Sonne der Wahrheit/Jahrgang 9/Heft 9/Text

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SONNE

DER

WAHRHEIT
 
ORGAN DER DEUTSCHEN BAHAI
 
HEFT 9 IX. JAHRGANG NOVEMBER 1929


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Abdu’l-Bahás Erläuterung der Bahá’i - Prinzipien.


1. Die ganze Menschheit muss als Einheit betrachtet werden.

Baha’u’lláh wandte Sich an die gesamte Menschheit mit den Worten: „Ihr seid alle die Blätter eines Zweigs und die Früchte eines Baumes“. Das heißt: die Menschheit gleicht einem Baum und die Nationen oder Völker gleichen den verschiedenen Aesten und Zweigen; die einzelnen Menschen aber gleichen den Blüten und Früchten dieses Baumes. In dieser Weise stellte Baha’u’lláh das Prinzip der Einheit der Menschheit dar. Baha’u’lláh verkündigte die Einheit der ganzen Menschheit, er versenkte sie alle im Meer der göttlichen Gnade.


2. Alle Menschen sollen die Wahrheit selbständig erforschen.

In religiösen Fragen sollte niemand blindlings seinen Eltern und Voreltern folgen. Jeder muß mit eigenen Augen sehen, mit eigenen Ohren hören und die Wahrheit suchen, denn die Religionen sind häufig nichts anderes als Nachahmungen des von den Eltern und Voreltern übernommenen Glaubens.


3. Alle Religionen haben eine gemeinsame Grundlage.

Alle göttlichen Verordnungen beruhen auf ein und derselben Wirklichkeit. Diese Grundlage ist die Wahrheit und bildet eine Einheit, nicht eine Mehrheit. Daher beruhen alle Religionen auf einer einheitlichen Grundlage. Im Laufe der Zeit sind gewisse Formen und Zeremonien der Religion beigefügt worden. Dieses bigotte menschliche Beiwerk ist unwesentlich und nebensächlich und verursacht die Abweichungen und Streitigkeiten unter den Religionen. Wenn wir aber diese äußere Form beiseite legen und die Wirklichkeit suchen, so zeigt sich, daß es nur eine göttliche Religion gibt.


4. Die Religion muss die Ursache der Einigkeit und Eintracht unter den Menschen sein.

Die Religion ist für die Menschheit die größte göttliche Gabe, die Ursache des wahren Lebens und hohen sittlichen Wertes; sie führt den Menschen zum ewigen Leben. Die Religion sollte weder Haß und Feindschaft noch Tyrannei und Ungerechtigkeiten verursachen. Gegenüber einer Religion, die zu Mißhelligkeit und Zwietracht, zu Spaltungen und Streitigkeiten führt, wäre Religionslosigkeit vorzuziehen. Die religiösen Lehren sind für die Seele das, was die Arznei für den Kranken ist. Wenn aber ein Heilmittel die Krankheit verschlimmert, so ist es besser, es nicht anzuwenden.


5. Die Religion muss mit Wissenschaft und Vernunft übereinstimmen.

Die Religion muß mit der Wissenschaft übereinstimmen und der Vernunft entsprechen, so daß die Wissenschaft die Religion, die Religion die Wissenschaft stützt. Diese beiden müssen unauflöslich miteinander verbunden sein.


6. Mann und Frau haben gleiche Rechte.

Dies ist eine besondere Lehre Baha’u’lláhs, denn die früheren Religionen stellen die Männer über die Frauen. Töchter und Söhne müssen gleichwertige Erziehung und Bildung genießen. Dies wird viel zum Fortschritt und zur Einigung der Menschheit beitragen.


7. Vorurteile jeglicher Art müssen abgelegt werden.

Alle Propheten Gottes kamen, um die Menschen zu einigen, nicht um sie zu trennen. Sie kamen, um das Gesetz der Liebe zu verwirklichen, nicht um Feindschaft unter sie zu bringen. Daher müssen alle Vorurteile rassischer, völkischer, politischer oder religiöser Art abgelegt werden. Wir müssen zur Ursache der Einigung der ganzen Menschheit werden.


8. Der Weltfriede muss verwirklicht werden.

Alle Menschen und Nationen sollen sich bemühen, Frieden unter sich zu schließen. Sie sollen darnach streben, daß der universale Friede zwischen allen Regierungen, Religionen, Rassen und zwischen den Bewohnern der ganzen Welt verwirklicht wird. Die Errichtung des Weltfriedens ist heutzutage die wichtigste Angelegenheit. Die Verwirklichung dieses Prinzips ist eine schreiende Notwendigkeit unserer Zeit.


9. Beide Geschlechter sollen die beste geistige und sittliche Bildung und Erziehung geniessen.

Alle Menschen müssen erzogen und belehrt werden. Eine Forderung der Religion ist, daß jedermann erzogen werde und daß er die Möglichkeit habe, Wissen und Kenntnisse zu erwerben. Die Erziehung jedes Kindes ist unerläßliche Pflicht. Für Elternlose und Unbemittelte hat die Gemeinde zu sorgen.


10. Die soziale Frage muss gelöst werden.

Keiner der früheren Religionsstifter hat die soziale Frage in so umfassender, vergeistigter Weise gelöst wie Baha’u’lláh. Er hat Anordnungen getroffen, welche die Wohlfahrt und das Glück der ganzen Menschheit sichern. Wenn sich der Reiche eines schönen, sorglosen Lebens erfreut, so hat auch der Arme ein Anrecht auf ein trautes Heim und ein sorgenfreies Dasein. Solange die bisherigen Verhältnisse dauern, wird kein wahrhaft glücklicher Zustand für den Menschen erreicht werden. Vor Gott sind alle Menschen gleich berechtigt, vor Ihm gibt es kein Ansehen der Person; alle stehen im Schutze seiner Gerechtigkeit.


11. Es muss eine Einheitssprache und Einheitsschrift eingeführt werden.

Baha’u’lláh befahl die Einführung einer Welteinheitssprache. Es muß aus allen Ländern ein Ausschuß zusammentreten, der zur Erleichterung des internationalen Verkehrs entweder eine schon bestehende Sprache zur Weitsprache erklären oder eine neue Sprache als Weltsprache schaffen soll; diese Sprache muß in allen Schulen und Hochschulen der Welt gelehrt werden, damit dann niemand mehr nötig hat, außer dieser Sprache und seiner Muttersprache eine weitere zu erlernen.


12. Es muss ein Weltschiedsgerichtshof eingesetzt werden.

Nach dem Gebot Gottes soll durch das ernstliche Bestreben aller Menschen ein Weltschiedsgerichtshof geschaffen werden, der die Streitigkeiten aller Nationen schlichten soll und dessen Entscheidung sich jedermann unterzuordnen hat.

Vor mehr als 50 Jahren befahl Baha’u’lláh der Menschheit, den Weltfrieden aufzurichten und rief alle Nationen zum „internationalen Ausgleich“, damit alle Grenzfragen sowie die Fragen nationaler Ehre, nationalen Eigentums und aller internationalen Lebensinteressen durch ein schiedsrichterliches „Haus der Gerechtigkeit" entschieden werden können.

Baha’u’lláh verkündigte diese Prinzipien allen Herrschern der Welt. Sie sind der Geist und das Licht dieses Zeitalters. Von ihrer Verwirklichung hängt das Wohlergehen für unsere Zeit und das der gesamten Menschheit ab.


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SONNE    DER  WAHRHEIT
Organ der deutschen Bahá’i
Herausgegeben vom Verlag des deutschen Bahá’i-Bundes, Stuttgart
Verantwortliche Schriftleitung: Alice Schwarz - Solivo, Stuttgart, Alexanderstraße 3
Preis vierteljährlich 1,80 Goldmark, im Ausland 2.– Goldmark.
Heft 9 Stuttgart, im November 1929
Qúdrat — (Stärke)
9. Jahrgang.

Inhalt: Diese Bewegung ist erstaunlich und von größter Wichtigkeit. — Die geheimnisvollen Mächte der Kultur. — Allerseelen. — Europa und die Bahá’i. — Das Wesen der Bahá’i-Lehre. — Aus den Upanishaden. — Neues von Konfuzius. — Zum 12. November 1817, dem Geburtstag von Bahá’u’lláh. — Der Herr hilft seinen Elenden in allen Zeiten.


Motto: Einheit der Menschheit — Universaler Friede — Universale Religion.



„Laßt uns lieben“.

Aus Bahá'i-Scriptures 832.


Alle Propheten wurden gesandt und alle heiligen Schriften geoffenbart, damit das Gesetz der Liebe verkündet werde. Laßt uns lieben und noch viel mehr lieben. Laßt uns lieben mit einer Liebe, die allen Widerstand bricht, alle Schranken beseitigt, alle Feinde besiegt; laßt uns lieben mit einer Liebe, die in Barmherzigkeit, in Großherzigkeit, Duldsamkeit und in edlem Bemühen überfließt, einer Liebe, die alle Hindernisse überwindet, einer grenzenlosen, unwiderstehlichen und allumfassenden Liebe.

Jeder muß ein Zeichen der Liebe, ein Mittelpunkt der Liebe, eine Sonne der Liebe, eine Welt der Liebe, ein Stern der Liebe sein, ja ein Palast der Liebe, ein Berg der Liebe, eine Welt der Liebe, ein Universum der Liebe. Besitzest Du Liebe? Dann ist Deine Macht unwiderstehlich! Bist Du voll Mitgefühl? Dann werden alle Sterne Dein Lob singen!

'Abdu'l-Bahá.


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Diese Bewegung ist erstaunlich und von größter Wichtigkeit.

Tablet von Abdu’l-Bahá.

Aus dem Star of the West vom 23. Nov. 1916.

Aus dem Pers. übersetzt von Mirza Ahmad Sohrab. Deutsch von Wilh. Herrigel.

Er ist Gott!

O Gott! O Gott! Du siehst, wie ich meine Stirne demütig und unterwürfig in den Staub lege, und wie mein Gesicht die Schwelle Deiner Einzigkeit berührt. O mein Herr! Du siehst, wie ich demütig und zerknirscht, Tag und Nacht zu Deinem Reich des Lichts flehe, Du mögest uns umfangen mit dem Blick Deiner Vorsehung und Deiner Barmherzigkeit.

O Herr! Vergib uns unsere Sünden, verzeihe uns unsere Fehler und Schwachheiten und laß uns unter allen Umständen Deine Gnade und Großmut zuteil werden. O Herr! wir sind Sünder, aber Du bist der barmherzige Vergeber. Wir sind die Uebertreter, Du aber bist das Element der Vergebung. Sprich uns frei von unseren Ungerechtigkeiten und beseitige unsere Sorgen. Veranlasse, daß wir uns durch Deine Gaben von der Welt trennen, beschäftige uns mit Deiner Erwähnung, entzünde uns mit dem Feuer Deiner Liebe, erhalte uns beständig in der Betrachtung Deiner Zeichen, in der Erkenntnis Deines Wortes und in der Anziehung Deines Lichts.

O Herr! O Herr! Dies sind Deine Diener. Sie haben ihr Gesicht Deinem Antlitz zugewandt und finden ihre Freude und Glückseligkeit allein in Deiner Gunst und Freigebigkeit. Stärke ihren Rücken in Deinem Gehorsam. Erneure ihr Leben in Deiner Verehrung. Durchdufte ihre Herzen mit den Düften Deiner Heiligkeit. Gewähre ihnen den Zutritt zum Paradiese Deiner Gemeinschaft. Gib, daß sie solche Diener werden, die in den Versammlungen, die in Deinem Namen gehalten werden, die Verse der Einigkeit andächtig aufnehmen und die Strahlen der Einzigkeit, die von der Lampe Deiner Gnadengaben ausgehen, anziehen. Gib, daß sie durch den Einfluß Deines Wortes Sanftmut üben, mache sie unterwürfig Deinen Geliebten gegenüber. Veranlasse, daß sie Deine Düfte verbreiten, Deine Geheimnisse enthüllen, die Menschen mit Deinen Lehren bekannt machen, damit die Menschheit mit Deinen frohen Botschaften erfreut wird. Wahrlich, Du bist machtvoll über alles, was Dir beliebt, und Du ernährst mit Deiner Hand, wen Du willst. Die Welt und das Himmelreich sind Dein. Du bist der Allmächtige, der Geliebte!

O ihr Gläubigen Gottes! O ihr lieben Freunde 'Abdu'l-Bahás! der Kelch des Bundes fließt über, und die leuchtenden Strahlen der himmlischen Gaben gleichen in allen Regionen dem strahlenden Mond; sie kommen von der unsichtbaren Welt und sind offenbar und sichtbar. Das Zwielicht des Mondes der Führung ist zerteilt und die Lieblichkeit der Sonne der Schönheit Abhas zeigt sich ununterbrochen. Die Botschaft von der Erhabenheit des „Großen Namens“ hat den Osten und den Westen erreicht, und der Ruf der Sache der Gesegneten Vollkommenheit (Bahá’u’lláhs) ist vom Norden bis zum Süden gedrungen. Die Düfte der Heiligkeit sind verbreitet, und die sanften Lüfte des Lebens wehen über die Welt. Die göttliche Welt wird hoch geschätzt, und die ewige Herrlichkeit ist geoffenbart. Die Lampe der göttlichen Einheit ist entzündet, und die Flamme der Mildtätigkeit lodert empor. Aus allen Richtungen erhebt sich der Ruf: „Ja Bahá’el’Abha.“ Und sowohl im Orient als im Occident wirkten die Lehren Gottes in den Herzen der denkenden Menschen Wunder. In Amerika, Europa und Afrika werden Broschüren und Zeitschriften über die heilige Sache verbreitet. Ein Teil der Presse lobt diese Bewegung und ein anderer Teil der Presse erweckt das Interesse der Nationen, indem sie schreibt: „Diese Bewegung ist erstaunlich und von größter Wichtigkeit.“

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Ansiht von Haifa in Palästina.


[Seite 132] Manche Leute sprechen ihre Verwunderung und ihr Erstaunen über die Sache aus, andere klagen sie infolge der Vorurteile, die sie haben, erbittert an, wieder andere sagen: „Seht, nach der Kreuzigung Christi war nur eine kleine Anzahl Jünger vorhanden, trotzdem besiegte Sein Ruhm die Welt und das Lob, das Ihm gesungen wird, erreichte die Sphären des Aethers"; aber die Gesegnete Vollkommenheit (Bahá’u’lláh) (Möge mein Leben ein Opfer für seine Gläubigen sein!) hatte z.Zt. Seines Hingangs Hunderte und Tausende von Gläubigen, die sich um die Flagge Seiner erhabenen Majestät scharten.

Aus dieser Darstellung könnt ihr den Schluß ziehen, daß binnen kurzem eine mächtige Auferstehung vor sich gehen wird. Einer der größten Apostel Christi war Petrus; aber trotzdem wurde er vor der Kreuzigung Christi von Furcht befallen, während in dieser Sache Tausende von Seelen ihr Leben auf dem Pfade des „Größten Namens“ singend, tanzend und händeklatschend hingaben, und so der Stadt des Märtyrertums zueilten.

Kurz gesagt, das Wesen dieser Sache bewegt sich um die Achse der Selbstverleugnung. Wie selbstverständlich ist es daher, daß sich die Gläubigen Gottes in diesen Tagen mit den Eigenschaften der Selbstaufopferung schmücken müssen; sie müssen ihre Zeit dazu benützen, den Achtlosen die Lehren zu bringen, das liebliche Aroma dieser Lehren durch ihr Leben zu verbreiten, die reine Flamme der Wahrheit wieder zu entzünden und den Glanz des Barmherzigen zu offenbaren.

O ihr Freunde Gottes! Ist es nach dem Hingang der Schönheit des Mildtätigen für uns schicklich, auch nur für einen Augenblick zu ruhen, oder unsere Zeit mit der Gründung verschiedener Komitees zuzubringen? Ist es für uns schicklich, auch nur für einen Atemzug Bequemlichkeit zu suchen, oder den Honig flüchtiger Vergnügen zu genießen? Ist es für uns schicklich, Luxus zu treiben und im Ueberfluß zu leben? Nein! Ich erkläre bei Gott, daß dies nicht der Zustand der Treue, noch der Standpunkt der Aufrichtigkeit ist.

Deshalb, o Freunde, sehnet euch nach dem Dienst an der Göttlichen Schwelle und werdet, als die Gerechten Führer zu dem Hofe des Barmherzigen. Unter „Dienst an der heiligen Schwelle“ ist zu verstehen: Die Verbreitung der heiligen Düfte, die Erklärung der Zeichen und Worte, die Förderung der Einigkeit und die Liebe zur Barmherzigkeit. Bedenket, mit welch’ gewaltiger Anziehung und geistiger Entzündung sich die Apostel Jesu Christi erhoben, um das Wort Gottes nach seiner Kreuzigung zu verbreiten. Durch die Güte des Barmherzigen hoffen auch wir in den Fußstapfen dieser reinen Seelen zu wandeln und ohne Zögern der Arena der Liebe und der Selbstaufopferung zuzueilen. Diese Sache ist eine unerschöpfliche Ausgießung; die Gnade Seiner Hoheit des vergebenden Herrn.

Gegenwärtig wird die Verbreitung der göttlichen Prinzipien in einigen Teilen der Welt verhindert und in andern verzögert. Dies verursachte den Allerhöchsten Heerscharen Sorgen und Kummer und zwar deshalb, weil die Bewohner des Königreiches Abhas erwarten, daß jedes einzelne von uns die Bedingungen der Treue erfülle und bereit sei, aus Liebe zu dem „Größten Namen“ jegliche Art von Verfolgung zu erdulden.

Eine Anzahl hingebender Freunde verzichtet auf materielle Ruhe und Bequemlichkeit. Sie reisen von Stadt zu Stadt, ja selbst von Ort zu Ort, um die Düfte Gottes zu verbreiten. Diese, mit reinem Geist ausgestatteten Seelen erlangten das Lob der Allerhöchsten Heerscharen, denn sie wurden bestätigt durch diese erhabene Gnade. Sie verbringen ihre Tage unter den größten Schwierigkeiten und Drangsalen, um die Nachlässigen zum Lichte zu führen.

O ihr Freunde! Jetzt ist es nicht an der Zeit zu ruhen und stille zu sein, die Nachtigallen des Rosengartens der Aufrichtigkeit müssen ihren wunderbaren Gesang ertönen [Seite 133] lassen. Licht und Wärme sind die Resultate der Lampe. Der Glanz der Sterne muß ewig währen. Die Existenz des Ozeans ist der Urheber der Wogen. Die Vögel müssen sich zum höchsten Gipfel emporschwingen. Die Perlen sind untrennbar von ihrem Glanz und die lieblichen Düfte müssen die Blüten des Rosengartens der Erkenntnis kennzeichnen. Es ist zu hoffen, daß uns durch die Gunst des Lebendigen, Selbstbestehenden in richtiger Weise beigestanden wird.

O ihr Gläubigen Gottes! Die göttlichen Lehren führen uns zum ewigen Leben, sie sind die Ursache der Erleuchtung der Menschheit, das Mittel zur Erlangung des Friedens, der Zivilisation, der Liebe und der Erlösung. In dieser Welt sind sie die Grundlage der Aufrichtigkeit und Freundschaft und das Mittel zur Erlangung von Einigkeit, Harmonie, Solidarität und Unabhängigkeit unter der gesamten Menschheit. Daher müßt ihr das Fundament zu diesem Bau legen, damit ihr dieser Welt ewiges Leben verleihen und die Quelle ihrer Erleuchtung werden möget. Es ist eure Pflicht, mit allen Menschen und Nationen der Welt in äußerster Liebe und Freundschaft zu verkehren. Es ist ferner eure Pflicht, all den verschiedenen Gemeinschaften und Sekten Wohlwollen, Gerechtigkeit, Beistand und Hochachtung zu erzeigen. Werdet ein Heilmittel für jeden Schmerz, ein Balsam für jede Wunde, eine Stütze für jeden Schwachen und eine Hilfe für jeden Armen. Werdet eine uneinnehmbare Höhle der Sicherheit für die Furchtsamen und ein sicheres Asyl für die Aufgeregten.

In diesem großen Zyklus ist es annehmbarer und beliebter, wenn ein Mensch seine Augen gegenüber allen Begrenzungen schließt. Die Freunde sollten Offenbarer der Eigenschaften des Barmherzigen werden und sich erheben im Dienste der Menschheit, ja noch mehr, sie müssen selbst gegen die Tiere gütig sein, denn wahrlich Gottes Barmherzigkeit umfaßt alle Dinge. O ihr Gläubigen Gottes! Jetzt leben wir in der Zeit der Selbstverleugnung, der Entsagung, des Dienstes und der Treue. Diesem Diener ('Abdu'l-Bahá) ist die Stufe des Dienstes an der Schwelle des Allmächtigen das Höchste. Wie köstlich ist diese Gabe, wenn dieser Dienst angenommen wird. Wofern dies nicht der Fall wäre, würde er der Barmherzigkeit Gottes beraubt sein. Die höchste Hoffnung und das größte Sehnen 'Abdu'l-Bahás ist daher, seine Schwingen in diesem Dienste öffnen zu dürfen, um auf diese Weise jenem Felde zuzueilen und um unendliche Begeisterung aus diesem Kelch zu erlangen. Jedes Festklammern an einem andern, außer diesem unveränderlichen geliebten Namen, wird zur Ursache des Kummers und der Sorge, sowie zur Quelle des größten Bedauerns und der unbegrenzten Gewissensbisse werden. Ich bitte die Freunde Gottes, Tag und Nacht zum Göttlichen Königreiche zu flehen, daß mein Dienst an der Schwelle Bahá’u’lláhs angenommen wird.

O ihr Gläubigen Gottes! Wenn ihr für 'Abdu'l-Bahá Freude, Glückseligkeit, Ruhe des Geistes und den Frieden des Gewissens wünschet, dann stärket die Bande der Einigkeit und der Harmonie unter euch, damit ihr allesamt die Wogen eines Meeres, die Tropfen eines Flusses, die Blumen eines Gartens und die Glieder eines Panzers werdet. Schwinget euch auf in die Atmosphäre des Geistes und stimmet einen fröhlichen Gesang an! Geschieht dies, so ist dies die Ursache zu meiner ewigen Freude und der Ruhe meines Geistes und Herzens, selbst in der ewigen Welt. Heute gibt es keinen größeren Dienst als den der Einigkeit und Harmonie unter den Gläubigen. Dies ist eine dringende Notwendigkeit. Es ist aber auch das Höchste und Größte, das vollbracht werden kann. Für die, welche es vollbringen, ist es ein offenbares Geschenk, denn sie befinden sich unter dem Schutz und Schirm des Gesegneten Baumes (Bahá’u’lláh).

Auf euch sei Gruß und Lob.

gez. 'Abdu'l-Bahá Abbas.


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Die geheimnisvollen Mächte der Kultur.

In persischer Sprache von einem hervorragenden Bahá’i-Philosophen geschrieben und von Johanna Dawoud ins Englische übersetzt, deutsch von A. Schwarz. (Fortsetzung von Heft 8, Oktober-Ausgabe.)

Es gibt zwei große Fahnen, die über der Krone jeden Herrschers flattern, denen Gebirge aus Erz nicht standhalten und gegen die sich die „Mauer des Alexander“ als machtlos erweist: Die eine ist die Fahne der Weisheit, die andere die der Gerechtigkeit. Mit größter Leichtigkeit werden sie die Staaten — die Säulen der Welt — durchdringen wie das helle Licht die glänzende Leuchte der Regierung eines Herrschers.

Es ist ganz klar und einleuchtend, daß das Leben auf Erden wie der Hauch des Morgenwindes dahingeht. Gesegnet ist daher der große Mensch, der nach dem Willen Gottes tut und einen guten Ruf und ein ehrenvolles Andenken hinterläßt. „Wenn die reine Seele im Sterben liegt, was gilt es, ob sie auf einem Thron oder im Staub stirbt?" Ja, die Expansion der Welt und die Ueberwindung der Welt seien gelobt; ja, selbst Krieg ist manchmal der große Grund zu Frieden, und Zerstörung die Ursache des Wiederaufbaues. Wenn z.B. ein großer Herrscher einen Krieg wagen sollte gegen einen drohenden Feind oder um Vereinigung des ganzen Volkskörpers u. des getrennten Königreichs willen, so möge er das Streitroß der Entscheidung in die Arena der Tapferkeit und des Muts drängen, kurz gesagt, sein Krieg kann völlig auf Friedensmelodien abgestimmt sein, und dann ist wahrlich diese Furie die Güte selbst und diese Unterdrückung reine Gerechtigkeit, dieser Krieg also die Ursache der Versöhnung. Heutigen Tages ist es die vornehmste Pflicht für einen mächtigen König, den universalen Frieden aufzurichten, denn dies bedeutet wahrlich die Freiheit für alle Völker der Erde.

Das vierte Wort dieses herrlichen Textes lautet:

„Gehorsam dem Gebot des Herrn.“

Es ist ganz klar, daß die vollendete Wohlfahrt der Menschheit im Gehorsam gegen Gott den Allmächtigen besteht, und der Adel des Menschen und seine Ehre von der Befolgung der Vorschriften und Gebote des Herrn, des Einzigen, abhängt. Der Glanz des Lebens hängt von der Religion ab, und der Fortschritt, der Ruhm und das Glück der Menschen besteht in der Befolgung der Gebote des Heiligen Buches Gottes. Wer das Leben als ein Ganzes betrachtet, dem wird klar, daß in dieser Welt, sowohl materiell als geistig, die Religion die hauptsächliche, unumstößliche Grundlage aller Dinge ist, und daß sie die höchsten, gerechtesten und die unanfechtbarsten. Prinzipien in sich schließt, die in der Schöpfung verlangt werden können. Sie verkörpert erschöpfend die idealen und realen Vollkommenheiten und ist der Kontrolleur der Kultur und die Wohlfahrt der ganzen Menschheit. Es gibt aber schwachgläubige Menschen, die den Grundlagen der göttlichen Religionen weder genügende Beachtung noch tieferes Verständnis entgegenbringen, und deshalb das scheinheilige Gebahren der nur nach außen Religiösen als Richtschnur ansehen und dann meinen, alle religiös Gesinnten seien gleicher Art. Solche Menschen meinen, daß die Religion ein Hemmungsgrund für den allgemeinen Fortschritt sei, ja, sie sehen sie sogar als den Ursprung allen Zanks und Streits und als Ursache allen Hasses und aller Feindschaft unter den Menschen an. Sie haben nicht einmal nachgedacht, daß die Grundlagen der göttlichen Religionen nicht in den Handlungen derer erkannt werden können, die nur Religion auf den Lippen haben. Es gibt nichts in der Welt, so gut es auch sei, das nicht in leichtfertigster Weise mißbraucht würde. Wenn z.B. eine brennende Lampe in die Hände unwissender Kinder oder blinder Leute gerät, so erleuchten sie damit weder das Haus noch verscheuchen sie das Dunkel; im Gegenteil, sie werden sowohl das Haus, als sich selbst in Brand stecken. Kann deshalb gesagt werden, daß die Lampe zu tadeln sei? Bei Gott — nein! Die Lampe ist ein Führer auf dem Weg und ein Lichtspender dem, der sieht, aber sie ist ein großes Unglück für einen Blinden. So war der große Franzose Voltaire ein Spötter über religiöse Gebräuche. Er verfaßte mehrere Werke zu ihrer Verächtlichmachung, deren Inhalt wie Spielzeug für unwissende Kinder anmutet. Dieser Mann hat die Charaktere und das Verhalten der Päpste der Römisch-Katholischen Kirche als Maßstab für die Religion genommen. Das üble Benehmen der geistigen Führer der Christenheit hat den Mund des Widerspruchs gegen den Geist Gottes [Seite 135] — Jesu Christi — geöffnet, und mit seinem irregeleiteten Verstand begriff Voltaire die wahre Bedeutung der heiligen Bücher nicht, vielmehr hat er über einige Stellen und Texte der gottesgeoffenbarten Bücher irreführende Schwierigkeiten aufgebracht und irreführende Einwürfe, erhoben. "Und wir offenbarten im Koran, was Heilung und Gnade ist den Gläubigen; allein, es vermehrt bei denen, die Unrecht tun, nichts, als den Schaden.“ Wie wundervoll hat dies der Arzt von Ghaznah erklärt: „Die nicht verstehen die geistigen Gleichnisse, die nichts im Koran finden als Worte, was wundert's? — Sind sie doch irregeleitet: Denn Hitze nur kann je das Auge des Blinden in der strahlendsten Sonne entdecken.“ Es steht geschrieben: „Viele werden dadurch in die Irre gehen und viele werden dadurch Führung erlangen; aber niemand wird irregeführt, denn der Gottlose“.

Es ist klar erwiesen, daß die sichersten Wege zur Wohlfahrt und zum Gedeih der Menschheit, zur höchsten Zivilisation und zur Freiheit der Staatsbürger, Liebe und Freundschaft, und die engste Verknüpfung aller Geschöpfe des Menschengeschlechts sind. Nichts in der Welt kann erdacht oder vollkommen geleistet werden ohne Vereinigung und Uebereinstimmung, und die wahre göttliche Religion ist die vollendetste Ursache für Freundschaft und Einigung in der Welt. Es steht geschrieben: „Wenn du auch alles anwendetest, was auf Erden ist, so könntest Du doch nicht ihre Herzen versöhnen; aber Gott söhnet sie alle aus."*)

So ist die Macht der wahren Vereinigung, sowohl innerlich als auch nach außen hin, die wir beim Auftreten der Propheten Gottes beobachteten und die unter dem Schutz des Wortes der Einheit, Familien und Stämme vereinte, die in Fehde standen, sodaß Hunderttausende von Seelen wie eine Seele waren und die Menschen wie ein einziger Mensch.

*) An dieser Stelle wird von Auslegern eine Geschichte erzählt, wonach sich ein Streit erhob zwischen den Stämmen von Alawas und Al Khuzraj. Sie waren Todfeinde und hatten sich 120 Jahre lang grimmig bekriegt. Doch durch die Lehre des Koran wurden sie aufrichtig versöhnt, sodaß sie einander wie Brüder zugetan waren.


„Ihre Zahl ist gleich den Wellen, die der Wind zu einer großen Woge zusammendrängte. Da sie im Lichte der Wahrheit stehen, wird das Licht niemals verlöschen. Getrennt von einander ist das Leben des Wolfs und des Hundes, doch vereint sind die Seelen der Löwen Gottes (d. h. der Gläubigen)!“.

Die Einzelheiten der Begebnisse, die sich in den Tagen des Auftretens der Propheten — Friede sei mit ihnen! — von Alters her abspielten, und der Propheten Lebensweise, Eigenschaften und Zeichen sind nicht ausführlich in der Weltgeschichte erwähnt, wie es sicherlich erwartet worden sein mag; sie sind vielmehr nur in den Zeilen des Koran, in Ueberlieferungen und in der Bibel kurz erwähnt.

Da wir aber seit den Zeiten Mose’s des Patriarchen, vollständige Berichte der Begebnisse in dem trefflichen Koran, in den authentischen Ueberlieferungen, in der Bibel und in glaubwürdigen Erzählungen finden, wollen wir sie daher nur kurz anführen, damit durch diese zuverlässigen Zeugnisse alle einen Beweis und eine Demonstration für die richtige Beantwortung der nachstehenden Fragen haben mögen:

Ist die Religion das wahre fundamentale Prinzip der Menschlichkeit und Zivilisation oder ist sie — wie Voltaire sagt und wie er glaubt — die Vernichtung der Voraussetzungen für Erfolg, Frieden und Wohlergehen der Menschheit?

Die Antwort wird so bündig lauten, daß es für keine Nation auf Erden möglich sein sollte, ihre Richtigkeit zu verneinen, denn sie steht im Einklang mit der authentischen Geschichte aller Nationen und mit dem Glauben aller Menschen auf Erden.

Fortsetzg. folgt.



Allerseelen.


Sonnengold, auf Feld und Flur,

Friede, der das Herz entzücket,

o, wie hast du dich, Natur,

um zu sterben, schön geschmücket.


Schafft es dir so hohe Lust,

kühn dem Leben abzusagen,

das dich an der treuen Brust

so voll Innigkeit getragen?


Nein, du weißt, nicht lange schreckt

dich des Winters starr Geberden

und ein neuer Frühling weckt

jauchzend dich zu neuem Leben.


Tod, mein Freund, so komme frei,

selig dünkt es mich, zu sterben,

wenn aus Tod und aus Verderben

Leben flutet, kräftig, neu.


M.L.F

RESUUME XXXXXXXXXXXXXXX

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Europa und die Bahá’i.

Von A. Diebold.

Während in Persien die Bahá’i schon so in die Breite gewachsen sind und in allen Schichten der Bevölkerung Anhänger besitzen, während sie dort Schulen unterhalten und auf das kulturelle Leben einen Einfluß ausüben, der erst in späterer Zeit in seinem ganzen Ausmaß erkannt werden wird, steckt die Bahá’i-Bewegung in den meisten außerpersischen Ländern, in denen sie Fuß gefaßt hat und namentlich in Europa noch in den Kinderschuhen. Obwohl in vielen Ländern ununterbrochen für die große Sache geworben wird, ist es ihr bis jetzt noch nicht gelungen, die Bedeutung zu erlangen, die ihr in Persien zukommt. Ihre Prinzipien werden wohl allgemein gutgeheissen, aber der Sache als solche bleibt man skeptisch gegenüber. Man verharrt im Vorurteil, das nicht zuletzt gerade von den Kreisen genährt wird, die am allerersten Grund hätten, „deren allererste Pflicht es wäre, sich dieser Sache zuzuwenden“, für sie einzutreten. Man betrachtet die Bahá’i-Bewegung als eine Sekte des Islam, damit ist die Sache kurzweg abgetan. Es ist aber so falsch, die Bahá’i-Bewegung als eine Sekte des Islam zu bezeichnen, wie es falsch wäre, vom Christentum als von einer Sekte des Judentums zu sprechen. Weil Christus seiner Abstammung nach ein Jude war, waren doch die auf seiner Lehre sich aufbauenden Christengemeinschaften keine jüdischen Sekten; obwohl sie von den damaligen Zeitgenossen für solche gehalten worden sind. Genau dasselbe trifft auf Bahá’u’lláh zu.

Wohl gründeten sich die Lehren Christi auf das Judentum, sie wurzelten in ihm, aber sie gingen in ihrem Endziel weit über die mosaischen Forderungen hinaus, in der Richtung, die von Anfang an gegeben war, dem tausendjährigen Reiche zu, sie erfüllten die Gesetze Moses, sie erfüllten das, was in den Büchern verheißen war. Wir verstehen es heute, die Menschen damals verstanden es nicht. Eine Religion, die aus Vorhandenem hervor- und über Vorhandenes hinausgeht, die also größer ist, als die Religion, in der sie wurzelt, kann nun aber nicht als Sekte der überwundenen Religion bezeichnet werden.

Wie nun Christus auf der Mosaischen Religion aufbaute und veraltete Gesetze abschaffte, die den Zeitverhältnissen nicht mehr entsprachen, so gab uns Bahá’u’lláh, auf den Lehren Christi fußend, noch das, was notwendig ist, um der durch das Christentum gestempelten und vorwärtsgetriebenen Kultur- und Geistesverfassung der heutigen Menschen gerecht zu werden. Mit andern Worten: Bahá’u’lláh erfüllt die Lehre Christi und bringt das, von dem Christus sagt: „Ich hätte euch noch viel zu sagen, aber ihr könnt es noch nicht fassen...“ und „wenn aber der Geist der Wahrheit kommt, der wird euch in alle Wahrheit leiten“. Die Zeit ist nun reif geworden, um das aufnehmen zu können, was Christi Zeitgenossen noch nicht fassen konnten; die Entwicklung auf allen Gebieten ist vom Kleinen zum Großen gegangen und geht noch weiter; die „Enden der Welt“ sind durch die Errungenschaften der Technik zusammengekommen, und wir sind auf dem besten Weg zu einer Welt-Völkergemeinschaft. Wenn auch der Weg schwer und lang ist, so zwingen doch Umstände dazu, ihn zu begehen. Wenn wir auch, durch wirtschaftliche Notwendigkeit gezwungen, erst vor Pan-Europa stehen, so ist doch das Endziel, die Weltvölker- und Wirtschaftsgemeinschaft mit dem Zeitmaß der Geschichte gemessen, in nicht allzuweiter Ferne. Wenn aber alles nach Zusammenschluß zu großen Verbänden drängt, glaubt man da wirklich, daß es auf dem Gebiet der Religion anders bleiben kann. Glaubt man hier. beim Alten bleiben zu können, daß hier der fortgeschrittene menschliche Geist sich weiter mit der Nahrung begnügen wird, mit der Menschen mit einem, verglichen mit der heutigen menschlichen Erkenntnis und Geistesbildung, verhältnismäßig primitiven Geistesleben vor zwei Jahrtausenden gefüttert wurden. Glaubt man hier auch zu einem Zusammenschluß aller Glaubensrichtungen kommen zu können, wenn nicht ein ganz grundbewegender, neuer Geist in die Kirchen einzieht. Und zwar ein Geist, der so universal ist, als unser ganzes Zeitalter in allen Dingen universal ist. Diesen Geist brachte Bahá’u’lláh. Dürfen wir im Westen an dieser wichtigen Sache vorbeigehen, weil es uns nicht ins Zeug passen will, etwas anzunehmen, das seinen Ursprung im Osten hat. Vergaßen wir, daß die Sonne des Christentums ebenfalls im Osten aufleuchtete? Stoßen wir uns nicht an Namen und äußeren Dingen, seien wir nicht hochmütig! „Blicken wir auf den Geist der Sache, und wir müssen ausrufen, was Tolstoi in seiner letzten Zeit ausrief: „Ich habe mein ganzes Leben lang vergebens versucht, das Wesen der Dinge zu erforschen, dort im Osten aber ist einer, der den Schlüssel zur letzten Weisheit besitzt.“ Tolstoi hat schon, nachdem er nur wenige der Lehren Bahá’u’lláhs gelesen hatte, und nach ganz kurzem Schriftwechsel mit dem Ausleger der Lehre, 'Abdu'l-Bahá, die hohe Mission dieser Bewegung für die heutige Zeit erkannt. Wir im Westen dürfen uns nicht in Selbstüberhebung dieser Bewegung verschließen und müssen [Seite 137] den befruchtenden, gewaltigen Geistesstrom in unser nüchternes, von der Maschine beherrschtes Leben fließen lassen. Lassen wir die Kräfte eines Stromes brachliegen, nur weil er seinen Ursprung nicht in unserem eigenen Lande hat? Man würde dies nicht begreifen. Warum nützen wir dann einen Geistesstrom nicht, der für uns ungeahnte Kräfte in sich birgt, ja, warum nehmen wir uns nicht einmal die Mühe, diesen Strom auf seine Kräfte hin zu untersuchen und lassen sein lebengebendes Wasser achtlos an uns vorbeifließen? Persien ist ein Schulbeispiel: In welch ungeheurem Aufschwung ist es begriffen; wie ist es erwacht, nachdem es nahe daran war, im Interessenstreit zwischen Rußland und England unterzugehen! Und warum? Weil ein ganz gewaltiger Teil seiner Bevölkerung von der Bahá’i-Sache befruchtet ist und dadurch Träger einer Geisteskultur, die dem toten Körper Persiens neues Leben verleiht (Vergl. meinen Aufsatz „Neu-Persien und die Bahá’is“, S.d.W. IX. Jhrg., S, 124). Wenn wir die Ideen der Bahá’i-Bewegung von ihrem Ursprung losgelöst betrachten, so wird niemand sein, der nicht voll Begeisterung sagen müßte, daß ja diese Prinzipien die Lösung aller Zeitprobleme in sich tragen, die uns so stark beschäftigen und uns als unlösbar erscheinen. Man ist nur zu leicht bei der Hand und wirft ein, daß das Ziel zu hoch gesteckt sei, als daß es die Menschheit erfüllen könnte. Persien beweist die Erfüllbarkeit. Es ist im Begriff die technischen Errungenschaften Europas heranzuziehen, um mit ihrer Hilfe eine hoch geistige, von den Bahá’i-Ideen befruchtete Kultur aufzubauen. Maschine und Geist zusammen bilden das Aufbaumaterial. Die Maschine ist der Baustein, der Geist der bindende, das Ganze zusammenhaltende Mörtel. Das Baumaterial der europäischen Kultur ist Maschine und wieder Maschine. Sie drückt unserem Kulturleben den Stempel auf, das geistige ist in den Hintergrund gedrängt und harrt seiner Neubefruchtung. Und das ist ungesund, dies dient nicht zur Wohlfahrt der Menschen. Der Mensch soll über dem Maschinentum stehen; die Maschine soll ihm nur Mittel zur Wohlfahrt sein. Dies wird sie aber solange nicht sein, als sie den Menschen beherrscht, wie es heute der Fall ist. Deshalb nehmen wir uns doch ein Beispiel am Osten. Wie er sich bei uns Technik holt, die uns im Uebermaß beherrscht, so holen wir uns von ihm das Geistige, das er im Uebermaß besitzt! Dieser wechselseitige Austausch wird ungeahnte Wirkungen haben, nicht nur zu unserer eigenen; sondern auch zur Wohlfahrt der ganzen Menschheit. Denn was nützt alles Sinnen auf Verbesserung unserer technischen Einrichtungen, wenn sie das Los der Menschheit nicht zu erleichtern vermögen, sondern den Menschen nur noch mehr versklaven. Es ist doch letzten Endes die vornehmste Aufgabe, den Menschen von der Materie so frei als möglich zu machen, die Materie als Mittel zum Zweck betrachten zu lernen und sie nicht zum Zweck selbst zu machen. Damit wird das Kernproblem der europäischen Wirtschaftswirrnis von selbst gelöst. Was nützt dem Unternehmer ein noch so großer Betrieb, mit noch so technischen Vollkommenheiten, wenn er seine Arbeiter nur als Teil seiner Maschinerie und als seelen- und geistlosen Faktor im Produktionsprozeß betrachtet? Nichts! Unruhe, materielle Verluste und schlaflose Nächte sind die Folgen. Sorge um die Erhaltung seiner Substanz und Gier nach Erhöhung seines Gewinns lassen ihn nicht zu innerer Harmonie kommen. Der unbefriedigt, unfreie, gärende Zustand seiner zur Maschine gestempelten Arbeiter läßt ihn nie zur Ruhe kommen. Dies alles wird mit einem Schlag anders, wenn ein vom Bahá’i-Geist erfülltes Führertum (in Wirtschaft und Politik) es als seine vornehmste Pflicht betrachtst, den ganzen Produktionsprozeß nicht als Mittel zur Füllung der eigenen Tasche, sondern als Mittel zur Hebung der Wohlfahrt der Menschen anzusehen. Dieser Geist, auf den am Unternehmen interessierten Arbeiter verpflanzt, wird sich über die Maschine erheben, wird Arbeitsfreudigkeit und damit Produktions- und Gewinnsteigerung hervorbringen. Arbeit wird zum Dienst an der Menschheit, wird Gottesdienst. Dies würde aber eine vollständige sittliche Erneuerung des menschlichen Gemeinschaftslebens bedeuten. Daß wir in Europa eine solche Erneuerung ebenso notwendig, oder vielleicht noch notwendiger haben, als die übrige Welt, dürfte jedem Kenner der heutigen Zustände klar sein. Eine sittliche Erneuerung und Befruchtung des Geisteslebens ist aber, das lehrt uns die Vergangenheit, immer nur aus der Religion Gottes hervorgegangen. Das Mosaische Gesetz bildete für uns die Grundlage aller Sittengesetze, die Lehren Christi drückten unserem Geistes- und Kulturleben ihren Stempel auf, Mohammeds Religion gab dem Orient Richtung und Ziel. Immer wenn ein Zeitalter im Argen lag, wenn geistige Dunkelheit über der Menschheit brütete, wenn Verflachung und Gleichgültigkeit in einer Religion Einkehr gehalten hatten ‚dann trat ein neuer, durch einen Propheten geoffenbarter Geistesstrom, das schaffende Wort Gottes, in Erscheinung und schuf neue Zustände. Daß wir nicht in einer solchen Zeit leben, ist schwer zu beweisen. Alle Zeichen für ein niedergegangenes, geistig müdes Zeitalter sind vorhanden. [Seite 138] Unsere christliche Religion ist verflacht; die erschreckend überwiegende Masse der Christen glaubt die Lehre Christi zu befolgen, während sie doch nur in den Aeußerlichkeiten der Kirchen und Sekten befangen ist. Die Wesenheit der Religion Christi ist ihnen verborgen, sonst könnten nicht Zustände herrschen, wie wir sie gerade in unseren Tagen erleben. Die Bahá’i-Lehre trägt Licht in alle Probleme des Lebens hinein, von ihr strahlt der Zeitgeist aus, der uns regiert und mit dem wir nicht recht fertig werden, weil wir uns von ihm nur unbewußt und widerwillig treiben lassen, statt daß wir ihn suchen, ihn annehmen und uns bewußt von ihm befruchten lassen. Tun wir dies, dann wird Europa einen ungeahnten Aufschwung nehmen und wird unter allen Erdteilen an hervorragendster Stelle stehen. Es wird eine Mission für die ganze Menschheit erfüllen, zu der es geradezu prädestiniert ist. Tut es dies aber nicht, so wird ein anderer Erdteil an seine Stelle treten und Europa wird zur Bedeutungslosigkeit herabsinken. Wähle Europa!


RESUME


Das Wesen der Bahá’i-Lehre.

Von Dr. H. Großmann.

Wir stehen am Anfang eines neuen Zeitalters,

dessen Geist sich im Drängen nach Einheit und:

Zusammenwirken äußert. Das Erstreben, dieses Ziel zu erreichen, ist ein Gebot der Selbsterhaltung für die Menschheit. Wenn sie es versäumt, wird sie ihrem Untergang entgegengehen. Die Bahá’i-Lehre bringt uns zur Erkenntnis alles dessen, was den heutigen Zeitgeist ausmacht und zeigt uns den Weg zum Ziel.

Wie stellt sich die Babä’i-Lehre die Einheit vor:

Wie stellt sich die Bahäfi-Lehre die Einheit vor: Einheit kann nicht Uniformierung Aller nach einer starren Idee sein. Denn wenn wir verschiedene Zahlen mit ein und derselben Zahl mal nehmen, werden wir nur immer wieder verschiedene Zahlen erhalten. Einheit kann auch nicht Zusammenfassung unter einen für alle bestimmenden : Willen sein. Dies wäre gleichbedeutend mit Unterdrückung jedes andersgerichteten Willens und würde einen ständigen Kampf aller verschiedenen Willensrichtungen um die Vorherrschaft bedeuten. Wahre Einheit kann nur unter Achtung und Wahrung der Verschiedenheiten, aber unter bewußter Erkenntnis der Gemeinsamkeiten zustandekommen. Sie beruht auf dem Gemeinschaftsgefühl aller und auf der Anerkennung völliger Gleichberechtigung.

Wie können wir zu dieser Einheit gelangen:

Indem wir uns zunächst bemühen, uns von allen Vorurteilen rassischer, nationaler, sozialer, wirtschaftlicher und religiöser Art freizumachen. Solange uns diese Vorurteile den Blick trüben, werden wir nie die Voraussetzungen zur Einheit zu erkennen vermögen. Wir müssen mit unseren eigenen Augen und nicht mit denen irgend eines anderen Menschen zu sehen lernen. Wir müssen uns bemühen, unsere Gedanken selbst zu denken




und nicht die Gedanken anderer überlegungslos zu übernehmen. Die schlimmste Krankheit während der Jahrtausende war es, daß die Söhne blind die Anschauungen, Sitten und Meinungen der EItern und Voreltern für sich selber hingenommen haben. Nur dadurch vermochten sich Dogmen und Vorurteile so hartnäckig fortschrittfeindlich einzunisten.

Können wir die Einheit erzwingen:

Alles Wachstum in der Natur ist das Ergebnis organischer Entwickelung. Die Pflanze muß erst Blätter und Blüten hervorbringen, ehe sie Früchte treiben kann. So kann auch die Einheit nicht mit Gewalt herbeigeführt werden, sondern sie muß das Ergebnis einer Entwicklung sein. Würden wir sie durch Gewalt oder Druck hervorbringen, so würde dieser Druck nur Gegendruck erzeugen ‚und die Menschheit käme nie zur Ruhe. Selbst wenn die fortschrittlichen Ereignisse einmal der natürlichen Entwickelung vorauseilen würden, so müßte doch hinterher darauf Bedacht genommen werden, . diesen Fortschritt durch anschließende Entwickelung zu einem wirklichen zu machen. Trotzdem können wir diese Entwickelung beschleunigen, indem wir ihre Gesetze auf das sorgfältigste studieren und uns mit aller Kraft bemühen, im Sinne dieser Gesetze zu handeln.


Bahá’i-Lehre und Religion:

Die Bahá’i-Lehre ist Religion schlechthin, nicht eine und nicht eine neue, sondern Erfüllung aller bestehenden wahren Religionen. So tritt sie mit keiner in Wettbewerb, sondern hilft den Menschen, die wahre, tiefe Bedeutung zu erkennen, die in ihrer Religion ruht. Alle wahre Religion strebt nach Erkenntnis der Wahrheit, und Wahrheit kann es nur eine geben. Das, was bei den verschiedenen großen Religionen verschieden ist, ist nicht ihr Inhalt sondern die äußere Form, das


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a EEEENEETEEEERSEEEEERSERRRESEEE.


Gewand. Alle Religionen sind nach einem einheitlichen Lehrplan gleichsam Lehrstunden und wollen die Menschheit geistig entwickeln. Die Lehrer und Erzieher der Menschen waren dabei jeweils die großen Religionsstifter Moses, Christus, Zoroaster, Buddha, Muhammed u.a. Für unsere Zeit erkennt die Bahá’i-Lehre die universalen Erzieher in Bahä’wlläh und “Abduw’l-Baha. Alle diese Lehrer brachten von der gleichen Wahrheit immer so viel, als zu ihrer Zeit verstanden wetden konnte und paßten sich in der Darstellung dem Auffassungsvermögen und den Verhältnissen der betreffenden Völker an. Stets haben die späteren Religionsstifter die früheren bestätigt, und so bestätigen auch Bahä’wlläh und “Abdw1-Bahä die Lehren ihrer Vorgänger. Es ist darum nicht nötig, daß die Menschen ihre Religion um einer anderen willen aufgeben; aber sie müssen lernen, die übrigen Religionen nicht geringer zu achten und gegen sie ohne Vorurteil zu sein.

Bahá’i-Lehre und Rassenfrage:

Die verschiedenen Menschenrassen sind wie verschiedene Blüten eines Blumengartens. Gerade ihre Mannigfaltigkeit macht die Schönheit aus, und indem die Rassen ihre Fähigkeiten gegenseitig. ergänzen, wird sich die Menschheit zur größten Vollkommenheit entwickeln. Wenn heute noch nicht alle Rassen gleich weit vorangeschritten sind, so besagt das doch nicht, daß darum einige von ihnen minderwertiger sind; vielmehr bedarf es nur der Entfaltungsmöglichkeit und der geeigneten Erziehung, um einen Ausgleich herbeizuführen. Solange die Vorurteile der Rasse fortbestehen, werden sie fortfahren, ein Hindernis für die Entwickelung und eine Ursache des Unglücks für die Menschheit zu sein.

Bahá’i-Lehre nnd nationale Fräge:

Nationale Fragen waren von jeher eine der Hauptursachen der vielen blutigen Kriege, die die Menschheit zerrissen haben. Trotzdem würde ihre Lösung auch ohne Kriege möglich sein, wenn die Nationen nicht ausschließlich dabei an ihre eigenen Interessen dächten und von den anderen nichts verlangten, was sie nicht von sich selbst verlangt wissen möchten. Das Mittel zur Aussöhnung und friedlichen Zusammenarbeit sieht die Bahá’i-Lehre in einem festgefügten Völkerbund, einem internationalen Parlament und einem internationalen Schiedsgericht. Die Forderung darnach wurde von Bahä’w’lläh bereits um die Mitte des vorigen Jahr. hunderts also zu einer Zeit erhoben, in der ähnliche Begriffe sonst noch völlig fernlagen. Dabei sind international und national keine Gegensätze, vielmehr vermag ein internationaler Zusammen schluß sehr wohl die’nationalen Eigenarten und Umgrenzungen zu wahren. Als ein wertvolles Mittel, die Nationen einander näherzubringen, erkennt die Bahá’i-Lehre die Einführung einer WeltEinheitssprache und einer Welt- Einheitsschrift, die in gleicher Weise in den Schulen aller Länder zu lehren sind, sodaß jeder zur internationalen Verständigung neben seiner Muttersprache nur diese eine Sprache zu erlernen braucht.

Bahá’i-Lehre und Staat:

Für die Bahá’i-Lehre sind Religion und Staat untrennbare Begriffe. Dies bedeutet jedoch kei .neswegs eine religiöse Bevormundung des Staa tes, da die Bahá’i-Lehre weder eine eigene Kirche noch eine Priesterschaft irgend welcher Art kennt. Aber alle Einrichtungen des Staates müssen vom universalen religiösen Gedanken getragen sein. Im Bahá’i-Staat gibt es keine Bevorzugung nationaler, konfessioneller, rassischer oder sozialer Art, seine Segnungen fließen Allen gleicherweise zu. Der Träger des Staatsgedankens ist die Gemeinde. Sie wird von einer aus allgemeiner direkter Wahl hervorgegangenen Körperschaft ge leitet, die eine Auswahl ihrer besten und befähigte-.

sten Männer darstellt. Die gemeinsame nationalen Körperschaft, die gleichfalls aus dem aligemeinen jedoch indirekten Wahlrecht der Gemeindemitglieder hervorgeht, während die internationalen Fragen dem internationalen Parlament und dessen Organen anvertraut sind. Durch eine solche Staatsform wird der Individualität des Einzelnen im weitesten Maße Rechnung getragen.

Bahá’i-Lehre und soziale Frage:

Die Lösung der sozialen Frage ist in erster Linie eine Frage der geistigen Umstellung. Die Besitzenden müssen selber zur Erkenntnis kommen, daß übermäßiger Besitz unsittlich ist, wenn daneben völlige Besitzlosigkeit und Bedürftigkeit bestehen, doch ist es auch Aufgabe des Gesetzes, die krassen Gegensätze zwischen arm und reich weise zu beseitigen. Mittel hierzu sind eine progressive Einkommenbesteuerung und ein Erbrecht, das die Bildung übermäßiger nicht durch eigene Arbeit erworbener Vermögen verhindert. Arbeit ist für alle eine selbstverständliche Pflicht und sollte als wahrer Gottesdienst aufgefaßt werden. Der Arbeiter wird am Interesse des Unternehmens beteiligt. Für Erwerbsunfähige und Bedürftige tritt eine staatliche Unterstützung ein. Die Frauen sind den Männern gleichgestellt.

Bahá’i-Lehre und Erziehung:

Einer sorgfältigen Erziehung wird von der Bahá’i-Lehre die größte Beachtung geschenkt. Es






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ist dafür Sorge zu tragen; daß Alle in gleicher Weise an ihren Segnungen teilhaben können. Eine besondere Sorgfalt ist der Erziehung der Mädchen zuzuwenden, sind sie doch ‚wieder als Mütter die ersten Erzieher der kommenden Generation. Es sollten nur solche Fächer, Wissenschaften und Künste studiert und gelehrt werden, die für die Menschheit von Nutzen sind.

Religion und Wissenschaft:

Religion und Wissenschaft brauchten keine Gegensätze zu sein, da sie beide nach Erkenntnis streben und alle wahre Erkenntnis letzten Endes übereinstimmen muß. Betrachten wir gion: Alle großen Rel’gionsbringer haben ihre Vorgänger bestätigt. Sie haben ausdrücklich deren Lehren anerkannt und deren Sinn fortschreitend dargelegt. Damit haben sie gezeigt, daß die eine Grundwahrheit der Inhalt aller Religionen ist. Trotzdem haben ihre Anhänger einander auf das heftigste bekämpft. Die Anhänger jeder Religionslehre waren die erbittertsten Gegner der folgenden. Dies liegt daran, daß sie sich im Verständnis ihrer Lehre auf die begrenzte Anschauung ihrer Zeit festgelegt und darnach die Lehre in starre Dogmen eingezwängt haben, wodurch diese in ihrer Entwickelungsfähigkeit behindert wurde. Im Gegensatz dazu hat sich die Wissenschaft ungehinderter entwickelt und Erkenntnisse gewonnen, die zu den religiösen Lehren im Widerspruch zu stehen scheinen. In der Tat aber stehen sie nur zu den dogmatisch erstarrten — nicht aber zu den ursprünglich reinen — Religionslehren im Widerspruch. Wenn wir lernen, die Lehren Mose, Christi, Buddhas, Muhammeds und der anderen großen Religionsbringer ohne Vorurteil ihrem wahren Sinne nach richtig zu verstehen, so wird die Wissenschaft überall Wege zur Uebereinstimmung finden. Religion und Wissenschaft sind d’e Flügel, deren beider die Menschheit zu ihrem geistigen Aufstieg bedarf. Beider Aufgabe besteht darin, sich gegenseitig zu befruchten, nicht sich zu bekämpfen.

Inwiefern beugt die Bahá’i-Lehre der Gefahr neuer dogmatischer Erstarrung vor:

Während frühere Religionslehrer mehr oder minder unentwickelten oder doch nur einseitig entwickelten Anschauungsweisen Rechnung tragen mußten, vermag die Bahá’i-Lehre auf der Grundlage einer hochentwickelten, modernen, wissenschaftlichen und geistigen Schulung aufzubauen. Sie ist daher in ihrem philosophischen Gehalt nicht auf gleichnisweise Darstellungen, deren Ausdeutung schwierig ist, beschränkt, sondern vermag sich in ihren Darlegungen der vollen logischen

die Reli-.



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®


Schärfe zu bedienen. Sie gibt uns nicht so sehr ein Bild der Wahrheit an sich, sondern zeigt uns einen klar umrissenen Weg dazu, wobei sie uns vor allem lehrt, alle gewonnene Erkenntnis sorgfältig und mit Vernunft zu durchdenken. Blinder Glauben vermag keinen dauernden Fortschritt zu bringen, wenn dagegen der Glauben durch Anschauung und Vernunft erhärtet ist, wird er die Menschheit von Stufe zu Stufe zu immer größerer Vollkommenheit emporführen. Durch die BahfiLehre lernen wir auch die religiöse Ausdrucksweise früherer Religionsbringer in ihrem — zeitgemäß gesprochen — wissenschaftlichen Sinn zu verstehen. Da für die Bahá’i-Lehre eine Priesterschaft oder religiös bevorrechtigte Kaste dem Wesen nach ausgeschlossen ist, fällt auch der in der Kirchengeschichte vergangener Zeiten so bedeutsame machtpolitische Anlaß zur Dogmenbildung fort. Die nachfolgenden Abschnitte mögen in knappen Worten ein Bild von der Weltanschauungsweise der Bahá’i-Lehre geben.

Gott und Gottesbegriff:

Gott ist seiner Wirklichkeit nach für den Menschen im physischen Zustand unfaßbar. Seine Existenz ist jedoch eine Denknotwendigkeit, wobei die Vorstellung, die wir uns davon machen, nur eine subjektive Einbildung ist, die aus der menschlichen Eigenart entspringt, sich von allen Gegenständen des Denkens eine Vorstellung machen zu müssen. Wenn wir uns dessen bewußt bleiben, daß diese Vorstellung nur eine Vorstellung und nicht das Bild der Wirklichkeit ist, so werden wir auch nicht über Gottesbegriffe streiten können. Gott ist der Ausdruck für das Sein, das als Anlaß hinter aller Erscheinungswelt stehen muß, für die letzte, unser Begriffsvermögen übersteigende aber logisch notwendige Ursache. In diesem Sinn verstanden, müssen die Atheisten genau so gut wie die Christen, die Juden und die Muhammedaner die Existenz eines Gottes anerkennen. In dieser gemeinsamen Erkenntnis können sie sich alle finden, wenn sie die gehörige Achtung von der individuellen — für das wahre Verständnis des Gottesbegriffes unwesentlichen — Gottesvorstellung lernen.

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Von der natürlichen Harmonie:

Alles Sein strebt nach großen herrschenden Gesetzen zu einer gewissen Ordnung hin, die wir als Harmonie empfinden, während uns alles, was ihr entgegen ist, als Disharmanie und Zerstörung erscheint. Wir müssen diese Gesetze auf das sorgfältigste studieren und sowohl unser Leben als auch die Ordnung der Gesellschaft nach ihnen gestalten, wenn. wir nicht fortgesetzt unter den


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Schmerzen, die ihre Mißachtung bereitet, leiden wollen. Die Lehren aller großen Religionsstifter erfolgten in Uebereinstimmung mit diesen Gesetzen und sind darum — richtig verstanden Wegweiser zur natürlichen Harmonie. Im Gebot der Liebe finden sie ihren praktischen Ausdruck.

Die Frage des Schicksals:

Daß unser Wille nicht völlig frei ist, ist für den nachdenkenden Menschen eine Selbstverständlichkeit; sind seiner Entfaltung® doch überall in der Natur Schranken gesetzt. Dagegen ist es eine Frage: wieweit unsere Handlungsfreihtit begrenzt ist. Die Bahá’i-Lehre weist uns als Antwort das Gesetz von Ursache und Wirkung, wonach jede Ursache in der Welt eine Folge nach sich zieht, und jede Folge wiederum die Ursache einer neuen Wirkung ist, wonach alles Geschehen zu einer endlosen Verkettung von Ursachen und Wirkungen wird. Aber es ist keineswegs immer nur eine bestimmte Wirkung, die zwangsläufig folgen muß; vielmehr haben wir in der Regel die Möglichkeit, durch unser Verhalten eine Auswahl zwischen verschiedenen Folgemöglichkeiten zu treffen. Darum sollten wir stets so bewußt wie möglich handeln und uns durch kein Ereignis niederdrücken lassen, sondern daran denken, wie wir jedes Geschehnis zum Besten wenden können. Die Bahá’i-Lehre lehrt uns, alles Geschehene als Mittel zu unserer Entwickelung zu betrachten; auch wenn wir den Sinn nicht erkennen können. Und eben darum, weil wir ihn so oft nicht erkennen können, nicht immer nach dem „warum“ sondern vor allem nach der Lehre, die wir daraus ziehen soliten und nach der besten Gestaltungsmöglichkeit für die Zukunft zu fragen.

Vom Fortleben:

Die erschaffene Welt besteht nicht nur aus der mit unseren fünf Sinnen wahrnehmbaren, physischen (körperlichen) Welt, wenngleich beim Menschen im physischen Zustand die Sinne, mit denen er die übrige Welt wahrnehmen könnte, noch nicht entwickelt sind. Aber die Tatsache, daß uns heute das Wahrnehmungsvermögen fehlt, besagt noch nicht, daß alles Sein auf die physische Welt beschränkt sein muß. Genau so wenig, wie man daraus, daß das Kind vor seiner Geburt nicht zu sehen vermag, schließen könnte, daß es keine sichtbare Welt gibt. Unser gegenwärtiger körperlicher Zustand ist ein Zustand des menschlichen Lebens; und so — wie wir bereits vor der Geburt im Mutterleib in einer völlig anders gearteten Welt gelebt haben, so werden wir nach unserm Abscheiden wiederum an einer anderen neuen Welt teilhaben und das für sie erforderliche Wahrnehmungsvermögen erhalten. Die Vorstellungen je doch, die wir uns mit unseren physischen Sinnen darüber machen, beruhen auf Einbildung, weil die Wirklichkeiten, von denen wir sie uns machen, über unser gegenwärtiges Fassungsvermögen hinausgehen. Aufgabe des physischen Lebens ist es, die Voraussetzungen und Sinneswerkzeuge für. das spätere Leben vorzubereiten, was wir dadurch zu fördern, vermögen, daß wir lernen, im Sinne der natürlichen Harmonie zu leben.

Himmel und Hölle: Himmel und Hölle sind Ausdrücke für den inne ‚ren Zustand des Menschen, nicht Ortsbezeichnun ger für den Aufenthalt der abgeschiedenen Seelen. Je nachdem wir unser Leben der natürlichen Harmonie entsprechend gestalten oder nicht, werden wir den Himmel oder die Hölle in uns tragen.

Das Nichtbestehen des Bösen;

Es gibt keine selbstbestehende Kraft zum Bösen in der Welt, genau so wenig, wie es eine selbstbestehende Dunkelheit gibt. Dunkelheit ist vielmehr Abwesenheit des Lichts; und wir können die Dunkelheit beseitigen, indem wir Licht hineintragen, nicht aber umgekehrt. Auch alles Böse in der Welt ist nur Abwesenheit des Guten, und wenn wir nur genug Gutes dagegen setzen, So wird das Böse mehr und mehr verschwinden. Dieser Punkt ist von großer Wichtigkeit für die Erziehung. Wir lernen daraus auch, den Begriff der Sünde in einem neuen Sinne zu verstehen. Nicht dann ist es eine Sünde, wenn wir etwas an sich Ungutes tun, sondern nur, wenn wir es bewußt und entgegen besserer Erkenntnis mit vollem Willen tun. Die Schädigungen eines solchen Handelns liegen für den Handelnden selber auf geistigem Gebiet. Auch wenn wir daraus äußerlich scheinbar Vorteil ziehen können, so wird doch unsere geistige Entwickelung dadurch stets gehemmt, wenn nicht unterbunden werden.

Das Gebot der Tat:

Alles Studium und alle Erkenntnis ist wertlos, wenn wir die gewonnenen Erkenntnisse nicht in die Tat umsetzen. Darum ist das Gebot der sittlichen Tat, wie es sich durch alle wahren Religionen hindurchzieht, für die Bahá’i-Lehre das

höchste aller Gebote. Darum verwirft sie auch un

tätige Weltflucht und Einsiedlertum. Wohl sind aufrichtige Gebete und Versenkungsübungen ein wertvolles Mittel, zur Harmonie zu gelangen; aber wir werden sie dadurch allein nie erreichen. Erst die sittliche Tat im Geiste selbstloser Liebe bricht uns völlige Bahn zu dem,. was wir alle erträumen, zum verlorenen und wiedergewonnenen Paradies, zum Nirwana, zu einer, besseren, edleren Zukunft.



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Aus den Upanishaden.

„Ist es nicht, als würden die Menschen hier unten wie von etwas angepeitscht, das sie immer aufjagt und vorwärts hetzt, bis sie entkräftet zusammenbrechen? Hinter jedem ist dies grausam Rastlose hinterher, und es macht keinen Unterschied, ob jemand nach einer Krone giert oder nach einem armseligen Stück Acker.

Aber Reiche splittern und Aecker liegen brach, es geht alles einmal zu Ende.

Wer Gutes tut, der glaubt, der Himmel würde sein. Seligkeit willst du erwerben? Sie wird dir werden.

‚Doch weil bei jedem guten Werk du immer nach dem Himmel schieltest und so laut deine Psalmen sangst, daß auch ja Gott sie höre; und wenn die Linke auch nicht wußte, was die Rechte tat, dies stets dein Trost war, daß wenigstens doch Gott es wisse: Darum wird auch im Himmel immer etwas bei dir stehen, und deine Seligkeit, sie wird dir zugemessen.

Wer aber von hinnen scheidet, nachdem er Gott erkannt hat, wer nicht Gutes tat, weil er gut sein wollte, sondern Gutes tat, weil er gut

Neues von Konfuzius.

Auf eine Anfrage an die Redaktion über die Schriften des Konfuzius und welche Bedeutung diese in China haben, veröffentlichen wir einen Artikel, den wir Stuttgarter Tagblatts entnehmen. 'D. Redaktion.

Die Grundlage für die ganze Gestaltung der chinesischen Verhältnisse, wie sie noch heute sind, hat die Lehre des Konfuzius geschaffen, der wie wohl kein anderer Religionsstifter das staatliche und soziale Gefüge seines Volkes bestimmt hat, hauptsächlich deshalb, weil sein System eigentlich keine Religion ist, denn sie sagt nichts über das Verhältnis des Menschen zur Gottheit aus. Deshalb ist nun aber die Kenntnis der chinesischen Kultur aufs engste mit dem Studium der konfuzianischen Lehre verknüpft. Ganz neues Licht auf die Ueberlieferung und die Geschichte dieses Dogmas wirft ein Werk der deutschen Sinologie, durch das diese junge Wissenschaft eine bedeutende Bereicherung erfährt. Der Professor für Sprache und Kultur Chinas an der Universität Hamburg O. Franke veröffentlicht im Verlag vonL. Friedrichsen u. Co. in Hamburg „Studien zur Geschichte des konfuzianischen Dogmas und der chinesischen Staatsreligion“, in denen er die Ueberfieferung des einzigen Werkes von Konfuzius untersucht. Die einzige Schrift, deren Verfasserschait dem Konfuzius selbst zu einer früheren Ausgabe der.

war, dem wird auch alle Seligkeit wie von selbst zufließen, grenzenlos.

Liebte er hier seine Mutter, so wird es ihm sein, als berge er sich in einem Schoß und eine weiche Hand streichle sein Haupt.

Liebte er hier seinen Bruder, so wird er sich verstanden fühlen wie beim Spiel in der ersten Kindzeit. .

Liebte er hier seine Schwester, so wird ihm sein, als blihe um ihn her, was bei ihm so hart und trocken stand.

Liebte er hier seinen Freund, so wird ihm sein, als drücke ihm jemand fest und treu die Hand.

Liebte er hier seine Frau, so wird es in ihm fluten und umarmen.

Liebte er hier seinen Nächsten, so wird er fühlen, daß er selig sein darf.

Liebte er hier alles Lebende, so wird er fühlen, daß er selig sein kann.

Liebte er hier alles, so wird er fühlen, daß er selig sein muß.

Und er wird selig sein.“

geschrieben wird, ist dass Tschun-tsiu, und man hielt bisher dieses ehrwürdige Buchh das am Anfang der chinesischen Literatur steht, für ein Geschichtswerk. Franke

weist nun nach, daß es sich dabei aber um keine historische Arbeit handelt, sondern um ein Lehrbuch der Staatsethik. Es besteht aus zwei Teilen; den kurzen, die Lehre enthaltenden Formeln, die von Konfuzius schriftlich aufgezeichnet sind, und einem zunächst geheim gehaltenen Auslegungssystem, das er seinen Schülern mündlich mitteilte. Die Formeln sind Beispiele für dieses System. Die geheime Erklärung der Lehre, für die nur Andeutungen im Tschun-tsiu enthalten sind, wurde von den Schülern des Konfuzius weiter ausgedeutet, wobei der von dem Meister über sein Werk gebreitete Schleier schnell gelüftet wurde. Unter all den Kommentaren. hebt nun Franke als das wichtigste Werk die Erklärungsschrift des Tung Tschung-schu hervor, der die von Konfuzius nur mündlich hinterlassene Ausdeutung seiner Lehre am klarsten und reinsten in Worten festgehalten hat. Tung Tschung-schu, der Ratgeber der mächtigen Herrscher aus der HanDynastie im zweiten vorchristlichen Jahrhundert, ist nach den Forschungen des Hamburger Sinologen der älteste und wichtigste Träger der Ueberlieferung, an den sich die systematische Ausdeutung der von Konfuzius aufgezeichneten Formeln

en

142 [Seite 143]knüpft. Er hat in der Entwicklungsgeschichte der chinesischen Staatseinrichtung unauslöschliche Spuren hinterlassen, und Vieles von dem, was noch heute unerschüttert in der chinesischen Kultur steht, geht auf ihn zurück. So ist er der Begründer jenes Prüfungssystems, das fast zwei Jahrtausende

hindurch das Rückgrat des chinesischen Beamten- .

standes gebildet hat. Er baute, auf die Autorität des Konfuzius gestützt, den Staatskultus aus, durch den der kaiserliche Ahnendienst mit der Verehrung des Himmels als des höchsten Ahnen des Kaisers verknüpft wird. Durch ihn wurde die Vergöttlichung des Herrschers als des „Himmelssohnes“, der zwischen Gott und der Menschheit vermittelt, begründet, und als sinnbildliche Hand. Jung dafür schuf er das sog. „Himmelsopfer“, das nur von dem Zentralherrscher dargebracht werden konnte. Auch das zeitweilig so berühmt gewor dene „Regen-Opfer“ hat Tung Tschung-schu geschaffen, das mit der uralten Verehrung der Gottheit des Erdbodens zusammenhängt. Da aber, wie spätere Chronisten etwas spöttisch, bemerken, trotz dieses Regenopfers „Nässe und Trockenheit oftmals nicht der Ordnung entsprachen“, gab man diesen Kultus wieder auf. So ist Tungs Wirksamkeit für den Aufbau und Ausbau des Weltstaates der Han-Herrscher grundlegend gewesen; seine größte Bedeutung aber liegt in der Wiederherstellung der konfuzianischen Lehre und in ihrer Ueberlieferung an die Nachwelt. Tungs Erklärungsschrift „Tschun-tsiu fan lu“ bietet uns das getreueste Abbild des ursprünglichen konfuzianischen Systems, das überhaupt erreichbar ist, und von Franke wird auf Grund dieser Feststellung das gereinigte System des Konfuzius zum erstenmal dargestellt.

Zum 12. November 1817, dem Geburtstag von Bahä’u/’lläh.

Von A. Schwarz. Tiefe Weihe erfüllt das Herz derer, die wissen,

welche Bedeutung dieser Tag für uns Menschen

hat. Hundertzwölf Jahre sind dahingegangen, seit- '

dem das große Mysterium sich vollzog, wie es die Weit in weiten Zeiträumen nur ganz selten zu verzeichnen hat; in seiner Art insofern verschieden und einzigartig, als in früheren Zeiten die Mission der Gottgesandten nicht darin bestand, die ganze Menschheit in eine Einheit zusammenzufassen. Bahä’wllähs Aufgabe war es in Uebereinstimmung mt dem von den früheren Religionsstiftern geoffenbarten Wort, eine göttliche Lehre zu bringen, die die Macht besitzt, alle religiösen Gegensätze zu beseitigen und die Menschheit unter dem Zelt der Einheit‘ zu sammeln.

In Seinem ‘46. Lebensjahr erklärte Er sich als eine Manifestation Gottes und legte von da an die göttlichen Offenbarungen in Schriften nieder. Von jener Zeit an war Sein Leben ein großes Opfer für uns, für alle Menschen. Die Lehre Bahä’u’ilähs weitet unseren Horizont und verhilft zu geistigem Aufstieg. Sie öffnet uns. die Augen für eine wirkliche Bruderschaft, für die schönsten Ideale der Menschheit und ebnet uns den Weg dazu. Man fragt sich, wie Völker und Stämme, die auf einer niederen Entwicklungsstufe stehen, einer so hohen ethischen Lehre teilhaftig werden können. Was kann jenen Unentwickelten eine so hochgeistige Lehre nützen? Bahä’ulläh sagt uns, daß durch viel liebevolle Belehrung jener, die Zeit. ihres geistigen Frühlings auch anbrechen wird. Da die Lehre Bahä’wllähs eine alles umfassende und weltweite ist, wird die Entwicklung der auf einer niedrigeren Kulturstufe stehenden, wenn sie vom Geiste Bahä’wllähs be


rührt und durchdrungen werden, viel rascher vor sich gehen, denn auch sie stehen unter dem Einfluß des neuen Zeitgeistes und werden durch Abnahme der Lehre Bahá’u’lláhs sicherlich zum Aufstieg geführt.

Jeder Erdteil hat seine besondere Eigenart, und dennoch sind alle Prinzipien, die Bahä’w’lläh uns

bringt, für alle Menschen anwendbar. Und die

Völker, die sich heute auf einer hohen Kulturstufe stehend dünken? Werden sie sich nicht eines Tages ihres heutigen Tiefstandes bewußt werden, wenn sich vor ihren Blicken neue geistige Horizonte öffnen? Leidet heute die Welt nicht immer noch schwer unter den Folgen des Weltkrieges mit seiner erschütternden Tragik, mit dem vielen zerstörten Familienglück, so vielen vernichteten Talenten? Wie viele sinnen darüber nach, Mittel und Wege zu finden, um eine dauernde Abhilfe zu schaffen gegen das Hinmeorden von Tausenden und Abertausenden friedliebenden Erdenbewohnern, die der friedenfeindlichen Politik ihr Leben opfern müssen. Wird es die Welt fernerhin verantworten können, die Bestie im Menschen zu wecken und den Mord am Menschenbruder zu fördern. Es ist doch genugsam bekannt, wie Volk gegen Volk sich versündigt und immer wieder zu den Waffen greift in wechselndem Kriegsglück. Der Herr des Himmels und der Erde will nicht, daß die Menschheit fernerhin in diesem furchtbaren Irrtum verharrt. Er spricht zu uns durch Bahä’wlläh und zeigt uns Mittel und Wege zur Völkerversöhnung, zur .Völkerverbrüderung, zum Weltfrieden. Durch die geistige Führung Bahä’wllähs, durch die Erkenntnis und richtige Ein a nenn,

aan

. 143



[Seite 144]——————:


stellung des Menschen zu Gott und seinem Mitbruder wird ein Weltfrieden in göttlichem Sinne errichtet werden, alsdann wird die Welt die Größe Bahä’w/llähs und Seine geistige Macht verstehen.

Auf die große Idee der Einheit des Menschengeschlechtes, auf die Einheit der Religion baut Bahä’wlläh eine neue Welt auf. Wenn die maßgebenden Persönlichkeiten, die im Völkerbund das Schicksal der Völker lenken, Bahá’u’lláhs Gedanken, die ihnen durch Bahá’i-Literatur zugänglich gemacht sind, vollständig erfassen und das Wort Gottes in ihrem Herzen lebendig wird, dann

erst wird Bahä’wlläh richtig gewürdigt werden. Nach Seinem Werk und nach Seinem Leben wird

. dann jedermann forschen und erkennen, wie ein zig groß Seine Mission und wie beispiellos bitter Sein Erdenleben war. Wäre. Sein geliebter Sohn ‘Abdu’l-Bahá, den Er zum Mittelpunkt des Bündnisses machte, nicht an Seiner Seite gestanden, Er wäre ganz einsam gewesen, denn kein anderer vermochte Seine Weltmission und Seine Größe zu erfassen. Bahä’wlläh’s Leben hat 75 Jahre gewähıt, bis Cherubine Seine Seele in den offenen Himmel trugen und zu Gottes Thron geleiteten.

Der Herr hilit den Elenden zu allen Zeiten.

Hilf, Herr! Die Heiligen haben abgenommen, und der Gläubigen sind es wenige unter den Menschenkindern. Einer redet mit dem andern unnütze Dinge und heucheln, und lehren aus uneinigem Herzen. Der Herr wolle ausrotten alle Heuchelei und die Zunge, die da stolz redet, die da sagen: Unsere Zunge soll Überhand haben, uns gebühret zu reden; wer ist unser Herr? Weil denn die Elenden verstöret werden

und die Armen seufzen,

will ich auf, spricht der Herr;

ich will eine Hilfe schaffen dem, der sich darnach sehnet.

Die Rede des Herrn ist lauter

wie durchläufert Silber im irdenen Tiegel,

'bewähret siebenmal.

Du, Herr. wollest sie bewahren und uns behüten vor diesem Geschlecht ewiglich. Denn es wird allenthalben voll Gottloser, wo solche nichtswürdige Leute unter den Menschen herrschen.


Psalm 12.


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Druck von W. Heppeler, Stuttgart.


[Seite 145] Geschichte und Bedeutung der Bahá’ilehre.

Die Bahai-Bewegung tritt vor allem ein für die „Universale Religion" und den „Universalen Frieden“ — die Hoffnung aller Zeitalter. Sie zeigt den Weg und die Mittel, die zur Einigung der Menschheit unter dem hohen Banner der Liebe, Wahrheit, Gerechtigkeit und Barmherzigkeit führen. Sie ist göttlich ihrem Ursprung nach, menschlich in ihrer Darstellung, praktisch für jede Lebenslage. In Glaubenssachen gilt bei ihr nichts als die Wahrheit, in den Handlungen nichts als das Gute, in ihren Beziehungen zu den Menschen nichts als liebevoller Dienst.

Zur Aufklärung für diejenigen, die noch wenig oder nichts von der Bahaibewegung wissen, führen wir hier Folgendes an: „Die Bahaireligion ging aus dem Babismus hervor. Sie ist die Religion der Nachfolger Bahá’u’lláhs. Mirza Hussein Ali Nuri (welches sein eigentlicher Name war) wurde im Jahre 1817 in Teheran (Persien) geboren. Vom Jahr 1844 an war er einer der angesehensten Anhänger des Bab und widmete sich der Verbreitung seiner Lehren in Persien. Nach dem Märtyrertod des Bab wurde er mit den Hauptanhängern desselben von der türkischen Regierung nach Bagdad und später nach Konstantinopel und Adrianopel verbannt. In Bagdad verkündete er seine göttliche Sendung (als „Der, den Gott offenbaren werde") und erklärte, daß er der sei, den der Bab in seinen Schriften als die „Große Manifestation", die in den letzten Tagen kommen werde, angekündigt und verheißen hatte. In seinen Briefen an die Regenten der bedeutendsten Staaten Europas forderte er diese auf, sie möchten ihm bei der Hochhaltung der Religion und bei der Einführung des universalen Friedens beistehen. Nach dem öffentlichen Hervortreten Bahá’u’lláhs wurden seine Anhänger, die ihn als den Verheißenen anerkannten, Bahai (Kinder des Lichts) genannt. Im Jahr 1868 wurde Bahá’u’lláh vom Sultan der Türkei nach Akka in Syrien verbannt, wo er den größten Teil seiner lehrreichen Werke verfaßte und wo er am 28. Mai 1892 starb. Zuvor übertrug er seinem Sohn Abbas Effendi ('Abdu'l-Bahá) die Verbreitung seiner Lehre und bestimmte ihn zum Mittelpunkt und Lehrer für alle Bahai der Welt.

Es gibt nicht nur in den mohammedanischen Ländern Bahai, sondern auch in allen Ländern Europas, sowie in Amerika, Japan, Indien, China etc. Dies kommt daher, daß Bahá’u’lláh den Babismus, der mehr nationale Bedeutung hatte, in eine universale Religion umwandelte, die als die Erfüllung und Vollendung aller bisherigen Religionen gelten kann. Die Juden erwarten den Messias, die Christen das Wiederkommen Christi, die Mohammedaner den Mahdi, die Buddhisten den fünften Buddha, die Zoroastrier den Schah Bahram, die Hindus die Wiederverkörperung Krischnas und die Atheisten — eine bessere soziale Organisation.

In Bahá’u’lláh sind alle diese Erwartungen erfüllt. Seine Lehre beseitigt alle Eifersucht und Feindseligkeit, die zwischen den verschiedenen Religionen besteht; sie befreit die Religionen von ihren Verfälschungen, die im Lauf der Zeit durch Einführung von Dogmen und Riten entstanden und bringt sie alle durch Wiederherstellung ihrer ursprünglichen Reinheit in Einklang. Das einzige Dogma der Lehre ist der Glaube an den einigen Gott und an seine Manifestationen (Zoroaster, Buddha, Mose, Jesus, Mohammed, Bahá’u’lláh).

Die Hauptschriften Bahá’u’lláhs sind der Kitab el Ighan (Buch der Gewißheit), der Kitab el Akdas (Buch der Gesetze), der Kitab el Ahd (Buch des Bundes) und zahlreiche Sendschreiben, genannt „Tablets“, die er an die wichtigsten Herrscher oder an Privatpersonen richtete. Rituale haben keinen Platz in dieser Religion; letztere muß vielmehr in allen Handlungen des Lebens zum Ausdruck kommen und in wahrer Gottes- und Nächstenliebe gipfeln. Jedermann muß einen Beruf haben und ihn ausüben. Gute Erziehung der Kinder ist zur Pflicht gemacht und geregelt.

Streitfragen, welche nicht anders beigelegt werden können, sind der Entscheidung des Zivilgesetzes jeden Landes und dem Bait’ul’Adl oder „Haus der Gerechtigkeit“, das durch Bahá’u’lláh eingesetzt wurde, unterworfen. Achtung gegenüber jeder Regierungs- und Staatseinrichtung ist als einem Teil der Achtung, die wir Gott schulden, gefordert. Um die Kriege aus der Welt zu schaffen, ist ein internationaler Schiedsgerichtshof zu errichten. Auch soll neben der Muttersprache eine universale Einheits-Sprache eingeführt werden. „Ihr seid alle die Blätter eines Baumes und die Tropfen eines Meeres“ sagt Bahá’u’lláh.

Es ist also weniger die Einführung einer neuen Religion, als die Erneuerung und Vereinigung aller Religionen, was heute von 'Abdu'l-Bahá erstrebt wird. (Vgl. Nouveau, Larousse, illustré supplement, p. 66.)

[Seite 146]

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In unserem Verlag sind erschienen:


Bücher:

Verborgene Worte von Baha’u’llah. Deutsch von A. Schwarz und W. Herrigel, 1924 1.--

Baha’u’llah, Frohe Botschaften, Worte des Paradieses, Tablet Tarasat, Tablet Taschalliat, Tablet Ischrakat. Deutsch von Wilhelm Herrigel, 1921, in Halbleinen gebunden . . . 2.50

in feinstem Ganzleinen gebunden . . . . . 3.--

Geschichte und Wahrheitsbeweise der Bahaireligion, von Mirza Abul Fazl. Deutsch von W. Herrigel, 1921, in Halbleinen geb. . . . . 4.50

In Ganzleinen gebunden . . . . 5.--

Abdul Bahá Abbas’ Leben und Lehren, von Myron H. Phelps. Deutsch von Wilhelm Herrigel, 1922, in Ganzleinen gebunden . . . . 4.--

Die Bahai-Offenbarung, ein Lehrbuch von Thornton Chase, deutsch von W. Herrigel, 1925, kartoniert M. 4.--, in Halbleinen gebunden M. 4.60

Bah’u’lláh und das neue Zeitalter, ein Lehrbuch von Dr. J. E. Esslemont, deutsch von W. Herrigel und H. Küstner. 1927. In Ganzleinen gebunden . . . . . 4.50


Broschüren:

Bahai-Perlen, Deutsch von Wilhelm Herrigel, 1922 . . . . -.20

Ehe Abraham war, war Ich, v. Thornton Chase. Deutsch v. W.Herrigel, 1911 . . . . -.20

Die Universale Weltreligion, Ein Blick in die Bahai-Lehre von A. T. Schwarz, 1919. . . . -.50

Die Offenbarung Baha’u’llahs, von J.D. Brittingham. Deutsch von Wilhelm Herrigel, 1910 . . . -.50

Einheitsreligion. Ihre Wirkung auf Staat, Erziehung, Sozialpolitik, Frauenrechte und die einzelne Persönlichkeit, von Dr. jur. H. Dreyfus, Deutsch von Wilhelm Herrigel. 2. Auflage 1920 . . . -.50

Die Bahaibewegung im allgemeinen und ihre großen Wirkungen in Indien, nach Berichten eines Amerikaners zusammengestellt und mit Vorwort versehen von Wilhelm Herrigel, Stuttgart 1922 . . . . -.50

Eine Botschaft an die Juden, von Abdul Baha Abbas. Deutsch v. W. Herrigel, 1912 . . . -.20


Das Hinscheiden Abdul Bahas, ("The Passing of Abdul Baha") Deutsch von Alice T. Schwarz, 1922 . . . -.50

Das neue Zeitalter von Ch. M. Remey. Deutsch von Wilhelm Herrigel, 1923 . . . . —.50

Die soziale Frage und ihre Lösung im Sinne der Bahailehre von Dr. Hermann Grossmann-Wandsbel . . . . —.20

Religiöse Lichtblicke, Einige Erläuterungen zur Bahá’i-Botschaft, aus dem Französ. übersetzt von Albert Renftle, 2. erweiterte Auflage, 1928 . . . . --.30

Die Bahá’i-Bewegung, Geschichte, Lehren und Bedeutung. von Dr. Hermann Großmann-Wandsbek . . . . . --.20

Sonne der Wahrheit, Jahrgang 3 - 8 in Halbleinen gebunden à . . . . 9.--

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