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SONNE DER WAHRHEIT | ||
ORGAN DER DEUTSCHEN BAHAI | ||
HEFT 10 | IX. JAHRGANG | DEZEMBER 1929 |
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Abdu’l-Bahás Erläuterung der Bahá’i - Prinzipien.
1. Die ganze Menschheit muss als Einheit betrachtet werden.
Baha’u’lláh wandte Sich an die gesamte Menschheit mit den Worten: „Ihr seid alle die Blätter eines Zweigs und die Früchte eines Baumes“. Das heißt: die Menschheit gleicht einem Baum und die Nationen oder Völker gleichen den verschiedenen Aesten und Zweigen; die einzelnen Menschen aber gleichen den Blüten und Früchten dieses Baumes. In dieser Weise stellte Baha’u’lláh das Prinzip der Einheit der Menschheit dar. Baha’u’lláh verkündigte die Einheit der ganzen Menschheit, er versenkte sie alle im Meer der göttlichen Gnade.
2. Alle Menschen sollen die Wahrheit selbständig erforschen.
In religiösen Fragen sollte niemand blindlings seinen Eltern und Voreltern folgen. Jeder muß mit eigenen Augen sehen, mit eigenen Ohren hören und die Wahrheit suchen, denn die Religionen sind häufig nichts anderes als Nachahmungen des von den Eltern und Voreltern übernommenen Glaubens.
3. Alle Religionen haben eine gemeinsame Grundlage.
Alle göttlichen Verordnungen beruhen auf ein und derselben Wirklichkeit. Diese Grundlage ist die Wahrheit und bildet eine Einheit, nicht eine Mehrheit. Daher beruhen alle Religionen auf einer einheitlichen Grundlage. Im Laufe der Zeit sind gewisse Formen und Zeremonien der Religion beigefügt worden. Dieses bigotte menschliche Beiwerk ist unwesentlich und nebensächlich und verursacht die Abweichungen und Streitigkeiten unter den Religionen. Wenn wir aber diese äußere Form beiseite legen und die Wirklichkeit suchen, so zeigt sich, daß es nur eine göttliche Religion gibt.
4. Die Religion muss die Ursache der Einigkeit und Eintracht unter den Menschen sein.
Die Religion ist für die Menschheit die größte göttliche Gabe, die Ursache des wahren Lebens und hohen sittlichen Wertes; sie führt den Menschen zum ewigen Leben. Die Religion sollte weder Haß und Feindschaft noch Tyrannei und Ungerechtigkeiten verursachen. Gegenüber einer Religion, die zu Mißhelligkeit und Zwietracht, zu Spaltungen und Streitigkeiten führt, wäre Religionslosigkeit vorzuziehen. Die religiösen Lehren sind für die Seele das, was die Arznei für den Kranken ist. Wenn aber ein Heilmittel die Krankheit verschlimmert, so ist es besser, es nicht anzuwenden.
5. Die Religion muss mit Wissenschaft und Vernunft übereinstimmen.
Die Religion muß mit der Wissenschaft übereinstimmen und der Vernunft entsprechen, so daß die Wissenschaft die Religion, die Religion die Wissenschaft stützt. Diese beiden müssen unauflöslich miteinander verbunden sein.
6. Mann und Frau haben gleiche Rechte.
Dies ist eine besondere Lehre Baha’u’lláhs, denn die früheren Religionen stellen die Männer über die Frauen. Töchter und Söhne müssen gleichwertige Erziehung und Bildung genießen. Dies wird viel zum Fortschritt und zur Einigung der Menschheit beitragen.
7. Vorurteile jeglicher Art müssen abgelegt werden.
Alle Propheten Gottes kamen, um die Menschen zu einigen, nicht um sie zu trennen. Sie kamen, um das Gesetz der Liebe zu verwirklichen, nicht um Feindschaft unter sie zu bringen. Daher müssen alle Vorurteile rassischer, völkischer, politischer oder religiöser Art abgelegt werden. Wir müssen zur Ursache der Einigung der ganzen Menschheit werden.
8. Der Weltfriede muss verwirklicht werden.
Alle Menschen und Nationen sollen sich bemühen, Frieden unter sich zu schließen. Sie sollen darnach streben, daß der universale Friede zwischen allen Regierungen, Religionen, Rassen und zwischen den Bewohnern der ganzen Welt verwirklicht wird. Die Errichtung des Weltfriedens ist heutzutage die wichtigste Angelegenheit. Die Verwirklichung dieses Prinzips ist eine schreiende Notwendigkeit unserer Zeit.
9. Beide Geschlechter sollen die beste geistige und sittliche Bildung und Erziehung geniessen.
Alle Menschen müssen erzogen und belehrt werden. Eine Forderung der Religion ist, daß jedermann erzogen werde und daß er die Möglichkeit habe, Wissen und Kenntnisse zu erwerben. Die Erziehung jedes Kindes ist unerläßliche Pflicht. Für Elternlose und Unbemittelte hat die Gemeinde zu sorgen.
10. Die soziale Frage muss gelöst werden.
Keiner der früheren Religionsstifter hat die soziale Frage in so umfassender, vergeistigter Weise gelöst wie Baha’u’lláh. Er hat Anordnungen getroffen, welche die Wohlfahrt und das Glück der ganzen Menschheit sichern. Wenn sich der Reiche eines schönen, sorglosen Lebens erfreut, so hat auch der Arme ein Anrecht auf ein trautes Heim und ein sorgenfreies Dasein. Solange die bisherigen Verhältnisse dauern, wird kein wahrhaft glücklicher Zustand für den Menschen erreicht werden. Vor Gott sind alle Menschen gleich berechtigt, vor Ihm gibt es kein Ansehen der Person; alle stehen im Schutze seiner Gerechtigkeit.
11. Es muss eine Einheitssprache und Einheitsschrift eingeführt werden.
Baha’u’lláh befahl die Einführung einer Welteinheitssprache. Es muß aus allen Ländern ein Ausschuß zusammentreten, der zur Erleichterung des internationalen Verkehrs entweder eine schon bestehende Sprache zur Weitsprache erklären oder eine neue Sprache als Weltsprache schaffen soll; diese Sprache muß in allen Schulen und Hochschulen der Welt gelehrt werden, damit dann niemand mehr nötig hat, außer dieser Sprache und seiner Muttersprache eine weitere zu erlernen.
12. Es muss ein Weltschiedsgerichtshof eingesetzt werden.
Nach dem Gebot Gottes soll durch das ernstliche Bestreben aller Menschen ein Weltschiedsgerichtshof geschaffen werden, der die Streitigkeiten aller Nationen schlichten soll und dessen Entscheidung sich jedermann unterzuordnen hat.
Vor mehr als 50 Jahren befahl Baha’u’lláh der Menschheit, den Weltfrieden aufzurichten und rief alle Nationen zum „internationalen Ausgleich“, damit alle Grenzfragen sowie die Fragen nationaler Ehre, nationalen Eigentums und aller internationalen Lebensinteressen durch ein schiedsrichterliches „Haus der Gerechtigkeit" entschieden werden können.
Baha’u’lláh verkündigte diese Prinzipien allen Herrschern der Welt. Sie sind der Geist und das Licht dieses Zeitalters. Von ihrer Verwirklichung hängt das Wohlergehen für unsere Zeit und das der gesamten Menschheit ab.
SONNE DER WAHRHEIT Organ der deutschen Bahá’i Herausgegeben vom Verlag des deutschen Bahá’i-Bundes, Stuttgart Verantwortliche Schriftleitung: Alice Schwarz - Solivo, Stuttgart, Alexanderstraße 3 Preis vierteljährlich 1,80 Goldmark, im Ausland 2.– Goldmark. |
Heft 10 | Stuttgart, im Dezember 1929 Masà il — (Fragen) |
9. Jahrgang. |
Inhalt: Die soziale Seite der Bahá’i-Lehre. — Die geheimnisvollen Mächte der Kultur. — Bahá’u’lláh und seine Botschaft. — Weihnachten. — Der Gedenktag für 'Abdu'l-Bahá. — Völkerbund, Weltschiedsgericht und Bahá’i-Lehre.
Motto: Einheit der Menschheit — Universaler Friede — Universale Religion.
Der Baum des Lebens.
'Abdu'l-Bahá denkt Tag und Nacht an euch und erwähnt euch auch immer, denn die Freunde Gottes sind ihm teuer. Jeden Morgen flehe ich zur Zeit der Dämmerung zum Königreich Gottes und bitte, daß ihr mit dem Odem des Heiligen Geistes erfüllt werden möget, damit ihr leuchtende Kerzen werdet, die das Licht der Führung ausstrahlen und die Finsternis des Irrtums vertreiben.
Durch die Macht der göttlichen Frühlingszeit, durch den Regen aus den himmlischen Wolken und die Wärme der Sonne der Wirklichkeit beginnt nun der Baum des Lebens zu wachsen. Binnen kurzem wird er Knospen treiben, Blätter und Früchte hervorbringen und seinen Schatten über den Osten und Westen werfen. Dieser Baum des Lebens ist das Buch des Bündnisses.
'Abdu'l-Bahá.
(Star of the West, Juli 1929, Seife 108.)
Die soziale Seite der Bahá’i-Lehre.
Aus Essay über die Bahá’i-Lehre, ihre Geschichte und soziale Seite von Hippolyte Dreyfus, deutsch von M.L. Fack.
Die wahre Religion.
„Das wahre Leben zu leben heißt:
„Niemandem Unrecht zuzufügen, sondern alle seine Mitmenschen zu lieben.
„Gut zu allen Menschen zu sein und sie in reinem Geist zu lieben.
„Schwierigkeiten und Ungerechtigkeiten, deren Opfer man ist, ohne Auflehnung zu ertragen und trotz allem seine Mitmenschen zu lieben.
„Sich selbst über größte Leiden zu freuen, weil sie von Gott gesandt sind.
„Ueber die Fehler anderer zu schweigen, für sie zu beten und ihnen durch Güte behilflich zu sein, diese abzulegen.
„Weder auf das Gute noch auf das Schlechte zu schauen. Wenn ein Mensch zehn gute Eigenschaften hat und eine schlechte, nur die guten zu beachten und die schlechte zu übersehen; im umgekehrten Fall nur die gute Eigenschaft zu beachten und die schlechten zu übersehen.
„Niemals üble Nachrede über irgend einen Menschen zu führen, selbst nicht über seine Feinde. „Diejenigen zu tadeln, die über die Fehler anderer sprechen.
„Jede kleinste Tat in Güte zu vollbringen.
„Sich der Verbreitung der heiligen Lehren zu widmen, denn nur so wird geistige Kraft und Bestätigung erlangt werden.
„Selbstlos zu sein und sich von allem Irdischen zu lösen; demütig zu sein.
„Diener zu sein für alle und dessen eingedenk, daß keiner mehr ist als der andere.
„Zu sein, wie eine Seele in verschiedenen Körpern, denn je mehr wir einander lieben, desto näher sind wir Gott. Aber diese Liebe, diese Einheit und dieser Gehorsam dürfen nicht nur in Worten bestehen, sondern sie müssen durch Taten verwirklicht werden.
„Mit Vorsicht und Weisheit zu handeln.
„Aufrichtig, gastfreundlich und ehrerbietig zu sein.
„Sich zu bemühen, die Kranken zu heilen, die Betrübten zu trösten, zu sein wie eine himmlische Tafel für die Hungernden, ein Führer für die Suchenden, wie befruchtendes Wasser für dürres Land, ein Stern für jeden Horizont, ein Licht für jede Lampe und der Bote für alle, die auf das Königreich Gottes warten.“
Diese Worte bedürfen in ihrer großartigen Einfachheit keiner näheren Erklärung.
So spricht 'Abdu'l-Bahá, wenn Er einem Seiner Jünger verständlich machen will, worin das Wesen wahrer Religion besteht. Man könnte sagen, besonders mit Anspielung auf den Mangel an Ritualen, der sie kennzeichnet, daß die Bahá’i-Lehre weniger ein Glaube als eine Lebensrichtung sei. Sie ist aber doch eine Religion, im wahrsten Sinn des Wortes; ja, man möchte sogar sagen, die Religion, denn sie ist das vortrefflichste Werkzeug internationaler Vereinigung, das man sich denken kann.
Und man darf nicht glauben, daß nur in Akka diese Gesinnungen wahrer Bruderschaft unter den Gläubigen in Erscheinung traten u. daß diese, dem Einfluß des Meisters entzogen, wieder in ihre Vorurteile und ihren Klassenhaß zurückfielen. Wir haben im tiefsten Innern Birma’s Bahá’i-Gemeinschaften gesehen, die aus Mitgliedern aller in Indien verbreiteten Sekten u. Kasten zusammengesetzt waren, die sich ohne Bedenken den Europäern angeschlossen hatten, die in ihrem Lande wohnen. Aufrichtigste Brüderschaft bestand zwischen diesen Menschen, die vordem niemals an ein und demselben Tisch Platz genommen hätten. Und gleicherweise bemühen sich in unseren europäischen Großstädten, wo Dünkelhaftigkeit und Vorurteile dieselben beengenden Schranken zwischen den Ständen aufgerichtet haben, wie die der Ueberlieferung in Indien, Bahá’i-Gemeinschaften, die Ermahnungen 'Abdu'l-Bahá’s zu befolgen.
Es muß gesagt werden: hier ist viel mehr als der Ausdruck einer unbestimmten Gefühlsmäßigkeit
oder einer klösterlichen Moral; in diesen Richtlinien sind Grundsätze enthalten, die
unerläßlich für das gesellschaftliche Leben sind; die Erkenntnis und praktische Ausübung
einer Gemeinschaftlichkeit, die uns mit unserem Nächsten verbindet, und die uns verpflichtet, ihn
mit derselben Liebe zu lieben, die wir für einen Bruder hegen. Gibt es ein anderes Heilmittel gegen
die Uebel, an denen wir kranken, als dieses? Die Sozialpolitiker, die die allgemeine Verbrüderung
predigen als einziges Mittel, das „Herabkommen des himmlischen Jerusalems“ zu beschleunigen,
von dem sie träumen, setzen nicht auch sie diese Liebe voraus, die allein bei den Arbeiterklassen
die Loslösung und Uneigennützigkeit bewirken kann, die eine derartige Manifestation verlangt.
Oder, wer sieht nicht klar, daß, wenn solch eine
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Ansicht vom größten Gefängnis in Akka von der Seeseite aus.
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Gemeinschaftlichkeit und solch eine Liebe auf Erden bestünden, keine der Fragen, die der Sozialismus
lösen möchte, mehr auftauchen würde?
Es kommt also darauf an, daß diese Liebe die verschiedenen Stände einer Gesellschaft, die gegnerischen Rassen einer Nation, ja, alle Menschen auf der Welt beherrscht, damit die Menschheit endlich von den Uebeln befreit wird, von denen sie heimgesucht wird.
Diese Aufgabe vermag die Bahá’i-Lehre zu erfüllen. Aber um ihren Verdienst und ihre Wirksamkeit, wenigstens hinsichtlich unserer abendländischen Kollektivität beurteilen zu können, muß an Hand der Nachweise, die Bahá’u’lláh und 'Abdu'l-Bahá in Ihren Schriften erbringen, geprüft werden, wie die Religion sich gegenüber den verschiedenen Lebensformen einer Nation bewährt und welchen Einfluß sie auszuüben vermag auf das Einzelwesen, die Gesellschaft und den Staat.
Obgleich im Lauf der Jahrhunderte die Religion ihre Herrschaft einbüßte, die Philosophie und eine Menge Wissenschaften (im Bereich der Natur, der Geschichte, der Rechtswissenschaft, der Politik usw.), die ehemals in den Tempeln gelehrt wurden, sich spezialisiert und der Entdeckung das alleinige Feld überlassen haben, ohne das Verhältnis des Menschen zu Gott endgültig festzustellen, muß in unseren Tagen ein religiöses System in Erwägung gezogen werden, nicht nur in seiner Wirkung auf die mystische Seele der Gläubigen, sondern auch, wie jede andere Erscheinung sozialer Natur in seinen Wirkungen auf das allgemeine Handeln einer Nation.
Unter diesen verschiedenen Gesichtspunkten wollen wir also betrachten, was Bahá’u’lláh lehrt.
Die Bahá’i-Lehre und der Staat.
Die Trennung von Kirche und Staat kann nur eine vorläufige Formsache sein, ein Augenblicksabschnitt in der Entwicklung des Gesellschaftslebens. Wenn die Geschichte uns zeigt, daß bei den alten, umständlichen Religionsformen, wenn der Herrscher unter seinem Scepter nicht die geistige und weltliche Macht vereinigte, der Staat es erleben mußte, wie die gefürchtete Macht der Kirche, mit der er rechnen mußte, und gegen die er manchmal genötigt war, mit den Waffen in der Hand zu kämpfen, sich ohne ihn, ja, oftmals gegen ihn entwickelte: so wird dies im „zukünftigen Reich“, das sich auf den Grundsätzen Bahá’u’lláh’s aufbaut, nicht der Fall sein. Der Wegfall aller kulthaften Ceremonien, die von der Geistlichkeit und der ganzen priesterlichen Herrschaft ausgehen, läßt die Frage einer Trennung von Kirche und Staat garnicht mehr zu. Ebenso wird eine liberale Regierung, die den Glauben aller achtet, es nicht wie heute nötig haben, sich hinter eine anstößige Gottesleugnung oder eine zu unbeschränkte Religionslosigkeit zu verbergen.
Der Einheit der Religionen gegenüber wird der Staat religiös sein: nicht daß er allen seinen Handlungen eine mystische Färbung geben müßte, die sich nicht mit der Erdbeschaffenheit des betreffenden Gegenstandes vertragen würde, auch nicht, daß er seine Bürger, indem er sein Gold prägt oder seine Banknoten druckt, daran erinnern müßte, daß Gott ihrem Vaterland besonderen Schutz gewährt. Nein, Religion wird in allen Handlungen des Lebens ausgeübt und vom Staatsoberhaupt bis herunter zum kleinsten Beamten muß jeder von dem heiligen Ernst seiner Mission durchdrungen sein und von dem Verantwortungsgefühl, das ihn dazu treiben muß, sie dem göttlichen Gebot entsprechend zu erfüllen. So wird jeder, wenn er seinen Kräften gemäß für sein Wohlergehen arbeitet, ein Werkzeug der allgemeinen Entwicklung werden.
Aber die Bahá’i-Lehre ist nicht nur eine ideale Theorie: sie ist auch, wie wir gesehen haben, das praktische Werkzeug gerade für unsere heutige Zeit; und als solches muß sie sich mit dem Verhältnis der verschiedenen bestehenden Religionen zu den Staaten beschäftigen. Der große Grundgedanke, der unter diesen Umständen die ganze Frage beherrscht, ist natürlich der der absoluten Trennung der geistigen von der weltlichen Macht.
So lange auch die alten Religionen und ihre Priester bestehen mögen, die Priester dürfen sich unter keinen Umständen mit der Politik befassen, und der Staat wird sich niemals mehr in religiöse Fragen mischen dürfen.
„Ich bezeuge es bei Gott! nicht von euren Königreichen wollen Wir Besitz ergreifen, sondern Wir sind gekommen, über eure Herzen zu herrschen: wahrlich, sie sind das sehnsüchtige Verlangen Bahá’s!“*)
So heißt es im Kitabu’l-Agdas, dem Heiligen Buch, das als das wichtigste Werk Bahás
angesehen wird. Die Regierungen sollten demnach keineswegs den Einfluß der Bahá’i-Lehre
fürchten, die ihren Grundsätzen nach nicht die Lehre einer Parteipolitik werden kann. In einem
Werk — Die Politik — das, 'Abdu'l-Bahá kürzlich,**) eigens für den Orient schrieb,
erwähnt Er
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die Geschichte der Türkei und Persiens und führt aus, daß alles Unglück, das im Lauf der letzten
Jahrhunderte über diese beiden Länder hereinbrach, immer als Hauptursache das ungerechtfertigte
Einmischen der Priesterschaft in politische Angelegenheiten des Landes hatte. Er
zeigt, wie die Verwaltung einer Regierung, die von ihren Pflichten durchdrungen ist, ebenso
notwendig für ein Land ist wie die moralische Führung durch die religiöse Idee, aber daß sich
diese beiden Mächte unter keinen Umständen in ihre gegenseitigen Befugnisse eingreifen sollen.
*) Kitabu’l-Aqdas, S. 30 der Ausgabe aus Bombay.
**) Der vorliegende französische Text ist im Jahr 1909 herausgegeben, es wird demnach der Anfang des 20. oder Ende des 19. Jahrhunderts gemeint sein.
Die Könige oder Staatsoberhäupter haben eine erhabene Mission auf Erden zu erfüllen, um
derentwillen ihnen Achtung und Ergebenheit von seiten ihrer Untertanen entgegengebracht wird.
Sie sind die „Morgenröte der Macht“ und die „Aufgangsorte der
göttlichen Macht“; das heißt, daß in ihnen eine der Eigenschaften Gottes der Welt gegenüber
zum Ausdruck kommt: die Macht. Durch dieses Recht und als Träger dieser Eigenschaft haben sie
Anspruch auf den Gehorsam ihrer Untertanen; aber dieses göttliche Recht, das ihre höhere
Stellung kennzeichnet, legt ihnen. zugleich auch heilige Pflichten auf.
Sie müssen nach Recht und Billigkeit regieren, damit ihnen Gehorsam entgegengebracht wird; aber vor allem liegt ihnen die Auflage ob, den Universalen Frieden in der Welt aufzurichten, den Bahá’u’lláh in die Herzen getragen hat.
Der universale Friede.
Zweierlei ist notwendig, um ihn zu erlangen: die Annahme einer internationalen Sprache und die Errichtung eines Schiedsgerichtshofs zur Behebung und Schlichtung von Streitigkeiten zwischen den Nationen.
Im Kitabu’l-Aqdas wie auch in zahlreichen Seiner früheren und neuerlichen Schriften fordert Bahá’u’lláh die Staatsführer auf, wegen der Einführung einer einheitlichen Sprache wie Schrift übereinzukommen, sei es, daß sie dazu eine der schon bestehenden erwählen oder künstlich eine schaffen. Durch dieses Mittel würden die internationalen Beziehungen erleichtert, und die Völker würden sich mehr verstehen lernen und mehr lieben.
Die Errichtung von Gerichtshöfen, die die Ursache der Kriege zwischen den Nationen aufheben würden, fußt auf den Vorrechten eines besonderen Rechtsbeistandes, Beitu’l-Adl oder Haus der Gerechtigkeit genannt, wovon späterhin noch die Rede sein wird.
Wie dem auch sei, es ist von Wichtigkeit, erwähnt zu werden; kurz ehe diese Gedanken bei uns greifbare Form angenommen haben, lange bevor die Führer der internationalen Hilfssprache Eingeweihte unter allen Nationen angeworben haben, zwanzig Jahre ehe der Zar daran dachte, die erste Konferenz im Haag einzuberufen, und während der Báb selbst mitunter den Gebrauch der Waffen zur Ausbreitung der Religion gelten ließ, hat Bahá’u’lláh diese erhabenen Prinzipien zur einzigen Grundlage Seiner Lehren erhoben.
„Wir haben allen den Universalen Frieden zur Pflicht gemacht, der das beste Schutzmittel für die Menschheit ist. Die Herrscher der Welt sollten sich allzumal an dieses Gebot halten.“
Und die Bahá’i sind im Gehorsam gegen dieses Gebot so weit gegangen, daß eingedenk der Worte, die ihr Prophet gesagt hatte: „Es ist besser für euch, getötet zu werden denn zu töten,“ sie niemals zu ihrer Verteidigung zu den Waffen griffen, obwohl sie von der fanatischen Bevölkerung Persiens, die durch ihre Priester angereizt, sich mehr als einmal in vergangenen Jahren gehässigen Angriffen preisgegeben sahen, wenn sie auch öfters die Mehrheit auf ihrer Seite hatten. Einzig und allein dieses Verhalten der Bahá’i hat schließlich das Ende der schrecklichen Religionskriege bewirkt, die bis zum Jahr 1852 in Persien gewütet hatten.
Dieser universale Friede war übrigens die Forderung Bahá’u’lláhs Sein ganzes Leben lang: Er kam immer wieder auf diese Frage zurück.
„Daß doch alle Nationen sich im Glauben vereinen und alle Menschen Brüder werden möchten, daß die Bande der Zuneigung und Eintracht zwischen den Menschenkindern fester werden möchten... Was ist hieran Unrechtes?
... Und doch wird es so werden: diese unfruchtbaren Kämpfe, diese vernichtenden Kriege werden aufhören und der göttliche Friede wird geschlossen werden!“
So sprach Bahá’u’lláh im April 1890, zwei Jahre vor Seinem Tod zu Professor E.G. Browne der Universität Cambridge, der Ihn im Gefängnis in Akka besuche. (E.G. Browne, Reiseberichte)
Dieser Friede zwischen den Nationen ist nicht alles. Er muß mit Friede und Wohlstand im Innern verbunden sein, nachdem der Klassenkampf aufgehört hat und zuverlässige Kräfte mit der Verwaltung des Staates betraut werden.
„Der „fünfte Glanz“ ist, daß die Regierung die Fähigkeiten ihrer Beamten kennt
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und ihnen passende Aemter zuweist; alle Staatsoberhäupter und Herrscher müßten hierauf
ihr ganzes Augenmerk richten; dann wird ein Verräter niemals die Stelle eines ehrlichen
Menschen einnehmen noch ein Betrüger die eines Beschützers. (Cf. Die Gebote der Bahá’i-Lehre)
Ist dies nicht die wesentliche und doch so oft verkannte Richtlinie, die vor jeder anderen Erwägung bei der Ernennung eines Beamten beachtet werden sollte?
„O Volk Gottes, bete zu Gott (gepriesen sei Seine Herrlichkeit), daß Er die Vertreter der Macht auf Erden vor der Verderbnis ihrer Wünsche und Leidenschaften behüten und durch das Licht der Gerechtigkeit und Führung erleuchten möge!(Cf. Die Gebote der Bahá’i-Lehre)
Obgleich diese Prinzipien in jedem Land und unter jeder Regierungsform eingeführt werden könnten, geht aus dem Studium Seiner Schriften doch hervor, daß für Bahá’u’lláh die konstitutionelle Monarchie, also die Parlamentsvertretung die Regierungsform ist, die ihrer Beschaffenheit nach dem Volk am besten die Wohltaten eines Friedens nach außen hin und der Wohlfahrt im Innern gewährleistet: denn hier vereinen sich die Vorteile einer weisen Beratung mit denen einer verantwortlichen Autorität. In einem Brief an die Königin Viktoria, den Bahá’u’lláh in den ersten Tagen Seiner Gefangenschaft in Akka schrieb, beglückwünscht Er sie dazu, daß sie sich den Entschließungen ihres Parlaments gefügt hat:
„So werden die Grundmauern des Staatsgebäudes gefestigt werden und die Herzen derer, die unter Deinem Schutze leben, ob klein oder groß, werden beruhigt sein. Aber die Vertreter der Nation müssen wie Bevollmächtigte unter den Dienern Gottes sein und sich als Beschützer aller betrachten!“
Und weiter:
„Wir beten zu Gott, daß Er den Königen beistehen möge, im Frieden zu leben. Wahrlich, Er tut, was Er will. O ihr Könige, wir aber sehen euch von Jahr zu Jahr die Ziffern eurer Aufwendungen vermehren und eure Untertanen dadurch belasten: das ist offenbare Ungerechtigkeit. Fürchtet euch vor den Seufzern und Tränen der Bedrückten; laßt nicht eure Untertanen sich unter Lasten beugen, die ihre Kräfte übersteigen und nützt sie nicht aus, damit ihr euch Paläste bauen könnt: erwählet für sie nur, was ihr auch für euch selbst erwählen würdet. Dies ist unsere Warnung, die wir euch zu eurem Heil zurufen, wenn ihr zu denen gehöret, die Suchende sind.“*)
*) Couratu’l-Molouk Cf. Tagebuch der Royal Asiatic Society Band XXI (Neue Ausgabe) S. 969 und folgende.
Die geheimnisvollen Mächte der Kultur.
In persischer Sprache von einem hervorragenden Bahá’i-Philosophen geschrieben und von Johanna Dawoud ins Englische übersetzt, deutsch von A. Schwarz.
Als die Kinder Israels sich rasch vermehrten, zerstreuten sie sich über alle Teile des
Königreichs Aegypten. Die aegyptischen Könige der Hyksos-Dynastie begannen Würden
und Macht unter ihrem eigenen Volk, den Aegyptern, zu verschenken und die Hebräer,
die als Eindringlinge galten, wurden verachtet und unterdrückt. Die Kinder Israels,
die im Lande zerstreut waren, wurden lange Zeit Gefangene in der Hand der
Aegypter, wurden unterdrückt und gequält und von allen Menschen mißachtet und
zwar in einer Weise, daß der geringste Aegypter den vornehmsten Hebräer quälen
und verfolgen durfte. Tatsächlich war die Knechtschaft, Entwürdigung und Bedrückung
so groß, daß die Israeliten Tag und Nacht ihres Lebens nicht sicher waren.
Auch ihre Frauen und Kinder konnten weder Zuflucht noch Schutz vor der
Ungerechtigkeit und Grausamkeit der Minister Pharaos finden. Sie wurden so unglücklich,
daß ihnen ihr Mahl wie ein Bissen ihres eigenen Herzens im Munde quoll und ihr Herzeleid
war so groß, daß ihre Tränen wie der Jayhun flossen (persischer Name für den Fluß Oseus).
In einem solch gequälten Zustand befanden sie sich bis die Herrlichkeit
Moses den Glanz des Feuers der Einheit im Tale der Gewißheit — dem geheiligten
Schrein — erschaute. Und er hörte die lebenspendende Stimme Gottes durch das
geistig-göttliche Feuer im Busch, das weder von Osten noch von Westen kam. Er
war auserlesen zur universalen Prophetie und leuchtete wie eine Fackel der Führung
unter den Hebräern. Und mit dem Licht der Führung führte er jene in der Nacht der Unwissenheit
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Verirrten auf den rechten Weg des Wissens und der Vollkommenheit. Nachdem er
alle die verschiedenen Stämme der Israeliten unter den schützenden Schatten des Wortes
der Einheit versammelt hatte, errichtete er das Banner völliger Einheit auf den Höhen
des Einvernehmens und der Freundlichkeit. So war sich dieses unwissende Volk, nachdem
es durch die göttlichen Lehren erzogen war, in kurzer Zeit nicht länger entfremdet,
sondern war von der Einheit Gottes angezogen, es wurde befreit von seiner Verachtung
und Erniedrigung, erlöst aus seiner Armut, seiner Gefangenschaft und Unwissenheit
und wurde göttlich begnadet mit höchstem Ruhm und Wohlstand. Dann wanderten sie aus
dem Königreich Aegypten aus und wandten sich nach dem ursprünglichen Geburtsland
Israels und erreichten so das Land der Kanaaiter und Philister. Zuerst eroberten
sie die Länder am Fluß Jordan und die Stadt Jericho und wohnten daselbst. Späterhin
besetzten sie alle benachbarten Städte Phönizien und Zoan bis Annuon.
Schließlich, zur Zeit Josuas, des Bani, erlangte Israel die Herrschaft über das Gebiet von 31 Königreichen. Sie überflügelten sodann alle Völker der Erde in allen Arten menschlicher Fähigkeiten in der Kunst und Wissenschaft, in der Standhaftigkeit und Entschlossenheit in Tapferkeit und Mut, in der Ehre und im Großmut. Wenn zu jener Zeit ein Israelite sich unter eine Gesellschaft anderer mischte, so konnte er von ihnen an seiner liebenswürdigen Charakteristik unterschieden werden, und wenn jemand aus einer anderen Nation einen Menschen loben wollte, so verglich er ihn mit einem Israeliten. In verschiedenen Geschichtsberichten ist erzählt, daß griechische Philosophen wie Pythagoras ihr meistes Wissen über göttliche und naturalistische Philosophie von den Schülern des großen Königs Salomo erworben haben.
Sokrates traf auf einer Reise einige der berühmtesten Theologen Israels und lernte vieles von ihnen. Nach seiner Rückkehr nach Griechenland lehrte er den Glauben an die Einheit Gottes und die Unsterblichkeit der Seele nach der Auflösung der den Körper bildenden Elemente. Die unwissenden Menschen in Athen widersetzten sich, wie nicht anders zu erwarten war, einem Manne, der die Geheimnisse der Philosophie erforscht hatte und traten ergrimmt gegen ihn auf, sodaß ihm nichts übrig blieb, als sich im Gefängnis zu vergiften. Jedoch als die Juden diese hohe Stufe der Zivilisation erreicht hatten, und nachdem sie privilegiert waren, den höchstmöglichen Grad des Wohlstandes zu erlangen, vergaßen sie allmählich die fundamentalen Grundlagen der Religion — die Gesetze Mose — und verloren sich in oberflächlichen Zeremonien und heidnischen Gebräuchen. Zur Zeit Rehabeams, dem Sohn des Königs Salomo, erhob sich unter den Kindern Israels großer Widerstreit, und Jerobeam maßte sich die Königswürde an und führte Götzendienst ein. Jahrhundertelang wurde Krieg geführt zwischen Rehabeam und Jerobeam und ihre Nachkömmlinge und die jüdischen Stämme verwilderten und entzweiten sich gänzlich.
Schließlich vergaßen sie die Bedeutung des Gesetzes Gottes und verdunkelten ihre Wege mit heidnischem Aberglauben und mit schändlichem Aufruhr und gewalttätiger Empörung. Ihre Schriftgelehrten vernachlässigten die Bedürfnisse der Humanität, die in den heiligen Schriften angeführt sind, und schauten einzig und allein auf ihren eigenen Nutzen, was die Nation an die äusserste Grenze der Nachlässigkeit und Unwissenheit der Religion gegenüber führte. Infolgedessen schlug ihr scheinbar fortdauernder Wohlstand ins größtmögliche Gegenteil um. Die Herrscher Persiens, Griechenlands und Roms vernichteten sie, und das Banner ihrer Autorität wurde niedergerissen. Die Unwissenheit und Trägheit, die Selbstsucht und Würdelosigkeit der religiösen Führer ihrer Gemeinschaft kam in ihrem ganzen Ausmaß ans Tageslicht, als ihm Nebukadnezar, der König von Babylon, entgegentrat. Er traf das Israelitische Volk an seiner Wurzel. Nach dem üblichen Morden, Plündern und nach der Zerstörung der Häuser, Felder und Städte nahm er von ihnen gefangen, was seinem Schwert entronnen war und führte sie nach Babylon.
Nach 70 Jahren wurden die Kinder Israels aus ihrer Gefangenschaft befreit und kehrten
nach Jerusalem zurück. Hesekiel und Esra (Friede sei mit ihnen) befaßten sich
tagaus tagein mit der Wiederherstellung der Autorität der Heiligen Schrift, und die
Israeliten begannen ihre schlimmen Wege zu verlassen, und damit dämmerte für sie
wieder der helle Morgen früherer Generationen.
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Wenige Jahre später entstanden in ihrem Tun und Denken wieder große Zwiste und Verschiedenheiten unter ihnen. Die Gedanken der jüdischen Führer wandten sich irdischen Dingen zu, und der Fortschritt der Juden zu Zeiten Esras (Friede sei mit ihm) schlug in verderbliche Gewohnheiten und in die Pflege des Uebels um.
Ihre Unmoral ging so weit, daß die römischen Soldaten und andere, ja sogar ihr eigenes Volk, das Königreich Israel erniedrigten. Schließlich kam Titus, der Krieger und römische General, der das Geburtsland der Juden dem Staub gleich machte und dies so gründlich, daß er unzählbare Männer des Volkes tötete, ihre Frauen und Kinder gefangen nahm, ihre Heimstätten zerstörte, ihre Bücher verbrannte, ihren Besitz raubte und Jerusalem in Asche legte. Nach diesem bündigen Sieg erlosch der Stern der Regierung der Juden im Westen zur Bedeutungslosigkeit. Seit jener Zeit ist dieses Volk versprengt und über die ganze Welt hin zerstreut. Wie geschrieben steht: „Und sie werden den Unwillen auf sich ziehen und mit Armut geschlagen sein.“ Dies zweifältige Unheil, das Nebukadnezar und Titus über sie brachte, ist in dem herrlichen Koran erwähnt mit den Worten: „Und wir verkündeten den Kindern Israels in dem Buch (gemeint ist die Bibel) den Beschluß, daß sie werden auf Erden zweimal ein Uebel begehen und sich erheben in großer Empörung.“ Ja, es ist sogar gesagt: „Und als die Zeit der zweiten Bedrohung gekommen war, sandten wir Feinde, um sie zu demütigen und daß sie ihren Tempel betreten (und sie betraten ihn das erstemal) und um alles gänzlich zu zerstören, was sie erobert hatten!“ (Koran Seite XVI.) Der Sinn dessen ist, daß der Mensch bedenke, wie wahre Religion das Mittel zur Zivilisation, zum Ruhm, und zum Wohlstand, zur Erhöhung der Würde und Erziehung und zu einer Quelle des Fortschritts für den Erniedrigten und Gefangenen, für den Demütigen und die Unwissenden wird. Wenn die Religion aber in die Hände unwissender und abergläubischer Führer fällt, wird ihr helles Licht durch ihre schlechten Handlungen in tiefe Finsternis verwandelt. Als zum zweitenmal die Zeichen des Elends und die Unterdrückung der Israeliten zu Tage traten, da wehte der heilige belebende Odem des Geistes Gottes in Jesus Christus an den Ufern des Jordan im Lande Galiläa, und der Regen der Gnade fiel auf dieses Land in Strömen hernieder, sodaß durch das Ueberfließen dieses großen Meeres die Wildnis Jerusalems mit den Düften der Erkenntnis Gottes durchduftet wurde und die universalen Harmonien der glorreichen, frohen Botschaften aus dem Munde himmlischer Chöre zu den Ohren der Menschen drangen. Durch den Odem Christi wurden die toten Seelen aus den Gräbern der Nachlässigkeit und der Unwissenheit erweckt und zum ewigen Leben geführt. Während dreier Jahre wandelte diese Leuchte der Vollkommenheit durch das Land und in der Wildnis Jerusalems und Palästinas und führte alle Menschen zum Morgen der Führung und lehrte sie die erhabenen geistigen und moralischen Ideale.
Wenn das Volk Israel die herrliche Lehre Jesu Christi angenommen und sich in Seinem Dienste bewährt hätte, so würde es mit neuem Geist belebt und durch das Wehen des Geistes Gottes erweckt, mit großen fruchtbaren Inspirationen geführt worden sein. Leider aber setzten sie sich in Widerspruch zu ihm und bekämpften und verfolgten diesen Quell des inspirierten Wissens, diesen Mittelpunkt der göttlichen Offenbarung. Nur diejenigen, die sich zu Gott wandten, wurden, mit ganz wenigen Ausnahmen, befreit von den Lastern dieser vergänglichen Welt und sehnten sich danach, zu Gott und Seinen Heerscharen zu gelangen. Das Volk in der großen Ueberzahl brachte schreckliches Leid über diesen Mittelpunkt der göttlichen Verleihung, sodaß es Ihm nicht vergönnt war, auch nur im geringsten Dorf zu rasten. Er wußte nicht, wohin er Sein Haupt legen sollte, und trotzdem wurde Er zum Banner großer Führung erhoben und legte die Grundlage zum moralischen Fortschritt der Kultur, die als die Wurzel der universalen Humanität anzusehen ist. Im Matthäus Kapitel 5, 39 gibt Er Anweisungen mit folgenden Worten:
„Ich aber sage euch, daß ihr nicht widerstreben sollt dem Uebel, sondern so dir jemand einen Streich gibt auf deinen rechten Backen, dem biete den anderen auch dar.“ und ebenso sagt Er im 43. Vers:
„Ihr habt gehört, daß gesagt ist: du sollst deinen Nächsten lieben und deinen
Feind hassen.“ 3. Mose 19, 18.
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Ich aber sage euch, liebet euere Feinde, segnet, die euch fluchen, tut wohl denen, die euch hassen, bittet für die, so euch beleidigen und verfolgen, auf daß ihr Kinder seid eueres Vaters im Himmel, denn Er läßt Seine Sonne aufgehen über die Bösen und über die Guten und läßt regnen über Gerechte und Ungerechte. Denn so ihr liebet, die euch lieben, was werdet ihr für Lohn haben? Tun nicht dasselbe auch die Zöllner?" Jesus Christus offenbarte viele solche Lehren voll göttlicher Weisheit.
Die Seelen, die sich mit den heiligen Eigenschaften auszeichnen, sind das Wesentliche der Existenz und die Ausgangspunkte wahrer Zivilisation. Christus hat tatsächlich das Gesetz der Heiligkeit auf das Fundament reiner geistiger und moralischer Vollkommenheit aufgerichtet, und Er hat für die Gläubigen besondere Gesetze und Gebräuche bestimmt, die zum Wesentlichen des Lebens und zu der Welt gehören. Wenn auch diese Manifestation des Geistes und der moralischen Führung durch gewissenlosen Haß und die Verfolgung Seiner Unterdrücker gemartert wurde, obgleich Er aus dem Tiefstand des Judentums hervorging, strahlte Er auf und wurde durch das Licht der ewigen Herrlichkeit eine neue Offenbarung. Die mächtige Nation der Juden ging dahin und verschwand. Die wenigen aber, die unter den beschützenden Schatten des gesegneten Baumes Christi traten, verjüngten tatsächlich alle Völker der Welt. Zu jener Zeit standen alle Nationen auf der niedersten Stufe der Vorurteile, der Unwissenheit und des Heidentums. Sie glaubten nicht an eine Einheit Gottes, sondern an Vielgötterei. Außer einigen wenigen Juden gab es keine Monotheisten. Diese aber besaßen weder die Macht noch den Geist, ihren Einfluß geltend zu machen. Da traten jene gesegneten Seelen, die Jünger Christi, auf, und verkündeten eine Religion, die ein Widerspruch war u. den Ansichten der ganzen Menschheit entgegenstand. Alle Regenten auf Erden ergriffen entschlossene Maßnahmen, um die Anhänger Jesu Christi zu vernichten. Trotzdem, ja infolgedessen mühten sich die Jünger mit Herz und Seele die Religion weithin zu verbreiten; und heutigen Tages sind sowohl die Könige Europas als auch viele Bewohner Asiens und Afrikas und manche der Bewohner der Inseln im Ozean vereint unter dem beschützenden Schatten des Wortes der Einheit.
Denke darüber nach: Gibt es im Dasein eine mehr gesicherte oder festere Grundlage für das Leben und für die Lebensführung als die Religion? Oder könnte man sich etwas besseres oder größeres als die göttliche Religion denken, die die ganze Schöpfung umfaßt? Gab es jemals irgendwelche andere Mittel oder Bande der Liebe, des Vertrauens, der Gemeinschaft und der vollkommenen Harmonie als den Glauben an den Alleinbestehenden. Oder ist jemals eine andere Grundlage für die allgemeine Belehrung in jeder moralischen Hinsicht gefunden worden als jene, die wir in den göttlichen Gesetzen finden? Die Eigenschaften, welche die Weisen von alters charakterisieren und der höchste Grad der erreichbaren Vollkommenheit durch ihre Philosophie wurde durch die Gläubigen Gottes vom Beginn ihrer Ueberzeugung und ihres Bekenntnisses an übernommen, die lediglich die primären Manifestationen dieser Vollkommenheit waren.*)
*) Die Gründer der göttlichen Religion stellen ihre Jünger sogleich in eine Position, die alle Weisen als das höchste Wissen bezeichnen: „Seid deshalb vollkommen, wie Euer Vater im Himmel vollkommen ist“ (Jesus Christus).
Gedenken wir der hohen moralischen Ideale jener Seelen, die vom Salsabil der
Führung und der Hand der Gnade vom Geist Gottes tranken und sich selbst unter
den beschützenden Schatten des neuen Testaments stellten. Dies bezeugt der
berühmte Arzt Galenos, der, obgleich er nicht Christ war, dennoch in einem Kommentar
zu Platos „Politics“ die Gläubigen Gottes mit folgenden Worten preist:
„Die meisten Menschen können Lehren nicht verstehen, die aus augenscheinlichen Tatsachen hervorgehen, sie brauchen daher etwas, das in die Mystik hinüberragt, eine Verheißung auf Belohnung und Bestrafung im jenseitigen Leben. Als Beweis dafür diene, daß wir heute eine religiöse Gemeinschaft haben, die sich Nazarener (d. h. Christen) nennen, die an Vergeltung und Strafe am Tage des Gerichts glauben. Dadurch vollbringen sie hervorragende Taten wie die eines wahren Philosophen. Wir können uns mit eigenen Augen davon überzeugen, daß sie kein Grauen vor dem Tode haben, sondern daß sie durch ihr eifriges Forschen nach Weisheit und Gerechtigkeit, zu den wahren Philosophen zu zählen sind.“
[Seite 154]
Diese Worte von Galenos und die Stellung die er den Philosophen von alters einräumt,
zeigen, daß es keine höher zu erreichende Stufe gab als die, welche die Christen in
jenen Tagen inne hatten. Man bedenke, wie die göttliche Religion durch die Macht der
geistigen Herrlichkeit die meisten Gläubigen befähigte, einen solchen Grad moralischer
Vollkommenheit zu erreichen, daß ein berühmter Mann wie Galenos, obgleich er nicht
zu den Christen zählte, dennoch diese Tatsache bezeugte. Zu den guten Taten und liebevollen
Handlungen der Christen zählt die Errichtung von Krankenhäusern, Asylen
und mildtätigen Einrichtungen.
Kaiser Konstantin z. B. war der erste im römischen Reich, der ein öffentliches Hospital zur Behandlung armer Leute gründete, die niemand zu ihrer Pflege besaßen. Dieser große römische Kaiser war der erste, der mit Herz und Seele der Sache des Geistes Gottes (Christus) anhing. Er bemühte sich voll ernster Entschlossenheit die Prinzipien des neuen Testaments zu verbreiten, und er brachte Gerechtigkeit und Mäßigung im Verfahren der römischen Regierung zustande, die zuvor als lautere Ungerechtigkeit und Unterdrückung galt. Sein gesegneter Name steht leuchtend über dem Dunkel der Geschichte wie ein Morgenstern und sein Ruhm und seine Größe wird in der gebildeten Welt von seinen christlichen Glaubensgenossen hoch geehrt.
Kurz, auf den Segen der Erziehung jener Seelen, die ihr höchstes Streben der Verbreitung der Lehre des Neuen Testaments widmeten, bildete sich zu jener Zeit in der Welt eine feste Grundlage, mit einer idealen Moral, und zahlreiche Schulen, Hochschulen, Krankenhäuser, Erziehungsanstalten für arme Kinder und Waisen wurden gegründet.
Es gab viele Seelen, die ihr persönliches Wohl hingaben, um Gott zu dienen, und die ihr ganzes Leben der Verbreitung und dem Lehren widmeten. Als aber die Dämmerung des lichten Morgens in der Schönheit Ahmad’s*) anbrach, lagen die Zügel in den Händen unwissender Pfaffen. Das gnadenvolle Wehen war völlig versiegt und die Befehle des herrlichen Neuen Testaments, auf dem die Kultur fußt, wurde zerstört durch die schlechten Handlungen und die Führung derer, die nach außen hin ehrbar, inwendig aber unwürdig waren.
(Fortsetzung folgt).
*) Als sich Mohammed als Licht Gottes erklärte.
Bahá’u’lláh und Seine Botschaft.
Von Dr. J. E. Esslemont. Aus dem Englischen übersetzt von Karl Klitzing, Schwerin.
„Wer einen Propheten aufnimmt in eines Propheten Namen, der wird eines Propheten Lohn empfahen.“ (Matth. 10, 41).
Die frohen Bahá’i-Botschaften.
Die Bahá’i-Bewegung trägt den Menschen eine Sendung froher Botschaften zu: die Verkündigung, daß wieder einmal ein grosser Prophet erschienen ist, der im Namen des Herrn spricht, wie es die Propheten vor alters getan haben, und der die unschätzbare Wohltat der Göttlichen Führung einer verwirrten und irregeführten Welt bringt.
Es wird unsere Aufgabe sein, in diesen wenigen Seiten eine kurze Darstellung der Lebensgeschichte dieses Propheten mit Namen Bahá’u’lláh, wie auch derjenigen Seines Vorläufers, des Báb, und Seines Nachfolgers 'Abdu'l-Bahá zu geben; ebenso einen Umriß der Hauptzüge Seiner Lehren und eine kurze Untersuchung über Seine Beziehungen, zum Christentum und den anderen religiösen Systemen der Welt.
Báb, der Vorläufer.
Mirza Ali Muhammed, der den Namen Báb (d.h. Tor), annahm, stand zu Bahá’u’lláh fast im gleichen Verhältnis wie Johannes der Täufer zu Christus. Als junger Mann von 24 Jahren verkündigte Er in Seinem Vaterlande Persien Seine Mission und begann, eine Anzahl Anhänger vorzubereiten und zu belehren. Er sagte den Beginn eines neuen Zeitalters und das nahe Kommen eines Größeren als Er selbst an, auf den Er verwies als „Den, welchen Gott offenbaren werde.“
Zu jener Zeit (1844) befand sich Persien in einem Zustande beklagenswerten
Verfalles. Die herrschende religiöse Partei war die der schiitischen Sekte der Muhammedaner,
die durch ihre Unduldsamkeit und Frömmelei bekannt war, und die die Juden,
Christen, Zoroastrier und selbst Muhammedaner anderer Sekten als Volk des Irrtums
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betrachtete, ja, es für einen Verdienst hielt, sie zu beleidigen und zu schmähen. Wenn
ein Muhammedaner von Juden oder Christen Geld annahm, so hatte er es zu waschen, bevor
er es in die Tasche stecken durfte. Wenn einer dieser Ungläubigen auf
seinen Teppich trat, so wurde der Teppich dadurch verunreinigt. Andrerseits verfluchten
und verwünschten die Juden sowohl Muhammedaner als auch Christen. Die
Christen ihrerseits betrachteten Muhammed als falschen Propheten und sahen auf alle
Nicht-Christen als außerhalb des wahren Glaubens stehend nieder, während die Zoroastrier
abgesondert in Gemeinschaften lebten und ihre Landsleute anderer Glaubensbekenntnisse
als unrein und ungeeignet ansahen, sich mit ihnen zu vereinigen.
Bei den Muhammedanern wurden die Frauen im Harem abgeschlossen gehalten und mußten dicht verschleiert sein, wenn sie sich an öffentlichen Plätzen zeigten. Westliche Wissenschaft und Kunst ward als unrein verworfen. Die Rechtspflege war verderbt und machtlos. Bestechung und Unredlichkeit erfaßte alle Klassen. Plünderung und Raub waren gewöhnliche Vorfälle, die Wege schlecht und unsicher zu bereisen. Erziehung und Gesundheitspflege zeigten eine empörende Vernachlässigung.
Und doch war trotz alledem das Leben des Geistes in Persien nicht erloschen. Mitten in dem herrschenden Weltsinn und Aberglauben konnte man noch einzelne heilige Seelen finden, die sich nach der Aufrichtung des Königreiches Gottes sehnten und brennend das Kommen eines verheißenen Gottesbotschafters in der Ueberzeugung erwarteten, daß Sein Kommen nahe wäre. Unter ihnen ragten zwei große Lehrer, Scheich Ahmad und sein Nachfolger Siyyed Kazim, hervor, Männer, die durch die Reinheit ihres Lebens, ihre Frömmigkeit und gründliche Gelehrsamkeit bekannt waren, und die ihre Anhänger fortgesetzt ermahnten, zu wachen und für das Kommen dieses verheißenen Einen zu beten. Sie kündeten ihrem engeren Jüngerkreis die Zeichen, woran sie ihn erkennen könnten. Er würde, sagten sie, ein junger Mann sein, reich mit den Gaben des Geistes ausgestattet, jedoch äusserlich schlicht und bescheiden. Sein Königreich würde nicht von dieser Welt sein. Gleich den heiligen Propheten vor alters würde er durch die Großen der Welt unter drückt und verfolgt, Seine Anhängerschaft gemartert und erschlagen werden.
Die Mehrzahl der Schiiten erwarteten auch den Midhi (Mahdi), dessen Kommen Muhammed vorausgesagt hatte, aber ihre Erwartungen waren sehr verschiedener Natur. Sie glaubten, daß er als stolzer Eroberer mit einem unwiderstehlichen Heere kommen, die Muhammedaner siegreich machen und seinen Fuß auf die Nacken der Ungläubigen setzen werde, dann die Toten aus ihren Gräbern erwecken, Wunder aller Art verrichten und eine irdische Herrschaft, beispiellos an Macht und Glanz, begründen würde.
Als der Báb erschien und bescheiden, aber furchtlos, Seine Mission verkündigte, erkannten die Anhänger der Scheichs Anmad und Siyyed Kazim zum größten Teil Seinen Anspruch begierig an, da sie in Ihm die Merkmale fanden, auf die zu sehen sie gelehrt worden waren. Seine Jugend und Schönheit, die untadelhafte Reinheit Seines Lebens, Seine Frömmigkeit, Aufrichtigkeit und Sein Adel der Gesinnung, die offenbare Begeisterungskraft Seiner Aeußerungen und Schriften, Seine gründliche Kenntnis und Sein Verständnis der Heiligen Schriften, Seine Unerschrockenheit in der Bloßstellung des Unrechts und Seine Beredsamkeit in der Aufrechterhaltung der Wahrheit, Seine Standhaftigkeit gegenüber Widerständen und Seine Seelenruhe in aller Art von Ungemach, Seine äußerste Selbstlosigkeit und völlige Ergebenheit in Gott und den Dienst dessen, den Gott offenbaren werde, das alles zeichnete Ihn als den Einen aus, nach dem sie suchten, und sie verteilten sich in alle Teile Persiens und in viele der angrenzenden Länder, um die frohe Botschaft Seiner Ankunft zu verkündigen.
Die schiitischen Führer jedoch stellten sich Ihm heftig entgegen. Er wurde eingekerkert,
gegeißelt, vor Gerichtshöfe geschleppt, von einem Ort der Verbannung zum andern
geschleift und schließlich, nach etwa 6 Jahren Beschimpfung und Mißhandlung, öffentlich
auf dem Kasernenhofe in Täbris am 9. Juli 1850 erschossen. Seine Lehren aber
und die unermüdliche Arbeit Seiner ergebenen Anhänger erregten überall in Persien
und der muhammedanischen Welt große Bewegung. Seine Anhänger wuchsen und vermehrten
sich, trotz des heftigen Widerstandes ihrer Feinde. Selbst der Märtyrertod ihres
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geliebten Meisters entfachte die Flammen ihrer Begeisterung nur noch mehr. Ihre
Häuser wurden ausgeplündert und zerstört, ihre Frauen und Kinder entführt. Viele
wurden enthauptet, gehängt, vor den Mündungen der Kanonen zerrissen, verbrannt oder
in Stücke gehauen, aber für einen jeden, der zum Märtyrer gemacht wurde, wandten sich
viele neue der Sache Bahá’u’lláhs zu.
Einer der ersten und bedeutendsten Verfechter des Báb war Mirza’ Hussayn’ Ali, bekannter noch unter dem Namen Bahá’u’lláh (d.h. Herrlichkeit Gottes). Er war zwei Jahre älter als der Báb und wurde in Teheran, der Hauptstadt Persiens, am 12. November 1817 geboren. Seine Familie zählte zu den vornehmsten und begütertsten des Landes, und Seine eigene aufrichtige Güte und Freigebigkeit hatte Ihm den Namen „Vater der Armen“ eingebracht. Dies hinderte aber nicht, daß Er Gefangenschaft und Bastonade über sich ergehen lassen mußte, als Er sich der Sache des Báb annahm. Im Jahre 1852, etwa zwei Jahre nach dem Märtyrertode des Báb, brachen von neuem Verfolgungen gegen die Babi aus, und Bahá’u’lláh geriet ein zweitesmal in Gefangenschaft. In dieser Zeit wurde Sein Haus geplündert, Seine Besitzungen beschlagnahmt und eingezogen, Seine Frau und Kinder aus ihrem Heim vertrieben, und Er selbst mit mehreren Seiner Gefährten in Ketten und Fesseln gelegt und in einem schmutzigen, unterirdischen Kerker in Gesellschaft von Mördern, Wegelagerern und anderen Verbrechern eingesperrt. Viele von den Bábi wurden gemartert und getötet, aber Bahá’u’lláhs Leben blieb (hauptsächlich dank der unerschrockenen Vermittlung des russischen Konsuls) verschont, und nach vier Wochen Kerker verbannte man Ihn mit Seiner Familie und einer Handvoll treuer Anhänger nach Bagdad in Mesopotamien. Einige Monate später zog Er sich aus eigenem Entschluß in die Wüste Suleymanye zurück, in die Er nichts als Kleider zum Wechseln mit sich nahm. Zwei Jahre brachte Er in der Wildnis in Gebet und Betrachtung zu, indem Er das einfache Leben eines Derwisches, oft in großer Not und Entbehrung, führte. Nach Seiner Rückkehr aus der Wildnis wurde Sein Ruf größer denn je. Die Menschen strömten nach Bagdad, um Seine Lehren zu hören, und die Babi-Bewegung in Persien fuhr fort, an Umfang zuzunehmen, trotz aller Anstrengungen der Mullas, sie zum Erlöschen zu bringen. Endlich überredeten sie den Schah, sich bei dem Sultan der Türkei zu verwenden, daß Bahá’u’lláh weiter fort käme. Im Jahre 1863 wurde Bahá’u’lláh nach Konstantinopel vorgeladen. Während die Karawane für die weite Reise nach Europa vorbereitet wurde, lagerte Bahá’u’lláh und Seine Familie zwölf Tage lang in dem Garten von Najib Páschá, etwas außerhalb Bagdads. Am ersten dieser zwölf Tage machte Bahá’u’lláh einige Seiner Anhänger mit der frohen Botschaft bekannt, daß Er derjenige wäre, dessen Kommen durch den Báb vorausgesagt worden war, der Eine, den Gott erwählt hätte, ein neues Zeitalter in der Welt einzuführen, - ein Zeitalter, in welchem die verschiedenen Religionen, Rassen, Nationen und Klassen versöhnt und vereinigt werden würden, in welchem die Vaterschaft Gottes und die Bruderschaft der Menschheit allgemein anerkannt, und alle Menschen wie eine Familie und die ganze Erde eine Heimat sein würde. Während dieser Tage zeigte Bahá’u’lláh anstatt traurig und niedergeschlagen zu sein, die größte Freudigkeit, Würde und Macht. Seine Anhänger wurden glücklich und begeistert, und große Mengen kamen, um dem scheidenden Gefangenen ihre Ehrerbietung zu bezeigen.
Die Reise nach Konstantinopel währte drei bis vier Monate, und die Teilnehmer erduldeten auf der Fahrt viele Entbehrungen und Ungemach. Nach etwa vier Monaten wurden sie von Konstantinopel nach Adrianopel gebracht, wo sie über 4½ Jahre verblieben. Hier verkündigte Bahá’u’lláh öffentlich Seine Mission und wurde von der Mehrheit der Bábi, die seitdem den Namen Bahá’i führen, begeistert anerkannt.
Die Bewegung fuhr fort, trotz der Verbannung Bahá’u’lláhs nach Europa, in Persien
Fortschritte zu machen, und so sann man als letzten Ausweg darauf, den Gefangenen
dadurch zum Schweigen zu bringen, daß man Ihn in einer Festung, und zwar in der
kleinen befestigten Stadt Akka in Palästina, einkerkerte und von aller Verbindung
mit der Außenwelt abschnitt. Dies wurde demgemäß ausgeführt, und im Jahre
1868 setzte man Bahá’u’lláh mit etwa 80 bis 84 Anhängern, Männern, Frauen und
Kindern, in einer elenden Militärbaracke mit Steinwällen, steinernen Fußböden, ohne
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Betten oder sonstige Bequemlichkeiten, gefangen. Nach zwei Jahren wurden die Baracken
für militärische Zwecke gebraucht und Bahá’u’lláh und Seine Familie in einem
Hause in Akka und die übrigen Gefährten in einer Karawanserei untergebracht. Ueber
sieben Jahre kam Bahá’u’lláh nie über die Schwelle Seines Hauses. Dann wurde die
harte Gefangenschaft gemildert, und während des Restes Seines Lebens war es Ihm
erlaubt, in verhältnismäßiger Bequemlichkeit in einem Hause ungefähr drei bis vier
Meilen außerhalb Akkas zu leben, sich in der Umgegend in einem Umkreis von einigen
Meilen zu bewegen und Seine Anhänger zu empfangen, von denen viele Pilgerreisen aus
Persien und anderen weit entfernten Ländern machten, um Ihn zu besuchen und Seinen
Lehren zu lauschen.
Er verschied am 28. Mai 1892 im Alter von 75 Jahren. Zu dieser Zeit zählten Seine Anhänger in Persien allein eine halbe Million. Außerdem hatten viele Tausende die Aufrichtigkeit ihrer Verehrung dadurch bezeigt, daß sie ihr Leben und ihr Alles Seiner Sache opferten.
(Fortsetzung folgt).
Weihnachten.
Weih-nacht —
Weihe-nacht auf Erden:
Zuflucht Gottes
Will uns werden.
Tau vom Himmel
Allerbarmen
Wiegt das All’
In seinen Armen,
Strahlt vom höchsten
Zelte aus
In der allerärmsten
Haus —
Gottes Gnade
Allerbarmen
Läßt uns wieder
Neu erwarmen
Lob und Preis
Und Ehre heut —
Ihm in alle
Ewigkeit!
K. Goll.
Der Gedenktag für 'Abdu'l-Bahá.
Erzählt von Dr. Juness Khan Afroakta aus Teheran, deutsch von A. Schwarz.
Es mögen vier Jahre nach der Himmelfahrt Bahá’u’lláh’s gewesen sein, als wir, damals noch junge Leute, in Teheran beschlossen, den Tag der Einsetzung des Mittelpunkts des neuen Bündnisses und also damit 'Abdu'l-Bahá festlich zu feiern. Ich war nicht ganz sicher, auf welches Datum dieses große Ereignis fiel, da 'Abdu'l-Bahá Sich zweimal als den Mittelpunkt des Bündnisses erklärte. Das erstemal geschah dies 10 Tage nach dem Hingang der Gesegneten Vollkommenheit, in jenen Tagen, als noch tiefste Trauer auf den Gemütern aller Gläubigen lag, und das zweitemal einige Monate später. Um ganz sicher zu gehen telegraphierte ich um genaue Angabe des Datums nach Eschkabat und erhielt die Antwort, daß es der 5. Kowl sei (27. November).
Ich schickte nun ein Telegramm an 'Abdu'l-Bahá, worin ich die Gläubigen in Akka herzlich beglückwünschte zu dieser hohen Feier. Wir jungen Bahá’i luden 400 Personen zu einem Feste ein, und damals wurde auch das erste große Gruppenbild aufgenommen von dieser so großen Bahá’i-Feier. Dies Bild existiert heute noch, in dessen Vordergrund der größte Name gerückt ist.
Von jener Zeit an feierten wir jedes Jahr des Meisters Gedenktag durch große Einladungen, die
an die Bahá’i unseres Bezirks ergingen, es waren dies Freudenfeste, bei denen unsere tiefste
Dankbarkeit Gott gegenüber zum Ausdruck kam.
[Seite 158]
Nach drei oder vier Jahren, als ich zum erstenmal in Akka war, hörte ich, daß nach der Instruktion 'Abdu'l-Bahá’s dieser geweihte Tag nicht am 5. Kowl sondern am 6. Kowl gefeiert werden solle, wonach sich von da an die Freunde in Persien richteten. Dieses Fest des Einsetzungstages wird aber nicht nur in Persien, sondern auch in Amerika gefeiert. In Haifa und Akka bleiben die Freunde die ganze Nacht über auf und wechseln gruppenweise im Gebet ab.
Vergleichen wir die Daten der Einsetzung und den Heimgang unseres geliebten Herrn, so finden wir, daß diese beiden so bedeutungsvollen Tage das gleiche Datum tragen.
Wenn von den Gläubigen Glückwunschschreiben zum Geburtstag 'Abdu'l-Bahá’s eintrafen, wies Er in Seinem Erwiderungsschreiben immer darauf hin, daß dieser Tag der Ehrentag des Báb sei und also seiner gedacht werden solle und der großen Mission, die er als Vorläufer zu erfüllen gehabt habe. 'Abdu'l-Bahá hat also nicht gewünscht, daß der Tag Seiner Geburt, sondern der Tag Seiner Heimkehr in die ewige Heimat als Sein Festtag angesehen werde, und wir sehen zugleich daraus, daß Ihm wohl bekannt war, an welchem Tag Er, von der schweren Erdenlast befreit, eingehen würde durch weitgeöffnete Tore zur Seligkeit.
Völkerbund, Weltschiedsgericht und Bahá’i-Lehre.
von A. Diebold.
Die meisten Menschen treten dem Gedanken des Völkerbundes und des Weltgerichts mit größter Skepsis gegenüber. Sie können und wollen nicht glauben, daß jemals eine Zeit kommen wird, in der sich alle Völker der Welt zusammengefunden haben werden, um in einer gemeinsamen Versammlung gemeinsame Interessen zu beraten und Gegensätze in Harmonie zu bringen zum Wohl aller; eine Zeit, in der Streitigkeiten zwischen zwei Völkern nicht mehr durch den Zufall eines Krieges, sondern durch den Rechtsspruch eines internationalen Gerichts ausgetragen werden.
Wenn wir die Geschichte der Menschheit verfolgen, so ist es gar nicht so schwer, diesen Entwicklungsgang zu erkennen. Wir dürfen jedoch, um zu dieser Erkenntnis zu gelangen, unser Studium nicht auf die Schlachtendaten beschränken. Vielmehr müssen wir den geistigen Entwicklungsgang der Menschen aller Jahrhunderte und ihre Weltanschauung zu erforschen suchen. Dabei werden wir jederzeit Menschen finden, die ihrer Zeit vorauseilten, und das in die Tat umzusetzen versuchten, was zu ihrer Zeit allgemeines Kopfschütteln, Spott und Widerstand hervorrief, das aber in späteren Tagen als Selbstverständlichkeit betrachtet wurde; und wir werden Menschen finden, die ganz von der Vergangenheit befangen ihren Geist nicht über die Gegenwart hinauszuheben vermochten und eben jenes Heer der Skeptiker, Spötter und Feinde des Fortschritts stellten, die mit hindernden Händen in die Speichen des Rades der Entwicklung griffen und den Fortschritt hemmten.
Als Gott die Welt erschaffen hat, lag der ganze Plan von Uranbeginn bis zum Ende fest. Die ganze Entwicklung muß sich daher gesetzmäßig in der Richtung des Endziels des göttlichen Planes, der Vervollkommnung des Menschen im „tausendjährigen Reich“ zu entwickeln. Der Mensch selbst, als Teil in dieser Schöpfung, ist in diese Gesetzmäßigkeit eingeschlossen. Er kann sich diesem Entwicklungsgesetz nicht entziehen. Aber er kann es, kraft des ihm von Gott verliehenen freien Willens durch Nichtbefolgen der vom Gesetzgeber (Gott) durch den Mund seiner Sprecher (Gottgesandten) gegebenen Richtlinien hemmen. Jedes Nichtbefolgen eines (göttlichen) Gesetzes aber rächt sich. Je weiter die Menschen von der Straße abweichen, die ihnen durch den Schöpfungsplan vorgezeichnet ist, desto schwächer werden die lebenspendenden Strahlen des göttlichen Logos sie erreichen, die auf dieser Straße liegen und desto kränker und verwirrter wird die Menschheit werden, bis sie unwiderstehlich, entkräftet und verzweifelnd, instinktiv dem Gesetz folgend zurücksucht in den göttlichen, gesundmachenden Sonnenschein, d.h. bis sie sich der Macht des lebendigmachenden Wortes Gottes wieder anvertraut.
Der Gedanke des Völkerbundes und des Weltschiedsgerichts liegen auf der von Gott von Urbeginn
der Schöpfung an vorgezeichneten Straße, auf der die Menschheit ihrer Vervollkommnung
entgegenstreben soll. Mögen sich die Skeptiker, Spötter und nie von der Vergangenheit Loskommenden
noch so sehr gegen die Errichtung dieser Institutionen wehren, so werden sie wohl
den Gang der Entwicklung verlangsamen und erschweren können, sie werden den Weg leidensvoll
gestalten — aufhalten werden sie jedoch die Verwirklichung dieser hohen Gedanken nicht.
Das Zeitalter Jesu Christi, die vorletzte Etappe auf dem Weg der Menschheit, hat den Boden
bereitet für das Zeitalter des höchsten Friedens
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unter der Menschheit. Die Herzen der Menschheit wurden vorbereitet zur Aufnahme dessen,
der sie „in alle Wahrheit leitet“ (Bahá’u’lláh), durch dessen Mund die erhabensten Gesetze in
die Welt kamen, um hier mit der Schöpferkraft des Logos sich zu verwirklichen. Unter diesen
Gesetzen befindet sich auch das Gesetz über die Einrichtung eines Völkerbundes und eines
Weltschiedsgerichts. Der Gedanke verfing sich in den Herzen, wenn auch zunächst nur weniger
Menschen, und läßt sich nicht mehr auslöschen, denn er hat schon angefangen, sich in die
Wirklichkeit umzusetzen.
Bezüglich der Aufgaben, die der Völkerbund zu erfüllen hat, erläuterte 'Abdu'l-Bahá, der Ausleger der Lehren Bahá’u’lláhs, daß die Staaten der Welt einen endgültigen Vertrag und ein festes Bündnis unter sich schließen, und zwar auf Bedingungen beruhend, die nicht umgangen werden können. Wenn die ganze Menschheit durch ihren Repräsentanten befragt und eingeladen würde, diesen Vertrag zu unterzeichnen, der alsdann ein Vertrag des Weltfriedens wäre, den alle Völker heilig zu halten hätten, dann wäre es Pflicht der vereinigten Mächte der Welt, darauf zu sehen, daß dieser Vertrag immer mehr erstarken muß zum dauernden Vertrag unter den Völkern würde.
„In einem solchen allumfassenden Vertrag müßten die Grenzen eines jeden Staates festgesetzt und die Gebräuche und Gesetze einer jeden Regierung berücksichtigt werden. Alle Fragen über Staatsangelegenheiten, sowie über Abkommen zwischen den verschiedenen Regierungen müßten vorgelegt und in gebührender Form erledigt werden. Ueber den Umfang der Kriegsrüstung jeder Regierung müßten ebenfalls bestimmte Uebereinkommen getroffen werden, weil die Vergrößerung der Kriegsrüstung eines Staates einen Alarm für die anderen Staaten bedeuten würde. Die Grundlagen dieses mächtigen Bundes müßten so gefestigt sein, daß, sofern einer der Staaten irgend einen Punkt des Vertrags verletzen würde, sich die übrigen Nationen der Welt erheben und ihn zum Gehorsam zurückführen müßten. Ja, die ganze Menschheit müßte ihre Kräfte verbinden, um eine solche Regierung in Schach zu halten. Ein solch bedeutendes Heilmittel auf den kranken Körper der Welt angewendet, würde sicherlich, besonders wenn man allgemein die Mäßigung betont, das Mittel für seine dauernde Heilung sein.“
Ueber die Forderung Bahá’u’lláhs wegen Errichtung eines internationalen Schiedsgerichts schrieb 'Abdu'l-Bahá im August 1911: „Vor mehr als 50 Jahren befahl Bahá’u’lláh der Menschheit im Buch der Gesetze den Weltfrieden aufzurichten und rief alle Nationen zu dem göttlichen Fest eines internationalen Vergleichs, damit die Grenzfragen, sowie die Fragen nationaler Ehre, nationalen Eigentums und internationaler Lebensinteressen durch ein Schiedsgericht entschieden werden können und damit es keine Nation wagen würde, sich zu weigern, die auf diese Weise erlangte Entscheidung anzunehmen. Wenn sich ein Streit zwischen zwei Nationen erhebt, so muß dieser vor den internationalen Gerichtshof gebracht und von diesem entschieden werden, gleichwie über die Streitigkeiten zweier Privatpersonen vom Richter das Urteil gefällt wird, Wenn eine Nation es jemals wagen sollte, eine solche Entscheidung zu übertreten, müßten sich alle andern Nationen erheben und diese rebellierende Nation in die Schranken weisen.“ In einer seiner Reden von 1911 sagte 'Abdu'l-Bahá ferner: „Alle Völker und Regierungen sollen ein höchstes Schiedsgericht wählen, in dem Abgeordnete jedes Landes und jeder Regierung vertreten sind, die sich in Einigkeit zu versammeln haben. Alle internationalen Streitfragen müssen vor diesen höchsten Gerichtshof gebracht werden, dessen Arbeit es ist, alles, was sonst zur Ursache des Krieges werden könnte, durch seine Entscheidung zu schlichten. Die Aufgabe eines solchen Gerichtshofes würde also sein, den Krieg zu verhindern.“
Sowohl der Völkerbund als auch ein Schiedsgerichtshof sind nun errichtet worden. Obwohl noch
beide weit von dem entfernt sind, wie sich Bahá’u’lláh diese Einrichtungen dachte, so bedeutet
der Umstand, daß sie überhaupt vorhanden sind, einen ungeheuren Fortschritt. Es gibt kein
Ding in der Welt, das sich nicht über Unvollkommenheit zur Vollkommenheit entwickeln
müßte. Wenn auch der Völkerbund in seiner heutigen Gestalt mehr einem europäischen als einem
Weltbund ähnelt, so hat er doch bis heute schon der Menschheit große Dienste geleistet und hat
schon manchem drohenden Krieg die Spitze abgebrochen. (Griechenland-Türkei). Wie die Wirtschaft
heutigen Tages gezwungen ist, durch internatinoale Uebereinkünfte ihre sich überschneidenden
Interessen in Einklang zu bringen, so müssen auch die Regierungen sich mehr und mehr
davon überzeugen, daß ihre politischen Interessen besser in Harmonie gebracht werden durch
ehrliche und aufrichtige Verhandlungen, unter Ausschaltung der unersetzliche Werte vernichtenden
Kriege. Es ist natürlich unvermeidlich, daß die Ansichten der verhandelnden Völker, wie im Leben
zwischen Einzelmenschen, einmal gegensätzlich
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sind, und daß unter ihnen in manchen Dingen keine Uebereinkunft zustande kommen kann.
Das wird immer so sein. Ist es in diesem Fall aber notwendig, daß Millionen von Menschen aus
ihrem Frieden herausgepeitscht werden, um sich gegenseitig zu töten? Das Recht entscheidet hier
ja nur in ganz seltenen Fällen, denn Kriege sind nichts als eine Kraftprobe. Und in unserer
Zeit, in der die Menschen mehr denn je sich dem Banner der Gerechtigkeit nähern, ist es nicht
länger denkbar, daß Rechtsentscheidungen dem Spiel brutaler Kräfte ausgeliefert werden. Würden
wir uns damit zurechtfinden, wenn von Mensch zu Mensch das Faustrecht wieder
gelten wollte, d. h, daß das Recht dem sein soll, der durch brutale Gewalt obsiegt?
Unausdenkbar! Wir verlangen danach, unsere Rechtsstreite vor einem unabhängigen
Richter auszutragen und fügen uns seinem Spruch. Ist es
nun aber so ein Unding, daß diese Uebung auch angewandt wird, wenn sich eine Mehrzahl, durch
gemeinsame Interessen zusammengeschlossene Einzelmenschen, gegenüberstehen und ihr Recht
suchen? Gott sei Dank, nein! Der Gedanke der friedlichen Schlichtung von Meinungsverschiedenheiten
der Völker hat Fuß gefaßt, seit Bahá’u’lláh ihn mit der Kraft des schöpferischen Wortes verkündet
hat. Schon im Jahre 1900 wurde im Haag ein ständiger Schiedsgerichtshof gegründet, vor dem die Völker Vergleichsverträge schließen wollten und auch manche abgeschlossen
haben. Freilich kam diesem Schiedsgerichtshof keine große Bedeutung zu. Es fehlte am guten
Willen der Völker, um ihn zu voller Tätigkeit sich entfalten zu lassen. Sie verurteilten ihn
durch alle möglichen Vorbehalte zu einem ohnmächtigen Scheingebilde. Garantien für die
Durchführung der zu Stande gekommenen Verträge waren nicht geboten. Alles hing vom Belieben der vertragschließenden Teile ab. Erst in der Zeit nach dem Krieg kam ihm durch den neu
aufgekommenen Geist mehr Bedeutung zu. Im April d.J. waren es schon nahezu 300 internationale
Konventionen, Staatsverträge, Schiedsverträge und Handelsabkommen, die in obligatorischer
oder fakultativer Form die Zuständigkeit des Schiedsgerichts im Haag erklärten. Und dies
wird in der Zukunft immer mehr der Fall sein, nachdem die Anrufung des Schiedsgerichts im
Haag in steigendem Maße in Staatsverträge aufgenommen wird. Wenn auch langsam, so nähert
sich diese segensreiche Einrichtung doch Schritt für Schritt dem von Bahá’u’lláh gedachten
Gebilde. So ist in letzter Zeit der Schiedsgerichtshof im Haag zu einer dauernden Einrichtung
umgebildet worden. Fünfzehn Hauptrichter sind hauptamtlich das ganze Jahr hindurch tätig.
Der Gerichtshof ist bis jetzt von 52 Staaten anerkannt als Instanz zur Schlichtung von
Rechtsstreitigkeiten, die ihm von Fall zu Fall vorgelegt werden, und zwar haben sich folgende
Staaten für dauernd dazu verpflichtet (Fakultativ-Klausel): Südafrika, Deutschland, Oesterreich,
Belgien, Großbritannien, Bulgarien, Kanada, China, Costa Rica, Dänemark, San Domingo, Spanien,
Estland, Abessinien, Finnland, Frankreich, Griechenland, Guatemala, Haiti, Ungarn, Indien, Irland,
Italien, Lettland, Liberia, Litauen, Luxemburg, Norwegen, Neuseeland, Panama, Niederlande,
Portugal, Salvadore, Schweden, Schweiz, Tschechoslowakei und Uruguay. Wenn auch manche
dieser Staaten Vorbehalte gemacht haben, so hat damit der Schiedsgerichtshof doch eine gewaltige
Bedeutung erlangt und wird zum wahren Weltschiedsgericht werden, sobald Amerika noch seinen
Beitritt erklärt. Dies steht unmittelbar vor der Türe. Dann gilt es mit aller Tatkraft und
mit größter Aufrichtigkeit diese segensreiche Institution auszubauen, damit sie für die Menschheit
ein Born des höchsten Friedens werde, damit sie, gestützt auf den ehrlichen Willen der
mächtigsten und fortschrittlichsten Staaten eine Gewähr für die Verbannung des Krieges bieten
möge. Dazu wird der Weltschiedsgerichtshof aber erst kommen, wenn er vollends so ausgebaut
sein wird, wie Bahá’u’lláh vor mehr als 60 Jahren ihn zu errichten empfahl.
In der Sonne der Wahrheit finden nur solche Manuskripte Veröffentlichung, bezüglich deren Weiterverbreitung keine Vorbehalte gemacht werden.
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Druck von W. Heppeler, Stuttgart.
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Geschichte und Bedeutung der Bahá’ilehre.
Die Bahai-Bewegung tritt vor allem ein für die „Universale Religion" und den „Universalen Frieden“ — die Hoffnung aller Zeitalter. Sie zeigt den Weg und die Mittel, die zur Einigung der Menschheit unter dem hohen Banner der Liebe, Wahrheit, Gerechtigkeit und Barmherzigkeit führen. Sie ist göttlich ihrem Ursprung nach, menschlich in ihrer Darstellung, praktisch für jede Lebenslage. In Glaubenssachen gilt bei ihr nichts als die Wahrheit, in den Handlungen nichts als das Gute, in ihren Beziehungen zu den Menschen nichts als liebevoller Dienst.
Zur Aufklärung für diejenigen, die noch wenig oder nichts von der Bahaibewegung wissen, führen wir hier Folgendes an: „Die Bahaireligion ging aus dem Babismus hervor. Sie ist die Religion der Nachfolger Bahá’u’lláhs. Mirza Hussein Ali Nuri (welches sein eigentlicher Name war) wurde im Jahre 1817 in Teheran (Persien) geboren. Vom Jahr 1844 an war er einer der angesehensten Anhänger des Bab und widmete sich der Verbreitung seiner Lehren in Persien. Nach dem Märtyrertod des Bab wurde er mit den Hauptanhängern desselben von der türkischen Regierung nach Bagdad und später nach Konstantinopel und Adrianopel verbannt. In Bagdad verkündete er seine göttliche Sendung (als „Der, den Gott offenbaren werde") und erklärte, daß er der sei, den der Bab in seinen Schriften als die „Große Manifestation", die in den letzten Tagen kommen werde, angekündigt und verheißen hatte. In seinen Briefen an die Regenten der bedeutendsten Staaten Europas forderte er diese auf, sie möchten ihm bei der Hochhaltung der Religion und bei der Einführung des universalen Friedens beistehen. Nach dem öffentlichen Hervortreten Bahá’u’lláhs wurden seine Anhänger, die ihn als den Verheißenen anerkannten, Bahai (Kinder des Lichts) genannt. Im Jahr 1868 wurde Bahá’u’lláh vom Sultan der Türkei nach Akka in Syrien verbannt, wo er den größten Teil seiner lehrreichen Werke verfaßte und wo er am 28. Mai 1892 starb. Zuvor übertrug er seinem Sohn Abbas Effendi ('Abdu'l-Bahá) die Verbreitung seiner Lehre und bestimmte ihn zum Mittelpunkt und Lehrer für alle Bahai der Welt.
Es gibt nicht nur in den mohammedanischen Ländern Bahai, sondern auch in allen Ländern Europas, sowie in Amerika, Japan, Indien, China etc. Dies kommt daher, daß Bahá’u’lláh den Babismus, der mehr nationale Bedeutung hatte, in eine universale Religion umwandelte, die als die Erfüllung und Vollendung aller bisherigen Religionen gelten kann. Die Juden erwarten den Messias, die Christen das Wiederkommen Christi, die Mohammedaner den Mahdi, die Buddhisten den fünften Buddha, die Zoroastrier den Schah Bahram, die Hindus die Wiederverkörperung Krischnas und die Atheisten — eine bessere soziale Organisation.
In Bahá’u’lláh sind alle diese Erwartungen erfüllt. Seine Lehre beseitigt alle Eifersucht und Feindseligkeit, die zwischen den verschiedenen Religionen besteht; sie befreit die Religionen von ihren Verfälschungen, die im Lauf der Zeit durch Einführung von Dogmen und Riten entstanden und bringt sie alle durch Wiederherstellung ihrer ursprünglichen Reinheit in Einklang. Das einzige Dogma der Lehre ist der Glaube an den einigen Gott und an seine Manifestationen (Zoroaster, Buddha, Mose, Jesus, Mohammed, Bahá’u’lláh).
Die Hauptschriften Bahá’u’lláhs sind der Kitab el Ighan (Buch der Gewißheit), der Kitab el Akdas (Buch der Gesetze), der Kitab el Ahd (Buch des Bundes) und zahlreiche Sendschreiben, genannt „Tablets“, die er an die wichtigsten Herrscher oder an Privatpersonen richtete. Rituale haben keinen Platz in dieser Religion; letztere muß vielmehr in allen Handlungen des Lebens zum Ausdruck kommen und in wahrer Gottes- und Nächstenliebe gipfeln. Jedermann muß einen Beruf haben und ihn ausüben. Gute Erziehung der Kinder ist zur Pflicht gemacht und geregelt.
Streitfragen, welche nicht anders beigelegt werden können, sind der Entscheidung des Zivilgesetzes jeden Landes und dem Bait’ul’Adl oder „Haus der Gerechtigkeit“, das durch Bahá’u’lláh eingesetzt wurde, unterworfen. Achtung gegenüber jeder Regierungs- und Staatseinrichtung ist als einem Teil der Achtung, die wir Gott schulden, gefordert. Um die Kriege aus der Welt zu schaffen, ist ein internationaler Schiedsgerichtshof zu errichten. Auch soll neben der Muttersprache eine universale Einheits-Sprache eingeführt werden. „Ihr seid alle die Blätter eines Baumes und die Tropfen eines Meeres“ sagt Bahá’u’lláh.
Es ist also weniger die Einführung einer neuen Religion, als die Erneuerung und Vereinigung aller Religionen, was heute von 'Abdu'l-Bahá erstrebt wird. (Vgl. Nouveau, Larousse, illustré supplement, p. 66.)
Verlag des Deutschen Bahá’i-Bundes G.m.b.H., Stuttgart
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In unserem Verlag sind erschienen:
Bücher:
Verborgene Worte von Baha’u’llah. Deutsch von A. Schwarz und W. Herrigel, 1924 1.--
Baha’u’llah, Frohe Botschaften, Worte des Paradieses, Tablet Tarasat, Tablet Taschalliat, Tablet Ischrakat. Deutsch von Wilhelm Herrigel, 1921, in Halbleinen gebunden . . . 2.50
in feinstem Ganzleinen gebunden . . . . . 3.--
Geschichte und Wahrheitsbeweise der Bahaireligion, von Mirza Abul Fazl. Deutsch von W. Herrigel, 1921, in Halbleinen geb. . . . . 4.50
In Ganzleinen gebunden . . . . 5.--
Abdul Bahá Abbas’ Leben und Lehren, von Myron H. Phelps. Deutsch von Wilhelm Herrigel, 1922, in Ganzleinen gebunden . . . . 4.--
Die Bahai-Offenbarung, ein Lehrbuch von Thornton Chase, deutsch von W. Herrigel, 1925, kartoniert M. 4.--, in Halbleinen gebunden M. 4.60
Bah’u’lláh und das neue Zeitalter, ein Lehrbuch von Dr. J. E. Esslemont, deutsch von W. Herrigel und H. Küstner. 1927. In Ganzleinen gebunden . . . . . 4.50
Broschüren:
Bahai-Perlen, Deutsch von Wilhelm Herrigel, 1922 . . . . -.20
Ehe Abraham war, war Ich, v. Thornton Chase. Deutsch v. W.Herrigel, 1911 . . . . -.20
Die Universale Weltreligion, Ein Blick in die Bahai-Lehre von A. T. Schwarz, 1919. . . . -.50
Die Offenbarung Baha’u’llahs, von J.D. Brittingham. Deutsch von Wilhelm Herrigel, 1910 . . . -.50
Einheitsreligion. Ihre Wirkung auf Staat, Erziehung, Sozialpolitik, Frauenrechte und die einzelne Persönlichkeit, von Dr. jur. H. Dreyfus, Deutsch von Wilhelm Herrigel. 2. Auflage 1920 . . . -.50
Die Bahaibewegung im allgemeinen und ihre großen Wirkungen in Indien, nach Berichten eines Amerikaners zusammengestellt und mit Vorwort versehen von Wilhelm Herrigel, Stuttgart 1922 . . . . -.50
Eine Botschaft an die Juden, von Abdul Baha Abbas. Deutsch v. W. Herrigel, 1912 . . . -.20
Das Hinscheiden Abdul Bahas, ("The Passing of Abdul Baha") Deutsch von Alice T. Schwarz, 1922 . . . -.50
Das neue Zeitalter von Ch. M. Remey. Deutsch von Wilhelm Herrigel, 1923 . . . . —.50
Die soziale Frage und ihre Lösung im Sinne der Bahailehre von Dr. Hermann Grossmann-Wandsbel . . . . —.20
Religiöse Lichtblicke, Einige Erläuterungen zur Bahá’i-Botschaft, aus dem Französ. übersetzt von Albert Renftle, 2. erweiterte Auflage, 1928 . . . . --.30
Die Bahá’i-Bewegung, Geschichte, Lehren und Bedeutung. von Dr. Hermann Großmann-Wandsbek . . . . . --.20
Sonne der Wahrheit, Jahrgang 3 - 8 in Halbleinen gebunden à . . . . 9.--
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