Sonne der Wahrheit/Jahrgang 15/Heft 11/Text
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Die Bahá’í-Lehre,[Bearbeiten]
die Lehre Bahá’u’lláhs erkennt in der Religion die höchste und reinste Quelle allen sittlichen Lebens.
Die Ausdrucksformen des religiösen Lebens des Einzelnen, ganzer Völker und Kulturkreise haben im Laufe der Geschichte entsprechend den jeweils anderen Verhältnissen und dem Wachstum des menschlichen Erkenntnisvermögens Wandlungen erfahren. Die äußeren Gesetze und Gebote aller Weltreligionen entsprachen immer den entwicklungsgeschichtlich gegebenen Erfordernissen in bezug auf den Einzelnen, die soziale Ordnung und das Verhältnis zwischen den Völkern. Alle Religionen beruhen aber auf einer gemeinsamen, geistigen Grundlage. „Diese Grundlage muß notwendigerweise die Wahrheit sein und kann nur eine Einheit, nicht eine Mehrheit bilden.“ ('Abdu'l-Bahá.) „Die Sonne der Wahrheit ist das Wort Gottes, von dem die Erziehung der Menschen im Reich der Gedanken abhängig ist.“ (Bahá’u’lláh.) Alle großen Religionsstifter waren Verkünder des Wortes Gottes entsprechend der Fassungskraft und Entwicklungsstufe der Menschen. Das Wesen der Religion liegt darin, im Bewußtwerden der Abhängigkeit des Menschen von der Wirklichkeit Gottes Seine Offenbarer anzuerkennen und nach Seinen durch sie übermittelten Geboten zu leben.
Die Bahá’i-Lehre bestätigt und vertieft den unverfälschten und unwandelbaren Sinn und Gehalt aller Religionen von neuem und zeigt darüber hinaus die kommende Weltordnung auf, welche die geistige Einheit der Menschheit zur Voraussetzung haben wird. Die in ihr zum Ausdruck kommende Weltanschauung steht mit den Errungenschaften der Wissenschaft ausdrücklich in Einklang.
Die Lehre Bahá’u’lláhs enthält geistige Grundsätze und Richtlinien für eine harmonische Gesellschafts-, Staats- und Wirtschaftsordnung. Sie beruhen auf dem Gedanken der natürlich gewachsenen, organischen Einheit jedes Volkes und der das Völkische übergreifenden geistigen Einheit der Menschheit. Den Interessen der Volksgemeinschaft sind die Sonderinteressen des Einzelnen unterzuordnen, denn nur die Gesamtwohlfahrt verbürgt auch das Wohl des Einzelnen.
Wie jede Religion, so wendet sich auch die Bahá’i-Lehre an die Herzensgesinnung des Menschen, um die religiösen Kräfte in den Dienst wahren Menschentums zu stellen. Sie erstrebt die Höherentwicklung der Menschheit mehr durch die Selbsterziehung des Einzelnen als durch äußerlich-organisatorische Maßnahmen. Der Bahá’i hat sich daher über seine ernst aufgefaßten staatsbürgerlichen Pflichten hinaus nicht in die Politik einzumischen, sondern sich zum Träger der Ordnung und des Friedens im menschlichen Gemeinschaftsleben zu erheben. Bahá’u’lláhs Worte sind: „Es ist euch zur Pflicht gemacht, euch allen gerechten Regenten ergeben zu zeigen und jedem gerechten König eure Treue zu beweisen. Dienet den Herrschern der Welt mit der höchsten Wahrhaftigkeit und Treue. Zeiget ihnen Gehorsam und seid ihre wohlwollenden Freunde. Mischt euch nicht ohne ihre Erlaubnis und Zulassung in politische Dinge ein, denn Untreue gegenüber dem Herrscher ist Untreue gegenüber Gott selbst.“
Bahá’u’lláh weist den Weg zu einer befriedeten, im Geiste geeinigten Menschheit. Ein alle Staaten umfassender Bund in ihrer Eigenart entwickelter und unabhängiger Völker auf der Grundlage der Gleichberechtigung, ausgestattet mit völkerrechtlichen Vollmachten und Vollstreckungsgewalten gegenüber Friedensstörern, soll die übernationalen Interessen aller Völker der Erde in völliger Unparteilichkeit und höchster Verantwortung wahrnehmen. Zwischenstaatliche Konflikte sind durch einen von allen Staaten beschickten Weltschiedsgerichtshof auf friedlichem Wege beizulegen.
Die geistige Wesensgleichheit aller Menschen und Völker erheischt einen organischen Aufbau der sozialen Weltordnung, in der jedem seine einzigartige, besondere Eingliederung und Aufgabe zugewiesen ist. Die geographischen, biologischen und geschichtlichen Gegebenheiten bedürfen im Gemeinschaftsleben der Völker immer einer besonderen Beachtung, ohne die sie umschließende Einheit im Reiche des Geistes aus den Augen zu verlieren.
Die Lehre Bahá’u’lláhs „ist in ihrem Ursprung göttlich, in ihren Zielen allumfassend, in ihrem Ausblick weit, in ihrer Methode wissenschaftlich, in ihren Grundsätzen menschendienend und von kraftvollem Einfluß auf die Herzen und Gemüter der Menschen“.
SONNE DER WAHRHEIT Organ der Bahá’í in Deutschland und Österreich Verantwortlich für die Herausgabe: Dr. Eugen Schmidt, Stuttgart-W, Reinsburgerstraße 198 Schriftleitung: Dr. Adelbert Mühlschlegel, Dr. Eugen Schmidt, Alice Schwarz-Solivo Verwaltung: Paul Gollmer • Begründet von Alice Schwarz-Solivo Preis vierteljährlich 1.80 Reichsmark, im Ausland 2.– Reichsmark |
Heft 11 | Stuttgart, im Januar 1936 Sharaf — Ehre 92 |
15. Jahrgang |
Inhalt: Die Gabe der Erkenntnis. — Gott und die Welt. — Nabíl’s Erzählung: Der Aufenthalt des Báb in Shíráz nach der Pilgerreise.
Gebet um Erleuchtung
O Gott, Du Angebeteter!
Von Dir komme ich, und zu Dir kehre ich zurück.
Erleuchte mein Herz mit dem Lichte Deiner Erkenntnis.
Du bist der Mächtige, dessen Macht die Kräfte der Welt und die Menschen in ihr nicht gehemmt haben.
Aus dem einzigen Glanz des Lichtes Deiner Güte sind Weltenmeere der Freigebigkeit geoffenbart worden, und von der einzigen Manifestation der Sonne Deiner Güte ist die Welt des Seins erschaffen worden.
Was sich für Deine Tage nicht geziemt, nimmst Du hinweg und schenkest das, was angemessen ist.
Du bist der Großmütige, dessen Güte keine Grenzen kennt. Deine Diener sind mir. Dich suchen wir und Dich flehen wir an. Du bist der Mitleidvolle und der Barmherzige.
Bahá’u’lláh1)
1) Entnommen und ins Deutsche übertragen aus Do’a, The Call to prayer, Ruth L. Moffett,
Chicago 1933, S. 109.
Die Gabe der Erkenntnis[Bearbeiten]
Worte von Bahá’u’lláh2)
2) Entnommen und ins Deutsche übertragen aus World Order, September 1935, S. 215 ff.
Wisse du, daß nach dem, was dein Herr, der Herr aller Menschen, in Seinem Buch verordnet
hat, die Gunst, die Er der Menschheit gewährte, in ihrem Ausmaß grenzenlos war und immer
sein wird. Die erste und vornehmste unter diesen Gnaden, die der Allmächtige den Menschen
erwiesen hat, ist die Gabe des Verstandes. Seine Absicht bei der Verleihung einer solchen
Gabe ist keine andere, als Seine Geschöpfe zu befähigen, den einen wahren Gott zu kennen
und anzuerkennen — gepriesen sei Seine Herrlichkeit. Diese Gabe befähigt den Menschen,
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die Wahrheit in allen Dingen zu unterscheiden, führt ihn zu dem, was recht ist, und hilft ihm,
die Geheimnisse der Schöpfung zu entdecken. Das Nächste in der Rangordnung ist die Sehkraft,
das hauptsächlichste Mittel, wodurch der Verstand seine Tätigkeit ausüben kann. Der
Sinn des Hörens, des Herzens und Ähnliches sind gleichfalls zu den Gaben zu zählen, mit
denen der menschliche Körper ausgestattet ist. Unermeßlich erhaben ist der Allmächtige, der
diese Kräfte erschaffen und im Körper des Menschen geoffenbart hat.
Dein Auge ist Mein Vertrauen. Dulde nicht, daß der Staub eitler Wünsche seinen Glanz umwölke. Dein Ohr ist ein Zeichen Meiner Gnadenfülle. Laß es nicht durch den Lärm unziemlicher Beweggründe sich wegwenden von Meinem Wort, das alle Schöpfung umfaßt. Dein Herz ist Meine Schatzkammer. Erlaube nicht der treulosen Hand des Selbstes, dich der Perlen zu berauben, die ich darin verwahrt habe. Deine Hand ist ein Sinnbild Meiner liebevollen Güte. Hindere sie nicht daran, sich an Meine beschützten und verborgenen Tablets zu halten... . Ungebeten habe Ich dich mit Meiner Gnade überschüttet. Unerbeten habe Ich deinen Wunsch erfüllt. Trotz deiner Unzulänglichkeit habe ich dich für Meine reichsten, Meine unschätzbaren Gnaden auserlesen... O Meine Diener! Seid ergeben und untertan wie die Erde, auf daß aus dem Boden eueres Wesens die duftenden, die heiligen und vielfarbenen Hyazinthen Meiner Erkenntnis erblühen. Seid entflammt wie das Feuer, auf daß ihr die Schleier der Achtlosigkeit niederbrennet und durch das belebende Wirken der Liebe Gottes die erstarrten und launenhaften Herzen entzündet. Seid leicht und ungefesselt wie der Wind, auf daß ihr Zutritt erhaltet in den Bereich Meines Hofes, Meines unverletzlichen Heiligtums.
O Meine Diener! Laßt nicht euere nichtigen Hoffnungen und eitlen Vorstellungen die Grundlagen eueres Glaubens an den Allerherrlichsten Gott untergraben, um so mehr als solche Einbildungen den Menschen ganz nutzlos geblieben sind und es sie versäumen ließen, ihre Schritte auf den geraden Weg zu lenken. Denkt ihr, o Meine Diener, daß die Hand Meiner allumfassenden, Meiner beschirmenden und erhabenen Herrschaft gefesselt ist, daß die Flut Meiner altehrwürdigen, Meiner nie versiegenden und alles durchdringenden Gnade gehemmt ist oder daß die Wolken Meiner erhabenen und unübertroffenen Gunst aufgehört haben, ihre Gaben auf die Menschen herabzuregnen? Könnt ihr euch vorstellen, daß die wunderbaren Werke, die Meine göttliche und unwiderstehliche Kraft verkündet haben, zurückgenommen wären, oder daß die Macht Meines Willens und Planes von der Lenkung der Menschenschicksale abgehalten wäre? Wenn dem nicht so ist, warum dann waret ihr bestrebt, zu verhindern, daß die unauslöschliche Schönheit Meines geheiligten und gnädigen Antlitzes vor den Augen der Menschen entschleiert werde? Warum habt ihr euch abgemüht, um die Manifestation des Allmächtigen und Allglorreichen Wesens daran zu hindern, die Strahlen Seiner Offenbarung über die Erde zu gießen? Wäret ihr gerecht in euerem Urteil, so würdet ihr bereitwillig erkennen, wie die Wirklichkeiten aller erschaffenen Dinge trunken sind vor Freude über diese neue und wunderbare Offenbarung, wie alle Atome der Erde erleuchtet sind durch den Glanz ihrer Herrlichkeit. Eitel und erbärmlich ist das, was ihr euch eingebildet habt und noch einbildet!
Wendet euere Schritte, o Meine Diener, und beugt euere Herzen vor Ihm, Der der Quell euerer Schöpfung ist. Befreit euch von eueren übeln und lasterhaften Neigungen und eilt, das Licht des unauslöschlichen Feuers aufzunehmen, das auf dem Sinai dieser geheimnisvollen und höchsten Offenbarung glüht. Verfälscht nicht das heilige, das allumfassende und uranfängliche Wort Gottes und sucht nicht seine Heiligkeit zu entweihen oder seine erhabene Wesensart zu erniedrigen. O ihr Achtlosen! Obgleich die Wunder Meiner Barmherzigkeit alle erschaffenen Dinge umfaßt haben, die sichtbaren wie die unsichtbaren, und obgleich die Offenbarungen Meiner Gnade und Freigebigkeit jedes Atom des Weltalls durchdrungen haben, so ist doch die Rute, mit der ich die Gottlosen züchtigen kann, schmerzlich und das Ungestüm Meines Zornes gegen sie schrecklich. Mit Ohren, die geheiligt sind von Hoffart und weltlichen Wünschen, hört auf den Rat, den Ich in Meiner barmherzigen Güte euch geoffenbart habe und betrachtet mit eueren inneren und äußeren Augen die Beweise Meiner wunderbaren Offenbarungen. —
O Meine Diener! Beraubt euch nicht selbst des unauslöschlichen und strahlenden Lichts,
das in der Lampe Göttlicher Herrlichkeit leuchtet. Laßt die Flamme der Liebe Gottes hell
brennen in eueren strahlenden Herzen. Nährt sie mit dem Öle Göttlicher Führung und
beschützt sie mit dem Schirme euerer Standhaftigkeit.
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Behütet sie im Erdball der Treue und der Loslösung von allem außer von Gott, so daß das
üble Geflüster der Gottlosen ihr Licht nicht verlösche. O Meine Diener! Meine heilige, Meine
gottverordnete Offenbarung kann einem Weltmeer verglichen werden, in dessen Tiefen unzählige
Perlen von unschätzbarem Werte, von unerreichtem Glanze ruhen. Es ist die Pflicht
eines jeden Suchenden, sich zu regen und sich zu bemühen, die Küsten dieses Weltmeeres zu
erreichen, damit er nach dem Maße des Eifers seines Suchens und der Anstrengungen, die er
aufgewiesen hat, teilhabe an solchen Wohltaten, wie sie vorherbestimmt waren in Gottes
unwiderruflichen und verborgenen Tablets. Wenn niemand seine Schritte nach den Küsten lenken
wollte, wenn jedermann dabei versagen sollte, sich aufzumachen und Ihn zu finden, könnte von
solch einem Mißlingen gesagt werden, daß es dieses Weltmeer seiner Macht beraubt, oder
irgendwie dessen Schätze vermindert habe? Wie eitel, wie verächtlich sind die Einbildungen,
die euere Herzen ersonnen haben und weiterhin ersinnen! O Meine Diener! Der eine wahre
Gott ist Mein Zeuge! Dieses größte, dieses unergründliche und wogende Weltmeer ist nahe,
erstaunlich nahe bei euch. Seht, es ist euch näher als euere Hauptschlagader! Rasch wie ein
Augenaufschlag könnt ihr, wenn ihr nur wollt, es erreichen und an dieser unvergänglichen Gunst
teilnehmen, an dieser gottgeschenkten Gnade, an dieser unverweslichen Gabe, an dieser höchst
mächtigen und unaussprechlich herrlichen Wohltat.
O Meine Diener! Könntet ihr fassen, mit welchen Wundern Meiner Freigebigkeit und Gnadenfülle Ich auf euere Seelen Mein Vertrauen zu setzen gewillt war, ihr würdet euch wahrhaftig frei machen von der Verhaftung mit allen erschaffenen Dingen und würdet die wahre Erkenntnis eueres eigenen Selbstes erwerben — eine Erkenntnis, die das gleiche ist wie das Erfassen Meines eigenen Wesens. Ihr würdet euch unabhängig sehen von allem anderen außer Mir und würdet mit euerem inneren und äußeren Auge und so sinnfällig wie die Offenbarung Meines strahlenden Namens die Meere Meiner liebevollen Güte, die in euch wogen, gewahren. Lasset nicht zu, daß euere müßigen Vorstellungen, euere übeln Leidenschaften, euere Unaufrichtigkeit und Blindheit des Herzens den Glanz einer so erhabenen Stufe verdunkeln oder ihre Heiligkeit beflecken. Ihr seid dem Vogel gleich, der mit der ganzen Kraft seiner starken Schwingen und mit vollem und freudigem Vertrauen in die Unermeßlichkeit der Himmel aufsteigt, bis er, in dem Drange seinen Hunger zu stillen, sich verlangend dem Wasser und dem Staube der Erde unter ihm zuwendet, jedoch in das Netz seiner Begierde verstrickt, sich unfähig sieht, seinen Flug wieder aufzunehmen zu den Reichen, aus denen er kam. Ohnmächtig die Last abzustreifen, die seine beschmutzten Schwingen beschwert, ist dieser Vogel, bis dahin ein Bewohner der Himmel, jetzt gezwungen, eine Wohnstätte auf dem Staube zu suchen. Daher, o Meine Diener, besudelt euere Schwingen nicht mit dem Lehme des Eigensinns und des eitlen Begehrens und lasset sie nicht sich mit dem Staube des Neides und des Hasses besudeln, damit ihr nicht verhindert seid am Aufstieg in die Himmel Meiner göttlichen Erkenntnis.
O Meine Diener! Durch die Macht Gottes und durch Seine Kraft habe ich euch aus der Schatzkammer Seiner Erkenntnis und Seiner Weisheit die Perlen, die verborgen lagen in den Tiefen Seines ewigwährenden Weltmeeres, hervorgeholt und geoffenbart. Ich habe die Mägde des Himmels gerufen, hinter dem Schleier der Verborgenheit hervorzutreten, und habe sie gekleidet mit diesen Meinen Worten, Worten vollendeter Macht und Weisheit. Noch mehr, Ich habe mit der Hand göttlicher Kraft den erwählten Wein Meiner Offenbarung entsiegelt und seinen heiligen, seinen verborgenen, seinen muskaterfüllten Duft über alle erschaffenen Dinge hinwehen lassen. Wer anderes als ihr selbst seid zu tadeln, wenn ihr es vorzogt, unbeschenkt zu bleiben bei einem so großen Ausströmen von Gottes allesdurchdringender, allumfassender Gnade, bei einer so glänzenden Offenbarung Seiner strahlenden Barmherzigkeit?...
O Meine Diener! Es leuchtet nichts in Meinem Herzen als das unauslöschliche Licht des
Morgens Göttlicher Führung und von Meinem Munde gehet nichts aus als das Wesen der
Wahrheit, die der Herr, euer Gott, offenbart hat. Folget darum nicht eueren irdischen
Begierden und verletzet nicht das Bündnis Gottes, noch brecht euere Bürgschaft für Ihn. Mit fester
Entschlossenheit, mit der ganzen Liebe eueres Herzens und mit der ganzen Kraft euerer Worte,
wendet euch Ihm zu und gehet nicht die Wege der Toren. Die Welt ist nur eine Schaustellung,
eitel und leer, ein wahres Nichts, das den Anschein der Wirklichkeit trägt. Hänget nicht euer
Herz daran! Zerreißet nicht das Band, das euch
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mit euerem Schöpfer verknüpft, und seid nicht von jenen, die in die Irre gegangen und von
Seinen Wegen abgeschweift sind. Wahrlich, Ich sage, die Welt ist wie der Dunst in einer Wüste,
von dem der Dürstende träumt, es sei Wasser, und wonach er mit aller Macht strebt, bis daß
er nahe kommt und nur eitle Täuschung findet. Sie mag ferner auch mit dem leblosen Bilde der
Geliebten verglichen werden, die der Liebende gesucht und am Ende nach langem Suchen
gefunden hat, aber zu seinem größten Schmerze als etwas, das seinen Hunger nicht stillen
noch mildern kann.
O Meine Diener! Betrübt euch nicht, wenn in diesen Tagen und auf dieser irdischen Ebene Dinge, die eueren Wünschen entgegenstehen, von Gott befohlen und offenbart worden sind; denn Tage seliger Freude, himmlischer Wonne sind euch gewißlich vorbehalten. Welten, heilig und von geistiger Herrlichkeit, werden eueren Augen enthüllt werden. Ihr seid von Ihm bestimmt, in dieser Welt und hernach an ihren Wohltaten teilzunehmen, an ihren Freuden Anteil zu haben und ihrer hegenden Gnade teilhaftig zu werden.
Gott und die Welt[Bearbeiten]
Aus den Worten 'Abdu'l-Bahá’s
Zusammengestellt von Dr. Hermann Grossmann, Neckargemünd
Die Propheten [die wahren Verkünder des göttlichen Willens] glauben [1.] an die Welt
Gottes, [2.] an die Welt des Königreiches (des Reiches Gottes
oder des Himmelreiches) und [3.]| an die Welt der Schöpfung als dreierlei:
Das erste, was aus Gott hervorgeht, ist das Geschenk des Königreiches, das
[wiederum] in der Natur der Geschöpfe strahlt und widergespiegelt wird, wie das Licht von
der Sonne ausgeht und in den Geschöpfen widerstrahlt, und dieses Geschenk, das Licht,
findet seine Widerspiegelung in zahllosen Formen in der Natur aller Dinge und erhält seine
besonderen Bezeichnungen und Kennzeichen gemäß der Aufnahmefähigkeit, Würdigkeit und
dem inneren Wert der Dinge.
[1.] Die Wirklichkeit der Gottheit oder das, was das Wesen der Einheit ausmacht, ist reine und von allem unabhängige Heiligkeit, d. h. sie ist über alle Anerkennung geheiligt und erhaben. Alle höchsten Eigenschaften der Stufen der Schöpfung sind auf diese Ebene bezogen bloße Einbildung. Sie ist unsichtbar, unfaßbar, unzugänglich, ein Sein, das unbeschreibbar ist.
Daher ist bezüglich dieser Ebene des Seins jedwede Darlegung und Erläuterung mangelhaft, alles Lob und alle Beschreibung unpassend, jede Vorstellung falsch und alles Nachsinnen nutzlos. Doch gibt es für dieses Wesen der Wesen, diese Wahrheit der Wahrheiten, dieses Geheimnis der Geheimnisse in der Daseinswelt Widerspiegelungen, Morgenröten, Erscheinungen und Abglanze. Der Aufgangsort dieses Glanzes, die Stätte dieser Widerspiegelungen und die Erscheinung dieser Offenbarungen sind die heiligen Aufgangsorte, die allumfassenden Wirklichkeiten und die göttlichen Wesen, die die wahren Spiegel des geheiligten Wesens Gottes sind. Alle Vollkommenheiten, die Gaben und der Glanz, die von Gott kommen, sind in der Wirklichkeit der heiligen Manifestationen sichtbar und offenbar gleich der Sonne, die aus einem klargeschliffenen Spiegel mit allen ihren Vollkommenheiten und Gaben widerstrahlt.
Da nun aber noch niemand bis zur Wirklichkeit des Wesens der Gottheit vorgedrungen ist, so ist niemand imstande, sie zu beschreiben, zu erklären, zu preisen oder zu verherrlichen. Darum bezieht sich alles, was die Natur des Menschen an Namen, Eigenschaften und Vollkommenheiten Gottes erkennt, entdeckt und begreift, auf diese heiligen Manifestationen. Es ist zu nichts sonst ein Zugang: „der Weg ist versperrt und das Suchen verboten.“
[2.] Das erste, was von Gott hervorgegangen ist [d. i. das Geschenk des Königreiches],
ist jene allumfassende Wirklichkeit [die Wirklichkeit der heiligen Manifestationen], die die
alten Philosophen als die „erste Vernunft“ [Logos] bezeichnet haben und die das Volk
Bahá’s [die Bahá’í] den „ersten Willen“ nennt. Dieses Hervorgehen ist, soweit der
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Vorgang die Welt Gottes anbetrifft, nicht durch Raum oder Zeit begrenzt, es ist ohne Anfang
oder Ende; Anfang und Ende sind auf Gott bezogen eins.
Wenn auch die „erste Vernunft“ ohne Anfang ist, so nimmt sie doch nicht am Vorsein Gottes teil, denn das Sein der allumfassenden Wirklichkeit [eben der „ersten Vernunft“] ist nichtig in Hinsicht auf Gottes Sein, und es hat nicht die Macht, Gottes Gefährte und Ihm an Vorsein gleich zu werden.
Die äußere für das Königreich gebrauchte Ausdrucksweise ist Himmel, doch ist dies ein Vergleich und Gleichnis, keine Wirklichkeit oder Tatsache, denn das Königreich ist kein stofflicher Ort, es ist geheiligt über Zeit und Raum. Es ist eine geistige, eine göttliche Welt und der Mittelpunkt der Herrschaft Gottes. Es ist frei von Körper und Körperlichem und von den Vorstellungen der Menschenwelt gereinigt und geheiligt. Räumliche Beschränkung ist eine Eigenschaft der Körper und nicht der Geister.
[3.] Die Beziehung Gottes zu den Geschöpfen ist die des Schöpfers zu der Schöpfung. Sie ist gleich der Beziehung zwischen der Sonne und den dunklen Körpern der abhängigen Geschöpfe und ist die Beziehung zwischen dem Schöpfer und dem, was er erschaffen hat. Die Sonne ist in ihrem Wesen unabhängig von den Körpern, denen sie Licht gibt, denn das Licht wohnt ihr inne und ist vom Erdball frei und unabhängig. So ist die Erde unter dem Einfluß der Sonne und empfängt ihr Licht, indes die Sonne und ihre Strahlen völlig von der Erde unabhängig sind. Doch wenn die Sonne nicht wäre, so könnten die Erde und alle irdischen Wesen nicht bestehen. Die Abhängigkeit der Geschöpfe von Gott ist keine Abhängigkeit der Äußerung, d.h. die Geschöpfe gehen aus Gott hervor, sie offenbaren Ihn nicht. Die Beziehung ist die der Äußerung und nicht die der Offenbarung. Das Licht der Sonne wird von der Sonne geäußert, es offenbart sie nicht. Die Erscheinung durch Äußerung ist gleich der Erscheinung der Strahlen der Weltenleuchte, d. h. daß das heilige Wesen der Sonne der Wahrheit sich nicht teilt und nicht in den Zustand der Geschöpfe herabkommt. So teilt sih auch der Sonnenball nicht und steigt auch nicht auf die Erde hernieder: nein, die Strahlen der Sonne, die ihre Gabe sind, gehen von ihr aus und erleuchten die dunklen Körper. Die Erscheinung durch Offenbarung aber ist die Offenbarung der Zweige, Blätter, Blüten und Früchte aus dem Samen, denn der Same wird selbst zu Zweigen und Früchten, und seine Wirklichkeit tritt in die Zweige, Blätter und Früchte ein.
Gewisse Sophisten sind der Meinung, daß das Dasein Täuschung, daß jegliches Wesen völliges Blendwerk ohne Sein sei, mit anderen Worten, daß das Dasein der Geschöpfe einer Luftspiegelung oder der Spiegelung eines Bildes im Wasser oder in einem Spiegel gleiche, die lediglich eine Erscheinung ohne inneren Bestand, Grundlage oder Wirklichkeit ist. Diese Theorie ist irrig, denn obgleich in Hinsicht auf Gottes Sein das Dasein der Geschöpfe Täuschung ist, so besitzen sie doch in ihrem Zustand als Geschöpfe ein wirkliches und bestimmtes Sein. Es ist wertlos, dies zu leugnen. So ist z. B. das Sein des Minerals im Vergleich zu dem des Menschen Nichtsein, denn wenn der Mensch offenbar zu nichts geworden ist, so wird sein Körper zu Mineral, doch hat das Mineral in der Mineralwelt Sein. Dies zeigt, daß Erde in bezug auf das Sein des Menschen nicht bestehend und daß ihr Dasein Täuschung ist, doch in bezug auf das Mineral besitzt sie Sein. Ebenso ist das Dasein der Geschöpfe im Vergleich zu Gottes Sein nur Täuschung und Nichtigkeit, es ist eine Erscheinung gleich dem Bild im Spiegel. Doch ist, obwohl das Bild im Spiegel Täuschung ist, die Ursache und die Wirklichkeit dieses Trugbildes der gespiegelte Mensch, dessen Antlitz sich im Spiegel zeigt. Kurz, in bezug auf den Gespiegelten ist die Spiegelung Täuschung. So ist es klar, daß auch die Geschöpfe, obgleich sie in bezug auf Gottes Dasein ohne Sein und nur der Luftspiegelung oder dem Bild im Spiegel gleich sind, auf ihrer eigenen Stufe Sein besitzen.
Im Anfang war der Urstoff offensichtlich einer, und dieser eine Urstoff erschien in jedem
Element mit anderem Ausdruck. So wurden verschiedene Formen hervorgebracht, und diese
verschiedenen Ausdrücke erlangten, nachdem sie hervorgebracht worden, Dauer, und jedes
Element erhielt ein eigenes Gepräge. Doch war dieser Dauerzustand noch nicht fest umrissen,
und erst im Verlauf sehr langer Zeit gewann er Wirklichkeit und vollkommenes Dasein. Dann
kam in diese Elemente Zusammensetzung, Aufbau und Verbindung zu zahllosen Formen, oder
besser: durch Zusammensetzung und Verbindung dieser Elemente erschienen ungezählte
Wesen.
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Die größte Kraft im Bereich des menschlichen Daseins ist der Geist — der göttliche Odem —, der alle Dinge belebt und durchdringt. Er offenbart sich in der Schöpfung in [5] verschiedenen Stufen und Reichen.
[1.] Zunächst der Pflanzengeist: er ist eine Kraft, die aus der Verbindung von Elementen und der Mischung von Stoffen auf Geheiß des höchsten Gottes und aus dem Einfluß, der Wirkung und Beteiligung anderer Gegebenheiten hervorgeht. Wenn diese Stoffe und Elemente getrennt sind, so hört auch die Kraft des Wachstums auf. So geht auch, um ein anderes Bild zu benutzen, die Elektrizität aus der Verbindung von Elementen hervor, und wenn diese Elemente getrennt werden, so verliert sich die elektrische Kraft. So ist es mit dem Pflanzengeist. Ihm folgt [2.] der Tiergeist, der gleichfalls aus der Mischung und Verbindung von Elementen hervorgeht, doch ist diese Verbindung vollständiger, und auf Geheiß des allmächtigen Herrn wird eine vollkommene Mischung erreicht und der Tiergeist, mit anderen Worten die Sinneskraft, hervorgebracht. Er nimmt die Natur der Dinge vom Äußeren und Sichtbaren, Hörbaren, Schmeckbaren, Fühlbaren und dem, was riechbar ist, her wahr. Nach Trennung und Auflösung der Verbindung der Elemente wird auch der Geist der Natur gemäß verschwinden. Es ist dies wie bei der Lampe, die ihr seht: werden Öl, Docht und Feuer zusammengebracht, so ist Licht das Ergebnis, wenn aber das Öl verzehrt und der Docht verbraucht ist, so wird auch das Licht erlöschen und sich verlieren. [3.] Der menschliche Geist nun mag mit den Strahlen der Sonne verglichen werden, die auf einen Kristall scheinen. Der Körper des Menschen, der aus den Elementen zusammengesetzt ist, ist in der vollkommensten Form verbunden und vermischt. Er ist der gediegenste Aufbau, die edelste Verbindung, die vollkommenste Daseinsform. Er wächst und entwickelt sich durch den Tiergeist. Dieser vollendete Körper läßt sich mit einem Kristall und der menschliche Geist mit der Sonne vergleichen. Wenn der Kristall zerbricht, so strahlt die Sonne doch weiter, und wenn selbst der Kristall völlig zerstört wird und zu sein aufhört, so kümmert dies die Strahlen der Sonne, die immer währt, nicht.
Der menschliche Geist, der den Menschen vom Tier unterscheidet, ist die vernünftige Seele, und diese zwei Bezeichnungen — der menschliche Geist und die vernünftige Seele — bezeichnen das gleiche. Dieser Geist, der in der Sprache der Philosophen die vernünftige Seele heißt, umfaßt alle Dinge und entdeckt — soweit die menschliche Fähigkeit es gestattet — die Wirklichkeit der Dinge [ihren bleibenden Sinn] und erhält Kenntnis von ihren Eigentümlichkeiten und Wirkungen und von den Eigenschaften und Besonderheiten der Geschöpfe.
Der Geist des Menschen hat zweierlei Ausdruck: den göttlichen und den teuflischen, d. h. er ist der äußersten Vervollkommnung oder aber der äußersten Unvollkommenheit fähig. Erwirbt er Tugenden, so ist es [der Mensch] das edelste der Geschöpfe, nimmt er Laster an, so sinkt er auf die niederste Stufe des Daseins.
[4.] Die vierte Stufe des Geistes ist der himmlische Geist. Er ist der Geist des Glaubens und Gottes Geschenk. Er rührt vom Odem des Heiligen Geistes her und wird durch die göttliche Macht zur Ursache ewigen Lebens. Er ist die Kraft, die den irdischen Menschen himmlisch und den unvollkommenen Menschen vollkommen macht. Er läßt den Unreinen rein, den Schweigsamen beredt werden, er reinigt und heiligt die, die in fleischlichen Wünschen gefangen sind, er macht die Unwissenden weise.
[5.] Der fünfte Geist ist der Heilige Geist. Dieser Heilige Geist ist der Mittler zwischen Gott und Seinen Geschöpfen.
Die göttliche Wirklichkeit kann verglichen werden mit der Sonne und der Heilige Geist mit ihren Strahlen. Wie die Sonnenstrahlen das Licht und die Wärme der Sonne zur Erde bringen, wo sie allen erschaffenen Wesen Leben geben, so bringen die Manifestationen die Macht des Heiligen Geistes von der göttlichen Sonne der Wirklichkeit, um den Seelen der Menschen Licht und Leben zu geben.
Durch die Macht des Heiligen Geistes, die durch seine Seele wirkt, wird der Mensch befähigt, die göttliche Wirklichkeit der Dinge wahrzunehmen.
Die Macht des Heiligen Geistes kommt in den göttlichen Manifestationen der Wahrheit am
stärksten zum Ausdruck. Durch die Macht des [Heiligen] Geistes wurden der Menschheit die
himmlischen Lehren überbracht, und ewiges Leben ist durch sie für den Menschen erlangbar.
Durch die Macht des [Heiligen] Geistes schien die göttliche Herrlichkeit vom Osten zum
Westen, und durch den gleichen Geist werden die göttlichen Tugenden der Menschheit offenbar.
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Unter Seele verstehen wir die Macht, die den physischen Körper, der völlig unter ihrer Aufsicht steht und in Übereinstimmung mit ihren Befehlen lebt, antreibt.
Solche, die die Wahrheit kennen, sagen, daß der physische Körper des Menschen durch die Seele bewegt wird, und in gleicher Weise ist der Mensch der Lebensfunke dieser Welt. Würde der Mensch nicht auf diese Erde gestellt sein, so wäre die Welt tot. Ich spreche hier nicht vom physischen Menschen, sondern von den menschlichen Kenntnissen, die die Zierde des Daseins sind. Wenn der Mensch nicht wäre, so hätte diese Welt keine Schönheit, keinen Bestand, keinen Zweck. So, wie des Menschen Wesen die Seele ist, so besteht die Seele dieser Welt [die vernünftige Seele] in dem zarten Wachstum der Geistigkeit, der himmlischen Tugenden, der göttlichen Gunst und der heiligen Kräfte. Würde die physische Welt nicht von diesem Geiste begleitet, so vermöchte sie nicht zu bestehen.
Der Mensch befindet sich auf der höchsten Stufe des Stofflichen und am Anfang der Geistigkeit, d. h. er ist das Ende der Unvollkommenheit und der Beginn der Vervollkommnung. Er befindet sich auf der letzten Stufe der Finsternis und im Aufgang des Lichtes. Darum heißt es, daß der Zustand des Menschen das Ende der Nacht und der Anbruch des Tages ist, womit gemeint ist, daß er die Summe aller Grade der Unvollkommenheit ist und daß er die Grade der Vervollkommnung in sich trägt. Er besitzt sowohl die tierische als auch die engelhafte Seite, und das Ziel eines Erziehers ist, die menschlichen Seelen so zu erziehen, daß ihr engelhafter Ausdruck die tierische Seite überwindet.
Der Grund für das Kommen der Propheten war die Erziehung der Menschen, so daß aus dem Stückchen Kohle ein Diamant werde und der unfruchtbare Baum aufgepfropft werden und die süßesten, köstlichsten Früchte tragen möge. Wenn der Mensch den edelsten Zustand in der Welt der Menschheit erreicht, kann er auch fernerhin durch die Grade der Vervollkommnung fortschreiten, doch nicht über seine Stufe [als Mensch] hinaus, weil den Stufen Grenzen gesetzt sind, die göttliche Vollkommenheit aber ist unbegrenzt. Sowohl vor der Annahme als auch nach dem Ablegen der stofflichen Form gibt es einen Fortschritt in der Vervollkommnung, jedoch nicht in andere Stufen. So vollenden sich die Geschöpfe im vollkommenen Menschen. Es gibt kein höheres Geschöpf als einen vollkommenen Menschen. Der Mensch kann, wenn er diesen Zustand erreicht hat, noch weiter in der Vervollkommnung fortschreiten, jedoch nicht über diese Stufe hinaus, weil es für die menschliche Entwickelung keine höhere Stufe als die eines vollkommenen Menschen gibt. Er macht nur Fortschritte innerhalb seiner Stufe als Mensch, denn die menschliche Vervollkommnung ist ohne Grenzen. So gelehrt ein Mensch auch sein mag, wir können uns immer noch einen gelehrteren Menschen vorstellen.
Das ewige Leben bedeutet für die Seele die Gabe des Heiligen Geistes, wie die Blume die Gaben der Jahreszeit, der Luft und der Düfte des Frühlings empfängt. Beachtet, wie diese Blume ursprünglich ein Leben gleich dem des Minerals besaß, durch das Kommen des Frühlings aber, durch die Gaben seiner Wolken und die Wärme der Sonne ein anderes Leben erlangt hat, ein Leben äußerster Frische, Schönheit und des Wohlgeruchs. Im Vergleich zum neuen Leben dieser Blume war ihr erstes Leben Tod.
Ich will damit sagen, daß das Leben des Königreichs das Leben des Geistes, das ewige Leben, befreit von Zeit und Raum ist. Es ist gleich dem Geist der Menschen, der keinen Ort hat, denn wenn ihr den menschlichen Körper untersucht, so werdet ihr keinen Platz herausfinden, der für den Geist bestimmt ist, weil er nie einen solchen besessen hat. Er ist unabhängig [vom Ort].
Der Eintritt in das Königreich erfolgt durch die Liebe Gottes, durch Loslösung, Heiligkeit und Keuschheit, durch Aufrichtigkeit, Reinheit, Standhaftigkeit, Ergebenheit und Aufopferung des Lebens1).
1) Aus „‘Abdu’l-Bahá Abbas Beantwortete Fragen“ entnommen, und zwar Abs. 1
aus Kap. 82, Abs. 2—4 aus Kap. 37, Abs. 5, 6 und 8 aus Kap. 53, Abs. 7 aus Kap. 67, Abs. 9
aus Kap. 79 und Abs. 10 aus Kap. 47. Abs. 11 ist entnommen aus „Promulgation of Universal
Peace“ XI, Abs. 12 und 14 bis 16 aus „'Abdu'l-Bahá Abbas Beantwortete Fragen“ Kap. 36,
Abs. 13 desgl. aus Kap. 55, Abs. 17 aus Kap. 17, Abs. 18 bis 19 aus Kap. 28, Abs. 20 aus
„Star of the West", Jahrgang IV, S. 38 oben, Abs. 21 aus „Divine Philosophy“, S. 128f.,
Abs. 22-23 aus „Beantwortete Fragen“ Kap. 64 und Abs. 24-26 desgl. aus Kap. 67. Die dieser
Zusammenstellung eingefügten Worte und Ziffern in eckigen Klammern dienen dem leichteren
Verständnis.
Nabíl’s Erzählung[Bearbeiten]
Übersetzung aus „The Dawn-Breakers“, Nabíl’s Narrative of the early days of the Bahá’í Revelation, New York 1932
8. Kapitel: Der Aufenthalt des Báb in Shíráz nach der Pilgerreise (Fortsetzung)
Als ich volljährig geworden war, empfand ich, damals in Qazvín wohnend, eine tiefe Sehnsucht, das Geheimnis Gottes zu enthüllen und das Wesen Seiner Heiligen und Propheten zu begreifen. Nur, was ich durch Lernen mir erwerben konnte, so stellte ich mir vor, könnte mich befähigen, mein Ziel zu erreichen. Es gelang mir, die Zustimmung meines Vaters und meines Onkels zu erhalten, mein Geschäft aufzugeben, und so stürzte ich mich unverzüglich in Studium und Forschung. Ich bewohnte ein Zimmer in einer der geistlichen Schulen in Qazvín und verdichtete mein Bemühen auf den Erwerb jedes verfügbaren Zweiges menschlicher Gelehrsamkeit. Oftmals besprach ich die Kenntnisse, die ich mir aneignete, mit meinen Mitschülern und suchte dadurch meine Erfahrung zu bereichern. Abends zog ich mich in meine Wohnung zurück und in der Stille meiner Bücherei verbrachte ich manche Stunde bei ungestörtem Studium. Ich war so versunken in meine Arbeit, daß mir Schlaf und Hunger völlig gleichgültig wurden. Innerhalb zweier Jahre, so hatte ich mir vorgenommen, wollte ich die Schwierigkeiten der mohammedanischen Rechtsgelehrsamkeit und Theologie meistern. Ich war ein eifriger Besucher der Vorträge von Mullá ‘Abdu’l-Karím-i-Iravání, der damals als der hervorragendste Geistliche von Qazvín galt. Ich bewunderte seine umfassende Gelehrsamkeit sehr, seine Frömmigkeit und seine Tugend. Abend für Abend, solange ich sein Schüler war, opferte ich meine Zeit der Niederschrift einer Abhandlung, die ich ihm unterbreitete und die er mit Sorgfalt und Anteilnahme durchsah. Er schien mit meinem Fortschritt sehr zufrieden zu sein und lobte oftmals meine hohen Kenntnisse. Eines Tages erklärte er in Anwesenheit seiner versammelten Schüler: ‚Der gelehrte und kluge Mullá ‘Abdu’l-Karím hat sich befähigt gezeigt, nach eigener Vollmacht die heiligen Schriften des Islám auszulegen. Er hat es nicht mehr nötig, meine Klassen oder die von meinesgleichen zu besuchen. Ich werde, so es Gott gefällt, seine Ernennung zum Range eines Mujtahid am Morgen des kommenden Freitag feiern und ihm nach dem Versammlungsgebet sein Zeugnis überreichen.‘
„Kaum hatte Mullá ‘Abdu’l-Karím diese Worte gesprochen und war weggegangen, als seine Schüler zu mir traten und mich herzlich zu meinem Abschluß beglückwünschten. Stolz ging ich nach Hause. Bei meiner Heimkehr erfuhr ich, daß mein Vater und mein älterer Onkel Ḥájí Husayn-‘Alí, die in ganz Qazvín in hohem Ansehen standen, ein Fest mir zu Ehren vorbereiteten, womit sie die Beendigung meines Studiums feiern wollten. Ich bat sie, die Einladung, die sie auch auf angesehene Persönlichkeiten Qazvín’s ausdehnten, zu verschieben, bis ich ihnen weiteren Bescheid geben würde. Sie willigten gerne ein, in der Annahme, daß ich im Verlangen nach einem solchen Fest dieses nicht unnötig lange hinausschieben würde. An diesem Abend kehrte ich in meine Bibliothek zurück, in die Einsamkeit meiner Zelle, und überdachte folgendes in meinem Herzen: Hast du dir nicht ernstlich vorgestellt, daß nur der im Geiste Geheiligte es je erhoffen darf, die Stufe eines bevollmächtigten Auslegers der heiligen Schriften des Islám zu erreichen? War es nicht dein Glaube, daß, wer diese Stufe erreicht, frei von Irrtum sein müsse? Gehörst du jetzt nicht schon zu denen, die sich dieser Stellung erfreuen? Hat dich nicht Qazvín’s hervorragendster Geistlicher anerkannt und als solchen erklärt?
(Fortsetzung folgt.)
Berichtigung:
Im Heft 10, 15. Jg., S. 74, zweite Spalte, 32. Zeile, muß es heißen: „... daß alle Wasser des Weltalls nicht imstande sein werden ...".
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Das Hinscheiden 'Abdu'l-Bahás ("The Passing of 'Abdu'l-Bahá") . . . -.30
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