Sonne der Wahrheit/Jahrgang 10/Heft 11/Text
SONNE DER WAHRHEIT | ||
ORGAN DER DEUTSCHEN BAHAI | ||
HEFT 11 | 10. JAHRGANG | JAN. 1931 |
Abdu’l-Bahás Erläuterung der Bahá’i-Prinzipien[Bearbeiten]
1. Die ganze Menschheit muss als Einheit betrachtet werden.
Bahá’u’lláh wandte Sich an die gesamte Menschheit mit den Worten: „Ihr seid alle die
Blätter eines Zweigs und die Früchte eines Baumes“.
Das heißt: die Menschheit gleicht einem Baum und die Nationen oder Völker gleichen
den verschiedenen Aesten und Zweigen; die einzelnen Menschen aber gleichen den Blüten und
Früchten dieses Baumes. In dieser Weise stellte Bahá’u’lláh das Prinzip der Einheit der
Menschheit dar. Bahá’u’lláh verkündigte die Einheit der ganzen Menschheit, er versenkte sie
alle im Meer der göttlichen Gnade.
2. Alle Menschen sollen die Wahrheit selbständig erforschen.
In religiösen Fragen sollte niemand blindlings seinen Eltern und Voreltern folgen. Jeder muß mit eigenen Augen sehen, mit eigenen Ohren hören und die Wahrheit suchen, denn die Religionen sind häufig nichts anderes als Nachahmungen des von den Eltern und Voreltern übernommenen Glaubens.
3. Alle Religionen haben eine gemeinsame Grundlage.
Alle göttlichen Verordnungen beruhen auf ein und derselben Wirklichkeit. Diese Grundlage ist die Wahrheit und bildet eine Einheit, nicht eine Mehrheit. Daher beruhen alle Religionen auf einer einheitlichen Grundlage. Im Laufe der Zeit sind gewisse Formen und Zeremonien der Religion beigefügt worden. Dieses bigotte menschliche Beiwerk ist unwesentlich und nebensächlich und verursacht die Abweichungen und Streitigkeiten unter den Religionen. Wenn wir aber diese äußere Form beiseite legen und die Wirklichkeit suchen, so zeigt sich, daß es nur eine göttliche Religion gibt.
4. Die Religion muss die Ursache der Einigkeit und Eintracht unter den Menschen sein.
Die Religion ist für die Menschheit die größte göttliche Gabe, die Ursache des wahren Lebens und hohen sittlichen Wertes; sie führt den Menschen zum ewigen Leben. Die Religion sollte weder Haß und Feindschaft noch Tyrannei und Ungerechtigkeiten verursachen. Gegenüber einer Religion, die zu Mißhelligkeit und Zwietracht, zu Spaltungen und Streitigkeiten führt, wäre Religionslosigkeit vorzuziehen. Die religiösen Lehren sind für die Seele das, was die Arznei für den Kranken ist. Wenn aber ein Heilmittel die Krankheit verschlimmert, so ist es besser, es nicht anzuwenden.
5. Die Religion muss mit Wissenschaft und Vernunft übereinstimmen.
Die Religion muß mit der Wissenschaft übereinstimmen und der Vernunft entsprechen, so daß die Wissenschaft die Religion, die Religion die Wissenschaft stützt. Diese beiden müssen unauflöslich miteinander verbunden sein.
6. Mann und Frau haben gleiche Rechte.
Dies ist eine besondere Lehre Bahá’u’lláhs, denn die früheren Religionen stellen die Männer über die Frauen. Töchter und Söhne müssen gleichwertige Erziehung und Bildung genießen. Dies wird viel zum Fortschritt und zur Einigung der Menschheit beitragen.
7. Vorurteile jeglicher Art müssen abgelegt werden.
Alle Propheten Gottes kamen, um die Menschen zu einigen, nicht um sie zu trennen. Sie kamen, um das Gesetz der Liebe zu verwirklichen, nicht um Feindschaft unter sie zu bringen. Daher müssen alle Vorurteile rassischer, völkischer, politischer oder religiöser Art abgelegt werden. Wir müssen zur Ursache der Einigung der ganzen Menschheit werden.
8. Der Weltfriede muss verwirklicht werden.
Alle Menschen und Nationen sollen sich bemühen, Frieden unter sich zu schließen. Sie sollen darnach streben, daß der universale Friede zwischen allen Regierungen, Religionen, Rassen und zwischen den Bewohnern der ganzen Welt verwirklicht wird. Die Errichtung des Weltfriedens ist heutzutage die wichtigste Angelegenheit. Die Verwirklichung dieses Prinzips ist eine schreiende Notwendigkeit unserer Zeit.
9. Beide Geschlechter sollen die beste geistige und sittliche Bildung und Erziehung geniessen.
Alle Menschen müssen erzogen und belehrt werden. Eine Forderung der Religion ist, daß jedermann erzogen werde und daß er die Möglichkeit habe, Wissen und Kenntnisse zu erwerben. Die Erziehung jedes Kindes ist unerläßliche Pflicht. Für Elternlose und Unbemittelte hat die Gemeinde zu sorgen.
10. Die soziale Frage muss gelöst werden.
Keiner der früheren Religionsstifter hat die soziale Frage in so umfassender, vergeistigter Weise gelöst wie Bahá’u’lláh. Er hat Anordnungen getroffen, welche die Wohlfahrt und das Glück der ganzen Menschheit sichern. Wenn sich der Reiche eines schönen, sorglosen Lebens erfreut, so hat auch der Arme ein Anrecht auf ein trautes Heim und ein sorgenfreies Dasein. Solange die bisherigen Verhältnisse dauern, wird kein wahrhaft glücklicher Zustand für den Menschen erreicht werden. Vor Gott sind alle Menschen gleich berechtigt, vor Ihm gibt es kein Ansehen der Person; alle stehen im Schutze seiner Gerechtigkeit.
11. Es muss eine Einheitssprache und Einheitsschrift eingeführt werden.
Bahá’u’lláh befahl die Einführung einer Welteinheitssprache. Es muß aus allen Ländern ein Ausschuß zusammentreten, der zur Erleichterung des internationalen Verkehrs entweder eine schon bestehende Sprache zur Weltsprache erklären oder eine neue Sprache als Weltsprache schaffen soll; diese Sprache muß in allen Schulen und Hochschulen der Welt gelehrt werden, damit dann niemand mehr nötig hat, außer dieser Sprache und seiner Muttersprache eine weitere zu erlernen.
12. Es muss ein Weltschiedsgerichtshof eingesetzt werden.
Nach dem Gebot Gottes soll durch das ernstliche Bestreben aller Menschen ein Weltschiedsgerichtshof geschaffen werden, der die Streitigkeiten aller Nationen schlichten soll und dessen Entscheidung sich jedermann unterzuordnen hat.
Vor mehr als 50 Jahren befahl Bahá’u’lláh der Menschheit, den Weltfrieden aufzurichten und rief alle Nationen zum „internationalen Ausgleich“, damit alle Grenzfragen sowie die Fragen nationaler Ehre, nationalen Eigentums und aller internationalen Lebensinteressen durch ein schiedsrichterliches „Haus der Gerechtigkeit" entschieden werden können.
Bahá’u’lláh verkündigte diese Prinzipien allen Herrschern der Welt. Sie sind der Geist und das Licht dieses Zeitalters. Von ihrer Verwirklichung hängt das Wohlergehen für unsere Zeit und das der gesamten Menschheit ab.
SONNE DER WAHRHEIT Organ der deutschen Bahá’i Herausgegeben vom Verlag des deutschen Bahá’i-Bundes, Stuttgart Verantwortliche Schriftleitung: Alice Schwarz-Solivo, Stuttgart, Alexanderstraße 3 Preis vierteljährlich 1.80 Goldmark, im Ausland 2.– Goldmark |
Heft 11 | Stuttgart, im Januar 1931 Masá’il (Fragen) 87 |
10. Jahrgang |
Motto: Einheit der Menschheit — Universaler Friede — Universale Religion
Inhalt: Gebet. — Konsul Albert Schwarz †. — Verwandlung. — Das Heilige Buch der Gewißheit. — Aus dem Schatz der Erinnerungen an Abbas Effendi, ’Abdu'l-Bahá. Haifa. — Weltliches und geistiges Leben. — Das neue China. — Gebet. — Wie ein Märchen, aber Wirklichkeit.
Gebet[Bearbeiten]
O Du allmächtiger Gott! Gib der ganzen Menschheit die Kraft, daß sie nach den Anweisungen und den Lehren, die in diesen Schriften stehen, handeln, damit Krieg und Streit aus der Welt schwinde, daß die Wurzeln der Feindschaft zerstört werden und die Grundlage der Liebe und Güte zu Tage trete. Erfülle Du die Herzen mit Liebe und gewähre den Seelen, daß sie sich zueinander hingezogen fühlen. Gestatte, daß Weisheit sich entwickle und daß die Gesichter leuchten und strahlen, daß kein Krieg und Streit mehr geführt wird und daß Trost und Friede aufkomme. Hilf, daß die Einigkeit der Menschheit ihr Zelt auf der höchsten Warte aufstelle, daß die Völker und die einzelnen Teile zu einer Nation werden, daß die verschiedenen Erdteile wie ein Erdteil und die ganze Erde wie ein Land werde. Gewähre Du, daß die verschiedenen sich dogmatisch widersprechenden Religionen vereint werden, daß die erschaffene Welt sich schmücke und alle Erdenbewohner in Einheit und Frieden beisammen leben.
Wahrlich, Du bist der Gebende, der Gnadenspendende, der Beschützer.
'Abdu'l-Bahá.
(Aus Tablets von 'Abdu'l-Bahá nach Amerika)
- Alice Schwarz, Stuttgart.
inexpressibly sad profoundly deplore passing germanys outstanding bahai pioneer worker memory his distinguished services imperishable greatest holy leaf joins me assurance affectionate prayer heartfelt condolences. shoghi.
Unaussprechlich betrübt bedauere ich tief das Hinscheiden Deutschlands hervorragenden Bahá’i-Vorkämpfers. Gedenke seines hervorragenden Dienstes unauslöschlich. Das größte Heilige Blatt schließt sich meiner Versicherung innigster Gebete an. Shoghi.
Konsul Albert Schwarz †[Bearbeiten]
Am 13. Januar 1931 ist der Vorsitzende des Geistigen Nationalrats der deutschen Bahá’i, Kommerzienrat Albert Schwarz, Kgl. Norwegischer Konsul, in die ewige Heimat eingegangen.
Obwohl er seit einigen Jahren schwer leidend war und seiner Berufstätigkeit nicht mehr in vollem Maß nachkommen konnte, hat er trotzdem sein Bestes getan, der heiligen Sache mit der ganzen Kraft seiner Persönlichkeit zu dienen. Wir Bahá’i verlieren mit ihm einen der treuesten und hingebungsvollsten Anhänger und Pioniere der göttlichen Offenbarung Bahá’u’lláhs.
Von Natur aus mit hervorragenden menschlichen Eigenschaften reich ausgestattet,
lag ihm die Förderung und Entwicklung menschenfreundlicher sozialer
Organisationen schon immer am Herzen, als er im Jahre 1913 die große
Gnade erfahren durfte, in den Lichtkreis ‘Abdu’l-Bahás zu treten. Er hat
Werte geschaffen auf dem Gebiet der Unterstützung werdender Künstler und
auf kommerziellem Gebiet weit über Württembergs Grenzen hinaus. Durch die
Neushöpfung des Bades Mergentheim hat er der leidenden Menschheit durch
rastlose, unermüdliche Arbeit unter großen persönlichen Opfern mit ungeheurem
Idealismus einen Heilborn neu erstehen lassen. Er durfte die große Freude
erleben, daß unser geliebter Meister während Seines Aufenthaltes in Stuttgart
so lebhaft sich für dieses soziale Werk interessierte, daß Er einen
persönlichen Besuch mit Konsul Schwarz daselbst abstattete. Der Segen, den
unser Meister über dieses Bad sprach, begann sich bald zu verwirklichen und
hat den Ruf dieses Heilbades weit über die engen Grenzen seiner Heimat
hinausgetragen. In tiefer
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Dankbarkeit hat unser verehrter Vorsitzender dem geliebten Meister einen
Gedenkstein in Bad Mergentheim gesetzt.
Während unseres geliebten Meisters Aufenthalt in Stuttgart war es dem lieben Verstorbenen täglich vergönnt, ‘Abdu’l-Bahá zu sehen. Auch hat unser Meister sein Haus mit Seiner gesegneten Gegenwart öfters geehrt. Der Verstorbene war so erfüllt von dem Geiste ‘Abdu’l-Bahás, daß ihn seine Sehnsucht dazu trieb, noch einmal ‘Abdu’l-Bahá vor Seiner Abreise von Europa in Paris aufzusuchen, und hatte daraufhin den Vorzug, mehrere unvergeßliche Tage in hohem geistigem Austausch voll Offenbarungen und Erkenntnissen mit dem geliebten Meister erleben zu dürfen. Die Begegnung mit 'Abdu'l-Bahá war für seine weitere geistige Entwicklung von weittragender Bedeutung. Der Heimgang 'Abdu'l-Bahás im Herbst 1921 war für ihn überaus erschütternd, zumal er stets gehofft hatte, Ihn in Haifa aufsuchen zu können. Er ist im folgenden Frühjahr mit seiner Gattin einer Einladung Shoghi Effendis folgend nach Haifa gereist und hat sich mit ganzem Herzen in den Dienst des Hüters der heiligen Sache gestellt.
Seit dem Bestehen des Nationalrates bekleidete Konsul Schwarz die Stelle des Vorsitzenden. In seinen schweren Leidenstagen hat er so vielfach den Segen 'Abdu'l-Bahás und die Gebetserhörungen Bahá’u’lláhs erfahren, und sein Glaube hat ihm manche schwere Leidensstunde erleichtert, besonders in der tragischen, durch die Not der Verhältnisse bedingten letzten und schwersten Zeit seines Lebens.
In dem lieben Verstorbenen haben wir alle einen aufrichtigen, edlen, stets hilfsbereiten Freund verloren, der jedem, der sich an ihn wandte, mit Rat und Tat hilfreich und verständnisvoll zur Seite stand. Mit seinem Heimgang entsteht eine Lücke in unserer Reihe, die wir noch kaum ermessen können. Trotz der schweren Prüfungen, die über ihn gekommen sind, ist er seiner Überzeugung und seinem Wesen treu geblieben. Er gilt uns als leuchtendes Beispiel für alle Zeit.
Verwandlung.[Bearbeiten]
Von M.L.Fack, Stuttgart
Wir nennen dich Tod, der dem Leben gram,
der mit dürren Händen zu nehmen kam.
Du bist nur Verwandlung. Zu höherem Sein
gehen wir einst in die Ewigkeit ein.
Anbetend stehn wir und beugen uns still
in heiliger Ehrfurcht: Wie Gott es will!
Und wissen getrost, wenn die Hülle zerbricht
auferstehet die Seele im Licht.
Das Heilige Buch der Gewißheit[Bearbeiten]
(Fortsetzung)
(Kitab-El-Iqan aus der Feder von Bahá’u’lláh)
Aus dem Französischen ins Deutsche übersetzt von Dr. A. Mühlschlegel, Stuttgart
All diese verschiedenen Lichter strömen von derselben Lampe aus. All diese Früchte
kommen vom gleichen Baum. Kein Unterschied besteht zwischen ihnen. Dies kommt
von der Güte des Herrn zu Seinen Geschöpfen.
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Mit Gottes Hilfe werden wir uns vor den Ländern der Verleugnung bewahren und
uns nach den Meeren der Anerkennung leiten lassen, wo wir, unbeirrt von Dingen
oder Menschen, erkennen werden, was in der göttlichen Ordnung eines ist, was
verschieden, was vereint ist, was getrennt, was begrenzt ist und was rein an
sich. Wir werden dann zum allerhöchsten Horizont der Nähe
göttlicher Bedeutung emporsteigen.
Wenn also in den jüngst vergangenen Tagen eine Offenbarung von der Sphäre der früheren Offenbarungen aus erscheint, so können wir ihr den Namen der früheren geben; denn sie strahlt das gleiche aus. So hat der Báb — möge meine Seele ein Opfer für ihn sein! — das Gleichnis von der Sonne erzählt und gesagt, vom unendlichen Anfang bis zur unendlichen Ewigkeit ist es allezeit die gleiche Sonne, welche aufgeht. Wir können dann sagen: „Diese Sonne ist dieselbe wie ehedem“, oder auch: „Sie ist die Wiederkunft von jener einstigen.“ So haben also seit dem ersten Anfang die Manifestationen sich mit dem Namen des Vorausgegangenen der Propheten benennen können. Um der gleichen Sache willen ist der Letzte erschienen und der Erste gekommen. Und wie ist all dieses klar für die, welche mit Gehör begabt sind! Und doch, wieviele Menschen, die es nicht erfaßten, sind aller Wohltaten vom Namen des „Siegels der Propheten“ beraubt geblieben!
Hat er nicht selbst gesagt, wie wir es ja gesehen haben: „Ich bin alle Propheten, ich bin Adam, Noah, Moses und Jesus.“ Ebenso wie er gesagt hat: „Ich bin der erste Adam“, hat er sagen können: „Ich bin der letzte Adam.“ Das ist so einfach, daß heutzutage alle Völker der Erde daran geprüft werden, und ihrer sind viele, die dieser Satz am Glauben an die neue Manifestation hindert!
Und wie erfassen sie den Anfang und das Ende, auf Gott bezogen? Ruhm sei Seinem Namen! — Wenn das ein körperlicher Anfang oder Ende ist, so ist die Welt noch nicht zu diesem Ende gelangt. Wie hat dann Muhammed sich das „Siegel der Propheten“ nennen können? Hier aber ist Anfang und Ende das gleiche. Und gleichwie seit dem unendlichen Anfang Gott, der Meister des Sichtbaren und Unsichtbaren sich den Letzten nennen könnte, wie Er sich auch den Ersten nennen konnte, so können ebenso Seine Manifestationen sich die ersten nennen, wenn sie auch am Ende kommen. Schauende Geister könnten verstehen, daß die Manifestationen, seien sie am Anfang oder am Ende, sichtbar, unsichtbar, urstofflich oder vollendet, alle die heiligen Wesenheiten des Reinsten Geistes und der Göttlichen Seele sind. Wenn du dich emporschwingst in die Höhen des „Gott war vor jedem Dinge“, so wirst du sehen: alle diese Namen haben kein Gewicht für Ihn, und du wirst dich nicht mehr bei solchen Hindernissen aufhalten. Welch hehre Stufe wirst du dann erreichen! Gabriel selbst würde nicht dorthin gelangen ohne Führer; und der Heilige Geist könnte nicht dorthin sich emporschwingen ohne Hilfe!
Jetzt kannst du verstehen die Worte des Azrat-Amir, als er sprach von dem
„Enthüllen der größten Schleier ohne die Hilfe eines Zeichens.“ Unter die größten
Schleier, welche die Menschen am Sehen hindern, muß man die Priester und Gelehrten der
Zeit der Offenbarungen rechnen, die aus Mangel an Fassungskraft und befangen von
Sucht nach weltlicher Macht sich nicht der Sache Gottes hingeben. Nicht allein taub
sind sie für die göttliche Stimme, sondern sie verstopfen sich sogar die Ohren. Und die
Menschen, die statt Gott sie zu Führern nehmen, warten darauf, von diesen eigensinnigen
Köpfen zurückgestoßen oder angenommen zu werden: sie haben weder Ohren
noch Augen noch Herz, um Wahres und Falsches zu erkennen, während doch alle
Propheten, die Auserwählten und die Meister, es uns ans Herz legen, auf Gottes
Befehl mit unseren eigenen Augen zu sehen, mit unseren eigenen Ohren zu hören.
Jedoch die Menschen kümmern sich in keiner Weise darum und folgen weiter ihren
Priestern. Wenn dann auch ein Mann aus niederem Stande ohne Schule kommt und ihnen
sagt: „Ach, meine Mitbürger, glaubt doch diesem Gottgesandten!“ (Kor. XXXVI, 19.)
so antworten sie: „Soviele Priester und Gelehrte, mit sovielen
Diplomen versehen und reich bekleidet
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haben nicht das Wahre vom Falschen unterscheiden können und du, du solltest es
erkennen?“ Sie verstehen es nicht, wie ein armer Kerl mehr Wissen haben kann als
alle gewaltigen Gelehrten zusammen. Wenn Zahl und äußere Zierde ein Zeichen des
Wissens und der Sachverständigkeit wären, dann hätten sie recht. Aber bekanntlich
haben zu aller Zeit, wenn eine Manifestation erschien, die Priester und Gelehrten
die Völker vom Wege Gottes ferngehalten: Alle Schriften bezeugen es. Kein Prophet
ist entsandt worden, der nicht Haß, Verleugnung, Ungehorsam von den Priestern hätte
auf sich nehmen müssen. Gott strafe sie für das, was sie getan haben von alters her
bis auf heute!
Welch ein Schleier ist größer als diese irrenden Geschöpfe! Ich schwöre bei Gott: nichts ist schwieriger, als diesen Schleier zu entdecken oder ihn zu zerreißen. Gott helfe euch, ihr Völker des Geistes, dieses Werk in der gewollten Zeit zu erfüllen, auf daß ihr nicht des Erscheinens vor Ihm in diesen Tagen beraubt seid!
So sind auch, beim Namen des Siegels der Propheten, all diese Dinge, die wir gesehen haben, große Schleier, die zu lüften sind vor den Toren, denn dergleichen Feinheiten haben von jeher die Menschen beeindruckt.
(Fortsetzung folgt.)
Aus dem Schatz der Erinnerungen an Abbas Effendi, 'Abdu'l-Bahá. Haifa[Bearbeiten]
Zweiter Brief von Frau Dr. med. J. Fallscheer an Frau A. Schwarz, Stuttgart
Über das Verhältnis von Muttersprache zur künftigen Welteinheitssprache
Ort: Belehrung des Meisters an zwei englische Damen, Miß St. und Miß Str. im Frauengemach (Haremlik) im Hause von Abbas Effendi ‘Abdu’l-Bahá, Haifa (Persische Kolonie).
Zeit: 20. Januar 1910. 5 Uhr (Donnerstag).
Personen: Außer den obengenannten noch Behia Chanum, Munira Chanum und deren persische Freundin (von Akko). Letztere übersetzte die Worte des Meisters aus dem Persischen ins Englische. — Anwesend ist auch die Hausärztin Dr. Fallscheer.
Miß Str.: „Abbas Effendi, darf ich dem Meister der Bahá’i die Frage vorlegen: Warum hat Euer Prophet Bahá’u’lláh neben der jeweiligen Muttersprache Seinen Anhängern noch eine Welteinheitssprache empfohlen, sei es Volapück oder Esperanto oder wie alle die Kunstgebilde heißen? Ist nicht unser Englisch bereits eine wahre Weltsprache? Im britischen Reiche geht die Sonne nicht unter! Mit „Englisch“ allein kann man in fünf Erdteilen reisen, ohne eine andere Sprache zu benötigen! Was braucht also die Menschheit noch sich Mühe zu geben, eine schwere Kunstsprache neben der Muttersprache und neben der englischen Weltsprache zu lernen?“
Abbas Effendi: „Oh, meine Schwester, aus deinem Munde spricht der gewaltige Stolz
des Briten. Überlege dir einmal, liebt nicht jeder Mensch die Sprache seines
Stammes, seines Volkes, die Sprache seiner Väter, die Muttersprache seiner Heimat? Du
weißt wohl, wie groß die Macht einer sprachlichen Verständigung ist — du rühmst selbst,
mit „English“ allein kann man alle Erdteile bereisen! Also für den Weltfrieden, die
Welteinheit ist ein gemeinsames Band der gedanklichen Verständigung, d. h. eine
Einheitssprache dringend nötig, darüber sind sich Gelehrte und Laien aller Nationen einig.
Würde aber unsre geheiligte Vollkommenheit Bahá’u’lláh — gepriesen sei Sein
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Andenken — eine bereits vorhandene Sprache, wie euer Englisch, empfohlen haben, so
hätten sich gerade Vertreter der Kulturnationen: Deutsche, Franzosen, Italiener,
Spanier, die Slaven, die Ungarn usw. dagegen gewehrt, noch mehr aber die Vertreter der
östlichen Völker. Wir, würden sie sagen, wollen nicht die Sprache der Welteroberer
schon von Kind an lernen, damit beugen wir uns im voraus unter das britische Joch, das
wir eines fernen Tages abschütteln wollen.
Soll ich dir an unserer köstlichen persischen Muttersprache das erklären? Wohlan, so höret, meine Freundinnen:
Unsere älteste Sprache ist das „Zend“, welches dem indischen Sanskrit nahe verwandt ist.
Im „Zend“ sind die heiligen Bücher der Awesta (Zoroasters Lehrbuch) geschrieben. Während der
Geschichtsperiode der Parther von 400 v. Chr. Geburt bis 300 Jahre n. Chr. (also
während der „dunklen 700 Jahre“) verfallt die altehrwürdige Sprache der „Awesta“.
Das „Zend“ löst sich auf zu einem Gemisch mit benachbarten Sprachen. Unter der
Herrschaft der Sassaniden drängt die aramäische Sprache Vorderasiens alle anderen
Sprachmengsel zurück und verbindet sich mit dem Altpersishen zu einem neuen
Sprachgebilde, dem „Pehlevi“ oder „Huzvasesch“, welches die lebende Volkssprache des
ganzen mittleren und westlichen persischen Reiches wurde. Im östlichen Persien
behauptete sich das Altpersische besser gegen das eindringende aramäische Sprachelement – es
entwickelte sich zum „Parsi“, zu der eigentlihen Durchgangssprache, zum Neupersischen.
Selbst die arabische Fremdherrschaft, welche durch die Lehre des Propheten Muhammed
den uralten Zoroasterglauben der Licht- und Feueranbeter verdrängte,
vermochte nicht das Wiederaufblühen der nationalen Sprache des Persertums zu verhindern.
Solange die persische Sprache des Pehlevi und des Parsi herrschte, blühte auch
das Nationalepos und die persische Lyrik in ursprünglicher und ungetrübter Reinheit.
Im 11. Jahrhundert aber drang die arabische Sprache mehr und mehr in die Verwaltung
und in die höhere Gesellschaft der Höfe, der Gelehrten und der Kaufleute ein. Das
Arabische war die heilige Sprache, die Weltsprache des Islams, die Herzenssprache des
Propheten Muhammed, des Gesandten Gottes. Hatte nicht der Engel des Höchsten,
Gabriel, in arabischer Sprache dem Heiligen Gottes, dem Propheten Muhammed, seine
Weltmission, der Verkündigung des „Einen Gottes“, aufgetragen? Die nivellierende Kraft
einer Sprachmischung, des Eindringens der arabischen Elemente in das Persische machte
sich von nun an geltend. Bald nach dem glänzenden persischen Lichte, Firdusi, verliert
sich die Reinheit der persischen Sprache, letztere nimmt zahlreiche arabische Fremdwörter
auf, die sie erst im Laufe von Jahrhunderten nationalisiert und assimiliert zum Schaden
der persischen Epik und Lyrik. In dem modernen persisch-arabischen Sprachgewand wird die
reine Poesie zur Modedichtung, zur höfischen Lobhudelei; in äußerlich schöner Form wird
ein leerer Inhalt geboten. Oh, meine Freundinnen, täuschen wir uns nicht: die Sprache ist
das tiefste Merkmal eines Volkes, ja die Sprache ist das Gewand des Volksgeistes, die Sprache
ist ein Maßstab des Kulturgrades einer Nation. Eine überwuchernde Sprachmengerei greift bald
auf Kunst und dann auf die Moral eines Volkes über. Was ist Barbarei? Barbarei ist
die uneingeschränkte Herrschaft zügelloser Triebe! Zeigt die Volkssprache Zügellosigkeit und
Willkür, Unterwerfung unter die Sprache der materiellen oder geistigen Eroberer und
Sieger, so wird sie zum Grabgeläute der Freiheit eines Volkes! Die Geistesgeschichte
jedes Volkes, sei es abend- oder morgenländisch, antik oder modern,
beweist das. Die Wiedergeburt eines Volkes, das Wiedergewinnen seiner Freiheit beginnt
bei der Disziplinierung und Pflege seines Sprachgutes. Ein Volk, das sich mit geborgten
Flittern einer fremden Sprache sein ureigenstes Sprachgewand verunziert, lebt — nein — vegetiert
in absteigender Linie. Wenn die Gesegnete Vollkommenheit Bahá’u’lláhs
einer Weltsprache das Wort redet, so soll diese Welteinheitssprache nicht das Wunder
der eigenen Sprache verdunkeln oder verdrängen. Wir, die persischen Bahá’i, wollen
weder unsere eigene, in Jahrtausenden entwickelte Sprache, das lebende Zeugnis unserer
Kämpfe und Leiden, unserer
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Geistesniederlagen und Geistessiege, weder preisgeben noch anderen aufdrängen.
Merket wohl auf, ihr Töchter des Abendlandes:
Die Pflege der eigenen Muttersprache ist Dienst an den Brüdern des eigenen Volkes. Das Erlernen und der Gebrauch einer Welteinheitssprache, z. B. des Esperanto, ist Dienst an den Brüdern der Menschheit.
Die eigene Sprache ist die Heimatluft, der wir im Leben und Sterben bedürfen, die uns von der Wiege bis zum Grabe umgibt, die unser persönlichstes Eigentum ist und bleibt. Die Welteinheitssprache ist zu vergleichen einer Brücke in die übrige Welt, eines Dampfrosses des Verkehrs, eines Luftschiffes zur Menschen- und Güterbeförderung.
Gibst du, o Mensch, die eigene, die Muttersprache auf, so verlassen dich Glaube, Liebe und Hoffnung, so fliehen dich Künste und Wissenschaften, so entweicht Recht und Gesetz, Moral und Sittlichkeit.
Was macht die Juden in Tat und Wahrheit heimatlos in der weiten Welt — der Verlust ihrer hebräischen Muttersprache. Darum beginnen sie ihren völkischen Wiederaufbau mit der Wiederbelebung und Wiedereinführung ihrer hebräischen Muttersprache! Oh, meine Freundinnen des Abendlandes: Die Muttersprache ist und wird es immer sein, die Herrin im Hause eines Volkstumes, die Welteinbeitssprache darf und wird stets nur die gehorsame und nützliche Magd ihrer vorgesetzten Herrin sein und bleiben.“
Alláh El Abhá! — mit dem Bahá’i-Gruß entfernte Sich der Meister.
Schweigend tranken wir unsern grünen Persertee zu Ende und empfahlen uns den lieben Hausgenossinnen, die in der Gegenwart von fremden, abendländischen Damen nie ihre Zurückhaltung aufgaben. — Wir hatten wieder einmal viel gelernt, sogar unsere stolze Britin, Miß Str., zeigte sich sehr beeindruckt.
Weltliches und geistiges Leben[Bearbeiten]
Von der Geistigen Arbeitsgemeinschaft Schwerin (Mecklenburg)
Denn das Fleisch gelüstet wider den Geist, und der Geist wider das Fleisch. (Galater 5, 17)
Der Mensch besitzt eine zweifache Wesenheit: eine körperliche und eine geistige. Mit der körperlichen Wesenheit unterliegt er den Gesetzen der Natur, mit der geistigen ragt er in das Himmelreich hinein.
Sein körperliches Sein ist zeitlich und beschränkt. Daher heißt es in der Bibel: „Der Mensch vom Weibe geboren, lebt kurze Zeit und ist voll Unruhe; gehet auf wie eine Blume und fällt ab; fleucht wie ein Schatten und bleibt nicht.“ (Hiob 14, 1 und 2.) Sein geistiges Sein ist die Quelle ewiger Freude und Glückseligkeit. „Denn das Reich Gottes ist nicht Essen und Trinken, sondern Gerechtigkeit und Friede und Freude in dem heiligen Geiste.“ (Röm. 14, 17.)
„In der Welt der Natur gibt es Gewalttätigkeit, Selbstsucht, Angriff, Unterjochung, rechtwidriger Eingriff in die Rechte anderer und andere tadelnswerte Eigenschaften, die die Unvollkommenheiten der Tierwelt sind.“ ('Abdu'l-Bahá.)
„Die Frucht aber des Geistes ist Liebe, Freude, Friede, Geduld, Freundlichkeit, Gütigkeit, Glaube, Sanftmut, Keuschheit.“ (Galater 5, 22.)
Heute ist die niedere Natur die Beherrscherin aller Dinge geworden.
Können wir durch unser eigenes Bemühen dazu gelangen, ein geistiges Leben zu führen?
Der Apostel Paulus sagt:
»... Wollen habe ich wohl, aber Vollbringen das Gute finde ich nicht.
Denn das Gute, das ich will, das tue ich nicht, sondern das Böse, das ich nicht will, das tue ich. . .
Denn ich habe Lust an Gottes Gesetz nach dem inwendigen Menschen.
Ich sehe aber ein ander Gesetz in meinen Gliedern, das da widerstreitet dem Gesetz
in meinem Gemüte und nimmt mich gefangen
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in der Sünde Gesetz, welches ist in meinen Gliedern.
Ich elender Mensch! Wer wird mich erlösen von dem Leibe dieses Todes?“ (Röm. 7, 18, 19, 22—24.)
Wir hatten in der Welt des Mutterleibes schon alle Glieder, die wir in dieser Welt gebrauchen. Ebenso haben wir in dieser Welt alle Eigenschaften für die künftige in uns. ".. . Denn sehet, das Reich Gottes ist inwendig in euch." (Lukas 17, 21.)
Damit wir diese Eigenschaften jetzt schon entwickeln können und befähigt werden, statt des weltlichen Lebens ein geistiges Leben zu führen, sendet Gott Seine heiligen Botschafter zu uns. „Daran ist erschienen die Liebe Gottes gegen uns, daß Gott Seinen eingeborenen Sohn gesandt hat in die Welt, daß wir durch Ihn leben sollen.“ (1. Joh. 4, 9.)
Die Gottgesandten sind die Lebenspender. Sie sind die geistigen Sonnen, die das Eis, welches die Herzen der Menschen umgibt, zum Schmelzen bringen und eine neue Frühlingszeit hervorrufen. Das von ihnen ausgesprochene Wort tritt in die Herzen der Menschen, verändert ihre ganze Natur und öffnet ihr Gemüt für die Wahrheit und die Liebe Gottes. „Denn das Wort Gottes ist lebendig und kräftig und schärfer denn kein zweischneidig Schwert und dringet durch, bis daß es scheidet Seele und Geist, auch Mark und Bein, und ist ein Richter der Gedanken und Sinne des Herzens.“ (Ebr. 4, 12.)
Alle Gottgesandten haben ihre eigene Identität, aber in der geistigen Wesenheit sind sie alle eins. Daher sagte Christus:
Ehe denn Abraham ward, bin ich.“ (Joh. 8, 58.)
Sie sprechen immer nach dem Auffassungsvermögen und in der Ausdrucksweise der Menschen ihres Zeitalters und ihres Erscheinungsortes. Daher sagte Christus: „Ich habe euch noch viel zu sagen, aber ihr könnet es jetzt nicht tragen.“ (Joh. 16, 12.)
Die geistigen Lehren aller Gottgesandten beruhen auf derselben Grundlage und sind ewig. „Es ist aber leichter, daß Himmel und Erde vergehen, denn daß ein Tüttel am Gesetz falle.“ (Lukas 16, 17.)
Moses lehrte: „Du sollst deinen Bruder nicht hassen in deinem Herzen ... .. . Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst, denn Ich bin der Herr.“ (3. Mo ses 19, 17 und 18.)
In den Sprüchen heißt es: „Hungert deinen Feind, so speise ihn mit Brot, dürstet ihn, so tränke ihn mit Wasser. Denn du wirst feurige Kohlen auf sein Haupt häufen, und der Herr wird dir's vergelten.“ (Sprüche 25, 21 und 22.) Christus sagte: „Ich aber sage euch: Liebet eure Feinde; segnet, die euch fluchen; tut wohl denen, die euch hassen; bittet für die, so euch beleidigen und verfolgen.“ (Matth. 5, 44.)
In der Bahá’i-Lehre heißt es: „... So stark muß der Geist der Liebe und Güte sein, daß sich der Fremde als Freund fühlt, der Feind als treuer Bruder und keine Unstimmigkeiten irgend welcher Art zwischen ihnen bestehen können .. .“ (Aus dem 1. Testament ‘Abdu’l-Bahás.)
Derjenige Teil der Lehren der Gottgesandten, der als Beifügung zu dieser geistigen Grundlage zu bezeichnen ist, verändert sich mit den Bedürfnissen der Zeiten und paßt sich den Erfordernissen der Menschheit an. Zum Beispiel wurde zu Moses Zeiten mit dem Ausdruck „dein Nächster“ die Angehörigen des Stammes Israel bezeichnet, während Christus lehrte, daß unter „dein Nächster“ auch die Angehörigen anderer Gemeinschaften, ja selbst die Feinde zu verstehen wären. (Lukas 10, 29 ff.)
Als Christus erschien, herrschte in der Welt eine große Finsternis. „Und das Licht scheinet in der Finsternis, und die Finsternis hat’s nicht begriffen.“ (Joh. 1, 5.) Die Moral der ganzen Welt war völlig verdorben, und die Israeliten befanden sich in großer Erniedrigung. Bald waren sie Gefangene der Perser, Chaldäer und Assyrer, bald Vasallen der Griechen. Zu Christi Zeiten waren sie den Römern unterworfen. Christus befaßte Sich mit dem Verbessern der allgemeinen Moral, gab der Menschheit die frohe Botschaft des Friedens und brachte uns das Evangelium der Liebe.
Doch wie nahmen Seine Mitmenschen diese Botschaft auf? Nur wenige hatten sehende
Augen und hörende Ohren (Matth. 13, 13), um Seine Lehren zu verstehen und in sich
aufzunehmen. Die Menge des Volkes. hielt
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Ihn für einen Verführer. Daher verfolgte sie Ihn, krönte Ihn mit einer Dornenkrone
und brachte Ihn ans Kreuz.
Wir lesen im Ev. Johannes 1, 1: „Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort.“ Im 14. Verse heißt es: „Und das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns, und wir sahen Seine Herrlichkeit als des eingeborenen Sohns vom Vater, voller Gnade und Wahrheit.“ Christus war das Wort, das, aus Elementen geformt, die Macht besitzt, die Menschen umzuwandeln, und sie auf eine höhere Entwicklungsstufe zu führen. Der Koran sagt, daß alle Menschen zusammen nicht ein (geistiges) Wort hervorbringen können 1). Alle Könige der Erde zusammen waren nicht fähig, Christus zu widerstehen.
1)„...Die Worte, die ich rede, die sind Geist und sind Leben.“ Christus. (Joh. 6, 63.)
‘Abdu’l-Bahá sagt hierüber:
„Als unser Herr Jesus Christus mit Dornen gekrönt war, wußte Er, daß alle Diademe der Welt zu Seinen Füßen lagen. Alle irdischen Kronen, so mächtig und glänzend sie auch sein mochten, beugten sich später in Anbetung vor der Dornenkrone. Von dieser sicheren und gewissen Erkenntnis ausgehend, sagte Er: „Mir ist gegeben alle Gewalt im Himmel und auf Erden.“ (Matth. 28, 18.)
Christus ist die Ursache aller Vollkommenheit. ‘Abdu’l-Bahá sagt hierüber: „Christus hat Sich selbst geopfert, um die Menschen von der Unvollkommenheit der Körperlichkeit zu erlösen, damit sie sich mit den Tugenden der geistigen Natur schmücken. Diese geistige Natur, die von der Güte der Wirklichkeit Gottes kommt, ist die Vereinigung aller Vollkommenheit, und sie besteht aus den Eingebungen des hl. Geistes, aus der göttlichen Vollkommenheit, dem Licht, der Geistigkeit, der Liebe, der Wohltätigkeit, der Barmherzigkeit gegen den Nächsten, der Menschenfreundlickeit, kurz: aus dem Wesen des Lebens.“
Als Christus auf Erden weilte, hatte Er keine bleibende Stätte. „... Die Füchse haben Gruben, und die Vögel unter dem Himmel haben Nester, aber des Menschen Sohn hat nichts, da Er Sein Haupt hin lege.“ (Matth. 8, 20.) Jetzt gibt es überall in der Welt herrliche Bauwerke, in denen Sein Name verkündet wird, und Glocken läuten Ihm zu Ehren.
Aber die Weihnachtsglocken, die vor kurzem verklungen sind, mahnen uns nicht nur an die Geburt des Heilandes der Welt. Sie haben für uns noch eine weitere Bedeutung. Sie erinnern uns auch an das Erscheinen des Weltenlehrers Bahá’u’lláh.
In der Bibel finden wir viele Stellen, die auf den Anbruch eines glorreichen Zeitalters hinweisen, in welchem die Menschheit sich zu neuem Leben erheben wird, welches von dem einstigen so verschieden sein wird, wie der Schmetterling von der Raupe und der Vogel vom Ei. Im 4. Mose 14, 21 lesen wir: „Aber so wahr als Ich lebe, so soll alle Welt der Herrlichkeit des Herrn voll werden.“
„Und Er wird auf diesem Berge die Hülle wegtun, damit alle Völker verhüllet sind, und die Decke, damit alle Heiden zugedeckt sind.“ (Jesaja 25, 7.) „Denn siehe, Ich will einen neuen Himmel und neue Erde schaffen, daß man der vorigen nicht mehr gedenken wird, noch zu Herzen nehmen. (Jesaja 65, 17.)
„Und Ich will unter ihnen wohnen und will ihr Gott sein, und sie sollen Mein Volk sein.“ (Hesekiel 37, 27.)
„Wir warten aber eines neuen Himmels und einer neuen Erde nach Seiner Verheißung, in welchen Gerechtigkeit wohnet.“ (2. Petrus 3, 13.)
" . . . Siehe da, die Hütte Gottes bei den Menschen; und Er wird bei ihnen wohnen, und sie werden Sein Volk sein, und Er Selbst, Gott mit ihnen, wird ihr Gott sein.
Und Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen; und der Tod wird nicht mehr sein1), noch Leid, noch Geschrei, noch Schmerzen wird mehr sein; denn das Erste ist vergangen.“ (Offenb. Joh. 21, 2 und 3.)
1) „Den Tod habe Ich gleich einer frohen Botschaft für Dich verordnet...“ Verborgene Worte, Seite 13.
Christus spricht im Ev. Joh. 14, 26 und 15, 26 von dem „Geist der Wahrheit“, den
Sein Vater senden werde, der daran erinnern werde, was Er gesagt habe, und der
von Ihm zeugen werde.
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Vor fünfzig Jahren las niemand in Persien die Bibel. Als Bahá’u’lláh auftrat, fragte
Er: „Warum nicht?“ Die Menschen antworteten Ihm: „Sie enthält nicht das Wort Gottes.“
Er sagte ihnen, daß sie nicht nur die Worte der Bibel lesen, sondern auch die
Bedeutung dieser Worte kennen müßten.
'Abdu'l-Bahá sagt:
„Jetzt lesen die Bahá’is überall im Osten die Bibel und verstehen ihre geistigen Lehren. Bahá’u’lláh verbreitete die Sache Christi und legte das Buch der Christen und Juden aus, beseitigte die Schranken der „Namen“. Er bewies, daß alle göttlichen Propheten dieselbe Wirklichkeit lehrten, und daß, wenn einer geleugnet würde, dies soviel bedeutete, daß auch die anderen geleugnet würden1), denn alle sind in vollkommener Einheit mit Gott.“
Zu einer Zeit, in der Gegensätze und Unterdrückung in der Welt überhand nehmen und die Habsucht unter den Menschen derart zugenommen hat, daß Leben und Eigentum bedroht sind2), verkündet Bahá’u’lláh die Einheit des Menschengeschlechtes und lehrt die Vaterschaft Gottes und die Bruderschaft unter den Menschen. Die Bahá’i-Lehre sagt, daß alle Menschen die Geschöpfe Gottes sind, und daß Seine Güte über alle ausgegossen ist. In allen sind die Spuren der göttlichen Gnade. In den Augen des Schöpfers sind alle Seine Kinder gleich. Er begünstigt niemand. Wenn dem so ist, warum machen die Menschen dann Uhnterschiede und richten Schranken der Einbildung und Überlieferungen unter sich auf, die Uneinigkeit und Haß hervorrufen?
1) „Wenn ihr Moses glaubtet,so glaubtet ihr auch mir..." Christus. (Joh. 5, 46.)
2) „Denn siehe, Finsternis bedeckt das Erdreich und Dunkel die Völker; aber über dir gehet auf der Herr, und Seine Herrlichkeit erscheinet über dir.“ Jesaja 60, 2.
Der einzige Unterschied, der zwischen den Menschen besteht, ist der Grad ihrer geistigen
Entwicklung. Manche sind wie unwissende Kinder und müssen belehrt werden, bis sie die Reife
erlangt haben. Andere sind wie Kranke und müssen sorgfältig behandelt werden. Die Bahá’i-Lehre
gebietet, keine abstoßenden Gefühle gegen solche Menschen in uns aufkommen zu lassen. Wir
sollen sie mit größter Freundlichkeit, Liebe, Nachsiht und Geduld behandeln.
Die Bahá’i-Lehre sagt weiter, daß Einigkeit eine Voraussetzung in der Existenz und Liebe die wahre Ursache des Lebens ist. In der materiellen Welt verdanken alle Dinge dem Gesetz der Anziehung ihr Dasein. Die Elemente, aus welchen z. B. das Holz und die Mineralien zusammengesetzt sind, werden durch das Gesetz der Anziehung zusammengehalten. Wenn dieses Gesetz zu wirken aufhört, trennen sich die Elemente voneinander, und der Gegenstand als solcher hört auf zu bestehen. Ebenso verhält es sich mit der Blume und dem menschlichen Körper. Wenn das Gesetz der Anziehung bei ihnen aufhört, dann stirbt sowohl die Blume als der Mensch. Das göttliche Gesetz der Anziehung, der Harmonie und der Einigkeit hält auch den großen Körper der Menschheit zusammen.
Wir sehen also, daß Anziehung, Harmonie, Einigkeit und Liebe die Ursachen des Lebens und Abstoßung, Uneinigkeit, Haß und Trennung die Ursachen des Todes bilden.
Das gleiche Gesetz wirkt auch in der geistigen Welt.
Der Apostel Johannes sagt:
„Denn das ist die Liebe zu Gott, daß wir Seine Gebote halten, und Seine Gebote sind nicht schwer.“ (1. Joh. 4, 3.)
Wir sollten daher dem Gesetz der Liebe gehorchen und allen Haß, alle Uneinigkeit und allen Streit meiden.
‘Abdu’l-Bahá gebietet uns, mit allen Menschen-Geschwistern und Religionen der Welt in äußerster Wahrhaftigkeit, Aufrichtigkeit, Gläubigkeit, Freundlichkeit, in Wohlwollen und Güte zu verkehren, damit alle Welt des Daseins erfüllt werde mit dem heiligen Feuer der Gnade Bahás, damit Unwissenheit, Feindschaft, Haß und Groll von der Welt verschwinde und die Dunkelheit der Entfremdung zwischen den Völkern und den Geschwistern der Welt dem Licht der Einheit den Weg freigebe.
„Wenn sich andere Menschen und Nationen euch gegenüber als untreu erweisen, laßt
eure Treue unter ihnen leuchten; wenn sie ungerecht zu euch sind, erweist ihnen
Gerechtigkeit; wenn sie sich fern von euch halten, zieht sie zu euch heran;
zeigen sie
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Feindschaft, so erweiset ihnen Freundschaft; wenn sie euer Leben vergiften, schenket ihren
Seelen Süßigkeit; fügen sie euch eine Wunde zu, so seid eine Salbe für ihre Schmerzen.
Dies sind die Eigenschaften des Aufrichtigen! Dies sind die Attribute des Wahrhaftigen!“
(Aus dem Testament 'Abdu'l-Bahás.)
Darum: „Jaget nach dem Frieden gegen jedermann und der Heiligung, ohne welche wird niemand den Herrn sehen.“ (Ebr. 12, 14.)
Alláh'u-Abhá.
Das neue China[Bearbeiten]
Von Dr. Hans Penzel, Chinesischlektor, München
Das alte stagnierende, niedergehende China, der Herrensitz der Europäer, ist gestorben, weil der Westen es ermordet hat. Ein neues China ist an seine Stelle getreten, und auf dies neue junge China mußten sich auch die „alten Gäste“ aus dem Westen umstellen, nicht allein nur in politischer Hinsicht. Neben den neuen politischen, sozialen Formen, die das Land errungen hat, ist von besonderer Bedeutung die tiefe Umwälzung auf geistigem und kulturellem Gebiet. — Da die europäisch-amerikanische Welt von dem eigentlichen geistigen und wissenschaftlichen Leben in China so gut wie keine Kenntnisse hat, hört man in ihrer Presse nur zu oft von einem China, das dem Untergang geweiht sei, seine Kultur sei im Verfall. Männer, die China wirklich kennen (und dazu gehört nicht allein, daß man im Reich der Mitte zwei oder drei Jahrzehnte gelebt hat) und von seiner Kultur eine gründliche Vorstellung haben, können nicht behaupten, daß hier „sich eine im Untergehen begriffene Kulturwelt vorfände, die noch am Ende des vergangenen Jahrhunderts als das älteste und unerschütterlichste Kulturgebäude der Menschheit dastand“. Gewiß, die religiöse Grundlage der konfuzianischen Sittlichkeit mag stark erschüttert sein, aber vom Untergehen der chinesischen Kultur kann keine Rede sein. Konfuzius hat Ideen für den sozialen Aufbau der Menschheit gegeben, die als Grundsätze der chinesischen Kultur anzusehen sind, einer Kultur, die sich vermöge dieser Grundsätze unter veränderten Zeitbedingungen verändern kann. Diesem dynamischen Moment, das sich auf das „Buch der Wandlungen“ gründet, verdankt die chinesische Kultur ihre Dauer.
Das konfuzianische Religionssystem war um 500 v. Chr. Geburt entstanden und war seit jener Zeit für nahezu 3000 Jahre in Geltung. Es war entscheidend für alles Handeln und Geschehen im Reich der Mitte, aber es war nicht lückenlos führend. Es hat auch in China Zeiten gegeben, wo in entscheidenden Augenblicken die Männer fehlten, die die geistige Umordnung in die Hand nahmen. Durch das plötzliche Auftreten von Führerpersönlichkeiten wurden allerdings die Lücken immer wieder ausgefüllt. Jetzt scheint das alte Gerippe des religiösen Konfuzianismus stark gefährdet zu sein. Das Studium der Chinesen im religionslosen Ausland hat eine Umwertung der alten chinesischen Werte und Gedanken mit sich gebracht. In der chinesischen Zeitschriftenpresse herrschen deshalb Aufsätze mit folgenden Titeln vor: „Neue Religion“, „Neue Moral“, „Die neue Erziehung“, „Die neue Tugend“, „Die neue Familie“, „Die neue Gesellschaft“, „Die neue Frau“, Mann und Frau“, „Das Wesen der Demokratie“ usf.
Da der Konfuzianismus die Grundlage für den alten patriarchalischen Familienstaat
abgab, und das Kaisertum zur kultischen Spitze hatte, ist er natürlich seit Ausrufung
der Republik besonders Gegenstand der Bekämpfung geworden. Aber Jung-China bekämpft
dieses alte System vor allem auch deshalb, weil China frei werden müsse von
einer Lehre, die Grundsätze der kindlichen Pietät verfechte, die die Frau zur Sklavin
des Mannes, ihres Vaters, ihres Schwiegervaters, ja sogar ihrer Söhne herabwürdige.
Das chinesisch-konfuzianische Familiensystem unterdrücke die Einzelpersönlichkeit
und hemme die Entwicklung der Individualität. In der Sondernummer einer
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Schanghaier Zeitschrift heißt es: „Warum darf der Mann Konkubinen heiraten, während sogar
der Witwe untersagt ist, einen zweiten Mann zu nehmen? Warum wird der Sohn zum
Herren der Familie, während die Tochter im Range eines Dienstmädchens steht und auch
so behandelt wird? Wir leben im Zeitalter der Demokratie. Dieses aristokratische Gift
muß bekämpft und ausgerottet werden, alle Aberglauben müssen im Lichte dieses
wissenschaftlichen Geistes gelüftet werden. Die Heirat zwischen Mann und Frau muß auf
Liebe begründet sein, die Eltern sollen sich um die Wahl des Ehegatten ihrer Kinder
nicht mehr kümmern. Wollen wir nicht ein zurückgebliebenes Volk bleiben, so müssen
wir zuerst an die Revolutionierung der Familie gehen.“ Von allen Religionssystemen
hat der Konfuzianismus am schwersten zu leiden. Von ihm ist nur eine verschwommene
Verehrung des „Himmelsherrn“, der Ahnenkult und die Konfuziusverehrung übrig geblieben.
Der ethisch-erzieherische Wert der konfuzianischen Weisheiten bleibt allerdings
weiter wesentlicher Bestandteil chinesischer Denkungsart und Handlungsweise.
Der Taoismus stammt aus fast derselben Quelle wie der Konfuzianismus, nur hat er im Gegensatz zum Konfuzianismus, der auf die Erfüllung der Gebote der Sittlichkeit den Hauptwert legt, mehr einen naturalistischen und mystischen Charakter. Für Konfuzius bedeutet die Kultur die Ausbildung und Harmonisierung der Natur. Laotse sieht in der Kultur als solcher nur die Abweichung von Sinn und Leben, und das Dasein der Kultur bedeutet für ihn schon den Verfall. Der Taoismus lehrt die Rückkehr zur Natur und verachtet das kulturelle Sonderbild des Menschen. Während der Konfuzianismus keine Priester kennt (der oberste Priester war der Kaiser, der Familienpriester ist der Hausvater), ist der Taoismus eine ausgesprochene Priesterreligion. Teilweise sind die taoistischen Priester große Gelehrte und Mystiker, teilweise leben sie als merkwürdige Zauberer. Manche dieser Zauberer genossen ein hohes Ansehen im Lande und versammelten viele Schüler um sich. Von ihrem Klosterwesen übernahm der Buddhismus, als er nach China kam, neben anderem auch seine Klosterregeln. Noch heute wendet man sich an die taoistischen Priester, wenn man einen bösen Geist bannen will oder wenn man durch Geisterschrift oder durch ein Medium im Trance mit Verstorbenen in Verbindung treten will. Den taoistischen Priestern schiebt man eine große Macht über die Aufenthaltsorte der Toten zu. Deshalb bittet man oft zu einem buddhistischen Begräbnis auch den taoistischen Priester, da der letztere dem Toten behilflich sein soll, die Gefahren der Wanderung ins Jenseits gut zu überstehen. Der stärkste Einfluß, den die Kultur Chinas erfahren hat, kam aber von Indien her durch den Buddhismus. In bezug auf religiöse Beeinflussung spielt er für Ostasien dieselbe Rolle, wie sie dereinst das Christentum in Europa gespielt hat. Wie das Christentum, so hat auch der Buddhismus eine neue Kunst und Literatur in China eingeführt, aber bei dieser Umstellung, die er in China verursachte, wandelte er sich selbst entscheidend. Die ersten Spuren der Verbreitung dieser Religion in China gehen auf die Zeit um und nach Christi Geburt zurück. Die große Bekehrungswelle jedoch ging erst in der Zeit vom 7.—10. Jahrhundert über das Reich der Mitte hinweg. Die Sehnsucht nach Erlösung und Religion, die im chinesischen Volk lebte, brachte der indischen Glaubenswelt schnell viele begeisterte Anhänger. Es pilgerten nicht nur viele Chinesen an die heiligen Stätten nach Indien, sondern fast der gesamte buddhistische Klerus mit seinem Patriarchen Da-Mo wanderte nach China aus. Viele chinesische Gelehrten wandten sich der neuen Lehre zu, um so mehr als die naturphilosophischen Lehren von Laotse und Dschuangtse — die das äußere Leben als vergänglich und gleichgültig bezeichneten — der Lehre des Buddhismus entgegenkamen, einer Lehre, die zum Grundsatz hat: „Aus dem ewigen Kreislauf des leidvollen Lebens heraus zu kommen durch das große Erwachen, durch das man frei wird für das Nirwana, das der Zustand jenseits von aller Endlichkeit ist, jenseits von Tod und Leben, ja selbst jenseits von Sein und Nichtsein.
Von den Europäern wird die Form des populären Buddhismus (mit seiner Schule des
„reinen Landes“) am besten und meisten gekannt. Es ist die Religionsform, die dem
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Christentum in manchen Teilen am meisten verwandt ist. In der Dreieinigkeit, wie sie
diese Glaubenslehre sieht, steht in der Mitte der große Buddha Amitabha, der Herr der
Barmherzigkeit, neben ihm die beiden Heiligen Bodhisatvas: Da-Schi-Dschi, der Große
und Mächtige, und Guan-Yin (japanisch Kuannon), der Barmherzige und Gnädige.
Diese Gestalt der zweiten Figur hat sich im Laufe der Zeit in China in eine weibliche
umgewandelt und wird heute als Mutter der Barmherzigkeit verehrt. Die Darstellungsform
hat dann durch katholische Einflüsse noch mehr Ähnlichkeit mit einem Muttergottesbild
angenommen. Der Halsschmuck der Kuannon bestand aus einer stilisierten
Lotosblume, die allmählich in ein christliches Kreuz umstilisiert worden ist. Diese
Darstellungen der Kuannon sind eines der interessantesten Probleme der religiösen
Kunst. Guan-Yin ist mit der Zeit eine sehr populäre Heilige in China geworden; in
jeder Not, in jeder Bedrängnis wird sie angerufen. Ihr Bild ist in allen buddhistischen
Tempeln zu finden. Der eigentliche Sinn der Figur ist aber die „söhnespendende Guan-Yin“.
Deshalb wird sie auch besonders bei Kinderlosigkeit (oder Söhnelosigkeit, was in
China faktisch fast der Kinderlosigkeit gleichkommt) angerufen.
Neben dem Buddhismus treten die anderen fremden Religionen in China in ihrer Bedeutung etwas stärker zurück. So macht das Christentum mit seinen zweieinhalb Millionen Anhängern (eine halbe Million Protestanten und zwei Millionen Katholiken) zahlenmäßig kaum ein Prozent der Bevölkerung aus, aber es wäre verfehlt, wenn man entsprechend dieser kleinen Zahl die geistige Bedeutung des Christentums einschätzen wollte. Das Christentum fand schon zu Beginn der Tang-Zeit (also gegen Anfang des 7. Jahrhunderts) in der Form des Nestorianismus seinen Eingang in China. Die eigentliche christliche Mission in China setzte erst im 16. Jahrhundert ein. Die Missionare erfreuten sich zu jener Zeit eines äußerst großen Ansehens. Damals hatte die christliche Religion ungeheure Entwicklungsmöglichkeiten, wenn die Ming-Dynastie an der Herrschaft geblieben wäre. Der Buddhismus hatte damals stark abgewirtschaftet. Das Christentum mit seinem hohen Ansehen und Einfluß sowohl beim kaiserlichen Hof wie beim Volk wäre sehr wohl geeignet gewesen, als Volksreligion an die Stelle des Buddhismus zu treten. Aber die Streitigkeiten auf dem Missionsgebiet zwischen den Jesuiten und den anderen kirchlichen Orden machten die großen Hoffnungen zunichte.
Neben dem Christentum, das bekanntlich aus Syrien nach China kam, fanden unter anderem auch der Mazdäismus (eine persische dualistische Religion mit Verehrung des Feuers) und die große Ketzerreligion des Manichäismus Eingang. Diese Sekten sind heute in China alle wieder verschwunden.
Der Islam hatte schon ziemlich früh Beziehungen zu China; ihr großer Religionsführer kannte das Reich der Mitte. Man sagt, daß in Kanton ein Oheim Muhammeds begraben sein soll. Jedenfalls gibt es heute noch 20-30 Millionen Moslimen in den wesentlichen Provinzen Chinas.
Auf allerlei Handelswegen scheint im 8. Jahrhundert auch schon das Judentum nach China gekommen zu sein, doch hat es interessanterweise mit der Zeit den Chinesen völlig assimiliert. Mitte des 19. Jahrhunderts ist in Kaifengfu die letzte Synagoge zerfallen.
Nach den oben erwähnten Streitigkeiten unter den katholischen Missionaren entstand
eine empfindliche Mißstimmung zwischen dem kaiserlichen Hof und den christlichen
Glaubensboten, die noch lange anhielt. Gleichzeitig mit dieser Entfremdung trat in
Europa eine immer weitgehendere Abwendung von China und der chinesischen Kultur
ein. Die Ursache zur Wendung im Verhältnis Europas zu China muß jedoch zum größten
Teile in rein politischen Gründen gesucht werden, Es klopfte nämlich England an die
Tore Chinas, nicht etwa aus Bedürfnis zum kulturellen Austausch, sondern zum Zwecke
der Anknüpfung von Handelsbeziehungen. Und als dieser Plan an den Bedenken der
Chinesen scheiterte, griff es zur brutalen Gewalt. Die anderen westlichen Großmächte
verhielten sich ebenso rücksichtslos. In dem
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Kampfe, der sich dann entspann, mußte China die Überlegenheit der europäischen
Waffen fühlen, ein Stück Land nach dem anderen abtreten und ein Zugeständnis nach
dem anderen sich abzwingen lassen. So war China allmählich der Tummelplatz des
europäischen Imperialismus und Kapitalismus geworden. Dies Bild bot sich noch bis zum
Weltkriege. Aber dann trat die große Wendung ein. Der Führer der chinesischen
Revolution, Sun-Yat-Sen, erweckte in seinem Volk das wunderbare große Nationalbewußtsein,
das da in der Folgezeit Chinas Einigung und Befreiung bewirkte, von deren
großartigem Verlauf wir alle Zeuge sind.
Neben der Revolution gegen die alte konfuzianische Ethik und Moral nimmt die literarische Revolution eine besondere Stellung ein. Die Bewegung, das gesprochene Chinesisch an die Stelle der toten Schriftsprache zu setzen, kann in seiner Bedeutung der Ersetzung des Lateinischen durch die nationalen Sprachen in Europa gleichgestellt werden. Die von der Welt gleichsam abgeschlossene Literatur war dem Volk unverständlich geworden. Die jungen Chinesen verlangten nach brauchbaren Mitteln für ihren Gedankenaustausch. So sind denn auch seit der Einführung der Umgangssprache als Schriftsprache binnen kurzem 400 Zeitschriften und viele große Zeitungen entstanden. Seit 1920 hat das Unterrichtsministerium für die Volksschulen den Gebrauch der lebenden Sprache eingeführt. Sie unterscheidet sich von der alten klassischen Sprache weniger durch die veränderte Schreibweise als durch ihren Stil. Die Schwierigkeiten der Erlernung der zur Umgangssprache gehörigen Schrift mit ihrem ungeheuren Zeichensatz von 15-40 000 Hieroglyphen bleiben ja trotzdem bestehen. Man muß bedenken, daß selbst die ältesten chinesischen Zeichen von einer Zeichnung des Bildes viel weiter entfernt sind, als etwa die Hieroglyphen der alten Ägypter. Die chinesischen Schriftzeichen geben uns heute kaum mehr eine Erinnerung an die Bilder, die ihnen einst als Vorbild zu Grunde lagen. Diese literarisch-kulturelle Umstellung hat den neuen Aufschwung einer philosophisch-humanistischen Richtung in der chinesischen Wissenschaft gezeitigt. Überhaupt hat die chinesische Kultur eine ihrer schwersten Krisen, in die sie der gewaltsame und rücksichtslose Einbruch des westlichen kapitalistischen Imperialismus gebracht hat, hinter sich. Das neue China hat sich aus der früheren hochmütigen Verachtung der westlichen Kultur frei gemacht und geht nun daran, das wertvolle Alte seiner Kultur mit westlichen Gedankenelementen zu befruchten. Was aus dieser Synthese von West und Ost Neues entstehen wird, können wir heute kaum ahnen.
In der religiösen, geistigen und kulturellen Reorganisation Chinas wird — darüber herrscht auch bei den führenden Chinesen kein Zweifel — die christliche Religion eine bedeutsame Rolle spielen. Die betrübliche Tatsache, daß die Missionare in der Zeit von 1840 ab etwa bis zum Weltkriege zu eng mit den imperialistischen Westmächten liiert waren und nur zu oft als Handlanger und Wegbereiter des europäisch-amerikanischen Militarismus und Kapitalismus mißbraucht wurden, verbleicht langsam angesichts der Tatsache, daß gerade unter den hervorragenden Kämpfern für die nationalen Rechte Chinas sich viele chinesischen Christen befanden. Insbesondere genügt der Hinweis, daß Sun-Yat-Sen, der Vater der chinesischen Revolution Christ war, und unter den Mitgliedern der gegenwärtigen Nationalregierung in Nanking nicht weniger als fünf Christen sitzen. Der allgemein bekannte chinesische Außenminister Wang äußerte sich kürzlich dahingehend, daß dem Christentum in China eine große Zukunft beschieden sein könne, wenn es nicht mehr in der westlichen Gestalt, sondern in einer Form erscheine, die Rücksicht nimmt auf die chinesischen Verhältnisse, auf chinesische Mentalität und chinesische Denkungsart.
So stehen wir vor der Frage, wie China die Überflutung seines Kulturplasmas durch die fremden Einflüsse überwinden und zur Schaffung einer neuen Kultur gelangen wird. Wie es schon einmal in der Geschichte die gewaltige von Indien her kommende buddhistische Welle überstanden hat, so wird auch jetzt die elastische Stärke der chinesischen Gedankenwelt eine Synthese finden, die die wertvollen Bestandteile beider Kulturen in sich zu vereinigen vermag.
Gebet[Bearbeiten]
Von M.L. Fack, Stuttgart
Gib mir Stille, Gott der Liebe,
jene heiligtiefe Stille,
da sich Neues vorbereitet,
und Dein heil’ger Schöpferwille
durch die Einsamkeiten schreitet.
In mir weinen tausend Schmerzen,
jauchzen tausend Seligkeiten
und ich fühle mir im Herzen
Ströme sich zum Meere weiten.
Wogen brausen auf und fallen
und der letzte Schein verglüht.
Durch der Stürme wildes Hallen
ringt sich scheu ein neues Lied.
Sprich, dem Chaos zu gebieten,
o mein Gott: „Es werde Licht“,
daß ein Meer von tausend Blüten
aus den dürren Zweigen bricht.
Wie ein Märchen, aber Wirklichkeit[Bearbeiten]
Von L. Ragaz, Schweiz
Unsere militaristischen Gegner pflegen uns zum Hohne entgegen zu halten, daß wir
offenbar, wenn der Feind über die Grenze breche (jenseits der Grenze wohnt ja nach
dem Phantasiebild dieser Menschen immer der „Feind“!), ihm statt unserer siegreichen
Armee (die sich übrigens nach der Meinung der gleichen Gegner in den Alpen verstecken
würde!) mit ihren Kanonen und Maschinengewehren weiß gekleidete Jungfrauen mit
Blumen und Kränzen zur Begrüßung entgegenschicken würden. Selbstverständlich
wissen wir, daß die Dinge sich ziemlich anders entwickeln würden: den Brisanzgranaten
und Giftgasbomben, die zur Einleitung einer solchen „Begegnung“ auf Zürich, Basel, Olten
und Bern fielen, könnten wir schon keine weißgekleideten, Blumen und Kränze
tragenden Jungfrauen entgegenschicken. Aber siehe da, was auch wir Antimilitaristen
für ein Märlein hielten, ist einmal, einmal wenigstens Wirklichkeit gewesen. Und
wie hat sich diese Wirklichkeit dargestellt?
Als Alfred Page aus Neuseeland bei uns war, erzählte er uns Folgendes, und seine Persönlichkeit verbürgt uns die genaue Wahrheit seines Berichtes:
Die Engländer trafen, als sie Neuseeland besiedelten, das Land im Besitze eines Volkes, das noch ganz urtümlichen Charakter hatte. Es waren die Maori. Sie lebten noch in der Kultur der Steinzeit, kannten aber nicht einmal Pfeil und Bogen. Menschenfresserei war bei ihnen Sitte. Sie bekehrten sich dann zum Christentum. In kürzester Frist waren sie bei der Kultur der christlichen Engländer angelangt. In den Schulen sind die Kinder der Maori denen der Engländer an Geist und Begabung eher überlegen. Es besteht. zwischen den beiden Rassen auch Connubium, d. h. sie verheirateten sich ohne Rückhalt miteinander, und die Mischlinge stehen auf einer besonders hohen Stufe. Die Maori genießen auch vollkommen die gleichen bürgerlichen Rechte wie die englischen Ansiedler. Alles Tatsachen von großer Bedeutsamkeit, wie jeder sofort erkennen wird. Doch wollen wir dabei nicht verweilen, sondern jene Geschichte wiedererzählen.
In den Anfängen der englischen Besiedelung gab es natürlich allerlei Konflikte zwischen
den Eingeborenen und den Ankömmlingen. Diese trachteten möglichst viel Land
in ihren Besitz zu bringen. Dabei kam es gelegentlich zu kriegerischen Exekutionen
gegen die Maori. So sollte einmal einer ihrer Stämme sein Land den neuen Ansiedlern
hergeben. Da er das nicht freiwillig tun wollte, wurde gegen ihn eine militärische
Expedition ausgeschickt. Schon näherten sich zweitausend mit modernen Waffen ausgerüstete
europäische Soldaten dem Dorfe, worin der Häuptling des Stammes seinen
Sitz hatte. Dieser, ein durch seine Tugend und Weisheit weit herum berühmter Mann,
hatte sich vor kurzem mit seinem ganzen
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Stamm zum Christentum bekehrt. Was tat er nun? Er ließ seine Stammesgenossen zusammen
kommen und erklärte ihnen folgendes: „Meine Kinder! Es kommen weiße Soldaten
gegen uns, um uns mit Gewalt unser Land zu rauben. Was sollen wir tun?
Sollen wir unsere Waffen nehmen und uns verteidigen? Das täten wir, wenn wir noch
den Götzen dienten. Aber wir haben ja von den Weißen die Lehre Christi empfangen.
Diese befiehlt uns, nicht Böses mit Bösem zu vergelten, sondern Böses mit Gutem. Als
Christen müssen wir aber doch Christus gehorchen. Darum befehle ich Euch dies: Ihr
Männer und Jünglinge, versammelt Euch auf dem Dorfplatz, ohne Waffen, zu friedlicher
Beratung. Ihr Frauen, backet Kuchen für die ankommenden Soldaten. Ihr Jungfrauen und
Kinder aber, zieht Eure Festkleider an, nehmet Blumen und Kränze, geht den Soldaten
entgegen, begrüßet sie durch Lieder, Tänze und Spiele. So wollen wir die
Lehre Christi üben. Sollten wir etwa anderes tun?“
Und so geschah es. Die zweitausend „christlichen“ Soldaten, die schuß- und stichbereit dem Dorfe nahten, staunten, als ihnen ein Zug von festlich gekleideten, singenden Jungfrauen und Kindern entgegenkam, ihnen Blumen und Kränze zum Gruße bot und zum Willkomm einen Reigentanz aufführte. Nicht wissend, wie ihnen geschehe, folgten sie dem Zuge ins Dorf. Dort trat ihnen aus dem Ring der Männer und Jünglinge feierlich und freundlich der greise Häuptling entgegen und lud die Führer mit ihrem Kriegsvolk zur Beratung und Mahl ein. Und schon erschienen die Frauen mit Kuchen und sonstigem Backwerk. Was war zu tun? Da war nichts zu machen. Man setzte sich zusammen, aß und trank, sang und tanzte. Aus der geplanten Schlacht und Schlächterei wurde ein Volksfest und die Soldaten zogen lachend und beschämt ab; das Land aber blieb den Maori und es war die letzte militärische Expedition gegen sie gewesen.
So geschehen nicht in märchenhafter Vorzeit, sondern im ersten Drittel des letzten Jahrhunderts, im hellen Licht der Geschichte — nicht geträumt, sondern wirklich geschehen!
Aus „Neue Wege“, Juli-August 1930.
Der im Bau begriffene Mashriqu’l Adhkár in Wilmette bei Chicago, Illinois.
Der Mashriqu’l-Adhkár in Eschkabat
In der Sonne der Wahrheit finden nur solche Manuskripte Veröffentlichung, bezüglich deren Weiterverbreitung keine Vorbehalte gemacht werden. — Anfragen, schriftliche Beiträge und alle die Schriftleitung betreffenden Zuschriften beliebe man an die Schriftleitung: Stuttgart, Alexanderstr. 3 zu senden. — Bestellungen von Abonnements, Büchern und Broschüren sowie Geldsendungen sind an den Verlag des deutschen Bahá’i-Bundes G.m.b.H., Stuttgart, Alexanderstr. 3, Nebengebäude, zu richten.
Geschichte und Bedeutung der Bahá’i-Lehre[Bearbeiten]
Die Bahá’i-Bewegung tritt vor allem ein für die „Universale Religion" und den „Universalen Frieden“ — die Hoffnung aller Zeitalter. Sie zeigt den Weg und die Mittel, die zur Einigung der Menschheit unter dem hohen Banner der Liebe, Wahrheit, Gerechtigkeit und Barmherzigkeit führen. Sie ist göttlich ihrem Ursprung nach, menschlich in ihrer Darstellung, praktisch für jede Lebenslage. In Glaubenssachen gilt bei ihr nichts als die Wahrheit, in den Handlungen nichts als das Gute, in ihren Beziehungen zu den Menschen nichts als liebevoller Dienst.
Zur Aufklärung für diejenigen, die noch wenig oder nichts von der Bahá’i-Bewegung wissen, führen wir hier Folgendes an: „Die Bahá’i-Religion ging aus dem Babismus hervor. Sie ist die Religion der Nachfolger Bahá’u’lláhs. Mirza Hussein Ali Nuri (welches sein eigentlicher Name war) wurde im Jahre 1817 in Teheran (Persien) geboren. Vom Jahr 1844 an war er einer der angesehensten Anhänger des Bab und widmete sich der Verbreitung seiner Lehren in Persien. Nach dem Märtyrertod des Bab wurde er mit den Hauptanhängern desselben von der türkischen Regierung nach Bagdad und später nach Konstantinopel und Adrianopel verbannt. In Bagdad verkündete er seine göttliche Sendung (als „Der, den Gott offenbaren werde") und erklärte, daß er der sei, den der Bab in seinen Schriften als die „Große Manifestation", die in den letzten Tagen kommen werde, angekündigt und verheißen hatte. In seinen Briefen an die Regenten der bedeutendsten Staaten Europas forderte er diese auf, sie möchten ihm bei der Hochhaltung der Religion und bei der Einführung des universalen Friedens beistehen. Nach dem öffentlichen Hervortreten Bahá’u’lláhs wurden seine Anhänger, die ihn als den Verheißenen anerkannten, Bahá’i (Kinder des Lichts) genannt. Im Jahr 1868 wurde Bahá’u’lláh vom Sultan der Türkei nach Akka in Syrien verbannt, wo er den größten Teil seiner lehrreichen Werke verfaßte und wo er am 28. Mai 1892 starb. Zuvor übertrug er seinem Sohn Abbas Effendi ('Abdu'l-Bahá) die Verbreitung seiner Lehre und bestimmte ihn zum Mittelpunkt und Lehrer für alle Bahá’i der Welt.
Es gibt nicht nur in den mohammedanischen Ländern Bahá’i, sondern auch in allen Ländern Europas, sowie in Amerika, Japan, Indien, China usw. Dies kommt daher, daß Bahá’u’lláh den Babismus, der mehr nationale Bedeutung hatte, in eine universale Religion umwandelte, die als die Erfüllung und Vollendung aller bisherigen Religionen gelten kann. Die Juden erwarten den Messias, die Christen das Wiederkommen Christi, die Mohammedaner den Mahdi, die Buddhisten den fünften Buddha, die Zoroastrier den Schah Bahram, die Hindus die Wiederverkörperung Krischnas und die Atheisten — eine bessere soziale Organisation.
In Bahá’u’lláh sind alle diese Erwartungen erfüllt. Seine Lehre beseitigt alle Eifersucht und Feindseligkeit, die zwischen den verschiedenen Religionen besteht; sie befreit die Religionen von ihren Verfälschungen, die im Lauf der Zeit durch Einführung von Dogmen und Riten entstanden und bringt sie alle durch Wiederherstellung ihrer ursprünglichen Reinheit in Einklang. Das einzige Dogma der Lehre ist der Glaube an den einigen Gott und an seine Manifestationen (Zoroaster, Buddha, Mose, Jesus, Mohammed, Bahá’u’lláh).
Die Hauptschriften Bahá’u’lláhs sind der Kitab el Iqhan (Buch der Gewißheit), der Kitab el Akdas (Buch der Gesetze), der Kitab el Ahd (Buch des Bundes) und zahlreiche Sendschreiben, genannt „Tablets“, die er an die wichtigsten Herrscher oder an Privatpersonen richtete. Rituale haben keinen Platz in dieser Religion; letztere muß vielmehr in allen Handlungen des Lebens zum Ausdruck kommen und in wahrer Gottes- und Nächstenliebe gipfeln. Jedermann muß einen Beruf haben und ihn ausüben. Gute Erziehung der Kinder ist zur Pflicht gemacht und geregelt.
Streitfragen, welche nicht anders beigelegt werden können, sind der Entscheidung des Zivilgesetzes jeden Landes und dem Bait’ul’Adl oder „Haus der Gerechtigkeit“, das durch Bahá’u’lláh eingesetzt wurde, unterworfen. Achtung gegenüber jeder Regierungs- und Staatseinrichtung ist als einem Teil der Achtung, die wir Gott schulden, gefordert. Um die Kriege aus der Welt zu schaffen, ist ein internationaler Schiedsgerichtshof zu errichten. Auch soll neben der Muttersprache eine universale Einheits-Sprache eingeführt werden. „Ihr seid alle die Blätter eines Baumes und die Tropfen eines Meeres“ sagt Bahá’u’lláh.
Es ist also weniger die Einführung einer neuen Religion, als die Erneuerung und Vereinigung aller Religionen, was heute von 'Abdu'l-Bahá erstrebt wird. (Vgl. Nouveau, Larousse, illustré supplement, Seite 66.)
Verlag des Deutschen Bahá’i-Bundes G.m.b.H., Stuttgart
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In unserem Verlag sind erschienen:
Bücher:
Verborgene Worte von Bahá’u’lláh. Deutsch von A. Schwarz und W. Herrigel, 1924 1.--
Bahá’u’lláh, Frohe Botschaften, Worte des Paradieses, Tablet Tarasat, Tablet Taschalliat, Tablet Ischrakat. Deutsch von Wilhelm Herrigel, 1921, in Halbleinen gebunden . . . 2.50
in feinstem Ganzleinen gebunden . . . . . 3.--
'Abdu'l-Bahá Abbas, Ansprachen über die Bahá’i-Lehre. Deutsch von W. Herrigel, 1921, in Halbleinen gebunden . . . . . 3.00
in festem Ganzleinen gebunden . . . . . 3.50
Geschichte und Wahrheitsbeweise der Bahá’i-Religion, von Mirza Abul Fazl. Deutsch von W. Herrigel, 1919, in Halbleinen geb. . . . . 4.50
In Ganzleinen gebunden . . . . 5.--
'Abdu'l-Bahá Abbas’ Leben und Lehren, von Myron H. Phelps. Deutsch von Wilhelm Herrigel, 1922, in Ganzleinen gebunden . . . . 4.--
Die Bahá’i-Offenbarung, ein Lehrbuch von Thornton Chase, deutsch von W. Herrigel, 1925, kartoniert M. 4.--, in Halbleinen gebunden . . . . 4.60
Bahá’u’lláh und das neue Zeitalter, ein Lehrbuch von Dr. J. E. Esslemont, deutsch von W. Herrigel und H. Küstner. 1927. In Ganzleinen gebunden . . . . . 4.50
Beantwortete Fragen 'Abdu'l-Bahá Abbas', gesammelt und in englischer Sprache herausgegeben von L. Clifford Barney, deutsche Übersetzung von W. Herrigel, 1929 . . . . . 5.--
Broschüren:
Bahá’i-Perlen, Deutsch von Wilhelm Herrigel, 1922 . . . . -.20
Ehe Abraham war, war Ich, v. Thornton Chase. Deutsch v. W.Herrigel, 1911 . . . . -.20
Die Universale Weltreligion, Ein Blick in die Bahai-Lehre von A. T. Schwarz, 1919. . . . -.50
Die Offenbarung Bahá’u’lláhs, von J.D. Brittingham. Deutsch von Wilhelm Herrigel, 1910 . . . -.50
Einheitsreligion. Ihre Wirkung auf Staat, Erziehung, Sozialpolitik, Frauenrechte und die einzelne Persönlichkeit, von Dr. jur. H. Dreyfus, Deutsch von Wilhelm Herrigel. 2. Auflage 1920 . . . -.50
Die Bahá’i-Bewegung im allgemeinen und ihre großen Wirkungen in Indien, nach Berichten eines Amerikaners zusammengestellt und mit Vorwort versehen von Wilhelm Herrigel, Stuttgart 1922 . . . . -.50
Eine Botschaft an die Juden, von Abdul Baha Abbas. Deutsch v. W. Herrigel, 1912 . . . -.20
Das Hinscheiden 'Abdu'l-Bahás, ("The Passing of 'Abdu'l-Bahá") Deutsch von Alice T. Schwarz, 1922 . . . -.50
Das neue Zeitalter von Ch. M. Remey. Deutsch von Wilhelm Herrigel, 1923 . . . . —.50
Die soziale Frage und ihre Lösung im Sinne der Bahá’i-Lehre von Dr. Hermann Grossmann, Hamburg 1923 . . . . —.20
Religiöse Lichtblicke, Einige Erläuterungen zur Bahá’i-Botschaft, aus dem Französ. übersetzt von Albert Renftle, 2. erweiterte Auflage, 1928 . . . . --.30
Die Bahá’i-Bewegung, Geschichte, Lehren und Bedeutung. von Dr. Hermann Großmann-Wandsbek . . . . . --.20
Sonne der Wahrheit, Jahrgang 3 - 8 in Halbleinen gebunden je . . . . 9.--
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