Sonne der Wahrheit/Jahrgang 13/Heft 10/Text
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SONNE DER WAHRHEIT | ||
ORGAN DER DEUTSCHEN BAHAI | ||
HEFT 10 | 13. JAHRGANG | DEZ. 1933 |
Die Bahá’i-Lehre,[Bearbeiten]
die Lehre Bahá’u’lláhs erkennt in der Religion die höchste und reinste Quelle allen sittlichen Lebens.
Die Ausdrucksformen des religiösen Lebens des Einzelnen, ganzer Völker und Kulturkreise haben im Laufe der Geschichte entsprechend den jeweils anderen Verhältnissen und dem Wachstum des menschlichen Erkenntnisvermögens Wandlungen erfahren. Die äußeren Gesetze und Gebote aller Weltreligionen entsprachen immer den entwicklungsgeschichtlich gegebenen Erfordernissen in bezug auf den Einzelnen, die soziale Ordnung und das Verhältnis zwischen den Völkern. Alle Religionen beruhen aber auf einer gemeinsamen, geistigen Grundlage. „Diese Grundlage muß notwendigerweise die Wahrheit sein und kann nur eine Einheit, nicht eine Mehrheit bilden.“ ('Abdu'l-Bahá.) „Die Sonne der Wahrheit ist das Wort Gottes, von dem die Erziehung der Menschen im Reich der Gedanken abhängig ist.“ (Bahá’u’lláh.) Alle großen Religionsstifter waren Verkünder des Wortes Gottes entsprechend der Fassungskraft und Entwicklungsstufe der Menschen. Das Wesen der Religion liegt darin, im Bewußtwerden der Abhängigkeit des Menschen von der Wirklichkeit Gottes Seine Offenbarer anzuerkennen und nach Seinen durch sie übermittelten Geboten zu leben.
Die Bahá’i-Lehre bestätigt und vertieft den unverfälschten und unwandelbaren Sinn und Gehalt aller Religionen von neuem und zeigt darüber hinaus die kommende Weltordnung auf, welche die geistige Einheit der Menschheit zur Voraussetzung haben wird. Die in ihr zum Ausdruck kommende Weltanschauung steht mit den Errungenschaften der Wissenschaft ausdrücklich in Einklang.
Die Lehre Bahá’u’lláhs enthält geistige Grundsätze und Richtlinien für eine harmonische Gesellschafts-, Staats- und Wirtschaftsordnung. Sie beruhen auf dem Gedanken der natürlich gewachsenen, organischen Einheit jedes Volkes und der das Völkische übergreifenden geistigen Einheit der Menschheit. Den Interessen der Volksgemeinschaft sind die Sonderinteressen des Einzelnen unterzuordnen, denn nur die Gesamtwohlfahrt verbürgt auch das Wohl des Einzelnen.
Wie jede Religion, so wendet sich auch die Bahá’i-Lehre an die Herzensgesinnung des Menschen, um die religiösen Kräfte in den Dienst wahren Menschentums zu stellen. Sie erstrebt die Höherentwicklung der Menschheit mehr durch die Selbsterziehung des Einzelnen als durch äußerlich-organisatorische Maßnahmen. Der Bahá’i hat sich daher über seine ernst aufgefaßten staatsbürgerlichen Pflichten hinaus nicht in die Politik einzumischen, sondern sich zum Träger der Ordnung und des Friedens im menschlichen Gemeinschaftsleben zu erheben. Bahá’u’lláhs Worte sind: „Es ist euch zur Pflicht gemacht, euch allen gerechten Regenten ergeben zu zeigen und jedem gerechten König eure Treue zu beweisen. Dienet den Herrschern der Welt mit der höchsten Wahrhaftigkeit und Treue. Zeiget ihnen Gehorsam und seid ihre wohlwollenden Freunde. Mischt euch nicht ohne ihre Erlaubnis und Zulassung in politische Dinge ein, denn Untreue gegenüber dem Herrscher ist Untreue gegenüber Gott selbst.“
Bahá’u’lláh weist den Weg zu einer befriedeten, im Geiste geeinigten Menschheit. Ein alle Staaten umfassender Bund in ihrer Eigenart entwickelter und unabhängiger Völker auf der Grundlage der Gleichberechtigung, ausgestattet mit völkerrechtlichen Vollmachten und Vollstreckungsgewalten gegenüber Friedensstörern, soll die übernationalen Interessen aller Völker der Erde in völliger Unparteilichkeit und höchster Verantwortung wahrnehmen. Zwischenstaatliche Konflikte sind durch einen von allen Staaten beschickten Weltschiedsgerichtshof auf friedlichem Wege beizulegen.
Die geistige Wesensgleichheit aller Menschen und Völker erheischt einen organischen Aufbau der sozialen Weltordnung, in der jedem seine einzigartige, besondere Eingliederung und Aufgabe zugewiesen ist. Die geographischen, biologischen und geschichtlichen Gegebenheiten bedürfen im Gemeinschaftsleben der Völker immer einer besonderen Beachtung, ohne die sie umschließende Einheit im Reiche des Geistes aus den Augen zu verlieren.
Die Lehre Bahá’u’lláhs „ist in ihrem Ursprung göttlich, in ihren Zielen allumfassend, in ihrem Ausblick weit, in ihrer Methode wissenschaftlich, in ihren Grundsätzen menschendienend und von kraftvollem Einfluß auf die Herzen und Gemüter der Menschen“.
SONNE DER WAHRHEIT Organ der deutschen Bahá’i Verantwortliche Schriftleitung: Alice Schwarz-Solivo, Stuttgart, Alexanderstraße 3 Preis vierteljährlich 1.80 Goldmark, im Ausland 2.– Goldmark |
Heft 10 | Stuttgart, im Dezember 1933 Masá’il — Fragen 90 |
13. Jahrgang |
Inhalt: Göttliche Lebenskunst. — Sendschreiben Seiner Heiligkeit Bahá’u’lláh an Königin Victoria von England. — Aus dem Schatz der Erinnerungen an Abbas Effendi, ‘Abdu’l-Bahá. — Die Friedensfrage in der Bahá’i-Lehre. — Aussprüche von ‘Abdu’l-Bahá zu Miß St. 1910 in Haifa.
Das Wesen der Weisheit ist die Ehrfurcht vor Gott, die Furcht vor Seiner Rute und Bestrafung, das Erkennen Seiner Gerechtigkeit und die Anerkennung Seiner Verordnung.
Verborgene Worte von Bahá’u’lláh.
Göttliche Lebenskunst[Bearbeiten]
Aus den Schriften von ‘Abdu’l-Bahá (Fortsetzung)
Zusammengestellt von Mary M. Rabb (New York, Brentanos Publishers)
Übersetzt von Johanna von Werthern-Stuttgart
4. Kapitel: Glaube, Loslösung, Opfer
O du Dienerin Gottes! Die Durchschlagskraft der Worte eines Menschen hängt ab vom Grade seiner Liebe zu Gott. Je mehr von der Herrlichkeit der Liebe Gottes in ihm offenbar wird, je größer wird die Durchschlagskraft seiner Worte sein.
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Es ist sehr merkwürdig, daß ein Antlitz dunkel ist, wenn es nicht von der Liebe Gottes erleuchtet wird. Blickst du hinein, so sind die Zeichen der göttlichen Frohen Botschaften nicht offenbar, aber wenn die Lichter Gottes darüber scheinen, wird es hell und erleuchtet, wie geschrieben steht: „In ihrem Antlitz wirst du das Grünen des Paradieses sehen und in ihrem Verhalten die Zeichen der Anbetung.“
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Die Pflicht der Getreuen Gottes ist, einander zu dienen und einander zu helfen. Ich bin der Diener Gottes und der Freunde Gottes.
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‘Abdu’l-Bahá sagte, die Geschichte von Marias Salbung habe eine tiefe geistige Bedeutung. Das Gefäß, welches das Salböl enthielt, bedeutet das Herz Marias. Die Salbung ist die Liebe Gottes, die ihr Herz erfüllte, und all diese Liebe legte sie Jesus zu Füßen. Judas sagte: „Warum verschwendete sie alle diese Liebe an Jesus, der ihrer nicht so bedarf, als die Armen? Warum gab sie diesen nichts von ihrer großen Liebe und Fürsorge?“ Da sagte Jesus, daß sie recht gehandelt habe, Ihm ihre ganze Liebe zu schenken.
Das ist es, was wir auch tun sollten. Wir müssen alle Liebe unseres Herzens Gott geben, um Seinetwillen und um unserer Liebe willen zu Ihm sollen wir alle anderen lieben. Die „Armen“ in diesem Zusammenhang bedeuten diejenigen, welche Liebe brauchen. Bahá’u’lláh sagte: „Die Armen unter euch sind in Meiner Obhut und Meine Anvertrauten.“ Darum sollen wir uns immer der Armen um Seinetwillen annehmen.
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Strebet mit allen Kräften danach, die Herzen durch Liebe zum Glühen zu bringen, seid einander
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verbunden und seid wie die Glieder eines Körpers. Jede Seele der Geliebten soll die anderen
ehren und ihnen Besitz und Leben nicht vorenthalten, und mit allen Mitteln danach
trachten, die anderen froh und glücklich zu machen. Aber die anderen (die Empfänger solcher
Liebe) müssen auch selbstlos und opferbereit sein. Auf diese Weise möge der Sonnenaufgang
die Horizonte mit Licht überfluten, diese Melodie alle Menschen erfreuen und beglücken, diese
göttliche Arzenei zum Allheilmittel werden für jede Krankheit, und dieser Geist der
Wirklichkeit zur Ursache des Lebens für jede Seele.
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Ein anderes Gebot gebe ich euch! Daß ihr euch untereinander liebet wie ich euch liebe. Große Gnade und Segnungen sind den Menschen eueres Landes versprochen, aber unter einer Bedingung: nämlich, daß ihre Herzen vom Feuer der Liebe erfüllt seien, daß sie in größter Güte und Harmonie zusammen leben, eine Seele in verschiedenen Körpern. Wenn sie diese Bedingung nicht erfüllen, werden die großen Segnungen verzögert. Vergesset niemals dieses: Betrachtet einander mit dem Auge der Vollkommenheit. Blicket auf mich, folget mir, seid wie ich bin. Nehmt keine eigensüchtigen Gedanken in euer Leben, ob ihr esset, ob ihr schlafet, ob es euch wohl ergehe, ob ihr gesund seid oder krank, ob ihr Freunde habt oder Feinde. Denn um alle diese Dinge sollt ihr euch nicht kümmern. Blicket auf mich und seid wie ich bin. Ihr müßt euch selbst und der Welt sterben; dann werdet ihr wiedergeboren werden und in das himmlische Königreich eingehen. Betrachtet eine Kerze, wie sie ihr Licht gibt. Sie gibt ihr Leben dahin, Tropfen um Tropfen, um ihre Flamme leuchten zu lassen.
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Wisse, daß es in der existierenden Welt ein Zentrum gibt für jede große Sache, und Wohltaten strömen aus von diesem Zentrum.
Zum Beispiel ist im Sonnensystem die Sonne das Lichtzentrum. Gleicherweise gibt es ein Zentrum der reinen Liebe, und dies Zentrum ist in dieser Welt offenbart, und die Lichter der Liebe strahlen von ihm aus zu allen Teilen des Universums.
Wenn du an einem einzigen Strahl von diesem Zentrum teilhast, so wirst du selbstgenügend über der Welt stehen, wirst neue Lebensbedingungen und eine Glückseligkeit finden, welche alle Existenz überschattet.
Bete zu Gott, daß du mit aller deiner Anstrengung das Licht der Liebe von diesem Zentrum erreichst.
5. Kapitel: Liebe
Einheit ist Liebe. Ohne Liebe kann keine Einheit erreicht werden. Darum strebet mit allen Kräften darnach, euch mit Liebe zu erfüllen. Liebe ist unaufhörliches Leben, ist die höchste Vitalität. Sehet, wie wir durch Liebe zusammengeführt wurden, vom Osten und vom Westen her! Wäre keine Liebe zwischen uns, so wäre unsere Freundschaft mit den Grüßen wie „Guten Morgen“ und „Guten Abend“ beendet. Liebe führt zur Freundschaft mit den Menschen aller Rassen und Religionen. Der ist ein Bahá’i, ist einer vom Volke Bahás, von dem wir den Atem solcher Liebe verspüren. Die höchste Liebe ist unabhängig von allen persönlichen Vorteilen, welche uns die Liebe des Freundes bringen mag. Wenn du wirklich liebst, wird deine Liebe für deinen Freund weiterbestehen, selbst wenn er dich schlecht behandelt. Ein Mensch, der Gott wahrhaft liebt, liebt Ihn auch, wenn er selbst krank oder betrübt oder unglücklich sein mag. Er liebt Gott nicht, weil Er ihn erschaffen hat — sein Leben mag von Mißgeschick und Elend erfüllt sein. Er liebt Gott nicht, weil Er ihm Gesundheit oder Reichtum gegeben hat, denn diese können jederzeit vergehen. Er liebt Ihn nicht, weil Er ihm die Stärke der Jugend gab, denn das Alter wird sicherlich über ihn kommen. Der Grund seiner Liebe ist nicht die Dankbarkeit für gewisse Gnaden und Wohltaten. Nein!
Der Gott Liebende sehnt sich nach Ihm und betet Ihn an, weil Er die Vollkommenheit ist und um Seiner Vollkommenheiten willen. Liebe sollte das wahrste Wesen der Liebenden und nicht an äußere Erscheinungen gebunden sein.
Ein Nachtfalter liebt das Licht, obwohl es seine Schwingen verbrennt. Wenn auch seine Schwingen versengt werden, fliegt er in die Flamme. Er liebt das Licht nicht, weil er einen Gewinn von ihm hat. Er umflattert das Licht, obwohl er dabei seine Schwingen opfern muß.
Dies ist der höchste Grad der Liebe. Ohne diese Selbstvergessenheit, diese Ekstase, ist die Liebe unvollkommen.
Der Gott Liebende liebt Ihn um seinetwillen, nicht zu eigenem Vorteil.
Wenn das Feuer der Liebe entzündet ist, wird der Ertrag des Verstandes völlig verbrannt. (Worte von Bahá’u’lláh.)
Alle göttlichen Boten kamen auf diese Welt, um besonders das Gesetz der Liebe zu verkünden.
Sie kamen, um den Menschenkindern göttliche Liebe zu lehren; sie kamen, um ein göttliches
Heilmittel für alle Nationen zu spenden; sie kamen, um gleichzeitig die Herzen fest zu
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verbinden und die Menschheit in einen Zustand von Einheit und Übereinstimmung zu bringen.
Auf diesem Pfade haben diese göttlichen Offenbarer unzählige Schwierigkeiten und Beschwerden
erduldet. Um Liebe und Übereinstimmung zwischen den Menschen zu verwirklichen, haben
sie ihr Leben geopfert. Wie viele Verfolgungen haben sie erduldet, um die widerstreitenden
Nationen und Religionen zur Harmonie zu führen, und um den verschiedenen Völkern der Erde
Frieden und Trost zu geben!
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Die Staatenkörper sind heute eines Arztes sehr bedürftig. Sie sind einem menschlichen Körper zu vergleichen, der von einem Nervenleiden befallen ist. Ein Arzt stellt die Krankheit fest und verordnet die Behandlung. Er verordnet nicht, ehe er die Krankheit erkannt hat. Die Krankheit, unter der die Staatenkörper leiden, ist der Mangel an Liebe und Uneigennützigkeit. In den Herzen der Menschen ist selten wahre Liebe zu finden, und die Lage ist nun so, daß es keine Heilung, keinen Zusammenklang der Menschheit geben kann, wenn nicht ihre Erregbarkeit durch eine besondere Macht beruhigt wird, damit Liebe, Einheit und Übereinstimmung unter ihr entstehen können. Die Staatenkörper von heute brauchen Liebe und Einheit. Ohne sie ist kein Fortschritt und kein Wohlstand zu erreichen. Darum müssen die Freunde Gottes festhalten an einer Macht, welche diese Liebe und Einheit in den Herzen der Menschenkinder schafft. Die Wissenschaft allein kann die Krankheit des Staatenkörpers nicht heilen, die Wissenschaft kann nicht Freundschaft und Kameradschaft in den Herzen der Menschen erzeugen. Die Heilung kann nur durch die göttlichen Gaben und geistigen Schenkungen erreicht werden, welche von Gott zu diesem Zwecke auf die Welt herabkamen. Dies ist ein Erfordernis der Zeit, und das göttliche Heilmittel wurde gespendet. Denn allein die geistigen Lehren der Religion Gottes können diese Liebe, diese Einheit und Harmonie im menschlichen Herzen erzeugen.
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Obwohl der Staatenkörper wie eine Familie ist, sind doch einige der Glieder in Wohlstand und einige in größtem Elend; einige sind satt und andere hungrig, einige sind mit kostbaren Gewändern bekleidet und andere leiden Mangel an Nahrung und Obdach. Warum? Weil die Mitglieder dieser Familie nicht das notwendige Gefühl der gegenseitigen Verbundenheit und Verantwortlichkeit füreinander haben. Ein solcher Haushalt ist nicht gut geführt. Ist es möglich, daß ein Glied einer Familie der tiefsten Armut und dem größten Elend ausgesetzt ist, während die übrige Familie wohl und glücklich lebt?
Es ist unmöglich, es sei denn, daß die übrige Familie fühllos, geistig verkümmert, ungastlich und lieblos sei.
Der Sinn ist, daß wir alle, die Bewohner derselben Erde, in Wirklichkeit die Glieder einer Familie sind und ein jeder von uns ein Glied dieser Familie ist. Darum müssen unter gerechten Regeln und Gesetzen, die übereinstimmen mit den Gesetzen Gottes, wir alle in Glück und Wohlstand leben, denn dieses Leben fließt rasch dahin, und wenn der Mensch nur an sich denkt, so ist er nicht besser als das Tier, denn nur das Tier gehört diesem egoistischen Grade an. Der Mensch sollte im Gegenteil bereit sein, Beschwerden auf sich zu nehmen, um andere glücklich zu machen. Dies ist ein Charakteristikum des Menschen, dies steht dem Menschen zu. Solch ein Mensch ist eine Ehre für das Menschengeschlecht; solch ein Mensch ist ein Ruhm für die Menschheit; solch ein Mensch gewinnt ewigen Segen; solch ein Mensch ist der Schwelle Gottes nahe gekommen; solch ein Mensch ist die wahre Offenbarung ewigen Glückes.
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Das Höchste, was erreicht werden kann, ist das Verstehen dieses großen Ausspruches: „Alle Wesen sind die Früchte eines Baumes, die Blätter eines Zweiges, die Tropfen einer See. Ruhm sei dem, der das Menschengeschlecht liebt, nicht dem, der nur seine Angehörigen liebt.“ (Bahá’u’lláh.)
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O du Tochter des Königreiches! Der Herr des Königreiches und die Sonne der Wahrheit haben Glanz und Leuchten über die Welt und das Universum gesandt. Alle Dinge, die möglich sind, fanden Leben und Existenz durch dieses Leuchten, traten ins Dasein und wurden offenbar in der Welt des Seins. Darum sind all die gegenständlichen Erscheinungen wie Oberflächen von Spiegeln, auf welche die Sonne der Wahrheit ihre Strahlen der Güte scheinen läßt. Alle diese Oberflächen (die verschiedenen Lebensarten oder Lebensstufen) sind Spiegel, welche die Strahlen der Sonne der Wahrheit widerspiegeln. Das Lichtfluten ist das Eine Fluten und das Glänzen ist das Eine Glänzen. Die vielen und komplizierten Spiegel sind voneinander verschieden. Einige von ihnen sind äußerst rein und klar und können die Strahlen der Sonne der Wahrheit widerspiegeln, und das Strahlen des Lichtes ist bei ihnen klar und deutlich zu erkennen. Dann gibt es auch Spiegel, die voll Staub und darum dunkel sind, folglich sind sie jeden Glanzes beraubt.
Die Freunde Gottes sind die durchsichtigen Spiegel, welche bei äußerster Reinheit und Klarheit
die Strahlen der Sonnensphäre widerspiegeln.
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Andere Menschen sind dunkel und trübe, gefühllos wie härtestes Gestein. Dies sind besonders die
Feindseligen, die Haßerfüllten, die Unterdrücker und Tyrannen, und die Fanatiker,
welche durch Ansammeln von Staub (Vorurteilen) wie schwarze Steine geworden sind, in
die die Strahlen der Sonne nicht dringen und von denen kein Licht ausstrahlt.
Nun dürfen wir diese Spiegel, die jeder Gabe beraubt sind, nicht als Fremde betrachten oder bezeichnen, noch sollten wir von ihnen wie von Feinden oder Wilden sprechen oder sie dafür ansehen; nein, vielmehr müssen wir sie als Glieder unseres Körpers betrachten, ihnen Liebe und Güte erzeigen, nicht wie Fremden, sondern wie Gefährten, nicht wie Fernstehenden, sondern wie Freunden. Wir müssen uns um ihre Bildung und Erziehung kümmern, Anteil nehmen an ihnen, Mitleid mit ihnen haben und sie zu himmlischen Eigenschaften führen, damit der angesammelte Staub von der Oberfläche dieser Spiegel verschwinden und die leuchtenden Strahlen der Sonne der Wahrheit von ihnen widerscheinen möge.
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O Menschensohn! Verhüllt in Meinem unvordenklichen Wesen und in Meinem ewigen Sein, fühlte ich Meine Liebe zu dir; deshalb erschuf Ich dich, verlieh dir Mein Ebenbild und offenbarte dir Meine Schönheit.
O Menschensohn! Dich zu erschaffen, war meine Freude, darum erschuf ich dich...
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Wir erklären, daß Liebe die Ursache der Existenz aller Erscheinungen ist und daß das Fehlen von Liebe die Ursache der Auflösung oder Nichtexistenz ist. Liebe ist die bewußte Gabe Gottes, — das Band der Verwandtschaft zwischen allen Erscheinungen. Wir wollen dies erst durch Verstandesüberlegung beweisen: Wenn wir das Universum betrachten, bemerken wir, daß alle zusammengesetzten Wesen oder existierenden Erscheinungen ursprünglich aus einzelnen Elementen gebildet sind, welche durch eine Macht der Anziehung verbunden werden.
(Fortsetzung folgt.)
Sendschreiben Seiner Heiligkeit Bahá’u’lláh an Königin Victoria von England[Bearbeiten]
(Schluß)
Verbündet euch miteinander, o Versammlung der Könige! Dadurch werden die Winde der
Zwietracht unter euch sich legen, und eure Untertanen und die eurer Nachbarn werden Ruhe
finden, — so ihr zu denen zählt, die wissend sind. Wenn einer unter euch sich gegen einen
anderen wendet, dann wendet euch alle gegen ihn: dies entspricht der offenbaren Gerechtigkeit.
Also haben Wir euch in dem Tablet ermahnt, das Wir euch einstens gesandt*): Gehorcht
dem, was euch von dem Starken, dem Weisen geoffenbart wurde. So einer kommt, um in eurem
Schatten Zuflucht zu suchen, dann beschützt ihn und laßt ihn nicht im Stich: also lautet der
Rat der Allerhöchsten Feder vonseiten des Weisen, des Wohlunterrichteten. Hütet euch, zu
handeln wie der König des Islam, als Wir auf seinen Befehl zu ihm kamen: seine Beamten
behandelten Uns mit einer Grausamkeit, derenthalben alle Dinge Tränen vergossen und die Herzen
der Erwählten sich verzehrten.
O ewige Feder, schreibe! Laß ab von diesen Wesen, die in ihre Leidenschaften verstrickt sind, und erwähne die Königin, damit sie sich mit ihrem reinen Herzen dem allerhöchsten Anblick zuwende, den sie an der Seite ihres Herrn, des Meisters des Geschickes, erlebt: unterrichte sie von dem, was in den Tablets und in den Psalmen durch Den geoffenbart wurde, Der den Menschen erschaffen hat, vor Dem sich die Sonne verdunkelte, der Mond sich verfinsterte und die Verkündigung zwischen den Himmeln und den Erden sich erhob!
O Königin, eile Gott entgegen und sprich: „O mein König, wir sind Deine Sklaven, und Du
bist der König der Könige. Die betende Hand erhebt sich demütig flehend zum Himmel Deiner
Güte und Deiner Wohltaten. Laß auf mich aus den Wolken Deiner Großmut das herniedersteigen,
was mich von dem trennt, was nicht Du ist, und was mich Dir näher bringt. Herr, ich
bitte Dich bei Deinem Namen, den Du zum Könige der Namen und zur Offenbarung Deiner
Selbst gemacht hast für das, was auf Erden und im Himmel ist, zerreiße die Schleier, die mich
hindern, den Aufgangsort Deiner Zeichen und den Glanz Deiner Inspiration zu schauen. Wahrlich,
Du bist der Mächtige, der Starke, der Großmütige. O Herr, beraube mich nicht der Wohlgerüche
des Gewandes Deiner Barmherzigkeit in diesen Tagen: verzeichne für mich das, was
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Du verzeichnet hast für Deine Dienerinnen, die an Dich und Deine Zeichen glaubten, die Dich
verstehen konnten und sich mit ganzem Herzen dem Horizonte Deiner Sache zugewandt haben.
Wahrlich, Du bist der Gebieter der Welten und der Barmherzigste der Barmherzigen! Gib, daß
ich Dich unter Deinen Dienerinnen verkündige und zum Triumphe Deiner Sache in Deinen
Ländern beitrage. Vergib das, was ich im Augenblick des Aufganges der Strahlen Deines
Antlitzes unterlassen habe. Wahrlich, Du bist der Allmächtige. Dein ist die Herrlichkeit, Der
Du das Königreich der Himmel und der Erden in Deinen Händen hältst!“
*) Tablet Ishraqát.
Aus dem Schatz der Erinnerungen an Abbas Effendi, 'Abdu'l-Bahá. 1906 - 1911[Bearbeiten]
24. Brief von Frau Dr. J. F. † an Frau A. Schwarz, Stuttgart
Leiden und Trübsal von Gott verordnet! Es gibt keinen Zufall
Ort: Grab des Báb am Berg Karmel.
Zeit: Februar 1910.
Anwesende: Außer ‘Abdu’l-Bahá Abbas Effendi sind anwesend: zahlreiche Studenten von den verschiedensten Nationalitäten von Beirut (American College), Pilger (indische Bahá’i), arabische Moslem (Bahá’i-Freunde), Touristen aus Amerika (Nicht-Bahá’i, aber von Bahá’i Empfohlene), Miß S. und Dr. J. F.
Ein Student des American College fragt in gebrochener arabischer Sprache: „Findet sich in der Bahá’i-Lehre, gerade wie im Christentum, das Dogma der Prädestination (Vorherbestimmung)? — Soeben fiel vom Dache ein unflügger Sperling herab, ein Perserknäblein — Fareed -las ihn auf und durfte ihn nach Hause tragen, um ihn groß zu ziehen. Also z. B.: Ist dieser kleine Sperling nur mit Gottes Wollen vom Dach gefallen oder ist es ein Zufall?“
Der Meister (Er antwortet im feinsten Arabisch, das für die Anwesenden in Englisch übersetzt wird): „Mein Sohn, was heißt, was bedeutet Zufall?“
Niemand will oder kann antworten!
Der Meister: „Zufall heißt, bedeutet Sinnlosigkeit. Suchst du, mein Sohn, im Weltenbau, im persönlichen Dasein keinen Sinn, so wunderst du dich auch nicht über sinnloses Geschehen! Du reibst dich nicht wund an schweren Fragen. Die dir erscheinende Sinnlosigkeit im Naturgesetz, die inneren und äußeren Nöte des Geschöpfs, werden dich nicht beunruhigen, das Wort Zufall (der Begriff Sinnlosigkeit) hilft dir über die schwersten Fragen weg, indem es dieselben begräbt. — Ist aber Sinn hinter allem Geschehen, hinter Ursache und Wirkung, so muß, das lehrt uns die Logik, ein sinnvoller Urheber hinter allem stehen! Da hast du, mein Sohn, im Netz deiner Logik — die Gottheit gefangen! ‚Ich lasse dich nicht, du erleuchtest mich denn! Schlägt nun der Blitz, scheinbar, sinnlos, zerstörend in dein oder in deines Bruders Haus1) und willst du oder er in qualvoller Nacht fragen: ‚Wo ist der Sinn dieses furchtbaren Geschehens? Wo ist nun unser Gott?‘ — Dann schreie zu Ihm: Fürwahr Du bist ein verborgener Gott2); damit läßt du Gott dem Allmächtigen, dem Allweisen, dem Allgütigen — das letzte Wort; Ihm in allen Schrecken, in aller Not das letzte Wort lassen — das heißt glauben! Und ihr, meine Kinder, meine Freunde, wie rasch kann eine äußere oder innere Not, Leiden oder Sterben euch überfallen; fasset eure Seelen, heute in der Stunde des Glücks, des Friedens in den Ring der Glaubenskühnheit; wie der Diamant im Gold eingebettet liegt, so eure Seele in der ringförmig geschlossenen Glaubenskühnheit: Laßt nie den Ereignissen, den Dingen, den Schrecken das letzte Wort: ‚Das Allerschlimmste ist immer nur das Vorletzte, weil Gott das letzte Wort hat und das Letzte schlechthin ist.‘ — Ein Gott, der nicht das letzte Wort hätte, wäre das ein Gott?
Mein Sohn, hier, auf dem Berge aller Religionen3) grabe es in deine Hände,
tätowiere es in dein Herz: 1. Zufall ist Sinnlosigkeit. 2. Ich, das Geschöpf mit
Sinn und Geist, ich komme von der Quelle allen Sinnes, allen Geistes.
3. Ich kann, ich will, ich muß deshalb den Zufall, die Sinnlosigkeit in allem Geschehen
ablehnen. 4. Ich ergebe mich also auf Gnade und Ungnade, auf Leben und Sterben meinem
Schöpfer, dem Allsinnvollen, dem
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Allmächtigen und Allweisen. 5. Er tut mit mir, wie es Ihm gefällt. Er ist der
verborgene Gott, auf den ich mich werfe in aller Not, in aller Angst. Sein Wille läßt mich
nur so viel tragen, als Seine Güte es verordnet hat und verantworten kann. —
Die Gesegnete Vollkommenheit Bahá’u’lláh sagt dir darüber in den Verborgenen Worten (arabisch): "Irdische Trübsal ist Meine Vorsehung, Mein Wille, dein dir von Mir bestimmtes Schicksal. Ihrem äußeren Erscheinen und Auftreten nach ist sie Läuterung, Glut und Strafe, Prüfung und Sühne, in Wahrheit ist sie Licht und Gnade, Führung und Heimholung. Warum willst du den göttlichen Läuterungen, der dir verordneten Leitung entfliehen, als ob es Sinnlosigkeit (Zufall), Ziellosigkeit und Zwecklosigkeit wäre? Nähere dich der Trübsal, empfange das Leiden, umarme die Nöte, auf daß du als ewige Leuchte, als unsterblicher Geist einst triumphieren mögest. Dies ist Mein Gebot. Erfasse es, erfülle es!“
1) Der Meister wußte, daß der Blitz in das Haus des Bruders des
armenischen Fragestellers im November 1909 eingeschlagen hatte, dabei die Frau und
das einzige Kind getötet, er aber, der Hausherr, an beiden Beinen gelähmt und blind
geworden war.
2) Jeremias 45, 15.
3) Der Carmel ist den Juden, Christen, Moslem, Persen, Bahá’i gleich heilig.
Die Friedensfrage in der Bahá’i-Lehre[Bearbeiten]
Von Dr. E. Sch.
- Eintracht und Harmonie sind die Ursache der Ordnung in der Welt und des Lebens der Nationen.
- Bahá’u’lláh.
Das höchste Ziel der Religion ist die Verbundenheit des Menschen mit Gott. Der Weg zu
diesem Ziel wird durch das „Wort Gottes“ gewiesen, wie es von allen großen Religionsstiftern
verkündet wurde. „Die Sonne der Wahrheit ist das Wort Gottes, von dem die Erziehung der
Menschen im Reiche der Gedanken abhängig ist.“ So ist in der Bahá’i-Lehre wie in jeder
Religion ein großer Erziehungsplan hinsichtlich der Menschheit als Einheit im Reiche des Geistes
niedergelegt. Der Menschheit ist die uralte und ewigneue Aufgabe gestellt, ihren gesamten
Lebensbereich dem geoffenbarten Willen Gottes zu unterstellen.
Die unerläßliche Voraussetzung zur Höherentwicklung des Einzelnen und der ganzen Menschheit nach göttlichem Plane ist jener Friede, „der höher ist als alle Vernunft“. Von diesem göttlichen Frieden ist jeder politische und völkerrechtliche Frieden grundsätzlich zu unterscheiden. Wohl soll der über aller Vernunft stehende göttliche Frieden als Ergebnis der Verwirklichung des Willens Gottes im Menschheitsgeschehen urlebendige Wirklichkeit werden, was aber die Frage der Beurteilung bestimmter geschichtlich-politischer Situationen im Völkerleben noch nicht einhellig beantworten läßt. Kriege als Störungen des politischen und wirtschaftlichen Gleichgewichts zwischenstaatlicher Beziehungen sind bei geistig-religiöser Betrachtungsweise letztlich Krankheitserscheinungen des Völkerlebens und bedürfen einer genetischen und nicht symptomatischen Erklärung. Ein Krieg als offensichtliche Bedrohung und Beeinträchtigung der Existenz und Sicherheit eines Volkes durch ein anderes läßt Verteidigungsmaßnahmen, notfalls unter Einsetzung von Gewaltmitteln, durch das gefährdete Volk auch unter religiösen Gesichtspunkten als gerechtfertigt erscheinen. Der Schlüssel zum rechten Verstehen der Friedensfrage im religiösen Sinne liegt in dem hohen Gedanken der geistigen Einheit der Menschheit im Reiche Gottes. Die gesamte Menschheit muß sich gegen jeden Friedensstörer wenden, nachdem sie politisch und wirtschaftlich die Voraussetzungen für eine wahre Befriedung der Welt geschaffen hat. Diese können einzig und allein auf den Fundamenten der Gerechtigkeit im höchsten Sinne des Wortes geschaffen werden und lassen sich kurz mit den Worten Gleichberechtigung, wechselseitige Anerkennung des Lebensrechtes jedes Volkes und Achtung der Eigenart völkischer Lebensformen kennzeichnen.
Der Weg zu einer befriedeten, im Geiste geeinigten und völkisch mannigfaltigen Menschheit wird deshalb in der Bahá’i-Lehre wie folgt gewiesen:
Ein alle Staaten umfassender Bund in ihrer Eigenart entwickelter und unabhängiger Völker auf der Grundlage der Gleichberechtigung, ausgestattet mit völkerrechtlichen Vollmachten und Vollstreckungsgewalten gegenüber Friedensstörern, soll die übernationalen Interessen der Völker der Erde in völliger Unparteilichkeit und höchster Verantwortung wahrnehmen. Zwischenstaatliche Konflikte sind durch einen von allen Staaten beschickten Weltschiedsgerichtshof auf friedlichem Wege beizulegen.
Die inneren, geistigen Voraussetzungen eines derart angestrebten Weltfriedens liegen in der
Verlebendigung der religiösen Kräfte jedes einzelnen Menschen, weil jeder Frieden letztlich
eine Gesinnungs- und Charakterfrage ist.
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Gerechtigkeit und Vertrauenswürdigkeit als Ergebnis tiefer Religiosität verbürgen allein die
Echtheit und Aufrichtigkeit politischen Friedenswillens.
Abgesehen davon, daß der Krieg zwischen zivilisierten Völkern angesichts des heutigen wissenschaftlich-technischen, verkehrs- und weltwirtschaftlichen Entwicklungsstandes zum kulturfeindlichsten und unökonomischsten Mittel zur Austragung zwischenstaatlicher Konflikte wird, gewährleistet wahrer Frieden die größte Wohlfahrt der Nationen.
Der Krieg wird nur durch gegenseitige Achtung und Verständigung der Völker überwunden. Durch freiwillige Übereinkommen müssen die Fragen des Lebensraumes und der Lebensnotwendigkeiten aller Völker einer gerechten und vernunftgemäßen Lösung entgegengeführt werden.
In der Größenordnung aller Gemeinschaftsgebilde steht die Völkergemeinschaft als lebendiger Ausdruck organischer und geistiger Einheit der Menschheit in der Linie geschichtlicher Entwicklung.
Aussprüche von ‘Abdu‘-Bahá zu Miß St. 1910 in Haifa[Bearbeiten]
Ausgearbeitet für Frau Alice Schwarz-Stuttgart von Frau Dr. F. †
1. August 1910.
O meine Tochter, lebe das Leben einer Bahá’i und du wirst beständig mit großen Gedanken dich beschäftigen müssen; alles Kleinliche, Halbe hat kein Anrecht mehr an dich, deine Seele fühlt sich mehr und mehr befreit und erlöst von den Fesseln des Engen, des Kleinlichen, des Gemeinen und Nichtigen, es wachsen dir Adlerschwingen zum höchsten Gedankenflug: Näher mein Gott zu Dir, näher zu Dir!
2. August 1910.
Jede Krankheit fasse zuerst als Läuterung auf und bedenke, daß in jeder Krankheit der Segen der Einsamkeit liegt: Gott der Herr will dich für kurz oder lang nur für Sich allein haben. Würdige, genieße diesen Gottessegen und aus der Seeleneinsamkeit wird die seelige „Zweisamkeit“: Er, der Höchste — und du —, sage dann wie Jakob, der Erzvater, „ich lasse Dich nicht, Du segnest mich denn!“
3. August 1910.
Im Diesseits und Jenseits haben wir Bahá’i nur ein Ziel: für das Reich Gottes (Malekut-Allah) zu leben und zu wirken. Das unsterbliche, jenseitige Dasein ist nur eine Fortsetzung unseres hiesigen Lebens und Wirkens mit anderen Mitteln, in anderen Formen, in anderer Umwelt.
4. August 1910.
„Fürchte dich nicht, sorge dich nicht, hetze dich nicht ab für die Dinge dieser Welt! Folge stetig der Führung Gottes, Sein Reich als Ziel hier wie dort vor Augen tragend. Bei Ihm, in Ihm, durch Ihn bist du immer und überall geborgen!“
5. August 1910.
Sei nicht Sklave, sondern Herr deiner Stimmungen. Bist du aber so verärgert, so gedrückt, so wund, daß dein Geist selbst im Gebet nicht Erlösung und Ruhe findet, so gehe eilends hin und bereite einem Geringen, einem Bekümmerten, einem schuldigen oder unschuldig Leidenden — eine Freude! Opfere dich, deine Gabe, deine Zeit, deine Ruhe einem anderen, einem, dem mehr als dir auferlegt ist — und deine unglückliche Stimmung löst sich auf in gottselige, gottzufriedene Ergebung.
6. August 1910.
Die freudigste Genugtuung fühlt man nach Erfüllung und Vollendung von schweren, opfervollen Pflichten! Denn dann ruht man in Gottes Willen und Gnade aus.
7. August 1910.
Bahá’i-Mutter (zu einer anwesenden Araberin gesprochen), lehre deine Söhne den Segen des Gehorsams und die Seligkeit des Opfers — wisse, alsdann kannst du sie ruhig ihre Lebensstraße allein ziehen lassen!
8 August 1910.
Die Jugend will ein großes Betätigungsfeld vor sich sehen — heißt sie — die Bahá’i-Lehre über die ganze Erde tragen — und du wirst sie freudig bereit finden — falls du ihr ein leuchtendes Bahá’i-Vorbild gewesen bist und noch bist, denn die Jugend will Vorbildern nacheifern!
9. August 1910.
Haß und Unaufrichtigkeit können tödliche Seelengifte werden, erbarmende Liebe und feuriger Wahrheitsdrang stärken das eigene Seelenleben und heilen das Fremde, Kränkelnde.
10. August 1910.
Das schönste Pentagramm umfaßt: Liebe, Arbeit, Gebet, Friede und Freude. Jage täglich seiner Verwirklichung nach!
11. August 1910.
Gottes Führung will uns von der Willkür unserer Sinnlichkeit, von der tollen Eigenmächtigkeit unseres Willens, von der Last unseres kleingläubigen Sorgengeistes befreien und uns sicher in den Seilen Seiner allmächtigen Liebe und Gerechtigkeit gehen lassen, — 0, daß wir nicht widerstrebten.
13. August 1910.
Alle Dinge dieser Welt fallen in zwei Gruppen, entweder gehören sie zu den meßbaren, wägbaren, beweisbaren Sachen, oder aber zu den unermeßbaren, unerwägbaren, unbeweislichen. Du willst ein Beispiel, meine Tochter? Siehe, ich kann dir hier oder in London stets beweisen, abzählen, daß zweimal zwei gleich vier ist. Wie kann ich dir aber beweisen, daß du eine immaterielle Seele bist oder hast? Kann ich deine Seele messen, wägen, greifen, beweisen? Der Materialist oder Atheist läßt aber nur die erste Kategorie der Dinge als real oder wirklich, als „seiend“ gelten und mehr nicht, wie unlogisch, wie unkonsequent, wie einseitig und blind er urteilt. Sobald der Atheist zu dir kommt, als der große Versucher und Verneiner und frägt: „Beweise, zeige mir deine Seele“, so sage ihm kühn: „Beweise mir, daß ich keine Seele habe, zeige mir das, was in mir denkt, denn das Gehirn ist nur Werkzeug, wo ist das Lebende des Werkzeugs, wo kommt das Werkzeug her, wer erschafft es?“ — Er wird dir sagen: „Als ehrlicher Mensch, als redlicher Forscher muß ich eben antworten: ‚Das weiß niemand, das kann niemand wissen‘!“ Du aber, der Idealist, du sollst als ehrlicher Mensch, als redlicher Forscher auch nicht behaupten wollen: „Das Ich sei oder habe eine immaterielle Seele — denn du kannst es eben auch nicht beweisen oder zeigen, daher müssen beide, Atheist und Idealist, sagen: „Wir wissen nichts von der Seele, wir kennen keine Seele!“ Das ist die Sprache der Materialisten und Atheisten! Dann aber, meine Tochter, sollst du nicht verlegen verstummen, sondern du sollst ihm sagen: „O Atheist, es gibt kein Amerika, ich habe Amerika nicht gesehen, ich habe noch keinen Augenschein von Amerika genommen, ich kann den Reisenden und Büchern nicht glauben, ich will Amerika — hier von London aus, in London selbst sehen, greifen, zählen, messen, wägen, andere Beweise lasse ich nicht gelten!“ Was wird der Atheist dir antworten? Er wird sagen: „Komm mit mir nach Amerika, hier in London kann ich dir Amerika nicht handgreiflich, augenscheinlich vorführen, aber dort, an Ort und Stelle wirst da dich überzeugen lassen müssen und überzeugt werden und sein von dem Land Amerika.“ Und du wirst erwidern: „Gut so, Atheist, was dem einen recht ist, ist dem anderen billig — mein denkendes Ich ist meine Seele und die Heimat meiner Seele ist dort beim Ursprung und Quell aller Seelen — bei Gott. Laß uns sterben und dann will ich dich von der Seele, von der oberen Heimat, von Gott überzeugen. Die jenseitige Welt ist die Heimat meiner Seele, ist mein Amerika, an das du nicht glaubst und von dem du nichts wissen willst, weil ich es dir hier im Diesseits nicht vorführen kann. Reisen wir über das Totenmeer nach der jenseitigen Welt und ich führe sie dir vor, so wie du mir nach einer Meerreise dein jenseitiges Amerika augenscheinlich zeigen willst. — Du, Materialist, hast diese Welt, zeige sie, beweise, zähle, messe, wäge alles, ich, d. h. meine Seele hat die jenseitige noch obendrein und der Tag kommt früher oder später, der ewige oder jüngste Tag, wo ich dann dir, deiner Seele alles zeigen, beweisen, vorführen werde. Jetzt leben wir im Glauben, im Ahnen, im Fühlen, im zarten, zerbrechlichen Analogiebeweis (Vergleichsbeweis), im Reflex und Wiederschein des Ewigen, Unermeßlichen, Wesenlosen. — O Atheist, ich kann dir den Mond z. B. vom Firmament nicht herunterholen, zum Greifen und in der Nähe sehen, aber komm an das Wasser und siehe wenigstens den Wiederschein, das Abbild des Gestirns. Vieles ist jetzt nur zum „von Weitem ansehen“, von Ferne ahnen, der Tag des Nahe-Schauens — des Zugreifens, des Besitzes wird kommen und dann sprechen wir uns wieder.“
(Fortsetzung folgt.)
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Bahá’u’lláh
Verborgene Worte.. Worte der Weisheit und Gebete. Geschrieben während seiner Verbannung in Bagdad 1857/58 . . . kart. —.80
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Frohe Botschaften. Worte des Paradieses, Tablet Tarasat (Schmuck), Tablet Taschalliat (Lichtstrahlen), Tablet Ischrakat (Glanz). Mahnrufe und Anweisungen an die Völker der Erde . . gebunden 2.00
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Buch der Gewißheit oder Kitábu’l-Iqán. Eine Auseinandersetzung mit theologischen Fragen verschiedener Religionen, geschrieben in Bagdad um 1862. Ist fortsetzungsweise in den beiden Jahrgängen X und XI unserer Zeitschrift „Sonne der Wahrheit“ enthalten.
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'Abdu'l-Bahá Abbas
Ansprachen in Paris. ‘Abdu’l-Bahá spricht hier über zahlreiche Fragen, nach deren Klärung die Völker der Erde suchen.
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Beantwortete Fragen. Erklärungen zu christlichen und islamischen Fragen, Behandlung allgemeiner weltanschaulicher Probleme . . . . . . Ganzleinen 2.50
Sendschreiben an die Haager Friedenskonferenz 1919 . . . . . --.20
Sonstiges
Geschichte und Wahrheitsbeweise der Bahá’i-Religion, Einführung in die Gedankenwelt der Bahá’i-Lehre von einem orientalischen Gelehrten. Von Mirza Abul Fazl . . . . . gebunden 2.--
Bahá’u’lláh und das neue Zeitalter. ein Lehrbuch von Dr. J. E. Esslemont. Ganzleinen 2.50
'Abdu'l-Bahá Abbas’ Leben und Lehren, von Myron H. Phelps. . . . . .gebunden 2.--
Die Bahá’i-Offenbarung, ein Lehrbuch von Thornton Chase. . . . . . . kart. 2.--
Am Morgen einer neuen Zeit. Untersuchung der geistigen Ursachen der Weltkrise und Beleuchtung der letzthin einzigen Möglichkeit ihrer Überwindung durch die Bahá’i-Lehre. Von Dr. Hermann Großmann . . . . . kart. 1.80
Ganzleinen 2.50
Die Bahá’i-Weltanschauung. Eine kurze Einführung. Von Pauline Hartmann . . . . —.20
Das Hinscheiden 'Abdu'l-Bahás ("The Passing of 'Abdu'l-Bahá") . . . -.30
Sonne der Wahrheit. Bahá'i-Monatszeitschrift.
- Jahrgang III - IX gebunden je 3.--
- Jahrgang X - XII gebunden je 6.--