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Die Bahá’í-Lehre,[Bearbeiten]
die Lehre Bahá’u’lláhs erkennt in der Religion die höchste und reinste Quelle allen sittlichen Lebens.
Die Ausdrucksformen des religiösen Lebens des Einzelnen, ganzer Völker und Kulturkreise haben im Laufe der Geschichte entsprechend den jeweils anderen Verhältnissen und dem Wachstum des menschlichen Erkenntnisvermögens Wandlungen erfahren. Die äußeren Gesetze und Gebote aller Weltreligionen entsprachen immer den entwicklungsgeschichtlich gegebenen Erfordernissen in bezug auf den Einzelnen, die soziale Ordnung und das Verhältnis zwischen den Völkern. Alle Religionen beruhen aber auf einer gemeinsamen, geistigen Grundlage. „Diese Grundlage muß notwendigerweise die Wahrheit sein und kann nur eine Einheit, nicht eine Mehrheit bilden.“ ('Abdu'l-Bahá.) „Die Sonne der Wahrheit ist das Wort Gottes, von dem die Erziehung der Menschen im Reich der Gedanken abhängig ist.“ (Bahá’u’lláh.) Alle großen Religionsstifter waren Verkünder des Wortes Gottes entsprechend der Fassungskraft und Entwicklungsstufe der Menschen. Das Wesen der Religion liegt darin, im Bewußtwerden der Abhängigkeit des Menschen von der Wirklichkeit Gottes Seine Offenbarer anzuerkennen und nach Seinen durch sie übermittelten Geboten zu leben.
Die Bahá’i-Lehre bestätigt und vertieft den unverfälschten und unwandelbaren Sinn und Gehalt aller Religionen von neuem und zeigt darüber hinaus die kommende Weltordnung auf, welche die geistige Einheit der Menschheit zur Voraussetzung haben wird. Die in ihr zum Ausdruck kommende Weltanschauung steht mit den Errungenschaften der Wissenschaft ausdrücklich in Einklang.
Die Lehre Bahá’u’lláhs enthält geistige Grundsätze und Richtlinien für eine harmonische Gesellschafts-, Staats- und Wirtschaftsordnung. Sie beruhen auf dem Gedanken der natürlich gewachsenen, organischen Einheit jedes Volkes und der das Völkische übergreifenden geistigen Einheit der Menschheit. Den Interessen der Volksgemeinschaft sind die Sonderinteressen des Einzelnen unterzuordnen, denn nur die Gesamtwohlfahrt verbürgt auch das Wohl des Einzelnen.
Wie jede Religion, so wendet sich auch die Bahá’i-Lehre an die Herzensgesinnung des Menschen, um die religiösen Kräfte in den Dienst wahren Menschentums zu stellen. Sie erstrebt die Höherentwicklung der Menschheit mehr durch die Selbsterziehung des Einzelnen als durch äußerlich-organisatorische Maßnahmen. Der Bahá’i hat sich daher über seine ernst aufgefaßten staatsbürgerlichen Pflichten hinaus nicht in die Politik einzumischen, sondern sich zum Träger der Ordnung und des Friedens im menschlichen Gemeinschaftsleben zu erheben. Bahá’u’lláhs Worte sind: „Es ist euch zur Pflicht gemacht, euch allen gerechten Regenten ergeben zu zeigen und jedem gerechten König eure Treue zu beweisen. Dienet den Herrschern der Welt mit der höchsten Wahrhaftigkeit und Treue. Zeiget ihnen Gehorsam und seid ihre wohlwollenden Freunde. Mischt euch nicht ohne ihre Erlaubnis und Zulassung in politische Dinge ein, denn Untreue gegenüber dem Herrscher ist Untreue gegenüber Gott selbst.“
Bahá’u’lláh weist den Weg zu einer befriedeten, im Geiste geeinigten Menschheit. Ein alle Staaten umfassender Bund in ihrer Eigenart entwickelter und unabhängiger Völker auf der Grundlage der Gleichberechtigung, ausgestattet mit völkerrechtlichen Vollmachten und Vollstreckungsgewalten gegenüber Friedensstörern, soll die übernationalen Interessen aller Völker der Erde in völliger Unparteilichkeit und höchster Verantwortung wahrnehmen. Zwischenstaatliche Konflikte sind durch einen von allen Staaten beschickten Weltschiedsgerichtshof auf friedlichem Wege beizulegen.
Die geistige Wesensgleichheit aller Menschen und Völker erheischt einen organischen Aufbau der sozialen Weltordnung, in der jedem seine einzigartige, besondere Eingliederung und Aufgabe zugewiesen ist. Die geographischen, biologischen und geschichtlichen Gegebenheiten bedürfen im Gemeinschaftsleben der Völker immer einer besonderen Beachtung, ohne die sie umschließende Einheit im Reiche des Geistes aus den Augen zu verlieren.
Die Lehre Bahá’u’lláhs „ist in ihrem Ursprung göttlich, in ihren Zielen allumfassend, in ihrem Ausblick weit, in ihrer Methode wissenschaftlich, in ihren Grundsätzen menschendienend und von kraftvollem Einfluß auf die Herzen und Gemüter der Menschen“.
SONNE DER WAHRHEIT Organ der Bahá’í in Deutschland und Österreich Verantwortlich für die Herausgabe: Dr. Eugen Schmidt, Stuttgart-W, Reinsburgerstraße 198 Schriftleitung: Dr. Adelbert Mühlschlegel, Dr. Eugen Schmidt, Alice Schwarz-Solivo Verwaltung: Paul Gollmer • Begründet von Alice Schwarz-Solivo Preis vierteljährlich 1.80 Reichsmark, im Ausland 2.– Reichsmark |
Heft 8 | Stuttgart, im Oktober 1935 ’Ilm – Erkenntnis 92 |
15. Jahrgang |
Inhalt: Der Mensch als höchster Talisman. — Nabíl’s Erzählung: Der Aufenthalt des Báb in Shíráz nach der Pilgerreise. — Eine Oase. — Der Glaube, der Berge versetzt.
O Söhne des Geistes! Ihr seid Meine Schatzkammern, denn in euch habe Ich die Perlen Meiner Geheimnisse und die Edelsteine Meiner Erkenntnis gelegt. Behütet sie vor den Fremdlingen unter Meinen Dienern und vor den Gottlosen unter Meinen Geschöpfen.
Verborgene Worte von Bahá’u’lláh
Der Mensch als höchster Talisman[Bearbeiten]
Worte von Bahá’u’lláh*)
*) Entnommen und ins Deutsche übertragen aus „World Order“ Nr. 4 (Juli 1935), S. 133 ff.
Der Mensch ist der höchste Talisman. Der Mangel einer geeigneten Erziehung hat ihn jedoch
dessen beraubt, was er von Natur aus besitzt. Durch ein Wort, das aus dem Munde Gottes
kam, wurde er ins Leben gerufen; durch ein weiteres Wort wurde er geleitet, die Quelle
seiner Erziehung zu erkennen; durch noch ein weiteres Wort wurden seine Stufe und seine
Bestimmung sichergestellt. Das Große Wesen sagt: „Betrachte den Menschen als eine an Edelsteinen
unschätzbaren Wertes reiche Mine.“ Allein die Erziehung kann bewirken, daß sie ihre Schätze
enthüllt und die Menschheit Nutzen hieraus ziehen läßt. Wenn irgend jemand über das nachsinnen
würde, was die vom Himmel von Gottes heiligem Willen herniedergesandten Schriften
geoffenbart haben, so wird er leicht erkennen, daß ihr Sinn der ist, daß alle Menschen als eine
Seele betrachtet werden sollen, so daß das Siegel, das die Worte „Das Königreich soll Gottes
sein“ trägt, in jedes Herz eingeprägt werde und das Licht der göttlichen Güte, Gnade und
Barmherzigkeit die ganze Menschheit umhüllen möge. Der eine wahre Gott — erhaben sei Seine
Herrlichkeit! — hat nichts für Sich Selbst gewünscht. Die Ergebenheit der Menschheit gilt Ihm nichts,
noch schadet Ihm deren Verderbtheit. Der Vogel des Reichs der Verkündung läßt immerfort diesen
Ruf ertönen: „Alle Dinge habe ich für dich gewollt und auch dich um deiner selbst willen.“
Wenn die Gelehrten und Weltweisen dieses Zeitalters die Menschheit den Duft der Kameradschaft
und Liebe einatmen ließen, so würde jedes verstehende Herz die Bedeutung wahrer
Freiheit erfassen und das Geheimnis ungestörten Friedens und völliger Gemütsruhe entdecken.
Wenn die Erde diese Stufe erreichen und mit ihrem Licht erleuchtet würde, so könnte
wahrlich von ihr gesagt werden: „Du sollst auf ihr keine Tiefen sehen, noch Hügel, die sich
erheben.“
Die Geschlechter, die euch vorangegangen
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sind — wohin sind sie geflohen? Und die, welche im Leben von den Schönsten und Lieblichsten
des Landes umgeben waren — wo sind sie jetzt? Lerne aus ihrem Beispiel, o Volk, und sei
nicht von denen, die in die Irre gegangen sind.
Binnen kurzem werden andere Hand legen auf das, was ihr besitzet, und werden euere Wohnstätten betreten. Neiget eure Ohren Meinen Worten und laßt euch nicht zu den Törichten zählen.
Die oberste Pflicht eines jeden von euch ist, das für sich selbst zu wählen, was kein anderer beeinträchtigen und was keiner an sich reißen kann. Solches ist die Liebe Gottes — und hier ist der Allmächtige Mein Zeuge — könntet ihr dessen nur inne werden!
Baut für euch solche Häuser, wie sie der Regen und die Fluten niemals zerstören können, welche euch gegen Glück und Wandel dieses Lebens schützen werden. Dies ist die Lehre Dessen, Dem die Welt Unrecht getan und Den sie verlassen hat.
Betrachtet die Beschränktheit des Sinnes der Menschen. Sie verlangen nach dem, was ihnen schadet, und werfen das von sich, was ihnen nützt. Sie gehören in der Tat zu denen, die weit vom rechten Weg abirren. Wir finden manche Menschen, die Freiheit wünschen und stolz darauf sind. Solche Menschen befinden sich in den Tiefen der Unwissenheit.
Freiheit muß letzten Endes zu Aufruhr führen, dessen Flammen niemand ersticken kann. So warnt euch der Prüfer, der Allwissende. Wisset, daß die Verkörperung und das Sinnbild der Freiheit das Tier ist. Was dem Manne geziemt, ist Unterwerfung unter solche Einschränkungen, die ihn vor seiner eigenen Unwissenheit schützen und vor dem Schaden der Übeltäter bewahren. Die Freiheit läßt den Menschen die Grenzen des Anstandes überschreiten und die Würde seiner Stufe verletzen. Sie erniedrigt ihn zu äußerster Verderbtheit und Schlechtigkeit.
“ Betrachtet die Menschen als eine Herde Schafe, die zu ihrem Schutze einen Hirten brauchen. Dies ist gewißlich die Wahrheit, die unumstößliche Wahrheit. Wir billigen die Freiheit unter bestimmten Verhältnissen und lehnen es ab, sie unter anderen gutzuheißen. Wir sind in Wahrheit der Allwissende. Sprich: Wahre Freiheit besteht in der Unterwerfung des Menschen unter Meine Gebote, so wenig ihr es auch erkennet. Würden die Menschen das beachten, was wir ihnen vom Himmel der Offenbarung gesandt haben, so würden sie sicherlich zu vollkommener Freiheit gelangen. Glücklich ist der Mensch, der die Absicht Gottes erfaßt hat, in allem, was Er vom Himmel Seines Willens geoffenbart hat, der alles Erschaffene durchdringt. Sprich: Die Freiheit, die dir nützt, ist nirgends zu finden, außer in völligem Dienen für Gott, die ewige Wahrheit. Wer immer von ihrer Süße gekostet hat, wird sie für alle Herrschaft auf Erden und im Himmel nicht eintauschen wollen.
Aller Preis sei der Einheit Gottes, alle Ehre Ihm, dem höchsten Herrn, dem unvergleichlichen und allerglorreichsten Beherrscher des Weltalls, Der aus gänzlichem Nichts die Wirklichkeit aller Dinge erschaffen hat, Der aus dem Nichts die lautersten und feinsten Elemente Seiner Schöpfung hervorgebracht hat, und Der Seine Geschöpfe aus der Erniedrigung der Entferntheit und den Gefahren endlichen Erlöschens errettet und in das Königreich unzerstörbarer Herrlichkeit aufgenommen hat. Nichts Geringeres, als nur Seine allesumfassende Gnade, Seine allesdurchdringende Barmherzigkeit waren imstande, dies zu vollbringen. Wie hätte es sonst dem reinen Nichts möglich sein können, von selbst die Würdigkeit und die Fähigkeit zu erlangen, um aus seinem Zustand des Nichtdaseins sich in das Reich des Seins zu erheben?
Nachdem Er die Welt und alles, was darinnen lebt und webt, erschaffen hatte, beliebte es Ihm, durch die unmittelbare Wirkung Seines freien und unumschränkten Willens dem Menschen die einzigartige Auszeichnung und Fähigkeit zu verleihen, Ihn zu erkennen und Ihn zu lieben, eine Fähigkeit, die als der zeugende Antrieb und der ursprüngliche Plan, welcher der ganzen Schöpfung zugrunde liegt, betrachtet werden muß... Auf die innerste Wirklichkeit jedes einzelnen von Ihm erschaffenen Dinges hat Er das Licht eines Seiner Namen geworfen und es zum Gefäße der Herrlichkeit eines Seiner Attribute gemacht. Die Wirklichkeit des Menschen aber hat er zum Brennpunkt des Strahlenglanzes aller Seiner Namen und Attribute werden lassen und sie zum Spiegel Seiner Selbst gemacht. Als einziges aller erschaffenen Dinge ist der Mensch für eine so große Gunst, eine so immerwährende Gnadenfülle auserlesen worden.
Diese Kräfte, mit denen das Tagesgestirn Göttlicher Gnadenfülle und die Quelle himmlischer
Führung die Wirklichkeit des Menschen ausgestattet hat, liegen jedoch verborgen in ihm, so
wie die Flamme in der Kerze und die Lichtstrahlen
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in der Lampe ruhen. Der Glanz dieser Kräfte kann von weltlichen Wünschen verdunkelt
sein, ebenso wie das Sonnenlicht unter dem Staub und Schmutz, welche den Spiegel bedecken,
verborgen sein kann. Weder die Kerze noch die Lampe können ohne Hilfe durch ihre eigenen
Anstrengungen angezündet werden, ebensowenig wie es dem Spiegel möglich ist, sich von
seinem Schmutz selbst zu befreien. Es ist klar und einleuchtend, daß die Lampe niemals sich
entzünden wird, ehe ein Feuer angesteckt worden ist, und wenn nicht der Schmutz von der
Oberfläche des Spiegels entfernt worden ist, kann er niemals das Bild der Sonne darstellen
noch ihr Licht und ihre Herrlichkeit widerspiegeln.
Und da kein Band unmittelbaren Verkehrs sein kann, um den einen wahren Gott mit Seiner Schöpfung zu verbinden, und da es keine Ähnlichkeit irgend welcher Art geben kann zwischen dem Vergänglichen und dem Ewigen, dem Zufälligen und dem Unbedingten, so hat Er angeordnet, daß in jedem Zeitalter und mit jeder Sendung eine reine und unbefleckte Seele in den Königreichen des Himmels und der Erde geoffenbart werde. Diesem feinen, diesem geheimnisvollen und ätherischen Wesen hat er eine zweifache Natur verliehen, die physische, zur Welt des Stoffes gehörend, und die geistige, welche aus der Substanz Gottes Selbst geboren ist. Noch mehr, Er hat Ihm eine zweifache Stufe verliehen. Die erste Stufe, welche auf Seine innerste Wirklichkeit Bezug hat, stellt Ihn als Einen dar, Dessen Stimme die Stimme Gottes Selbst ist. Dies bezeugt die Überlieferung: „Vielfältig und geheimnisvoll ist Meine Verwandtschaft mit Gott.“ ... Die zweite Stufe ist die menschliche Stufe, durch folgende Verse erläutert: „Ich bin nur ein Mensch wie ihr.“ „Sprich: Gepriesen sei mein Herr! Bin ich mehr als ein Mensch, ein Apostel?“ Diese Wesen der Loslösung, diese strahlenden Wirklichkeiten sind die Wege von Gottes alles durchdringender Gnade. Vom Lichte unfehlbarer Führung geleitet, ausgestattet mit erhabenster Herrschergewalt, sind sie beauftragt, die Eingebung ihrer Worte, die Ergüsse ihrer unfehlbaren Huld und den heiligenden Hauch ihrer Offenbarung dahin zu lenken, um jedes sehnende Herz und jeden empfänglichen Geist vom Schmutz und Staub irdischer Sorgen und Beschränkungen zu reinigen. Dann, und nur dann wird das Vertrauen auf Gott, Der in der Wirklichkeit des Menschen verborgen ist, strahlend wie der aufgehende Himmelskörper Göttlicher Offenbarung dem Schleier der Verborgenheit entsteigen und das Kennzeichen Seiner enthüllten Herrlichkeit auf den Gipfel der Menschenherzen pflanzen.
In den vorausgegangenen Stellen und Hinweisen ist es unzweifelhaft klar gemacht worden, daß in den Königreichen der Erde und des Himmels ein Wesen, eine Wesenheit, offenbart werden muß, welches als eine Manifestation und als Vermittler für die Weiterleitung der Huld der Göttlichkeit Selbst, des höchsten Herrn des Alls, handeln soll. Durch die Lehren dieses Tagesgestirns der Wahrheit wird jeder Mensch vorwärts schreiten und sich entwickeln, bis er die Stufe erreicht hat, auf der er alle die möglichen Kräfte offenbaren kann, mit denen sein innerstes wahres Selbst ausgestattet worden ist. Zu diesem besonderen Ziele sind in jedem Zeitalter und in jeder Sendung die Propheten Gottes und Seine Erwählten unter den Menschen erschienen und haben solche Kraft erwiesen, wie sie aus Gott geboren ist, und solche Macht, wie sie nur der Ewige zu offenbaren vermag.
Kann einer, der gesunden Sinnes ist, jemals ernstlich sich vorstellen, daß angesichts gewisser Worte, deren Sinn er nicht begreifen kann, das Tor von Gottes unendlicher Führung vor den Augen der Menschen jemals geschlossen werden kann? Kann er sich jemals einen Anfang oder ein Ende dieser Göttlichen Leuchtkörper, dieser strahlenden Lichter vorstellen? Welche hervorquellende Flut kann mit dem Strom Seiner allumfassenden Gnade verglichen werden, und welche Segnung kann die Beweise einer so großen und durchdringenden Barmherzigkeit übertreffen? Es kann nicht der geringste Zweifel darüber bestehen, daß, wenn für einen Augenblick nur die Flut Seiner Gnade und Huld der Welt entzogen würde, diese völlig untergehen würde. Daher sind vom Anfang an, der keinen Anfang hat, die Tore der Göttlichen Gnade vor dem Antlitz aller erschaffenen Dinge weit geöffnet worden, und die Wolken der Wahrheit werden bis zum Ende, das kein Ende hat, auf den Boden der menschlichen Fähigkeit, Wirklichkeit und Persönlichkeit immer wieder ihre Gunst und Gnadenfülle regnen lassen. Dies war Gottes Walten von Ewigkeit zu Ewigkeit.
Der Plan des einen wahren Gottes — erhaben sei Seine Herrlichkeit! — wenn Er Sich Selbst
den Menschen offenbart, liegt darin, jene
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Edelsteine, welche im Schacht ihres wahren innersten Selbstes verborgen liegen, ans Licht zu
fördern. Daß die verschiedenen Gemeinschaften auf Erden und die vielfachen Formen religiösen
Glaubens nie die Gefühle von Feindseligkeit unter den Menschen nähren sollen, ist an diesem Tage
das Wesentliche des Gottesglaubens und Seiner Religion.
Nabíl’s Erzählung[Bearbeiten]
Übersetzung aus „The Dawn-Breakers“, Nabíl’s Narrative of the early days of the Bahá’í Revelation, New York 1932
8. Kapitel: Der Aufenthalt des Báb in Shíráz nach der Pilgerreise (Fortsetzung)
Mullá Ṣádiq antwortete unverzüglich: „Wenn einst die Wahrheit der Offenbarung, die von dem Urheber dieser Worte angekündigt wird, endgültig begründet ist, dann wird die Wahrheit alles dessen, was von Seinen Lippen kam, ebenfalls gerechtfertigt sein. Wenn diese Worte die Worte Gottes sind, so wird die Abdankung des Sháh und seinesgleichen nur wenig ausmachen. Sie kann auf keinerlei Weise den göttlichen Plan abwenden, noch die Oberherrschaft des allmächtigen und ewigen Königs ändern1).“
Jener grausame und ungläubige Regent war äußerst unzufrieden mit solcher Antwort. Er schmähte und beleidigte ihn, befahl seinen Wachen, ihm die Kleider herunterzureißen und ihm tausend Peitschenhiebe zu verabfolgen. Dann befahl er, daß der Bart von Quddús und Mullá Ṣádiq abgesengt werde, ihre Nase durchstochen, daß durch diesen Einschnitt eine Schnur gezogen werde und daß sie an diesem Halfter durch die Straßen der Stadt geführt werden sollen2). „Das wird ein Anschauungsunterricht für die Bewohner von Shíráz sein“, erklärte Ḥusayn Khán, „die nun wissen werden, was die Strafe für Ketzerei ist.“ Mullá Ṣádiq sprach ruhig und gefaßt, die Augen gen Himmel erhoben, folgendes Gebet: „O Herr, Du unser Gott! Wir haben wahrlich die Stimme des Einen vernommen, die rief. Er rief uns zum Glauben — ‚Glaubt an den Herrn euren Gott!‘ — und wir haben geglaubt. O Gott, Du unser Gott! Vergib uns denn unsere Sünden und nehme unsere üblen Taten hinweg und gewähre uns mit den Gerechten zu sterben3)!“ Mit bewunderungswürdiger Festigkeit ergaben sich beide in ihr Schicksal. Jene, denen geboten war, diese schwere Strafe auszuführen, vollzogen ihre Aufgabe mit Bereitwilligkeit und Nachdruck. Niemand trat für diese Dulder ein, niemand war geneigt, ihre Sache zu vertreten. Bald darauf wurden sie beide aus Shíráz hinausgetrieben. Vor ihrer Verbannung wurden sie gewarnt, daß, wenn sie sich jemals unterstehen sollten, in diese Stadt zurückzukehren, sie beide gekreuzigt würden. Durch ihre Leiden erwarben sie sich den unsterblichen Vorzug, die ersten gewesen zu sein, die auf persischem Boden verfolgt wurden um ihres Glaubens willen. Mullá ‘Alíy-i-Basṭámi, welcher zwar als erster dem maßlosen Haß der Feinde zum Opfer fiel, erduldete ihre Verfolgungen im ‘Iráq, der jenseits der Grenzen Persiens liegt. Auch standen seine Leiden, so groß sie auch waren, nicht im Vergleich zu der Scheußlichkeit und barbarischen Grausamkeit, welche die Martern kennzeichneten, die über Quddús und Mullá Ṣádiq verhängt waren.
Ein Augenzeuge dieses empörenden Vorfalls, ein Nichtgläubiger, der in Shíráz lebte,
erzählte mir folgendes: „Ich war zugegen, als Mullá Ṣádiq gegeißelt wurde. Ich beobachtete seine
Verfolger, wie sie einer nach dem andern ihre Schläge auf seine blutüberströmten Schultern
niedersausen ließen und mit dem Peitschen fortfuhren, bis er zusammensank. Niemand hätte
gedacht, daß Mullá Ṣádiq in seinem hohen Alter und bei seinen schwachen Leibeskräften
vielleicht 50 solcher grausamen Hiebe überleben konnte. Wir wunderten uns über seine Tapferkeit,
als wir sahen, daß die Peitschenhiebe, die er erhalten hatte, schon 900 überschritten
hatten, aber sein Gesicht immer noch seine ehemalige Ruhe und Stille bewahrte. Ein Lächeln
lag auf seinen Zügen, als er seine Hand vor den Mund hielt. Er schien durchaus
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gleichgültig den Schlägen gegenüber, die auf ihn regneten. Während er aus der Stadt
hinausgejagt wurde, gelang es mir, ihm nahe zu kommen; ich frug ihn, warum er die Hand vor den
Mund gehalten habe. Ich drückte mein Erstaunen aus über das Lächeln auf seinem Gesicht. Er
erwiderte mit Nachdruck: „Die ersten sieben Stockhiebe waren äußerst schmerzhaft; für die
übrigen scheine ich unempfindlich geworden zu sein. Ich frug mich, ob die Hiebe, die folgten,
überhaupt meinen eigenen Körper trafen. Ein Gefühl freudigen Frohlockens hatte meine Seele
erfüllt. Ich versuchte meine Gefühle zurückzuhalten und mein Lachen zu unterdrücken. Ich
kann jetzt erkennen, wie der allmächtige Befreier in einem Augenblick Schmerz in Wohlbehagen
und Leid in Freude zu wandeln vermag. Unaussprechlich erhaben ist Seine Macht,
hoch über der eitlen Einbildung Seiner sterblichen Geschöpfe!“ Mullá Ṣádiq, dem ich etliche
Jahre später begegnete, bestätigte mir jede Einzelheit dieser erschütternden Begebenheit.
Ḥusayn Khán’s Zorn war aber durch diese grausamen und so gänzlich unverdienten
Züchtigungen nicht gestillt. Seine ausschweifende und launenhafte Grausamkeit tobte sich nun in
dem Angriff aus, den er gegen die Person des Báb richtete. Er sandte eine berittene Eskorte aus
seiner eigenen zuverlässigen Leibgarde nach Búshihr mit dem nachdrücklichen Befehl, den
Báb festzunehmen und Ihn gefesselt nach Shíráz zu bringen. Der Führer dieser Eskorte, ein
Mitglied der Nuṣayri-Gemeinschaft (bekannter als die Sekte der ‘Alíyu’-lláhí), erzählte folgendes:
„Nachdem wir die dritte Etappe unseres Wegs nach Búshihr hinter uns hatten, begegneten wir
mitten in der Einöde einem jungen Mann, der eine grüne Schärpe und einen kleinen Turban
nach Art der Siyyid trug, welche ihrem Beruf nach Handelsleute sind. Er war zu Pferd, gefolgt
von einem äthiopischen Diener, der seine Habe bei sich trug. Als wir uns ihm näherten, grüßte
er uns und frug uns nach dem Zweck unserer Reise. Ich hielt es für das beste, ihm die Wahrheit
zu verschweigen und erwiderte, daß wir in dieser Gegend auf Befehl des Statthalters von
Fárs geschickt seien, um gewisse Nachforschungen anzustellen. Er bemerkte lächelnd: ‚Der
Statthalter hat euch gesandt, um Mich gefangen zu nehmen. Hier bin Ich; tut mit Mir, wie ihr
wollt. Durch Meinen Entgegenritt habe Ich eueren Weg gekürzt und habe es euch leichter gemacht,
Mich zu finden!‘ Ich war starr über seine Worte und wunderte mich über seine Aufrichtigkeit
und Geradheit. Ich konnte mir seine Bereitwilligkeit nicht erklären, sich aus freien
Stücken der strengen Disziplin der Regierungsbeamten zu unterwerfen und dabei Leben und
Sicherheit aufs Spiel zu setzen. Ich suchte ihn zu übersehen und schickte mich an, wegzureiten,
als er an mich herankam und sagte: ‚Ich schwöre bei der Gerechtigkeit Dessen, der den
Menschen erschuf, ihn von allen übrigen Seiner Geschöpfe auszeichnete, und sein Herz zum Sitz
Seiner Herrschaft und Erkenntnis machte, daß Ich in Meinem ganzen Leben nur die Wahrheit
gesprochen habe und keinen anderen Wunsch besitze außer dem Wohlergehen und dem Fortschritt
Meiner Mitmenschen. Ich habe Mein eigenes Wohlergehen verachtet und habe vermieden,
der Anlaß des Kummers und des Leids für irgend jemand zu sein. Ich weiß, daß ihr Mich
sucht. Ich ziehe es vor, Mich selbst in deine Hand zu geben, anstatt dich und deine Genossen
unnötigen Ermüdungen um Meinetwillen auszusetzen!' Diese Worte erschütterten mich tief.
Instinktiv stieg ich von meinem Pferd ab, und, die Steigbügel küssend, richtete ich folgende
Worte an ihn: ‚O Licht der Augen des Propheten Gottes! Ich flehe dich an, bei dem, der dich
erschuf und dich mit solcher Erhabenheit und Macht ausgestattet hat, mir meinen Wunsch zu
erfüllen und mein Gebet zu beantworten. Ich bitte dich, von hier zu entweichen und vor dem
Antlitz Ḥusayn Khán’s, des unbarmherzigen und verächtlichen Statthalters dieser Provinz,
zu fliehen. Ich verrate dir seine Machenschaften; ich empöre mich bei dem Gedanken, das
Werkzeug seiner bösartigen Absichten gegen einen so unschuldigen und vornehmen Nachkommen
des Propheten Gottes zu sein. Meine Begleiter sind alle ehrenwerte Männer. Ihr
Wort verpflichtet sie. Sie werden geloben, deine Flucht nicht zu verraten. Ich flehe dich an,
begib dich nach Mashhad in Khurásán und vermeide es so, ein Opfer der Roheit
dieses gewissenlosen Wolfes zu werden.‘ Auf mein ernstliches Bitten gab er mir zur Antwort:
‚Möge der Herr, dein Gott, dich für deine Großmut und für deine edle Absicht belohnen. Kein
Mensch kennt das Geheimnis Meiner Sache; niemand kann ihre Geheimnisse ergründen. Niemals werde
Ich Mein Angesicht von der Bestimmung Gottes abwenden. Er allein ist Meine feste Burg, Mein
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Halt und Meine Zuflucht. Bis Meine letzte Stunde gekommen ist, kann Mich niemand überfallen,
kann niemand den Plan des Allmächtigen vereiteln. Und wenn Meine Stunde gekommen ist,
wie groß wird dann Meine Freude sein, den Kelch des Martyriums in Seinem Namen zu trinken!
Hier bin Ich; liefere Mich in die Hände deines Herrn aus. Habe keine Furcht, denn niemand
wird dich tadeln!‘ Ich beugte meinen Willen und verfuhr nach seinem Wunsch.“
Der Báb setzte Seinen Weg geradewegs nach Shíráz fort. Frei und ungefesselt ritt Er Seiner Eskorte voran, die Ihm in der Haltung ehrfurchtsvoller Ergebenheit folgte. Durch den Zauber Seiner Worte hatte Er die Feindseligkeit Seiner Wächter entwaffnet und ihre stolze Anmaßung in Demut und Liebe umgewandelt. Als sie die Stadt erreicht hatten, begaben sie sich unverzüglich zur Residenz des Statthalters. Wer diesen Reitertrupp durch die Straßen ziehen sah, konnte nicht genug staunen über dieses fast ungewöhnliche Schauspiel. Sobald Ḥusayn Khán von der Ankunft des Báb benachrichtigt war, befahl er Ihn in seine Gegenwart. Er empfing Ihn mit der größten Unverschämtheit und wies Ihm einen Platz an ihm gegenüber inmitten des Zimmers. Er beschimpfte Ihn öffentlich und beschuldigte mit schmähenden Worten Sein Verhalten. „Erkennst du“, so verwahrte er sich ärgerlich, „was für ein großes Unglück du angerichtet hast? Bist du dir dessen bewußt, in welche Ungnade du im heiligen Glauben des Islám und vor der erhabenen Person unseres Beherrschers gefallen bist? Bist du nicht der Mensch, der den Anspruch stellt, der Urheber einer neuen Offenbarung zu sein, die die geheiligten Vorschriften des Qur’án aufhebt?“ Der Báb antwortete ruhig: „Wenn ein böser Mensch zu dir mit Neuigkeiten kommt, so kläre die Sache unverzüglich auf, sonst fügst du durch Unwissenheit anderen ein Leid zu und wirst schnellstens bereuen müssen, was du angerichtet hast!“ Diese Worte versetzten Ḥusayn Khán in helle Wut. „Was“, schrie er, „du unterstehst dich, uns Übles zuzuschreiben, Unwissenheit und Torheit?“ Dabei wandte er sich an seinen Diener und gebot ihm, dem Báb in das Gesicht zu schlagen. So heftig war der Schlag, daß der Turban des Báb zu Boden flog. Shaykh Abú-Turáh, der Imám-Jum’ih von Shíráz, der bei dieser Besprechung zugegen war und der das Verhalten Ḥusayn Khán’s sehr mißbilligte, befahl, daß der Turban des Báb wieder auf Sein Haupt gesetzt werde, und lud Ihn zugleich ein, neben sich Platz zu nehmen. Sich an den Statthalter wendend, erklärte der Imám-Jum’ih ihm die Umstände im Zusammenhang mit der Offenbarung des Verses aus dem Qur’án, den der Báb angeführt hatte, und suchte damit dessen Wut zu besänftigen. „Dieser Vers, den dieser junge Mann angeführt hat“, so sagte er ihm, „hat einen tiefen Eindruck auf mich gemacht. Der richtige Weg ist, fühle ich, der, diese Sache sehr sorgfältig zu untersuchen und ihn nach den Vorschriften des Heiligen Buches zu richten“ Ḥusayn Khán stimmte sofort zu. Daraufhin frug Shaykh Abú-Turáh den Báb über die Art und das Wesen Seiner Offenbarung. Der Báb verneinte den Anspruch zu erheben, der Vertreter des verheißenen Qá’im, oder der Vermittler zwischen Ihm und den Gläubigen zu sein. „Wir sind völlig zufriedengestellt“, antwortete der Imám-Jum’ih, „wir werden dich bitten, am Freitag in der Masjid-i-Vakíl anwesend zu sein und dort öffentlich deinen Verzicht kund zu geben!“ Als sich Shaykh Abú-Turáh erhob, um fortzugehen in der Hoffnung, dieses Verhör damit zu beendigen, trat Ḥusayn Khán dazwischen und sagte: „Wir werden eine Person von anerkannter Stellung fordern, die für ihn Bürgschaft und Sicherheit bietet, und ihr Wort schriftlich verpfändet, daß, wenn jemals in Zukunft dieser junge Mann durch Worte oder Taten es unternehmen sollte, dem Einfluß des islamischen Glaubens oder der Regierung in diesem Lande Abbruch zu tun, sie ihn uns augenblicklich ausliefern und sich selbst unter allen Umständen für sein Betragen verantwortlich fühlen würde.“ Ḥájí Mirzá Siyyid ‘Alí, der Onkel mütterlicherseits des Báb, der gleichfalls der Versammlung beiwohnte, willigte ein, als Bürge für seinen Neffen einzutreten. In eigener Handschrift schrieb er die Bürgschaft, setzte sein Siegel darauf, ließ es durch die Unterschrift einer Anzahl von Zeugen bestätigen und überreichte sie dem Statthalter; daraufhin befahl Ḥusayn Khán, daß der Báb der Obhut Seines Onkels anvertraut werde unter der Bedingung, daß zu jeder Zeit, wenn es dem Statthalter angemessen erscheine, Ḥájí Mirzá Siyyid ‘Alí den Báb ihm unverzüglich zu überantworten habe.
Ḥájí Mirzá Siyyid ‘Alí führte, dankerfüllten Herzens gegen Gott, den Báb in Sein Haus und
vertraute Ihn der liebevollen Pflege Seiner
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hochgeachteten Mutter an. Er freute sich über diese Wiedervereinigung der Familie und war sehr
erleichtert über die Befreiung seines lieben und geschätzten Verwandten aus den Fängen dieses
bösartigen Tyrannen. In der Stille Seines eigenen Heims verbrachte der Báb eine Zeit
ungestörter Zurückgezogenheit. Niemand außer Seiner Gattin, Seiner Mutter und Seinen Onkeln
kamen mit Ihm zusammen. Indessen waren Ränkeschmiede am Werk, um Shaykh Abú-Turáh
zu drängen, den Báb zu der Masjid-i-Vakil zu rufen und von Ihm zu fordern, Sein Wort einzulösen.
Shaykh Abú-Turáh galt als Mann von gutartiger Veranlagung und von einem Temperament
und Wesen, welche eine auffallende Ähnlichkeit mit dem Charakter des verstorbenen Mírzá Abu’l-Qásim,
des Imám-Jum’ih von Ṭihrán, hatte. Er hatte stärksten Abscheu davor, Personen in gehobenem Stand,
besonders wenn sie in Shíráz wohnten, schmachvoll zu behandeln. Er fühlte
instinktiv, daß es so seine Pflicht sei, handelte gewissenhaft darnach und stand dadurch auch
in allgemeinem Ansehen bei den Einwohnern dieser Stadt. Daher suchte er, durch ausweichende
Antworten und wiederholte Aufschübe, den Unwillen der Menge zu besänftigen. Dennoch
fand er, daß die Anstifter von diesem Übel und Aufruhr jeden Versuch unternahmen, um die
Gefühle allgemeinen Grolls in den Massen anzufachen. Schließlich sah er sich genötigt, eine
vertrauliche Botschaft an Ḥájí Mirzá Siyyid ‘Alí zu senden mit der Bitte, den Báb am Freitag in
die Masjid-i-Vakíl zu bringen, damit er sein Versprechen einlöse. „Ich hoffe“, setzte er hinzu,
„daß mit Gottes Hilfe die Aussagen deines Neffen die Spannung der Lage lösen und sowohl
dir, als auch uns Beruhigung bringen möge.“
(Fortsetzung folgt.)
1) Nach A. L. M. Nicolas „Siyyid ‘Ali Muhammad dit le
Báb“, Seite 225, trug sich diese Begegnung am 6. August 1845 n. Chr. zu.
2) Nach „A Travellers narrative" (S. 5) wurde ein gewisser Mullá ‘Alí-Akbar-i-Ardistáni mit ihnen zugleich derselben Verfolgung unterzogen.
3) Qur’án 3, 193.
Eine Oase[Bearbeiten]
Von Max Greeven, Bremen
- Den einzigartigen Eindruck des dem „Größten Heiligen Blatt“, Bahiyyih Khánum, der Schwester 'Abdu'l-Bahá’s, errichteten Grabmales übermittelt uns folgende Schilderung. Die hehre Gestalt dieser Frau zeichnete Shoghi Effendi in seinem damaligen Nachruf*) mit den Worten: „...— Diese große Frau mit den erwähnten Eigenschaften ihres geheiligten Lebens wird die Geschichte einmal, als eine mit himmlischen Mächten, wie sie wenige Helden der Vergangenheit besaßen, Ausgestattete, bezeichnen müssen.“
Als Lord Roberts, der um die Jahrhundertwende wegen seiner großen indischen Verdienste als englischer Nationalheld gefeiert wurde, das vom Kaiser Sháh Jehangir dem Andenken seiner Lieblingsgattin gewidmete Mausoleum, den Taj Mahal, bei Agra, inmitten herrlicher Gartenanlagen gelegen, erblickte, rief er, ergriffen von der unbeschreiblichen Schönheit dieses Kunstwerkes, aus: Wenn es ein Eden auf Erden gibt, ist es dies, ist es dies — —
An diesen Zwischenfall wurde ich erinnert, als ich während meines kürzlichen Aufenthaltes in Haifa das Grabmal des Größten Heiligen Blattes besuchte, als dieses zarte, aus weißem Marmor gefügte Gebilde eine Stunde nach Sonnenuntergang mit Scheinwerfern beleuchtet wurde.
Es fällt schwer, Worte dafür zu finden, um den Eindruck zu schildern, der jeden beim Anblick dieses aus Liebe und Verehrung errichteten Andenkens betrachtet. Wir alle standen wie an den Platz gebannt, zu bewegt, um Worte zu finden für das, was wir fühlten: unsere Herzen und unsere Gedanken waren bei der Frau, die laut 'Abdu'l-Bahá’s eigenen Worten die Verkörperung des idealsten, höchsten Frauencharakters auf Erden gewesen ist.
Nur schwer konnten wir uns von diesem geweihten Ort, von diesem in Marmor gehauenen Traum, von den hohen, dunklen Zypressen, den von unsern treuen persischen Gärtnerfreunden mit so viel Liebe und Sorgfalt gepflegten Blumen, von dem Blick auf den Karmelberg und auf die weite blaue See zu seinen Füßen trennen.
Bei dem Gedanken, daß nur tausend Fuß entfernt die herrlichen Gärten mit den Grabmälern des Báb und 'Abdu'l-Bahá’s sich befinden, hält es wirklich nicht schwer, sich in den Gedanken hinein zu träumen, daß man hier an der Schwelle eines irdischen Paradieses stehe.
*) Siehe in dieser Zeitschrift, Jahrgang XII, S. 78 ff.
[Seite 64]
Der Glaube, der Berge versetzt[Bearbeiten]
Nach einem mündlichen Bericht von K.M. Fozdar, Bombay1)
Es ist eine Verheißung Bahá’u’lláh’s, daß Er denen beistehen wird, die sich für Seine Sache
erheben.
In den frühen Tagen des Bahá’í-Glaubens, zu der Zeit, als Bahá’u’lláh in Persien im Kerker lag, war es Seinen Anhängern nur unter den größten Schwierigkeiten möglich, sich zu versammeln, und diese Versammlungen geschahen heimlich und oft an verborgenen, unterirdischen Orten.
In einer Stadt Persiens hatten Bahá’í eine solche Zusammenkunft eingeleitet, als der Hauptmullá (der oberste der muhammedanischen Priesterschaft der Stadt) davon Kenntnis bekam. Die Nachricht über diese Dinge war ihm hochwillkommen. Er nahm sich vor, die Versammlung zu besuchen, die Bahá’í auszufragen und einen Grund dafür zu finden, sie am nächsten Morgen hinrichten zu lassen.
So machte er sich auf nach jenem ihm bezeichneten unterirdischen Orte, wo er die Bahá’í richtig zugegen fand. Er betrat die Versammlung und konnte sich zunächst eines leisen Staunens nicht erwehren, weil sein Erscheinen unter den Versammelten nicht die geringste Verwirrung oder Aufregung hervorzurufen schien. Alle Anwesenden erwiesen ihm im Gegenteil die größte Ehrerbietung, und Mírzá Abu’l Fazl, ein berühmter Gelehrter seiner Zeit, der unter ihnen war, bat den Mullá ebenfalls unter Bezeugung höchster Ehrerbietung, an seiner Seite Platz zu nehmen.
Der Mullá saß nieder. Sein Blick streifte die buntgemengte Versammlung und blieb auf einem der Anwesenden haften, von dem es offenbar war, daß er keinerlei Wissen besaß und weder lesen noch schreiben konnte.
„Daß du“, sagte der Mullá zu Mírzá Abu’l Fazl gewendet, „Bahá’u’lláh erkennst, könnte mir einleuchten, wie aber sollte wohl jener in seiner so vollkommenen Unwissenheit dazu imstande sein?“
Mírzá Abu’l Fazl verharrte eine Weile nachdenklich und sagte dann: „Frage jenen selber, wie das möglich ist, er wird dir besser darauf antworten können, als ich es kann.“
Kurz und hochmütig legte der Mullá seine Frage dem Unwissenden vor, und dieser antwortete ihm ruhig und höflich mit einem Verse aus dem Qur’án, der folgenden Inhalt hat: ‚Es ist kein Wissen nötig, um einen Propheten zu erkennen, denn der Prophet wird mit dem Herzen erkannt.‘
Der Mullá entgegnete nichts. Unter Muhammedanern bedeutet die Beantwortung einer strittigen Frage durch einen Vers aus dem Qur’án die Beendigung jeglicher Auseinandersetzung, denn der Qur’án ist das Buch Gottes, und Sein Wort ist bindend für jeden Gläubigen.
Noch einmal wandte sich der Mullá an Mírzá Abu’l Fazl, indem er sagte: „Wenn schon dieser Unwissende hier Bahá’u’lláh in solchem Maße erkennt, wie muß es dann um die Erkenntnis der anderen bestellt sein.“ Und damit verließ er die Versammlung.
Als die Bahá’í wieder allein waren, fragte Mírzá Abu’l Fazl jenen vom Mullá befragten Freund: „Sage, wie kam es, daß du ihm eine solche Antwort geben konntest?“ Da erwiderte der andere: „Ich schwöre bei Gott, daß dies der einzige Vers aus dem Qur’án ist, den ich kenne, und Bahá’u’lláh lenkte die Gedanken des Mullá so, daß er auf jene Frage kam, damit ich mit diesem Verse anworten konnte!“
1) In Hamburg 1934 aus dem Englischen gedolmetscht und
nacherzählt von E. M. Großmann, Neckargemünd.
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Lebensgestaltung. Das Leben und ich. Das Leben und mein Nächster. Das Leben und Gott. Kursberichte der Eßlinger Bahá’í-Sommerwoche 1933 . . . -.30
Die Bahá’i-Weltanschauung. Eine kurze Einführung. Von Pauline Hartmann . . . . —.20
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Sonne der Wahrheit. Bahá'i-Monatszeitschrift.
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