Sonne der Wahrheit/Jahrgang 13/Heft 11/Text

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SONNE

DER

WAHRHEIT
 
ORGAN DER DEUTSCHEN BAHAI
 
HEFT 11 13. JAHRGANG JANUAR 1934
 


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Die Bahá’i-Lehre,[Bearbeiten]

die Lehre Bahá’u’lláhs erkennt in der Religion die höchste und reinste Quelle allen sittlichen Lebens.

Die Ausdrucksformen des religiösen Lebens des Einzelnen, ganzer Völker und Kulturkreise haben im Laufe der Geschichte entsprechend den jeweils anderen Verhältnissen und dem Wachstum des menschlichen Erkenntnisvermögens Wandlungen erfahren. Die äußeren Gesetze und Gebote aller Weltreligionen entsprachen immer den entwicklungsgeschichtlich gegebenen Erfordernissen in bezug auf den Einzelnen, die soziale Ordnung und das Verhältnis zwischen den Völkern. Alle Religionen beruhen aber auf einer gemeinsamen, geistigen Grundlage. „Diese Grundlage muß notwendigerweise die Wahrheit sein und kann nur eine Einheit, nicht eine Mehrheit bilden.“ ('Abdu'l-Bahá.) „Die Sonne der Wahrheit ist das Wort Gottes, von dem die Erziehung der Menschen im Reich der Gedanken abhängig ist.“ (Bahá’u’lláh.) Alle großen Religionsstifter waren Verkünder des Wortes Gottes entsprechend der Fassungskraft und Entwicklungsstufe der Menschen. Das Wesen der Religion liegt darin, im Bewußtwerden der Abhängigkeit des Menschen von der Wirklichkeit Gottes Seine Offenbarer anzuerkennen und nach Seinen durch sie übermittelten Geboten zu leben.

Die Bahá’i-Lehre bestätigt und vertieft den unverfälschten und unwandelbaren Sinn und Gehalt aller Religionen von neuem und zeigt darüber hinaus die kommende Weltordnung auf, welche die geistige Einheit der Menschheit zur Voraussetzung haben wird. Die in ihr zum Ausdruck kommende Weltanschauung steht mit den Errungenschaften der Wissenschaft ausdrücklich in Einklang.

Die Lehre Bahá’u’lláhs enthält geistige Grundsätze und Richtlinien für eine harmonische Gesellschafts-, Staats- und Wirtschaftsordnung. Sie beruhen auf dem Gedanken der natürlich gewachsenen, organischen Einheit jedes Volkes und der das Völkische übergreifenden geistigen Einheit der Menschheit. Den Interessen der Volksgemeinschaft sind die Sonderinteressen des Einzelnen unterzuordnen, denn nur die Gesamtwohlfahrt verbürgt auch das Wohl des Einzelnen.

Wie jede Religion, so wendet sich auch die Bahá’i-Lehre an die Herzensgesinnung des Menschen, um die religiösen Kräfte in den Dienst wahren Menschentums zu stellen. Sie erstrebt die Höherentwicklung der Menschheit mehr durch die Selbsterziehung des Einzelnen als durch äußerlich-organisatorische Maßnahmen. Der Bahá’i hat sich daher über seine ernst aufgefaßten staatsbürgerlichen Pflichten hinaus nicht in die Politik einzumischen, sondern sich zum Träger der Ordnung und des Friedens im menschlichen Gemeinschaftsleben zu erheben. Bahá’u’lláhs Worte sind: „Es ist euch zur Pflicht gemacht, euch allen gerechten Regenten ergeben zu zeigen und jedem gerechten König eure Treue zu beweisen. Dienet den Herrschern der Welt mit der höchsten Wahrhaftigkeit und Treue. Zeiget ihnen Gehorsam und seid ihre wohlwollenden Freunde. Mischt euch nicht ohne ihre Erlaubnis und Zulassung in politische Dinge ein, denn Untreue gegenüber dem Herrscher ist Untreue gegenüber Gott selbst.“

Bahá’u’lláh weist den Weg zu einer befriedeten, im Geiste geeinigten Menschheit. Ein alle Staaten umfassender Bund in ihrer Eigenart entwickelter und unabhängiger Völker auf der Grundlage der Gleichberechtigung, ausgestattet mit völkerrechtlichen Vollmachten und Vollstreckungsgewalten gegenüber Friedensstörern, soll die übernationalen Interessen aller Völker der Erde in völliger Unparteilichkeit und höchster Verantwortung wahrnehmen. Zwischenstaatliche Konflikte sind durch einen von allen Staaten beschickten Weltschiedsgerichtshof auf friedlichem Wege beizulegen.

Die geistige Wesensgleichheit aller Menschen und Völker erheischt einen organischen Aufbau der sozialen Weltordnung, in der jedem seine einzigartige, besondere Eingliederung und Aufgabe zugewiesen ist. Die geographischen, biologischen und geschichtlichen Gegebenheiten bedürfen im Gemeinschaftsleben der Völker immer einer besonderen Beachtung, ohne die sie umschließende Einheit im Reiche des Geistes aus den Augen zu verlieren.

Die Lehre Bahá’u’lláhs „ist in ihrem Ursprung göttlich, in ihren Zielen allumfassend, in ihrem Ausblick weit, in ihrer Methode wissenschaftlich, in ihren Grundsätzen menschendienend und von kraftvollem Einfluß auf die Herzen und Gemüter der Menschen“.


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SONNE DER WAHRHEIT
Organ der deutschen Bahá’i
Verantwortliche Schriftleitung: Alice Schwarz-Solivo, Stuttgart, Alexanderstraße 3
Preis vierteljährlich 1.80 Goldmark, im Ausland 2.– Goldmark
Heft 11 Stuttgart, im Januar 1934
Sharaf — Ehre 90
13. Jahrgang

Inhalt: Göttliche Lebenskunst. — Sendschreiben Seiner Heiligkeit Bahá’u’lláh an Ra’is, den Minister des Sultans. — Bericht über eine frühe Pilgerreise aus dem Jahr 1898. — Aussprüche von ‘Abdu’l-Bahá zu Miß St. 1910 in Haifa.


O Sohn des Geistes! Das Evangelium des Lichts verkündige Ich dir, erfreue dich dessen und zu dem Zustand der Heiligkeit rufe ich dich, verbleibe in ihm, daß du in Frieden sein mögest — ewiglich.

Verborgene Worte von Bahá’u’lláh.


Göttliche Lebenskunst[Bearbeiten]

Aus den Schriften von ‘Abdu’l-Bahá (Fortsetzung)

Zusammengestellt von Mary M. Rabb (New York, Brentanos Publishers)

Übersetzt von Johanna von Werthern-Stuttgart


5. Kapitel: Liebe

Durch diese Macht der Anziehung kam eine Verbindung zwischen den Atomen dieser Grundelemente zu Stande. Das hieraus gebildete Sein ist eine Erscheinung der niedrigen, zufälligen Urgestalt. Die Kohäsionskraft im Mineralreich ist in Wirklichkeit Liebe oder Verwandtschaft, offenbart auf niedriger Stufe, dem Erfordernis des Mineralreiches entsprechend. Wir gehen einen Schritt höher in das Pflanzenreich, wo wir finden, daß eine verstärkte Macht der Anziehung zwischen den Elementen offenbar wurde, welche die Substanz einer Pflanze bilden. Darum ist Liebe auch im Pflanzenreich. Betrachten wir das Tierreich, so finden wir, daß die Macht der Anziehung einzelne Elemente verbindet wie im Mineralreich, dazu die pflanzliche Mischung wie im Pflanzenreich, dazu die Wundererscheinung des Fühlens oder der Empfindungen. Wir bemerken, daß die Tiere empfindlich sind für gewisse Verwandtschaft und Kameradschaft, und daß sie natürliche Zuchtwahl üben. Diese Elementaranziehungskraft, diese Mischung und gewollte Verwandtschaft ist Liebe, offenbart auf der Stufe des Tierreiches.

Schließlich kommen wir zum Menschenreich. Weil dieses das höchste ist, leuchtet in ihm das Licht der Liebe stärker. Im Menschen finden wir die Macht der Anziehung zwischen den Elementen, welche seinen stofflichen Körper bilden, dazu die Anziehung, welche die Verbindung der Zellgewebe bewirkt, oder die Wachstumskraft, dazu die Anziehung, welche die Empfindungen des Tierreiches kennzeichnet, und außerdem und über all diesen niedrigeren Kräften erkennen wir in den menschlichen Wesen die Anziehungskraft der Herzen, Empfindungen und Verwandtschaften, welche die Menschen aneinander binden und sie befähigen, zusammen zu leben und sich zu vereinigen in Freundschaft und Rechtsgemeinschaft. Es ist darum klar, daß in der Welt der Menschheit der größte Herrscher und König die Liebe ist. Würde die Liebe ausgelöscht, die Macht der Anziehung zerstört, die Verwandtschaft zwischen den menschlichen Herzen [Seite 106] getötet, so würde die Erscheinung des Menschenlebens verschwinden.

Dies ist ein Beweis für die Sinne, den der Verstand annehmen kann, der in Übereinstimmung steht mit den Überlieferungen und Lehren der Heiligen Bücher und der durch die Eingebung des menschlichen Herzens selbst bezeugt wird. Dies ist ein Beweis, auf den wir uns ganz verlassen und den wir als vollständig bezeichnen können.

Aber all dies sind nur Stufen der Liebe, welche in der Natur oder der materiellen Welt existieren. Ihre Offenbarung ist immer an die Erfordernisse der naturhaften Bedingungen und Regeln gebunden. Wahre Liebe aber ist die Liebe, welche zwischen Gott und seinen Geschöpfen besteht, — die Liebe, welche heilige Seelen verbindet. Dies ist die Liebe der geistigen Welt, nicht die Liebe der physischen Körper und Organisationen. Zum Beispiel bedenke und betrachte, wie die Gaben Gottes immer wieder der Menschheit gegeben werden; wie der göttliche Glanz immer über die menschliche Welt scheint! Es kann kein Zweifel darüber bestehen, daß diese Gaben, diese Gnaden, dieser Glanz aus der Quelle der Liebe fließen. Wäre nicht Liebe die bewegende Kraft Gottes, so wäre es dem menschlichen Herzen unmöglich, jene zu erreichen oder zu empfangen. Wäre nicht Liebe, so könnte der göttliche Segen nicht irgend ein Wesen oder eine Sache berühren. Wäre nicht Liebe, so könnte der Empfänger göttlichen Glanzes nicht leuchten und diesen Glanz auf andere widerspiegeln. Sind wir Sehende, so erkennen wir, daß sich die Gnade Gottes fortwährend offenbart, genau wie die Strahlen der Sonne unaufhörlich vom Sonnenkörper ausstrahlen. Die sichtbare Welt wird hell und klar durch die leuchtenden Sonnenstrahlen. In derselben Weise wird das Reich des Herzens und Geistes der Menschen erhellt und belebt durch die leuchtenden Strahlen der Sonne der Wirklichkeit und die Gnaden der Liebe Gottes. Die ganze Welt der Existenz, das Reich des Herzens und Geistes, wird durch sie fortwährend zum Leben geweckt. Wäre es nicht um der Liebe Gottes willen, so wären die Herzen unbelebt, die Geister welk und der Mensch wäre der ewigen Gaben verlustig.

Bedenke, in welche Grade sich die Liebe Gottes offenbart. Unter den Zeichen Seiner Liebe, welche in der Welt erscheinen, sind die Aufgangspunkte Seine Offenbarer. Welch unendliche Liebe haben die Offenbarer auf die Menschheit widergestrahlt!! Um die Menschen zu führen, und um die menschlichen Herzen zu erwecken, haben sie ihr Leben freiwillig dahingegeben. Sie nahmen ihr Kreuz auf sich. Um die menschlichen Seelen fähig zu machen, zu höheren Stufen aufzusteigen, haben sie die schlimmsten Qualen und Schwierigkeiten während ihrer begrenzten Lebensjahre erduldet. Hätte Seine Heiligkeit Christus nicht Liebe zur Menschheit gehabt, so hätte Er das Kreuz nicht angenommen. Er wurde um seiner Liebe zur Menschheit willen gekreuzigt. Bedenke die unendliche Größe dieser Liebe! Ohne Liebe zur Menschheit hätte Johannes der Täufer nicht sein Leben geopfert. So war es mit allen Propheten und heiligen Seelen. Wenn Seine Heiligkeit Bahá’u’lláh nicht entflammt gewesen wäre von der Liebe zur Menschheit, hätte Er nicht freiwillig vierzigjährige Gefangenschaft auf sich genommen.

Bedenke, wie selten Menschen ihr Vergnügen oder ihr Wohlbehagen anderen opfern; wie unwahrscheinlich es ist, daß ein Mensch sein Auge hingeben oder den Verlust eines Gliedes für einen anderen erdulden würde. Und doch haben alle diese göttlichen Offenbarer gelitten, ihr Leben und Blut geopfert und ihre Existenz, ihr Wohlergehen und alles, was sie hatten, der Menschheit gegeben. Darum bedenke, wie sehr sie liebten! Ohne die Erleuchtung, die sie brachten, könnten die Seelen der Menschen nicht strahlen. Wie wirksam ist ihre Liebe! Sie ist ein Zeichen der Liebe Gottes; ein Strahl von der Sonne der Wirklichkeit .. .

Und dann sieh, was die Liebe Gottes bedeutet. Ohne diese Liebe wären alle Geister tot. Damit ist nicht der körperliche Tod gemeint, vielmehr jener Zustand, von dem Seine Heiligkeit Christus sprach, als er sagte: „Laßt die Toten ihre Toten begraben, denn was vom Fleisch geboren ist, ist Fleisch, und was vom Geist geboren ist, ist Geist.“ Ohne die Liebe Gottes wären die Herzen nicht erleuchtet. Ohne die Liebe Gottes stände der Weg zum Königreich nicht offen. Ohne die Liebe Gottes wären die Heiligen Bücher nicht geoffenbart worden. Ohne die Liebe Gottes wären die göttlichen Propheten nicht in die Welt gekommen. Die Grundlage all dieser Gaben ist die Liebe Gottes. Darum ist in der Welt der Menschheit keine größere Macht als die Liebe Gottes.

Liebe ist größer als Friede, denn Friede ist auf Liebe begründet. Liebe ist das Ziel des Friedens; Friede ist eine Frucht der Liebe. Wenn nicht Liebe ist, kann kein Friede sein; aber ihr könnt Frieden haben ohne Liebe. Die Liebe, welche von Gott kommt, ist die Grundlage für wirklichen Frieden. Diese Liebe ist das Ziel aller menschlichen Bestrebungen, der Glanz des Himmels, das Licht des Menschen.

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O du zu den Strahlen Gottes Hingezogener!

Wisse wahrlich:

Liebe ist das Mysterium göttlicher Enthüllungen;
Liebe ist die strahlende Offenbarung;
Liebe ist die geistige Erfüllung;
Liebe ist das Licht des Königreiches;
Liebe ist der Atem des Heiligen Geistes, dem menschlichen Geiste eingegeben;
Liebe ist die Ursache der Offenbarung der Wahrheit (Gottes) in der erschaffenen Welt;
Liebe ist das notwendige Band, entstanden aus den Wirklichkeiten der Dinge durch die göttliche Schöpfung;
Liebe ist das Mittel zum größten Glück in der materiellen wie in der geistigen Welt;
Liebe ist ein Licht der Führung in der dunkeln Nacht;
Liebe ist die Verbindung zwischen Schöpfer und Geschöpf in der geistigen Welt;
Liebe ist die Ursache der Entwicklung jedes erleuchteten Menschen;
Liebe ist das größte Gesetz im unendlichen Weltall Gottes;
Liebe ist das Gesetz, welches Ordnung unter den existierenden Atomen schafft und erhält;
Liebe ist die universale magnetische Kraft zwischen den Planeten und den schwebenden Sternen des Firmaments;
Liebe ist für einen suchenden Verstand die Ursache der Enthüllung von Geheimnissen, welche

durch den Unendlichen in das Weltall gelegt wurden;

Liebe ist der Lebensgeist im großmütig erschaffenen Weltenkörper;
Liebe ist die Ursache der Zivilisation der Völker in dieser sterblichen Welt;
Liebe ist die höchste Ehre für jedes rechtschaffene Volk.

Die Menschen, welche darin bestätigt wurden, sind wahrlich gepriesen von den höchsten Heerscharen, den Engeln des Himmels und den Bewohnern des Königreiches von El Abhás (der höchsten Schönheit). Wenn aber die Herzen der göttlichen Gnade — der Liebe Gottes — ermangeln, so wandern sie in die Wüste der Unwissenheit, steigen hinab zu den Tiefen des Verfalls und sinken in den Abgrund der Verzweiflung, aus dem es kein Entrinnen gibt. Sie sind wie Insekten, welche auf der niedrigsten Ebene leben.

Dies ist der Pfad El Abhás*).
Dies ist die Religion El Abhás.
Dies ist das Gesetz El Abhás.
Wer dies nicht besitzt, hat keinen Teil an El Abhá.


(Fortsetzung folgt.)

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*) Der Schönheit Gottes.



Sendschreiben Seiner Heiligkeit Bahá’u’lláh an Ra’is, den Minister des Sultans1)[Bearbeiten]

O Ra’is! Höre die Stimme Gottes, des Beschützers, des Selbstbestehenden Königs. Wahrlich, Er ruft zwischen Himmel und Erde und erhebt alle Menschen zu dem herrlichsten Ausblick. Weder dein Krächzen noch das Kläffen derer, die um dich sind, noch die Scharen dieser Welt halten Ihn davon ab.

Die Welt ist erleuchtet worden durch das Wort Gottes — El Abhá. Es ist sanfter als das Wehen des Ostwindes und erschien in Gestalt eines Menschen, und durch dieses Licht hat Gott Seine fortschrittlichen Diener belebt. Dieses Wort enthält tiefinnerst ein Wasser, durch das Gott die Herzen derer, die die Welt überwunden haben und die zu Ihm kommen und nur noch Ihn erwähnen, geläutert wurden. Aus diesem Grunde haben Wir sie der Achtsamkeit auf Seinen Größten Namen nahegebracht. Wir ließen dieses Wasser auf die Toten herabkommen und nun schauen sie auf zur leuchtenden und herrlichen Schönheit Gottes.

O du Oberhaupt! Du hast ein Verbrechen begangen, worüber Muhammed, der Prophet Gottes, in den höchsten Himmeln wehklagt. Die Welt hat dich in einer Weise stolz gemacht, daß du dich vom Antlitz Dessen abkehrtest, durch das die Zahl der Erhabenen Heerscharen erleuchtet ist — du wirst dich in sichtbarem Verlust befinden. Du verbündetest dich mit dem persischen Minister, um Mich zu unterdrücken, nachdem Ich vom Ausgangspunkt der Größe und der Macht zu dir kam mit einer Sache, über die, welche Gott nahe stehen, überglücklich sind. Bei Gott, das ist ein Tag, an dem das Feuer aus allen Dingen schlägt und schreit: „Der Geliebte beider Welten ist gekommen!“ Von jedwedem Ding ist ein Sprecher der Sache hervorgegangen, dem Wort deines Herrn zu lauschen, des Köstlichsten, des Wissenden. Wahrlich, sollten Wir aus dem Gewand schlüpfen, das Wir [Seite 108] woben, um Deiner Schwäche willen, so würde alles, was im Himmel und auf Erden ist, keinen Augenblick zögern, Mich mit ihrer Seele auszulösen; dies bezeugt dir dein Herr. Aber niemand hört Ihn, außer denen, die sich von der Welt getrennt haben aus Liebe zu Gott, dem Mächtigen, dem Allvermögenden. Bildest du dir ein, daß du das Feuer, das Gott am Horizont entzündet hat, auslöschen könntest? Nein, bei Ihm, dem Wahrhaftigen — gehörtest du zu den Wissenden! Durch das, was du begangen hast, vermehrt sich eher noch das Aufflammen und sein Leuchten; es wird die Erde umfassen, und alles, was darinnen ist, kann Seinem Gebot nicht widerstehen. Das Land des Geheimnisses (Adrianopel) und was dazu gehört, wird verändert werden, wird aus den Händen des Sultans der Türkei genommen werden, Aufruhr wird entstehen, Klagen werden sich erheben und Bestechungen werden allerorts aufgedeckt werden. Die Zustände werden umgewandelt aus Anlaß dessen, was über die Herzen der Schar der Unterdrückten hereinbrach. Die Herrschaft wird verändert, und zwar wird die Angelegenheit derart schrecklich sein, daß die Sandhügel auf den einsamen Bergen klagen und die Bäume auf den Hügeln weinen werden; Blut wird überall fließen und du wirst das Volk in großer Verwirrung sehen.

O du Oberhaupt! Wir haben Uns dir schon einmal in Mt. Tina2) geoffenbart und wieder in Mt. Ranita und noch einmal an diesem Gesegneten Ort3); doch du nahmst keinerlei Notiz davon, aus dem Grunde, weil du deinen Begierden Folge gabst und einer der Achtlosen warst. Erwäge dies und dann erinnere dich dessen, daß, als Muhammed mit offenbaren Zeichen von seiten des Mächtigen, des Weisen erschien, das Volk Ihn auf den öffentlichen Plätzen und in den Straßen steinigen wollte, und die dabei waren, verleugneten die Zeichen Gottes des Herrn und des Herrn ihrer Väter. Auch die Gelehrten verneinten Ihn. Gedenke auch der Menge, die Ihm nachfolgte, und der Könige auf Erden, wie du der Geschichte Seiner Zeit entnehmen kannst. Unter diesen war Kisra4). An diesen sandte Er ein freundliches Schreiben, forderte ihn auf, sich Gott zu nahen und verbot ihm Vielgötterei zu treiben — wahrlich, dein Gott weiß von allen Dingen. Wahrlich, jener lehnte sich gegen Gott auf, zerriß den Brief, denn er folgte seinen Leidenschaften und Begierden. Zählt er nicht zu dem Volk der Hölle? Gelang es Pharao, Gott daran zu hindern, sein Reich hinwegzunehmen, als jener sich auf die Welt verließ und zu den Ungehorsamen zählte? Wir haben wahrlich den Vermittler5) vom Hause Pharaos geoffenbart nach seinem Willen, wahrlich, Wir besaßen die Macht, dieses zu tun. Und erinnere dich daran, daß Nimrod das Feuer der Vielgötterei entzündete, womit er den Freund Gottes6) verbrennen wollte! Wahrlich, Wir dämmten das Feuer ein durch die Wahrheit und brachten schweren Kummer über Nimrod. Sprich: Wahrlich, der Unterdrücker7) erschlug den Geliebten der Welten (den Báb), damit das Licht Gottes unter Seinen Geschöpfen verlösche! Er nahm dadurch der Menschheit das reine Wasser des Lebens, am Tage des Herrn, des Mächtigen, des Gütigen. Wir haben diese Sache ans Licht gebracht im Lande und Seine (des Bábs) Erwähnung unter den Einträchtigen kund getan. Höre: der Bote ist wahrlich gekommen, um die Welt neu zu beleben und einen jeden zur Einheit zu führen, der auf Erden lebt. Was Gott will, wird sich vollziehen, und du wirst die Erde in einen Garten El Abhás umgewandelt sehen; so steht es geschrieben durch die Feder des Befehls in dem unwiderruflichen Tablet. Überlasse die Erwähnung dem Oberhaupt, dann nenne den Freund, der die Liebe Gottes gewohnt wurde und der Sich selbst von denen lossagte, die sich mit Anderem befassen, als mit Gott, und die verloren sind. Er riß die Schleier auf solche Weise herab, daß die Bewohner des Paradieses das Zerreißen derselben vernahmen. Ehre sei Gott, dem König, dem Allmächtigen, dem Weisen.

O Taube, höre die Stimme El Abhás in dieser Nacht, in der die Offiziere gegen uns zusammentreten, Unser Herz aber voll Freude ist. O daß Unser Blut die Erde benetzen möge und daß Wir zu Boden geschlagen würden auf dem Wege zu Gott, denn dies ist der Wunsch Dessen, der Mich erschaut und der in Mein Königreich aufgestiegen ist, in das herrlichste, das wunderbarste. Wisse denn, o Diener, daß Wir eines Tages die Freunde Gottes den Übertretern gegenübergestellt sahen. Die Wachen besetzten alle Tore8) und hinderten das Ein- und Ausgehen der Diener Gottes und zählten zu den Bedrückern. Und die Freunde Gottes und Seine Familie wurden ohne Nahrung am ersten Abend belassen. Dies widerfuhr denen, um deretwillen die Welt und was darinnen ist erschaffen wurde. Schande über jene und über die, welche den Befehl zu diesem Unrecht gaben. Gott wird ihr [Seite 109] Leben im Feuer verzehren, denn wahrlich Er ist der grimmigste der Rächer. Die Menschen sammelten sich um das Gebäude und Muhammedaner und Christen weinten über das Geschehen und die Stimme der Klage erhob sich zwischen Himmel und Erde um dessetwillen, was die Unterdrücker begangen hatten.

Wahrlich, Wir sahen die Gemeinschaft des Sohnes9) noch bitterlicher weinen als die anderen Glaubens; dies sind wahrlich Zeichen für die Nachdenkenden. Einer der Freunde hat sich geopfert und legte Hand an sich aus Liebe zu Gott. Dies sind Dinge, dergleichen in früheren Zeitaltern nicht vernommen wurden. Das ist es, was Gott einzigartig geschaffen hat für diese Manifestation, um Seine Macht zu zeigen, denn wahrlich, Er ist der Mächtige, der Kraftvolle. Jener aber, der in Irak10) enthauptet wurde, ist wahrlich der Geliebte der Märtyrer und ihr Sultan11). Was von ihm hervorging, war der Beweis Gottes für alle Geschöpfe. Die Geliebten Gottes sind die, in denen sich das Wort Gottes auswirkte und welche die Süßigkeit des Gedächtnisses kosten und über denen die Düfte der Einheit in einer Weise zum Ausdruck kamen, daß sie sich von allem loslösten, was auf Erden ist, und dem Antlitz entgegen gingen mit leuchtenden Mienen, und dies, trotzdem sie begingen, was Gott niemals gestattet; doch Gott vergab ihnen in Seiner Gnade. Wahrlich, Er ist der Verzeihende, der Barmherzige. Die Anziehung des Allmächtigen hat sie mit einer solchen Gewalt erfaßt, daß aus ihren Händen die Zügel einer Freiheit der Wahl genommen wurde, bis sie zu der Stufe der Gegenwart und der Enthüllung gelangten — zu Gott, dem Herrlichsten, dem Weisen.

Sprich: der Diener hat diese Welt verlassen; Er aber setzte jeden Baum an die Stelle des Vertrauens, daß Gott die Wahrheit an den Tag bringen wird. Der Wahrhaftige ist gekommen und die Sache ist verordnet worden von seiten Dessen, der sie beabsichtigt hat, von Ihm, dem Weisen, Dessen Befehl die Heerscharen des Himmels und der Erde nicht widerstehen können. Ebensowenig vermöchten alle Könige und Herrscher Ihn davon abzuhalten, Seinen Willen zu tun!

Sprich: Prüfungen sind wie Öl für diese Lampe, und durch sie leuchtet das Licht noch stärker, gehörtet ihr zu den Wissenden. Sprich: Alle Gegenmaßnahmen, die die Unterdrücker schmieden, sind wie Herolde für diese Sache und durch sie wird das Kommen Gottes und Seine Sache unter den Menschen in aller Welt bekannt gemacht. Gesegnet sind die, welche aus diesem Grund ihr Heim verlassen haben und in ferne Gegenden zogen, aus Liebe zu Gott, eurem Herrn, dem Mächtigen, dem Präexistierenden, bis sie in das Land des Geheimnisses12) kamen, an einem Tag, an dem das Feuer der Unterdrückung entfacht wurde und die Raben von Trennung krächzten. Du nahmst Teil an Meinen Leiden, denn du warst bei Uns an einem Abend, an dem die Herzen der Vereinten tief erschrocken waren. Du betratest das Land mit Unserer Liebe und du verließest es auf Unseren Befehl. Bei Gott, es geziemt der Erde, sich, durch dich, vor dem Himmel zu brüsten! Wie kostbar ist diese große und erhabene Schönheit! O ihr Vögel der Ewigkeit, ihr wurdet von euren Nestern verscheucht, um der Sache Gottes, des Unbesiegbaren, willen. Wahrlich, Er wird euch ein Obdach unter den Schwingen der Gnade Eures Herrn, des Barmherzigen, geben. Gesegnet sind die Wissenden.

O du mein Opfer! Der Geist ist dein und demjenigen, der durch Dich beglückt ist und von Dir Meine Düfte empfängt und vernimmt, was die Herzen der Suchenden erleuchtet. Danke Gott für das, womit du die Ufer des allergrößten Meeres erreichtest und den Schrei vernahmst, den alle Atome äußern: „Dieser ist der Geliebte der Welt! Die Menschen der Welt unterdrückten Ihn und erkennen Den nicht, nach dem sie allezeit rufen!“ Jene, die nachlässig sind und sich von Ihm (dem Báb) abwandten, um dessen Anhänger sie sich hätten opfern sollen, sind in großem Nachteil. Dies aber, und um wieviel mehr Seiner herrlichen und leuchtenden Vollkommenheit wegen? Obgleich dein Herz sicherlich brechen würde bei der Trennung von Gott, so sei geduldig, denn du hast eine hohe Stufe bei Ihm erreicht. Vielmehr solltest du vor Mein Angesicht treten, damit Wir zu dir mit der Zunge der Macht und Kraft reden, was den Ohren der Aufrichtigen vorenthalten ist zu hören. Sprich: Sollte Er ein Wort äußern, so würde es wahrlich von größerer Süßigkeit sein, als die Worte aller Menschen auf Erden. Dies ist ein Tag, an dem, hätte Muhammed, der Prophet Gottes, ihn erlebt, sicherlich gesagt hätte: „Wir haben Dich, o Du Ersehnter aller Glaubensboten, erkannt!“ Und hätte der Freund Gottes, Abraham, es erlebt, so hätte Er die Erde mit Seiner Stirne berührt, sich gedemütigt vor Gott und gesprochen: „Mein Herz ist beglückt, o Gott, durch alles, was auf Erden und im Himmel ist, [Seite 110] Du hast mir gewährt das Königreich Deines Befehls und den Bereich Deiner Größe zu schauen; ich bezeuge, daß bei Deiner Manifestation die Herzen derer, die sich nahen, im Frieden sind!“ Hätte der Sprecher Mose es erlebt, so würde Er sicherlich gesagt haben: „Gelobt seist Du, daß Du Mir Deine Herrlichkeit gezeigt hast und Mich in Deine Gemeinschaft aufgenommen hast!“

Denke über die Menschen und ihre Zustände nach, was aus ihrem Munde hervorgeht und was ihre Hände übles verbrochen haben an diesem gesegneten, heiligen und wundervollen Tag. Wahrlich die dem Befehl Ungehorsamen, die sich Satan zuwandten, gehören zu denen, die vor allen Dingen verflucht sind und dem Höllenvolk zugehören. Wer Meine Stimme hört, wird nicht berührt von den Stimmen der Welt, und der, auf den die Stimme von anderem außer Mir Einfluß hat, der vernimmt wahrlich Meine Stimme nicht; er ist wirklich Meines Reiches beraubt und des Bereichs Meiner Größe und Macht und zählt zu den Verlierenden. Sei nicht traurig über das, was über dich kam. Wahrlich, Du hast um Meiner Liebe willen erduldet, was die Mehrzahl der Diener immer erduldet haben — Dein Gott ist der Allwissende, der Weise. Er hat dich zum Gerichtshof begleitet und vernommen, was aus der Tinte deiner Feder bei Erwähnung deines Herrn, des Barmherzigen, floß. Wahrlich, dies ist geoffenbarte Gnade. Gott wird einen aus der Schar der Könige erheben, der Seinen Heiligen beistehen wird, denn Er umfaßt alle Dinge. Er wird in das Herz der Menschen die Liebe zu Seinen Bekennern legen, dies ist ein Erlaß von seiten des Mächtigen, des Herrlichen. Wir bitten Gott, daß Er durch deinen Ruf die Brust aller Diener mit Glück erfülle und dich zur Standarte der Führung im ganzen Reich mache und daß durch dich die Schwachen siegreich werden. Du sollst nicht acht auf das Grunzen der Eber haben, sondern dies deinem Herrn, dem Vergebenden, dem Großmütigen überlassen. Erzähle Meinen Geliebten die Geschichte des Dieners und alles, was du erfahren und gehört hast; dann berichte ihnen, was Wir dir mitgeteilt haben; wahrlich, dein Gott wird dich zu allen Zeiten stark machen, denn Er ist dein Beschützer. Die erhabenen Heerscharen werden dich und die Familie Gottes und Seinen Haushalt verherrlichen, die Blätter, die an dem Baume grünen, werden dich preisen und dich in herrlichem Gedenken behalten.

O Feder der Offenbarung! Mahne den, dessen Brief vor das Antlitz in dieser dunkeln Nacht kam und der durch das Land reiste, bis er die Stadt erreichte und sie betrat, um Obdach im Schutz der Gnade seines Herrn, des Mächtigen, des Kraftvollen, zu finden — in welcher Stadt er die Nacht zubrachte, auf die Gnade Gottes vertrauend und sie am anderen Morgen auf den Befehl Gottes wieder verließ, worüber der Diener traurig war.

Gott ist Zeuge aller Meiner Worte und spricht: „Gesegnet bist du, daß du den Wein der Offenbarung aus der Hand des Barmherzigen in einer Weise erhieltest, daß du auf dein Behagen verzichtest, weil du einer derer bist, die zu dem Reich des Paradieses eilen, zu dem Morgenrot der Zeichen Deines Gottes, dem Herrlichsten, dem Unvergleichlichen.“ Welch einen Sieg bedeutet es für den, der vom Wein der Kenntnis des Angesichts seines Herrn getrunken hat und der wieder die reine Süße dieses Weins kostet? Bei Gott, durch diesen Wein werden die Anhänger an einen einheitlichen Glauben zum Himmel der Größe und Herrlichkeit aufsteigen und ihre Vorstellungen werden zur Wirklichkeit werden. Sei nicht traurig über all das, was über dich kam. Halte dich an Gott, den Mächtigen, den Wissenden, den Weisen und lasse die Eckpfeiler des Hauses auf die Bücher der Offenbarung gegründet sein, dann rufe deinen Herrn an und Er wird dich von allen Menschen der Welt befreien. Gott hat dich in dem Tablet erwähnt, in dem die Geheimnisse geschrieben stehen, von dem, was gewesen ist. Die, welche einheitlichen Glaubens sind, werden deiner Wanderung gedenken, vom Kommen und Gehen auf dem Wege zu Gott. Wahrlich, Er erwählt, wen Er will, Er ist wahrhaftig der Geliebte, der Erhabene. Bei Gott, die Erhabenen Heerscharen sahen dich und blicken nach dir, so sehr hat die Gnade deines Gottes dich umgeben. O wüßten die Menschen, wem gegenüber sie am Tage Gottes, des Mächtigen, des Höchsten - gleichgültig sind! Danke Gott um so mehr, als Er dir die Kraft verlieh, Seine Weisheit zu erfassen und dich hieß, unter Seinen Schutz zu treten an einem Tag, an dem die Ungläubigen das Volk Gottes und Seine Heiligen umringten und sie aus ihrer Heimat vertrieben in offenkundiger Tyrannei. Man wünschte uns voneinander zu trennen an den Ufern des Meeres; wahrlich, dein Herr weiß, was in der Brust der Ungläubigen vorgeht. Sprich: „Und würdet ihr auch unsere Glieder vom Körper trennen, so würde doch die Liebe zu Gott in unseren Herzen nicht verlöschen! Wahrlich, wir sind zum Opfer geschaffen, deshalb frohlocken wir über die Würmer der Erde.“


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1) In der Türkei um 1870.

2) Nahe Bagdad.

3) Akka.

4) Der Sasanidenkönig.

5) Mose.

6) Abraham.

7) Der Schah von Persien.

8) Der Festung Akkas.

9) Die Christen.

10) Bagdad.

11) Im Sinne von Herrscher.

12) Adrianopel.

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Bericht über eine frühe Pilgerreise aus dem Jahr 1898[Bearbeiten]

Von May Maxwell


Am 9. Februar 1898 begab sich meine Freundin (Lua Getsinger) und ich an Bord des Dampfers Karthago, der seinen Kurs nach Bombay nahm, und erreichten Port Said am 15. Februar. Am Kai erwarteten uns Ahmed Jazdi und Nourilla Effendi. Diese beiden Freunde sorgten aufs beste für uns, sie belegten Zimmer im Hotel, besorgten unser Gepäck und sahen fast stündlich nach uns, luden uns in ihr Heim, machten Ausfahrten mit uns und erwiesen uns einen Grad der Liebe und Aufmerksamkeit, wie dies uns zuvor noch nie widerfahren war. Damals begriffen wir noch nicht den Geist, der sie dazu trieb, erst später erkannten wir, daß wir wie tot gewesen waren, daß sie aber lebendig und durch die Liebe Gottes belebt waren. Am Nachmittag nach unserer Ankunft lud uns Nourilla Effendi in sein Haus ein, wo uns seine Frau und seine Töchter mit den gleich leuchtenden Gesichtern und der gleichen bewunderungswürdigen Güte entgegenkamen, wie wir dies bei unseren beiden Glaubensbrüdern wahrgenommen hatten. Dort sahen wir zum erstenmal das Bild unseres geliebten Meisters ‘Abdu’l-Bahá. Ich konnte den Blick nicht davon wenden. Die Freunde schenkten jedem von uns solch ein Bild und eine Haarlocke der Gesegneten Vollkommenheit. Es wurde Tee und allerlei Süßigkeiten gereicht, und als wir uns verabschiedeten, fühlten wir uns von einem Band der Liebe innig umschlossen, obgleich wir nur durch Vermittlung eines Herrn mit den Frauen sprechen konnten, wir wußten nun, daß es keine beredtere Sprache gibt als ein Schweigen, bei dem allein unser Herz gesprochen hatte.

Wir mußten zwei Tage auf das kleine Boot warten, das die Küste bei Beirut entlang fährt, und gingen also am 15. Februar, begleitet von unseren beiden Freunden, an Bord. Mit ehrfurchtsvollen Gefühlen trugen sie uns Botschaften der Liebe an ihren Meister auf, und mit welch liebevollem Blick verfolgten sie unsere Abfahrt! Bald darnach begriff ich dies alles. Ich erinnere mich noch deutlich, wie die See im Abendgolde lag, als wir am nächsten Tag in Jaffa landeten und wie wir auf das kleine Haus von Simon, dem Gerber, zu sprechen kamen und auf das wunderbare Gesicht, das Petrus auf dem Dache des Hauses hatte. Wir besuchten diesen historischen Ort erst auf der Rückreise; nun, da uns jede Stunde weiter von dem Geliebten trennt, erscheinen mir diese nur allzu lang. Wir reisten weiter und saßen still an Deck bis zur Dämmerung, bis die Schatten tiefer fielen und mit hereinbrechender Dunkelheit Stern um Stern groß und leuchtend aufblinkte und in der Ferne erst nur als zarte Andeutung, dann immer deutlicher die Umrisse des Karmel hervortraten, glitzernde Lichter am Ufer in Sicht kamen und Düfte von Rosen und Orangeblüten vom heiligen Land uns entgegenwehten.

An Bord waren zwei russische Pilger, die stundenlang stumm am Reeling gelehnt hatten, nach Osten den Blick gewandt, nun aber schauten sie nach Akka. Wir alle waren in Andacht und Gebet versunken, als das Schiff langsam in den Hafen von Haifa einfuhr und vor Anker ging. Dann folgte ein Gewimmel von Booten, Lichtern und Stimmen, denen wir aber keine besondere Beachtung schenkten, bis wir an Land ausgebootet wurden und uns nun den amerikanischen Freunden gegenübersahen. Sie begrüßten uns herzlich, halfen uns an Land zu gehen, ihre ersten Worte aber waren: „Unser Meister ist in Haifa!*

Wir fuhren nach dem Hause, das der Meister für die amerikanischen Pilger gemietet hatte, herzlich bewillkommt durch unsere Bahá’i-Schwester Mariam und noch weiteren Freunden. Dann zogen wir uns zurück, um die erste Nacht im Heiligen Lande in unruhigem Schlafe zu verbringen, in Erwartung des Sonnenaufgangs dieses so lang ersehnten Tages.

Am Freitag, den 17. Februar, gegen 7 Uhr, trat Schwester Mariam eilig bei uns ein und kündete den Besuch von 'Abdu’l-Bahá schon für die nächsten Augenblicke an. Es blieb uns kaum Zeit, die Kleider überzuwerfen, als eine plötzliche seelische Erschütterung sich meines Seins bemächtigte. Wir traten in eine große zentral gelegene Halle, in die alle Türen des Hauses mündeten. Vor einer der Türen, dem Hauseingang gegenüber, sah ich die Schuhe der Gläubigen stehen, ein Zeichen, daß der Gesegnete Meister schon zugegen war. Die anderen folgten mir eilig. Gleich darauf trat ich über die Schwelle und sah einen Raum mit vielen Menschen im Dämmerlicht vor mir. Die Leute saßen still an den Wänden entlang, und nun erblickte ich auch den geliebten Herrn. Ich sank zu Seinen Füßen nieder, Er aber hob mich voll Güte auf und wies mir den Platz an seiner Seite an, wobei Er liebevolle Worte in persisch, aber mit einer Stimme zu mir sprach, die mein Herz erschütterte, Von diesem ersten Beisammensein erinnere ich mich an nichts mehr, weder an Freude noch an Schmerz.

(Fortsetzung folgt.)


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Aussprüche von ‘Abdu‘-Bahá zu Miß St. 1910 in Haifa[Bearbeiten]

Ausgearbeitet für Frau Alice Schwarz-Stuttgart von Frau Dr. F. †


14. August 1910.

Was ist Kultur, wenn sie nicht lebendiger Besitz eines Einzelnen ist? Luxus des Begüterten! Klassen- und Kastenbesitz.


15. August 1910.

Für die Jugend ist das Höchste, Edelste und Beste gerade gut genug! Warum hält man denn in den meisten Kulturländern den Elementarlehrer in einer Halbbildung, in einer unansehnlichen Stellung, in unzureichender Lebenshaltung?


16. August 1910.

Die Arbeit soll dem Menschen Selbstbewußtsein und Würde geben. Warum raubt man ihm denn diese zwei wichtigsten Früchte, indem man aus der Arbeit eine Sklavenlast, eine Bürde des wirtschaftlich Unterliegenden macht?


17. August 1910.

Die Gesegnete Vollkommenheit Bahá’u’lláh lehrt, der Mensch — jeder Mensch — hat ein Anrecht auf Friede, Freiheit, Freude und Arbeit. Die Einheit des Menschengeschlechts (d. h. die Einigkeit) sichert dem Einzelnen, wie der Gesamtheit den Frieden. Der Friede gewährt die Freiheit. Die Freiheit bringt die Freude, die Freude fördert die Arbeit.


18. August 1910.

Es gibt nicht nur in Indien Kasten und Kastengeist. Das Prinzip der Exklusivität vergiftet auch heute noch die westlichen Kulturstaaten. Die christliche Kirche mit der Hyrarchie der Geistlichen hat die Einheitslehre von Christus und Paulus umgestoßen. Seine Heiligkeit Christus hat den Sklaven neben den Herrn gestellt, und was hat denn die Kirche des 19. Jahrhunderts zu der Negersklaverei von Amerika gesagt? O Bahá’u’lláh, Deine sanfte Stimme der Wahrheit wird noch bis in die Kirchen hineindringen.


19. August 1910.

Unser Verhältnis zu Gott, dem Herrn, muß auf zwei Grundpfeilern ruhen: williges Unterordnen des eigenen Willens unter den Göttlichen und Aufrichtigkeit. An der letzteren Grundbedingung scheitern wir, wenn wir unser Gewissen und unsere Sehnsucht mit leerem Formalismus und totem Dogmatismus abfinden wollen.


20. August 1910.

Der Erlösertod Christi wird schon seit Jahrhunderten mißverstanden. Gehe zu den Mönchen des Eliasklosters und sie werden Dir folgendes sagen: „Gott hat über die sündigen, abgefallenen Menschen einen solchen Zorn, daß nur das freiwillige Opfer Christi, das in dessen Leiden und Sterben liegt, dem Menschengeschlecht die Vergebung und Gnade Gottes zurückerobern, neu erwerben konnte und mußte. Der Zorn Gottes mußte durch das edelste Blut gestillt werden!“ O Ihr Jünger Elias, wie denn? Nach dieser Auffassung hätte Christus nichts Wichtigeres zu vollbringen gehabt, als möglichst rasch zu leiden und zu sterben! O Christenheit! Hat nicht Christus den verblendeten Zeitgenossen ein reines vollkommenes Erdenleben als ewig leuchtendes Beispiel vorleben müssen, hat Er, der große Meister, nicht die Offenbarung, die Wegweisungen Gottes, die Befehle und Verordnungen des Höchsten, einem abgefallenen, blinden und tauben Geschlecht wieder auffrischen, lehren und einprägen müssen? Gewiß, meine Tochter, du frägst unwillkürlich: „Ja, warum mußte denn Christus am Kreuze für unsere Sünden stellvertretend leiden und sterben?“ Einen wichtigen Grund will ich dir heute enthüllen: „Jede Manifestation Gottes, von Buddha und Konfuzius bis zu Bahá’u’lláh lebte ein Leben in Gott, mit Gott, für Gott, und ein solches Leben ist nach den ewigen und unerforschlichen Gesetzen des Schöpfers nur möglich, in Gehorsam und durch Opfer des Geschöpfs. Mit Seinem Leben bewies Christus, der Heilige, Seinen Gehorsam, in Seinem Tode bewies Er Sein vollkommenes Opfer! Selbst du, o Bahái-Freundin, wirst den Weg zum Gottesreich nur beschreiten durch ein Leben der Tat im Gehorsam unter Gottes Willen und durch ein tägliches Leiden und Sterben in Selbstaufopferung. — Wieviel mehr denn die heiligen Herolde Gottes?“

(Fortsetzung folgt.)



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Bahá’u’lláh

Verborgene Worte.. Worte der Weisheit und Gebete. Geschrieben während seiner Verbannung in Bagdad 1857/58 . . . kart. —.80

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Frohe Botschaften. Worte des Paradieses, Tablet Tarasat (Schmuck), Tablet Taschalliat (Lichtstrahlen), Tablet Ischrakat (Glanz). Mahnrufe und Anweisungen an die Völker der Erde . . gebunden 2.00

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Buch der Gewißheit oder Kitábu’l-Iqán. Eine Auseinandersetzung mit theologischen Fragen verschiedener Religionen, geschrieben in Bagdad um 1862. Ist fortsetzungsweise in den beiden Jahrgängen X und XI unserer Zeitschrift „Sonne der Wahrheit“ enthalten.

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'Abdu'l-Bahá Abbas

Ansprachen in Paris. ‘Abdu’l-Bahá spricht hier über zahlreiche Fragen, nach deren Klärung die Völker der Erde suchen.

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Beantwortete Fragen. Erklärungen zu christlichen und islamischen Fragen, Behandlung allgemeiner weltanschaulicher Probleme . . . . . . Ganzleinen 2.50

Sendschreiben an die Haager Friedenskonferenz 1919 . . . . . --.20


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Geschichte und Wahrheitsbeweise der Bahá’i-Religion, Einführung in die Gedankenwelt der Bahá’i-Lehre von einem orientalischen Gelehrten. Von Mirza Abul Fazl . . . . . gebunden 2.--

Bahá’u’lláh und das neue Zeitalter. ein Lehrbuch von Dr. J. E. Esslemont. Ganzleinen 2.50

'Abdu'l-Bahá Abbas’ Leben und Lehren, von Myron H. Phelps. . . . . .gebunden 2.--

Die Bahá’i-Offenbarung, ein Lehrbuch von Thornton Chase. . . . . . . kart. 2.--

Am Morgen einer neuen Zeit. Untersuchung der geistigen Ursachen der Weltkrise und Beleuchtung der letzthin einzigen Möglichkeit ihrer Überwindung durch die Bahá’i-Lehre. Von Dr. Hermann Großmann . . . . . kart. 1.80

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Die Bahá’i-Weltanschauung. Eine kurze Einführung. Von Pauline Hartmann . . . . —.20

Das Hinscheiden 'Abdu'l-Bahás ("The Passing of 'Abdu'l-Bahá") . . . -.30

Sonne der Wahrheit. Bahá'i-Monatszeitschrift.

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Jahrgang X - XII gebunden je 6.--