Sonne der Wahrheit/Jahrgang 11/Heft 2/Text

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SONNE

DER

WAHRHEIT
 
ORGAN DER DEUTSCHEN BAHAI
 
HEFT 2 11. JAHRGANG APRIL 1931
 


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Abdu’l-Bahás Erläuterung der Bahá’i-Prinzipien[Bearbeiten]

1. Die ganze Menschheit muss als Einheit betrachtet werden.


Bahá’u’lláh wandte Sich an die gesamte Menschheit mit den Worten: „Ihr seid alle die Blätter eines Zweigs und die Früchte eines Baumes“. Das heißt: die Menschheit gleicht einem Baum und die Nationen oder Völker gleichen den verschiedenen Aesten und Zweigen; die einzelnen Menschen aber gleichen den Blüten und Früchten dieses Baumes. In dieser Weise stellte Bahá’u’lláh das Prinzip der Einheit der Menschheit dar. Bahá’u’lláh verkündigte die Einheit der ganzen Menschheit, er versenkte sie alle im Meer der göttlichen Gnade.


2. Alle Menschen sollen die Wahrheit selbständig erforschen.

In religiösen Fragen sollte niemand blindlings seinen Eltern und Voreltern folgen. Jeder muß mit eigenen Augen sehen, mit eigenen Ohren hören und die Wahrheit suchen, denn die Religionen sind häufig nichts anderes als Nachahmungen des von den Eltern und Voreltern übernommenen Glaubens.


3. Alle Religionen haben eine gemeinsame Grundlage.

Alle göttlichen Verordnungen beruhen auf ein und derselben Wirklichkeit. Diese Grundlage ist die Wahrheit und bildet eine Einheit, nicht eine Mehrheit. Daher beruhen alle Religionen auf einer einheitlichen Grundlage. Im Laufe der Zeit sind gewisse Formen und Zeremonien der Religion beigefügt worden. Dieses bigotte menschliche Beiwerk ist unwesentlich und nebensächlich und verursacht die Abweichungen und Streitigkeiten unter den Religionen. Wenn wir aber diese äußere Form beiseite legen und die Wirklichkeit suchen, so zeigt sich, daß es nur eine göttliche Religion gibt.


4. Die Religion muss die Ursache der Einigkeit und Eintracht unter den Menschen sein.

Die Religion ist für die Menschheit die größte göttliche Gabe, die Ursache des wahren Lebens und hohen sittlichen Wertes; sie führt den Menschen zum ewigen Leben. Die Religion sollte weder Haß und Feindschaft noch Tyrannei und Ungerechtigkeiten verursachen. Gegenüber einer Religion, die zu Mißhelligkeit und Zwietracht, zu Spaltungen und Streitigkeiten führt, wäre Religionslosigkeit vorzuziehen. Die religiösen Lehren sind für die Seele das, was die Arznei für den Kranken ist. Wenn aber ein Heilmittel die Krankheit verschlimmert, so ist es besser, es nicht anzuwenden.


5. Die Religion muss mit Wissenschaft und Vernunft übereinstimmen.

Die Religion muß mit der Wissenschaft übereinstimmen und der Vernunft entsprechen, so daß die Wissenschaft die Religion, die Religion die Wissenschaft stützt. Diese beiden müssen unauflöslich miteinander verbunden sein.


6. Mann und Frau haben gleiche Rechte.

Dies ist eine besondere Lehre Bahá’u’lláhs, denn die früheren Religionen stellen die Männer über die Frauen. Töchter und Söhne müssen gleichwertige Erziehung und Bildung genießen. Dies wird viel zum Fortschritt und zur Einigung der Menschheit beitragen.


7. Vorurteile jeglicher Art müssen abgelegt werden.

Alle Propheten Gottes kamen, um die Menschen zu einigen, nicht um sie zu trennen. Sie kamen, um das Gesetz der Liebe zu verwirklichen, nicht um Feindschaft unter sie zu bringen. Daher müssen alle Vorurteile rassischer, völkischer, politischer oder religiöser Art abgelegt werden. Wir müssen zur Ursache der Einigung der ganzen Menschheit werden.


8. Der Weltfriede muss verwirklicht werden.

Alle Menschen und Nationen sollen sich bemühen, Frieden unter sich zu schließen. Sie sollen darnach streben, daß der universale Friede zwischen allen Regierungen, Religionen, Rassen und zwischen den Bewohnern der ganzen Welt verwirklicht wird. Die Errichtung des Weltfriedens ist heutzutage die wichtigste Angelegenheit. Die Verwirklichung dieses Prinzips ist eine schreiende Notwendigkeit unserer Zeit.


9. Beide Geschlechter sollen die beste geistige und sittliche Bildung und Erziehung geniessen.

Alle Menschen müssen erzogen und belehrt werden. Eine Forderung der Religion ist, daß jedermann erzogen werde und daß er die Möglichkeit habe, Wissen und Kenntnisse zu erwerben. Die Erziehung jedes Kindes ist unerläßliche Pflicht. Für Elternlose und Unbemittelte hat die Gemeinde zu sorgen.


10. Die soziale Frage muss gelöst werden.

Keiner der früheren Religionsstifter hat die soziale Frage in so umfassender, vergeistigter Weise gelöst wie Bahá’u’lláh. Er hat Anordnungen getroffen, welche die Wohlfahrt und das Glück der ganzen Menschheit sichern. Wenn sich der Reiche eines schönen, sorglosen Lebens erfreut, so hat auch der Arme ein Anrecht auf ein trautes Heim und ein sorgenfreies Dasein. Solange die bisherigen Verhältnisse dauern, wird kein wahrhaft glücklicher Zustand für den Menschen erreicht werden. Vor Gott sind alle Menschen gleich berechtigt, vor Ihm gibt es kein Ansehen der Person; alle stehen im Schutze seiner Gerechtigkeit.


11. Es muss eine Einheitssprache und Einheitsschrift eingeführt werden.

Bahá’u’lláh befahl die Einführung einer Welteinheitssprache. Es muß aus allen Ländern ein Ausschuß zusammentreten, der zur Erleichterung des internationalen Verkehrs entweder eine schon bestehende Sprache zur Weltsprache erklären oder eine neue Sprache als Weltsprache schaffen soll; diese Sprache muß in allen Schulen und Hochschulen der Welt gelehrt werden, damit dann niemand mehr nötig hat, außer dieser Sprache und seiner Muttersprache eine weitere zu erlernen.


12. Es muss ein Weltschiedsgerichtshof eingesetzt werden.

Nach dem Gebot Gottes soll durch das ernstliche Bestreben aller Menschen ein Weltschiedsgerichtshof geschaffen werden, der die Streitigkeiten aller Nationen schlichten soll und dessen Entscheidung sich jedermann unterzuordnen hat.

Vor mehr als 50 Jahren befahl Bahá’u’lláh der Menschheit, den Weltfrieden aufzurichten und rief alle Nationen zum „internationalen Ausgleich“, damit alle Grenzfragen sowie die Fragen nationaler Ehre, nationalen Eigentums und aller internationalen Lebensinteressen durch ein schiedsrichterliches „Haus der Gerechtigkeit" entschieden werden können.

Bahá’u’lláh verkündigte diese Prinzipien allen Herrschern der Welt. Sie sind der Geist und das Licht dieses Zeitalters. Von ihrer Verwirklichung hängt das Wohlergehen für unsere Zeit und das der gesamten Menschheit ab.


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SONNE DER WAHRHEIT
Organ der deutschen Bahá’i
Verantwortliche Schriftleitung: Alice Schwarz-Solivo, Stuttgart, Alexanderstraße 3
Preis vierteljährlich 1.80 Goldmark, im Ausland 2.– Goldmark
Heft 2 Stuttgart, im April 1931
Jalál (Ruhm) – 88
11. Jahrgang

Motto: Einheit der Menschheit — Universaler Friede — Universale Religion


Inhalt: Das Heilige Buch der Gewißheit. — Aus dem Schatz der Erinnerungen an Abbas Effendi, ’Abdu’l-Bahá. Haifa 1906-11. — Der Leib als Tempel des Geistes. — Chinesische Kultur und die Bahá’i-Bewegung.


Die Hütte Gottes bei den Menschen[Bearbeiten]

„Heute findet ihr die Anhänger Seiner Heiligkeit Bahá’u’lláh’s durch die innigsten Bande der Gemeinschaft und Liebe vereinigt. Sie haben die religiösen Vorurteile abgelegt und sind wie eine Familie geworden. Wenn ihr deren Versammlungen betretet, werdet ihr Christen, Muhammedaner, Buddhisten, Zoroastrier, Juden und die Angehörigen anderer Glaubensbekenntnisse anwesend finden, alle in wunderbarer Einheit, ohne eine Spur von Frömmelei oder Fanatismus miteinander verbunden, und das Licht der Einheit der Menschheit leuchtet aus ihrem Angesicht. Tag für Tag machen sie Fortschritte, indem sie immer größere Liebe für einander zum Ausdruck bringen. Ihr Blick ist auf die Vereinigung der ganzen Menschheit gerichtet und ihr größtes Bestreben ist die Übereinstimmung des religiösen Glaubens. Sie verkünden der ganzen Menschheit die schützende Barmherzigkeit und die unendliche Güte Gottes. Sie lehren die Übereinstimmung der Religion mit Wissenschaft und Vernunft. Sie bringen in Wort und Tat das Wesen der Liebe für alle Menschen als die Diener des einen Gottes und die Empfänger Seiner allumfassenden Güte zum Ausdruck. Dies sind ihre Gedanken, ihre Vorstellung, ihre leitenden Grundsätze, ihre Religion. Nicht das geringste Vorurteil in bezug auf Rasse, Patriotismus oder Politik kann unter ihnen gefunden werden, denn sie sind wirkliche Diener Gottes und gehorchen Seinem Willen und Gebot.“

'Abdu'l-Bahá




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Das Heilige Buch der Gewißheit[Bearbeiten]

(Fortsetzung)

(Kitab-El-Iqan aus der Feder von Bahá’u’lláh)

Aus dem Französischen ins Deutsche übersetzt von Dr. A. Mühlschlegel, Stuttgart


Wie mißtrauisch ist dieser Gelehrte doch in seiner Klügelei gegen die mit göttlichem und unbegrenztem Wissen Begnadeten! „Ihr habt Argwohn gegen jene, welche Gott in den Schatzkammern des siebenten Himmels verwahrt hat.“ („Masnavi“ von Mawlana Dschelaleddin Rumi.) Und könnte man behaupten, daß kein Philosoph, kein Gelehrter nicht ähnliche Lästerungen gesagt hat? Weiß nicht ein jeder, daß diese Wissenschaften zu allen Zeiten von Gott verboten worden sind. Wie sollten solche Dinge nötig sein, um die Geheimnisse der Himmelfahrt zu erfassen, wo doch Muhammed sich selbst nie besonders damit befaßt hat, wo doch sein strahlendes Herz immer frei gewesen ist von dergleichen Belastungen. Wie schön sind die Worte des Dichters:

"Die Gel:ehrten haben lahme Reittiere bestiegen,
doch Gott, der durch die Winde braust,
jagt schneller als die Pfeile fliegen“ („Masnavi“.)


Wer die Geheimnisse der Himmelfahrt erfassen will; mag wohl all diese Kenntnisse besitzen. Jedoch ich schwöre: wenn der Spiegel seines Herzens mit diesem eitlen Staube bedeckt ist, wird er sich zuvor gänzlich davon befreien müssen, ehe er in sich den kleinsten Strahl dieser Geheimnisse widerspiegeln kann. Heutzutage verbieten jene, die aus den Kelchen ewigen Wissens getrunken haben und deren Pflicht es ist, die Menschen zu führen, solche Studien. Gott sei Dank, ihr Herz ist frei von solchen Einflüsterungen und erhaben über derartige Hemmungen. Diese Wissenschaften, von denen gesagt ist: „Die Wissenschaft ist der größte Schleier“, haben wir vernichtet durch das Feuer der Liebe des Vielgeliebten. Wir haben ein anderes Zelt aufgeschlagen. Gott sei Dank, daß Er den größten Schleier durch das Feuer der Schönheit des Vielgeliebten vernichtet hat, damit kein Raum in den Herzen sei, der nicht nach dem Wunsche des Vielgeliebten wäre.

Wir halten uns nur an ein Wissen,
das Seine, nur an eine Erkenntnis,
das Erscheinen Seines Lichtes.


Doch kehren wir zu unserem Buche zurück. Ich fand in diesen Zeilen nur eines: den Wunsch des Verfassers seinen Lesern beizubringen, daß er selbst alle diese Kenntnisse besitzt. Gott aber ist Mein Zeuge: jener hat nie den leisesten Hauch göttlichen Wissens verspürt, er hat nie den ersten Buchstaben der Geheimnisse der Weisheit erfaßt. Ja, wenn wir ihn den Sinn des Wissens lehren wollten, so würde er alle Ruhe verlieren und sein Dasein wäre in diesem Augenblick zunichte gemacht. Nie habe ich soviel Anmaßung in einem solch hohlen und unbedeutenden Werke gesehen.

Wie kam es bei Gott, daß die Menschen ein solches Geschöpf anhörten und ihm folgten und sich vom Herrn der Herren abwandten, um sich mit Staub zu begnügen, am Krächzen des Raben und am Schwatzen der Elster es sich genug sein ließen und der Melodie der Nachtigall und der Schönheit der Rose nicht achteten? Die Folgen eines solchen Buches haben nicht auf sich warten lassen. Die Feder schämt sich, sie zu berichten: sie sind nicht wert, dabei zu verweilen. Doch dies sei dir gesagt: Wäre der Prüfstein bekannt, so wüßten die Menschen Recht von Irrtum zu unterscheiden, Tag von Nacht. Sonne von Schatten.

Eine der Wissenschaften, die dieser Mann zu verstehen behauptete, ist die Alchemie. Ich wollte, ein König oder sonst ein sehr hochgestellter Mann würde von ihm verlangen, seine Behauptungen nicht nur durch Worte, sondern durch Taten zu beweisen. Und ich armer Ungelehrter, der ich mich nicht einer solchen Wissenschaft anmaße und der ich nicht das Wissen eines Menschen an dergleichen Kenntnissen bemesse, ich würde diesen Mann auf die Probe stellen, dann würde man sehen, auf wessen Seite man Weisheit fände. Doch wozu dies? Ich habe von meinen Zeitgenossen stets nur Lanzenstöße empfangen und stets nur [Seite 15] tödliches Gift als Trank gereicht erhalten. Die Narben der Fesseln bleiben dauernd auf meinem Nacken und die Grausamkeiten, deren Opfer ich war, sind an meinem ganzen Körper zu sehen.

In dem Buche, darinnen alles steht, kann man finden, was Wissen, Nichtwissen, Belehrung und Gewißheit ist bei einem solchen Menschen: „Der Baum Sakkum wird des Schuldigen Speise sein1).“ Und weiterhin steht, wie zum Hohne, geschrieben: „Lasse es dir schmecken; du bist der Mächtige, der Erhabene2).“.

Diese kurzen Verse deuten nicht gerade mit Bewunderung auf jenen Menschen, der, um einen Beweis seiner Demut zu geben, sein Buch bezeichnet hat: „Ein schuldbeladener Diener.“ Schuldbeladen durch sein Buch, mächtig unter den Toren nannte er sich „der Erhabene“3).

1) Koran XLIV, 43, 44. Sakkum, der Baum der Hölle.

2) Koran XLIV, 49.

3) Sein Name war Kerim Khan. „Kerim“ heißt erhaben, edel. Er war der Führer der andersdenkenden Scheiks, welche die Feinde des Bab geblieben waren.


Lies diese gesegneten Verse, bis daß du erfassen wirst: „Es gibt nicht einen grünen oder dürren Halm, der nicht eingeschrieben steht im klaren Buche.“ (Koran VI, 59.)

Trotz all dem glaubten gewiße Menschen an diesen Mann und wandten sich ab von dem Moses des Wissens und der Gerechtigkeit und folgten diesem Unwissenden. Sie verzichteten, ohne einen Augenblick zu zaudern, auf die geistige Sonne, die in den ewigen Himmeln strahlt.

O mein Bruder, die Perlen göttlichen Wissens sind nur am Grunde des göttlichen Meeres zu finden, der Duft der Myrthe durchweht nur die himmlischen Gärten der Wirklichkeit, die Rosen der Kenntnis der Einheit entsprießen nur dem Boden gereinigter Herzen. „Auf gutem Grund wachsen die Pflanzen, wenn es Gott gefällt, in Hülle und Fülle, auf schlechtem Grund aber nur dünn gesät.“ (Koran VII, 56.)

Wenn du weißt, daß der Gesang der Taube des geheiligten Wesens nur durch Sein Volk erfaßt werden kann, mußt du dann nicht erkennen, daß jedermann (die Besitzer strahlender Herzen, die Bewahrer der Geheimnisse der Einheit um die Lösung göttlicher Fragen und schwieriger Stellen in den heiligen Offenbarungen bitten muß. Dann wird göttliche Segnung und Barmherzigkeit die Fragen lösen und nicht erworbenes Wissen. „Frage jene, welche die Schriften besitzen, wenn du es nicht weißt." (Koran XXI, 7.)

Jedoch, mein Bruder, der Suchende, der den Pfad der Belehrung des Königs, dem die Urväter nachfolgten, folgen will, muß sein Herz von dem Staube menschlichen Wissens und von teuflischen Einflüsterungen befreien; denn sein Herz ist der Ort, der göttlichen und unsichtbaren Geheimnisse. Er muß seine Seele heiligen, denn dort wird der ewige Vielgeliebte thronen. Er muß seinen Geist von allen Dingen ohne Wirklichkeit befreien von eitlen Schatten, so daß sich in ihm keine Spur von Liebe oder Haß erhalten kann; denn Liebe mag leicht auf schlechten Weg verleiten, und Haß mag leicht verhindern, den guten einzuschlagen. Ist es heutzutage nicht Liebe oder Haß, was so viele Menschen des ewigen Antlitzes der göttlichen Erhabenheit beraubt hat und sie führerlos in der Wüste des Verderbens und Vergessens gebannt hält?

Auch muß sich der Suchende jeden Augenblick seines Lebens zu Gott flüchten, sich von den Menschen abkehren, sich von der Welt des Staubes trennen, um sich dem Herrn der Herren zu vereinen, sich selbst vor keinem anderen den Vorzug zu geben, aus seinem Herzen Hochmut und Stolz zu tilgen, sich mit Geduld und Beständigkeit zu wappnen, dem Gebote des Schweigens zu folgen und sich vor eitlen Worten zu hüten. Denn die Zunge ist ein Feuer, das schwärt, und der Mißbrauch des Wortes ist tödliches Gift. Und während das natürliche Feuer den Körper verzehrt, verzehrt das Feuer der Zunge Geist und Herz. Jenes hinterläßt nach einer Stunde keine Spur, dieses aber währt Jahrhundertelang.

Der Suchende muß wissen, daß Verleumdung ein Verbrechen ist, und sich stets davor hüten, denn dieses Verbrechen würde die [Seite 16] strahlende Lampe seines Herzens verlöschen und das Leben der Seele vernichten. Er muß sich mit wenig begnügen und niemals mehr verlangen als er hat. Er muß sich jenen anzuschließen suchen, die sich von den Dingen der Welt losgelöst haben, und muß die Prahler meiden. Er muß vom Morgengrauen an beten, mit ganzer Kraft darnach ringen, den Vielgeliebten zu finden, und gegen seine eigene Lässigkeit mit dem Feuer der Liebe und des Gebets ankämpfen. Er muß so schnell wie der Blitz die Ungläubigen fliehen, um all sein Sorgen den Unglücklichen zu widmen und sie teilnehmen zu lassen an den Segnungen, die auf ihm ruhen. Er muß gut zu den Tieren sein und besser noch zu den Menschen und dem Volke des Beyan. Aus Liebe zum Vielgeliebten darf er nicht am Leben hängen und, wenn er auf Erden unglücklich ist, darf er sich nicht von Gott abwenden. Er darf nicht einem anderen antun, was er selbst sich nicht antun lassen wollte. Er darf nicht versprechen, was er nicht halten kann. Er muß seinen Untergebenen verzeihen und für sie die Verzeihung Gottes erflehen. Er darf nicht die Bösen verachten, denn keiner weiß, über wen dereinst ein gutes Urteil gesprochen wird. Wieviele Böse werden vor dem Tode den reinsten Glauben erlangen, den unsterblichen Wein kosten und sich zum höchsten Königreiche erheben! Und wieviel Gläubige, die im Augenblick des Aufstiegs ihres Geistes ihre Haltung verloren haben, werden auf der untersten Stufe des Fegfeuers sein!

Der Zweck all dieser Erläuterungen und klaren Worte ist, dem Suchenden vor Augen zu führen, daß alles sterblich ist, was nicht göttlich ist, und daß nichts besteht außer dem Angebeteten. Nur der allein, der sich diesen Lebensregeln anpaßt, wird ein in Geistigkeit erzogener Mensch werden; und sie werden ihn durch seine eigene Erfahrung an das Ziel seines Suchens nach Gewißheit führen. Wenn er diese Eigenschaften in sich vereint, so wird der wahrhaftig Suchende, losgelöst von allen menschlichen Dingen, an seine Ziele gelangen. Und wenn er durch die Anstrengungen, die er in der Sache Gottes macht, gefestigt sein wird, dann wird er sicherlich auf die göttlichen Pfade gelangen (Koran XXIX, 69).

Denn wenn er in seinem Herzen die Lampe des Forschens, des Sich-Mühens, des Liebens entzündet, und wenn der Wind göttlicher Barmherzigkeit über ihn weht, dann wird die Nacht des Irrtums, des Zweifels und des Unfriedens alsbald verschwinden und dem Lichte des Wissens und der Gewißheit weichen. Dann wird der geistige Bote der göttlichen Stadt sich wie das Morgenrot erheben mit seinem Gefolge von frohen Botschaften und wird durch die Posaune der Belehrung Seele, Herz und Geist erwecken, die auf dem Lager der Nachlässigkeit eingeschlummert waren. So schenkt die Güte und unsichtbare Hilfe des ewigen Heiligen Geistes neues Leben. In dem Maße, wie der Suchende neue Augen, neues Gehör, ein neues Herz und eine neue Seele erlangen wird, mit denen er die offenbaren Zeichen der Welt schaut und die dunkeln Geheimnisse der Seele, so wird er auch erfassen, daß in dem kleinsten Ding sich eine Türe findet, durch welche man in den Bereich der Klarheit, der Gewißheit und der Überzeugung eintritt. In jedem Ding wird er das Geheimnis der göttlichen Formwerdung und Erscheinung schauen.

Ich schwöre, daß der Wahrheitsuchende, der zu jener erhabenen Stufe gelangt, die Düfte Gottes aus den entlegensten Gärten atmen wird. Er wird den herrlichen Morgen der Führung in allen Morgenröten schauen. Das kleinste Atom wird ihn zum Vielgeliebten führen. Er wird Gut und Böse unterscheiden wie Sonne und Schatten. Wenn die göttlichen Winde von Osten her wehen, dann wird er auch den Westen erkennen. Er wird die Wahrzeichen Gottes finden in den wunderbaren Worten, den unnachahmbaren Taten der Manifestationen und er wird sie von Worten und Taten der Menschen unterscheiden, wie der Bergmann Edelsteine und Felsen unterscheidet, wie der Mensch Frühling und Herbst scheidet, Wärme und Kälte. Wenn sein Geist von Menschendingen befreit ist, dann wird er in das liebliche Land gelangen, in die Stadt der wundervollen Weisheit göttlicher Erhabenheit.

Dort werden ihm die Bäume durch das Rauschen ihrer Blätter die verborgensten Wissenschaften enthüllen. Er wird den Staub dieser Stadt Loblieder auf Gottes Herrlichkeit singen hören. Er wird mit den Augen [Seite 17] des Geistes die Geheimnisse der Wiederauferstehung schauen.

Wie soll ich die Eindrücke, die Zeichen, die Erscheinungen beschreiben, die der Wille des Königs der Namen und Merkmale dieser wunderbaren Stadt vorbehalten hat? In dieser Stadt wird er durchaus keines Wassers bedürfen, um seinen Durst zu stillen, noch der Flamme, um das Feuer seiner Liebe zu schüren. Dort finden sich in jeder Pflanze die Geheimnisse höchster Weisheit verborgen. Auf den Zweigen eines jeden Rosenstrauchs singen Tausende von Nachtigallen in verführerischer Wonne. In den wundersamen Anemonen erscheint das Geheimnis des Feuerbuschs. Im Balsam des Windes findest du den Heiligen Geist von Jesus wieder. Reichtum wird dort nicht durch Gold gemessen und der Tod ist dort nicht die Vorbedingung zur Unsterblichkeit. In jedem Blatte ruht ein Paradies verborgen und in jeder Kammer sind Schätze von tausend Weisheiten verwahrt.

Die Gottsucher, die sich von irdischen Dingen losgelöst haben, kennen diese Stadt so gut, daß sie diese nicht einen Augenblick verlassen, daf sie den letzten Hauch der Balsamdüfte der Lilie erleben. Ihnen sind die Schönheit der Rose und der Gesang der Nachtigall klarere Beweise dieser Stadt, die sich erneuert und sich verschönt von Weltalter zu Weltalter.

O mein Freund, ringe darnach sie zu erreichen, diese Stadt, und zerreiße die dichten Schleier durch göttliche Gnade und Großmut. Dann wirst du im Herzen Gewißheit haben und den Rest deines Lebens auf den Wegen des neuen Vielgeliebten aufopfern und du wirst hunderttausendmal um diesen Segen beten. Diese Rede ist nichts anderes denn die Heiligen Schriften: die Bibel zur Zeit Moses, das Evangelium zur Zeit Jesus; unter Muhammed, dem Propheten Gottes, der Forkan; in unseren Tagen der Beyan; und zur Zeit „Jenes, den Gott offenbaren wird“, Sein Buch, welches die Ergänzung aller anderen sein wird, über welchen Er thronen wird in Seiner ganzen Erhabenheit. Diese Stadt ist ewige Speise und Gnade. Sie spendet dies in Fülle. Den Menschen von Bildung verleiht sie die Wohltaten der Einheit, Segensgüter jenen, die der irdischen Güter beraubt sind, und den Kelch des Wissens jenen, die in den Wüsten des Nichtwissens irren. Führung, Güte, Wissen, Glauben, Gewißheit in allem, was unter dem Gewölbe des Himmels ist, ruhen wie Kleinodien in ihren Mauern verwahrt.

So war für die Völker Muhammeds der Forkan der festeste Wall, durch dessen Schutz alle, die ihn überstiegen hatten, sich behütet fanden vor den Schlingen des Satans, vor den Lanzen der Ungläubigen und der Zweifelsucht der Vielgötterei, hinter welchem sie sich von den göttlichen Früchten des Baumes der Einheit nährten und die duftenden Wasser der Belehrung und den Wein des Geheimnisses des Unvergleichlichen tranken. Mit einem Wort: alles, was den Völkern not tut, ist für sie in diesem Wundergarten vorgesehen, nach der Ordnung der göttlichen Gebote. Dies ist der unsterbliche Beweis, der seit dem Hingang Muhammeds für die Völker bestand. Denn alles, was geschrieben steht, muß sich erfüllen. Darum hat auch jeder den Befehl erhalten, ihm zu gehorchen bis zur neuen Manifestation des Jahres 60*). In dieser Stadt erreicht der Suchende den Garten der Begegnung und die Zelte der Nähe. Dies ist das starke Beweismittel und die erhabene Überzeugung.

*) 1260 der Hedschra, 1844 A. D., das Jahr der Erklärung des Bab.


Neben diesen Beweisen erblassen die besonderen Lebensverhältnisse der Propheten, die Bücher, die Hadiß. Dann schöpfen die Hadiß und die anderen Schreiben ihr Ansehen nicht aus den Heiligen Schriften? Noch mehr, die Hadiß sind oft sehr unter sich verschieden und manchmal nicht einwandfrei. So hat der Punkt des Forkan am Ende Seiner Tage gesagt: „Ich lasse euch zwei große Dinge, das Buch Gottes und meine Nachfolger.“ Damals, wie schon zahlreiche Hadiß geoffenbart waren, spricht Muhammed nur von dem Buche, das er immer als das Erhabenste betrachtet hatte, als größten Beweis für den Suchenden, als Führung der Menschen bis zum Jüngsten Tage.

Betrachte den Koran, den alle, groß und klein, anerkennen, und sage mir nach Recht und Billigkeit, mit reinem Herzen und reiner Seele, ob dies nicht der größte Beweis ist.

(Fortsetzung folgt)

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Aus dem Schatz der Erinnerungen an Abbas Effendi, 'Abdu'l-Bahá. Haifa 1906 - 11[Bearbeiten]

Fünfter Brief von Frau Dr. J. F. an Frau A. Schwarz, Stuttgart


Thema: Mannigfache Äußerungen des Meisters über „das Haus der Gerechtigkeit“ (beitu'l adl) und über das „Heilige Buch“ (Kitab-i-Aqdas).

Ort, Zeit und Zuhörer wechselnd.

Die „Heilige Vollkommenheit Bahá’u’lláh hat in den Tagen Ihrer Leiblichkeit (d. h. bei seinen Lebzeiten) verordnet, daß das Heilige Buch des Rechtes und des Gesetzes (Kitab-i-aqdas) nicht in andere Sprachen übersetzt werden solle. Es ist in arabischer Sprache, der heiligen Sprache der Prophetie, der mystischen Sprache der Offenbarung, zunächst für die Völker des Ostens verfaßt. Die Zeit wird einst kommen, da das internationale Haus der Gerechtigkeit bestimmen wird, wann und in welche westlichen Sprachen das „Heilige Buch“ der „Höchsten Feder“ (Bahá’u’lláh) übertragen werden darf und soll. Die „Gesegnete Vollkommenheit“ Bahá’u’lláh hat wiederholt geäußert — sei es schriftlich, sei es mündlich —: „Solange die Völker und ihre Führer die Binde der Blindheit tragen (Keine Bahá’i’s sind.), ist dem Heiligen Gesetz die Möglichkeit der Durchführung nicht gegeben. Zu der Stunde jedoch, da die manifestierten Gebote Gottes in auch nur einem Lande zur offiziellen Gültigkeit kommen, wird das betreffende Volk die unzähligen Wohltaten der heiligen Gesetzgebung (im Buche Kitab-i-aqdas) genießen dürfen und damit wird und muß das „Gesegnete Buch“ (Kitab-i-aqdas) sowohl in die Landessprache als auch in die Welteinheitssprache übersetzt werden. Der Urwille (Schöpfer) ist ein Gott der Geduld und der Langmut, der zu seiner Zeit dem Schmetterling der Erkenntnis aus der dunklen Puppe der Unwissenheit heraushelfen wird (allegorisch: die Völker und ihre Führer erleuchten), sei es unter der gesegneten Leitung des Mondes, des allerhöchsten Zweiges*) (allegorisch: zu Lebzeiten Abbas Eff. ‘Abdu’l-Bahás), sei es viel später, wenn das nationale und das internationale Beitu’l adl als stellvertretendes Kollegium (Idschma) des „Aka i sir Allah“ (der Meister des Geheimnis Gottes: Abbas Effendi**)) die Auslegung der heiligen Lehre und des heiligen Gesetzes übernimmt. Es steht zu erwarten, daß in dem Zyklus der göttlichen Manifestation (d. h. in den tausend Jahren, da Bahá’u’lláhs Lehre sich ausbreitet und auswirkt) sowohl die Könige als auch die obersten Führer (Präsidenten von Republiken) sowie die Sejjide (Nachkommen des Bahá’u’lláh und Abbas Effendi) die natürlichen Missionare des Mahdi mit freudigem Eifer darstellen werden. Wahre Missionare sind wie die Repräsentanten der Gottheit, ihrer Rechtgläubigkeit fällt die Sorge für die Erhaltung und Ausbreitung der Einheitsreligion zu. Könige und Präsidenten können durch Volksabstimmung in das internationale Haus der Gerechtigkeit gewählt werden, die Sejjide in die nationalen oder kommunalen***) Beitu’l adl. Der glorreiche Sieg der Einheitsreligion wird einst zum Bande werden, welche das Kalifat (Monarchie) oder das Präsidentum und das Sejjiat (leibliche Nachkommen aus dem Geschlecht von Bahá’u’lláh) mit dem internationalen bezüglich örtlichen Beitu’l adl fest verknüpft.“ (Siehe das Traktat Eschrakat in ausdrücklicher Ergänzung des Kitab-i-aqdas, ferner im „Kalimat i firdausijja“.)

*) Ghusa i azam „allerhöchster Zweig“, Amtsname von Abbas Effendi.

**) Aka = Meister, sirv=-Geheimnis, Allah= Gottes.

***) Auf Persisch: Andschuman.


Das Kitab-i-aqdas (Das heilige Buch). 'Abdu’l-Bahá Abbas Effendi erklärt:

Seine gesegnete Vollkommenheit (Bahá’u’lláh) hat im Kitab-i-aqdas die Vorordnung Seiner Heiligkeit des Bab in dessen Gesetzbuch (des Bajan) bestätigt, in dem Er das öffentliche Gruppengebet mit liturgischen Formen (salat al dschamu’a) aufhebt, im Gegensatz zu den christlich-kirchlichen Gebeten, den Synagogen- und [Seite 19] Moscheengebeten. Das Hauptgebet soll individualistisch sein — in persönlicher Einsamkeit (furada). Ausnahmen sind erlaubt bei gewissen Feierlichkeiten (Beerdigung, Geburtstagsfeiern, wichtigen nationalen Feiern). Mit dem öffentlichen Kultus fällt nicht nur der „Geistliche Stand“ weg, sondern auch der Muezzin (islamitische Gebetsrufer) und der jüdischen Vorbeter. Wenn aber die Gläubigen der Einheitsreligion (die Bahá’i) auch kein zünftiges Predigtamt mehr haben sollen, so soll doch jeder Hausvorstand die Pflicht und das Recht haben, die charismatische Wortverkündigung und das geistliche Lehramt in seiner Familie, in seinem Haus und im Freundeskreis frei ausüben, aber ohne ein bestimmtes Gehalt dafür zu beziehen. Die Kirche, die Synagoge, die Moschee bleibt weiter bestehen als öffentliches Andachtshaus — Maschriqu’l adhkar (das heißt ins Deutsche übertragen: der Aufsteigungsort der Gebete!). Auch jede Privatperson darf zu Hause aus einem würdigen Raum eine private Andachtsstätte machen zur gemeinsamen Erbauung von befreundeten und bekannten Bahá'i. Die gesegnete Vollkommenheit (Bahá’u’lláh) hat im Kitab-i-aqdas (Heiligen Buch) angeordnet, daß in den Andachtsstätten keine Bilder, Porträts, Statuen angebracht werden, sondern nur Inschriften, Sprüche, mystische Namenszüge und Zahlensymbole, Arabesken, Ornamente, Wandbehänge, Teppiche, schöne Vasen, Räuchergefäße usw. Das gleiche gilt für die Häuser der Gerechtigkeit, die sich architektonisch von den Andachtsstätten und Pilgerorten unterscheiden sollen. Das Haus der Gerechtigkeit soll in seinen architektonischen Formen etwas Strenges, Gesetzliches, Gradliniges und Klares haben; das Erbauungs- und Andachtshaus soll einen feierlichen, hochstehenden, geläuterten Eindruck machen, es darf des Schmuckes nicht entbehren!

Sehet die Baha’i-Moschee in Aschkabad! Sie hat die flankierenden Minarets als Schmuck beibehalten. Wie geweihte Finger zeigen sie nach dem Himmel. Zum Unterschied von der islamitischen Moschee hat sie keine Nische (michrab) für den Vorbeter und keine Kanzel (minbar) für die Freitagspredigt. Brunnen sind für rituelle Waschungen nicht mehr nötig; gleichwohl sind Brunnen und Baumanlagen als Symbole der Gastlichkeit, Menschen- und Tierliebe schön und sinnreich in der Umgebung von Andachtsstätten. Letztere sollen eine gute Akustik haben, denn ohne gemeinsames Gemeindegebet darf doch der Einzelne laut beten, dazu dienen die Rezitationen aus den Heiligen Büchern und die Gebetsrhapsodien (munadschat) der geheiligten Manifestationen und ihrer Propheten und Jüngern.

Auf eine Frage, ob das Andachtshaus und das Haus der Gerechtigkeit nahe beieinander oder ineinander gebaut werden sollen, antwortet der Meister wie folgt:

Die Gemeinde kaufe aus dem sakat (Kapitalsteuer) und aus den freiwilligen Stiftungsgeldern (aber nicht aus richterlichen Strafgeldern), eventuell auch aus den herrenlosen Erbschaftsgeldern*) große Landkomplexe. Die schönsten Plätze gebe man alsdann dem Andachtshaus (Maschreku’l adkar); das Haus der Gerechtigkeit (Rathaus) kann daran angebaut werden oder auch gegenüber zu errichten sein. Im Kranz um diese zwei zentralen Gebäude sollen ein Waisenhaus mit zwei Abteilungen für Knaben und Mädchen, eine Hochschule, ein Krankenhaus, eine Apotheke und ein Gasthaus (Hospiz, Chan, Herberge für Reisende) erstellt werden. Die Entbindungsanstalt, das Irrenhaus, ein Asyl für Unverbesserliche (Gefängnis?) und Unheilbare, ein Altersheim, eine Krüppel- und Blindenanstalt sollen an einem anderen Platze, weit entfernt, gegründet werden. Alle diese und andere Anstalten sind in erster Linie dem Haus der Gerechtigkeit unterstellt. Die neun bis neunzehn Mitglieder desselben müssen ehrenamtlich angestellt sein — aber berufliche Direktoren und Gehilfen der Anstalten werden bezahlt, denn ihre Arbeit ist ihr beruflicher Erwerb! Sind die Mitglieder des Hauses der Gerechtigkeit arm und durch ihre ehrenamtliche Tätigkeit in ihrem Gelderwerb gehindert, so muß das Kollegium der neun oder der neunzehn Mittel und Wege finden, den Unterhalt von solchen Mitgliedern und ihren Familien sicher zu stellen durch einen passenden [Seite 20] Nebenerwerb. Niemals darf Armut oder Erwerbslosigkeit ein Hindernis werden, daß ein rechtschaffener und inspirierter Mann ein freies Ehrenamt nicht anzunehmen vermag!

*) Die Armensteuer, 1/19 des Kapitals oder 1/9 des Einkommens, wird meist nur einmal entrichtet und ist hier nicht ausdrücklich erwähnt.


Die Gesegnete Vollkommenheit Bahá’u’lláh hat gesprochen und geschrieben: „Wahrlich, wir haben das Haus der Gerechtigkeit zu einem zentralen Asyl für alle Armen, Unglücklichen und Hilflosen gemacht!“ „Ja, sahibu’z zaman, Allahu Abha!“ (Die Sitzung ist damit für einmal beendet.)



Der Leib als Tempel des Geistes[Bearbeiten]

Von Emil Jörn, Warnemünde (Schluß)

Nachdem der prinzipielle Sieg über die sinnliche Natur errungen ist, gilt es nun, den Geist in immer neuen Verhältnissen und Zuständigen zu bestätigen. Das ist der Weg des Gehorsams, der zur „Vergeistigung“ führt." Alle Sinne und Nerven müssen von der Sklaverei des Fleisches erlöst und in den Dienst des Geistes gestellt werden. Welch ein mühsamer Kampf ist das oft! Welch ein Ringen — bei dem aber immer ein Unterton des Friedens empfunden wird.

„Ich wünsche mir nur Gesicht, um die Lichter Deines erhabenen Horizontes zu schauen und nur Gehör, um Deine liebliche Stimme zu hören.“

„Deine Zunge habe Ich für Meine Erwähnung bestimmt, beflecke sie nicht mit Verleumdung.“

„Höre kein Übel und sieh kein Übel; erniedrige dich nicht selbst, noch klage und jammere.“

„Ich habe mein Gesicht Dir zugewendet; erleuchte es mit dem Licht Deines Angesichts und beschütze es, daß es sich nichts anderem als Dir zuwende.“ (Verborgene Worte.)

Die „Betenden Hände“ von Dürer, die Augen der Gottesmutter in der „Sixtinischen Madonna“ von Raffael und viele andere Werke alter, beseelter Kunst bringen diese Sehnsucht wahr und gut zum Ausdruck. Und welcher aufrichtig Liebende könnte die Augen unseres geliebten Meisters vergessen, wenn wir sie auch nur durch Photographien kennen! Nur schlichter Sinn für geistige Wirklichkeiten ist da notwendig, durchaus keine Schwärmerei oder gar „Personenkultus“. Beides ist der Verwirklichung geistiger Ideale eher hinderlich als förderlich.

Aber Bahá’u’lláh sagt, daß sich der Wahrheitsucher „fest an das Seil der Mittel” halten soll. Deshalb wollen wir hier noch auf die natürlichen Bedürfnisse des leiblichen Lebens eingehen und ihnen gerecht zu werden versuchen. Auch die Ernährung des Körpers, sein ganzes Wohl und Wehe muß nach geistigen Gesichtspunkten geregelt werden.

„Eßt nur von dem, worüber der Name Gottes genannt wurde, wenn ihr Gläubige Seiner Verse seid.“ (Koran VI, 118.)

„Wenn wir essen, müssen wir an die geistige Nahrung denken, die Bahá’u’lláh uns gegeben hat. Die materielle Nahrung ernährt nur den Körper, aber die göttliche Nahrung, die vom Himmel kommt, ernährt den Geist.“ ('Abdu'l-Bahá.)

Was soll der neuzeitlich denkende Mensch essen? Was, wie und wieviel? Diese Fragen sind — ganz gewiß mit durch Einwirkung des Lichtes, das von Bahá’u’lláh ausgeht — in der heutigen Zeit immer wichtiger geworden. Es kann hier nicht näher darauf eingegangen werden. Es soll nur allgemein dies gesagt werden: Wer einen innerlich reinen Körper haben möchte, der muß auch reine Nahrung zu sich nehmen oder doch bevorzugen, wenn seine Verhältnisse es irgend gestatten. Das sind vor allem die Nahrungsstoffe, die uns unmittelbar aus der Hand des Schöpfers gegeben werden, die also nicht durch Menschenhand, durch eine raffinierte Kochkunst, verdorben sind. Es ist sehr wichtig, daß wir volle Herrschaft über unsere Gaumenreize erlangen. Wer seine Geschmacksnerven beherrscht, wird auch seiner übrigen Sinne mit Leichtigkeit Herr werden. Andererseits zeigt einfaches Nachdenken, wieviel Übel und Krankheiten, Unarten der Kinder, Sünden und Verbrechen der Erwachsenen letzten Endes aus unserer abgöttischen [Seite 21] Verehrung des Gaumens entstehen. Auf keinen Fall darf der geistig Strebende der Eßleidenschaft huldigen. Das liegt ganz auf der Hand.

Aber noch ein anderes ist sehr wichtig. „Die Bahá’i-Lehre beruht auf Mäßigkeit, nicht auf Kasteiung. Sich der guten und schönen Dinge im materiellen und geistigen Leben zu erfreuen, ist nicht nur anempfohlen, sondern zur Pflicht gemacht.“ (Esslemont.) Bahá’u’lláh sagt:

„Es ist euch zur Pflicht gemacht, daß Freude und Frohsinn aus eurem Gesicht leuchte.“ „Beraubt euch dessen nicht, was für euch erschaffen wurde.“ Wir sollen und dürfen Freude haben am Essen, sollen uns auch gut ernähren, namentlich die Kinder, die doch zunehmen sollen an Kräften, um später etwas leisten zu können.

„Die goldene Regel für das Essen ist: nicht zu viel und nicht zu wenig. Mäßigung ist nötig. In Indien gibt es eine Sekte, die äußerste Enthaltsamkeit beobachtet und ihre Speise stufenweise verringert, bis sie von beinahe nichts leben. Aber ihre Intelligenz leidet darunter. Ein Mensch ist nicht fähig, Gott zu dienen mit Gehirn und Körper, wenn er durch Nahrungsmangel geschwächt ist.“ ('Abdu'l-Bahá.)

„Fasten ist ein Symbol. Fasten bezeichnet die Enthaltsamkeit von der Sinnlichkeit. Physisches Fasten ist ein Symbol dieser Enthaltung und soll uns daran erinnern; d. h. wie sich jemand von physischen Gaumenreizen enthält, so soll er sich enthalten von Selbstsucht und selbstischen Begierden. Bloße Enthaltung von Speise aber hat keinen Einfluß auf den Geist.“ (Vgl. Esslemont 5. 289 und 290.)

Auch Bahá’u’lláh gibt für die körperliche Ernährung und Pflege wichtige Winke:

„O Menschenkinder, eßt nicht, außer wenn ihr hungrig seid. Trinkt nicht, wenn ihr euch zum Schlafen zurückgezogen habt.

Körperbewegung ist gut, wenn der Magen leer ist, sie kräftigt die Muskeln. Wenn der Magen voll ist, ist sie schädlich.

Nehmt keine Nahrung zu euch, solange der Verdauungsprozeß nicht vollendet ist. Schlucket nicht, bevor die Speise nicht gründlich gekaut ist*). Behandelt die Krankheit vor allem mit Diät und enthaltet euch zuerst der Medizin. Wenn ihr das, was zur Heilung des Leidens nötig ist, in einem einzigen Kräutlein finden könnt, dann braucht keine zusammengesetzte Medizin. Hört auf, Medizin zu nehmen, wenn die Gesundheit wieder hergestellt ist, und nehmt sie nur dann, wenn sie nötig ist.

*) Hierüber sagt Gandhi in seinem „Wegweiser für die Gesundheit“: „Es ist von größter Wichtigkeit, unsere Speise gut zu kauen. Nur auf diese Weise sind wir imstande, einem Minimum von Nahrung ein Maximum von Nährstoffen zu entziehen.“ (S. 69.) Für viele Leidende ist diese Erkenntnis geradezu der Weg zur Genesung gewesen.


Wenn zwei gerade entgegengesetzte Speisen auf den Tisch kommen, dann mischt sie nicht. Gebt euch mit einer von ihnen zufrieden. Eßt erst die flüssige Speise, bevor ihr die feste zu euch nehmt. Speise zu sich nehmen, bevor das, was man vorher gegessen hat, verdaut ist, ist gefährlich.

Was schwer zu kauen ist, ist von dem Weisen zu essen verboten. Solches befiehlt euch die ‚Erhabene Feder‘.

Wenn ihr gegessen habt, dann gehet ein wenig, damit die Speise sich setze. Ein leichtes Mal am Morgen ist für den Körper Lebenskraft.

Vermeide die schädlichen Gewohnheiten, denn sie verursachen Unglückseligkeiten in der Welt. Forschet nach den Ursachen der Krankheit.“

Über die schädlichen Gewohnheiten sagt 'Abdu'l-Bahá noch näher: „O Freunde Gottes! Die Erfahrung hat gelehrt, wie sehr die Enthaltsamkeit von Tabak, Wein und Opium der Gesundheit förderlich ist, wie sie Kraft und geistigen Genuß verleiht und wie sehr durch sie die Arbeitskraft geschärft und die physische Lebenskraft gestärkt wird.“

„O Herr, gib den Bahá’i Reinheit und Heiligkeit in allen Zuständen und befreie sie von aller Verunreinigung, befreie sie von dem Gebrauch alles dessen, was verabscheuungswürdig ist. Befreie sie von den Ketten der üblen Gewohnheiten, damit sie rein und frei, reinlich und fleckenlos seien, würdige Diener an der heiligen Schwelle werden und [Seite 22] sich bemühen, in innige Verbindung mit Dir zu treten.“

„Die Worte: ‚Der, welcher etwas Verbotenes tut, wird ausgestoßen sein von der Zahl der Erwählten‘, sind anzuwenden auf die Dinge, welche durch ein absolutes Verbot untersagt und die eine ernste Sünde sind, die so gemein sind, daß schon ihre Erwähnung beschämend wirkt.” („Sonne der Wahrheit“ II S. 84.)

In den Augen Gottes gibt es keine höhere Eigenschaft als Keuschheit und Heiligkeit, bestehend in sittlich reinem Lebenswandel.

Gott will, daß reinste Liebe und Reinheit die familiäre Atmosphäre bilden.“ („Sonne der Wahrheit“ IV S. 191.)

Wir wollen, indem wir diese ernsten Worte besonders hervorheben, ganz gewiß nicht in die herkömmliche Klage über den sittlichen Tiefstand unseres Volkes und der Menschheit verfallen. Denn wir haben einen bessern Trost, nämlich den, den die Botschaft Bahá’u’lláhs gibt, Er sagt:

Wir haben die Unreinheit beseitigt und haben euch Treue auferlegt.

Nach dem Willen Gottes, durch Seine Führung und Erziehung — „Er ist ein verzehrend Feuer“ — werden diese trüben Wellen verschwinden. Das ist der Glaube der Bahá'i. Wie die Wogen des Hasses und der allgemeinen Gottentfremdung, so wird auch die Unreinheit verschwinden, und die Menschen werden sich allgemein mit heiligem Ernst um eine reine, geistige Lebensführung bemühen. Bis dahin aber ist uns jeder gute Rat von Nutzen. So sagt Gandhi in seinem „Wegweiser für die Gesundheit“:

„Es ist eine unbestreitbare Tatsache, daß Mann und Frau nur stark bleiben können, wenn sie Bramacharya (Keuschheit) üben.“ „Wir verstehen darunter, daß Mann und Frau enthaltsam sein sollen . . . die geheime Kraft, die Gott uns verliehen hat, muß in strenge Zucht gehalten und nicht bloß in körperliche, sondern in geistige und seelische Worte verwandelt werden.“

„Durch den Umgang mit dem Mann wird die Jungfrau zur Frau, und durch den Umgang der Seele mit Gott wird die Frau wieder zur Jungfrau.“ (Philo von Alexandrien.)

„Was hat der reine Jüngling, die reine Jungfrau zu tun? Sich rein zu erhalten von der Verführung und, um alle Gedanken dem Dienste Gottes und der Menschen widmen zu können, nach immer größerer und größerer Keuschheit der Gedanken und Wünsche zu streben.“ (Tolstoi.)

„Mit den wachsenden Jahren sollte unser Verstand nicht ab, sondern zunehmen. Je länger wir leben, um so besser sollten wir imstande sein. die Früchte unserer gesammelten Erfahrung den Mitmenschen mitzuteilen. Das ist bei denen der Fall, die wahre Bramacharya geübt haben. Sie haben keine Furcht vor dem Tod und vergessen Gott auch in der Stunde des Sterbens nicht, noch ergeben sie sich eitlem Gejammer. Sie scheiden vom Leben mit einem Lächeln auf den Lippen und gehen mutig dem Tage des Gerichts entgegen.“ (Gandhi.)

Von hier aus wird man ganz von selber wieder zur Veredelung der Sitten und Gewohnheiten kommen. Aber nur von hier aus. Das sei den Vertretern einseitiger Leibeskultur, namentlich den „Aufklärern“ und ihren Opfern, den „Aufgeklärten“, mit besonderer Betonung gesagt.

Im Grunde kann man die ganze Bahá’i-Lehre als einen neuen Ruf zur Reinheit und Geistigkeit im allergrößten Stil auffassen. Alles Geistige aber will sein Symbol, seinen Ausdruck, sein Körperliches. So sagt Bahá’u’lláh über die Beziehung zwischen Reinheit und Reinlichkeit:

„Seid ein Muster der Reinlichkeit unter allen Menschen. Dies ist es, was euer Herr, der Mächtige, der Weise, von euch verlangt. Auf diese Weise und als eine besondere Gabe von Ihm hat Gott die Bestimmung über die Unreinheit gewisser Dinge und Völker aufgehoben. Wahrlich, Er ist der Vergebende und der Wohltätige! Alle Dinge sind jetzt in die See der Reinheit untergetaucht . . . Solches geschah durch Meine Gunst, die alle Geschöpfe umfaßt, damit es ihnen möglich ist, mit den Angehörigen aller Religionen zu verkehren und ihnen die Botschaft von der Sache eures Herrn, des Mildtätigen, zu überbringen. Wahrlich, dies ist die Krone aller Taten. Wäret ihr nur von [Seite 23] denen, die es verstehen! Es wurde die größte Reinheit sowie die Reinigung von Staub befohlen; wie vielmehr die Reinigung von groben Unreinigkeiten und andern Dingen. Fürchtet Gott und seid von denen, die rein sind! Das Gebet dessen, der Unreinlichkeiten auf seiner Kleidung hat, wird sich nicht zu Gott erheben, und die himmlischen Heerscharen werden ihn meiden. Gebrauchet Rosenwasser und andere Blumenessenzen. Das ist es, was Gott von Ewigkeit her wohlgefiel; dies ist euch verordnet, damit das, was von eurem Herrn, dem Mächtigen, dem Weisen, gewünscht wird, von euch ausströmen möge.“ (Fazl S. 67 und 68.)

So geht der Weg von der innersten Herzens- und Menschheitskultur zur Disziplinierung und Reinhaltung des Leibes. Das ist natürliches Wachsen. Jesus sagt: „Du blinder Pharisäer, reinige zuerst das Innwendige von Becher und Schüssel, auf daß auch das Auswendige rein werde.“ (Matth. 23, 26.)

Aber das andere ist auch wichtig:

„Obschon die äußerliche Reinlichkeit nur etwas Physisches ist, hat sie doch einen großen Einfluß auf die geistige Natur... Die Tatsache, einen reinen und fleckenlosen Körper zu haben, übt einen Einfluß auf des Menschen Geist aus.“ (‘Abdu’l-Bahá.)

Dasselbe gilt von allem, was wir „Sitte“ und „Form“ nennen.

In „La Unuigite Tuthomaro” wurde seiner Zeit ein Brief eines jungen Mädchens an ihren Verlobten mitgeteilt, in dem es heißt: „Ich bin nun schon so lange bei G.s und habe sie unbeabsichtigt bis an die Grenzen aller Intimitäten beobachten können, aber nie habe ich bemerkt, daß sie sich, wie man so sagt, vor einander gehen hießen. Nie kommt es vor, daß sie z. B. im Beisein des andern laut gähnen oder sich räkeln, oder die Fingernägel reinigen oder in den Zähnen stochern oder salopp in der Kleidung und im Reden sind. Immer sind sie von der größten Artigkeit und Zuvorkommenheit gegen einander, und zwar nicht von solcher geflissentlichen Höflichkeit, wie Leute, die sich nicht leiden mögen, sie oft aufdringlich betätigen, sondern von jener feinen und warmen Art, deren Herkunft aus dem Herzen man unschwer spürt. Ich glaube, sie werden dadurch vor vielem Häßlichen und Unedlen, was man sonst so oft in Ehen wahrnehmen kann, bewahrt. Viele sagen, das sei nur etwas Äußeres, aber ist es das wirklich? Ist das letztlich Treibende dabei nicht Liebe und Bildung? — Jedenfalls ist das Ergebnis etwas wunderbar Schönes; und darum möcht ich dich herzlich bitten, du Lieber, daß es auch bei uns so bleiben möge!“

Alles Leben und alle Arbeit, insbesondere jede Erziehung, auch das Gebiet der Leibesübung und Leibespflege, soll von geistigen Prinzipien beherrscht werden. Es wird entwicklungsmäßig dahin kommen, daß überall, wo menschliche Arbeit geleistet, Ihm die Ehre gegeben wird. „Er ist der Herrlichste!“ „Er ist Gott!“

Dazu ist vielleicht das Wichtigste, daß bei aller Selbsterziehung der Einzelne sich ganz und mit einer gewissen Freudigkeit der göttlichen Erziehung anvertraut, die Er uns angedeihen läßt. Der Gehorsam gegen die Gebote des Geistes führt zu seelischer und leiblicher Gesundheit, das ist wahr. Höher noch aber steht die Wahrheit, daß Gott die Seinen durch Leiden erzieht. „Er tut, was immer Er will.“

„Je mehr ein Mensch gezüchtigt wird, desto größer ist die Ernte der geistigen Tugenden, die alsdann bei ihm zum Vorschein kommen.“ (‘Abdu’l-Bahá.)

Bei etwas „Übung“ kann und muß man dahin kommen, daß ganz bestimmte Leiden, von denen wir wissen, daß sie inneren Fortschritt brachten, uns lieber sind als sogenannte Freuden, die uns herabziehen. Leidensscheu darf jedenfalls ein geistiger Mensch nicht sein. Man kann eine gewisse Freude an der inneren Reinigung und Läuterung empfinden, die man durch das Leid erfährt. Es bereitet Schmerzen, aber doch ist so ein Gefühl der „Süßigkeit” mit dabei, das unendlich wohltuend ist. Wie schön ist in allen Einzelheiten Seine Führung!

Wer auch für das Leid dankbar sein kann, der ist sicher auf dem Wege des Fortschritts. Das bezeugen alle heiligen Schriften.

Wir können heute wieder die Worte des Paulus über den „Pfahl im Fleisch“ in ihrem ganzen Umfange selbst erfahren. (2. Kor. 12, 7—10.) Hilty sagt dazu in seinem Buch „für [Seite 24] schlaflose Nächte“: „Es ist der beste augenblickliche Trost in solchen Momenten, mit dem Apostel sich bewußt zu bleiben, daß diese Schwachheit auch eine Stärke sein kann, wenn sie nämlich die menschliche Empfänglichkeit und Willigkeit für die göttlichen Gebote vermehrt, und daß die Allergrößten unseres Geschlechts sie empfunden haben. Sie gehört mit in den Erziehungsplan jedes geistig hochstehenden Menschen.“ (S. 250 und 51.)

„O mein Gott! O mein Gott! Schmücke die Häupter Deiner Erwählten mit dem Diadem der Trennung vom Irdischen und ihre Tempel mit dem Gewand der Frömmigkeit.“

(Bahá’u’lláh.)



Chinesische Kultur und die Bahá’i-Bewegung[Bearbeiten]

Von Martha L. Root

Aus dem Englischen übersetzt von der Bahá’i-Arbeitsgemeinschaft in Schwerin (Mecklenburg)


Die Bahá’i-Bewegung ist im Begriff, eine Neuorientierung nach China, dieser großen Nation von fünfhundert Millionen Seelen, zu bringen. Was China späterhin unternehmen wird, kann eine Rückwirkung auf jedes Land der Erde haben. Wenn China zu einer militärischen Nation werden sollte, wer kann da sagen, ob es mit dem einen Viertel der Bevölkerung des Erdballes, mit dem dies Reich in Verbindung steht, nicht den Ausschlag geben könnte, sich an die Spitze aller Zivilisation zu stellen. Wenn aber China stark für Bahá’u’lláhs universale Prinzipien eintritt, könnte es die Welt in einem oder zwei Jahrhunderten zu einer neuen Auffassung internationalen Zusammenwirkens bringen. Dr. Sun Yat-sen, der „George Washington“ Chinas, der hochgeachtete Begründer der neuen Republik, nahm mit Interesse die Bahá’i-Lehren auf, als ich ihm in Kanton im Jahre 1924 begegnete. Er bat darum, daß ihm Bahá’i-Bücher gesandt würden. Er war ein großer Idealist. Sein Programm war mehr auf Zusammenarbeit als auf Wettbewerb gegründet, und sein wirkliches Ziel war universaler Friede.

Als ich Kanton im September 1950, fünf Jahre nach dem Hinscheiden dieses großen Mannes, wieder aufsuchte, hatte ich die Ehre, mit Seiner Exzellenz Chen Ming-Shee, dem Gouverneur der Kwangtunger Provinz, zusammenzutreffen. Er war früher einer der bedeutendsten Generale Chinas. Er war an der Front und sah dem Tode oft ins Angesicht. Er ist ein geistreicher Mann mit großem Weitblick. Er sagte: „Ich wußte von dieser Bahá'i-Bewegung wenig, bis Sie mir vor zwei Tagen ein Büchlein sandten, und als ich dieses las, kam ich zur Überzeugung, daß Bahá’u’lláh ein Prophet ist, und China bedarf in diesen Tagen eines Propheten. Solche Lehren könnten, von vornherein gesagt, für China und für jedes andere Land eine große Wohltat sein. Keine Nation ist befähigter, diese Lehren durchzuführen, als eben China, denn die Grundlage der chinesischen Zivilisation ist universaler Friede. Eben jetzt gehen wir durch große Unruhen, aber wenn Chinas Ruhe wiederhergestellt ist, und wir uns mit anderen Nationen auf einer gleichen Stufe befinden, wird China seinen Platz bei allen internationalen Beratungen einnehmen.“

Gouverneur Chen Ming-Shee besucht, obgleich er ein sehr beschäftigter Mann ist, die Hochschulen und spricht zuweilen zu den Studenten, ebenso wie es der verstorbene Dr. Sun Yat-sen tat. Gouverneur Chen weiß, welche Anstalten die fortschrittlichsten sind, welche Lehrer den größten Weitblick haben, und keiner vertritt den Gedanken mehr als er, daß nicht die Gewalt China den Frieden bringen kann. Die geistige Idee allein kann auf die Dauer siegreich sein.

(Schluß folgt.)



In der Sonne der Wahrheit finden nur solche Manuskripte Veröffentlichung, bezüglich deren Weiterverbreitung keine Vorbehalte gemacht werden. — Anfragen, schriftliche Beiträge und alle die Schriftleitung betreffenden Zuschriften beliebe man an die Schriftleitung: Stuttgart, Alexanderstr. 3 zu senden. — Bestellungen von Abonnements, Büchern und Broschüren sowie Geldsendungen sind an das Bahá’i-Bureau Stuttgart, Alexanderstr. 3, Nebengebäude, zu richten.


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Geschichte und Bedeutung der Bahá’i-Lehre[Bearbeiten]

Die Bahá’i-Bewegung tritt vor allem ein für die „Universale Religion" und den „Universalen Frieden“ — die Hoffnung aller Zeitalter. Sie zeigt den Weg und die Mittel, die zur Einigung der Menschheit unter dem hohen Banner der Liebe, Wahrheit, Gerechtigkeit und Barmherzigkeit führen. Sie ist göttlich ihrem Ursprung nach, menschlich in ihrer Darstellung, praktisch für jede Lebenslage. In Glaubenssachen gilt bei ihr nichts als die Wahrheit, in den Handlungen nichts als das Gute, in ihren Beziehungen zu den Menschen nichts als liebevoller Dienst.

Zur Aufklärung für diejenigen, die noch wenig oder nichts von der Bahá’i-Bewegung wissen, führen wir hier Folgendes an: „Die Bahá’i-Religion ging aus dem Babismus hervor. Sie ist die Religion der Nachfolger Bahá’u’lláhs. Mirza Hussein Ali Nuri (welches sein eigentlicher Name war) wurde im Jahre 1817 in Teheran (Persien) geboren. Vom Jahr 1844 an war er einer der angesehensten Anhänger des Bab und widmete sich der Verbreitung seiner Lehren in Persien. Nach dem Märtyrertod des Bab wurde er mit den Hauptanhängern desselben von der türkischen Regierung nach Bagdad und später nach Konstantinopel und Adrianopel verbannt. In Bagdad verkündete er seine göttliche Sendung (als „Der, den Gott offenbaren werde") und erklärte, daß er der sei, den der Bab in seinen Schriften als die „Große Manifestation", die in den letzten Tagen kommen werde, angekündigt und verheißen hatte. In seinen Briefen an die Regenten der bedeutendsten Staaten Europas forderte er diese auf, sie möchten ihm bei der Hochhaltung der Religion und bei der Einführung des universalen Friedens beistehen. Nach dem öffentlichen Hervortreten Bahá’u’lláhs wurden seine Anhänger, die ihn als den Verheißenen anerkannten, Bahá’i (Kinder des Lichts) genannt. Im Jahr 1868 wurde Bahá’u’lláh vom Sultan der Türkei nach Akka in Syrien verbannt, wo er den größten Teil seiner lehrreichen Werke verfaßte und wo er am 28. Mai 1892 starb. Zuvor übertrug er seinem Sohn Abbas Effendi ('Abdu'l-Bahá) die Verbreitung seiner Lehre und bestimmte ihn zum Mittelpunkt und Lehrer für alle Bahá’i der Welt.

Es gibt nicht nur in den mohammedanischen Ländern Bahá’i, sondern auch in allen Ländern Europas, sowie in Amerika, Japan, Indien, China usw. Dies kommt daher, daß Bahá’u’lláh den Babismus, der mehr nationale Bedeutung hatte, in eine universale Religion umwandelte, die als die Erfüllung und Vollendung aller bisherigen Religionen gelten kann. Die Juden erwarten den Messias, die Christen das Wiederkommen Christi, die Mohammedaner den Mahdi, die Buddhisten den fünften Buddha, die Zoroastrier den Schah Bahram, die Hindus die Wiederverkörperung Krischnas und die Atheisten — eine bessere soziale Organisation.

In Bahá’u’lláh sind alle diese Erwartungen erfüllt. Seine Lehre beseitigt alle Eifersucht und Feindseligkeit, die zwischen den verschiedenen Religionen besteht; sie befreit die Religionen von ihren Verfälschungen, die im Lauf der Zeit durch Einführung von Dogmen und Riten entstanden und bringt sie alle durch Wiederherstellung ihrer ursprünglichen Reinheit in Einklang. Das einzige Dogma der Lehre ist der Glaube an den einigen Gott und an seine Manifestationen (Zoroaster, Buddha, Mose, Jesus, Mohammed, Bahá’u’lláh).

Die Hauptschriften Bahá’u’lláhs sind der Kitab el Iqhan (Buch der Gewißheit), der Kitab el Akdas (Buch der Gesetze), der Kitab el Ahd (Buch des Bundes) und zahlreiche Sendschreiben, genannt „Tablets“, die er an die wichtigsten Herrscher oder an Privatpersonen richtete. Rituale haben keinen Platz in dieser Religion; letztere muß vielmehr in allen Handlungen des Lebens zum Ausdruck kommen und in wahrer Gottes- und Nächstenliebe gipfeln. Jedermann muß einen Beruf haben und ihn ausüben. Gute Erziehung der Kinder ist zur Pflicht gemacht und geregelt.

Streitfragen, welche nicht anders beigelegt werden können, sind der Entscheidung des Zivilgesetzes jeden Landes und dem Bait’ul’Adl oder „Haus der Gerechtigkeit“, das durch Bahá’u’lláh eingesetzt wurde, unterworfen. Achtung gegenüber jeder Regierungs- und Staatseinrichtung ist als einem Teil der Achtung, die wir Gott schulden, gefordert. Um die Kriege aus der Welt zu schaffen, ist ein internationaler Schiedsgerichtshof zu errichten. Auch soll neben der Muttersprache eine universale Einheits-Sprache eingeführt werden. „Ihr seid alle die Blätter eines Baumes und die Tropfen eines Meeres“ sagt Bahá’u’lláh.

Es ist also weniger die Einführung einer neuen Religion, als die Erneuerung und Vereinigung aller Religionen, was heute von 'Abdu'l-Bahá erstrebt wird. (Vgl. Nouveau, Larousse, illustré supplement, Seite 66.)


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Verlag des Deutschen Bahá’i-Bundes G.m.b.H., Stuttgart

Fernsprecher Nr. 26168 — — Postscheckkonto 25419 Stuttgart — — Alexanderstr. 3, Nebengebäude

In unserem Verlag sind erschienen:


Bücher:

Verborgene Worte von Bahá’u’lláh. Deutsch von A. Schwarz und W. Herrigel, 1924 1.--

Bahá’u’lláh, Frohe Botschaften, Worte des Paradieses, Tablet Tarasat, Tablet Taschalliat, Tablet Ischrakat. Deutsch von Wilhelm Herrigel, 1921, in Halbleinen gebunden . . . 2.50

in feinstem Ganzleinen gebunden . . . . . 3.--

'Abdu'l-Bahá Abbas, Ansprachen über die Bahá’i-Lehre. Deutsch von W. Herrigel, 1921, in Halbleinen gebunden . . . . . 3.00

in festem Ganzleinen gebunden . . . . . 3.50

Geschichte und Wahrheitsbeweise der Bahá’i-Religion, von Mirza Abul Fazl. Deutsch von W. Herrigel, 1919, in Halbleinen geb. . . . . 4.50

In Ganzleinen gebunden . . . . 5.--

'Abdu'l-Bahá Abbas’ Leben und Lehren, von Myron H. Phelps. Deutsch von Wilhelm Herrigel, 1922, in Ganzleinen gebunden . . . . 4.--

Die Bahá’i-Offenbarung, ein Lehrbuch von Thornton Chase, deutsch von W. Herrigel, 1925, kartoniert M. 4.--, in Halbleinen gebunden . . . . 4.60

Bahá’u’lláh und das neue Zeitalter, ein Lehrbuch von Dr. J. E. Esslemont, deutsch von W. Herrigel und H. Küstner. 1927. In Ganzleinen gebunden . . . . . 4.50

Beantwortete Fragen 'Abdu'l-Bahá Abbas', gesammelt und in englischer Sprache herausgegeben von L. Clifford Barney, deutsche Übersetzung von W. Herrigel, 1929 . . . . . 5.--


Broschüren:

Bahá’i-Perlen, Deutsch von Wilhelm Herrigel, 1922 . . . . -.20

Ehe Abraham war, war Ich, v. Thornton Chase. Deutsch v. W.Herrigel, 1911 . . . . -.20

Die Universale Weltreligion, Ein Blick in die Bahai-Lehre von A. T. Schwarz, 1919. . . . -.50

Die Offenbarung Bahá’u’lláhs, von J.D. Brittingham. Deutsch von Wilhelm Herrigel, 1910 . . . -.50

Einheitsreligion. Ihre Wirkung auf Staat, Erziehung, Sozialpolitik, Frauenrechte und die einzelne Persönlichkeit, von Dr. jur. H. Dreyfus, Deutsch von Wilhelm Herrigel. 2. Auflage 1920 . . . -.50

Die Bahá’i-Bewegung im allgemeinen und ihre großen Wirkungen in Indien, nach Berichten eines Amerikaners zusammengestellt und mit Vorwort versehen von Wilhelm Herrigel, Stuttgart 1922 . . . . -.50

Eine Botschaft an die Juden, von Abdul Baha Abbas. Deutsch v. W. Herrigel, 1912 . . . -.20


Das Hinscheiden 'Abdu'l-Bahás, ("The Passing of 'Abdu'l-Bahá") Deutsch von Alice T. Schwarz, 1922 . . . -.50

Das neue Zeitalter von Ch. M. Remey. Deutsch von Wilhelm Herrigel, 1923 . . . . —.50

Die soziale Frage und ihre Lösung im Sinne der Bahá’i-Lehre von Dr. Hermann Grossmann, Hamburg 1923 . . . . —.20

Religiöse Lichtblicke, Einige Erläuterungen zur Bahá’i-Botschaft, aus dem Französ. übersetzt von Albert Renftle, 2. erweiterte Auflage, 1928 . . . . --.30

Die Bahá’i-Bewegung, Geschichte, Lehren und Bedeutung. von Dr. Hermann Großmann-Wandsbek . . . . . --.20

Sonne der Wahrheit, Jahrgang 3 - 8 in Halbleinen gebunden je . . . . 9.--

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