinnten arabischen Stämme geeinigt, ihnen den Geist der Zivilisation eingegeben, ihre Sprache zu einer solchen von weitverbreitetem Einfluß gemacht, und im Laufe seiner Weiterentwicklung wurde dieses Volk zum Führer der ganzen Weltkultur.

Seine Lehren wurden von 'Uthmán, dem dritten Kalifen, in der seither als der Qur’án bekannten Form, dem Heiligen Buch des Islám, gesammelt und veröffentlicht. Die muhammedanische Literatur-Renaissance begann in Baghdád im siebten Jahrhundert n. Chr. unter der Dynastie der Abbasiden und gewann an Macht in Damaskus und in Spanien. In Spanien gründeten die Muhammedaner zahlreiche Akademien und Schulen, nach denen Studenten von vielen Teilen Europas kamen. Papst Clemens XI. verschaffte sich arabische Werke über Philosophie, Geschichte und Metaphysik. Die Araber brachten Bücher über Geographie, Geschichte, Philosophie, Medizin, Physik, Mathematik, Arithmetik, Geometrie und Astronomie hervor. Ins Lateinische übersetzt, wurden diese Werke allmählich in verschiedenen europäischen Sprachen zugänglich gemacht. Zu den bedeutendsten Namen gehören Averroes, Alghazali und Avicenna. Einen arabischen Ursprung verraten Wörter wie Alkohol, Alchemie, Almanach und Algebra. Viele griechische Meisterwerke, welche europäisches Barbarentum zu zerstören suchte, sind nur noch vorhanden, weil arabische Gelehrte sie in ihre Zunge übersetzt hatten.

Hier ein Beispiel von Fortschritt in der Wissenschaft, der durch den Qur’án ermöglicht wurde: Alte Astronomen glaubten, daß die Erde stillstehe und die Sonne sich um die [Seite 32] Erde drehe. „Die Sonne bewegt sich in einem bestimmten Raum und jeder Stern bewegt sich in seinem eigenen Himmel.“ Diese Behauptung wurde lächerlich gemacht, bis viele Jahrhunderte später Galilei die Bewegung der Erde bestätigte.

Die erste, aus Holz gefertigte Uhr wurde unter Harun-Al-Raschid in Baghdád im siebten Jahrhundert erfunden und dem Frankenkönig als Geschenk gesandt.


III.2)

Die Ursache der Spaltung und der Entstehung von Sekten im Islám war hauptsächlich die, daß Muḥammad keinen Sohn hinterließ, keinen letzten Willen oder Testament. Er wünschte zwar ein Testament zu schreiben, aber Umar vereitelte das. Denn in den letzten Stunden Seines irdischen Lebens verlangte Muḥammad Feder und Papier, „einen letzten Willen niederzuschreiben, daß nach Meinem Hinscheiden nicht irgendwelche Meinungsverschiedenheiten bei euch aufkommen“, sagte Er zu den um Sein Sterbebett Versammelten. Einer der Männer erhob sich und ging, Feder und Papier zu holen. Umar folgte dem Mann und befahl ihm, zurückzukehren, „denn der Mann redete irre“. Er bedeutete ihm, daß Muḥammad durch das Fieber nicht bei vollem Bewußtsein sei. „Das Buch Gottes (der Qur’án) genügt für uns“, fügte er hinzu. Der Gläubige, der Umar fürchtete, wagte nicht, ihm zu widersprechen. So geschah es, daß kein letzter Wille niedergeschrieben wurde und daß große Unruhen nach Muḥammad’s Tod entstanden.

In einer Versammlung von angesehenen Männern wurde im Jahre 644 n. Chr. Abú-Bakr eilig zum ersten Kalifen erwählt. Diesen Titel trugen die Nachfolger Muḥammad’s als weltliche und religiöse Autorität. Diese Wahl jedoch war den Anhängern, die die Stufe ‘Alí’s erkannten, nicht genehm, und zwar nicht nur wegen dessen Verwandtschaft zum Propheten als Neffe und Schwiegersohn, sondern auch wegen seiner besonderen Gaben, seines Mutes und seiner großen Verdienste. Überdies verkündete Muḥammad lange vor Seinem Hinscheiden den Namen seines geliebtesten und erwählten Jüngers ‘Alí. „Ich bin die Stadt der Erkenntnis und ‘Alí ist ihr Tor. Jedem, dem Ich Meister bin, ist auch ‘Alí Meister.“

Viele der Stämme blieben dem Islám fern wegen Abú-Bakr. Andere nahmen es schweigend hin um des Einklangs und des Friedens willen.

Abú-Bakr’s Vater war sehr erstaunt, als er von der Erwählung seines Sohnes zum Führer erfuhr. Als ihm erzählt wurde, daß dies nur aus dem Grunde geschah, weil er der Älteste unter den ersten Jüngern war, lachte er und sagte: „Wollt ihr damit sagen, daß mein Sohn älter ist als ich, sein Vater?“

(Fortsetzung folgt.)


1) Aus „Beantwortete Fragen“, Kap. 7.

2) Entnommen und ins Deutsche übertragen aus „World Order“, Bd. 1, Nr. 11, Februar 1936, S. 428 ff.



14. Bahá’í-Nationaltagung am 25. und 26. April in Stuttgart[Bearbeiten]

Über den Verlauf unserer diesjährigen Tagung gibt das Programm näheren Aufschluß, das der Nationale Geistige Rat in nächster Zeit als Einladung bzw. Teilnehmerausweis verschicken wird. Anläßlich dieser Tagung ist wieder eine öffentliche Bahá’í-Morgenfeier vorgesehen, und zwar am Sonntag, den 26. April, 11 Uhr, im Haus des Deutschtums, Danziger Freiheit 1, wozu jedermann herzlich eingeladen wird.



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Bahá’u’lláh

Verborgene Worte.. Worte der Weisheit und Gebete. Geschrieben während seiner Verbannung in Bagdad 1857/58 . . . kart. —.80

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Frohe Botschaften. Worte des Paradieses, Tablet Tarasat (Schmuck), Tablet Taschalliat (Lichtstrahlen), Tablet Ischrakat (Glanz). Mahnrufe und Anweisungen an die Völker der Erde . . gebunden 2.00

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Buch der Gewißheit oder Kitábu’l-Iqán. Eine Auseinandersetzung mit theologischen Fragen verschiedener Religionen, geschrieben in Bagdad um 1862. Ist fortsetzungsweise in den beiden Jahrgängen X und XI unserer Zeitschrift „Sonne der Wahrheit“ enthalten.

Jahrgang gebunden je 3.--


'Abdu'l-Bahá Abbas

Ansprachen in Paris. ‘Abdu’l-Bahá spricht hier über zahlreiche Fragen, nach deren Klärung die Völker der Erde suchen.

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Beantwortete Fragen. Erklärungen zu christlichen und islamischen Fragen, Behandlung allgemeiner weltanschaulicher Probleme . . . . . . Ganzleinen 2.50

Sendschreiben an die Haager Friedenskonferenz 1919 . . . . . -.20

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Die Weltreligion Kurze Charakterisierung des Bahá’í-Glaubens. Shoghi Effendi . . . -.10


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Geschichte und Wahrheitsbeweise der Bahá’i-Religion, Einführung in die Gedankenwelt der Bahá’i-Lehre von einem orientalischen Gelehrten. Von Mirza Abul Fazl . . . . . gebunden 2.--

Bahá’u’lláh und das neue Zeitalter. ein Lehrbuch von Dr. J. E. Esslemont. Ganzleinen 2.50

'Abdu'l-Bahá Abbas’ Leben und Lehren, von Myron H. Phelps. . . . . .gebunden 2.--

Die Bahá’i-Offenbarung, ein Lehrbuch von Thornton Chase. . . . . . . kart. 2.--

Am Morgen einer neuen Zeit. Untersuchung der geistigen Ursachen der Weltkrise und Beleuchtung der letzthin einzigen Möglichkeit ihrer Überwindung durch die Bahá’i-Lehre. Von Dr. Hermann Großmann . . . . . kart. 1.80

Ganzleinen 2.50

Lebensgestaltung. Das Leben und ich. Das Leben und mein Nächster. Das Leben und Gott. Kursberichte der Eßlinger Bahá’í-Sommerwoche 1933 . . . -.30

Die Bahá’i-Weltanschauung. Eine kurze Einführung. Von Pauline Hartmann . . . . —.20

Das Hinscheiden 'Abdu'l-Bahás ("The Passing of 'Abdu'l-Bahá") . . . -.30

Sonne der Wahrheit. Bahá'i-Monatszeitschrift.

Jahrgang III - XI gebunden je 3.--
Jahrgang XII - XV gebunden je 6.--