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SONNE DER WAHRHEIT | ||
ORGAN DER DEUTSCHEN BAHAI | ||
HEFT 7 | IX. JAHRGANG | SEPTEMBER 1929 |
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Abdu’l-Bahás Erläuterung der Bahá’i - Prinzipien.
1. Die ganze Menschheit muss als Einheit betrachtet werden.
Baha’u’lláh wandte Sich an die gesamte Menschheit mit den Worten: „Ihr seid alle die Blätter eines Zweigs und die Früchte eines Baumes“. Das heißt: die Menschheit gleicht einem Baum und die Nationen oder Völker gleichen den verschiedenen Aesten und Zweigen; die einzelnen Menschen aber gleichen den Blüten und Früchten dieses Baumes. In dieser Weise stellte Baha’u’lláh das Prinzip der Einheit der Menschheit dar. Baha’u’lláh verkündigte die Einheit der ganzen Menschheit, er versenkte sie alle im Meer der göttlichen Gnade.
2. Alle Menschen sollen die Wahrheit selbständig erforschen.
In religiösen Fragen sollte niemand blindlings seinen Eltern und Voreltern folgen. Jeder muß mit eigenen Augen sehen, mit eigenen Ohren hören und die Wahrheit suchen, denn die Religionen sind häufig nichts anderes als Nachahmungen des von den Eltern und Voreltern übernommenen Glaubens.
3. Alle Religionen haben eine gemeinsame Grundlage.
Alle göttlichen Verordnungen beruhen auf ein und derselben Wirklichkeit. Diese Grundlage ist die Wahrheit und bildet eine Einheit, nicht eine Mehrheit. Daher beruhen alle Religionen auf einer einheitlichen Grundlage. Im Laufe der Zeit sind gewisse Formen und Zeremonien der Religion beigefügt worden. Dieses bigotte menschliche Beiwerk ist unwesentlich und nebensächlich und verursacht die Abweichungen und Streitigkeiten unter den Religionen. Wenn wir aber diese äußere Form beiseite legen und die Wirklichkeit suchen, so zeigt sich, daß es nur eine göttliche Religion gibt.
4. Die Religion muss die Ursache der Einigkeit und Eintracht unter den Menschen sein.
Die Religion ist für die Menschheit die größte göttliche Gabe, die Ursache des wahren Lebens und hohen sittlichen Wertes; sie führt den Menschen zum ewigen Leben. Die Religion sollte weder Haß und Feindschaft noch Tyrannei und Ungerechtigkeiten verursachen. Gegenüber einer Religion, die zu Mißhelligkeit und Zwietracht, zu Spaltungen und Streitigkeiten führt, wäre Religionslosigkeit vorzuziehen. Die religiösen Lehren sind für die Seele das, was die Arznei für den Kranken ist. Wenn aber ein Heilmittel die Krankheit verschlimmert, so ist es besser, es nicht anzuwenden.
5. Die Religion muss mit Wissenschaft und Vernunft übereinstimmen.
Die Religion muß mit der Wissenschaft übereinstimmen und der Vernunft entsprechen, so daß die Wissenschaft die Religion, die Religion die Wissenschaft stützt. Diese beiden müssen unauflöslich miteinander verbunden sein.
6. Mann und Frau haben gleiche Rechte.
Dies ist eine besondere Lehre Baha’u’lláhs, denn die früheren Religionen stellen die Männer über die Frauen. Töchter und Söhne müssen gleichwertige Erziehung und Bildung genießen. Dies wird viel zum Fortschritt und zur Einigung der Menschheit beitragen.
7. Vorurteile jeglicher Art müssen abgelegt werden.
Alle Propheten Gottes kamen, um die Menschen zu einigen, nicht um sie zu trennen. Sie kamen, um das Gesetz der Liebe zu verwirklichen, nicht um Feindschaft unter sie zu bringen. Daher müssen alle Vorurteile rassischer, völkischer, politischer oder religiöser Art abgelegt werden. Wir müssen zur Ursache der Einigung der ganzen Menschheit werden.
8. Der Weltfriede muss verwirklicht werden.
Alle Menschen und Nationen sollen sich bemühen, Frieden unter sich zu schließen. Sie sollen darnach streben, daß der universale Friede zwischen allen Regierungen, Religionen, Rassen und zwischen den Bewohnern der ganzen Welt verwirklicht wird. Die Errichtung des Weltfriedens ist heutzutage die wichtigste Angelegenheit. Die Verwirklichung dieses Prinzips ist eine schreiende Notwendigkeit unserer Zeit.
9. Beide Geschlechter sollen die beste geistige und sittliche Bildung und Erziehung geniessen.
Alle Menschen müssen erzogen und belehrt werden. Eine Forderung der Religion ist, daß jedermann erzogen werde und daß er die Möglichkeit habe, Wissen und Kenntnisse zu erwerben. Die Erziehung jedes Kindes ist unerläßliche Pflicht. Für Elternlose und Unbemittelte hat die Gemeinde zu sorgen.
10. Die soziale Frage muss gelöst werden.
Keiner der früheren Religionsstifter hat die soziale Frage in so umfassender, vergeistigter Weise gelöst wie Baha’u’lláh. Er hat Anordnungen getroffen, welche die Wohlfahrt und das Glück der ganzen Menschheit sichern. Wenn sich der Reiche eines schönen, sorglosen Lebens erfreut, so hat auch der Arme ein Anrecht auf ein trautes Heim und ein sorgenfreies Dasein. Solange die bisherigen Verhältnisse dauern, wird kein wahrhaft glücklicher Zustand für den Menschen erreicht werden. Vor Gott sind alle Menschen gleich berechtigt, vor Ihm gibt es kein Ansehen der Person; alle stehen im Schutze seiner Gerechtigkeit.
11. Es muss eine Einheitssprache und Einheitsschrift eingeführt werden.
Baha’u’lláh befahl die Einführung einer Welteinheitssprache. Es muß aus allen Ländern ein Ausschuß zusammentreten, der zur Erleichterung des internationalen Verkehrs entweder eine schon bestehende Sprache zur Weitsprache erklären oder eine neue Sprache als Weltsprache schaffen soll; diese Sprache muß in allen Schulen und Hochschulen der Welt gelehrt werden, damit dann niemand mehr nötig hat, außer dieser Sprache und seiner Muttersprache eine weitere zu erlernen.
12. Es muss ein Weltschiedsgerichtshof eingesetzt werden.
Nach dem Gebot Gottes soll durch das ernstliche Bestreben aller Menschen ein Weltschiedsgerichtshof geschaffen werden, der die Streitigkeiten aller Nationen schlichten soll und dessen Entscheidung sich jedermann unterzuordnen hat.
Vor mehr als 50 Jahren befahl Baha’u’lláh der Menschheit, den Weltfrieden aufzurichten und rief alle Nationen zum „internationalen Ausgleich“, damit alle Grenzfragen sowie die Fragen nationaler Ehre, nationalen Eigentums und aller internationalen Lebensinteressen durch ein schiedsrichterliches „Haus der Gerechtigkeit" entschieden werden können.
Baha’u’lláh verkündigte diese Prinzipien allen Herrschern der Welt. Sie sind der Geist und das Licht dieses Zeitalters. Von ihrer Verwirklichung hängt das Wohlergehen für unsere Zeit und das der gesamten Menschheit ab.
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SONNE DER WAHRHEIT Organ der deutschen Bahá’i Herausgegeben vom Verlag des deutschen Bahá’i-Bundes, Stuttgart Verantwortliche Schriftleitung: Alice Schwarz - Solivo, Stuttgart, Alexanderstraße 3 Preis vierteljährlich 1,80 Goldmark, im Ausland 2.– Goldmark. |
Heft 7 | Stuttgart, im September 1929 ’Izzat — Macht |
9. Jahrgang. |
Inhalt: 'Abdu'l-Bahá’s Brief an die Zentralorganisation für den Weltfrieden im Haag, Holland.— Danklied der Erlösten in aller Welt. — Kann die menschliche Natur verändert werden? — Veränderung der menschlichen Natur.
Motto: Einheit der Menschheit — Universaler Friede — Universale Religion.
Worte von 'Abdu'l-Bahá.
Die Zeit ist für die Menschheit gekommen, um das Banner der Einheit des Menschengeschlechts
in der Welt zu hissen, damit Solidarität und Eintracht alle Nationen auf Erden untereinander
verbinde, damit dogmatische Formeln und falsche Glaubensmeinungen aufhören, und die allen,
von den Propheten gestifteten Religionen, zu Grunde liegende Wirklichkeit offenbar werde.
Jene Wirklichkeit ist eine, — die Liebe Gottes, der Fortschritt der Welt, die Einheit des Menschengeschlechts.
Jene Wirklichkeit ist das Band, das die ganze Menschheit zu einigen vermag.
Jene Wirklichkeit ist das Erlangen des großen Segens des allgemeinen Weltfriedens, die Aufhebung aller Kriegsführung.
Jene Wirklichkeit ist der Fortschritt und das Unternehmen der größten Aufgaben im Leben, die Einheit der öffentlichen Meinung.
Deshalb müht euch, o ihr Völker! Setzt eure ganze Kraft dafür ein, daß diese Wirklichkeit über die geringeren Mächte im Leben siege, daß dieser Regent, die Wirklichkeit, allein die Menschheit regiere. Dadurch wird die Welt reformiert. Dadurch wird eine neue Frühlingszeit anbrechen und ein neuer Geist die Menschheit erwecken.
Dann werden die Menschen sein wie erfrischte Pflanzen, die Blätter, Blüten und Früchte tragen, wodurch die Welt das lang versprochene und entzückende Paradies werden wird, und die großen Gnadengaben, die erhabenen Tugenden des Menschen leuchten werden über die ganze Welt hin. Alsdann wird das Reich der Existenz seine Reife erlangt haben.
Dies ist meine Botschaft.
Star of the West, Vol. 14. N. 4.
'Abdu'l-Bahá’s Brief an die Zentralorganisation für den Weltfrieden im Haag, Holland.
Aus dem Persischen ins Englische übersetzt von Mirza Shoghi Rabbani, Dr. Zia Bagdadi, Mirza Lotfullah Hakim Dr. J. E. Esslemont, Deutsch von Wilhelm Herrigel.
O Ihr Hochgeachteten, die Ihr die Pioniere derer seid, die das Wohl der Menschheit herbeiführen möchten!
Die Briefe, die Sie während des Krieges an mich gesandt haben, kamen nicht an. Aber ein Brief vom 11.Febr. 1916 gelangte soeben in meine Hände und er soll sofort beantwortet werden. Ihre Bemühungen sind im höchsten Maße lobenswert, denn dadurch dienen Sie der Menschheit, und dieser Dienst führt zur Wohlfahrt und Glückseligkeit für alle. Dieser vergangene Krieg hat der Welt und der Menschheit bewiesen, daß der Krieg „Zerstörung“ und Friede „Aufbau“ bedeutet. Der Krieg ist Tod und Friede Leben. Der Krieg ist Raubgier und Blutvergießen, während der Friede Wohltun und Menschlichkeit ist. Der Krieg gehört zum Wesen der weltlichen Natur, während der Friede zur Grundlage der Religion Gottes gehört. Der Krieg ist Finsternis über Finsternis, während der Friede himmlisches Licht ist. Der Krieg ist der Zerstörer des Menschengeschlechts, während der Friede immerwährendes Leben für die Menschheit bedeutet. Der Krieg gleicht einem reißenden Wolf, während der Friede den Engeln des Himmels gleicht. Krieg ist der Kampf ums Dasein, Friede ist gegenseitige Hilfe und Zusammenarbeit zwischen den Völkern der Welt und die Ursache des Wohlgefallens des Einen Wahrhaftigen im himmlischen Reich.
Es gibt keine einzige Seele, deren Gewissen nicht bezeugte, daß an diesem Tag nichts notwendiger ist, als der universale Friede. Jeder gerechtdenkende Mensch bezeugt dies, er ehrt diese hochgeachtete Versammlung, denn ihr Ziel ist, diese Finsternis in Licht, dieses Blutvergießen in Güte, diese Qualen in Wonne, diese Bedrückung in Erleichterung und diese Feindseligkeiten und diesen Haß in Kameradschaft und Liebe zu verwandeln. Deshalb sind die Bemühungen dieser edlen Seelen sehr lobenswert und nachahmungswürdig. Aber die Weisen, welche die Wirklichkeiten der Dinge und die aus ihnen herrührenden Beziehungen kennen, sind sich darüber klar, daß eine einzelne Sache von sich aus die menschliche Wesenheit nicht beeinflussen kann, wie sie es sollte und müßte, denn solange die Menschen im Geist nicht einig sind, kann nichts bedeutendes vollbracht werden. Der universale Friede ist gegenwärtig von größter Wichtigkeit; aber damit das Fundament dieser Sache dauerhaft, ihre Errichtung gesichert und das Gebäude stark werde, ist eine einheitliche Gesinnung die Hauptsache. Deshalb hat Bahá’u’lláh schon vor 50 Jahren die Notwendigkeit des Weltfriedens erklärt. Er tat dies zu einer Zeit, da Er in der Festung Akka ungerechterweise ein Gefangener war. Er schrieb über diese wichtige Frage des universalen Friedens an alle bedeutenden Herrscher der Welt und ordnete Seinen Jüngern an, sich dafür einzusetzen.
Tiefste Finsternis lag über dem Osten, die Nationen hegten größten Haß und größte Feindschaft gegeneinander, selbst die Religionen standen einander gehässig gegenüber und es herrschte Finsternis über Finsternis. Zu jener Zeit leuchtete Bahá’u’lláh am Horizont des Ostens gleich der Sonne, und das Licht Seiner Lehren begann Persien zu erhellen.
Unter Seinen umfassenden Lehren finden wir, wie gesagt, auch die Erklärung vom „Welt-Frieden“. Menschen aus verschiedenen Nationen, Religionen und Sekten vereinigten sich in einer Weise, daß bemerkenswerte Versammlungen zustandekamen, die aus Gliedern der verschiedensten Nationen und Religionen des Ostens bestanden. Jedermann, der in eine solche Versammlung kam, sah hier nur eine Nation, eine Lehre, einen Weg und eine Ordnung, denn die Lehren Bahá’u’lláhs sind nicht bloß auf den Weltfrieden beschränkt, sie umfassen viele Lehren, welche den Weltfrieden ergänzen und fördern.
Eine Seiner hauptsächlichsten Lehren betrifft das unabhängige Forschen nach der
Wirklichkeit, damit die Menschheit von der Finsternis der blinden Nachahmungen
befreit werde und zur Wahrheit gelange,
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Der Mashrig’ul Adhkar, der erste Bahai-Tempel wurde in Eschkabat (Südrußland) erbaut.
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damit sie das zerschlissene und abgetragene, Jahrtausende alte Gewand ablegen und das
neue, auf dem Webstuhl der Wirklichkeit in größter Reinheit und Heiligkeit gewobene
Gewand anlege. Die Wirklichkeit ist eine, sie erlaubt keine Vielheit, daher müssen
verschiedene Meinungen schließlich zu einer einheitlichen kristallisiert werden.
Einer der Lehrsätze Bahá’u’lláhs betrifft die Einheit der Menschheit. Er lehrt, daß alle menschlichen Wesen die Lämmer Gottes sind und Er ihr gütiger Hirte ist. Dieser Hirte ist liebreich zu Seiner ganzen Herde, denn Er hat sie alle erschaffen, Er erzieht sie, Er sorgt für sie und beschützt sie. Es kann keinen Zweifel darüber geben, daß der Hirte gütig zu allen Seinen Schafen ist, und sollten unter diesen Schafen Unerzogene sein, so müssen sie belehrt werden, sind Lämmlein unter ihnen, so müssen sie erzogen werden, bis sie das Alter der Reife erreicht haben; sind Kranke unter ihnen, so müssen sie geheilt werden. Es darf kein Haß und keine Feindschaft unter ihnen bestehen. Wie von einem gütigen Arzt sollten diese Unwissenden und Kranken behandelt werden.
Eine weitere Lehre Bahá’u’lláhs ist, daß die Religion die Ursache der Zusammengehörigkeit und Liebe sein muß. Wenn sie zur Ursache der Entfremdung wird, dann ist sie unnütz, denn die Religion gleicht einem Heilmittel; wenn dieses die Krankheit verschlimmert, dann ist es nutzlos, ja sogar schädlich.
Ein weiteres Prinzip der Lehren Bahá’u’lláhs ist, daß Religion mit Vernunft und Wissenschaft übereinstimmen muß, damit sie die Herzen der Menschen beeinflussen kann. Ihre Grundlage muß fest sein und darf nicht aus Nachahmungen bestehen.
Ein anderer Teil der Lehren Bahá’u’lláhs besagt, daß Vorurteile hinsichtlich religiöser, völkischer, politischer, ökonomischer und patriotischer Fragen das Gebäude der Menschheit zerstören. Solange diese Vorurteile bestehen, wird die Menschheit nicht zur Ruhe kommen.
Die geschichtliche Aufzeichnung über das Leben der Menschheit reicht 6000 Jahre zurück. Während dieser 6000 Jahre war die Menschheit nie frei von Krieg, Streit, Mord und blutigem Ringen. Die Wogen des Krieges haben stets das eine oder andere Land überflutet. Diese Kriege entstanden aus Vorurteilen über religiöse, völkische, politische und patriotische Fragen. Es ist daher erwiesen, daß Vorurteile jeglicher Art das Gebäude der Menschheit zerstören. Solange diese Vorurteile bestehen, kann die Menschheit nicht von der Finsternis der Natur errettet werden und wenn sie die Vorurteile nicht ablegt und die Tugenden des Königreiches Gottes nicht annimmt, kann sie die Erleuchtung nicht erlangen.
Wenn diese Vorurteile und Feindseligkeiten der Religion zuzuschreiben sind, so denket daran, daß die Religion die Ursache der Freundschaft sein sollte; ist sie dies nicht, so ist sie zwecklos. Und was das nationale Vorurteil betrifft, so denket daran, daß die ganze Menschheit eine Nation ist, alle stammen von dem Baum Adam (dem ersten Menschen) ab. Dieser Baum ist einzig und alle Nationen gleichen den Zweigen, während die einzelnen Menschen den Blättern, den Blüten und den Früchten zu vergleichen sind. Das Errichten verschiedener Nationen, das daraus folgende Blutvergießen und die Zerstörung des Gebäudes der Menschheit entstanden also aus menschlicher Unwissenheit und aus selbstsüchtigen Beweggründen.
Was das patriotische Vorurteil betrifft, so rührt dies ebenfalls von völliger Unwissenheit
her, denn die ganze Erdoberfläche ist ein Heimatland. Jedermann kann an irgend
einem Fleck der Erde leben, deshalb ist die Welt überall des Menschen Geburtsstätte.
Grenzen und Marksteine wurden von den Menschen gesetzt. In der Schöpfung wurde
keine Grenze gezogen. Europa ist ein Kontinent, Amerika ist ein Kontinent, Asien
ist ein Kontinent, Afrika ist ein Kontinent, und Australien ist ein Kontinent, aber die
Menschen haben aus persönlichen Beweggründen und selbstsüchtigen Absichten jeden
dieser Kontinente eingeteilt und einen gewissen Teil als ihr eigenes Land betrachtet.
Gott hat keine Grenze zwischen Frankreich und Deutschland gezogen; diese Länder gehen
ineinander über. Ja wahrlich, in den ersten Jahrhunderten haben selbstsüchtige Menschen,
um ihre eigenen Angelegenheiten zu fördern, Marksteine gesetzt und diesen von Tag zu Tag
größere Wichtigkeit beigelegt, bis dies in den darauf folgenden Jahrhunderten zu
heftiger Feindschaft, zu Blutvergießen und Habgier. führte. Auf
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diese Weise wird es ins Unendliche weitergehen, und wenn der Begriff Patriotismus
auf einen gewissen Kreis beschränkt bleibt, so wird er die Hauptursache für die
Zerstörung der Welt sein. Kein vernünftiger und gerechtdenkender Mensch wird diese
eingebildeten Unterschiede anerkennen. Die begrenzte Fläche, auf der wir geboren sind,
betrachten wir als unser Vaterland, während in Wirklichkeit die ganze Erde und nicht
eine begrenzte Fläche das Vaterland aller Menschen ist. Kurz gesagt, wir leben nur
wenige Tage auf dieser Erde und schließlich wird sie unser Grab; sie ist ewig unser
Grab. Lohnt es sich, daß wir dieses ewigen Grabes wegen gegenseitig unser Blut
vergießen und uns zerfleischen? Nein, weit entfernt, an solchem Tun hat weder Gott
Gefallen, noch kann dies ein Mensch mit gesundem Verstand gutheißen.
Man bedenke, die zahmen Tiere haben nichts mit patriotischen Streitigkeiten zu tun. Sie verkehren in bester Kameradschaft miteinander und leben zusammen in gutem Einvernehmen. Wenn z. B. vier Tauben, eine vom Osten, eine vom Westen, eine vom Norden und eine vom Süden — zufällig und zu gleicher Zeit an gleicher Stelle zusammenkommen, so vereinigen sie sich sofort friedlich. So ist es bei allen zahmen Tieren und Vögeln. Sobald aber wilde Tiere zusammenstoßen, kämpfen sie miteinander, sie zerreißen einander und es ist unmöglich für sie, am selben Ort friedlich beisammen zu leben. Sie alle sind ungesellige, wilde, grausame und streitsüchtige Kämpfer.
Was das wirtschaftliche Vorurteil betrifft, so ist es klar, daß — sobald das Band zwischen einigen Nationen gefestigt ist, der Austausch von Waren gefördert wird, und wenn eine wirtschaftliche Reform in einem Land zur Durchführung gelangt, so wird dies schließlich auch die andern Länder beeinflussen, und allgemeiner Vorteil wird daraus entstehen. Warum dann dieses Vorurteil?
Was das politische Vorurteil betrifft, so muß in der Politik die Weisheit Gottes befolgt werden, und es ist unbestreitbar, daß die göttliche Weisheit größer ist als die Politik der Menschen. Wir müssen die göttliche Politik befolgen, und diese fordert Gleichheit für alle Menschen. Gott behandelt alle Menschen gleich; bei Ihm besteht kein Unterschied, und dies ist das Fundament der göttlichen Religion.
Eine weitere Lehre Bahá’u’lláhs fordert, daß eine universale Sprache geschaffen und allgemein unter den Menschen verbreitet werden müsse. Diese Lehre wurde von Bahá’u’lláh gegeben, damit diese Welthilfssprache die Mißverständnisse unter der Menschheit beseitige.
Eine andere Lehre Bahá’u’lláhs betrifft die Gleichheit von Mann und Frau. Die Menschheit hat zwei Schwingen, die eine ist die Frau, die andere der Mann. Solange nicht beide Schwingen gleich entwickelt sind, kann der Vogel nicht fliegen. Wenn eine der beiden Schwingen schwach bleibt, ist das Fliegen unmöglich. Solange die Frauen den Männern in der Entfaltung ihrer Tüchtigkeit und in ihrer Vervollkommnung nicht ebenbürtig geworden sind, kann weder Erfolg noch Wohlergehen erreicht werden.
Eine weitere Lehre Bahá’u’lláhs ist das freiwillige Teilen des Besitztums mit andern Menschen. Dieses freiwillige Teilen steht weit über dem Gleichmachen allen Besitzes; es besteht darin, daß der Mensch sich nicht andern gegenüber überheben soll, er soll vielmehr sein Leben und sein Besitztum opfern für andere. Dies soll aber nicht zwangsweise durch Gesetz eingeführt werden, wodurch der Mensch gezwungen wäre, es zu befolgen. Nein, der Mensch sollte vielmehr freiwillig und aus eigenem Antrieb seinen Besitz und sein Leben für andere opfern, er sollte den Armen willig geben wie dies unter den Bahá’i in Persien bereits geschieht.
In Seinen Lehren spricht Bahá’u’lláh auch über die Freiheit des Menschen. Durch die Erlangung der geistigen Macht soll der Mensch von der materiellen Welt befreit werden, denn solange der Mensch an die Natur gebunden ist, ist er ein tierähnliches Wesen und zwar deshalb, weil der Kampf ums Dasein ein Erfordernis der Natur ist. Dieser Kampf ums Dasein ist die Hauptquelle alles Elends und das größte Unglück.
Eine weitere Lehre Bahá’u’lláhs ist, daß die Religion eine feste Burg ist. Wenn das
Gebäude der Religion erschüttert wird und ins Wanken kommt, dann ist Aufruhr und
Chaos die Folge davon, und die Ordnung aller Dinge wird vollständig aufgelöst, denn
es gibt zwei Sicherheitswächter für die
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Menschheit, die den Menschen vor dem Unrechttun bewahren. Der eine ist das Gesetz,
das den Verbrecher bestraft, aber das Gesetz dämmt nur das offenbare Verbrechen ein;
es vermag nicht die verborgene Sünde zu verhindern. Der andere, der vollkommene
Sicherheitswächter — die Religion Gottes — verhütet beide, die offensichtlichen Verbrechen
und die verborgenen Sünden. Die Religion Gottes erzieht den Menschen, sie erzeugt
Moral, sie veranlaßt den Menschen zur Annahme von Tugenden, sie ist die alles in sich
schließende Macht, welche die Glückseligkeit der Menschheit verbürgt. Unter Religion
ist jedoch das zu verstehen, was durch Erforschung ermittelt wird und nicht das,
was auf bloßer Nachahmung beruht; es ist das Fundament der göttlichen Religionen
damit gemeint und nicht menschliche Nachahmungen.
Eine weitere Lehre Bahá’u’lláhs ist, daß die materielle Zivilisation, die wohl ein Mittel zum Fortschritt der Menschheit ist, das gewünschte Resultat — nämlich das wahre Glück der Menschheit — erst dann erzielen kann, wenn sie mit der göttlichen Zivilisation verbunden ist. Bedenket, daß die Kriegsschiffe, welche imstande sind, eine Stadt binnen einer Stunde in eine Ruine zu verwandeln, das Resultat der materiellen Zivilisation sind, ebenso wie die Kruppkanonen, die Mausergewehre, das Dynamit, die Unterseebote, die Torpedoboote, die Kriegsluftschiffe und Bombenflugzeuge — sie alle sind die bedauerlichen Erzeugnisse der materiellen Zivilisation. Wäre die materielle Zivilisation mit der geistigen verbunden, dann würden diese Feuerwaffen nie erfunden worden sein. Die menschliche Energie wäre dann vielmehr nur nützlichen Erfindungen gewidmet worden und sie hätte sich auf förderliche Erzeugnisse konzentriert. Die materielle Zivilisation gleicht einem Lampenglas. Die göttliche Zivilisation ist die Lampe selbst, das Glas ohne das Licht ist dunkel. Die materielle Zivilisation gleicht dem Körper. Dieser mag so reizvoll, so schön sein, als er will, ohne den Geist ist er tot. Die göttliche Zivilisation gleicht dem Geist, und der Körper erhält sein Leben durch den Geist, wo nicht, ist er eine Leiche. Es ist somit einleuchtend, daß sowohl der einzelne als auch alle Menschen den Odem des heiligen Geistes nötig haben. Ohne diesen Geist ist die Menschheit leblos, und ohne dieses Geistes Licht befindet sie sich in tiefstem Dunkel. Solange der Mensch nicht wiedergeboren wird aus der materiellen Welt, d. h. solange er nicht losgelöst wird von dem Hang zu dieser Welt, ist er im wesentlichen tierischer Natur, und es sind einzig die Lehren Gottes, die ihn in einen Menschen verwandeln.
Eine weitere Lehre Bahá’u’lláhs legt größten Nachdruck auf Erziehung. Jedes Kind soll so viel als möglich wissenschaftlich unterrichtet werden. Wenn es den Eltern möglich ist, die Mittel für eine solche Erziehung aufzubringen, ist es gut, wenn nicht, muß die Gemeinde die Erziehungskosten übernehmen.
In einer weiteren Lehre befiehlt Bahá’u’lláh Recht und Gerechtigkeit. Solange diese
auf der Ebene dieser Existenz nicht verwirklicht werden, werden alle Dinge außer Ordnung
sein und unvollkommen bleiben. Das menschliche Dasein wird eine Welt der Unterdrückung
und der Grausamkeit, ein Reich des Angriffs und des Irrtums bleiben.
Kurz, wir finden noch weitere derartige Lehren. Diese mannigfaltigen Prinzipien, die die
beste Grundlage für das Glück der Menschheit bilden und ein Geschenk des Himmels
sind, müssen zu den Bestrebungen für den Weltfrieden hinzukommen und mit diesen
in enger Verbindung stehen, damit die gewünschten Resultate erzielt werden. Geschieht
dies nicht, so wird es schwierig sein, den Weltfrieden herbeizuführen. Da nun die
Lehren Bahá’u’lláhs verbunden sind mit dem Weltfrieden, so gleichen sie einem Tisch,
der mit jeglicher Art frischer und köstlicher Speise gedeckt ist. Jedermann kann
auf diesem mit unendlichen Gaben gedeckten Tisch das finden, was er wünscht. Wenn
die Frage allein auf den Weltfrieden beschränkt bleibt, werden bemerkenswerte
Resultate, die man erwartet und wünscht, nicht erzielt werden. Das Ziel des Weltfriedens:
muß derart sein, daß alle Gemeinschaften und Religionen ihr höchstes Bestreben in
ihm verwirklicht finden. Die Lehren Bahá’u’lláhs sind nun derart, daß alle
Gemeinschaften der Welt — seien sie religiöser, politischer oder ethischer Richtung,
seien sie alt oder neu, in ihnen den Ausdruck ihrer höchsten Wünsche finden. Zum
Beispiel finden religiöse Menschen in den Lehren Bahá’u’lláhs die Einführung einer
universalen Religion — einer Religion, die gänzlich dem
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heutigen religiösen Verlangen entspricht, und die in Wirklichkeit die augenblickliche
Heilung von der sonst unheilbaren Krankheit unserer Zeit bewirkt, jeden Schmerz beseitigt
und das unfehlbare Gegenmittel für jedes tötliche Gift bedeutet. Denn, sofern
wir das Glück der Menschheit auf die gegenwärtigen religiösen Nachahmungen aufbauen
wollten, so würden wir dies, als unmöglich und undurchführbar erkennen. Zum
Beispiel die Durchführung der Gesetze des Alten Testaments (der Thora) sowie die
Durchführung der Verordnungen der andern Religionen ist in der jetzigen Zeit unmöglich.
Aber die Hauptgrundlage aller göttlichen Religionen, zu der die Tugend der Menschheit
gehört, die das Fundament für die Wohlfahrt der Menschheit bildet, ist in vollkommenster
Weise in den Lehren Bahá’u’lláhs klargestellt.
Aehnlich ist es mit den Menschen, die nach Befreiung verlangen... Die erlaubte Freiheit, welche die Wohlfahrt der Menschheit garantiert und die universale Verwandtschaft vertritt und erhält, ist in höchstem Grad und in vollster Ausdehnung in den Lehren Bahá’u’lláhs zu finden.
Ebenso ist es hinsichtlich der politischen Parteien. Das, was die größte Politik ist, die der Menschheit Führung verleiht, oder vielmehr die göttliche Politik, ist in den Lehren Bahá’u’lláhs zu finden.
Auch mit der Partei der „Gleichheit“, welche die Lösung der wirtschaftlichen Probleme anstrebt, ist es ähnlich. Bis jetzt haben sich alle in Vorschlag gebrachten Lösungen als unausführbar erwiesen; eine Ausnahme bilden hierin die in den Lehren Bahá’u’lláhs enthaltenen wirtschaftlichen Vorschläge. Diese sind ausführbar und bringen kein Elend über die menschliche Gesellschaft.
So ist es auch mit den andern Parteien. Wenn Sie tieferen Einblick in diese Sache bekommen, so werden Sie entdecken, daß die höchsten Ziele aller Parteien in den Lehren Bahá’u’lláhs zu finden sind. Diese Lehren bilden die alles in sich schließende Macht unter der Menschheit und sind ausführbar. Es gibt aber etliche Lehren aus vergangenen Zeiten, z B. die Thora, die in der Jetztzeit nicht mehr durchführbar sind. Dasselbe ist der Fall mit den Vorschriften der andern Religionen und den Satzungen verschiedener Vereinigungen und Parteien.
Kommen wir z. B. auf die Frage des Weltfriedens zurück, von dem Bahá’u’lláh sagte,
daß ein „höchster Schiedsgerichtshof" eingesetzt werden müsse. Obgleich der Völkerbund
ins Leben gerufen ist, so ist dieser doch nicht imstande, den „Weltfrieden“
aufzurichten. Aber der Weltschiedsgerichtshof, den Bahá’u’lláh anordnet, wird diese
heilige Aufgabe mit größter Kraft und Macht erfüllen. In seinem Plan ist vorgesehen,
daß die Nationalversammlungen d. h. die Parlamente eines jeden Landes hiezu
zwei oder drei Abgeordnete wählen sollen. Hiefür dürfen nur die bestgeeignetsten
Persönlichkeiten der betreffenden Nation in Betracht kommen, Persönlichkeiten, welche
die internationalen Gesetze, sowie die betreffenden Beziehungen zwischen den
verschiedenen Regierungen gut kennen, und mit allem, was die Menschheit heutigen
Tages in hohem Maße bedarf, vertraut sind. Die Zahl dieser Abgeordneten sollen im
Verhältnis zu der Einwohnerzahl des betreffenden Landes stehen. Die Wahl dieser, von
der Nationalversammlung oder dem Parlament zu wählenden Persönlichkeiten muß
von dem Oberhaus, dem Kongreß und dem Kabinett sowie von dem Präsidenten oder
Monarchen bestätigt werden, damit diese Menschen die Auserwählten des ganzen
Volks und der Regierung sind. Aus diesen in allen Ländern gewählten Persönlichkeiten
werden sodann die Mitglieder des Weltschiedsgerichtshofes gewählt und die ganze
Menschheit ist dadurch an dieser Einrichtung beteiligt, denn jeder einzelne dieser
Abgeordneten ist ein Repräsentant seiner Nation. Wenn der Weltschiedsgerichtshof — sei
es einstimmig oder durch Mehrheitsbeschluß — eine Verordnung über eine internationale
Frage erläßt, so sind weder Vorwände seitens des Klägers noch Einwendungen des
Beklagten mehr zulässig. Im Falle irgend eine der Regierungen oder Nationen die
Ausführung einer solchen unwiderleglichen Entscheidung des Weltschiedsgerichts
vernachlässigt oder verzögert, werden sich die übrigen Nationen dagegen stellen;
denn alle Regierungen und Nationen der Welt sind die Stützen dieses
Weltschiedsgerichtshofes. Bedenken Sie, welch’ festes Fundament dies ist! Durch
einen begrenzten und unvollkommenen Völkerbund wird aber dieser Zweck nicht vollauf
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verwirklicht. Das ist die Wahrheit über die hier festgestellte Situation.
Man überlege, wie mächtig die Lehren Bahá’u’lláhs sind. Zur Zeit, da Er in Akka gefangen gehalten wurde (vom Jahr 1868—1892), den Einschränkungen und Bedrohungen zweier tyrannischer Despoten unterworfen, verbreiteten sich dennoch Seine Lehren mit aller Macht in Persien und andern Ländern. Wenn irgend eine der Lehren oder ein Prinzip unter die Bedrohung eines dieser mächtigen, rachsüchtigen Monarchen fiel, wurden diese binnen kurzem unterdrückt. Seit fünfzig Jahren sind die Bahá’i in Persien und andern Ländern den heftigsten Bedrängungen und Bedrohungen mit Schwert und Lanze unterworfen. Tausende von Menschen haben in der Arena der Aufopferung ihr Leben gelassen und fielen als Opfer der Unterdrückung und der Grausamkeit. Tausende von geachteten Familien wurden zerstört und ausgerottet. Tausende von Kindern wurden vaterlos. Tausende von Vätern wurden ihrer Söhne beraubt. Tausende von Müttern weinten und klagten ihrer Knaben wegen, die enthauptet worden sind. Aber all diese Unterdrückungen und Grausamkeiten, alle Raubgier und aller Blutdurst hielten die Verbreitung der Lehren Bahá’u’lláhs nicht auf. Sie wurden Tag für Tag weiter verbreitet und ihr Einfluß und ihre Macht wurde immer offensichtlicher.
Es kann vorkommen, daß irgend ein eitler Perser seinen Namen unter den Inhalt der Sendschreiben Bahá’u’lláhs oder unter die Tablets 'Abdu'l-Bahás setzt und sie dieser hochgeehrten Gesellschaft sendet. Sie müssen auf solches gefaßt sein, denn ein Perser, der nach Ruhm hascht oder sonstige Absichten hat, wird den ganzen Inhalt der Sendschreiben 'Abdu'l-Bahás nehmen und ihn unter seinem eigenen Namen oder unter dem seiner Gemeinschaft veröffentlichen, wie dies vor dem Krieg bei dem Universalen Rassenkongreß in London vorkam. Dort nahm ein Perser den Hauptinhalt der Sendschreiben Bahá’u’lláhs, besuchte damit den Kongreß, gab dieselben bekannt unter seinem eigenen Namen und verbreitete sie, während sie in Wirklichkeit genau die Worte Bahá’u’lláhs enthielten. Etliche dieser Leute gingen nach Europa und richteten in den Gemütern der Europäer Verwirrung an; auch beunruhigten sie die Gedanken einiger Orientalen. Sie müssen dieser Tatsache immer eingedenk sein, denn vor dem Erscheinen Bahá’u’lláhs wurde in Persien kein Wort von solchen Lehren gehört. Erforschen Sie diese Angelegenheit, damit Sie Gewißheit darüber erlangen. Manche Menschen sind wie Papageien, sie lernen irgend eine Melodie die sie hören und singen sie nach, ohne zu wissen, was sie singen. In Persien gibt es gegenwärtig eine Gemeinschaft, bestehend aus wenigen Menschen, die sich Bábis nennen und die den Anspruch erheben, die Nachfolger des Báb zu sein, während sie in Wirklichkeit so viel wie nichts mit dem Báb zu tun haben. Sie besitzen einige geheime Lehren, die den Lehren Bahá’u’lláhs gänzlich entgegen sind und das persische Volk weiß dies. Wenn aber diese Leute nach Europa kommen, verheimlichen sie ihre eigenen Lehren und geben die von Bahá’u’lláh öffentlich unter ihrem eigenen Namen aus, denn sie wissen, daß die Lehren Bahá’u’lláhs mächtig sind. Was nun ihre geheimen Lehren betrifft, so geben sie vor, diese seien dem Buch Beyan (dem Buch des Báb) entnommen. Wenn Sie sich genau an die Uebersetzung halten, die in Persien von dem Buch Beyan gemacht wurde, so werden Sie die Tatsache bemerken, daß die Lehren Bahá’u’lláhs den Lehren obenerwähnter Gemeinschaft gänzlich entgegen sind. Seien Sie immer dieser Tatsache eingedenk, und wenn Sie weiteres über diese Angelegenheit zu erfahren wünschen, dann wenden Sie sich nach Persien.*)
*) Oder an den Verlag des deutschen Bahá’i-Bundes, Stuttgart, Alexanderstraße 3.
Schließlich sei noch folgendes erwähnt: Wenn wir uns in der ganzen Welt umsehen
und einen Aufbau finden, so ist dies das Resultat von Zusammengehörigkeit und Liebe,
während alles, was zerstört, die Wirkung von Feindschaft und Haß ist. Trotz
alledem hat dies die Menschheit noch nicht eingesehen und ist noch nicht erwacht aus
ihrem Schlaf der Gleichgültigkeit. Immer wieder verstrickt sie sich in Meinungsverschiedenheiten
in Zank und Streit und immer wieder greift sie zu dem verwerflichsten
Mittel, dem Krieg.
So ist es auch in bezug auf das Universum, seiner Zerstörung, seiner Existenz und Nichtexistenz.
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Jedes irdische Wesen ist zusammengesetzt aus verschiedenen und zahlreichen Elementen,
denn die Existenz aller Dinge ist das Resultat der Zusammensetzung. Das heißt,
wenn zwischen den einfachen Elementen eine richtige Zusammensetzung stattfindet,
dann geht ein Wesen daraus hervor; die Schöpfung der Wesen geht in dieser Weise
vor sich. Wird die Komposition zerstört, so erfolgt die Auflösung; die Elemente
zerfallen und das betreffende Wesen wird vernichtet. Das heißt, die Vernichtung eines
jeden Dinges besteht in der Auflösung und der Trennung der Elemente. Daher ist die
Vereinigung und Zusammensetzung der Elemente die Ursache des Lebens, während
ihre Auflösung und Trennung die Ursache des Todes ist. Kurz, die Anziehung und
Harmonie der Dinge verursacht das Produkt, die Frucht, auch gehen andere nützliche
Resultate aus ihnen hervor, während die Abstoßung und Disharmonie der Dinge
Zerstörung und Vernichtung verursachen. Aus der Harmonie und Anziehung gehen
alle lebenden irdischen Dinge und Wesen wie Pflanzen, Tiere und Menschen hervor,
während Disharmonie und Abstoßung unvermeidlich Verfall und Vernichtung im Gefolge
haben. Daher dient alles das, was die Ursache von Harmonie, Anziehung und Vereinigung
unter den Menschen ist, zum Leben der Menschheit, während alles was Meinungsverschiedenheiten,
Abstoßung und Trennung verursacht, für die Menschheit die Ursache des Todes ist.
Wenn Sie durch einen Garten gehen, in dem Pflanzen und Blumen und wohlriechende Kräuter zu einem
harmonischen Ganzen verbunden sind, so beweist dies, daß dieser Garten von einem
tüchtigen Gärtner angelegt und gepflegt ist. Wenn Sie dagegen einen Garten sehen, der
in Unordnung ist und jeder Pflege ermangelt, so zeigt dies, daß hier kein sorgfältiger
Gärtner an der Arbeit ist, denn der Garten weist nichts als Unkraut auf. Es ist
daher klar, daß da, wo Gemeinschaft, Freundschaft und Harmonie herrschen, dies
ein Zeichen ist, daß der wahre Erzieher an der Arbeit ist, während Trennung und
Zerstörung ein Beweis von Zügellosigkeit und Mangel an göttlicher Erziehung ist.
Sollte jemand hier Einwendungen machen und sagen, dadurch, daß die verschiedenen
Religionen, Nationen und Rassen der Welt verschiedene Formalitäten, Gebräuche,
Temperamente, Sitten, Gedanken und Meinungen haben, sei es unmöglich eine ideale
Einigkeit und eine vollständige Vereinigung der Menschen herbeizuführen, so erwidern
wir darauf, daß es zweierlei Arten der Unterscheidung gibt. Die eine Art führt zur
Zerstörung. Es sind dies die Differenzen, die zwischen den sich widerstreitenden Völkern
und den im Wettbewerb gegeneinander stehenden Nationen auftreten. Diese führen
dahin, daß sie sich bekriegen, einander vernichten, sich gegenseitig das Familienleben
zerstören und einander Ruhe und Frieden rauben. Dies ist tadelnswert. Der andere
Unterschied besteht in der Verschiedenheit. Diese ist an sich Vollkommenheit, sie
verursacht, daß die göttlichen Gaben offenbar werden. Betrachten Sie die Blumen eines
Blumengartens. Obgleich sie verschieden in ihre Art sind, verschieden in Farbe und
Form, trinken sie doch alle dasselbe Wasser, derselbe Wind weht über sie hin, und sie
wachsen durch die Wärme und das Licht der einen Sonne. Diese Verschiedenheit und
dieser Unterschied verursachen, daß die Schönheit und Pracht einer jeden Blume
in erhöhtem Maße zutage tritt. Die Unterschiede in den Sitten, Gebräuchen, Gewohnheiten,
Gedanken, Meinungen und im Temperament bilden die Zierde der Menschheit.
Dies ist lobenswert. So dienen auch Unterschiede und Verschiedenheiten, wie sie
beispielsweise bei den Teilen und Gliedern des menschlichen Körpers zu finden sind, dazu
die Schönheit und Vollkommenheit des Körpers zu zeigen. Wie nun diese verschiedenen Teile
und Glieder unter der Kontrolle des sie beherrschenden Geistes stehen und
wie der Geist alle Organe und Glieder durchdringt und regiert, so stärken
diese Unterschiede und diese Verschiedenheiten die Liebe und Harmonie unter
den Menschen; und diese Mannigfaltigkeit verhilft in erhöhtem Maße zur
Einigkeit. Wenn in einem Garten alle Blumen, Kräuter, Blüten, Früchte, Blätter,
Zweige und Bäume von gleicher Art wären, wenn sie dieselbe Form, dieselbe
Farbe hätten und alle einförmig ausgepflanzt wären, so wäre dieser Garten
gewiß eintönig zu nennen. Wenn er aber Mannigfaltigkeit in Farbe, Blättern,
Blüten und Früchten aufweist, dann wird jede Pflanze, Blume und Frucht ihren Teil
zur Schönheit und zum Reiz der andern beitragen, und dadurch wird der Garten
bewundernswert. Er
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wird ein liebliches und frisches Aussehen haben. So ist es auch, wenn die verschiedenen
Gedanken Formen, Meinungen, Charaktere und Sitten der Menschheit unter die
Herrschaft der einen höchsten Macht und unter den Einfluß der Einheit kommen Bahá’u’lláh
dann werden sie in größter Herrlichkeit, Schönheit, Erhabenheit und Vollkommenheit
erscheinen und sich aufs beste entfalten. Heutzutage kann nichts anders als
die Macht des Wortes Gottes, das die Wirklichkeit aller Dinge in sich schließt, die
Gemüter, die Gedanken und die Herzen der Menschen unter den Schatten des einen
Baumes bringen. Er ist der Mächtige in allen Dingen, der Beleber der Seelen, der
Erhalter und Beschützer der Menschheit. Gelobt sei Gott, daß das Licht des Wortes
Gottes an diesem großen Tag über alle Himmelsgegenden ausgegossen ist, und daß sich
Menschen aus allen Gemeinschaften, Bekenntnissen, Nationen, Stämmen, Religionen
und Denominationen unter den Schutz des Wortes der Einheit versammelt und sich in
innigster Freundschaft und Harmonie vereinigt haben.
Während des Krieges schrieb ich über die Lehren Bahá’u’lláh’s einen Brief, der als Ergänzung dieses Sendschreibens beigefügt ist.
ER IST GOTT!
O Völker der Welt! Das Dämmern der Sonne der Wirklichkeit dient sicherlich zur Erleuchtung der Welt und zur Offenbarung der Barmherzigkeit. Bei der Familie Adams (dem Menschengeschlecht) sind gute Resultate und Früchte lobenswert, und die heilige Verleihung jeglicher Gaben fließen im Ueberfluß. Die Erleuchtung der Welt, die Freundschaft und Harmonie sowie die Liebe und Eintracht sind eine absolute Gnade und eine vollkommene Gabe des Höchsten; ja noch mehr, die Barmherzigkeit, die Einheit, die Beseitigung des Mißklangs und die Einigung aller, die auf Erden sind, bedeuten die größte Freiheit und Würde. Die „Gesegnete Schönheit" (Bahá’u’lláh) sagte: „Alle Menschen sind die Früchte eines Baumes und die Blätter eines Zweiges.“ Er verglich die Existenz mit einem Baum und alle Menschen mit Blättern, Blüten und Früchten dieses Baumes. Deshalb müssen sich alle Zweige, Blätter, Blüten und Früchte in größter Frische befinden und jenes Zartgefühl und jene Liebenswürdigkeit aufweisen, von der die Vereinigung und die Gemeinschaft der Menschen abhängig ist. Deshalb müssen sie einander mit aller Macht beistehen und nach ewigem Leben trachten. Die Freunde Gottes müssen folglich die Barmherzigkeit des mitleidigen Herrn offenbaren und die Freigebigkeit des sichtbaren und unsichtbaren Königs aufweisen. Sie müssen ihre Augen auftun und alle Menschen als die Blätter, die Blüten und die Früchte des Baumes der Schöpfung ansehen. Sie müssen immer darauf bedacht sein, jemand etwas Gutes zu tun, jemand Liebe, Aufmerksamkeit, Zuneigung und Hilfe zu erweisen. Sie dürfen in niemand einen Feind sehen und niemand zu denen zählen, die den andern Böses wünschen. Sie müssen jedermann auf Erden als einen Freund betrachten, den Fremdling als einen Vertrauten, den Ausländer als einen Gefährten. Sie dürfen sich mit keinerlei Band binden lassen, nein sie müssen sich vielmehr befreien von jeglicher Fessel. An diesem Tag bietet der, welcher an der Schwelle des Höchsten begünstigt ist, den Kelch der Aufrichtigkeit an; er verleiht selbst den Feinden das Perlengeschmeide, reicht dem Gefallenen die helfende Hand und betrachtet seinen erbittertsten Feind als einen wohlwollenden Freund. Dies sind die Gebote der „Gesegneten Schönheit“ (Bahá’u’lláh), dies ist der Rat, den Euch der „Größte Name“ erteilt!
O Ihr lieben Freunde! Die Welt ist voll Krieg und Kampf und die Menschheit ist in
den größten Konflikt und in wirkliche Gefahr geraten. Die Finsternis der Unaufrichtigkeit
bedeckt die Erde und das Licht der Aufrichtigkeit ist verhüllt. Alle Völker der
Welt haben ihr Schwert geschärft und kämpfen miteinander. Das Gebäude der
Menschheit ist eingestürzt. Tausende von Familien irren in der Verzweiflung. Tausende
von Menschen färben jedes Jahr auf dem Kampfplatz der Schlachten und Kriege die
Erde mit ihrem Blut, und das Zelt der Glückseligkeit und des Lebens ist eingestürzt.
Die hervorragendsten Männer wurden Befehlshaber, sie brüsten sich des Blutvergießens,
das von ihnen befohlen wurde und rühmen sich der Zerstörungen, die sie
anordneten. Der eine sagt: „Ich trennte mit meinem Schwert die Nacken einer Nation,“
ein anderer: „Ich machte ein Königreich dem Erdboden gleich.“ ein dritter: „Ich
vernichtete die Fundamente einer Regierung!"
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Dies ist die Achse, um die sich der Ehrgeiz und die Verherrlichung der
Menschen dreht. Freundschaft und Aufrichtigkeit ist in allen Ländern bedroht, und
Mahnungen zur Aussöhnung und zur Beachtung der Wahrheit werden verschmäht
Aber der Herold des Friedens, der Erneuerung, der Liebe und der Versöhnung ist die
Religion der „Gesegneten Schönheit“ (Bahá’u’lláh), die ihr Zelt auf dem Gipfel der
Welt errichtet hat und ihren Mahnruf an alle Menschen der Erde richtet.
Darum, o Ihr Freunde Gottes, schätzet den Wert dieser herrlichen Offenbarung, regt euch und handelt im Einklang mit ihr; wandelt den geraden und rechten Weg und zeigt ihn den andern Menschen. Stimmet die Melodie des Reiches Gottes an und verbreitet die Lehren und Verordnungen des liebevollen Vaters weit und breit, damit die Welt eine andere Welt werde, diese dunkle Erde erleuchtet wird und die toten Körper der Menschen ein neues Leben erhalten. Jede Seele muß durch den Hauch des Barmherzigen nach dem ewigen Leben suchen. Das Leben in dieser sterblichen Welt geht schnell zu Ende, und dieser irdische Ruhm und Reichtum, dies Wohlleben und das Glück werden bald verschwinden und nicht mehr sein. Rufet die Menschen zu Gott und fordert die Seelen auf, sie möchten die Sitten und das Betragen der Allerhöchsten Heerscharen annehmen. Seid den Waisen gütige Väter, den Unglücklichen Schutz und Zuflucht, den Armen ein Schatz des Reichtums, den Kranken ein Mittel zur Heilung. Helfet jedem Unterdrückten, seid die Beschützer für jeden Hilflosen; seid immer darauf bedacht, irgend einer Seele unter der Menschheit zu dienen. Messet der Selbstsucht, der Verwerfung, der Anmaßung, der Unterdrückung und der Feindseligkeit keine Wichtigkeit bei. Beachtet sie nicht. Handelt in gegenteiliger Weise. Seid wahrhaft freundlich, nicht bloß scheinbar und äußerlich. Jeder einzelne der Freunde Gottes muß seinen Geist darauf konzentrieren, daß er die Barmherzigkeit Gottes und die Mildtätigkeit des vergebenden Herrn offenbare. Er muß jeder Seele, der er begegnet, Gutes erweisen und ihr Wohl im Auge haben. Er muß zur Ursache der Verbesserung der Moral und der Veredlung der Gedanken werden, damit das Licht der Führung scheint und die Gnade des Barmherzigen die Welt umfaßt. Liebe ist Licht, einerlei in welchem Hause es scheint, und Feindseligkeit ist Finsternis, einerlei in welcher Wohnung sie sich befinden mag.
O Ihr Freunde Gottes! Strebet darnach, daß diese Finsternis gänzlich verschwinde, die verborgenen Geheimnisse offenbar werden und die Wirklichkeit der Dinge ans Licht kommt.
Haifa, Palästina, den 17. Dez. 1919.
Danklied der Erlösten in aller Welt.
Danket dem Herrn; denn er ist freundlich, und Seine Güte währet ewiglich.
So sollen sagen, die erlöst sind durch den Herrn, die Er aus der Not erlöst hat,
und die Er aus den Ländern zusammengebracht hat
vom Aufgang, vom Niedergang, von Mitternacht und vom Meer.
Die irregingen in der Wüste, in ungebahntem Wege,
und fanden keine Stadt, da sie wohnen konnten,
hungrig und durstig und ihre Seele verschmachtete;
die zum Herrn riefen in ihrer Not,
und Er errettete sie aus ihren Aengsten
und führte sie einen richtigen Weg,
daß sie gingen zur Stadt, da sie wohnen konnten:
Die sollen dem Herrn danken für Seine Güte
und für Seine Wunder, die Er an den Menschenkindern tut,
Daß er sättigt die durstige Seele
und füllt die hungrige Seele mit Gutem.
Psalm 107, 1—9,
Kann die menschliche Natur verändert werden?
Von Dr. J. E. Esslemont aus „Das neue Zeitalter“ Deutsch von A. Schwarz.
Erziehung und Religion beruhen beide auf der Annahme, daß es möglich ist, die menschliche
Natur zu verändern. Es erfordert nur etwas Nachdenken, um mit Sicherheit sagen zu können,
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daß sich an einem Geschöpf dauernd Veränderungen vollziehen. Es gibt kein Leben ohne Wechsel.
Selbst das Mineral ist der Veränderung unterworfen, und je höher wir in der Skala der
Dinge gehen, desto mannigfaltiger, differenzierter und wunderbarer werden diese Veränderungen.
Wir finden überdies im Fortschritt und in der Entwicklung unter den Geschöpfen aller Grade
zweierlei Arten von Veränderung — eine langsam, allmählich, oft kaum wahrnehmbar sich vollziehende
und eine andere, rasch, plötzlich und dramatisch sich abspielende, die letztere ereignet
sich in den sogenannten „kritischen Stadien“ der Entwicklung. Im Mineralreich finden wir solche
kritische Stadien in den Schmelz- und Siedepunkten, wo die feste Masse plötzlich flüssig wird,
und die Flüssigkeit sich in Gase verwandelt. Im Pflanzenreich beobachten wir solche kritischen
Stadien, wenn das Saatkorn zu keimen beginnt oder die Knospe sich öffnet und Blätter treibt.
Im Tierreich sehen wir allerorts denselben Vorgang, beispielsweise wie der Schmetterling aus der
Puppe der Raupe schlüpft, das Küken die Eierschale verläßt oder das Junge sich vom Mutterleib trennt.
Im höheren Leben der Seele können wir oftmals eine ähnliche Wandlung wahrnehmen und zwar
dann, wenn ein Mensch eine Wiedergeburt erlebt und sein ganzes Wesen in seinen Zielen im
Charakter und in der Handlungsweise umgewandelt wird. Solche kritischen Stadien beeinflussen
oftmals eine ganze Gattung oder eine Menge von Gattungen, wie z.B.im Frühling, wenn die ganze
Vegetation plötzlich in ein neues Leben eintritt.
Bahá’u’lláh erklärt, so wie es für die niederen Lebewesen Zeiten gibt, in denen sie plötzlich in ein neues und reiferes Leben eintreten, so ist auch für die Menschheit ein „kritisches Stadium“, eine Zeit der Wiedergeburt da. Dann wird die Lebensweise, die in ferne Zeiten der Geschichte zurückreicht und heute noch besteht, plötzlich und unwiderruflich verändert werden und die Menschen in eine neue Phase des Daseins eintreten, die von der einstigen so verschieden ist, wie der Schmetterling von der Raupe oder der Vogel von dem Ei. Die Menschheit als ein Ganzes wird im Licht einer neuen Gottes-Offenbarung zu einer neuen Erkenntnis der Wahrheit gelangen, wie ein ganzes Land beleuchtet wird, wenn die Sonne aufgeht, so werden alle Menschen die Helle sehen, wo eine Stunde zuvor noch alles in Dunkelheit gehüllt war. 'Abdu'l-Bahá sagt:
„Dies ist ein neuer Zyklus der menschlichen Fähigkeiten. Alle Horizonte der Welt sind erhellt, und die Welt wird tatsächlich ein Rosengarten und ein Paradies werden.“
Die Aehnlichkeiten der Naturkräfte sprechen alle zugunsten einer solchen Aussicht; die Propheten haben vor alters völlig übereinstimmend den Advent eines solchen glorreichen Tages prophezeit, und die Zeichen der Zeit zeigen klar, daß auf allen Gebieten Umwälzungen im Gange sind. Was könnte daher nutzloser und grundloser sein, als das pessimistische Argument, daß, wenngleich auch alle Dinge sich ändern, die menschliche Natur doch nicht verändert werden könne?
Veränderung der menschlichen Natur.
Aus den Schriften 'Abdu'l-Bahás. Aus „Star of the West“, Juni 1926. Uebersetzt von Karl Klitzing, Schwerin.
Der Mensch befindet sich auf der höchsten Stufe der Körperlichkeit und im
Anfang der Geistigkeit, das heißt, er ist das Ende der Unvollkommenheit und der
Anfang der Vollkommenheit... Er hat sowohl eine tierische, als eine engelhafte Seite, und
das Ziel eines Erziehers ist, die menschlichen Seelen so zu erziehen, daß ihr engelhaftes
Wesen die tierische Natur in ihnen überwindet. Wenn aber die göttliche Macht im
Menschen — seine eigentliche Vollkommenheit — die satanische Macht, d.h. die absolute
Unvollkommenheit besiegt, dann wird er zum vortrefflichsten unter den Geschöpfen.
Wenn aber die satanische Macht die göttliche Macht unterdrückt, so wird er zum
niedrigsten der Geschöpfe. Deswegen ist er das Ende der Unvollkommenheit und der
Anfang der Vollkommenheit. In keiner anderen Gattung der erschaffenen Welt besteht
eine solche Verschiedenheit, ein solcher Gegensatz, Widerspruch und Widerstand als
im Menschengeschlecht... Wenn der Mensch unter den Schatten des wahren
Erziehers kommt und richtig erzogen wird, so wird er zum Wesen des Wesens, zum
Licht der Lichter, zum Geist der Geister. Er wird zum Mittelpunkt der göttlichen
Erscheinung, zur Quelle der geistigen Eigenschaften, zum Aufgangsort des himmlischen
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Lichtes und der Sammelort göttlicher Eingebungen. Wenn er aber diese Erziehung
nicht genießt, offenbart er satanische Eigenschaften, wird zum Inbegriff tierischer
Laster und zur Ursache aller dunklen Zustände. (Beantwortete Fragen, Seite 298.)
In der erschaffenen Welt ist das Tier an die Natur gebunden. Seine Handlungen entsprechen den Erfordernissen und Bedürfnissen der Natur. Es kennt keine Ueberlegung, noch hat es Kenntnis von Gut und Böse. Es folgt einfach seinem natürlichen Triebe und seiner natürlichen Neigung.
Die Propheten Göttes sind gekommen, dem Menschen den Weg der Rechtschaffenheit zu zeigen, damit er seinen eigenen, natürlichen Trieben nicht folgen, sondern seine Handlung nach dem Lichte ihres Gebotes und Beispiels einrichten soll. Ihren Lehren zufolge sollte er das tun, was durch den Maßstab der Vernunft und das Urteil des Verstandes als lobenswert befunden wird, selbst wenn es seiner natürlichen, menschlichen Neigung entgegengesetzt ist. Und er sollte nicht tun, was durch denselben Maßstab als unwürdig befunden wird, selbst wenn ihn seine natürlichen Triebe und Wünsche dazu treiben möchten. Daher muß der Mensch die Eigenschaften des Barmherzigen erwerben und offenbaren.
Die unvollkommenen Glieder der Gesellschaft, die schwachen Seelen der Menschheit folgen ihren natürlichen Neigungen. Ihr Leben und ihre Handlungen sind im Einklang mit ihrem natürlichen Hang. Sie sind abhängig von ihrer körperlichen Empfänglichkeiten. Der Mensch hat zwei Seiten — die körperliche, welche der Natur unterworfen ist, und die geistige oder göttliche, welche in Verbindung mit Gott steht. Wenn die körperliche oder natürliche Veranlagung in ihm die himmlische und geistige Natur beherrscht, dann wird er zum niedrigsten der Wesen. Wenn dagegen die göttliche und himmlische Kraft über die menschliche und natürliche siegt, ist er wahrlich engelgleich. Die Propheten kommen in die Welt, um die Menschheit zu führen und zu erziehen; damit die tierische Natur des Menschen verschwinde, und die Göttlichkeit seiner Seelenkräfte geweckt werde. (Pro. of U.P., Seite 37, 38.)
Da es viele Unvollkommenheiten in der Welt der Natur gibt, ist das Licht der göttlichen Zivilisation verborgen, und die Natur ist die Herrscherin aller Dinge geworden. In der natürlichen Welt ist das vorherrschendste Kennzeichen der Kampf ums Dasein — das Ergebnis desselben ist das Ueberleben des Stärkeren. Das Gesetz des Ueberlebens des Stärkeren ist der Ursprung aller Schwierigkeiten. Es ist die Ursache von Krieg und Streit, Haß und Feindschaft zwischen den Menschen.
In der Welt der Natur gibt es Gewalttätigkeit, Selbstsucht, Angriff, Unterjochung, rechtswidriger Eingriff in die Rechte anderer und andere tadelnswerte Eigenschaften, welche die Unvollkommenheiten der Tierwelt sind. Solange daher die Forderungen des Naturreichs den größten Teil der Menschen erfüllen, ist Glück und Wohlstand unmöglich. Denn das Glück der Menschen hängt von den Eigenschaften und Tugenden ab, mit denen das wahre Wesen der Menschen geschmückt ist, während die Forderungen der menschlichen Natur gegen die Verwirklichung dieses Zieles arbeitet.
Von Natur aus ist der Mensch kriegerisch, blutdürstig, tyrannisch und unachtsam gegen den Höchsten, den Allmächtigen. Aus diesem Grunde sind die Grausamkeiten der Tierwelt verständlich.
Daher hat der Herr der Menschheit, der voll großer Liebe und Güte ist, das Erscheinen der Propheten und die Offenbarung der heiligen Bücher verordnet, damit durch göttliche Erziehung die Menschen von der Verdorbenheit der Natur und der Nacht der Unwissenheit befreit werden möchten. Sei mit vorbildlichen Tugenden; der Fähigkeit des inneren Bewußtseins und geistigen Eigenschaften bestätigt und werde der Dämmerungsort menschenwürdiger Regungen. Das ist göttliche Zivilisation. Heute ist die materielle Zivilisation in der Welt der Menschheit gleich einer Lampe von äußerster Durchsichtigkeit, aber diese Lampe ist — leider seit Tausenden von Jahren — des Lichts beraubt. Das Licht, das durch die heiligen, göttlichen Manifestationen der Welt geschenkt wurde, ist göttliche Zivilisation. (Star of the West, Volumen 8, Seite 15.)
Der Mensch ist der Beherrscher der Natur. Die Natur bleibt sich gleich, der Mensch
ist fortschrittlich. Die Natur hat kein Bewußtsein, der Mensch ist jedoch damit
begnadet. Die Natur ist gezwungenerweise ohne Willensäußerung und Tatkraft,
wohingegen der Mensch einen Willen besitzt.
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Die Natur ist unfähig, Geheimnisse oder Wirklichkeiten zu entdecken, wogegen der
Mensch besonders ausgestattet ist, um dies zu vollbringen. Die Natur steht nicht in
Berührung mit dem Reich Gottes; der Mensch aber, der darüber Gewißheit besitzt,
hängt mit ihm zusammen. Die Natur ist vom Dasein Gottes nicht unterrichtet, der
Mensch erwirbt göttliche Tugenden, die Natur muß hingegen entsagen. Der Mensch
kann absichtlich in Fehlern verharren, die Natur hat keine Macht, den Einfluß
ihrer Triebe abzuändern. Alles in allem ist es offenbar, daß der Mensch edler und
überlegener ist, daß er eine vorbildliche Kraft besitzt, welche die Natur übertrifft.
Er besitzt Bewußtsein, Willensstärke, Gedächtnis, Verstandeskräfte, göttliche
Eigenschaften und Tugenden, welche der Natur völlig vorenthalten sind. Daher ist
der Mensch auf Grund der idealen und himmlischen Macht, die in ihm verborgen
und offenbart ist, höherstehend und edler.
Wie sonderbar erscheint es dann, daß der Mensch, trotzdem er mit dieser idealen Kraft ausgestattet ist, zu einer niederen Stufe herabsteigen will und sich nicht für größer erklärt, als das, was offenbar unter seiner wirklichen Stufe ist. Gott hat solch einen bewußten Geist in ihn gelegt, daß er das wunderbarste aller irdischen Wesen ist. In Außerachtlassung dieser Tugenden, steigt der Mensch auf die materielle Ebene herab, betrachtet das Stoffliche als den Beherrscher des Daseins und verneint, was über demselben liegt. Ist dies Tugend? Dies ist tierische Natur im wahrsten Sinne des Worts, denn das Tier kann sich nichts anderes vorstellen. (Pro. of U.P., Seite 173.)
Wenn das Leben des Menschen auf die elementare, physische Welt des Genusses beschränkt ist, so ist eine Lerche erhabener und bewunderungswürdiger, als die ganze Menschheit, weil ihr Lebensunterhalt vorgesehen, ihre Beschaffenheit vollständig und ihre Vollendung gänzlich und natürlich ist.
Aber das Leben des Menschen ist nicht so beschränkt. Es ist göttlich, ewig, nicht sterblich und sinnlich. Für ihn ist eine geistige Existenz und Lebensart vorgesehen, und in dem göttlichen Schöpfungsplan bestimmt. Sein Leben soll ein Leben geistiger Freuden sein, was das Tier niemals erlangen kann. Dieser Besitz hängt von der Erwerbung göttlicher Tugenden ab. Die Erhabenheit des Menschen besteht in der Erlangung der Erkenntnis Gottes. Die Seligkeit des Menschen besteht in der Erwerbung himmlischer Gaben, die in Strömen durch die Freigebigkeit Gottes auf ihn herabkommen. Das Glück des Menschen besteht in den Düften der Liebe Gottes. Dies ist für die Menschheit der höchste Gipfel des Erreichbaren. Wie hoch ist dies dem Tierreich gegenüber zu bewerten in seinem hiezu aussichtslosen Reich! (Pro. of U.P., Seite 180.)
Im Menschen wohnen zwei Naturen. Eine geistige oder höhere Natur und eine materielle oder niedere Natur. In der einen nähert er sich Gott, in der anderen lebt er nur für die Welt. Zeichen dieser beiden Naturen sind in jedem Menschen zu finden. Von seiner materiellen Seite aus bringt er Unwahrheit, Grausamkeit und Ungerechtigkeit zum Ausdruck. Alle diese Eigenschaften sind der Ausfluß seiner niederen Natur. Die Eigenschaften seiner göttlichen Natur kommen in Liebe, Güte, Freundlichkeit, Aufrichtigkeit und Gerechtigkeit zum Ausdruck. Dies ist alles der Ausdruck seiner höheren Natur. Jede gute Gewohnheit, jede edle Eigenschaft gehört zu des Menschen geistiger Natur‚ während seine Unvollkommenheiten und sündhaften Handlungen aus seiner materiellen Natur hervorgehen...
Die Jünger Jesu Christi waren wie andere Menschen. Sie wurden ebenso wie ihre Mitmenschen durch die Dinge der Welt angezogen, und jeder dachte nur an seinen eigenen Vorteil. Sie wußten wenig von Gerechtigkeit, noch war göttliche Vollkommenheit bei ihnen zu finden. Als sie aber Christus nachfolgten und an ihn glaubten, wich ihre Unwissenheit dem Verständnis, Grausamkeit wurde in Gerechtigkeit verwandelt, Falschheit in Aufrichtigkeit und Finsternis in Licht. Sie waren weltlich und wurden geistig und göttlich. (Ansprachen in Paris, Seite 60.)
Wie Kann der Mensch damit zufrieden sein, nur ein animalisches Dasein zu führen,
wenn Gott ihn zu einem so hohen Wesen erschaffen hat? Die ganze Schöpfung
ist dem Naturgesetz unterworfen, aber der Mensch ist fähig, diese Gesetze zu
überwinden. Die Sonne ist trotz ihrer Macht und Herrlichkeit an die Naturgesetze gebunden
und kann ihren Lauf nicht um Haaresbreite ändern... Aber dem Menschen hat Gott
eine so wunderbare Macht gegeben, daß
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er die Natur lenken, beherrschen und bezwingen kann... Wenn wir sehen, daß der
Mensch erschaffen wurde, um Herr über die Natur zu sein, wie töricht ist es dann
von ihm, ihr Sklave zu werden! Welche Unwissenheit und Torheit ist es, die Natur
zu verehren und sie anzubeten, wenn Gott in Seiner Güte uns zu Herren über sie
gemacht hat. Gottes Macht ist für alle Menschen sichtbar, dennoch schließen sie ihre
Augen und sehen sie nicht. (Ansprachen in Paris, Seite 134/35.)
Wie viel weltliche Tugenden der Mensch sich auch erwerben mag, er wird doch nicht fähig sein, die höchsten Möglichkeiten des Lebens ohne geistige Tugenden zu erkennen und auszudrücken. Gott hat alle irdischen Dinge nach einem Gesetz des Fortschrittes in materiellen Stufen erschaffen, aber den Menschen hat Er erschaffen und ausgestattet mit der Macht des Fortschrittes hin zu dem geistigen und göttlichen Königreich. Gott hat außer dem Menschen keine materiellen Wesen nach Seinem Bild und Gleichnis erschaffen, nur den Menschen hat Er nach diesem Bilde erschaffen und ihn mit einer starken Kraft ausgestattet, jene Aehnlichkeit zu erreichen. Er hat den Menschen vor allen andern erschaffenen Wesen ausgezeichnet. Alle erschaffenen Dinge, mit Ausnahme des Menschen, sind Gefangene der Natur und der Sinnenwelt, aber in den Menschen ist eine ideale Kraft gelegt, durch die er intellektuelle und geistige Wahrheiten erkennen kann. Gott hat alles für das Leben in dieser Welt Notwendige hervorgebracht, doch der Mensch ist dazu erschaffen, daß er göttliche Tugenden widerspiegeln soll. Bedenket, daß der höchste Ausdruck der Schöpfung nach dem Menschen das Tier ist, das allen Gattungen der Schöpfung mit Ausnahme des Menschen überlegen ist. Offenbar ist das Tier dieser Welt für das Leben erschaffen worden. Seine höchste Tugend besteht darin, Vollkommenheit auf der materiellen Ebene der Existenz zum Ausdruck zu bringen. Das Tier ist vollkommen, wenn sein Körper gesund ist und seine physischen Sinne normal sind. Wenn es die Eigenschaften der körperlichen Gesundheit besitzt, seine physischen Kräfte vollkommen, Nahrung und die nötigen Bedingungen zu seiner Existenz vorhanden sind, dann hat es die höchst erreichbare Vollkommenheit seines Reiches erlangt.
Der Mensch aber hängt, um Tugenden zu erlangen, nicht von diesen Dingen ab. Einerlei, wie vollkommen seine Gesundheit und körperlichen Kräfte auch sind, er hat sich, bei all diesen Eigenschaften, noch nicht über den Grad eines vollendeten Tieres erhoben. Außerdem und obendrein hat Gott die Tore der idealen Tugenden und der Kenntnisse vor den Augen des Menschen geöffnet. Er hat im Wesen des Menschen die Geheimnisse des göttlichen Königreiches erschaffen. Er hat ihm die Verstandeskraft verliehen, damit er durch die Attribute der Vernunft, wenn diese durch den Heiligen Geist gestärkt werden, geistige Wirklichkeiten erforschen und entdecken und die Bedeutung der Geheimnisse kennen lernen möge. Da diese Kraft, die ideale Wissenschaft zu ergründen, übermenschlich, übernatürlich ist, wird der Mensch der Konzentrationspunkt sowohl geistiger, als auch körperlicher Kräfte, so daß der göttliche Geist sich in seinem Wesen offenbaren kann, die Strahlen des Königreiches in das Heiligtum seines Herzens scheinen und die Merkmale der Eigenschaften und der Vollkommenheit Gottes sich in einer Wiedergeburt des Lebens zeigen. (Pro. of U.P., Seite 296.)
Jesus Christus sagt: „Es sei denn, daß jemand geboren werde aus Wasser und Geist,
so kann er nicht in das Reich Gottes kommen.“ Damit meinte Christus, daß wenn
der Mensch nicht von der materiellen Welt losgelöst, aus der Gefangenschaft des
Materialismus befreit ist und einen Teil von den Gaben der geistigen Welt empfängt, er
der Gaben und Gunstbezeigungen des Königreiches Gottes beraubt sein wird, und
das Aeußerste, was wir von ihm sagen können, ist daß er völlig einem Tier gleicht.
Niemand kann ihn rechtmäßig einen Menschen nennen. In einer anderen Stelle sagt
Er: „Was vom Fleisch geboren ist, das ist Fleisch, und was vom Geist geboren ist, das
ist Geist.“ Der Sinn hiervon ist, daß, wenn ein Mensch ein Gefangener der Natur ist,
er dem Tiere gleicht, weil er nur einen physisch geborenen Körper besitzt‚ das heißt,
er gehört zur materiellen Welt und bleibt ein Untertan des Gesetzes und der Gewalt
der Natur. Wenn er aber mit dem Heiligen Geist getauft, aus der Knechtschaft der Natur
befreit, von tierischem Hang entbunden ist und sich in das menschliche Reich erhebt,
ist er tauglich, in das Königreich
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einzutreten. Die Welt des Königreiches ist das Reich göttlicher Gaben und der Wohltaten
Gottes. Es ist die Erlangung der höchsten Tugenden für die Menschheit. Es ist die
Nähe Gottes. Es ist die Fähigkeit, die Wohltaten des Ewigen Herrn zu empfangen.
Wenn der Mensch bis zu diesem Grade vorwärts schreitet, erlangt er die zweite Geburt.
Vor seiner ersten oder physischen Geburt war der Mensch im Mutterleibe... In
jener Welt hatte er keine Kenntnis von der ungeheueren Größe der Welt... Aber nach
seiner Geburt fing er an, seine Augen zu öffnen und die Wunder dieses unbegrenzten
Weltalls zu schauen. Ebenso ist der Mensch, solange er sich in der menschlichen Welt
befindet, und der Natur unterworfen ist, ohne Berührung mit der Welt des Königreiches u.
hat keine Kenntnis von ihr. Wenn er in dieser Welt die Wiedergeburt erlangt, wird er
von der göttlichen Welt unterrichtet werden. Er wird wahrnehmen, daß eine andere und
höhere Welt besteht... Daher gibt es für den vollkommenen Menschen zwei Arten der
Geburt... Bei beiden ist er ohne Kenntnis von einer neuen Welt des Daseins, in die
er eintritt. Daher versteht man unter Wiedergeburt seine Befreiung aus den Banden
der Natur, Befreiung von dem Hang zu diesem vergänglichen und materiellen
Leben. (Pro. of U.P., Seite 298.)
Du hast gefragt, warum es für die Seele, die von Gott kommt, nötig ist, wieder diesen Weg zu Gott zurückzufinden? Die dieser Frage unterliegende Wirklichkeit ist, daß der böse Geist, Satan oder wie das Prinzip des Bösen auch immer bezeichnet werden mag, sich auf die niedrige Natur im Menschen bezieht. Diese niedrige Natur wird auf verschiedene Art symbolisiert. Im Menschen kommt zweierlei zum Ausdruck. Einerseits die Eigenschaften der Natur, andererseits die des geistigen Reiches. Die Welt der Natur ist unvollkommen. Betrachte dies genau, lege allen Aberglauben und alle Einbildung beiseite. Wenn du einen Menschen unerzogen und unwissend in den Wildnissen Afrikas allein lassen wolltest, würde da irgend ein Zweifel bestehen, daß er unwissend bleibt? Gott hat nie einen bösen Geist erschaffen. Alle diese Ideen und Benennungen sind Symbole, die nichts anderes als die menschliche oder irdische Natur des Menschen bezeichnen. Es ist eine wesentliche Beschaffenheit des Erdbodens, daß Dornen, Unkraut und wilde Bäume daraus emporwachsen. Im Gleichnis gesprochen: dies ist das Böse. Es ist einfach der niedrige Zustand und das schlechte Produkt der Natur.
Es ist daher klar, daß der Mensch der göttlichen Erziehung und Eingebung bedarf, daß der Geist und die Gaben Gottes zu seiner Entwickelung notwendig sind. Das heißt, die Lehren Christi und der Propheten sind für die Erziehung und Führung der Menschen notwendig. Warum? Weil jene die göttlichen Gärtner sind, die den Boden der menschlichen Herzen und Seelen bestellen. Sie erziehen die Menschen, reißen das Unkraut aus, verbrennen die Domen und verwandeln die verwilderten Stätten in Gärten und Obstanlagen, wo fruchtbare Bäume wachsen. Die Weisheit und Absicht ihrer Erziehung ist, daß der Mensch von Stufe zu Stufe in fortschreitender Entfaltung vorwärtsschreiten muß, bis seine Vollkommenheit erreicht ist... Der Mensch muß viele Schritte tun und ist in seiner Aufwärtsentwickelung verschiedenen Vorgängen unterworfen.
Kurz gesagt: Der Entwicklungsweg der Seele ist notwendig. Der Pfad des Lebens ist die Straße, die zu göttlicher Erkenntnis und Erlangung des Guten führt. Ohne Erziehung und Führung könnte die Seele niemals über die Beschaffenheit ihrer niederen Natur, die unwissend und unvollkommen ist, hinwegkommen. (Pro. of U.P., Seite 289.)
In der Sonne der Wahrheit finden nur solche Manuskripte Veröffentlichung, bezüglich deren Weiterverbreitung keine Vorbehalte gemacht werden.
Anfragen, schriftliche Beiträge und alle die Schriftleitung betreffenden Zuschriften beliebe man an die Schriftleitung: Stuttgart, Alexanderstr.3 zu senden
Bestellungen von Abonnements, Büchern und Broschüren sowie Geldsendungen sind an den Verlag des deutschen Bahá’i-Bundes G.m.b.H., Stuttgart, Alexanderstr.3, Nebengebäude, zu richten.
Druck von W. Heppeler, Stuttgart.
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Geschichte und Bedeutung der Bahá’ilehre.
Die Bahai-Bewegung tritt vor allem ein für die „Universale Religion" und den „Universalen Frieden“ — die Hoffnung aller Zeitalter. Sie zeigt den Weg und die Mittel, die zur Einigung der Menschheit unter dem hohen Banner der Liebe, Wahrheit, Gerechtigkeit und Barmherzigkeit führen. Sie ist göttlich ihrem Ursprung nach, menschlich in ihrer Darstellung, praktisch für jede Lebenslage. In Glaubenssachen gilt bei ihr nichts als die Wahrheit, in den Handlungen nichts als das Gute, in ihren Beziehungen zu den Menschen nichts als liebevoller Dienst.
Zur Aufklärung für diejenigen, die noch wenig oder nichts von der Bahaibewegung wissen, führen wir hier Folgendes an: „Die Bahaireligion ging aus dem Babismus hervor. Sie ist die Religion der Nachfolger Bahá’u’lláhs. Mirza Hussein Ali Nuri (welches sein eigentlicher Name war) wurde im Jahre 1817 in Teheran (Persien) geboren. Vom Jahr 1844 an war er einer der angesehensten Anhänger des Bab und widmete sich der Verbreitung seiner Lehren in Persien. Nach dem Märtyrertod des Bab wurde er mit den Hauptanhängern desselben von der türkischen Regierung nach Bagdad und später nach Konstantinopel und Adrianopel verbannt. In Bagdad verkündete er seine göttliche Sendung (als „Der, den Gott offenbaren werde") und erklärte, daß er der sei, den der Bab in seinen Schriften als die „Große Manifestation", die in den letzten Tagen kommen werde, angekündigt und verheißen hatte. In seinen Briefen an die Regenten der bedeutendsten Staaten Europas forderte er diese auf, sie möchten ihm bei der Hochhaltung der Religion und bei der Einführung des universalen Friedens beistehen. Nach dem öffentlichen Hervortreten Bahá’u’lláhs wurden seine Anhänger, die ihn als den Verheißenen anerkannten, Bahai (Kinder des Lichts) genannt. Im Jahr 1868 wurde Bahá’u’lláh vom Sultan der Türkei nach Akka in Syrien verbannt, wo er den größten Teil seiner lehrreichen Werke verfaßte und wo er am 28. Mai 1892 starb. Zuvor übertrug er seinem Sohn Abbas Effendi ('Abdu'l-Bahá) die Verbreitung seiner Lehre und bestimmte ihn zum Mittelpunkt und Lehrer für alle Bahai der Welt.
Es gibt nicht nur in den mohammedanischen Ländern Bahai, sondern auch in allen Ländern Europas, sowie in Amerika, Japan, Indien, China etc. Dies kommt daher, daß Bahá’u’lláh den Babismus, der mehr nationale Bedeutung hatte, in eine universale Religion umwandelte, die als die Erfüllung und Vollendung aller bisherigen Religionen gelten kann. Die Juden erwarten den Messias, die Christen das Wiederkommen Christi, die Mohammedaner den Mahdi, die Buddhisten den fünften Buddha, die Zoroastrier den Schah Bahram, die Hindus die Wiederverkörperung Krischnas und die Atheisten — eine bessere soziale Organisation.
In Bahá’u’lláh sind alle diese Erwartungen erfüllt. Seine Lehre beseitigt alle Eifersucht und Feindseligkeit, die zwischen den verschiedenen Religionen besteht; sie befreit die Religionen von ihren Verfälschungen, die im Lauf der Zeit durch Einführung von Dogmen und Riten entstanden und bringt sie alle durch Wiederherstellung ihrer ursprünglichen Reinheit in Einklang. Das einzige Dogma der Lehre ist der Glaube an den einigen Gott und an seine Manifestationen (Zoroaster, Buddha, Mose, Jesus, Mohammed, Bahá’u’lláh).
Die Hauptschriften Bahá’u’lláhs sind der Kitab el Ighan (Buch der Gewißheit), der Kitab el Akdas (Buch der Gesetze), der Kitab el Ahd (Buch des Bundes) und zahlreiche Sendschreiben, genannt „Tablets“, die er an die wichtigsten Herrscher oder an Privatpersonen richtete. Rituale haben keinen Platz in dieser Religion; letztere muß vielmehr in allen Handlungen des Lebens zum Ausdruck kommen und in wahrer Gottes- und Nächstenliebe gipfeln. Jedermann muß einen Beruf haben und ihn ausüben. Gute Erziehung der Kinder ist zur Pflicht gemacht und geregelt.
Streitfragen, welche nicht anders beigelegt werden können, sind der Entscheidung des Zivilgesetzes jeden Landes und dem Bait’ul’Adl oder „Haus der Gerechtigkeit“, das durch Bahá’u’lláh eingesetzt wurde, unterworfen. Achtung gegenüber jeder Regierungs- und Staatseinrichtung ist als einem Teil der Achtung, die wir Gott schulden, gefordert. Um die Kriege aus der Welt zu schaffen, ist ein internationaler Schiedsgerichtshof zu errichten. Auch soll neben der Muttersprache eine universale Einheits-Sprache eingeführt werden. „Ihr seid alle die Blätter eines Baumes und die Tropfen eines Meeres“ sagt Bahá’u’lláh.
Es ist also weniger die Einführung einer neuen Religion, als die Erneuerung und Vereinigung aller Religionen, was heute von 'Abdu'l-Bahá erstrebt wird. (Vgl. Nouveau, Larousse, illustré supplement, p. 66.)
Verlag des Deutschen Bahá’i-Bundes G.m.b.H., Stuttgart
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In unserem Verlag sind erschienen:
Bücher:
Verborgene Worte von Baha’u’llah. Deutsch von A. Schwarz und W. Herrigel, 1924 1.--
Baha’u’llah, Frohe Botschaften, Worte des Paradieses, Tablet Tarasat, Tablet Taschalliat, Tablet Ischrakat. Deutsch von Wilhelm Herrigel, 1921, in Halbleinen gebunden . . . 2.50
in feinstem Ganzleinen gebunden . . . . . 3.--
Geschichte und Wahrheitsbeweise der Bahaireligion, von Mirza Abul Fazl. Deutsch von W. Herrigel, 1921, in Halbleinen geb. . . . . 4.50
In Ganzleinen gebunden . . . . 5.--
Abdul Bahá Abbas’ Leben und Lehren, von Myron H. Phelps. Deutsch von Wilhelm Herrigel, 1922, in Ganzleinen gebunden . . . . 4.--
Die Bahai-Offenbarung, ein Lehrbuch von Thornton Chase, deutsch von W. Herrigel, 1925, kartoniert M. 4.--, in Halbleinen gebunden M. 4.60
Bah’u’lláh und das neue Zeitalter, ein Lehrbuch von Dr. J. E. Esslemont, deutsch von W. Herrigel und H. Küstner. 1927. In Ganzleinen gebunden . . . . . 4.50
Broschüren:
Bahai-Perlen, Deutsch von Wilhelm Herrigel, 1922 . . . . -.20
Ehe Abraham war, war Ich, v. Thornton Chase. Deutsch v. W.Herrigel, 1911 . . . . -.20
Die Universale Weltreligion, Ein Blick in die Bahai-Lehre von A. T. Schwarz, 1919. . . . -.50
Die Offenbarung Baha’u’llahs, von J.D. Brittingham. Deutsch von Wilhelm Herrigel, 1910 . . . -.50
Einheitsreligion. Ihre Wirkung auf Staat, Erziehung, Sozialpolitik, Frauenrechte und die einzelne Persönlichkeit, von Dr. jur. H. Dreyfus, Deutsch von Wilhelm Herrigel. 2. Auflage 1920 . . . -.50
Die Bahaibewegung im allgemeinen und ihre großen Wirkungen in Indien, nach Berichten eines Amerikaners zusammengestellt und mit Vorwort versehen von Wilhelm Herrigel, Stuttgart 1922 . . . . -.50
Eine Botschaft an die Juden, von Abdul Baha Abbas. Deutsch v. W. Herrigel, 1912 . . . -.20
Das Hinscheiden Abdul Bahas, ("The Passing of Abdul Baha") Deutsch von Alice T. Schwarz, 1922 . . . -.50
Das neue Zeitalter von Ch. M. Remey. Deutsch von Wilhelm Herrigel, 1923 . . . . —.50
Die soziale Frage und ihre Lösung im Sinne der Bahailehre von Dr. Hermann Grossmann-Wandsbel . . . . —.20
Religiöse Lichtblicke, Einige Erläuterungen zur Bahá’i-Botschaft, aus dem Französ. übersetzt von Albert Renftle, 2. erweiterte Auflage, 1928 . . . . --.30
Die Bahá’i-Bewegung, Geschichte, Lehren und Bedeutung. von Dr. Hermann Großmann-Wandsbek . . . . . --.20
Sonne der Wahrheit, Jahrgang 3 - 8 in Halbleinen gebunden à . . . . 9.--
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