Sonne der Wahrheit/Jahrgang 11/Heft 1/Text

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SONNE

DER

WAHRHEIT
 
ORGAN DER DEUTSCHEN BAHAI
 
HEFT 1 11. JAHRGANG MÄRZ 1931
 


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Abdu’l-Bahás Erläuterung der Bahá’i-Prinzipien[Bearbeiten]

1. Die ganze Menschheit muss als Einheit betrachtet werden.


Bahá’u’lláh wandte Sich an die gesamte Menschheit mit den Worten: „Ihr seid alle die Blätter eines Zweigs und die Früchte eines Baumes“. Das heißt: die Menschheit gleicht einem Baum und die Nationen oder Völker gleichen den verschiedenen Aesten und Zweigen; die einzelnen Menschen aber gleichen den Blüten und Früchten dieses Baumes. In dieser Weise stellte Bahá’u’lláh das Prinzip der Einheit der Menschheit dar. Bahá’u’lláh verkündigte die Einheit der ganzen Menschheit, er versenkte sie alle im Meer der göttlichen Gnade.


2. Alle Menschen sollen die Wahrheit selbständig erforschen.

In religiösen Fragen sollte niemand blindlings seinen Eltern und Voreltern folgen. Jeder muß mit eigenen Augen sehen, mit eigenen Ohren hören und die Wahrheit suchen, denn die Religionen sind häufig nichts anderes als Nachahmungen des von den Eltern und Voreltern übernommenen Glaubens.


3. Alle Religionen haben eine gemeinsame Grundlage.

Alle göttlichen Verordnungen beruhen auf ein und derselben Wirklichkeit. Diese Grundlage ist die Wahrheit und bildet eine Einheit, nicht eine Mehrheit. Daher beruhen alle Religionen auf einer einheitlichen Grundlage. Im Laufe der Zeit sind gewisse Formen und Zeremonien der Religion beigefügt worden. Dieses bigotte menschliche Beiwerk ist unwesentlich und nebensächlich und verursacht die Abweichungen und Streitigkeiten unter den Religionen. Wenn wir aber diese äußere Form beiseite legen und die Wirklichkeit suchen, so zeigt sich, daß es nur eine göttliche Religion gibt.


4. Die Religion muss die Ursache der Einigkeit und Eintracht unter den Menschen sein.

Die Religion ist für die Menschheit die größte göttliche Gabe, die Ursache des wahren Lebens und hohen sittlichen Wertes; sie führt den Menschen zum ewigen Leben. Die Religion sollte weder Haß und Feindschaft noch Tyrannei und Ungerechtigkeiten verursachen. Gegenüber einer Religion, die zu Mißhelligkeit und Zwietracht, zu Spaltungen und Streitigkeiten führt, wäre Religionslosigkeit vorzuziehen. Die religiösen Lehren sind für die Seele das, was die Arznei für den Kranken ist. Wenn aber ein Heilmittel die Krankheit verschlimmert, so ist es besser, es nicht anzuwenden.


5. Die Religion muss mit Wissenschaft und Vernunft übereinstimmen.

Die Religion muß mit der Wissenschaft übereinstimmen und der Vernunft entsprechen, so daß die Wissenschaft die Religion, die Religion die Wissenschaft stützt. Diese beiden müssen unauflöslich miteinander verbunden sein.


6. Mann und Frau haben gleiche Rechte.

Dies ist eine besondere Lehre Bahá’u’lláhs, denn die früheren Religionen stellen die Männer über die Frauen. Töchter und Söhne müssen gleichwertige Erziehung und Bildung genießen. Dies wird viel zum Fortschritt und zur Einigung der Menschheit beitragen.


7. Vorurteile jeglicher Art müssen abgelegt werden.

Alle Propheten Gottes kamen, um die Menschen zu einigen, nicht um sie zu trennen. Sie kamen, um das Gesetz der Liebe zu verwirklichen, nicht um Feindschaft unter sie zu bringen. Daher müssen alle Vorurteile rassischer, völkischer, politischer oder religiöser Art abgelegt werden. Wir müssen zur Ursache der Einigung der ganzen Menschheit werden.


8. Der Weltfriede muss verwirklicht werden.

Alle Menschen und Nationen sollen sich bemühen, Frieden unter sich zu schließen. Sie sollen darnach streben, daß der universale Friede zwischen allen Regierungen, Religionen, Rassen und zwischen den Bewohnern der ganzen Welt verwirklicht wird. Die Errichtung des Weltfriedens ist heutzutage die wichtigste Angelegenheit. Die Verwirklichung dieses Prinzips ist eine schreiende Notwendigkeit unserer Zeit.


9. Beide Geschlechter sollen die beste geistige und sittliche Bildung und Erziehung geniessen.

Alle Menschen müssen erzogen und belehrt werden. Eine Forderung der Religion ist, daß jedermann erzogen werde und daß er die Möglichkeit habe, Wissen und Kenntnisse zu erwerben. Die Erziehung jedes Kindes ist unerläßliche Pflicht. Für Elternlose und Unbemittelte hat die Gemeinde zu sorgen.


10. Die soziale Frage muss gelöst werden.

Keiner der früheren Religionsstifter hat die soziale Frage in so umfassender, vergeistigter Weise gelöst wie Bahá’u’lláh. Er hat Anordnungen getroffen, welche die Wohlfahrt und das Glück der ganzen Menschheit sichern. Wenn sich der Reiche eines schönen, sorglosen Lebens erfreut, so hat auch der Arme ein Anrecht auf ein trautes Heim und ein sorgenfreies Dasein. Solange die bisherigen Verhältnisse dauern, wird kein wahrhaft glücklicher Zustand für den Menschen erreicht werden. Vor Gott sind alle Menschen gleich berechtigt, vor Ihm gibt es kein Ansehen der Person; alle stehen im Schutze seiner Gerechtigkeit.


11. Es muss eine Einheitssprache und Einheitsschrift eingeführt werden.

Bahá’u’lláh befahl die Einführung einer Welteinheitssprache. Es muß aus allen Ländern ein Ausschuß zusammentreten, der zur Erleichterung des internationalen Verkehrs entweder eine schon bestehende Sprache zur Weltsprache erklären oder eine neue Sprache als Weltsprache schaffen soll; diese Sprache muß in allen Schulen und Hochschulen der Welt gelehrt werden, damit dann niemand mehr nötig hat, außer dieser Sprache und seiner Muttersprache eine weitere zu erlernen.


12. Es muss ein Weltschiedsgerichtshof eingesetzt werden.

Nach dem Gebot Gottes soll durch das ernstliche Bestreben aller Menschen ein Weltschiedsgerichtshof geschaffen werden, der die Streitigkeiten aller Nationen schlichten soll und dessen Entscheidung sich jedermann unterzuordnen hat.

Vor mehr als 50 Jahren befahl Bahá’u’lláh der Menschheit, den Weltfrieden aufzurichten und rief alle Nationen zum „internationalen Ausgleich“, damit alle Grenzfragen sowie die Fragen nationaler Ehre, nationalen Eigentums und aller internationalen Lebensinteressen durch ein schiedsrichterliches „Haus der Gerechtigkeit" entschieden werden können.

Bahá’u’lláh verkündigte diese Prinzipien allen Herrschern der Welt. Sie sind der Geist und das Licht dieses Zeitalters. Von ihrer Verwirklichung hängt das Wohlergehen für unsere Zeit und das der gesamten Menschheit ab.



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SONNE DER WAHRHEIT
Organ der deutschen Bahá’i
Verantwortliche Schriftleitung: Alice Schwarz-Solivo, Stuttgart, Alexanderstraße 3
Preis vierteljährlich 1.80 Goldmark, im Ausland 2.– Goldmark
Heft 1 Stuttgart, im März 1931
Bahá — Herrlichkeit 88
11. Jahrgang

Motto: Einheit der Menschheit — Universaler Friede — Universale Religion


Inhalt: Neujahr. — März. — Das Heilige Buch der Gewißheit. — Gebet um den Weltfrieden. — ’Abdu’l-Bahá’s Gebet für den Größten Frieden. — Aus dem Schatz der Erinnerungen an Abbas Effendi, ’Abdu’l-Bahá. Haifa 1910. — Der Leib als Tempel des Geistes.


Verbrüderung[Bearbeiten]

Der Herr der Menschheit hat bestimmt, daß Seine heilige göttliche Manifestation in der Welt erscheine. Er hat Seine heiligen Bücher geoffenbart, um geistige Bruderschaft heraufzuführen, und hat durch die Macht des Heiligen Geistes diese anwendbar gemacht, damit vollkommene Verbrüderung unter der Menschheit verwirklicht werde. Und wenn durch den Hauch des Heiligen Geistes diese vollkommene Verbrüderung und Einvernehmen unter den Menschen aufgerichtet ist, so wird aus dieser Bruderschaft und Liebe, die geistigen Charakter tragen, aus dieser Güte, die himmlischer Art ist, und aus diesen zwingenden Bindungen göttlicher Natur eine Einheit hervorgehen, die unlöslich, unveränderlich und unwandelbar ist. Es ist stets dasselbe und wird dasselbe bleiben. Ohne diesen Einfluß und diese Gesinnung ist es unmöglich. Wir können gewisse Grade der Verbrüderung, durch andere Motive verursacht, feststellen, diese aber sind begrenzte Verbindungen und dem Wechsel unterworfen. Wenn die menschliche Bruderschaft aber durch den Heiligen Geist gegründet ist, so ist sie ewig, unabänderlich und unbegrenzt.

'Abdu'l-Bahá


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Neujahr[Bearbeiten]

Mit Frühlingsanfang beginnt auch ein neues Bahá’i-Jahr, das in 19 Monate zu 19 Tagen eingeteilt ist. Dem Frühlingsanfang geht eine Fastenzeit vom 2.—21. März voraus, ein Gesetz der Hygiene, das Bahá’u’lláh mit nur wenigen Einschränkungen jedem Erwachsenen empfiehlt,

Es handelt sich hierbei nicht lediglich um nur körperliches Fasten, sondern um Vertiefung und Heiligung der Seele, was eine große geistige Aufnahmefähigkeit und Bereicherung zur Folge hat. Bahá’u’lláh ging Seiner Zeit weit voraus, denn heutigen Tages wird von seiten vieler Mediziner eine Fastenkur im Frühjahr als besonders wichtig erachtet.

Für die Bahá’i-Welt wird die Aufgabe immer größer, bei der immer mehr verflachenden allgemeinen Weltanschauung und der Ablehnung der göttlichen Wirklichkeit, das Licht der Wahrheit in die Herzen der Menschen zu tragen. Eine Einkehr und Umkehr muß sich vollziehen, soll nicht Mensch gegen Mensch wieder in Konflikt geraten und unabsehbares Elend daraus entstehen. Unsere unablässige Bitte zu Gott sei, daß Er uns in Berührung mit Menschen bringe, die bereit sind, ihr Herz zu öffnen, um dem großen Gedanken Bahá’u’lláhs nach Begabung und Fähigkeit zu dienen. Von unserer Treue und . unserem unablässigen Bemühen ist vieles abhängig, nicht zuletzt von den Gedanken, die wir aussenden, und der Kraft unseres Gebetes. Wer die Schicksalswege mit geistigem Blick zu durchdringen vermag, sieht und erlebt in allem Geschehen, und sei es noch so schwer und vielleicht anfänglich unbegreiflich, die gnädige, göttliche, führende Liebe zu Läuterung, Vertiefung, Festigung. Ein Jahr, wie lang oder wie kurz es uns erscheinen mag, verpflichtet uns zu einer Prüfung des Erfüllten und Versäumten. Möge die Wagschale sich nach ersterer Seite senken.

A. Sch.



März[Bearbeiten]

Von Paul Häcker


Ein duftumfang’nes Ätherzelt

Von zartem Blau durchdrungen,

Darüber hat die Frühlingswelt

Ihr erstes Lied gesungen.


Und leise wie auf Engelsschwingen

Klingt selig aus dem Äthermeer

Mit einem süßen Harfenklingen

Des Lenzes wunderfeine Mär.



Das Heilige Buch der Gewißheit[Bearbeiten]

(Fortsetzung)

(Kitab-El-Iqan aus der Feder von Bahá’u’lláh)

Aus dem Französischen ins Deutsche übersetzt von Dr. A. Mühlschlegel, Stuttgart


Eines Tages, als ich mit einem Freund mich unterhielt, kam das Gespräch auch auf die Zeichen der letzten Tage, auf die Wiederauferstehung, die Versammlung und das Gericht. Er frug mich hartnäckig, wie es geschehe, daß mit dieser neuen Manifestation der Tag des Gerichtes angebrochen sei, ohne daß auch nur einer dessen gewahr geworden. Als ich ihm seiner geistigen Fähigkeit entsprechend erklärt hatte, was Wissen und Weisheit ist, frug ich ihn: „Hast du nie den Koran gelesen und hast du da nie die Verse gefunden: ‚An jenem Tage wird man die Menschen und die Geister nicht mehr wegen ihrer Sünden verhören.‘ (Kor. LV, 39.) Und hast du nicht erfaßt, daß dies heißt: Gott wird keine Frage stellen und man wird Ihm nicht zu antworten brauchen.“ — Nach diesem Vers spricht Gott: „Die Verbrecher werden an ihren Malzeichen erkannt werden: man [Seite 3] wird sie an den Haaren ergreifen und an den Füßen.“ (Kor. X, 26.) Das heißt: Die Menschen werden durch ihr Verhalten gerichtet und ihr Glauben oder ihr Ungehorsam wird also bekannt. Auch heute kennt man an ihren Malzeichen die Guten und die Schlechten. Und würden die Menschen aufrichtig sich nach Gottes Wohlgefallen sehnen und aufmerksam die Schriften lesen, sie würden dort alles finden, was sie suchen und sie würden alle Fragen, allgemeine oder besondere, die sich auf diese Manifestation beziehen, der Schleier entkleidet sehen. Selbst die Vertreibung der Gottgesandten in die Verbannung, die Empörung der Völker und Könige, der Aufenthalt der Gottgesandten in gewissen Ländern, all das steht in den Büchern geschrieben. Aber nur, wer Verständnis besitzt, vermag es dort zu finden.

Wir wollen diese Zeilen damit schließen, daß wir von dem sprechen, was einstmals Muhammed begegnet, und durch diese Gärten voll Moschusdüfte führe ich dich nach den hehren Gärten des Lichtes: „Gott ruft zum Wohnsitz des Friedens und leitet, wen Er will, auf den rechten Pfad.“ (Kor. X, 26.) „Ein Wohnsitz des Friedens ist ihnen vorbehalten bei Gott. Er wird ihr Beschützer sein als Lohn für ihre Werke“ (Kor. VI, 127.) Möge die göttliche Güte alle Geschöpfe erreichen! Lob sei Gott, dem Herrn des Weltalls!

Wir haben also geredet, daß jeder, groß oder klein, nach seiner Fassungskraft seinen Teil daran haben und eine Erklärung finden könne, die er anderswo nicht erfaßt hat, „auf daß jeder Volksstamm den Ort fände, wo er seinen Durst stillen kann“. (Kor. II, 57.) Bei Gott, wir könnten auch viele andere Erklärungen geben und viele andere Sinnbilder, deren kleinste Einzelheit noch viel erhabener ist denn alles, was jemals aus unserer Feder kam! Aber wir behalten es zurück bis zu der Zeit, da der göttliche Wille die geistigen Bräute aus den ewigen Palästen hervorgehen und sie entschleiert die Erde des Daseins betreten läßt! Denn alles hängt von Seiner Erlaubnis ab, alles ist Seiner Macht unterworfen, und es gibt keinen anderen Gott außer Ihm; die Geschöpfe und Ursachen sind Sein und auf Seinen Befehl enthüllt alles Ding die Geheimnisse des Geistes.

Wir haben früher gesehen, daß es zwei verschiedene Arten gibt, die Sonnen zu betrachten, die sich an den göttlichen Horizonten erheben: die eine, haben wir gesagt, ist die, in ihnen die Einheit ohne gleichen zu sehen. „Wir machen keinen Unterschied zwischen den Propheten Gottes! (Kor. II, 285.)“ Die andere betrifft gerade dem entgegen ihre Verschiedenheit. In diesem Fall betrachten wir die Propheten als begrenzte Geschöpfe, eingekerkert in die Schranken der Menschlichkeit. Eine jede Manifestation ist in einen Menschen einverleibt, hat eine besondere Sendung, ist in ihrem Erscheinen vorherbestimmt und hat feste Grenzen. So trägt jede einen Namen, der sie und ihre wunderbare Sache kennzeichnet, wie auch die neuen Gesetze, die sie vertritt. „Wir erhoben von den Propheten die einen über die anderen. Die erhabensten sind die, zu denen Gott geredet hat. Wir haben Jesus gesandt, den Sohn Marias, begleitet von offenbaren Zeichen und haben Ihn gestärkt durch den Heiligen Geist. (Kor. Il, 354.)“

Je nach ihren verschiedenen Graden von Geistigkeit sind die Worte, die aus diesen Quellen göttlichen Wissens strömen, mehr oder weniger erhaben. Nur wer die Geheimnisse göttlicher Rätsel kennt, begreift, daß alle diese Manifestationen einen einzigen Ursprung haben. Aber die meisten Menschen, die nur auf die Verschiedenheit der Worte dieser Wesen der Einheit achten, gehen des Friedens und der Ruhe verlustig. Wir wissen zwar, daß der Unterschied ihrer Worte von dem Unterschied ihrer Erhabenheit herrührt, doch in der Einheit und in den Höhen des Wesenhaften nennen sich diese Perlen des Daseins Autorität, Göttlichkeit, Einheit und Gleichheit ohne Unterschied. Denn sie alle thronen auf dem Herrscherstuhle göttlicher Offenbarung und sie alle weilen in den göttlichen Höhen des Unsichtbaren. Das heißt: Gott erscheint durch sie. Seine Schönheit strahlt in ihrer Schönheit, wie es ja diese Wesen der Einheit so manches Mal verkündet haben.

[Seite 4] Im Hinblick auf ihre Verschiedenheit, ihr Begrenztsein, ihre Menschwerdung legen die Gottgesandten Zeugnis ab von einer Ergebenheit, einer Entsagung, einem Verzichten ohnegleichen, wie auch Muhammed sagt: „Ich bin der Diener Gottes und bin nur Mensch wie ihr.“

Das ist die Antwort auf eure Fragen, und ich wünsche, ihr werdet so gefestigt in der Religion Gottes, daß ihr euch nicht verwirren lasset durch die Verschiedenheit, die ihr in den Worten der Propheten und der Auserwählten finden werdet. Wenn eine der allumfassenden Manifestationen spricht: „Ich bin Gott“, so ist dies richtig. Denn wir haben wiederholt klargelegt, daß mit ihrem Erscheinen die Namen und Eigenschaften Gottes auf Erden sichtbar werden.

So ist gesagt: „Wenn du einen Federstrich tust, so bist nicht du es, der dies tut, sondern Gott.“ (Kor. VIII, 17.) Und ebenso: „Wer dir die Hand gibt und den Eid der Treue schwört, der schwört ihn Gott. Gottes Hand ist auf seine Hände gelegt.“ (Kor. XLVIII, 10.)

Wenn dagegen der Gottgesandte spricht: „Ich bin der Prophet Gottes“, so ist dies ebenfalls richtig und außer allem Zweifel: „Muhammed ist nicht der Vater irgend eines Menschen unter euch, er ist der Prophet Gottes.“ (Kor. XXXIII, 40.) Alle diese Gottgesandten kommen aus der Gegenwart des Königs der Wirklichkeit und der ewigen Wesenseinheit.

Selbst wenn ein jeder sprechen würde: „Ich bin das Siegel der Propheten“, so wäre dies ebenfalls unanfechtbar, denn sie alle sind einander wesenseins, sie haben nur eine Seele, einen Geist, einen Körper, eine Ursache, und sie sind alle das Erscheinen des Anfangs und des Endes, des A und des O, des Sichtbaren und des Unsichtbaren, des Geistes aller Geister und des Wesens der ewigen Wesen.

Wenn der Prophet dagegen spricht: „Ich bin der Diener Gottes“, so ist dies nicht weniger richtig. Denn äußerlich betrachtet erscheint er im höchsten Grad des Dienstes. Niemand vermag so demütig zu sein wie diese Perlen des Daseins, in die Meere ewiger Heiligkeit versenkt, aus geistigem Wesen des Königs der Wahrheit gebildet. Ein jedes ihrer Worte ist ein Wort der höchsten Autorität.

Mit ein wenig Aufmerksamkeit werdet ihr verstehen, daß dem unumschränkten Sein gegenüber die Manifestationen Gottes gleichsam auf der letzten Stufe der Sterblichkeit und Nichtigkeit stehen, so sehr, daß sie sich fast als nicht bestehend ansehen. Gehen sie doch selbst soweit, die bloße Erwähnung ihres eigenen Namens vor Gott als eine Tat des Unglaubens zu betrachten; denn dieses hieße, sich als bestehend ansehen und eine schwere Sünde begehen. Wenn so ihr Zustand ist, wie anders müßte alsdann der von Menschen sein, deren Herz, Seele und Geist allein von irdischen Dingen erfüllt sind, deren Augen andere Schönheiten sehen, deren Ohren andere Gesänge hören als die göttliche Schönheit und die göttlichen Gesänge, und deren Füße auf anderen Pfaden wandeln als auf denen Gottes!

In diesen Tagen haben die göttlichen Winde geweht und der Geist Gottes umhüllt die Welt: Da hält die Feder inne, da verstummt das Wort.

Solcherart haben die Propheten uns ihre Würde geoffenbart, als sie unter uns erschienen, und ihre Worte sind jedesmal der Ausfluß ihrer Sendung gewesen, aus der Welt des Gebotes in die Welt der Schöpfung.

Wenn sie Worte der Göttlichkeit, der Autorität, der Prophetik, der Gottgesandten, der Apostel, des Meisters, des Beschützers und des Dieners verkünden, so hat man ihnen zu glauben und ihre Worte nicht in Zweifel zu ziehen. Gehe all diesen Folgerungen nach und lasse dich nicht von der Verschiedenheit der Worte, deren sich die Manifestationen der Unsichtbaren Heiligkeit bedient haben, verwirren. Du mußt die Worte der Sonnen der Wirklichkeit erfassen können, wo nicht, da mußt du jene fragen, welche die Schatzkammern des Wissens besitzen und deren Pflicht es ist, Schwierigkeiten zu lösen; aber wolle nicht selbst Fragen lösen, die zu erfassen du unfähig bist. Wenn dann seine Erklärung deine Gedanken nicht befriedigt, darfst du nicht einfach dich damit begnügen, zu verneinen und zu widersprechen. Dies tun alle Priester und Gelehrten von heute, die auf den Lehrstühlen [Seite 5] des Wissens und des Verstandes sitzen, die aber im Grunde nur Toren und Bösewichter sind.

Wenn sie die Sonnen der Wirklichkeit über die Begriffe befragen, die sie aus den Schriften sich herausklügeln und dann nicht recht mit der Wahrheit in Einklang bringen können, so unterfangen sie sich, die Weisheit der Fundgrube alles Wissens und der Quelle aller Wissenschaft abzulehnen.

All dies hat sich bei jedem Gottgesandten wiederholt. Wenn Muhammed über die Mondphasen befragt, nach Gottes Geheiß antwortete: „Dies sind Zeitabschnitte, zum Nutzen aller Menschen festgelegt, und zur Pilgerfahrt“ (Kor. II, 185.), dann leugneten die Frager Sein Wissen. Ebenso, wenn Er vom Geiste sagte: „Dies ist der Befehl meines Herrn“, dann fingen sie an zu schreien: „Seht, seht! Der Tor weiß nicht einmal, was der Geist ist, und will uns glauben machen, daß Er inspiriertes Wissen hätte!“

Die Menschen von heute nehmen jene Antworten wohl an, weil sie sich vom Namen Muhammed beehrt fühlen und ihren Vorfahren folgen, die schon Ihm gehorchten. Aber wenn sie heute eine gleiche Antwort hören würden, dann würden sie sicher den Redner ablehnen und genau so handeln wie zur Zeit des Forkan. Im übrigen haben sie dies getan. Doch diese reinen Wesen stehen im Dasein hoch über jeglichem menschlichem Wissen und wissenschaftlichen Begriffen. Sie sind zu erhaben, um vom Verstande der Menschen begriffen zu werden, deren schwaches Wissen vor ihrem Wissen Irrtum und deren Vernunft Torheit wird. Nirgendwoher strahlt wahres Wissen, als aus diesen Schatzkammern göttlicher Weisheit und ewigen Wissens. Alle unsere Worte bestätigt das berühmte Hadiß: „Das Wissen war nur ein Punkt. Die Toren haben ein Gebirge daraus gemacht“, und ebenso: „Das Wissen ist ein Licht, das Gott ins Herz gegeben hat, wem Er will.“

Weil die Menschen nicht erfaßt haben, was Wissen ist, und für Wissen hielten, was ihr törichter Verstand ihnen eingab, haben sie den Schöpfer des Wissens verleugnet. Und nun will ich dir erzählen: Als ich von einem Buche eines dieser gelehrten Doktoren, des berühmtesten unter den Völkern, sprechen hörte, welcher alle bisherigen Lehren umgestürzt hatte und dessen Ruhm zu mir gedrungen war, kam mich der Wunsch an, einige seiner Schriften kennenzulernen. Ich habe keinen Grund, die Werke eines anderen zu bekritteln. Indessen hatten mich einige über ihn befragt; daher mußte ich seine Bücher kennenlernen, um mit Bestimmtheit die mir vorgelegten Fragen zu beantworten. Niemand konnte sich diese arabischen Werke verschaffen, bis sich eines Tages in jener Gegend ein Buch fand, betitelt: „Führer für das gemeine Volk“. Schon dieser Titel klang nach Hochmut und Eitelkeit, wie der Verfasser das gewöhnliche Volk behandelte und sich selbst ohne Zweifel als bedeutend höherstehend betrachtete. Wahrhaftig, er mußte auf dem Wege persönlicher Freuden und Wünsche wandeln und in der Wüste der Torheit und Blindheit wohnen. Er hatte ohne Zweifel das berühmte Hadiß vergessen: „Die Wissenschaft ist die Summe aller Erkenntnisse und Macht und Ruhm sind nicht eines Einzelnen Alleinrecht.“ Ich bat um das Buch; eines Tages brachte man es mir. Ich las vielleicht zwei Seiten darin und gelangte an eine Stelle, wo der Verfasser Muhammeds Himmelfahrt behandelt. Ich bemerkte, wie er sagte: um diese Himmelfahrt zu verstehen, müsse man mindestens zwanzig Wissenschaften beherrschen; wer darum nicht von Grund aus Philosophie, Alchemie, Magie und alle diese verwerflichen Wissenschaften verstehe, könne nicht das. heilige und unsterbliche Geheimnis erfassen.

(Fortsetzung folgt)



Gebet um den Weltfrieden.[Bearbeiten]

Von Bahá’u’lláh

Er ist Gott, erhaben ist Er!

Es ist bekannt, daß Gott — hochheilig ist Sein Name — erhaben ist über diese Welt und was darinnen ist. Der Sinn des Wortes „Sieg“ ist nicht anwendbar auf Kampf und [Seite 6] Streit, welche Menschen miteinander ausfechten. Der Herr, „der da tut, was Ihm gefällt“, hat das Reich der Schöpfung, die Erde und das Meer erschaffen und es in die Hände von Königen gegeben, dem Symbol der göttlichen Macht, entsprechend ihrer Stufe. Wahrlich, Er ist der Allesvermögende, der Überlegene. Das aber, was Gott für Sich selbst verlangt — herrlich ist es, Seinen Namen zu nennen — das ist das Herz Seiner Diener, dieses soll die Schatzkammer des Lobes und der Liebe zu dem Herrn und der Speicher göttlicher Erkenntnis und der Weisheit sein.

Der Wille des „Ewigen Regenten“ war es immer, die Herzen Seiner Diener zu läutern inmitten der Versuchungen der Welt, damit sie für die Erleuchtung durch die Strahlen des Lichts des Herrn aller Namen und Eigenschaften aufnahmefähig würden. Es soll deshalb kein Fremder den Weg zu der Stadt der Herzen finden, damit der unvergleichliche Freund zu Seiner eigensten Wohnstätte gelangen kann — das ist der Ruhm Seines Namens und Seiner Eigenschaften, nicht aber Seines Wesens — erhaben ist Er —, denn dieser unvergleichliche Regent ist, war und wird ewig erhaben sein über dauerndes Empor- und Herabsteigen.

Deshalb wird auch der Kampf von Mensch zu Mensch und die Auflehnung gegeneinander niemals gutgeheißen werden, weder früher noch heutzutage, noch jemals in zukünftigen Zeiten. Wohlgefällig dagegen ist, daß die Stadt des Menschenherzens, die beherrscht wird von Strömen der Selbstsucht und der Gier, in Schach gehalten werde vom Schwert der Weisheit und der Ermahnungen. So sollte denn ein jeder, der den Sieg erringen will, zuerst sein eigenes Herz mit dem Schwert geistiger Wahrheit und durch das Wort unterwerfen und nur und allein Gott darin aufnehmen. Alsdann möge er sich bemühen, die Herzen anderer vorzubereiten. Dies ist mit dem Wort „Sieg“ gemeint. Aufruhr hat Gott nie und nimmer wohlgefallen und das, was gewisse Unwissende bisher begingen, wurde niemals von Gott gebilligt. Wenn Ihr um Seines Wohlgefallens willen euer Leben verliert, ist es wahrlich für euch besser, als daß ihr selbst einem Menschen das Leben nehmt.

Heute müssen die Freunde Gottes sich derart vor ihren Mitmenschen auszeichnen, daß sie durch ihre Handlungsweise ihre Mitmenschen zum Wohlgefallen des Herrn der ewigen Herrlichkeit führen.

Ich schwöre beim Aufgang der Sonne der Herrlichkeit, daß die Freunde Gottes die Erde oder ihre flüchtigen Güter nicht zu hoch bewertet haben und es auch niemals tun werden.

Gott hat stets das Herz Seiner Diener angesehen aus reinster Gnade, daß vielleicht irdisch gesinnte Seelen geläutert und emporgehoben würden von den irdischen Stufen und eingehen dürfen in die ewigen Paläste. Dieser wirkliche König aber ist Sich selbst genug und unabhängig von allem anderen. Auch ist Ihm die Liebe der lebenden Geschöpfe kein Gewinn, noch fürchtet Er ihren Haß. Alle irdischen Stufen erscheinen durch Ihn und kehren zu Ihm zurück. Gott aber thront einzig und allein in Seiner eigenen Sphäre, hoch erhaben über Raum und Zeit, Nennung und Erwähnung, über Zeichen, Beschreibung und Erklärung, Höhe und Tiefe. Und keiner weiß es außer Ihm selbst und dem, der da Kenntnis hat vom Buche.

Es gibt nur Gott, den Allmächtigen, den Gnadenvollen.

Aus dem Tablet vom Zweig



'Abdu'l-Bahá’s Gebet für den Größten Frieden[Bearbeiten]

O Du mein Herr! Du hast die gesamte Menschheit erschaffen aus dem gleichen ersten Menschenpaar. Du hast bestimmt, daß sie alle zu der gleichen Familie gehören sollen, und in Deiner heiligen Gegenwart sind sie alle Deine Diener, Die ganze Menschheit steht im Schutz Deines Allerheiligsten: Deine Kinder sammeln sich um Deinen Tisch der Gnade und strahlen durch das Licht Deiner Vorsehung. O Gott, Du bist gut zu Allen, Du hast alles für sie vorgesehen, Du beschützest sie alle. Du hast ihnen allen das [Seite 7] Leben geschenkt, Du hast jedes einfache Wesen mit Geschicklichkeit und Gaben versehen und versenkst die ganze Menschheit in das Meer Deiner Barmherzigkeit.

O Du freigiebiger Herr! Einige Deine Diener in jedem Land, lasse die verschiedenen Religionen in Übereinstimmung gelangen, mache aus den vielen Nationen eine einzige Nation, damit sich die Menschheit als eine Familie betrachte, als Angehörige eines Landes. Mögen sich die Menschen in vollkommenem gegenseitigem Wohlwollen und Eintracht zusammenfinden.

O Gott! Hisse das Banner der Einheit der Menschheit.

O Gott, errichte den größten Frieden.

O Gott, schmelze unsere Herzen zu einem Herzen zusammen.

O Du gütiger Vater! Beglücke uns durch die Düfte Deiner Liebe, entzücke unsere Augen durch das Licht Deiner Führung; lasse uns das erhebende Lied Deiner Worte vernehmen und gewähre uns ein schützendes Obdach unter Deiner Vorsehung.



Aus dem Schatz der Erinnerungen an Abbas Effendi, 'Abdu'l-Bahá. Haifa 1910[Bearbeiten]

Vierter Brief von Frau Dr. J.F. an Frau A. Schwarz, Stuttgart


Verehrte Freundin! Sie möchten gerne wissen, wie sich Ihr Meister ‘Abdu’l-Bahá Abbas Effendi über die Ursache und Art der tiefgreifenden Zwiespälte und Trennungen im Hause des Religionsstifters Bahá’u’lláh, und in Seiner, des Meisters eigener Familie geäußert hatte?

Da fand ich denn unter meinen Notizen vom 27. Januar 1910 (Donnerstag) folgende Aufzeichnungen, die ich Ihnen hier zusammengestellt (ins Deutsche übertragen) gerne übermittle:

Ort des Gesprächs: Empfangssaal in ‘Abdu’l-Bahá Abbas Effendis Hause.

Zeit:27. Januar 1910, nachmittags 3 Uhr.

Personen: 'Abdu'l-Bahá Abbas Effendi, drei persische Bahá’i, eine Engländerin (Miß N.) und meine Wenigkeit. Ein Sekretär des Meisters, Achmed Effendi, amtierte als Dragoman für Persisch, Arabisch, Türkisch und Englisch.

Die Engländerin (Missionarin der Church-Mission Society) hatte, in der Art der direkten, ja schroffen Fragestellung, wie es die Europäer, und besonders die Engländer, zu tun pflegen, den Meister herausgefordert, mit folgenden brüsken Worten: „Abbas Effendi, wie kommt es, daß sowohl Sie, der Verbreiter der Bahá’i-Lehre, als auch Ihr ehrwürdiger Herr Vater, der Bahá’i-Prophet, in Seinem eigenen Familienkreis keine ungeteilte Anerkennung finden durften?“

Langsam stieg eine feine Röte, vielleicht des schmerzlichen Unwillens, in das blasse Antlitz des Meisters und das Feuer in den blaugrauen Augen des greisen Meisters vertiefte sich, als Er nun zu der Fragerin gewendet erwiderte: „Ich könnte Dir, meine Schwester, mit den Worten unseres Herrn Jesu Christi — gesegnet sei Seine Weisheit — antworten: ‚Es ist kein Prophet in seinem Vaterland geehrt‘, oder: ‚Es muß Ärgernis geben in dieser Welt, aber wehe demjenigen, der es bringt!‘ Doch darüber hinaus will ich die Gelegenheit, die uns deine Frage bringt, benutzen, um über die tiefste Ursache aller Entzweiungen euch einiges zu sagen:

Lehren nicht alle Propheten: Es gibt zwei Welten, eine geistige — das Malekut Allahs = das Reich Gottes, — und eine materielle Welt, das Naturreich im weitesten Sinne? Nun, in der physikalischen Welt im Reiche des Materiellen ist der Daseinskampf, das Ringen um die mehr oder weniger nackte Existenz — der alles beherrschende Unterton. In diesem Kampf siegt der Stärkere, der Geeignetere, der Mächtigste. Hierin liegt die Ursache aller Kriege, allen Hasses, aller Feindschaft — die Gier nach Besitz, nach Macht, nach Geld und Reichtum, nach Ehre [Seite 8] und Ruhm wirkt sich aus in Tyrannei, Unterdrückung, Ausbeutung, ja Ausrottung des Schwächeren, des Unterlegenen.

Betrachten wir nun die geistige Welt, das Himmel- oder Gottesreich, welches uns alle Propheten des Allerhöchsten verkündet und nahegebracht haben, das ewige Reich der Wahrheit. Alle Propheten, von Abraham, dem Freunde Gottes, an bis zu Bahá’u’lláh, der heiligen Vollkommenheit, waren Herolde der Wahrheit. In der Wahrheit liegt die Einheit und Einigkeit der Menschheit beschlossen. Wahrheit bedeutet zugleich Gerechtigkeit. Wahrheit wirkt sich aus und findet Gestalt in der Liebe und Güte, in Barmherzigkeit und Mitleid. Wahrheit ist die Wurzel aller Gleichheit und Brüderlichkeit. Wahrheit umfaßt Selbstlosigkeit, Selbsthingabe, Selbstentäußerung. Wahrheit allein gibt Kraft, ewige Jugend und ewiges Leben. Du wirst einwerfen, meine Schwester: wie kommt es dann, daß so oft, ja fast möchte man sagen, von jeher die Wahrheitssucher sich über und um die Wahrheit streiten und dadurch der materiellen, gottfernen und gottfremden Welt — das größte Ärgernis, das stärkste Hindernis für das Finden und Halten der Wahrheit geben?

O meine Schwester, hier stoßen wir auf das Mysterium des Bösen, das Mysterium des Übels, das unser begrenzter Verstand, unsere erdgebundenen Sinne in dieser Zeitlichkeit nicht enträtseln können. Wenn wir aber mit brennenden Augen in das Dunkel dieses Abgrundes starren, so wird es — wenigstens dem aufrichtig Gottsuchenden — gegeben, hie und da einen aufklärenden Schimmer des Begreifens, des Verstehens in der Finsternis des Übels wahrzunehmen. Wir haben vorhin behauptet, daß in der materiellen Welt, in der Natur, ein unaufhörlicher, rücksichtsloser Daseinskampf herrscht, und wenn nicht die Prinzipien der geistigen Welt sich auswirken können, so liegt eben in dem brutalen und mehr oder weniger nackten Kampf ums Dasein, um Macht und Besitz, um Ehre und Ruhm die Wurzel aller Kriege, aller Zwietracht, aller Tyrannei, Ausbeutung und Unterdrückung des Schwächeren. Aber, meine Schwester, du wirst fragen: was haben die grobmateriellen Kriege der Nationen, die Kämpfe der Religionen, die soziale Unterdrückung und Ausbeutung zu tun mit den geistigen Spaltungen, den religiösen Zerwürfnissen in den Kreisen der Frommen, der Gerechten, der Gottsucher und Gottfinder, den Trägern der Wahrheitsfackeln?

RESUME XXXX

O meine Schwester! Gewiß finden wir unter den Nachfolgern der Propheten, unter den Jüngern, zwischen den Herolden der Wahrheit keine Kämpfe um die materielle Existenz. Das tägliche Brot, ein gewisses Ansehen, einen kleinen Besitz, etwas Macht über die Nächsten und Untergebenen, alles dies ist mehr oder weniger gleich verteilt, erregt nicht die Gier oder den Durst nach mehr oder nach dem, was der Mitjünger hat und besitzt — nein, im Reiche der geistigen und geistlichen Werte wird nicht mit grobmateriellem Maße gemessen, nicht um derbe Güter gekämpft, nicht sichtbare, brutale Waffen werden angewendet, sondern das Niederringen des andern geschieht nicht mit aufgedeckten Karten, mit sichtbaren Mitteln, mit leicht erkennbaren Waffen, sondern mit dem Gift der Verkleinerung, mit dem heimlichen Dolchstoß der Verleumderzunge, mit der feinen Frage, die so alt wie die Welt ist: ‚Sollte Gott gesagt haben — sollte Gottes Wille so sein und nicht vielmehr anders so wie Er sich mir geoffenbart hat?‘

Jeder natürliche Mensch ist als Kind völlig egozentrisch, sein kleines Ich ist ihm der Mittelpunkt und das Maß aller Dinge. Je mehr der kindliche Mensch heranwächst, sehnt er sich und streckt sich nach einem höheren Wesen, nach einem Führer zur Wahrheit, in dem das Gute und Schöne vereint beschlossen liegen.

In den Jugendjahren von 14—24 wird der Mensch bewußt oder unbewußt zum Wahrheitssucher, zum Gottsucher, alsdann wird er zum Jünger eines Glaubens, zum Verfechter einer Idee, zum Träger höherer Ziele, zum Nachfolger eines Führers, zum Anhänger eines Propheten. Es kommt aber die Zeit der endgültigen Entscheidung, bei dem einen früher oder später, meist mit dem 25. und 50. Lebensjahre, wenn es sich zeigt — ob der Mensch, der doch zeitlebens ein Kämpfer genannt werden muß, ob diese kämpfende, ringende Seele sich ganz entäußern kann und will, denn jede Religion, ja jede große [Seite 9] Idee, selbst weltliche Ziele, verlangen eine Selbsthingabe und Opferbereitwilligkeit an das eine, das man erkürt hat, an das eine, das nottut. Von Abraham, dem Freund Gottes, an, über alle Propheten des Höchsten bis hinunter zu Bahá’u’lláh — der gesegneten Vollkommenheit — steht geschrieben über dem engen Tor der Buße und Selbsthingabe: Du kannst nicht Gott dienen und zu gleicher Zeit andere Götter oder dich selbst anbeten! Hat nicht jeder Prophet der ewigen Wahreit seinen Judas Ischariot, seinen Verräter gehabt? Litt nicht Abraham, der Freund Gottes, unter dem Widerspruch seines Neffen Lot, unter dem Unglauben der Hagar und des Ismael? Wurde nicht Seine Heiligkeit Jesus Christus von Judas Ischariot mit einem Kuß an Seine Häscher verraten? Hat nicht der Prophet Muhammed den Verräter Abdallah ibn Ubayy von Medina wie einen Pfahl im Fleisch lange Jahre hindurch ertragen müssen? Hätte nicht die Lehre des heiligen Wegbereiters unseres Propheten Báb noch einmal so rasch das Land Persien überflutet, wenn nicht der egoistische und eitle Verräter Muhammed Ali von Barfurusch die Gläubigen verwirrt und die Gegner des Propheten angefeuert hätte? Wir, die getreuen Nachfolger Seiner Heiligkeit Bahá’u’lláh, wir wissen, ja viele sind Augenzeugen gewesen, wie der Sekretär von Subhi Ezel, der heuchlerische Mirza Assadullah Dejjan von Täbriz mit dem bösen Geist der Zwietracht, des Besserwissens, der prophetischen Anmaßung, seinen jungen Herrn Subhi Ezel von der gesalbten Persönlichkeit des Propheten Bahá’u’lláh entfremdet und losgerissen hat! Auch das Schisma in meiner Familie wurde enizündet und genährt von dem ersten Anhänger unserer geheiligten Vollkommenheit Bahá’u’lláhs. Hat nicht dieser Mirza Aka Dschan von Kaschan meinem verblendeten Bruder Mirza Muhammed Ali zugeflüstert, daß das Testament Seiner Heiligkeit Bahá’u’lláhs anzufechten wäre, daß das Tor der Offenbarung abgeschlossen worden sei und meine Wenigkeit nicht als der Kanal zu gelten habe, der die Bahá’i-Lehre weiterleiten solle!

Ich will nicht eure Zeit — meine Gäste durch meine Erklärungen und Belehrungen weiter beanspruchen. Jeder von euch kann aus dem Kreise, aus der Brüdergemeinschaft, welcher er selbst angehört, solche heuchlerischen Verräter angeben und schildern. Die Geschichte ist immer dieselbe — in allen Zeiten und bei allen Völkern und bei allen geistigen Bewegungen.

Aus dem ungebrochenen Ich des Kindes erwächst das Geltungsbedürfnis des Jünglings, daraus entspringt dann beim reifen Manne, neben dem Geltenwollen die Gefühle des Verkanntseins, des Unterschätztseins, der Beeinträchtigung. Daraus hinwiederum entwickeln sich die Besserwisserei, die Selbstsicherheit, der Unfehlbarkeitswahn. Es kommt zur blinden Kritik von allem und jedem, was der oder die Führenden beschließen und tun. Die Verantwortungslosigkeit, die Abneigung gegen selbstloses Opfer und Dienst an andern drängt den Judas weiter auf der zentrifugalen Bahn, es kommt zur Krisis des Losstrebens, des Sichloslösen aus dem Kreise; der Drang eine Rolle zu spielen führt zur Selbstüberschätzung, zum Wahn unter allen Umständen, Führer, alleiniger Führer oder Neugründer einer Sekte werden zu müssen.

Jeder Judas steigert sich so ganz allmählich in Prometheusgefühle hinein, er macht die Schwächeren und Ungefestigten, kritiklosen Mitläufer unter den Anhängern einer Lehre wankend und schwankend. Er zieht besonders die lebensunerfahrene Jugend zu sich hinüber, er weiß die gefühlsreichen und unlogischen, kritiklosen, weiblichen Mitglieder einer Lehre an sich zu fesseln, kurz, der Judas arbeitet in der Linie des geringsten Widerstandes. Das Geltungsbedürfnis, der Machthunger, das ewig dürstende Selbstgefühl treibt ihn weiter auf seiner gottabgewendeten Bahn. Er kennt bald nur noch Gegner oder Anhänger, die ihm in suggestiver Hörigkeit anhängen müssen. Das Ende ist immer dasselbe: der Judas verrät bald seinen Meister zuerst, bald seine ihm nicht gefügigen Mitjünger. Er will in erster Linie wirken, nicht immer nur bescheiden Neues aufnehmen im Schatten von Größeren und Besseren. Er wird früher oder später zum Dämon der betreffenden Gemeinde und zahlt eines Tags mit unfruchtbarer Buße einer zu späten Einkehr die folgenschwere Verblendung seiner besten Mannesjahre! [Seite 10] Gott behüte uns und jeden vor einem solchen Los. Betrachtet man daneben die treuen Johannisnaturen, die unentwegt in guten und in bösen Zeiten ihrem Meister, ihrer Sache, ihren Führenden und ihren Mitgenossen anhängen. Sie haben sich losgesagt vom Dienst der Vergänglichkeit, von der blinden überschwenglichen Liebe zur Kreatur. Johannisnaturen lassen sich von Gott dem Herrn ihren, von der Selbstsucht geknechteten, Willen frei machen zum Dienst der aufrichtenden, tragenden, tröstenden Liebe, die nie das Eigene sucht, die nicht gelten und herrschen will; eine stets opferbereite Liebe, die nicht fordert, sondern gibt, die sich nicht überhebt und voranstellt, sondern die sich hingibt, auch dem Niedrigsten, welche die Lasten der Mitjünger mitträgt, ihre Kämpfe teilt, ihre Tränen zu trocknen sucht. Heil und Segen jeder Gemeinschaft, welche viele Johannisnaturen in ihrem Kreise birgt, wo es keine Judasse gibt oder wo Gott der Herr selbst solche Dämone entlarvt und ausscheidet. Allah o Abha!“

Bewegt schritt der Meister hinaus und überließ die Zurückbleibenden ihren mannigfaltigen Gedanken. Denn wer von uns hatte nicht schon unter den Verrätern einer uns teuren Sache gelitten? Ja, schenke uns Gott immer mehr Johannisnaturen und behüte uns vor den Judas-Dämonen.



Der Leib als Tempel des Geistes[Bearbeiten]

Von Emil Jörn, Warnemünde

„O Menschensohn! Der Tempel des Seins ist Mein Tabernakel. Mache ihn rein von allen Dingen, damit Ich in ihm wohnen und Meinen Thron in ihm errichten kann.“ Bahá’u’lláh.

„Wisset ihr nicht, daß euer Leib ein Tempel des heiligen Geistes ist, der in euch ist, welchen ihr habt von Gott, und seid nicht euer selbst? Denn ihr seid teuer erkauft; darum so preiset Gott an eurem Leib und in eurem Geiste, welche sind Gottes.“ 1. Kor. 6, 19 und 20.

„Wenn nun dein Leib ganz licht ist, daß er keinen Schatten von Finsternis hat, so wird das eine Helligkeit sein, wie wenn ein Licht dich mit hellem Blitz erleuchtet.“ Luk. 11, 36.

Die kirchliche Überlieferung hat das Wort von Jesus aufbewahrt: „Meine Lehren sind Gesundheit für alles Fleisch.“ Das will sagen: Wenn es uns gelingt, die Prinzipien des Geistes zu verwirklichen, in tapferem, unter Umständen augenblicklichem Gehorsam gegen die Stimme, die uns ruft, so führt das mit Sicherheit nicht nur zur Gesundung der Seele, sondern auch, sofern nicht besondere Absichten Gottes vorliegen, zur Genesung des Leibes. Vom Frieden der Seele gehen in jeder Beziehung heilende und erneuernde Kräfte aus. Das ist eine ganz naturgemäße Folge. Der Geist heilt den Leib. Davon wissen viele zu berichten, die in Treue und in großer Demut Diener des Geistes gewesen sind.

„O mein Gott! Mache Deine Schönheit zu meiner Speise und lasse Deine Gegenwart meinen Trank sein. Laß mein Vertrauen auf Deinen Willen gestellt sein und bringe mein Leben in Einklang mit Deinen Geboten. Laß Dir mein Dienen wohlgefallen, und meine Handlungen seien ein Lobpreis für Dich.“ Verb. Worte S. 8.

„Das ist Meine Speise, daß Ich tue den Willen Meines Vaters im Himmel.“ Ev. Joh. 4, 34.

„Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, sondern von einem jeglichen Wort Gottes, das durch den Mund Gottes geht.“ Matth.4,4.

„Eine Leuchte vom Herrn ist der Geist des Menschen, der geht durch alle Kammern des Leibes.“ Sprüche Sal. 20, 27.

Wenn der Körper von Krankheit befallen wird, sollen wir nach der Ursache forschen, nicht bloß nach der körperlichen, sondern auch nach der geistigen Ursache. Denn die heiligen Schriften lehren, daß Leiden die Folgen des Ungehorsams gegen die göttlichen Gebote sind. Ja, wir können sagen, daß die bösen Leidenschaften selber nur Krankheitsformen der Seele sind. Sie sind [Seite 11] die eigentlichen Erreger, die Seele und Leib verwüsten. „Neid ist Eiter in den Beinen“, heißt es in den Sprüchen Salomonis (14, 30). „Die Begierde ist gleich einem Gift, das sich in unsere Eingeweide einfrißt“ (Gandhi). „Die von den bösen Leidenschaften erzeugte Hitze ist auch in gesundheitlicher Beziehung äußerst schädlich“ (derselbe). Und 'Abdu'l-Bahá rät: „Gib nicht dem Kummer und der Sorge Raum, denn sie verursachen das größte Elend. Eifersucht verzehrt den Körper, Zorn verbrennt die Leber. Meide diese zwei, wie man einen Löwen meidet.“ (Esslement 5. 170.)

Diese Erkenntnis von der Bedeutung konsequenter Reinheit und Harmonie für die körperlichen Zustände wird in Zukunft sehr zunehmen. Man sieht das schon jetzt, z.B. an den Werken von Fr. Haeberlin. In seiner „Ärztlichen Seelenkunde“ sagt er S. 57: „Wie die Beobachtung von Gallenkoliken im unmittelbaren Anschluß an zornige und verstimmende Gemütsbewegungen zu schließen erlaubt, scheint in der Tat eine Beziehung zwischen der Tätigkeit des Gallensystems und seelischen Erregungen zu bestehen.“ Und weiter: „Eine der häufigsten Erscheinungen, die dem Arzt beim näheren Eingehen auf Kranke entgegentreten, ist die Angst. Wenn man auf sie achten gelernt hat, findet man sie ungemein oft, und es ist nicht zuviel gesagt, wenn man die Angst als die häufigste Störungsform des menschlichen Daseins überhaupt bezeichnet.“ „Geht man der Angst weiter nach und sucht sie auch da auf, wo sie keine massigen Symptome bedingt, so findet man sie in den verschiedensten Graden bis zu einem ganz schwachen Anklingen, das nur einem feinen, in die Tiefen hinabhörenden Ohr noch bemerkbar ist, weit verbreitet, eigentlich in alle menschlichen Daseinsformen verwoben, und es scheint, daß es völlig angstfreie Menschen, wenn überhaupt, dann höchst selten gibt. Das Wort, das als ein Ausspruch von Jesus berichtet wird: ‚In der Welt habt ihr Angst‘ verrät tiefste psychologische Einsicht in das Wesen des Menschen“ (S. 89). Klages nennt alle Angst „Todesangst“. Besser wäre vielleicht die Bezeichnung „Lebensangst“. Denn es ist immer die Sorge um den Verlust des Lebens, die dahinter steht. Nietzsche spricht von einem „Lebensneid“ und meint damit den „Neid der am Leben Verarmten gegen die Träger der Lebensfülle“ (Haeberlin).

Wir müssen aber doch ein wenig tiefer schürfen. Woher stammt diese stete, weitverzweigte Angst um uns selbst? Wir haben die Richtung auf unsere Bestimmung hin verloren, wir sind ungeistig geworden. Das ist der Grund unserer Friedlosigkeit, der letzte, tiefste Grund aller Leiden und alles Übels. O, wie tief, wie abgrundtief ist dies Leiden! Wir sehen es heute.

Gott ist doch Geist. Wie konnten wir uns nur so weit verirren in die Knechtschaft der Materie, in den Glauben an den Mammon, an Schein und Lüge!

„O, ich sehe die Menschen irre gehen in ihrem Rausch, und sie wissen es nicht; sie haben ihre Lüste auf den Thron gesetzt und ihren Gott beiseite gelegt, als ob sie das Gebot Gottes für ein Gespött, für einen Scherz und für ein Spielzeug hielten; und sie denken, daß sie es recht machen und daß sie geborgen seien in der Festung der Sicherheit. Die Sache ist aber anders, als sie denken: Morgen werden sie erkennen, was sie heute verleugnen.“ Bahá’u’lláh.

Ganz außerordentlich ernst und eindringlich sind in dieser Beziehung die Ermahnungen und Warnungen, die die Bahá’i-Lehre gibt. Immer wieder hören wir in den „Verborgenen Worten“ den Anruf: „O Sohn der Begierde!“ „O Kinder des Staubes.“ „O Ausgeburt der Leidenschaft.“ Ist doch diese Lehre in jeder Beziehung eine tiefe, umfassende Erneuerung der alten, erhabenen Worte: „Heilig, heilig, heilig ist der Herr Zebaoth, alle Lande sind Seiner Ehre voll.“ „Ihr sollt heilig sein, denn Ich bin heilig.“ „Fleischlich gesinnt sein, ist der Tod; aber geistig gesinnt sein, ist Leben und Friede.“ (Römer 8, 6.)

Die Geistiggesinnten, die „Kinder des Lichtes“, werden nicht Ruhe haben, bis sie den Sieg über die Stimme des Fleisces errungen haben. Wie lieblich und doch zwingend ist das Rufen der heiligen Stimme: „O geheimnisvolle Nachtigall! Baue dein Nest nirgends als in dem Rosengarten des Geistes.“ („Verborgene Worte.“)

„Vom Baum der strahlenden Herrlichkeit: sind die schönsten Früchte für Dich bestimmt.“ (Ebenda.)

[Seite 12] „O Sohn des Geistes! Zerbrih den Käfig und gleih dem Phönix der Liebe schwinge dich auf in den Himmel der Heiligkeit.“ (Ebenda.)

„Lege jeglihe Gier ab und strebe nach Zufriedenheit, denn der Gierige war ihrer noch stets beraubt.“ (Ebenda.)

„Gesegnet ist, wer seine Begierden für das Wohl aller Geschöpfe aufgegeben hat.“ (Heiliges Tablet S. 7.)

Oft setzt das geistige Erwachen damit ein, daß tiefe Seelennot ganz plötzlich als ganz besondere Leibesnot empfunden wird. Gewöhnlich lebt eben der Mensch solange „dem Fleische“, wie die natürlichen Kräfte reichen. Das ist betrübend, aber es ist so. Die sinnlichen Begierden liegen gleichsam als Abstraktionen in der Seele, und diese verlangen gebieterisch die Wiederholung der Genußempfindung, bis die natürlichen Kräfte versagen. In diesen höchst kritischen Augenbliken zeigt sich, was aus dem Menschen wird, ob er anfängt, dem Geiste zu leben oder zu vegetieren. Nur der Begnadete, der zugleich tapfer ist, der Opfer bringen kann, wird den Standpunkt erklimmen, der über dem Natürlichen liegt.

„Der erste Eintritt in das Licht und in den Glauben ist außerordentlich schwierig. Die geistige Geburt ist ebenso mühsam und schmerzlih wie die körperliche Geburt. Diese beiden Vorgänge sind wirklich gleich.“ („Sonne der Wahrheit“ III S. 4.)

„O mein Gott! Du siehst, wie ich mich gleich einem auf das Land geworfenen Fisch in Seelenschmerz winde! Erlöse mich und habe Mitleid mit mir, o Du, mein Erretter.“ („Frohe Botschaften“ S. 94.)

Fast immer machen in solchem Ringen um die geistige Wirklichkeit auch die Tatsachen der Vererbung sich geltend, und gerade sie machen der Seele oft die allergrößten Nöte. Der Sucher glaubt, es läge ein Fluch oder ein besonderes Verhängnis auf ihm und seiner Familie, so daß es unmöglich sei, zum Licht durchzubrechen.

„Gibt es einen Befreier von Schwierigkeiten außer Gott? Er ist Gott! Preis sei Gott! Alle sind Seine Diener und alle bewegen sich auf Seinen Befehl.“ ‘Abdu’l-Bahá.

„O mein Gott! O mein Gott! Durch das Blut Deiner Geliebten, die von Deinen beglückenden Worten derart hingerissen wurden, daß sie sich zu der höchsten Höhe, dem Ort des größten Märtyrertums begaben, sowie durch die Geheimnisse, die in Deiner Erkenntnis verborgen legen, und durch die Perlen, die in der See Deiner Gaben aufbewahrt sind, bitte ich Dich: Vergib mir, meinem Vater und meiner Mutter. Wahrlich, Du bist der Barmherzigste der Barmherzigen. Es gibt keinen Gott außer Dir, dem Vergebenden, dem Wohltätigen.“ (Frohe Botschaften S. 11.)

Fast immer müssen die so Kämpfenden noch „die Last“ ihrer Umwelt dazu tragen. Niemand versteht sie oder will sie verstehen. Bisherige Freunde wenden sich ab oder werden zu Feinden. Immer schmaler wird der Pfad, wahrlih ein Saumpfad. Aber: „Solange der Geist nicht geheilt ist, hat die Heilung des Leibes keinen Wert. Alles ist in den Händen Gottes.“ (Ansprachen S. 13.)

„Wir können nur dann wirklich geheilt werden, wenn die Segnungen Gottes auf uns herabkommen, während wir geheilt werden.“ (Ebenda.)

Meistens lösen sich die Fesseln allmählich. Immer etwas tun im Sinne der neu erkannten Ideale, im Sinne der großen, umfassenden Liebe. Das ist sehr wichtig. Liebe heilt. Liebe schafft Ausgleich. In reiner und konsequenter Güte heilen alle Leiden oder werden wenigstens erträglich, so daß das Quälende verschwindet.

„Die höchste Erfüllung alles Geistigen ist die Liebe“, sagt ‘Abdu’l-Bahá.



In der Sonne der Wahrheit finden nur solche Manuskripte Veröffentlichung, bezüglich deren Weiterverbreitung keine Vorbehalte gemacht werden. — Anfragen, schriftliche Beiträge und alle die Schriftleitung betreffenden Zuschriften beliebe man an die Schriftleitung: Stuttgart, Alexanderstr. 3 zu senden. — Bestellungen von Abonnements, Büchern und Broschüren sowie Geldsendungen sind an das Bahá’i-Bureau Stuttgart, Alexanderstr. 3, Nebengebäude, zu richten.


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Geschichte und Bedeutung der Bahá’i-Lehre[Bearbeiten]

Die Bahá’i-Bewegung tritt vor allem ein für die „Universale Religion" und den „Universalen Frieden“ — die Hoffnung aller Zeitalter. Sie zeigt den Weg und die Mittel, die zur Einigung der Menschheit unter dem hohen Banner der Liebe, Wahrheit, Gerechtigkeit und Barmherzigkeit führen. Sie ist göttlich ihrem Ursprung nach, menschlich in ihrer Darstellung, praktisch für jede Lebenslage. In Glaubenssachen gilt bei ihr nichts als die Wahrheit, in den Handlungen nichts als das Gute, in ihren Beziehungen zu den Menschen nichts als liebevoller Dienst.

Zur Aufklärung für diejenigen, die noch wenig oder nichts von der Bahá’i-Bewegung wissen, führen wir hier Folgendes an: „Die Bahá’i-Religion ging aus dem Babismus hervor. Sie ist die Religion der Nachfolger Bahá’u’lláhs. Mirza Hussein Ali Nuri (welches sein eigentlicher Name war) wurde im Jahre 1817 in Teheran (Persien) geboren. Vom Jahr 1844 an war er einer der angesehensten Anhänger des Bab und widmete sich der Verbreitung seiner Lehren in Persien. Nach dem Märtyrertod des Bab wurde er mit den Hauptanhängern desselben von der türkischen Regierung nach Bagdad und später nach Konstantinopel und Adrianopel verbannt. In Bagdad verkündete er seine göttliche Sendung (als „Der, den Gott offenbaren werde") und erklärte, daß er der sei, den der Bab in seinen Schriften als die „Große Manifestation", die in den letzten Tagen kommen werde, angekündigt und verheißen hatte. In seinen Briefen an die Regenten der bedeutendsten Staaten Europas forderte er diese auf, sie möchten ihm bei der Hochhaltung der Religion und bei der Einführung des universalen Friedens beistehen. Nach dem öffentlichen Hervortreten Bahá’u’lláhs wurden seine Anhänger, die ihn als den Verheißenen anerkannten, Bahá’i (Kinder des Lichts) genannt. Im Jahr 1868 wurde Bahá’u’lláh vom Sultan der Türkei nach Akka in Syrien verbannt, wo er den größten Teil seiner lehrreichen Werke verfaßte und wo er am 28. Mai 1892 starb. Zuvor übertrug er seinem Sohn Abbas Effendi ('Abdu'l-Bahá) die Verbreitung seiner Lehre und bestimmte ihn zum Mittelpunkt und Lehrer für alle Bahá’i der Welt.

Es gibt nicht nur in den mohammedanischen Ländern Bahá’i, sondern auch in allen Ländern Europas, sowie in Amerika, Japan, Indien, China usw. Dies kommt daher, daß Bahá’u’lláh den Babismus, der mehr nationale Bedeutung hatte, in eine universale Religion umwandelte, die als die Erfüllung und Vollendung aller bisherigen Religionen gelten kann. Die Juden erwarten den Messias, die Christen das Wiederkommen Christi, die Mohammedaner den Mahdi, die Buddhisten den fünften Buddha, die Zoroastrier den Schah Bahram, die Hindus die Wiederverkörperung Krischnas und die Atheisten — eine bessere soziale Organisation.

In Bahá’u’lláh sind alle diese Erwartungen erfüllt. Seine Lehre beseitigt alle Eifersucht und Feindseligkeit, die zwischen den verschiedenen Religionen besteht; sie befreit die Religionen von ihren Verfälschungen, die im Lauf der Zeit durch Einführung von Dogmen und Riten entstanden und bringt sie alle durch Wiederherstellung ihrer ursprünglichen Reinheit in Einklang. Das einzige Dogma der Lehre ist der Glaube an den einigen Gott und an seine Manifestationen (Zoroaster, Buddha, Mose, Jesus, Mohammed, Bahá’u’lláh).

Die Hauptschriften Bahá’u’lláhs sind der Kitab el Iqhan (Buch der Gewißheit), der Kitab el Akdas (Buch der Gesetze), der Kitab el Ahd (Buch des Bundes) und zahlreiche Sendschreiben, genannt „Tablets“, die er an die wichtigsten Herrscher oder an Privatpersonen richtete. Rituale haben keinen Platz in dieser Religion; letztere muß vielmehr in allen Handlungen des Lebens zum Ausdruck kommen und in wahrer Gottes- und Nächstenliebe gipfeln. Jedermann muß einen Beruf haben und ihn ausüben. Gute Erziehung der Kinder ist zur Pflicht gemacht und geregelt.

Streitfragen, welche nicht anders beigelegt werden können, sind der Entscheidung des Zivilgesetzes jeden Landes und dem Bait’ul’Adl oder „Haus der Gerechtigkeit“, das durch Bahá’u’lláh eingesetzt wurde, unterworfen. Achtung gegenüber jeder Regierungs- und Staatseinrichtung ist als einem Teil der Achtung, die wir Gott schulden, gefordert. Um die Kriege aus der Welt zu schaffen, ist ein internationaler Schiedsgerichtshof zu errichten. Auch soll neben der Muttersprache eine universale Einheits-Sprache eingeführt werden. „Ihr seid alle die Blätter eines Baumes und die Tropfen eines Meeres“ sagt Bahá’u’lláh.

Es ist also weniger die Einführung einer neuen Religion, als die Erneuerung und Vereinigung aller Religionen, was heute von 'Abdu'l-Bahá erstrebt wird. (Vgl. Nouveau, Larousse, illustré supplement, Seite 66.)


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Verlag des Deutschen Bahá’i-Bundes G.m.b.H., Stuttgart

Fernsprecher Nr. 26168 — — Postscheckkonto 25419 Stuttgart — — Alexanderstr. 3, Nebengebäude

In unserem Verlag sind erschienen:


Bücher:

Verborgene Worte von Bahá’u’lláh. Deutsch von A. Schwarz und W. Herrigel, 1924 1.--

Bahá’u’lláh, Frohe Botschaften, Worte des Paradieses, Tablet Tarasat, Tablet Taschalliat, Tablet Ischrakat. Deutsch von Wilhelm Herrigel, 1921, in Halbleinen gebunden . . . 2.50

in feinstem Ganzleinen gebunden . . . . . 3.--

'Abdu'l-Bahá Abbas, Ansprachen über die Bahá’i-Lehre. Deutsch von W. Herrigel, 1921, in Halbleinen gebunden . . . . . 3.00

in festem Ganzleinen gebunden . . . . . 3.50

Geschichte und Wahrheitsbeweise der Bahá’i-Religion, von Mirza Abul Fazl. Deutsch von W. Herrigel, 1919, in Halbleinen geb. . . . . 4.50

In Ganzleinen gebunden . . . . 5.--

'Abdu'l-Bahá Abbas’ Leben und Lehren, von Myron H. Phelps. Deutsch von Wilhelm Herrigel, 1922, in Ganzleinen gebunden . . . . 4.--

Die Bahá’i-Offenbarung, ein Lehrbuch von Thornton Chase, deutsch von W. Herrigel, 1925, kartoniert M. 4.--, in Halbleinen gebunden . . . . 4.60

Bahá’u’lláh und das neue Zeitalter, ein Lehrbuch von Dr. J. E. Esslemont, deutsch von W. Herrigel und H. Küstner. 1927. In Ganzleinen gebunden . . . . . 4.50

Beantwortete Fragen 'Abdu'l-Bahá Abbas', gesammelt und in englischer Sprache herausgegeben von L. Clifford Barney, deutsche Übersetzung von W. Herrigel, 1929 . . . . . 5.--


Broschüren:

Bahá’i-Perlen, Deutsch von Wilhelm Herrigel, 1922 . . . . -.20

Ehe Abraham war, war Ich, v. Thornton Chase. Deutsch v. W.Herrigel, 1911 . . . . -.20

Die Universale Weltreligion, Ein Blick in die Bahai-Lehre von A. T. Schwarz, 1919. . . . -.50

Die Offenbarung Bahá’u’lláhs, von J.D. Brittingham. Deutsch von Wilhelm Herrigel, 1910 . . . -.50

Einheitsreligion. Ihre Wirkung auf Staat, Erziehung, Sozialpolitik, Frauenrechte und die einzelne Persönlichkeit, von Dr. jur. H. Dreyfus, Deutsch von Wilhelm Herrigel. 2. Auflage 1920 . . . -.50

Die Bahá’i-Bewegung im allgemeinen und ihre großen Wirkungen in Indien, nach Berichten eines Amerikaners zusammengestellt und mit Vorwort versehen von Wilhelm Herrigel, Stuttgart 1922 . . . . -.50

Eine Botschaft an die Juden, von Abdul Baha Abbas. Deutsch v. W. Herrigel, 1912 . . . -.20


Das Hinscheiden 'Abdu'l-Bahás, ("The Passing of 'Abdu'l-Bahá") Deutsch von Alice T. Schwarz, 1922 . . . -.50

Das neue Zeitalter von Ch. M. Remey. Deutsch von Wilhelm Herrigel, 1923 . . . . —.50

Die soziale Frage und ihre Lösung im Sinne der Bahá’i-Lehre von Dr. Hermann Grossmann, Hamburg 1923 . . . . —.20

Religiöse Lichtblicke, Einige Erläuterungen zur Bahá’i-Botschaft, aus dem Französ. übersetzt von Albert Renftle, 2. erweiterte Auflage, 1928 . . . . --.30

Die Bahá’i-Bewegung, Geschichte, Lehren und Bedeutung. von Dr. Hermann Großmann-Wandsbek . . . . . --.20

Sonne der Wahrheit, Jahrgang 3 - 8 in Halbleinen gebunden je . . . . 9.--

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