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SONNE DER WAHRHEIT | ||
ORGAN DER DEUTSCHEN BAHAI | ||
HEFT 9 | 13. JAHRGANG | NOV. 1933 |
Die Bahá’i-Lehre,[Bearbeiten]
die Lehre Bahá’u’lláhs erkennt in der Religion die höchste und reinste Quelle allen sittlichen Lebens.
Die Ausdrucksformen des religiösen Lebens des Einzelnen, ganzer Völker und Kulturkreise haben im Laufe der Geschichte entsprechend den jeweils anderen Verhältnissen und dem Wachstum des menschlichen Erkenntnisvermögens Wandlungen erfahren. Die äußeren Gesetze und Gebote aller Weltreligionen entsprachen immer den entwicklungsgeschichtlich gegebenen Erfordernissen in bezug auf den Einzelnen, die soziale Ordnung und das Verhältnis zwischen den Völkern. Alle Religionen beruhen aber auf einer gemeinsamen, geistigen Grundlage. „Diese Grundlage muß notwendigerweise die Wahrheit sein und kann nur eine Einheit, nicht eine Mehrheit bilden.“ ('Abdu'l-Bahá.) „Die Sonne der Wahrheit ist das Wort Gottes, von dem die Erziehung der Menschen im Reich der Gedanken abhängig ist.“ (Bahá’u’lláh.) Alle großen Religionsstifter waren Verkünder des Wortes Gottes entsprechend der Fassungskraft und Entwicklungsstufe der Menschen. Das Wesen der Religion liegt darin, im Bewußtwerden der Abhängigkeit des Menschen von der Wirklichkeit Gottes Seine Offenbarer anzuerkennen und nach Seinen durch sie übermittelten Geboten zu leben.
Die Bahá’i-Lehre bestätigt und vertieft den unverfälschten und unwandelbaren Sinn und Gehalt aller Religionen von neuem und zeigt darüber hinaus die kommende Weltordnung auf, welche die geistige Einheit der Menschheit zur Voraussetzung haben wird. Die in ihr zum Ausdruck kommende Weltanschauung steht mit den Errungenschaften der Wissenschaft ausdrücklich in Einklang.
Die Lehre Bahá’u’lláhs enthält geistige Grundsätze und Richtlinien für eine harmonische Gesellschafts-, Staats- und Wirtschaftsordnung. Sie beruhen auf dem Gedanken der natürlich gewachsenen, organischen Einheit jedes Volkes und der das Völkische übergreifenden geistigen Einheit der Menschheit. Den Interessen der Volksgemeinschaft sind die Sonderinteressen des Einzelnen unterzuordnen, denn nur die Gesamtwohlfahrt verbürgt auch das Wohl des Einzelnen.
Wie jede Religion, so wendet sich auch die Bahá’i-Lehre an die Herzensgesinnung des Menschen, um die religiösen Kräfte in den Dienst wahren Menschentums zu stellen. Sie erstrebt die Höherentwicklung der Menschheit mehr durch die Selbsterziehung des Einzelnen als durch äußerlich-organisatorische Maßnahmen. Der Bahá’i hat sich daher über seine ernst aufgefaßten staatsbürgerlichen Pflichten hinaus nicht in die Politik einzumischen, sondern sich zum Träger der Ordnung und des Friedens im menschlichen Gemeinschaftsleben zu erheben. Bahá’u’lláhs Worte sind: „Es ist euch zur Pflicht gemacht, euch allen gerechten Regenten ergeben zu zeigen und jedem gerechten König eure Treue zu beweisen. Dienet den Herrschern der Welt mit der höchsten Wahrhaftigkeit und Treue. Zeiget ihnen Gehorsam und seid ihre wohlwollenden Freunde. Mischt euch nicht ohne ihre Erlaubnis und Zulassung in politische Dinge ein, denn Untreue gegenüber dem Herrscher ist Untreue gegenüber Gott selbst.“
Bahá’u’lláh weist den Weg zu einer befriedeten, im Geiste geeinigten Menschheit. Ein alle Staaten umfassender Bund in ihrer Eigenart entwickelter und unabhängiger Völker auf der Grundlage der Gleichberechtigung, ausgestattet mit völkerrechtlichen Vollmachten und Vollstreckungsgewalten gegenüber Friedensstörern, soll die übernationalen Interessen aller Völker der Erde in völliger Unparteilichkeit und höchster Verantwortung wahrnehmen. Zwischenstaatliche Konflikte sind durch einen von allen Staaten beschickten Weltschiedsgerichtshof auf friedlichem Wege beizulegen.
Die geistige Wesensgleichheit aller Menschen und Völker erheischt einen organischen Aufbau der sozialen Weltordnung, in der jedem seine einzigartige, besondere Eingliederung und Aufgabe zugewiesen ist. Die geographischen, biologischen und geschichtlichen Gegebenheiten bedürfen im Gemeinschaftsleben der Völker immer einer besonderen Beachtung, ohne die sie umschließende Einheit im Reiche des Geistes aus den Augen zu verlieren.
Die Lehre Bahá’u’lláhs „ist in ihrem Ursprung göttlich, in ihren Zielen allumfassend, in ihrem Ausblick weit, in ihrer Methode wissenschaftlich, in ihren Grundsätzen menschendienend und von kraftvollem Einfluß auf die Herzen und Gemüter der Menschen“.
SONNE DER WAHRHEIT Organ der deutschen Bahá’i Verantwortliche Schriftleitung: Alice Schwarz-Solivo, Stuttgart, Alexanderstraße 3 Preis vierteljährlich 1.80 Goldmark, im Ausland 2.– Goldmark |
Heft 9 | Stuttgart, im November 1933 Qúdrat — Stärke 90 |
13. Jahrgang |
Inhalt: Göttliche Lebenskunst. — Sendschreiben Seiner Heiligkeit Bahá’u’lláh an Nasreddin, Schah von Persien (1848— 1896). — Sendschreiben Seiner Heiligkeit Bahá’u’lláh an Königin Victoria von England. — Aus dem Schatz der Erinnerungen an Abbas Effendi, ‘Abdu’l-Bahá.
O Freunde! Verlaßt die ewige Schönheit nicht um eines vergänglichen Reizes willen und hängt euer Herz nicht an die Welt des Staubes.
Verborgene Worte von Bahá’u’lláh.
(Aus dem Persischen.)
Göttliche Lebenskunst[Bearbeiten]
Aus den Schriften von ‘Abdu’l-Bahá (Fortsetzung)
Zusammengestellt von Mary M. Rabb (Neuyork, Brentanos Publishers)
Übersetzt von Johanna von Werthern-Stuttgart
4. Kapitel: Glaube, Loslösung, Opfer
Das größte Opfer ist, sich selbst ganz zu vergessen und alles zu opfern, wie es Christus tat.
Betrachte eine Kerze, wie sie ihr Licht gibt. Sie gibt ihr Leben dahin, Tropfen um Tropfen, um ihre Flamme leuchten zu lassen.
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Ich wünsche das Glück und Wohlergehen der Getreuen Gottes selbst in dieser Welt, aber sie dürfen nicht von der Welt eingenommen oder an sie gebunden sein. Äußerster Reichtum oder völlige Armut sollten für sie gleichbedeutend sein.
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Konzentriere deine Seele auf Gott, so, daß sie wie eine Quelle wird, die das Wasser des Lebens den Durstigen ausströmt. Lebe nach den Lehren des Opfers. Die Welt wird dir dann nichts bedeuten und wird keine Macht haben, dich von Gott abzuziehen. Opfere deinen Willen dem Willen Gottes. Das Königreich erreicht, wer sich selbst vergißt. Du wirst alles erreichen durch den Verzicht auf alles.
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Es gibt zweierlei Arten von Lebensopfer. Getötet zu werden um der Sache willen ist nicht so schwer, als für sie zu leben in völligem Gehorsam gegen den Willen Gottes. Und ohne diese Stufe zu erreichen, ist alle Anstrengung ohne wirklichen Erfolg. Wem an Liebe, an Mann, Weib oder Kindern mehr liegt als an der Sache Gottes, hat sie nicht erreicht.
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Es ist jedem von euch zur Pflicht gemacht, einen Beruf zu ergreifen, wie Kunst, Handel oder dergleichen. Wir haben diesen euren Beruf der Anbetung Gottes, des Einen Wahren, gleichgestellt. Beachtet, o Völker, die Gnade Gottes und seine Gunst, und danket Ihm am Morgen und am Abend.
Vergeudet nicht eure Zeit mit Müßiggang und Trägheit, sondern beschäftigt euch mit dem, was euch und anderen Nutzen bringt... Jedem, der sich mit Kunst oder Handel befaßt, wird dies als Tat der Verehrung vor Gott gezählt werden. (Worte von Bahá’u’lláh.)
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Die göttliche Führung ist das, was die Menschen immer auf den rechten Pfad führen wird.
Alle menschlichen Wesen sind irdisch, ihr Herz ist mit dieser Welt verbunden. Tag und Nacht
sind ihre Gedanken und Beschäftigungen irdisch; alles gehört dieser Welt an. Sie denken
an die Ehrungen dieser Welt oder an Güter und Reichtümer dieser Welt, oder an Ruhm
und Namen in dieser Welt. Ihre Tage und Nächte vergehen darüber. Die Führung Gottes
zeigt klar und deutlich, wann der Weg zum Königreich, der göttliche Pfad, frei ist, und
welches der wahre Weg zum Königreich ist.
Es genügt nicht, den Weg zum Königreich zu erkennen, den himmlischen Pfad nur zu entdecken: du mußt auf ihm wandeln, bis du sein Ende erreichst. Wenn zum Beispiel ein Mann den Weg nach Amerika kennt, so genügt dies noch nicht. Er muß auf ihm reisen, um das Land zu erreichen. Wenn er jahrelang immer mehr erforscht über den Weg und ihn doch nicht bereist, wird er niemals ans Ziel kommen. Es genügt nicht für ein Kind, zu wissen, wo die Schule ist, es muß in ihr lernen, um Kenntnisse zu erwerben. Glaube bedeutet nicht nur, zu wissen, wo die Schule ist, und den Lehrer anzuerkennen, man muß Kenntnisse in dieser Schule erwerben. Wenn man keine Kenntnisse erwerben will, ist es nutzlos zu wissen, wo die Schule ist.
Darum sagte Christus: „An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen.“ Wenn ihr einen Menschen findet, der wahrhaftig ist, der wirklich glaubt und gerecht ist, der zum Königreiche strebt, und dessen Willen ausgelöscht ist auf dem Pfade zu Gott, dann wisset, daß er ein Baum des Königreiches ist, sofern er alle diese Eigenschaften wirklich besitzt. Wenn ihr aber einen Menschen seht, dessen Herz an diese Welt gebunden ist, in dem keine Wahrhaftigkeit oder Loslösung oder kein Streben zu Gott ist, einen, der Gott nicht preist oder nicht von Ihm spricht, so könnt ihr erkennen, daß er ein Baum der Finsternis ist. Denn wahrer Glaube besteht nicht nur im Erkennen der Einheit Gottes: unter Glaube verstehen wir, daß die Wirklichkeit eines Menschen sich durch göttliche Eigenschaft kennzeichnet. Wenn seine Wirklichkeit dunkel ist, wird er durch den Glauben erleuchtet, wenn er achtlos ist, wird er zum Bewußtsein kommen, wenn er schläft, wird er erwachen, wenn er irdisch gesinnt ist, wird er himmlisch werden, ist er teuflisch, wird er göttlich. Solches bedeutet wahrer Glaube.
Darum sage ich, daß der Mensch auf dem Wege zu Gott wandeln muß. Tag für Tag muß er sich bemühen, besser zu werden, sein Glaube muß wachsen und fester werden, seine guten Eigenschaften und sein Streben zu Gott müssen größer werden, die Flamme seiner Liebe muß heller brennen. Dann wird er Tag für Tag Fortschritte machen; aber wenn er stillsteht, geht es rückwärts mit ihm. Wenn der Vogel fliegt, schwingt er sich höher und höher. Aber sobald er aufhört zu fliegen, gleitet er abwärts. Jeden Tag, wenn du aufstehst, solltest du gestern mit heute vergleichen und prüfen, in welchem Zustand du bist. Wenn du erkennst, daß dein Glaube stärker und dein Herz mehr von Gott erfüllt ist, daß deine Liebe größer wurde und du freier bist von der Welt, dann danke Gott und bete um Verstärkung dieser Eigenschaften. Beginne den Tag mit Gebet und Reue über alles, was du schlecht gemacht hast, und bete und flehe um Hilfe und Beistand, damit du besser als am Vortage werden und immerwährend Fortschritte machen mögest.
Lasse nicht selbstische Wünsche in dir aufkommen, denn sicherlich, auch wenn du die höchste Stufe der Geistigkeit erreichst, kann ein niedrig-weltlicher Wunsch deinen Absturz verursachen. Der Geist ist wie ein Vogel; wenn er in der Luft fliegt, schwebt er höher und höher. Aber das Selbst ist wie ein Jäger, der den Vogel zu erlegen sucht. Ebenso, wie der Jäger auf den in der Luft schwebenden Vogel zielt und ihn zu Fall bringt, tun es die menschlichen Wünsche mit der Seele. Du wirst sehen, daß sie mit einem Pfeil, mit einem Schuß herabgezogen werden kann. Solche Pfeile sind die Verbindung mit dieser Welt, die Beschäftigung mit dieser Welt, die Wünsche dieser Welt, die Ehrungen dieser Welt.
In mancher Beziehung wird der Geist am Aufstieg behindert. Darum mußt du bitten und beten und flehen: „O Gott, schütze mich vor mir selbst!“
Keine Brüderschaft erweist sich in der Welt so fest, als diejenige geistiger Art. Nur diese Brüderschaft ist beständig und ewig, denn sie ist geistige Brüderschaft durch den Atem des Heiligen Geistes. Sie ist unauflöslich, sie wird immer unverletzt sein und in allen Welten Gottes wird sie bestehen. Diese Bruderschaft wurde nicht auf Gedanken und Überlegungen gegründet, sondern ging aus der Liebe Gottes hervor. Sie wurde nicht zur Erlangung geistiger oder materieller Vorteile begründet. Diese geistige Bruderschaft hat kein anderes Ziel, als der Schwelle Gottes nahe zu kommen. Sie besteht nicht zu Verteidigungszwecken, sondern zur Erleuchtung des menschlichen Herzens.
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Materielle Freundschaft ist nicht von Dauer; denn jede Art von Liebe, welche nicht rein um
Gottes Willen besteht, endet in Haß. Gutes Einvernehmen, welches nicht um Gottes Willen [Seite 91]
besteht, wandelt sich in Feindschaft. Aber die göttlichen Freunde sind die Getreuen; sie sind
Tröster dem Herzen und Friede dem Geiste. Sie sind verkörperter Geist, Mensch gewordene
Liebe, Aufrichtigkeit in Menschengestalt, getreue Freunde und unerschütterlich Liebende.
Darum sind sie die Ursache des Glückes für Herz und Seele.
Nun müssen die Getreuen Gottes in Übereinstimmung mit diesen göttlichen Lehren leben. Sie müssen gütige Väter werden für die Kinder der ganzen Menschheit, liebevolle Brüder für die Jünglinge und opferbereite Kinder für die Alten. Dies ist das Ziel: sie müssen im Zustand größter Freude und geistiger Gehobenheit leben, in Liebe und Güte gegen alle, selbst gegen die Feinde. Begegnet Verfolgungen und Widerständen mit größter Festigkeit. Wenn immer sich Widerstand zeigt, so handelt mit Langmut! Laßt eure Brust die Zielscheibe sein für die Speere der Gegner. Bietet der Lächerlichkeit, dem Tadel und Vorwurf Trotz durch vollkommene Liebe, damit die Völker die Macht des Größten Namens erfahren, und alle Menschen die Wirksamkeit der Gesegneten Vollkommenheit gewahr werden, indem ihr zeiget, wie Er die Grundlage der Fremdheit zerstört, die Einwohner der Welt zum Reiche der Einheit und Liebe führt, die Menschheit erleuchtet und diese Erdkugel zu einem Paradiese umwandelt. Die Völker sind wie Kinder, nachlässig und unbedacht. Man muß diese Kinder mit der größten Liebe erziehen und mit äußerster Sorgfalt in die Arme der Gnade führen, damit sie die geistige Liebe des Einen Gnadenvollen verspüren, damit sie wie Lichter scheinen und die Dunkelheit in der Welt verscheuchen. So mögen sie klar und deutlich schauen, mit welch herrlicher Krone und mit welch strahlendem Diadem der Größte Name, die Gesegnete Vollkommenheit — möge mein Leben ein Opfer für Ihn sein! — die Häupter Seiner Getreuen geschmückt hat, welche Gnaden Er über die Herzen Seiner Freunde ausgeschüttet hat, welche Liebe Er in die Welt der Menschheit gebracht und welche Freundschaft Er unter den Menschenkindern erweckt hat.
(Fortsetzung folgt.)
Sendschreiben Seiner Heiligkeit Bahá’u’lláh an Nasreddin, Schah von Persien (1848-1896)[Bearbeiten]
(Schluß)
Wenn man jene betrachtet, die unter dem Marmor in Gesellschaft des Staubes liegen, kann man die Knochen des Skeletts eines Königs von den Gliedmaßen eines Sklaven unterscheiden? Nein, beim König der Könige! Oder erkennt man wohl einen Gouverneur vor einem Hirten, den Mächtigen und Reichen vor dem, der weder Schuhzeug noch Teppiche besaß? Bei Gott! die Unterscheidung ist unmöglich, außer für den, den Gott bestimmt hat: und Er entscheidet gerecht! Wo sind die Religionsgelehrten, die Wissenschaftler, die Vornehmen? Wo ist die Milde ihres Blicks, die Tiefe ihres Schauens, die Schärfe ihres Denkens, die Genauigkeit ihres Verstandes? Wo sind ihre verborgenen Schätze, ihre Aufsehen erregenden Liebhabereien, ihre juwelengeschmückten Sessel und ihre breiten Lagerstätten? Ach, all das hat ausgedient, und Gottes Anordnungen haben es in Staub zurückgeführt! Leer sind ihre Truhen, zerstreut ihre Schätze: sie sind in einem Zustande, da man nur noch ihre leeren Plätze, ihre geborstenen Dächer, ihre entwurzelten Stümpfe, ihre gealterte Frische wahrnimmt!
Wahrlich, der Weise wird durch die Reichtümer nicht davon abgelenkt, an das Ende zu
denken, und der kluge Mensch durch den Besitz nicht zurückgehalten, sich dem (großen)
Reichen, dem Gepriesenen zuzuwenden! Wo ist jener, der über alle Gegenden, wo die Sonne
aufging, regierte, der ausgab, ohne zu rechnen, und der nach den Seltenheiten der Erde forschte?
Wo ist der Herr der schwarzen Schar und der gelben Standarte? Wo ist er, der Zaora regierte,
und jener, der Damaskus tyrannisierte? Wo sind jene, deren Güte die Schatzkammern erschreckte
und deren unermüdliche Freigebigkeit den (großen) Ozean in Entsetzen geraten ließ?
Wo ist jener, der die Arme zum Aufruhr erhob und dessen Herz sich vom Barmherzigen
abwandte? Wo ist der, der sich der Ausschweifung hingab und die Früchte des Wohllebens pflückte?
Wo sind die Fürsten der Ehre und die Besitzer von Schönheit? Wo sind ihre rauschenden Äste,
ihre weitausladenden Zweige, ihre hehren Paläste, ihre umfriedigten Gärten? Wo ist die
Feinheit ihrer Erden, die Zartheit ihrer Lüftchen, das Rieseln ihrer Gewässer, das Säuseln
ihrer Winde, das Gurren ihrer Tauben und das Rauschen ihrer Bäume? Wo sind ihre fröhlichen
Herzen und ihre lächelnden Münder? Wehe ihnen! In den Abgrund sind sie gestiegen und
sind die Gefährten des Gerölles geworden! Heute hört man nicht mehr von ihnen reden und
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weiß nichts mehr von ihnen. Was die Menschen auch behaupten und leugnen mögen: sie
bezeugen und wissen viel. Ich weiß nicht, in welchem Tal sie blindlings umherirren: sehen sie
nicht, daß sie fortgehen, um nicht mehr zurückzukehren? Wie lange werden sie weggehen, bis
sie zurückkommen, werden sie abwärtsgehen, bis sie wieder emporsteigen? Ist nicht die Zeit
gekommen für die Gläubigen, ihr Herz für die Anrufung Gottes zu demütigen? Gesegnet ist
der, der gesprochen hat oder sprechen wird: „Ja, Herr, die Zeit ist reif und ist gekommen!“,
und der sich von allem, was da ist, trennen wird, um sich dem Könige des Alls und dem Herrn
des Daseins zuzuwenden! Ach, man erntet nur das, was man gesät hat, und man greift nur
das, was mit der Hand erreichbar ist, und dies nur vermöge der Gnade und der Gunst Alláhs!
Hat die Erde einen einzigen Menschen hervorgebracht, den die Schleier des Ruhmes nicht daran gehindert haben, zum Königreiche seines Herrn, des Mächtigen, des Allerhöchsten, emporzusteigen? Können unsere guten Taten unsere schlechten vertreiben oder uns dem Herrn der Ursachen näher bringen? Wir bitten Gott, mit uns nach Seiner Gnade und nicht nach Seiner Gerechtigkeit zu verfahren, und uns zu solchen zu machen, die Ihm zugewandt und von allem anderen außer Ihm losgelöst sind!
O König! auf dem Pfade Gottes habe ich durchgekostet, was noch kein Auge gesehen und kein Ohr gehört hat. Die Freunde haben mich verleugnet; für mich sind die Wege versperrt, der Brunnen der Sicherheit ausgetrocknet, die Ebene der Erholung ausgedörrt! Wie viele Trübsale sind gekommen und wie viele werden noch kommen? Ich schreite dem Mächtigen, dem Gütigen entgegen, während hinter mir her die Schlange gleitet! Meine Augen vergießen Tränen, bis mein Bett durchnäßt ist; aber meine Betrübnis gilt nicht mir. Bei Gott! mein Haupt harret der Speere um der Liebe seines Herrn willen, und ich gehe nie an einem Baume vorüber, ohne daß mein Herz zu ihm spricht: „Oh, wenn du doch für mich gefällt werden könntest und mein Körper auf dem Wege meines Herrn an dir gekreuzigt würde!“ Ja! denn ich sehe die Menschheit irregehen in ihrem Rausche, — und sie weiß es nicht! Die Menschen haben ihre Leidenschaften erhöht und ihren Gott erniedrigt, als ob sie das Gebot Gottes für Unsinn, Spielerei und Zeitvertreib hielten! Und sie glauben, daß sie Recht haben und in der Feste der Sorgenfreiheit verschanzt seien! Groß ist ihr Irrtum: morgen werden sie erkennen, was sie nicht wahr haben wollen!
Die Herren des Befehls und der Macht1) stehen im Begriff, uns aus diesem Lande mit Namen Adrianopel nach der Stadt Akka zu verschicken. Und nach dem, was sie sagen, ist dies ja wohl die trostloseste Stadt der Welt, mit dem widerlichsten Aussehen, dem abscheulichsten Klima und dem verpestetsten Wasser. Man könnte glauben, es sei die Hauptstadt der Eulen, denn man hört in jenen Gegenden als einzigen Laut ihr Geschrei. Und hier wollen sie uns einkerkern, vor unseren Augen die Tore der Milde schließen und uns für die Tage, die uns noch zum Leben verbleiben, die schönen Dinge des Lebens entziehen!
Bei Gott! selbst wenn Erschöpfung mich verzehren und Hunger mich zugrunde richten, wenn harter Stein mein Lager und Wüstentiere meine Gefährten sein sollten, würde ich nicht zurückweichen; vielmehr werde ich die Geduld derer aufbringen, die beherzt sind und entschlossen dank der Kraft Gottes, des Königs von Ehedem, des Schöpfers der Nationen, und werde in allen Lagen dankbar sein gegen Gott! Und wir erhoffen von Seiner Gnade (Er sei gepriesen!), daß diese Kerkerhaft dazu diene, die Menschen von den Ketten und Banden zu befreien, und sie die Aufrichtigen zu Ihm, dem Mächtigen, dem Gütigen führe. Wahrlich, Er antwortet dem, der zu Ihm betet, und Er ist dem nahe, der Ihn ruft. Und wir bitten Ihn, diese finstere Not zu einem Schilde für den Tempel Seiner Sache zu machen, der ihn vor den scharfen Schwertern und den spitzen Klingen schützen wird! Ewiglich hat das Leid Sein Licht hell erstrahlen lassen und Seinen Lobpreis erhöht: also lag es in Seiner Ordnung in den alten Zeiten und den verflossenen Zyklen!
Die Menschen werden das, was sie heute nicht verstehen können, dann erkennen, wenn ihre
Reittiere stolpern, ihre Betten krummgebogen, ihre Schwerter schartig und ihre Füße ausgleiten
werden! Ich weiß nicht, wie lange sie noch das Roß ihrer Leidenschaften reiten und in den
Wüsten der Nachlässigkeit und des Irrtums umherreisen werden. Wird der Ruhm dem Hoffärtigen
verbleiben, oder die Erniedrigung dem Demütigen? Wird er ewig sein, er, der hochmütig
auf seinen Polstern verweilte und die äußerste Grenze des Glanzes erreicht hatte?
Nein, bei meinem Herrn, dem Barmherzigen! Alles auf Erden ist vergänglich, und allein das
Antlitz meines Herrn, des Mächtigen, des Wohlwollenden, wird Bestand haben! Welchen Schild
hat der Pfeil des Unterganges nicht durchbohrt? Welchen Flügel hat die Hand des Schicksals
nicht entfiedert? Welche Feste hat je den Boten
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des Todes gehalten, wenn er kam? Welcher Thron ist nicht zerbrochen oder welcher Palast
nicht verlassen worden? Wüßten die Menschen, welch reinen Wein die Gnade ihres Herrn, des
Mächtigen, des Weisen, birgt, wahrlich, sie würden den Widerspruch aufgeben und sich mir
anschließen: heute aber haben sie mich wieder mit der Decke der Tyrannei zugedeckt, die von
der Hand des Zweifels und der Einbildung gewoben ist! Bald wird die „Weiße Hand“2)
strahlend in der dunklen Nacht erscheinen, und Gott wird in Seiner Stadt das Tor öffnen,
das verschlossen ist! Alsdann werden die Menschen in Massen eintreten und das sagen, was das
Weib auf die Vorwürfe hin antwortete3), auf daß am Ende offenbar werde,
was am Anfang sich offenbarte!
Warten sie noch, wenn ihr Fuß im Steigbügel ist? Glauben sie, daß sie zurückkommen, wenn sie weggehen? Nein, beim Herrn der Herren, außer am Tage der Auferstehung! Dann werden sich die Menschen aus ihren Gräbern erheben und nach ihren Reichtümern gefragt werden. Glücklich, wen die Last nicht beugt an jenem Tage, da die Gebirge sich fortbewegen und alle zum Verhör in Gegenwart Gottes, des Gepriesenen, erscheinen werden! Wahrlich, Sein Strafen ist streng!
Wir bitten Gott, das Herz gewisser Religionsgelehrter von der Rachsucht und dem Hasse zu reinigen, damit sie die Dinge nicht mit verschleierten Augen ansehen, und sie auf eine Stufe zu erheben, wo die Welt und die Macht sie nicht abhalten werden, zum Allerhöchsten Horizonte hinzublicken, und wo nicht täglicher Verdienst und irdische Reichtümer sie davon ablenken, an den Tag zu denken, da die Gebirge wie Teppiche ausgebreitet sein werden! Trotz ihrer Freude über das Ungemach, das uns widerfahren ist, wird ein Tag kommen, da sie weinen und seufzen werden. Bei meinem Herrn! Hätte ich zu wählen zwischen dem Ruhm und dem Reichtum, dem Besitz und den Ehren, dem Wohlstand und Überfluß, in denen sie leben, und der Not und Trübsal, in der ich bin, dann wählte ich bestimmt das, was heute mein Teil ist, und würde nicht ein Atom dieser Leiden gegen alles vertauschen, was in der Welt erschaffen ward!
Wäre es nicht um der Prüfungen auf dem Wege Gottes willen, mein Dasein hätte für mich keinen Reiz, und mein Leben wäre mir zu nichts nütze. Wer ein scharfes Auge hat und den Allerhöchsten Anblick genießt, weiß wohl, daß ich fast mein ganzes Leben lang gleich einem Sklaven unter einem Schwerte saß, das von einem einzigen Haar gehalten war, ohne zu wissen, wann es auf mich niederfallen würde, gleich oder erst später. Und immer habe ich Gott, dem Herrn der Welten, Dank gesagt und Ihn in allen Lagen gepriesen: wahrlich, Er ist aller Dinge Zeuge!
Wir bitten Gott, Seinen Schatten4) auszubreiten, damit die nach der Einheit Strebenden sich dorthin wenden, und die Aufrichtigen daselbst Schutz suchen können; daß Er (ferner) auf Seinen Diener die Blumen aus dem Garten Seiner Gnade und die Sterne vom Horizonte Seiner Gunstbezeugungen ausstreue, ihm in dem beistehe, was Er liebt und gutheißt, ihm bei dem behilflich sei, was ihn der Morgenröte Seines Größten Namens näher bringen wird, auf daß er seine Augen vor dem Bösen verschließe und auf seine Untertanen mit dem Auge der Gunst blicke, indem er ihnen jegliche Gewalt erspart. Und wir bitten Ihn (Er sei gepriesen!), alle Menschen im Hafen des mächtigsten Ozeans zu vereinen, von dem jeder Tropfen ausruft: „Wahrlich, Er ist der Spender der frohen Botschaften für die Welt, der Beleber der Welten und der Lobpreis Gottes, des Königs des Tages des Gerichts!“
Und wir bitten Ihn (Er sei gepriesen!), aus dir die Hilfe für Seine Sache und den Wächter Seiner Gerechtigkeit zu machen, auf daß du deine Untertanen regierest, als ob sie zu deiner Familie gehörten, und du für sie das wählest, was du für dich wählen würdest. Wahrlich, Er ist der Mächtige, der Gepriesene, der Beschützer, der Ewige!
1) Die Regierung.
2) Koran VII, 105.
3) Koran XII, 31, 32.
4) Bezieht sich auf den Schah.
Sendschreiben Seiner Heiligkeit Bahá’u’lláh an Königin Victoria von England*)[Bearbeiten]
*) Ins Deutsche übertragen aus der französischen Übersetzung des Dr. Hippolyte Dreyfus, l’œuvre de Bahá’ou’lláh, Tome deuxième, Edition Ernest Leroux, Paris, 1924.
O Königin in London, höre auf die Verkündigung deines Herrn, des Königs der Welt, die
vom göttlichen Baume kommt: „Wahrlich, es gibt keinen anderen Gott als Mich, den Mächtigen,
den Weisen!“ Laß ab von dem, was auf der Erde ist, dann schmücke das Haupt der Regierung mit
der Krone der Verkündigung deines glorreichen
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Herrn. Wahrlich, Er ist in Seiner höchsten Herrlichkeit in die Welt gekommen, und was im
Evangelium verkündet wurde, das ist erfüllt.
Der Boden Syriens ist geehrt durch die Schritte seines Herrn, des Königs der Geschöpfe, und die Wirkung des Weines der Begegnung hat die Regionen des Südens wie die des Nordens ergriffen. Gesegnet, wer den Wohlgeruch des Barmherzigen wahrgenommen hat und dem Aufgangsort der Schönheit an diesem strahlenden Morgen entgegengeeilt ist! Die Moschee Al Aqsa1) schwankt unter den Winden ihres Herrn Abhá und ebenso Batha2) bei der Verkündigung Alláhs, des Erhabenen, des Allerhöchsten; und jeder ihrer Steine lobt den Herrn in diesem erhabenen Namen. Entsage deinen Leidenschaften und eile mit deinem Herzen zu deinem Gebieter, dem Ewigen. Wir ermahnen dich in der Liebe Gottes und wünschen die Erhöhung deines Namens durch die Verkündigung deines Herrn, des Schöpfers der Erde und des Himmels: Er ist Zeuge dessen, was Ich sage.
Wir haben erfahren, daß du den Handel mit Sklaven, Männern wie Frauen, verboten hast: das entspricht sehr wohl dem, was Alláh in dieser wunderbaren Offenbarung befohlen hat. Wahrlich, Er hat dir darob eine Belohnung verzeichnet, denn Er ist Jener, Der den guten Taten ihren verdienten Lohn zuteil werden läßt, — so du dem gehorchst, was von einem Wissenden, Wohlunterrichteten befohlen ward. Und wer dem Hochmut verfällt und sich von Gott abwendet, nachdem er Aufklärung erhalten hat von Dem, Der die Verse offenbart, dessen Werk wird Gott zunichte machen; denn Er ist der Allmächtige. Die Taten dessen, der sich Gott nähert, werden angenommen; jener aber, der sich entfernt, ist das blindeste der Geschöpfe. Also ward es verordnet vonseiten des Starken, des Mächtigen.
Ferner haben Wir erfahren, daß du die Zügel der Beratung den Händen des Parlaments anvertraut hast. Du hast gut gehandelt; denn auf diese Weise werden die Fundamente des Staatsgebäudes befestigt, und die in deinem Schatten leben, fühlen sich sicher. Aber es ist notwendig, daß die Mitglieder des Parlaments gleichsam Beauftragte sind unter den Menschen und daß sie sich als die Vertreter aller betrachten. Das ist es, was in dem Tablet anbefohlen wird vonseiten des Verständigen, des Weisen. Und wenn eines der Mitglieder sich zur Versammlung begibt, wende es sich dem allerhöchstem Horizonte zu und spreche: „O mein Gott, ich bitte Dich bei Deinem Namen Abhá, mir zu helfen, die Angelegenheiten Deiner Diener gut zu ordnen und Deine Lande glücklich zu machen, denn Du bist der Allmächtige.“ Gesegnet ist der, der in der Liebe Gottes in die Versammlung tritt und in lauterer Gerechtigkeit unter den Menschen seine Meinung kundgibt: wahrlich, er zählt zu jenen, die zum Ziel gelangt sind.
O Mitglieder der Versammlungen Britanniens und der anderen Länder! sinnet nach und beratet über das, was die Welt in ihrem Zustand befrieden wird, — so ihr Verlangen nach Ehre tragt. Die Welt gleicht dem Körper des Menschen: sie ward gesund und vollkommen erschaffen, aber aus verschiedenen Gründen haben Krankheiten sie befallen. Sie vermag nicht in einem Tage zu genesen; im Gegenteil, die Krankheiten werden zunehmen, denn sie steht unter dem Einfluß schlechter Ärzte, die das Roß der Leidenschaften reiten und nachlässig sind. Nur wenn das kranke Glied unter dem Einfluß eines geschickten Arztes gleich zur Heilung kommt, dann bleiben die anderen Glieder gesund. Also verkündet euch der Wissende, der Wohlunterrichtete. Heute sehen Wir die Welt in den Händen jener, die vom Weine des Hochmuts in einem Maße betrunken sind, daß sie sogar nicht mehr wissen, was ihnen selbst geziemt; um so weniger erkennen sie diese wichtige und bedeutende Sache. Und wenn einer von ihnen sich bemüht, die Gesundheit der Welt wiederherzustellen, so geschieht es im Hinblick auf persönlichen Vorteil, sei es seinem Namen oder seiner Stellung zuliebe; deshalb vermag er die Welt nicht oder nur in kleinstem Ausmaße zu heilen.
Zum besten Heilmittel aber und zur letztlichen Ursache für die Gesundheit der Welt hat Gott
die Vereinigung all derer gemacht, die in einer einzigen Sache, in einer einzigen Religion auf
Erden sind. Und das kann nur durch einen geschickten, vollkommenen und bestätigten Arzt
erreicht werden. Bei Mir selbst! dies ist die Wahrheit, außerhalb welcher es nur offensichtlichen
Irrtum gibt. Und jedesmal, wenn diese allerhöchste Sache auftrat und dieses Licht vom
ewigen Osten erstrahlte, haben die angeblichen Ärzte sie aufgehalten und zwischen ihnen3)
und der Welt die Wolken aufgehäuft: dies ist der Grund, weshalb die Krankheit nicht aufhörte
und bis heute anhält. Auf der einen Seite können sie diesen Körper weder beschützen noch
heilen, und auf der anderen Seite wird Der, Der auf Erden die Offenbarung der Macht ist,
durch die Arbeit der angeblichen Ärzte daran gehindert, zu tun, was Er will.
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Beachte jene Tage, da die ewige Schönheit mit dem Größten Namen erschien zur Belebung und Einigung der Welt: die Menschen haben scharfe Schwerter gegen Sie geschwungen und Dinge begangen, über die der heilige Geist wehklagt. Schließlich haben sie Sie im schlimmsten Erdstrich gefangen gesetzt und das Festhalten an Ihrem Gewande den Gläubigen verwehrt. Sagt man den Menschen, daß der Friedensstifter der Welt gekommen ist, dann antworten sie, er sei ein Rebell. Gleichwohl können sie, wenn sie auch keinen vertrauten Verkehr mit Ihm hatten, die Feststellung machen, daß Er nie auf Seine eigene Sicherheit bedacht war. Jeden Augenblick Seines Lebens war Er in den Händen der Unterdrücker, bald im Gefängnis, bald in der Verbannung, bald auf aufgenötigter Reise durch die Lande. Dazu hat man Uns gezwungen, und Gott weiß, daß Ich die Wahrheit sage. In den Augen Gottes sind jene Wesen die törichtesten: sie hauen sich den Arm ab und merken es nicht, sie berauben sich eines Gutes, ohne es zu begreifen; sie sind wie Kinder und vermögen den Schürer von Unruhen vom Friedensstifter, das Böse vom Guten nicht zu unterscheiden. Wir sehen sie unter dichten Schleiern.
O Fürstenversammlung, was für ein Grund lag vor, das Antlitz der Sonne zu verhüllen und sie am Strahlen zu hindern? Höret auf die Warnungen der Allerhöchsten Feder, damit ihr vielleicht — zuerst ihr, dann die Armen und die Elenden — frei werdet. Wir bitten Gott, den Königen den Frieden zu gewähren, denn Er ist Der, Der bestimmt, was Er will.
O Versammlung der Könige, Wir sehen euch von Jahr zu Jahr eure Ausgaben vergrößern und ihre Last euren Untertanen aufbürden: dies ist eine große Ungerechtigkeit. Fürchtet euch vor dem Klagen des Unterdrückten und vor seinen Tränen, gebt ihm keine Bürde, die er nicht tragen kann, richtet ihn nicht zugrunde, um eure Paläste bauen zu können, und wählt für ihn das, was ihr für euch selbst wählet. Also geben wir euch zu erkennen, was euch von Nutzen sein wird, — so ihr zu denen zählt, die wissend sind. Wahrlich, eure Untertanen sind euer Schatz: befehlt ihnen nicht, was Gott nicht befiehlt, und liefert sie nicht in die Hände der Diebe. Durch sie steht ihr am Ruder, durch sie habt ihr zu essen, durch sie regiert ihr; — und ihr behandelt sie mit Verachtung: ist das nicht sonderbar? Da ihr den Höchsten Frieden verworfen habt, so haltet euch wenigstens an diesen Frieden im Kleinen, durch den ihr im Ausmaß des Möglichen eure Angelegenheiten sicherstellen werdet und die Angelegenheiten derer, die euch folgen, o ihr, die ihr befehlt! Verständigt euch untereinander, dann werdet ihr nicht mehr nötig haben, eure Heere und Rüstungen zu verstärken, es sei denn zur Aufrechterhaltung der Ordnung in euren Reichen und Provinzen. Hütet euch, diesen Rat, der vom Wissenden, vom unbedingt Zuverlässigen kommt, zu vernachlässigen.
(Schluß folgt.)
1) In Jerusalem.
2) In Mekka.
3) Bezieht sich auf die allerhöchste Sache und das Licht vom ewigen Osten.
Aus dem Schatz der Erinnerungen an Abbas Effendi, 'Abdu'l-Bahá. 1906 - 1911[Bearbeiten]
23. Brief von Frau Dr. J. F. † an Frau A. Schwarz, Stuttgart
Über den Sinn des Läuterungsleidens
Ort: Empfangsraum im Hause des Meisters Abbas Effendi ‘Abdu’l-Bahá. Persische Kolonie. Haifa in Palästina.
Zeit: Anfang Februar 1910.
Personen: Abbas Effendi ‘Abdu’l-Bahá, Miß St, ein Amerikaner (Bahá’i-Anfänger), zwei Perser, ein Dragoman für Persisch und Englisch und Frau Dr. F.
Der Amerikaner: Dieser hatte das Aussätzigen-Asyl Jerusalem vor einigen Tagen besichtigt und war erschüttert von der Leidensgeschichte der Insassen.
Dessen Frage: „Meister, was sagt die Bahá’i-Lehre auf die schwere Frage nach dem Sinn des menschlichen Leidens? Sollte es Gott, dem Allmächtigen, nicht möglich gewesen sein, die Welt frei von Leiden zu schaffen? Sehen wir die Irrationalität (Unzweckmäßigkeit oder Unvernunft) des Leidens an, so möchte man dem allweisen Herrn und Schöpfer des Weltalls zurufen: ‚Wenn Du das Leid von der Menschheit hättest fernhalten können, gemäß Deiner Allmacht, warum willst Du es nicht? Liegt es am Können oder Wollen?“
Bemerkung: Der Orientale, z.B. der Dragoman, findet solche Fragen unehrerbietig, fürwitzig, unstatthaft. Er verbirgt aber diesen Eindruck und gibt sich Mühe, die unbegreiflich herausfordernden Fragen des Amerikaners möglichst getreu zu übersetzen.
[Seite 96]
Der Meister: „Mein Bruder, du frägst viel auf einmal! Zweck und Ziel des menschlichen
Leidens ist mannigfaltig, und wenn wir bis in die sinkende Nacht uns über die Geheimnisse
des allmächtigen und allweisen Schöpfers besprechen würden, so kämen wir kaum über den
Anfang hinaus! So wollen wir uns denn für einmal beschränken und nur eine Art des Leidens,
das Läuterungsleiden, uns betrachten. Mein Bruder sage mir: „Was ist die Grundlage
aller menschlichen Weisheit, alles menschlichen Wissens?"
— — Verlegenes Schweigen, endlich sagt
Miß St.: „In der Bibel steht: „Gottesfurcht ist aller Weisheit Anfang!“
Der Meister: „Sehr gut, meine Tochter, im Persischen heißt es deutlicher — Ehrfurcht vor Gott ist aller Weisheit Anfang! Also: Allem Wissen über die Geheimnisse des menschlichen Leidens muß die unbedingte (absolute) Ehrfurcht vor Gott dem Schöpfer, zu Grunde liegen, vorausgehen!
Meine Brüder, wären wir heute in Akka, statt in Haifa, so würde ich euch bitten, mit mir zu Hadsch Ali, dem Töpfer, zu gehen, um dort, in der Schule und Werkstätte, für das Leben eine kleine Lektion zu lernen:
So, wie der Töpfer aus seinem Ton ein Gefäß zu seiner Ehre, zum allgemeinen Nutzen und Gebrauch formt, preßt, knetet, drückt, brennt, beizt, abkühlt (alles von innen und außen) so sind wir in des Schöpfers Werkstätte. Er, der Allmächtige und Allweise, der Kenner und Könner, der Wollende und der Handelnde, der Ratschlagende und der Ausführende, ist an der Arbeit, an Seiner Arbeit, etwas aus uns zu machen, zu Seiner Ehre, zum zeitlichen und ewigen Nutzen und Verwendung des Gefäßes.
O mein Bruder, bete dankend den Schöpfer an, wenn er dich pressend formt, bete Ihn, den großen Werkmeister, lobsingend an, wenn Er dich wieder für eine Zeit aus der drückenden Form, aus der heißen Glut des Trübsalsofens entlassen kann! Bist du weise, bist du einer der Wissenden, so hast du die Ehrfurcht vor Gott und Gottes Wirken und Werken, daß du nicht fürwitzig in unehrerbietigem Zorn, in blindem Eifer den Töpfer zur Rechenschaft herausfordern und in kindischem Jammer fragen willst: Was machst Du da? Warum machst Du’s? Wieso wählst Du diesen Ton? Wäre nicht ein anderer Ton, eine andere Bearbeitung, eine andere Form, ein anderes Gefäß besser?
Bist du mein Bruder, der Weise, so siehst du ein, daß du allezeit noch etwas Unfertiges, Ungeschliffenes (dieser deutsche Ausdruck entspricht dem englischen Wort = unpolished, aber nicht dem persischen Urtext = rauh, uneben) bist, daß du allzeit noch des Ausfeilens, des Abschleifens bedarfst. Mit dem Fertigen, Polierten, Glätten, Gleißnerischen (der persische Ausdruck lautet wie Pharisäer — wie Selbstgerechten) mit dem Unfehlbaren, kann der Unendliche, der Ewige, der Vollkommene nichts anfangen — oder Er, der Allweise, muß ihn erst zerbrechen, verkleinern, in der Hitze und im Frost überprüfen. Nur an dem Unfertigen schafft der ewige Werkmeister, der nie ermüdende Schöpfer ohne Unterlaß bis zur ewigen Vollendung des Geschöpfes, des Tones in Seiner Hand.
Stelle dein und fremdes Herzeleid — o mein Bruder — in Gottes Werkstatt und du wirst nicht wagen, trotzig und protzig zu fragen, während der ewige Meister knetet und preßt: Was machst Du da? Nein, im ewigen Lichte werden wir, die alsdann Erleuchteten, mit der Sphärenmusik lobend jubeln: Was hast Du, o Schöpfer, aus mir, Deinem Geschöpf gemacht!
Also, o mein Bruder, geschehe allezeit Gottes Wille an uns, mit uns, durch uns. Auf jede Schwierigkeit, auf jede Trübsal folgt die nächsthöhere Stufe der Ruhe, der nahenden Vollendung. O mein Freund, die Gesegnete Heiligkeit Bahá’u’lláh spricht: "Tilget das Irrlicht der Unwissenheit und laßt erglühen in euch die Leuchte der göttlichen Leitung, denn die Prüfungen im irdischen Dasein des Geschöpfes werden zu Vollkommenheiten erblühen in der heiligen Gegenwart des ewig anbetungswürdigen Schöpfers.“
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Bahá’u’lláh
Verborgene Worte.. Worte der Weisheit und Gebete. Geschrieben während seiner Verbannung in Bagdad 1857/58 . . . kart. —.80
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Frohe Botschaften. Worte des Paradieses, Tablet Tarasat (Schmuck), Tablet Taschalliat (Lichtstrahlen), Tablet Ischrakat (Glanz). Mahnrufe und Anweisungen an die Völker der Erde . . gebunden 2.00
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Buch der Gewißheit oder Kitábu’l-Iqán. Eine Auseinandersetzung mit theologischen Fragen verschiedener Religionen, geschrieben in Bagdad um 1862. Ist fortsetzungsweise in den beiden Jahrgängen X und XI unserer Zeitschrift „Sonne der Wahrheit“ enthalten.
Jahrgang gebunden je 6.--
'Abdu'l-Bahá Abbas
Ansprachen in Paris. ‘Abdu’l-Bahá spricht hier über zahlreiche Fragen, nach deren Klärung die Völker der Erde suchen.
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Beantwortete Fragen. Erklärungen zu christlichen und islamischen Fragen, Behandlung allgemeiner weltanschaulicher Probleme . . . . . . Ganzleinen 2.50
Sendschreiben an die Haager Friedenskonferenz 1919 . . . . . --.20
Sonstiges
Geschichte und Wahrheitsbeweise der Bahá’i-Religion, Einführung in die Gedankenwelt der Bahá’i-Lehre von einem orientalischen Gelehrten. Von Mirza Abul Fazl . . . . . gebunden 2.--
Bahá’u’lláh und das neue Zeitalter. ein Lehrbuch von Dr. J. E. Esslemont. Ganzleinen 2.50
'Abdu'l-Bahá Abbas’ Leben und Lehren, von Myron H. Phelps. . . . . .gebunden 2.--
Die Bahá’i-Offenbarung, ein Lehrbuch von Thornton Chase. . . . . . . kart. 2.--
Am Morgen einer neuen Zeit. Untersuchung der geistigen Ursachen der Weltkrise und Beleuchtung der letzthin einzigen Möglichkeit ihrer Überwindung durch die Bahá’i-Lehre. Von Dr. Hermann Großmann . . . . . kart. 1.80
Ganzleinen 2.50
Die Bahá’i-Weltanschauung. Eine kurze Einführung. Von Pauline Hartmann . . . . —.20
Das Hinscheiden 'Abdu'l-Bahás ("The Passing of 'Abdu'l-Bahá") . . . -.30
Sonne der Wahrheit. Bahá'i-Monatszeitschrift.
- Jahrgang III - IX gebunden je 3.--
- Jahrgang X - XII gebunden je 6.--