SONNE DER WAHRHEIT | ||
Organ der Bahá’í in Deutschland und Öesterreich |
Heft 1 | 16. Jahrgang | März 1936 |
Die Bahá’í-Lehre,[Bearbeiten]
die Lehre Bahá’u’lláhs erkennt in der Religion die höchste und reinste Quelle allen sittlichen Lebens.
Die Ausdrucksformen des religiösen Lebens des Einzelnen, ganzer Völker und Kulturkreise haben im Laufe der Geschichte entsprechend den jeweils anderen Verhältnissen und dem Wachstum des menschlichen Erkenntnisvermögens Wandlungen erfahren. Die äußeren Gesetze und Gebote aller Weltreligionen entsprachen immer den entwicklungsgeschichtlich gegebenen Erfordernissen in bezug auf den Einzelnen, die soziale Ordnung und das Verhältnis zwischen den Völkern. Alle Religionen beruhen aber auf einer gemeinsamen, geistigen Grundlage. „Diese Grundlage muß notwendigerweise die Wahrheit sein und kann nur eine Einheit, nicht eine Mehrheit bilden.“ ('Abdu'l-Bahá.) „Die Sonne der Wahrheit ist das Wort Gottes, von dem die Erziehung der Menschen im Reich der Gedanken abhängig ist.“ (Bahá’u’lláh.) Alle großen Religionsstifter waren Verkünder des Wortes Gottes entsprechend der Fassungskraft und Entwicklungsstufe der Menschen. Das Wesen der Religion liegt darin, im Bewußtwerden der Abhängigkeit des Menschen von der Wirklichkeit Gottes Seine Offenbarer anzuerkennen und nach Seinen durch sie übermittelten Geboten zu leben.
Die Bahá’i-Lehre bestätigt und vertieft den unverfälschten und unwandelbaren Sinn und Gehalt aller Religionen von neuem und zeigt darüber hinaus die kommende Weltordnung auf, welche die geistige Einheit der Menschheit zur Voraussetzung haben wird. Die in ihr zum Ausdruck kommende Weltanschauung steht mit den Errungenschaften der Wissenschaft ausdrücklich in Einklang.
Die Lehre Bahá’u’lláhs enthält geistige Grundsätze und Richtlinien für eine harmonische Gesellschafts-, Staats- und Wirtschaftsordnung. Sie beruhen auf dem Gedanken der natürlich gewachsenen, organischen Einheit jedes Volkes und der das Völkische übergreifenden geistigen Einheit der Menschheit. Den Interessen der Volksgemeinschaft sind die Sonderinteressen des Einzelnen unterzuordnen, denn nur die Gesamtwohlfahrt verbürgt auch das Wohl des Einzelnen.
Wie jede Religion, so wendet sich auch die Bahá’i-Lehre an die Herzensgesinnung des Menschen, um die religiösen Kräfte in den Dienst wahren Menschentums zu stellen. Sie erstrebt die Höherentwicklung der Menschheit mehr durch die Selbsterziehung des Einzelnen als durch äußerlich-organisatorische Maßnahmen. Der Bahá’i hat sich daher über seine ernst aufgefaßten staatsbürgerlichen Pflichten hinaus nicht in die Politik einzumischen, sondern sich zum Träger der Ordnung und des Friedens im menschlichen Gemeinschaftsleben zu erheben. Bahá’u’lláhs Worte sind: „Es ist euch zur Pflicht gemacht, euch allen gerechten Regenten ergeben zu zeigen und jedem gerechten König eure Treue zu beweisen. Dienet den Herrschern der Welt mit der höchsten Wahrhaftigkeit und Treue. Zeiget ihnen Gehorsam und seid ihre wohlwollenden Freunde. Mischt euch nicht ohne ihre Erlaubnis und Zulassung in politische Dinge ein, denn Untreue gegenüber dem Herrscher ist Untreue gegenüber Gott selbst.“
Bahá’u’lláh weist den Weg zu einer befriedeten, im Geiste geeinigten Menschheit. Ein alle Staaten umfassender Bund in ihrer Eigenart entwickelter und unabhängiger Völker auf der Grundlage der Gleichberechtigung, ausgestattet mit völkerrechtlichen Vollmachten und Vollstreckungsgewalten gegenüber Friedensstörern, soll die übernationalen Interessen aller Völker der Erde in völliger Unparteilichkeit und höchster Verantwortung wahrnehmen. Zwischenstaatliche Konflikte sind durch einen von allen Staaten beschickten Weltschiedsgerichtshof auf friedlichem Wege beizulegen.
Die geistige Wesensgleichheit aller Menschen und Völker erheischt einen organischen Aufbau der sozialen Weltordnung, in der jedem seine einzigartige, besondere Eingliederung und Aufgabe zugewiesen ist. Die geographischen, biologischen und geschichtlichen Gegebenheiten bedürfen im Gemeinschaftsleben der Völker immer einer besonderen Beachtung, ohne die sie umschließende Einheit im Reiche des Geistes aus den Augen zu verlieren.
Die Lehre Bahá’u’lláhs „ist in ihrem Ursprung göttlich, in ihren Zielen allumfassend, in ihrem Ausblick weit, in ihrer Methode wissenschaftlich, in ihren Grundsätzen menschendienend und von kraftvollem Einfluß auf die Herzen und Gemüter der Menschen“.
SONNE DER WAHRHEIT Organ der Bahá’í in Deutschland und Österreich Verantwortlich für die Herausgabe: Dr. Eugen Schmidt, Stuttgart-W, Reinsburgerstraße 198 Schriftleitung: Dr. Adelbert Mühlschlegel, Dr. Eugen Schmidt, Alice Schwarz-Solivo Verwaltung: Paul Gollmer • Begründet von Alice Schwarz-Solivo Preis vierteljährlich 1.80 Reichsmark |
Heft 1 | Stuttgart, im März 1936 Bahá — Herrlichkeit 93 |
16. Jahrgang |
Inhalt: Die göttliche Frühlingszeit. — Nabíl’s Erzählung: Der Aufenthalt des Báb in Shíráz nach der Pilgerreise (9. Kapitel). — Zeitenwende. — Ein Tempel des Lichts (Schluß). — Die Geschichte des Islam. — Bekanntmachung.
Das Wesen des Glaubens ist: wenig Worte zu machen und eine Fülle von Taten aufzuweisen. Wisse, daß für den, dessen Worte seine Taten übertreffen, wahrlich der Tod besser wäre als sein Leben.
- Worte der Weisheit von Bahá’u’lláh
Die göttliche Frühlingszeit[Bearbeiten]
- Worte von Bahá’u’lláh*)
- *) Entnommen und ins Deutsche übertragen aus „World Order“, Bd. 1, Nr. 8, November 1935, S. 298 ff.
Der Anfang aller Dinge ist die Erkenntnis Gottes und das Ende aller Dinge ist die
strenge Befolgung alles dessen, was von dem höchsten Himmel des göttlichen Willens
herab gesandt wurde, welcher alles durchdringt, was in den Himmeln und auf Erden ist.
Die göttliche Frühlingszeit ist angebrochen, o höchst erhabene Feder, denn die Festzeit des Allbarmherzigen ist nahe herangekommen. Erhebe dich und verherrliche vor der ganzen Schöpfung den Namen Gottes, und lobpreise Ihn in solcher Weise, daß alle erschaffenen Dinge wiedergeboren und erneuert werden mögen. Sprich und schweige nicht. Das Tagesgestirn der Glückseligkeit strahlt über dem Horizont Unseres Namens, dem freudevollen, weil das Königreich des Namens Gottes mit der Zier des Namens deines Herrn, dem Schöpfer der Himmel, geschmückt wurde. Mache dich auf vor den Nationen der Erde und wappne dich mit der Macht dieses Größten Namens und gehöre nicht zu denen, die zaudern.
Mich dünkt, daß du zögerst und dich nicht in der Richtung Meines Tablets bewegst. Sollte der Glanz des Göttlichen Angesichts dich verwirrt oder das eitle Geschwätz der Verstockten dich mit Kummer erfüllt und deine Bewegungen gelähmt haben? Sei auf der Hut, damit nicht irgend etwas dich zurückhalten möge vom Preise der Größe dieses Tages — dem Tage, an dem der Finger der Erhabenheit und Macht das Siegel des Weines der Wiedervereinigung geöffnet und alle berufen hat, die in den Himmeln und auf Erden sind. Ziehst du vor, zu zögern, wenn bereits der Windhauch, der den Tag Gottes ankündet, über dir geweht hat, oder zählst du zu denen, welche wie durch einen Schleier von Ihm abgeschlossen sind?
[Seite 2]Keinerlei Schleier habe ich gestattet, o Herr aller Namen und Schöpfer der Himmel, um
mich abzuschließen von der Erkenntnis der Herrlichkeiten Deines Tages — des Tages,
welcher die Lampe der Führung ist für die ganze Welt und das Zeichen des Tages von
alters her für Alle, die darin wohnen. Mein Schweigen hat seinen Grund in den Schleiern,
welche die Augen Deiner Geschöpfe vor Dir blind gemacht haben, und meine Stummheit
ist dem Hindernis zuzuschreiben, das Dein Volk von der Erkenntnis Deiner Wahrheit
abgehalten hat. Du weißt, was in mir ist, doch ich weiß nicht, was in Dir ist. Du bist
der Allwissende, der Allweise. Durch Deinen Namen, welcher alle anderen Namen
übertrifft! Sollte Dein alles beherrschender und alles bezwingender Befehl jemals mich
erreichen, so würde er mich befähigen, die Seelen aller Menschen durch Dein höchst
erhabenes Wort zu beleben, welches ich ausgesprochen hörte durch Deine Zunge der Macht
in Deinem Königreich der Herrlichkeit. Er würde mich befähigen, die Offenbarung Deines
strahlenden Antlitzes zu verkünden, wodurch alles, was vor den Augen der Menschen
verborgen liegt, in Deinem Namen, dem Sichtbaren, dem erhabenen Beschützer,
dem Selbstbestehenden geoffenbart worden ist.
Kannst Du irgend jemand an diesem Tag entdecken außer Mir, o Feder? Was ist aus der Schöpfung und ihren Offenbarungen geworden? Was aus den Namen und ihrem Königreich? Wohin sind alle erschaffenen Dinge, ob sichtbar oder unsichtbar, gelangt? Was ist aus den verborgenen Geheimnissen des Weltalls und ihren Offenbarungen ge- worden? Siehe, die ganze Schöpfung ist dahingegangen! Nichts verblieb außer Meinem Angesicht, dem ewigen, dem strahlenden, dem allerherrlichsten.
Dies ist der Tag, an dem nichts gesehen werden kann, außer dem Glanz des Lichtes, welches von dem Angesicht Deines Herrn, dem Gnädigen, dem Höchstgütigen, ausstrahlt. Wahrlich, Wir haben jede Seele veranlaßt, durch die Kraft Unserer bezwingenden und alles überwältigenden Herrschaft zu sterben. Wir riefen dann eine neue Schöpfung ins Leben, als ein Geschenk Unserer Gnade für die Menschen. Ich bin wahrlich der Großmütige, der Altehrwürdige.
Hütet euch, o Gläubige in der Einheit Gottes, daß ihr nicht versucht werdet, irgendwelchen Unterschied zwischen irgend einer der Manifestationen Seiner Sache oder zwischen den Zeichen zu machen, die ihre Offenbarung begleitet und verkündet haben. Dies ist in der Tat der wahre Sinn der Göttlichen Einheit, wenn ihr zu denen gehöret, welche diese Wahrheit erfassen und glauben. Seid auch dessen gewiß, daß die Werke und Taten jeder dieser Manifestationen Gottes, ja, was auch immer ihnen zukommt, und was sie immer in der Zukunft offenbaren mögen, von Gott befohlen und eine Widerspiegelung Seines Willens und Seiner Absicht sind. Wer auch nur den allergeringsten Unterschied zwischen ihren Personen, ihren Worten, ihren Botschaften, ihren Taten und ihrer Lebensart macht, hat in der Tat an Gott nicht geglaubt, hat Seine Zeichen verworfen und die Sache Seiner Gesandten verraten.
Siehe auf die Geschöpfe Gottes nicht anders als mit den Augen des Wohlwollens und der Barmherzigkeit, denn Unsere liebevolle Vorsehung erstreckt sich auf alle erschaffenen Wesen und Unsere Gnade umschließt die Erde und die Himmel. Dies ist der Tag, an dem die wahren Diener Gottes teilhaben an den lebenspendenden Wassern der Wiedervereinigung, der Tag, an welchem jene, die Ihm nahe sind, befähigt werden, von dem ruhig fließenden Strom der Unsterblichkeit zu trinken, und die, so sie an Seine Einheit glauben, den Wein Seiner Gegenwart kosten, dank ihrer Erkenntnis von Ihm, welcher der Höchste und das letzte Ziel von allem ist, durch den die Zunge der Erhabenheit und Herrlichkeit den Ruf erschallen läßt: „Das Königreich ist Mein. Ich Selbst bin, aus Meinem eigenen Recht, sein Herrscher.“
Gewinnet die Herzen der Menschen durch Seinen Ruf, dem einzigen Geliebten. Saget:
Dies ist die Stimme Gottes, wenn ihr nur hören würdet. Dies ist der Tagesanbruch der
Offenbarung Gottes, würdet ihr es doch verstehen. Dies ist der Aufgangsort der Sache
Gottes, würdet ihr es doch erkennen. Dies ist die Quelle des Befehles Gottes, würdet ihr
ihn nur gerecht beurteilen. Dies ist das offenbare und verborgene Geheimnis, möchtet ihr
es doch wahrnehmen. O Völker der Welt! Werfet von euch in Meinem Namen, der alle
anderen Namen übertrifft, die Dinge, welche [Seite 3]ihr besitzet und versenkt euch in dieses Meer, in dessen Tiefen die Perlen der Weisheit und
der Äußerung verborgen liegen, einem Meer, das in Meinem Namen, dem Allbarmherzigen, wogt.
Gepriesen und gelobt bist Du, o Herr, mein Gott! Wie kann ich Deiner erwähnen, da ich sicher bin, daß keine Zunge, wie tief auch ihre Weisheit sei, Deinen Namen geziemend preisen kann, noch kann der Vogel des menschlichen Herzens, wie groß auch sein Verlangen sei, jemals hoffen, sich zu dem Himmel Deiner Erhabenheit und Weisheit zu erheben.
Wenn ich Dich beschreibe, o mein Gott, als Ihn, den Allwissenden, fühle ich mich gezwungen, zuzugeben, daß jene, welche die höchsten Verkörperungen der Wahrnehmung sind, vermöge Deines Befehls erschaffen wurden. Und wenn ich Dich preise als den Allweisen, so bin ich gleichfalls gezwungen, anzuerkennen, daß die Quellen der Weisheit selbst durch die Wirkung Deines Willens hervorgebracht wurden. Und wenn ich Dich verkünde als den Unvergleichlichen, so entdecke ich bald, daß Die, welche das innerste Wesen der Einheit sind, von Dir herniedergesandt wurden und nur die Beweise Deiner Schöpfung sind. Und wenn ich Dich verkünde als den Wissenden aller Dinge, so muß ich bekennen, daß Die, welche das Wesen der Erkenntnis sind, nur die Schöpfung und die Werkzeuge Deines Planes darstellen.
Erhaben, unermeßlich erhaben bist Du über die Bemühungen der sterblichen Menschen, Dein Geheimnis zu enthüllen, Deine Herrlichkeit zu beschreiben oder gar das Wesen Deiner Wirklichkeit zu deuten. Denn was auch solche Bemühungen hervorbringen mögen, so können sie niemals hoffen, die Grenzen, welche Deinen Geschöpfen gesetzt sind, zu überschreiten, obgleich diese Anstrengungen durch Deinen Ratschluß hervorgerufen sind und aus Deinem Plan hervorgehen. Die höchsten Gefühle, welche die heiligsten der Heiligen zu Deinem Lobpreis zum Ausdruck bringen können, und die tiefste Weisheit, welche die gelehrtesten der Menschen in ihrem Bestreben zu äußern vermögen, Dein Wesen zu begreifen, sie alle bewegen sich um jenen Mittelpunkt, Der gänzlich Deiner Herrschaft untersteht, Der Deine Schönheit verehrt und Der durch die Bewegung Deiner Feder angetrieben wird.
Nein, behüte, o mein Gott, daß ich solche Worte geäußert haben sollte, die notwendigerweise irgend eine unmittelbare Verbindung zwischen der Feder Deiner Offenbarung und dem Wesen aller erschaffenen Dinge einschlössen.
Weit, weit sind Jene, welche zu Dir in Beziehung stehen, von der Auffassung einer solchen Verbindung entfernt. Alle Vergleiche und Bilder können dem Baum Deiner Offenbarung nicht gerecht werden, und jeder Weg zum Begreifen der Offenbarung Deines Selbstes und des Tagesanbruchs Deiner Schönheit ist versperrt.
Ferne, ferne von Deiner Herrlichkeit ist, was der sterbliche Mensch über Dich zu behaupten oder Dir zuzuschreiben vermag, oder das Lob, womit er Dich verherrlichen kann! Welche Pflicht Du auch Deinen Dienern zum höchsten Lob Deiner Erhabenheit und Herrlichkeit auferlegt hast, sie ist nur ein Zeichen Deiner Gnade für sie, damit sie befähigt werden mögen, zu der Stufe emporzusteigen, die ihrem eigenen innersten Wesen, der Stufe der Erkenntnis ihres eigenen Selbstes verliehen ist.
Niemand außer Dir war jemals fähig, Dein Geheimnis zu ergründen oder Deine Größe gebührend zu preisen. Unerforschlich und hocherhaben über dem Lob der Menschen wirst Du für alle Zeit bleiben. Es gibt keinen Gott außer Dir, dem Unvergänglichen, dem Allmächtigen, dem Allwissenden, dem Heiligen der Heiligen.
Höchstes Lob und Ruhm sei Gott, Der durch die Kraft Seiner Macht Seine Geschöpfe aus der Nacktheit des Nicht-Seins befreit und sie mit dem Mantel des Lebens gekleidet hat. Von allen erschaffenen Dingen hat Er für Seine besondere Gunst die reine juwelen- gleiche Wirklichkeit des Menschen auserlesen und ihn mit einer einzigartigen Fähigkeit ausgestattet, Ihn zu erkennen und die Größe Seiner Herrlichkeit widerzuspiegeln. Diese zweifache Auszeichnung, die ihm verliehen ist, hat von seinem Herzen den Rost jeglichen eitlen Wunsches genommen und ihn des Gewandes würdig gemacht, mit dem sein Schöpfer ihn zu kleiden wünschte. Sie hat dazu gedient, seine Seele von der Nichtswürdigkeit der Unwissenheit zu befreien.
[Seite 4]Dieses Gewand, mit dem der Körper und die Seele des Menschen geschmückt wurde, ist
der wahre Grund seines Wohlergehens und seiner Entwicklung. O, wie gesegnet wird
der Tag sein, wann durch die Gnade und Macht des einen wahren Gottes der Mensch
sich befreit haben wird von den Banden und der Verdorbenheit der Welt und allem, was
darinnen ist, und er zu der wahren und dauernden Ruhe im Schatten des Baumes der
Erkenntnis gelangt sein wird!
Nabíl’s Erzählung[Bearbeiten]
Übersetzung aus „The Dawn-Breakers“, Nabíl’s Narrative of the early days of the Bahá’í Revelation, New York 1932
Aus Kapitel IX: Der Aufenthalt des Báb in Shíráz nach Seiner Pilgerreise
- Aus Raumgründen bringen wir von jetzt an Zusammenfassungen der weiteren Kapitel des oben genannten umfangreichen Geschichtswerkes über die erste Entwicklung des Bahá’í-Glaubens. Eine vollständige deutsche Ausgabe dieses Buches ist später vorgesehen.
Kurz nach der Ankunft Mullá Ḥusayn’s in Shíráz erhob sich die Volksstimme im Aufruhr gegen ihn. Die Lage wurde so bedrohlich, daß der Báb Mullá Ḥusayn aufforderte, über Jazd in seine heimatliche Provinz Khurásán zurückzukehren. Ebenso entließ Er Seine übrigen Gefährten und bat sie, nach Iṣfáhán zurückzukehren. Er behielt Mullá 'Abdu'l-Karím bei sich, dem Er zur Pflicht machte, Seine Schriften abzuschreiben.
„Diese Vorsichtsmaßnahmen, die der Báb für ratsam hielt, befreiten Ihn aus der augenblicklichen Gefahr der Tätlichkeiten des wütenden Volks in Shíráz und führten zu einem neuen Antrieb in der Verkündung Seines Glaubens außerhalb der Stadt.“ Seine Jünger, die in allen Teilen jener Gegend sich aufhielten, verkündeten mutig die neubelebende Macht der neuverkündeten Offenbarung, so daß der Ruhm des Báb bis zu den höchsten Autoritäten sowohl der Hauptstadt als auch der Provinzen drang. „Die Würdenträger des Staates und der Kirche kamen persönlich oder beauftragten ihre befähigtsten Vertreter, um die Wahrheit und das Wesen dieser beachtenswerten Bewegung zu erforschen.“
Muḥammad-Sháh selbst fühlte sich veranlaßt, die Wahrhaftigkeit dieser Berichte festzustellen. In jenen Tagen wohnte Siyyid Jaḥyá in Ṭihrán als Gast im Hause von Mírzá Luṭf-‘Alí, dem Zeremonienmeister des Sháh. Diesem trug er auf: „Sage Siyyid Jaḥyá von uns, da wir das größte Vertrauen in seine Redlichkeit haben und seine moralischen und intellektuellen Leitsätze bewundern, daß wir ihn als den geeignetsten von den Geistlichen in unserm Reich betrachten. Wir erwarten von ihm, daß er sich nach Shíráz begibt, um gründlich die Angelegenheit des Siyyid-i-Báb zu erforschen und uns vom Ergebnis seiner Untersuchung zu unterrichten.”
Die Botschaft des Sháh bewog Siyyid Jaḥyá, seine langgehegte Absicht unverzüglich auszuführen. Während der Reise überlegte er die vielen Fragen, die er dem Báb vorzulegen gedachte und glaubte, schon aus deren Beantwortung die Wahrheit und den Wert Seiner Mission erkennen zu können. Bei seiner Ankunft in Shíráz traf er Mullá Shaykh ‘Alí mit dem Beinamen ‘Aẓún, mit dem er eng befreundet war. Dieser riet ihm, in seiner Unterredung mit dem Báb die größte Zurückhaltung zu beachten, damit er nicht am Ende genötigt wäre, jeglichen Akt der Unhöflichkeit gegen Ihn bedauern zu müssen.
Siyyid Yaḥyá begegnete dem Báb im Hause von Ḥájí Mirzá Siyyid ‘Alí und zeigte in seiner
Haltung gegen Ihn größte Höflichkeit. „Zwei Stunden lang richtete er die Aufmerksamkeit
des Báb auf die schwerverständlichsten und verwirrtesten Themen in den metaphysischen
Lehren des Islam, auf die unverständlichsten Stellen des Qur’án und auf die
geheimnisvollen Überlieferungen und Prophezeiungen der Imame des Glaubens.“ Die
Erkenntnis und Klarheit der kurzen aber treffenden Antwort des Báb auf jede Frage
erweckten das Erstaunen und die Bewunderung von Siyyid Yaḥyá. Als er, überwältigt im[Seite 5]
Bewußtsein der Erniedrigung seiner eigenen Anmaßung und seines Stolzes, sich zum
Gehen anschickte, sagte er zu Báb: „Es möge Gott gefallen, daß ich im Verlauf meiner
nächsten Audienz bei Ihnen den Rest meiner Fragen vortrage und damit meine
Fragenstellung beende.“
Im Verlauf seiner zweiten Unterredung entdeckte Siyyid Yaḥyá zu seinem Erstaunen, daß alle Fragen, die er beabsichtigt hatte, dem Báb zu unterbreiten, seinem Gedächtnis entschwunden waren, und er beschied sich mit nebensächlichen Fragen. Bald fand er zu seiner noch größeren Überraschung, daß der Báb mit der gleichen Klarheit und Erkenntnis, die Seine ersten Antworten gekennzeichnet hatten, jene selben Fragen, die er für den Augenblick vergessen hatte, beantwortete. Vor Erregung außerstande, seine Gedanken zu sammeln, bat er sich zurückziehen zu dürfen.
„Ich beschloß“, berichtet er späterhin, „bei meinem dritten Besuch beim Báb Ihn im Grunde meines Herzens zu bitten, für mich eine Auslegung der Sure über Kawthar1) zu offenbaren“, jedoch kein Wort von meiner Bitte in Seiner Anwesenheit verlauten zu lassen. In Seiner Gegenwart jedoch war ich aufs tiefste verwirrt und erschüttert. „Als der Báb meinen Zustand wahrnahm, ergriff Er meine Hand und setzte mich neben sich. ‚Verlange von Mir zu hören‘, so sprach Er, ‚was immer dein Herz begehrt. Ich will es dir bereitwillig offenbaren.‘ Vor Staunen sprachlos, war ich unfähig, zu antworten. Lächelnd sah Er mich an und sagte: ‚Soll Ich dir die Auslegung der Sure von Kawthar offenbaren, würdest du dann anerkennen, daß Meine Worte dem Geist Gottes entstammen? Würdest du dann erkennen, daß Meine Worte in keiner Weise etwas mit Hexerei oder Magie zu tun haben?“ Ich brach in Tränen aus, als ich Ihn diese Worte sprechen hörte. Alles, was ich sagen konnte, war jener Vers aus dem Qur’án: ‚O Du, unser Gott, wir waren gegen uns selbst ungerecht: wenn Du uns nicht verzeihst und kein Mitleid mit uns hast, so werden wir gewißlich zugrunde gehen!‘ —
Es war zur frühen Nachmittagsstunde, als der Báb Ḥájí Mirzá Siyyid ‘Alí ersuchte, sein Schreibzeug und Schreibpapier zu bringen. Er begann Seine Auslegung über die Sure von Kawthar zu offenbaren. Wie könnte ich diese Begebenheit von so unaussprechlicher Erhabenheit schildern? Verse strömten aus Seiner Feder mit einer Schnelligkeit, daß ich ganz betroffen war. Die unglaubliche Geschwindigkeit Seiner Niederschrift, der sanfte und gütige Ton Seiner Stimme und die überwältigende Kraft Seiner Ausdrucksweise erschreckten und verwirrten mich. Er fuhr in dieser Weise bis Sonnenuntergang fort. Er hielt nicht inne, bis die ganze Auslegung der Sure vollendet war. Dann legte Er Seine Feder weg und bat um Tee. Kurz darauf las Er in meiner Anwesenheit das Ganze vor. Ich hatte heftiges Herzklopfen, als ich Ihn mit einem Ausdruck unaussprechlicher Zartheit diese Schätze enthüllen hörte, die diese erhabene Auslegung enthielt. Ich war so benommen von dessen Schönheit, daß ich dreimal daran war, die Besinnung zu verlieren. Er suchte meine schwindenden Kräfte mit einigen Tropfen Rosenwasser wieder zurückzurufen, die Er mir in das Gesicht sprengen ließ. Dies brachte mich wieder zu mir und half mir, Seiner Vorlesung bis zum Ende zu folgen.
Als der Báb zu Ende war, erhob Fr sich, um zu gehen. Er empfahl mich noch zuvor der Pflege Seines Onkels mütterlicherseits. ‚Er sei dein Gast‘, sprach Er zu ihm, ‚bis er zusammen mit Mullá ‘Abdu’l Karím die Abschrift dieser jetzt geoffenbarten Auslegung abgeschrieben und die Richtigkeit der Abschrift mit dem Original verglichen haben wird.‘ Mullá 'Abdu’l Karím und ich brauchten drei Tage und drei Nächte zu dieser Arbeit. ... Wir verglichen alle Überlieferungen im Text und fanden sie ganz wortwörtlich. Nun hatte meine Gewißheit einen solchen Grad erreicht, daß wenn alle Kräfte der Frde sich gegen mich verbündet hätten, sie dennoch machtlos gewesen wären, mein Vertrauen in die Größe Seiner Sache zu erschüttern.“
Der Statthalter Ḥusayn Khán war begierig, zu erfahren, ob Siyyid Yaḥyá dem
magischen Einfluß des Báb zum Opfer gefallen ist. Die Antwort Siyyid Yaḥyá’s: „Niemand
außer Gott, der allein das menschliche Herz wandeln kann, ist fähig, das Herz von Siyyid
Yaḥyá gefangen zu nehmen. Wer so sein Herz gefangen nehmen kann, ist von Gott,
und Sein Wort ist fraglos die Stimme der[Seite 6]
Wahrheit“, ließ den Statthalter verstummen. Dieser schrieb jedoch an Muḥammad Sháh,
daß er keinen Zweifel darüber hege, daß Siyyid Yaḥyá mit Leib und Seele Babi geworden
und Siyyid-i-Báb sklavisch ergeben sei. Als der Sháh erfuhr, daß Siyyid
Yaḥyá-i-Dárábí Babi geworden sei, erließ er einen Befehl, in welchem er dessen hohe
Abstammung, große Gelehrsamkeit und Tugend hervorhob und streng verbot, Worte zu äußern,
die seinem erhabenen Rang Einbuße tun würden.
(Forts. folgt)
*) Qur’án, 108.
Zeitenwende[Bearbeiten]
Von Alice Schwarz-Solivo
- Wir geben nachstehend eine Ansprache wieder, die unter obigem Thema anläßlich der in Stuttgart im Gustav-Siegle-Haus am 12. November 1935 stattgefundenen Gedenkfeier für Bahá’u’lláh gehalten wurde.
Schauen wir zurück auf die hinter uns liegenden Jahrtausende und prüfen wir den
Verlauf der Entwicklungsgeschichte der Menschheit, so sehen wir immer wieder Werden
und Vergehen, und daß im ewigen Wandel nur Beständigkeit liegt.
Reiche erstanden und vergingen, Dynastien erhoben sich und fanden ihren Abschluß. Die Welt im Ganzen ist in ewiger Entwicklung begriffen, die Natur unterliegt den ewig wechselnden Jahreszeiten, die Sterne ziehen ewig ihre kosmisch bedingte Bahn in unermeßlich weiten Sphären und stehen unter ewigem Gesetz. — Auf diesem Gesetz beruht das All und die Fortentwicklung des Menschen.
Wir aber können den Ursprung allen Seins nur ahnen. Dieser nie zu erfassende Geist, die nie zu ergründende göttliche Weisheit, die nimmer begreifbare Schöpferkraft zeigt sich uns allein in der Fülle eines unübersehbaren Reichtums in tausendfältiger Gestaltung. In der Schöpfung, sowohl im Makrokosmos als auch im Mikrokosmos — im großen All, wie in der kleinsten, dem bloßen Auge unsichtbaren Keimzelle — hat die Gesetzmäßigkeit ihren Ausdruck gefunden. Wenn nun auch alle Erkenntnis der Wissenschaft Stoff und Geist zu erfassen vermag, so wird doch die Frage nach dem Ursprung allen Lebens und des Geistes niemals restlos erforscht werden können, noch weniger aber die Quelle des ewigen Seins — Gott selbst. Denn zu dem Bereich des Allumfassenden kann der Mensch niemals gelangen.
Um aber dem Menschengeschlecht Kunde von Seinem ewigen Wesen zu geben, beruft Gott, der Allmächtige, Seine Boten, die uns Sein Wort, Seinen Willen kund tun.
Mit dem Auftreten eines jeden begann ein neuer Zyklus und durch ihren von Gott verliehenen Geist und unter ihrer Belehrung begann ein neuer geistiger Aufstieg; diesem folgte der Höhepunkt in einer Blütezeit des geistigen Ausdrucks und dann trat ein allmählicher Abstieg ein; die geistigen Gesetze gerieten mehr und mehr in Vergessenheit in Dingen wie erstarrter Dogmenkult, oder in sklavischer Ausübung religiöser Sitten. Dadurch wich immer mehr der Geist aus der heiligen Lehre, ihr Duft war dahin; eine Entfremdung und Gottferne trat ein, zum Verhängnis der Menschen.
Und wieder schließt sich ein solcher Kulturkreis, das christliche Zeitalter geht seiner Vollendung entgegen. Lassen Sie mich einen Blick auf seine kulturelle Blütezeit zurückwerfen. Als die christliche Religion im Ausgang des Mittelalters, vorwiegend im 14. und 15. Jahrhundert, im besonderen die bildenden Künstler zu unsterblichen Werken befähigte und ihr Stoff, aus dem sie schufen, vorwiegend christlich-religiösen Motiven entstammte, stand die Kunst, als Trägerin der Kultur, vorweg in Italien, auf den Höhen, ich nenne nur Leonardo da Vinci, Michelangelo, Raffael und Dante mit seiner göttlichen Komödie.
In Deutschland stehen wir mit Grünewald, Altdorfer, Dürer — als Bildhauer und
Holzschnitzer Tilman Riemenschneider — auf den Höhen des geistigen Ausdrucks
christlich-religiösen Schaffens. Auch eine tiefe, echte Religiosität spricht zu
uns aus den Bauwerken der Dome und Münster romanischen und gotischen Stils
und in viel späterer Zeit aus[Seite 7]
den Kompositionen eines Johann Sebastian Bach.
Ein solcher Ausdruck ist aus der Gestaltung von heute gewichen, man möchte meinen, daß die religiöse Gefühlstiefe, die Kraft der gläubigen Vertiefung vollkommen verschwunden ist.
Im 18. und 19. Jahrhundert trieb in Deutschland die Literatur ihre schönste Blüte mit Schiller, Goethe, Kant, Fichte und Hegel. — Der Mensch von heute geht von ganz anderen Gesichtspunkten aus, die sich in der Dichtkunst, in der Philosophie ausdrücken. Der Schwerpunkt der heutigen Zeit beruht vorwiegend auf naturwissenschaftlichen und technischen Initiativen, auf Erfindungen und Vervollkommnungen auf industriellen und technischen Gebieten, wie sie bis dahin noch nicht entwickelt wurden.
Es verbleibt dem Menschen von heute nicht die Zeit mehr, in engster Fühlung mit dem Ewigen zu verharren, seine Wirklichkeit mit dem Weltleben in bewußte Verbindung zu stellen und Wort und Handlung in Einklang zu bringen — was wohl vor Gottes Angesicht anders erscheinen wird, als unserer selbstherrlichen Beurteilung lieb sein mag.
Aus dieser Verarmung aber ringt sich so manche Geistesrichtung empor, die hohen Wert besitzt, die sich in ernstem Bemühen in Einklang zu bringen sucht mit Gott und ihrem Dasein; dies sind auch Wege, die Gott nahe führen.
Alle, deren Seele hungert, alle, die nach Wahrheit ringen, müssen doch glückseligen Herzens erkennen, daß ihre Sehnsucht Ruhe findet in der erlösenden Botschaft vom Kommen Bahá’u’lláh’s, der das Reich Gottes auf Erden gründet. Denn mit dieser Erkenntnis erfährt der Wille, Gott zu suchen und zu erleben, seine Beantwortung.
Durch göttlichen Ratschluß kam eine neue Führung zu uns; es zeigt sich ein neuer Weg empor; durch die Sendung eines Erkorenen für unsere Zeit spricht der allmächtige Herr heute wieder zu Seinen Geschöpfen.
Jedes Auftreten eines Gottgesandten bedeutet eine Wende in der geistigen Auffassung und weiteren Erkenntnis des Alls, Vertiefung der Religion, ein Näherkommen zu dem Schöpfer alles Sichtbaren und Unsichtbaren und damit zur ewigen Wahrheit, denn alles, was wir blühen sehen und alles, was emporwächst vor unseren Augen, und alles, was unsichtbar für uns sich entfaltet, blüht und reift, ist Wahrheit aus Seinen Händen. Und Wahrheit ist Erfüllung des Lebens; nach dieser Wahrheit sollen wir unsere Hände ausstrecken, denn es liegt eine neue geistige Welt vor uns, sie wartet auf uns, weil wir ihrer bedürfen!
Die Sonne bedarf unserer nicht, um zu scheinen, allein wir bedürfen der Sonne.
Eine solche Sonne, die ihre erweckenden Strahlen auf das Geheiß Gottes in die Welt sendet, die unsere Zukunft überstrahlen wird, ist der Künder des Bahá’í-Glaubens, ist Bahá’u’lláh.
Das Fest Seines Geburtstages feiern wir heute mit überströmendem Herzen, bewußt der unfaßbaren Gnade Gottes.
Das Wort der alten Propheten wird sich in Bahá’u’lláh’s heiliger Führung erfüllen, daß die sich mit Fanatismus bekämpfenden Religionen sich in höherer Erkenntnis in einem überkonfessionellen Glauben an Gott — frei von jeder Priesterschaft — zusammenschließen werden. Bahá’u’lláh’s Grundgesetz ist die geistige Einheit des Menschengeschlechts in seiner Vielgestaltigkeit und die Einheit der Religion. Ein Gott, eine Menschheit, eine geistige Führung! Auf Gerechtigkeit, Wahrhaftigkeit und Vertrauenswürdigkeit baut Bahá’u’lláh die neue Welt — Sein Reih — auf; Er begründet das Haus der Gerechtigkeit, einen Schiedsgerichtshof, der nur die Macht Gottes über sich kennt, durch den, in späteren Zeiten, in ehrlichem, selbstlosen Bemühen — dem Wort Gottes zufolge — die Völker vor Unstimmigkeiten bewahrt werden. Er fordert friedliche Verständigung der Völker untereinander, um zu einem wahren, dauernden Weltfrieden zu gelangen. Sein Kommen bedeutet das Heilmittel für die religiöse Not der Zeit!
Bahá’u’lláh’s Lehre ist wesentlich eine religiöse, eine geistige Lehre, die so umfassend
ist, daß Menschen aus allen Glaubensbekenntnissen ihre geistige Höherentwicklung darin
finden können. Sie entzündet die Liebe und die Anbetung Gottes und erweckt in jeder
Seele den Wunsch, durch Betätigung wahrer Nächstenliebe diese zu beweisen. Bahá’u’lláh
bringt der Menschheit eine praktische Grundlage der Einigkeit, welche sich in
unmittelbarer Beziehung zu der großen Not der[Seite 8]
Gegenwart befindet. Er bereitet den Weg zu einer großen allumfassenden Kultur der Zukunft.
Die christlichen Ideale, die teilweise verschüttet sind, werden neu belebt und mit
neuem Geist erhöht — denn Bahá’u’lláh lehrt uns Aufopferung für unseren Nächsten und
Selbsterkenntnis, lauter und wahr zu sein, ehrerbietig, hilfsbereit, dankbar und treu zu
sein!
Die ganze Weiterentwicklung der Völker, die Ruhe und Sicherheit aller Länder beruhen auf göttlicher Verordnung, somit auf den Gesetzen des Gottgesandten.
Um die schweren wirtschaftlichen und rechtlichen Probleme zu lösen, zeigt Bahá’u’lláh uns den Weg: die Zusammenarbeit Aller, zum Wohl Aller. Es müssen Gesetze geschaffen werden — so sagt Er — die ermöglichen, daß, zufolge einer besonderen Anpassung an die politischen und wirtschaftlichen Beziehungen, zwischen dem einzelnen Menschen und zwischen den Völkern, ein jeder und jedes in Harmonie, Glück und völligem Genügen leben kann.
Er spricht zu uns über ein neues Erbschaftsgesetz, über Erziehung und Selbsterziehung. Er läßt eine eindringliche Mahnung in bezug auf die Presse ergehen, die ein Spiegel der Wahrheit und Aufrichtigkeit sein soll und die Menschen nicht willkürlich beeinflussen darf.
Die Gebiete der Kunst, Wissenschaft, Industrie, Handel und jeglicher Beruf sind derart aufzufassen, daß sie als Gottesverehrung gelten! Der Beruf soll uns nicht Lebensunterhalt, sondern Lebensinhalt sein.
Das Gebet ist uns unerläßliche Pflicht, denn es ist die Sprache der Liebe zu Gott!
Bahá’u’lláh gebietet jedem Bahá’í, ein treuer, gehorsamer und zuverlässiger Untertan der Obrigkeit zu sein und sich niemals unberufen in Politik einzumischen.
Er sieht die Freiheit der Meere und eine einheitliche Währung vor. Die Anregung einer über die Welt hin verbreiteten Verkehrssprache ging erstmals von Ihm aus. In weiser Aufklärung zeigt Er uns die völlige Übereinstimmung von Religion und Wissenschaft, daß kein Widerspruch besteht, sobald die wahren Grundsätze der Religion begriffen worden sind. Fr spricht zu Seinen Nachfolgern folgende Worte: „O Volk Bahá’s: Jedes der geoffenbarten Gebote ist eine starke Festung zum Schutz der Welt, wahrlich, ich wünsche nur eure Sicherheit und eure Höherentwicklung!“
Auf allen Gebieten, die unser irdisches Dasein umfaßt, unser Geistesleben und unsere Unsterblichkeit berührt, sind uns neue Ausblicke eröffnet. Und doch ist es keine neue Religion, die uns Bahá’u’lláh bringt, es ist die Religion, die bei jedem Auftreten eines Gotteserwählten in ein höheres Stadium der Vergeistigung führte, dadurch aber nicht den hohen Wert der zurückliegenden Offenbarungen beeinträchtigte. Die Zeit ist gekommen, in der Christus Sein Wiedererscheinen verheißen hat, d. h. daß Seine Lehre im Reich Bahá’u’lláh’s zur vollen Würdigung komme und vervollkommnet würde. Wie Christus die Macht über Herz und Geist der Menschen besaß und die Zustände auf Erden zu verändern vermochte, so verlieh der allmächtige Vater nun Bahá’u’lláh das Wort, um die Menschen mit einem neuen Geist zu beleben, ja, Gott schenkte Ihm die Macht über alle Religionen und damit ist Sein Wort gültig und Seine Gebote wirken sich zwangsläufig aus. —
Freuen wir uns in der ganzen Unrast des Lebens, mit seiner Zerrissenheit und seinem Leid, den ruhenden Pol gefunden zu haben, das Bewußtsein göttlicher Hilfe, das Geborgensein in Seinem Erbarmen erleben zu dürfen. Jetzt ist die Zeit gekommen, in der die hungernde Seele die Fülle findet in Bahá’u’lláh’s Sendung. An einem so großen Wendepunkt stehen wir heute durch die unfaßbare Gnade Gottes.
Die öffentliche Erklärung Bahá’u’lláh’s, der Sendbote Gottes für eine neue Zeit zu
sein, fällt in das Jahr 1863, als Er im 46. Lebensjahr stand; 19 Jahre nach dem
Märtyrertod Seines Herolds El Báb. Als Bahá’u’lláh unter den schwierigsten und bedrohlichsten
Bekämpfungen Seiner Verkündigung und Seiner eigenen Persönlichkeit durch Staat
und Priesterschaft Seiner Zeitgenossen in Persien Seine hochheilige Mission erfüllt
hatte und hochbetagt zum Throne Gottes aufgestiegen war, lag die Aufgabe der Verbreitung
der Lehre und die ganze Verantwortung für dieses unschätzbare Vermächtnis in den
Händen Seines, zum Mittelpunkt des neuen Bundes ernannten, ältesten Sohnes
‘Abdu’l-Bahá. In Ihm begegnet uns eine einzigartige[Seite 9]
Erscheinung, die uns in keiner früheren Offenbarung entgegentritt. Seine Hingabe an
Gott erforderte ein Leben aufopferungsvollsten Dienstes. Dies ist Sein vorzüglichstes
Merkmal, das sich in Seinem Namen, „Diener Gottes“, ausdrückt. Allein berechtigt und
autorisiert durch Bahá’u’lláh, erläuterte und erklärte Er die Fülle der Offenbarungen
Seines großen Vaters und ergänzte durch zahlreiche Niederschriften die geoffenbarte Lehre.
Wer einmal das große Glück und den Vorzug hatte, Ihm zu begegnen, wie es verschiedenen von uns im Jahre 1915 vergönnt war, als Er zu einem Besuch in Stuttgart weilte und unsere Heimat segnete, der kann sich annähernd ein Bild der Größe Bahá’u’lláh’s machen.
Heute nun, nach dem im Jahre 1921 erfolgten Hinscheiden 'Abdu’l-Bahá’s hütet Shoghi Effendi, Sein Enkel, dieses geistige Gut als der von Ihm im Testament eingesetzte Hüter. Ein treuer Hüter für dieses verantwortungsvolle Amt, der mit ganzer Seele, geistig inspiriert, seiner Aufgabe dient, die von Tag zu Tag größere Anforderungen an ihn stellt.
Bahá’u’lláh ist mit Seiner Lehre, einer neuen und doch alten Daseinsauffassung, der Retter für die Welt, die sich ohne göttliche Hilfe nicht mehr zurechtfinden kann. Die Weltordnung ist erschüttert und materialisiert, eine neue, auf geistige Kräfte gegründete Weltordnung tut not. Darum ist es einem jeden von uns Pflicht und Gnade, von diesem Gottgesandten zu nehmen, was wir an Glanz und Fülle zu fassen vermögen, weil es jeglichem Pflicht ist, zu geben. Die Blüte soll Frucht werden und die Frucht zum Segen! Öffnen wir unsere Augen, daß wir erkennen, was uns auf unserem Weg begegnet und wir nicht achtlos am eigenen Leben vorübergehen. Daß wir erfassen, daß das größte Ereignis in unserer Geschichte das Kommen Bahá’u’lláh’s ist! — Mit uns arbeiten in allen Landen Freunde an der Kundgebung dieser neuen göttlichen Führung mit freudigem Herzen, denn die Heilung und Genesung der Welt in geistiger und materieller Beziehung hängt von der Sendung Bahá’u’lláh’s ab.
So wie Deutschland eine Sonderstellung bezüglich des Christentums auf dem Gebiet der Mystik und der Reformation eingenommen hat, so ist auch Deutschland wieder ausersehen, als ein erster Stützpunkt für die neue Glaubenslehre in Europa zu gelten. Der Tag wird kommen, an dem diese hohe Mission restlos anerkannt werden wird.
Lob und Dank sei Gott gesagt an diesem heutigen Gedenktag. Möge Sein Segen uns erleuchten und uns führen im Dienste Seiner heiligen Sache.
Ich schließe mit den bedeutungsvollen Worten von Bahá’u’lláh: „Was jene anbelangt, die von den Früchten des irdischen Daseins der Menschen das gekostet haben, was die Erkenntnis des einen wahren Gottes ist — erhaben ist Seine Herrlichkeit —, so ist ihr nächstes Leben derart, daß Wir nicht fähig sind, es zu beschreiben. Das Wissen darüber steht allein bei Gott, dem Herrn über allen Welten!“
Ein Tempel des Lichts (Schluß)[Bearbeiten]
Einführung und Zusammenstellung von Elsa Maria Grossmann, Neckargemünd
Andere Urteile der Presse.
Das von Louis Bourgeois geschaffene Modell, das von der Bahá’í-Versammlung im April 1920 als Entwurf für den Tempel, der in Chicago errichtet werden soll, angenommen wurde, hat weiteste Volkstümlichkeit erlangt und derartige Beachtung und Anerkennung von seiten der Architektenwelt gefunden, daß kein Zweifel über die Weisheit seiner Wahl herrschen kann. ‘Abdw’l-Bahá drückte seine Befriedigung über die Entscheidung unverzüglich und in unzweideutigen Worten aus.
Die New Yorker Presse brachte als erste den Tempel häufig in Erwähnung. „The Tribune“ und „The Sun“ bildeten ihn in ihren Rotogravüreteilen ab. „The New York American“ widmete ihm den größten Teil seines Kunstblattes mit einer langen Erklärung, die mit den Worten begann: „Viele Leute, die das Modell zu diesem Gebäude gesehen haben, sagen, daß es das schönste Bauwerk der Welt werden wird. Einige gehen so weit, zu erklären, daß es das schönste Bauwerk werden wird, das jemals errichtet wurde.“
[Seite 10]Sherwin Cody schrieb einen entzückenden Aufsatz im Zeitschriftenteil der „New York Times“,
in welchem er sagt: „Die Amerikaner werden davor stillstehen und es lange genug studieren
müssen, um herauszufinden, daß ein Künstler in dieses Gebäude den Gedanken eines religiösen
Völkerbundes hineingearbeitet hat.“
Die „New York World“ widmete dem Tempel einen ganzseitigen Aufsatz. „The Evening Post“ verlieh ihm zweimal großzügige Erwähnung und Würdigung. Die Zeitschriften waren ebenfalls recht beeindruckt. „The Prompter“ veröffentlichte einen ganzseitigen Aufsatz mit Abbildungen. „Architecture“, eine der prachtvollsten Kunst- und Architekturzeitschriften des Landes, widmete eine volle Seite der Erklärung und Abbildung des Modells.
„The Architectural Record“, eine der geschätztesten Arditekturzeitschriften, räumte dem Tempel und seiner Beurteilung einen weiten Raum ein und sagte: „Er ist einzig schön in der Harmonie seiner Maße, birgt eine bezaubernde Symbolik, in der sich alle Religionen der Menschheit angedeutet finden, und den Psychologen erfüllt er mit Überraschung, da der Schöpfer offen erklärt: ‚Es ist Bahá’u’lláh’s Tempel. Ich bin nur der Kanal, durch den er vermittelt wurde‘.“
„The Underwood Press“ sandte Zeichnungen des Modells und Erläuterungen aus, die tatsächlich in fast jedem Blatt des Landes erschienen, sogar die Wochenzeitungen kleiner Dörfer druckten sie ab. „The Literary Digest“ brachte sie mit einer äußerst günstigen Beurteilung. „Art and Architecture“ taten ihrer weitestgehende Erwähnung mit wunderschönen Wiedergaben und sagten u. a.: „So schön ist dieses Modell und so verschieden von allem, was Menschen vordem entwarfen, seien es Wohnstätten oder Plätze der Anbetung, daß es viele Erörterungen unter Architekten und Bildhauern und in den Zeitungen hervorgerufen hat.“
„The Outlook“ brachte eine Wiedergabe des vollständigen Tempels und einen Ausschnitt aus der prächtigen Kuppel mit Beschreibung.
Die „San Francisco Chronicle“, Zeitungen aus St. Louis, Kansas City, Philadelphia, alle haben sie lange Aufsätze veröffentlicht und die Architektur des Bahá’í-Tempels in glühenden Ausdrücken erläutert.
Einer der letzten Aufsätze über den Bahá’í-Tempel, der das beständige Interesse, das er erregt, dartut, erschien im „Christian Register“1) unter der Überschrift: „Ein wundervolles Haus der Anbetung. Beschreibung des neuen Bahá’í-Tempels, von dem es heißt, daß er das hervorragendste Bauwerk heutiger Zeit sei.“
Der Schreiber erläutert zuerst den religiösen Zweck des Tempels und zählt die universalen Prinzipien auf, die die sichere Grundlage des Bahá’í-Glaubens bilden. Sehr anerkennend hält er sich bei den auserlesenen, eigenartigen architektonischen Einzelheiten des Tempels auf und der historischen Aufmerksamkeit, die der Bahá’í-Bewegung in allen Enzyklopädien zuteil wird, zusammen mit den großen Mittelpunktsgestalten — dem Báb, Bahá’u’lláh und ‘Abdu’l-Bahá.
„Wundervoll — wie der Bauentwurf des Tempels ist“, sagt derselbe Schreiber, „sehen diejenigen, die an seiner Errichtung vornehmlich beteiligt sind, in dem universalen Dienst, den er der Menschheit leisten wird, seine erhabenste Bedeutung. Die Bahá’í-Botschaft ist vor allem eine Botschaft der Einheit. Sie erkennt die göttlichen Lebenselemente, die allen großen Weltreligionen zugrundeliegen.“
Zum Schlusse erinnert er an den Besuch ‘Abdu’l-Bahá’s im Abendland im Jahre 1912. „Überall erkannten die nach Wahrheit Suchenden der westlichen Welt in diesem verehrungswürdigen Seher des Ostens einen Mann von weitem Blickfeld und tiefer Geistigkeit. Deshalb ist die Errichtung dieses schönen Tempels für uns von besonderem Interesse.“
III. Die Symbolik des Bahá’í-Tempels
Von Mary Hanford Ford2)
Der große Bahá’í-Tempel, der sich in Chicago (Wilmette) im Bau befindet, wird jedermann für die Schönheit der Geschichte seiner Symbolik einnehmen, sobald sich seine Mauern in die Lüfte erheben.
Natürlich kann diese Symbolik mit größter Klarheit aus der Vollkommenheit des Tempelmodells herausgelesen werden, das den vollständigen Tempel in verkleinertem Maßstabe darstellt.
[Seite 11]Wir haben uns daran gewöhnt, in New York zu erklären: „Das Tempelmodell ist eine
Persönlichkeit, es redet“, oder, wie einige Leute lieber sagen, „es singt“, aber niemand würde
darauf den Ausdruck „erstarrte Musik“ beziehen, da sein musikalischer Eindruck so warm ist, so
schwingend und lebendig, daß man unmöglich in seiner Gegenwart an irgend etwas Erstarrtes
denken kann.
Alle, die mit der Errichtung des Tempelmodells durch seinen Baumeister, Louis Bourgeois, vertraut sind, wissen, daß es lediglich ein Werk der Eingebung ist. Louis Bourgeois war ein Baumeister von größter Erfahrung, Kultur und Wissen. Er ist jahrelang zuerst ein Sucher nach geistiger Wahrheit gewesen und dann ein Anhänger ‘Abdu’l-Bahá’s. So war er naturgemäß vertraut mit den verschiedensten religiösen sinnbildlichen Darstellungsweisen der Menschheit. Aber er schuf die erstaunliche Symbolik des Tempelmodells nicht. Er erkannte sie mit Freuden, nachdem sie durch seine befähigten Finger in dem verschlungenen und wundervollen Maßwerk der Tempelverzierungen, in seinen organischen Verbindungen, in Erscheinung trat. Er sagte nicht: „Hierhin will ich ein Dreieck setzen, dahin einen Kreis, dorthin einen neunzackigen Stern.“ In solchem Falle würde es nur eine unbeholfene Nebeneinanderstellung bestimmter Formen geworden sein und ohne Schönheit, denn Schönheit, die das Tempelmodell in so hohem Grade auszeichnet, ist ein Geschenk Gottes und kommt nur von Gott.
Der Tempel ist ein Neuneck oder neunseitiger Bau mit neun Toren, neun Rippen in der Kuppel, neun Öffnungen an jeder Seite usw. Alle die Ausdehnung betreffenden Zahlen des Tempels stehen in Beziehung zur Zahl Neun. Um das geistige Ganze einer Zahl herauszufinden, zählen wir ihre Einheiten zusammen und setzen diesen Vorgang fort, bis wir eine einzige Einheit erhalten.
Neun ist die Zahl der Vollkommenheit in der alten Zahlenkunde, wie beispielsweise bei Pythagoras, und in derjenigen unserer Zeit. In den früheren Systemen bedeutete die 9 eine vollkommene Zahlenreihe, die sich immer wiederholt. So geben 9 + 1 = 10, 9 +2 = 11 usw. In den noch älteren Systemen stellte die 9 die höchste Vollkommenheit des Menschen dar, während 10 für Gott und Mensch vereinigt stand, wie im Messias. In der Bahá’í-Symbolik fügt die 9 zu ihrer eigenen Stärke noch die der 10, da sie für die Herrlichkeit oder Bahá steht, d. i. Gott.
Sie wird in der Tat durch das Wort Bahá — Herrlichkeit — gebildet, da ja in der arabischen Sprache die Buchstaben auch Zahlensymbole darstellen: B ist 2, A ist 1, H ist 5 und A ist wieder 1, und die Übereinstimmung aller miteinander ergibt neun. So versinnbildlichen die neun Tore des Tempels die vollkommene Zahl der Pfade zu Gott und somit die Einheit in der Herrlichkeit Gottes, und das Vorherrschen der Neun im Zahlengefüge des Tempels erzeugt himmlische Einheit in seinen Schwingungen.
19 ist die Zahl des Báb für die Einheit und 5 ist die Zahl des Báb selbst. Derart kehren diese Zahlen immer wieder. 18 Stufen befinden sich an jedem der neun Zugänge zum Tempel, die mit dem vervollständigenden Türeingang zusammen 19 bilden, und jedes Tor — eine Neunzehn — wird wieder zum Symbol des Báb selbst, da, wie wir uns erinnern werden, Báb eine Bezeichnung ist, die ein Tor zwischen Himmel und Erde bedeutet. Neun Öffnungen sind an jeder der neun Seiten des Tempels im ersten und zweiten Stock, die die Zahl 81 oder geistig 9 ergeben, und 3 kleine Türen auf jeder Seite des dritten Stocks, die 27 ausmachen, oder wieder 9. 9 Säulen befinden sich im ersten Stock, 9 Strebepfeilerverzierungen im zweiten, 9 Rippen in der großen Kuppel, so daß man niemals der himmlischen Gegenwart der 9 entrinnen kann. Sie wird zum Sinnbild der Vollkommenheit, die in der Bahá’í-Lehre deutlicher erläutert wird, als jemals zuvor; als die 9, die durch Bahá oder die Herrlichkeit widergespiegelt wird, wird sie zum Sinnbild des göttlichen Gesandten auf Erden, wie Bahá’u’lláh, Christus, Zoroaster, Moses usw.
Die Flächen des Tempels werden von geometrischen Verzierungen auserlesenster Art bedeckt, die allein schon durch ihre Schönheit anziehend wirken. Diese Ausschmückungen sind — wenn man sie näher betrachtet — aus der vollendeten Verbindung von Dreieck, Viereck und Kreis entstanden: das Svastika-Kreuz der ägyptischen Hieroglyphen ist unter ihnen, der fünfzackige Stern, der sechszackige Stern, der prächtige neunzackige Stern und als letzte, aber nicht als schlechteste, das verschlungene Lebenssinnbild der alten ägyptischen Hieroglyphen, das von den Priestern Griechenlands bei den heiligen Umzügen der Dionysosanbetung getragen wurde.
Das Svastika-Kreuz ist das älteste uns bekannte religiöse Sinnbild. Es deutet das göttliche[Seite 12]
schöpferische Feuer und Leben an, und das verschlungene Kreuz, das griechische Kreuz, das
römische Kreuz sind seine Abwandlungen. Das römische Kreuz mit den verlängerten Armen ist
durch seine Beziehung zu Christus zum Sinnbild des Opfers geworden. Eine liebliche Reihe von
Svastika-Kreuzen läuft rund um den unteren Teil der Kuppel herum und wiederholt sich gegen
die Spitze derselben und wird, sobald die Kuppel einmal nachts erleuchtet sein wird,
strahlend hervortreten.
Das Dreieck ist seit undenklichen Zeiten das Symbol der großen Dreifaltigkeit: der Wesenheit (Gottes), der himmlischen Sonne und des Sendboten, oder Gottes, des Vaters oder Logos, und des Sohnes, wie Christus es darlegt. Der sechszackige Stern oder das doppelte Dreieck wird auf diese Weise zum Sinnbild der himmlischen Sonne oder des Logos hinter dem irdischen Botschafter. Der fünfzackige Stern ist lange Zeit hindurch das Sinnbild für den irdischen Botschafter gewesen. ‘Abdu’l-Bahá sagt im Tablet des Ringes: „Die beiden Sterne (des Ring-Symbols) stellen den göttlichen Ursprung wie auch die menschliche Persönlichkeit des Báb und Bahá’u’lláh’s dar, da das menschliche Wesen gleich dem Stern fünf Spitzen oder Ausläufer hat -— das Haupt, zwei Arme und zwei Beine.“
Das Dreieck hat noch eine andere und sehr schöne Bedeutung, nämlich die der Menschheit, die mit dem Fuße auf der Erde steht und mit der Spitze (dem Haupte) nach dem Himmel weist, und das ist auch ein Teil der himmlischen Bedeutung des sechszackigen Sterns. Der fünfzackige Stern wurde von den frühen Christen als das Sinnbild für Christus benutzt, und das Kreuz kam später mit der Einführung der Theologie in die christlichen Lehren.
Der Kreis ist seit sehr alten Zeiten das Sinnbild der Unendlichkeit und Ewigkeit und ist allgemein, — besonders in Verbindung mit der Schlange der Vergangenheit, — an den Tempeln Indiens zu finden. Das Viereck ist ein altes Symbol der Verwirklichung oder Manifestation in irdischer Form für die Welt im Kleinen oder den Menschen, während 8 oder der Würfel das Sinnbild der Verwirklichung für das Weltall oder den göttlichen Menschen ist. Der erhabene neunzackige Stern ist natürlich das Sinnbild der göttlichen Manifestation für den Neuen Tag. Der Tempel selbst ist ein neunzackiger Stern. Vom Flugzeug aus betrachtet, wird er wie ein großer auf die Erde gefallener Stern wirken und, wenn er erst einmal nachts beleuchtet wird, werden all seine neun Spitzen strahlend in Erscheinung treten. Der neunzackige Stern bildet die wundervolle Rose, gleichsam die Krönung jeden Fensters und jeder Tür im unteren Tempelgeschoß, während in der Mitte eines jeden Sterns die Schmuckschriftfigur des Größten Namens schimmert, der uns ja allen wohlbekannt ist. Er wird immer erleuchtet werden und strahlen, so daß die Herrlichkeit des Allerhöchsten jeden durchdringen wird, der zur Anbetung in den Tempel tritt. Eine stärkere Wiederholung desselben erleuchteten Symbols bildet den Mittelpunkt der Verzierungen über den Türen und redet wieder vom Sinn des großen Tempels.
Es gibt eine entzückende Geschichte in der Hindu-Mythologie, wonach der große Gott Brahma, nachdem er seine Fleischwerdung auf dieser Erde vollendete, nicht emporstieg, sondern sich in einer Lotosblume zum Schlafe niederlegte, bis es Zeit für ihn sein würde, zu einer neuen Sendung an die Menschheit zu erwachen. Über dem niedrigen Torbogen eines jeden der Tempeleingänge ist eine zarte und anmutige Verzierung, die das Auge anzieht und, wenn man sie näher betrachtet, enthüllt sie sich als eine Kette von Lotosblumen, und in der Mitte einer jeden befindet sich das verschlungene Sinnbild des Lebens, welches aus Ägypten und Griechenland zu uns kommt und hier, als das Zeichen des Erwachens, der Auferstehung in der Lotosblume der Welt wiederkehrt. Es ist so angemessen, daß jene Geschichte Brahmas in der Verzierung des Tempels der Menschheit wieder aufgenommen wurde und dort unter dem Sinnbild des Lebens erscheint, denn der Tempel in seiner erhabenen Gesamtheit faßt in sich die Einheit aller Glaubensbekenntnisse und die Sehnsucht aller Herzen.
Auf der Kuppel befindet sich eine Verzierung, die auch am oberen Teil der Säulen wiederkehrt und von allen anderen Teilen der Verzierung abweicht. Es ist eine Aneinanderreihung schwingender, gedehnter Kreise, und Bourgeois sagt, daß er, besonders beim Zeichnen der Kuppel, an den Lauf der Gestirne und ihre kreisende Bahn erinnert wurde. Seine Finger schufen diese wundervollen Linien, während seine Gedanken in den Sternen schweiften. So wurde ein neues Sinnbild zu den Sinnbildern der Vergangenheit gefügt, das man als den Gleichklang der Himmel bezeichnen möchte.
Der Tempel ist so gebaut, daß nachts alle seine Flächen in hellem Lichtschein strahlen werden.[Seite 13]
Seine Verzierungen durchschneiden vollkommen die Terrakottasubstanz, die mit durchscheinendem
Glas unterlegt werden wird, so daß nachts jede Säulen- und Strebebogenverzierung, die
Sterne und Kreuze und die Milchstraße der Kuppel wie eine über die Dunkelheit gebreitete
Stickereispitze leuchten werden. So wird der Tempel in Wahrheit ein Tempel des Lichts an
diesem Tage der Auferstehung, der Bruderschaft und neuen Zivilisation sein.
Die neun Rippen, die sich über der Oberfläche der Kuppel zusammenschließen, gleichen, wie Bourgeois sagt, Händen, die im Gebet gefaltet sind, und im Zwischenraum zwischen ihrer Vereinigung und dem abgerundeten Oberteil der Kuppel selbst, wird ein großes elektrisches Licht neun Strahlen in die Dunkelheit der Nacht senden und das schöne neuneckige Bauwerk leuchtend krönen.
1) Vom 21. Juli 1921.
2) Ausgewählte Übersetzung aus dem Englischen.
Die Geschichte des Islam[Bearbeiten]
Von Zia M. Bagdadi1)
Einführung
Die Kenntnis, welche die Muhammedaner und die Christen gegenseitig von ihrer Religion haben, beruht auf der Unwissenheit, den Vorurteilen und dem Aberglauben, welche sie beiderseits aus der Vergangenheit übernommen haben. Das beste Wort, das ein Muhammedaner für seinen christlichen Bruder hat, ist „Ungläubiger“, und das beste Wort, das der Christ für den Muhammedaner hat, ist „Heide“.
Warum gebraucht der Muslim diesen Ausdruck für den Christen? „Ich war ein wilder Heide, der Götzen anbetete vor dem Kommen des Propheten Muhammad. Er führte mich und lehrte mich Gott, den lebendigen Gott, anzubeten und an die wahren Propheten: Abraham, Moses und Christus zu glauben. Er zerbrach meine Götzen und befahl mir, die Juden und die Christen zu lieben, da sie beide ja ebenfalls gelehrt wurden, an Gott zu glauben und an Sein heiliges Buch; aber die Christen und die Juden verneinen nicht nur meinen Propheten und Sein Buch, den Qur’án, sondern nennen Ihn sogar Betrüger und verlangen, daß ich Ihm dies ansinne, Ihm, der mir ihre Bruderschaft und die göttliche Natur ihrer Propheten offenbarte. Noch mehr, die Christen nennen Jesus Gottes Sohn und Herr, als ob es mehr als einen Gott gebe, und ihre Kirchen sind erfüllt mit Statuen und Bildern wie die Götzen, die ich ehedem anbetete. Aus diesen Gründen nenne ich sie ‚Ungläubige‘, da sie die Wahrheit verleugnen.“
Der Christ sagt seinerseits: „Muhammad verbreitete seine Religion mit dem Schwert und verkündigte Vielweiberei. Seine Anhänger beten zu Allah und nicht zu Gott. Jesus vollbrachte Wunder, Muhammad aber unterließ das Wunder, dem Berg zu befehlen, zu ihm zu kommen. Daher lehnen wir diesen Propheten ab.“
Ein unbefangener Geist kann verstehen, daß Unwissenheit die Wurzel dieser tragischen wechselseitigen Feindschaft ist. Hätte der Muslim den Sinn der Dreieinigkeit verstanden, so würde er nicht den Christen als „Ungläubigen“ bezeichnen. Andererseits erfassen die Christen selbst ebenfalls nicht den richtigen Sinn der Göttlichkeit Christi, zumal sie sich in viele Sekten geteilt haben, ihrer verschiedenen Auslegung wegen.
Bahá’u’lláh hat gelehrt, daß Gott unendlich und ohne Grenzen ist, deshalb kann oder
wird kein endlicher und beschränkter menschlicher Geist Ihn jemals begreifen. Daher
erschafft Gott ein erhabenes Wesen in einem menschlichen Tempel, um Seine Beschaffenheit
und Seine Attribute widerzustrahlen, wie der Glanz der Sonne im reinen Spiegel
widerstrahlt. Alle diese Wesen sind die Propheten, die Widerstrahler, die Manifestationen
Gottes, und diese erkennen und lieben heißt Gott erkennen und Gott lieben. Ebenso
wie die Sonne, ihre Strahlen und der Spiegel dreierlei ist und doch eines, so ist Gott, der[Seite 14]
Heilige Geist und Sein Prophet drei und doch eins.
Laßt uns die wichtigen Faktoren betrachten, welche den Christen gegen den Muslim einnahm.
Einer derselben ist die Tatsache, daß gewisse Missionare durch unbegründete Feststellungen die Wurzeln des Mißverstehens und der Vorurteile so tief in die westlichen Herzen gepflanzt haben, daß nur allein die Macht Gottes sie austilgen kann. Zum Beispiel, denken wir an den gebräuchlichen Ausspruch: „Wenn der Berg nicht zu Muhammad kommt, dann geht Muhammad zu dem Berg!“ ein Sprichwort, dessen wörtliche Auslegung den Propheten lächerlich macht. Die richtige Wahrheit ist, daß Muhammad zu dem Berg sprach: „Komm!“ — und der Berg kam; es war aber kein Berg aus Erde und Stein, sondern ein Berg von Ungläubigen, die in ihrer Millionenzahl Ihm gehorchten und kamen, sich vor Ihm zu neigen.
Eine andere Ursache des Mißverstehens, von den Muhammedanern selbst geschaffen, das die Völker des Westens daran hinderte, die Grundlehren des Qur’án zu erfassen, war die Tatsache, das der Islam die Übersetzung seines Heiligen Buches aus seiner Ursprache, dem Arabischen, verboten hat. Ihre Stellungnahme war, daß der Qur’án an sich ein göttliches Wunder ist, dessen geistige Beredtsamkeit und Macht in irgend einer Übersetzung verloren gehen würde.
Aus dieser Tatsache entstand der unglückselige Umstand, daß nur wenige Christen Muhammad’s Lehren kennen, es sei denn aus zweiter Hand, und zwischen ihnen und dem Begründer des Islám waren viele Schleier kirchlicher und rassischer Vorurteile. Die verfügbaren Übersetzungen vermochten nicht den genauen Sinn zu übermitteln.
Von unwissenden Muhammedanern entstand eine weitere Ursache der Verwirrung. In der Absicht, ihren Propheten durch ihre eigenen menschlichen Wertmaße zu erhöhen, haben sie Ihm derartige Wunder wie das Spalten des Mondes, das Wachsen eines Palmbaumes auf dem Rücken eines Kamels auf Seinen Befehl, so oft Er Datteln haben wollte, die Eroberungsmacht Seines Schwertes und den Umfang Seines Harems zugeschrieben.
Kein Wunder, daß ein Nichtgläubiger Anstoß nimmt bei solchen Feststellungen und Anmaßungen, oder daß diese Worte von den Vorurteilsvollen angeführt werden, um ihre Hörer gegen den Islám einzunehmen. Das Spalten des Mondes, das Verfinstern der Sonne, das Fallen der Sterne waren in Wirklichkeit Symbole der Ereignisse, die eintraten als Ergebnis des Erscheinens des Propheten. Er riß den Mond der Götzenverehrung entzwei, Er verfinsterte die Sonne falschen Glaubens und Er warf die stolzen Sterne des bestehenden Aberglaubens nieder. Aber im Geist des Abendländers hat sich ein falsches Bild Muhammad’s eingeprägt: ein schrecklicher Araber mit blutigem Schwert, ein sinnlicher Mensch mit einem großen Harem.
Selbst die unwissenden Muhammedaner rufen sich nicht zurück, daß ihre Vorfahren vor Muhammad polygam waren ohne Einschränkung durch Gesetz oder Religion. Muḥammad aber beendete diesen Gebrauch, der den Mord unerwünschter Kinder weiblichen Geschlechts gestattete, Er gab Seinem Volk ein Ehegesetz, den Bedingungen des Volkes in jenem Zeitalter angemessen, womit Er jeden Mann auf vier Frauen beschränkte, auch die Gerechtigkeit, die in der Einehe liegt, offenbarte.
I.
Das Wort Islám ist der eigentliche Ausdruk für die muhammedanische Religion und bedeutet Frieden und vollständige Unterwerfung vor Gott. Der Ausdruck Muslim bedeutet: Nachfolger der Religion des Islám.
Muḥammad, der Begründer des Glaubens, war in Mekka in Arabien geboren, am 20. August 570 a. D. Er war der einzige Sohn von ‘Abdu’lláh aus der Familie Hashim, der Führer des Stammes von Quraysh, welche Hüter der Ka’bih, des Tempels in Mekka, waren, der den schwarzen Stein enthält, von dem gesagt ist, daß er Abraham von einem Engel gegeben worden sei.
Schon als Jüngling wies Muḥammad geistige Eigenschaften und Vorzüge auf und zog
die Aufmerksamkeit des Volkes auf sich. Z.B. bei einer Gelegenheit kamen die arabischen
Häuptlinge nach Mekka und entschlossen sich, die Ka’bih zu schmücken, doch es kam
zu einem Wortwechsel über die Frage, wem die Ehre zufallen sollte, den geheiligten Stein
an einen zeitweiligen Aufbewahrungsplatz zu bringen. Man kam sich schließlich überein,[Seite 15]
eine Entscheidung auf den nächsten Tag zu verschieben und daß derjenige, welcher
am zeitigsten herankäme, um sein Gebet am Grabe zu verrichten, der Richter über den
Streit sein sollte. Auf Muḥammad fiel die Wahl. Er legte ein langes Brett neben den
Stein, wies die Häuptlinge alle an, mit anzufassen und brachte den Stein auf das Brett,
damit alle ohne Ausnahme den Transport mitmachen konnten.
Wie sein Vater verdiente auch Muḥammad Seinen Lebensunterhalt mit dem Treiben der Kamele und Schafe und zog nicht nur in Arabien, sondern auch im 'Iráq, in Syrien und in Palästina umher. Seine Redlichkeit in Geschäftsangelegenheiten wurde durch seinen Beinamen „der Wahrhaftige, der Treue“ anerkannt.
Im Alter von fünfundzwanzig Jahren wurde er bei Khadijih, einer reichen Witwe, in Dienst genommen, um ihre Geschäfte zu besorgen. Später heiratete er sie. Muḥammad setzte sogleich die schwarzen Sklaven des Haushalts in Freiheit.
Zu jener Zeit waren die Araber, als Nachkommen von Abraham und Sem, dem Sohne Noah’s, in einem Meer von Finsternis und Unwissenheit versunken. Ihre Religion war der Sabaismus, der die Anbetung der Sterne mitinbegriff, und Mekka als der Hauptmittelpunkt ihrer Götzenanbetung war das Ziel ihrer jährlichen Pilgerfahrten. Die Dichtkunst wurde in Ehren gehalten vor Muḥammad’s Zeiten; Wettkämpfe wurden in Mekka abgehalten zugleich mit ihrer Götzenanbetung und Opfern, die an rohe Szenen des Alten Testamentes erinnerten.
Jedoch das ehrenvollste Beginnen war Krieg und Vielweiberei der am festesten gegründete soziale Brauch. Da ein Nomaden- und Wüstenleben nicht zu viele weibliche Nachkommen duldete, wurden viele derselben lebendig begraben. Selbst der berühmte ‘Umar beging diese grausame Tat, bevor er sich zum Islám bekannte.
Trotz dieser Unreife ihrer Entwicklung hatten die Araber viele bewunderungswürdigen Eigenschaften: Freigebigkeit, Gastfreundschaft, Mut und Treue. Körperlich waren sie sehr kräftig.
Die Eingebung der Prophetenschaft kam über Muḥammad auf folgende Weise. In seinem vierzigsten Lebensjahr verbrachte er vierzig Tage in einer Höhle im Gebirge, nahe bei Mekka, mit Fasten, Beten und Meditieren. Zu ihm kam der Heilige Geist, in jenem Zeitalter dargestellt durch das Sinnbild des Engels Gabriel, der zu ihm sprach: „Lies im Namen deines Herrn, Der der Schöpfer ist! Er schuf den Menschen aus dem Fruchtkeim. Lies! Dein Gott ist der Freigebigste. Er ist es, Der die Feder führt. Er lehrte den menschlichen Geist alles, was er nicht wußte.... Heute habe ich euere Religion vollendet und sie zum Islám (Frieden) gemacht.“
Mit der Macht der Eingebung im Herzen, erklärte der Prophet Seine Mission der Khadijih und Seine Frau wurde zur ersten Gläubigen. Der Nächste, der den Glauben annahm, war ‘Alí, ein Vetter, ein Jüngling von siebzehn Jahren, ein Einzelgänger unter seinen Altersgenossen. Ein Diener des Haushalts, Zayd — der einzige, der die angebotene Freiheit verweigert hatte — wurde der dritte Gläubige. Der vierte war Abu-Bakr, ein reicher, älterer Kaufmann, hörte zufällig eine spöttische Bemerkung, daß Khadijih töricht genug sei, den Leuten zu sagen, daß Muḥammad der Prophet Gottes sei, woraufhin er sich sogleich bekannte. Der nächste, der glaubte, war Abu-Talib, Muḥammad’s Onkel und Vater des jungen ‘Alí.
Von der Bevölkerung zu Muḥammad's Zeiten hat 'Abdu'l-Bahá folgendes geschrieben:
„Diese arabischen Stämme befanden sich in den tiefsten Tiefen der Roheit und Barbarei,
so daß im Vergleich zu ihnen die Wilden Afrikas und die wilden Indianer Amerikas
fortgeschritten waren wie ein Plato. Die Wilden Amerikas begraben ihre Kinder nicht bei
lebendigem Leib, wie es diese Araber mit ihren Töchtern taten und dabei diese Tat
verherrlichten als eine ehrenwerte Sache. .... Ferner war es einem Manne erlaubt, tausend
Frauen zu haben, und viele Männer hatten mehr als zehn Frauen in ihrem Haushalt.
Wenn diese Stämme miteinander Krieg führten, nahm der Sieger die Frauen und Kinder
des besiegten Stammes gefangen und behandelte sie als Sklaven.... Außerdem bestanden
die Mittel, von denen diese arabischen Stämme lebten, in Plünderungen und Raub,
so daß sie dauernd in Kämpfen und Krieg verwickelt waren, in Totschlag, Plünderung
und Verwüstung ihres gegenseitigen Besitzes und in der Gefangennahme von Weibern und[Seite 16]
Kindern, die sie dann an Fremde verkauften.“
II.
Muḥammad fuhr fort, seine Botschaft Menschen, die aufrichtig waren und geistige Fähigkeit hatten, kundzutun, bis die Zahl seiner Jünger vierzig erreicht hatte, worauf er seinen Stamm, Quraysh genannt, einlud, mit ihm in Mekka das Fest zu begehen. Zu dieser Zeit erklärte der Prophet öffentlich seine Mission und drang in das Volk, die Anbetung der Götzen aufzugeben und den einen wahren Gott, den die Propheten Moses und Jesus offenbart hatten, anzuerkennen. Er bat dringend, solch ein Treiben wie Mord, Gesetzlosigkeit und beständiges Kriegführen zu verwerfen, und rief das Volk auf, bei der Herstellung von Einigkeit und Frieden mitzuhelfen.
Dieser Aufruf erweckte jedoch nur bitteren Hohn, wobei selbst Seine Verwandten sich dieser Verächtlichmachung und diesem Widerstand anschlossen. Nur der getreue 'Alí gelobte Unterstützung. Dieser Widerstand verhärtete sich später bis zum körperlichen Angriff; so wurde Muḥammad bei einer Gelegenheit barbarisch verprügelt und Harith, der erste Märtyrer des Islám, wurde erschlagen.
Als es sich aber zeigte, daß die öffentliche Anteilnahme sich beständig vergrößerte. sandten die Ältesten der Quraysh einen Boten an Muḥammad, um Ihm Reichtum und Führerschaft anzubieten, wenn er Seinen Anspruch auf Prophetenschaft aufgeben würde. Auf diesen Bestechungsversuch erwiderte Er, daß Er nicht für die ganze Welt Seine Bemühungen aufgeben werde, Seine Sendung zu erfüllen und Gottes Religion aufzurichten.
Von geschichtlicher Bedeutung ist die Geschichte von ‘Umar, einem der mächtigen arabischen Führer. ‘Umar erbitterte sich dermaßen gegen Muḥammad, daß er einen Eid schwor, ihn zu töten. Als er gehört hatte, daß seine eigene Schwester und ihr Gatte den Glauben angenommen hatten, begab sich ‘Umar eiligst nach deren Haus und schlug sie auf grausame Weise, wobei er seiner Schwester bei Todesdrohung befahl, den Gesang von Versen aus Muḥammad’s Text fortzusetzen. Die Wirkung dieser Hingebung und der Bedeutung der Worte brachten ihn sofort zur Umkehr. ‘Umar wurde für die Folge eine der starken Säulen des neuen Glaubens.
(Fortsetzung folgt)
1) Entnommen und ins Deutsche übertragen aus „World Order“, Bd. 1,
Nr. 9, Dezember 1935, S. 347/350, und ebenda, Nr. 10, Januar 1936, S. 393/396.
Mitteilung[Bearbeiten]
Wir freuen uns, den Lesern unserer Zeitschrift von dem Beschluß des Nationalen Geistigen Rates der Bahá’í in Deutschland und Österreich Kenntnis geben zu können, den Umfang der „Sonne der Wahrheit“ mit dem Beginn des XVI. Jahrganges ohne Erhöhung des Bezugspreises zu verdoppeln. Wir geben der Hoffnung Ausdruck, durch einen größeren Abonnentenkreis den neuen Umfang unserer Monatszeitschrift beibehalten zu können.
Bahá’í-Sommerwoche 1936[Bearbeiten]
Die diesjährige Bahá’í-Sommerwoche wird vom 15. bis 23. August in Eßlingen a. N. (Bahá’í-Heim) stattfinden. Wir laden hierzu jetzt schon herzlich ein. Näheres wird rechtzeitig bekanntgegeben. Auskunft erteilt gerne der Verwaltungs-Ausschuß Bahá’í-Heim, Anschrift Anna Köstlin, Eßlingen a. N., Wehrneckarstr. 1.
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Bahá’u’lláh
Verborgene Worte.. Worte der Weisheit und Gebete. Geschrieben während seiner Verbannung in Bagdad 1857/58 . . . kart. —.80
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Frohe Botschaften. Worte des Paradieses, Tablet Tarasat (Schmuck), Tablet Taschalliat (Lichtstrahlen), Tablet Ischrakat (Glanz). Mahnrufe und Anweisungen an die Völker der Erde . . gebunden 2.00
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Buch der Gewißheit oder Kitábu’l-Iqán. Eine Auseinandersetzung mit theologischen Fragen verschiedener Religionen, geschrieben in Bagdad um 1862. Ist fortsetzungsweise in den beiden Jahrgängen X und XI unserer Zeitschrift „Sonne der Wahrheit“ enthalten.
Jahrgang gebunden je 3.--
'Abdu'l-Bahá Abbas
Ansprachen in Paris. ‘Abdu’l-Bahá spricht hier über zahlreiche Fragen, nach deren Klärung die Völker der Erde suchen.
gebunden 2.--
Beantwortete Fragen. Erklärungen zu christlichen und islamischen Fragen, Behandlung allgemeiner weltanschaulicher Probleme . . . . . . Ganzleinen 2.50
Sendschreiben an die Haager Friedenskonferenz 1919 . . . . . -.20
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Die Weltreligion Kurze Charakterisierung des Bahá’í-Glaubens. Shoghi Effendi . . . -.10
Sonstiges
Geschichte und Wahrheitsbeweise der Bahá’i-Religion, Einführung in die Gedankenwelt der Bahá’i-Lehre von einem orientalischen Gelehrten. Von Mirza Abul Fazl . . . . . gebunden 2.--
Bahá’u’lláh und das neue Zeitalter. ein Lehrbuch von Dr. J. E. Esslemont. Ganzleinen 2.50
'Abdu'l-Bahá Abbas’ Leben und Lehren, von Myron H. Phelps. . . . . .gebunden 2.--
Die Bahá’i-Offenbarung, ein Lehrbuch von Thornton Chase. . . . . . . kart. 2.--
Am Morgen einer neuen Zeit. Untersuchung der geistigen Ursachen der Weltkrise und Beleuchtung der letzthin einzigen Möglichkeit ihrer Überwindung durch die Bahá’i-Lehre. Von Dr. Hermann Großmann . . . . . kart. 1.80
Ganzleinen 2.50
Lebensgestaltung. Das Leben und ich. Das Leben und mein Nächster. Das Leben und Gott. Kursberichte der Eßlinger Bahá’í-Sommerwoche 1933 . . . -.30
Die Bahá’i-Weltanschauung. Eine kurze Einführung. Von Pauline Hartmann . . . . —.20
Das Hinscheiden 'Abdu'l-Bahás ("The Passing of 'Abdu'l-Bahá") . . . -.30
Sonne der Wahrheit. Bahá'i-Monatszeitschrift.
- Jahrgang III - XI gebunden je 3.--
- Jahrgang XII - XV gebunden je 6.--