SONNE DER WAHRHEIT | ||
ORGAN DER DEUTSCHEN BAHAI | ||
HEFT 4 | IX. JAHRGANG | JUNI 1929 |
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Abdu’l-Bahás Erläuterung der Bahá’i - Prinzipien.
1. Die ganze Menschheit muss als Einheit betrachtet werden.
Baha’u’lláh wandte Sich an die gesamte Menschheit mit den Worten: „Ihr seid alle die Blätter eines Zweigs und die Früchte eines Baumes“. Das heißt: die Menschheit gleicht einem Baum und die Nationen oder Völker gleichen den verschiedenen Aesten und Zweigen; die einzelnen Menschen aber gleichen den Blüten und Früchten dieses Baumes. In dieser Weise stellte Baha’u’lláh das Prinzip der Einheit der Menschheit dar. Baha’u’lláh verkündigte die Einheit der ganzen Menschheit, er versenkte sie alle im Meer der göttlichen Gnade.
2. Alle Menschen sollen die Wahrheit selbständig erforschen.
In religiösen Fragen sollte niemand blindlings seinen Eltern und Voreltern folgen. Jeder muß mit eigenen Augen sehen, mit eigenen Ohren hören und die Wahrheit suchen, denn die Religionen sind häufig nichts anderes als Nachahmungen des von den Eltern und Voreltern übernommenen Glaubens.
3. Alle Religionen haben eine gemeinsame Grundlage.
Alle göttlichen Verordnungen beruhen auf ein und derselben Wirklichkeit. Diese Grundlage ist die Wahrheit und bildet eine Einheit, nicht eine Mehrheit. Daher beruhen alle Religionen auf einer einheitlichen Grundlage. Im Laufe der Zeit sind gewisse Formen und Zeremonien der Religion beigefügt worden. Dieses bigotte menschliche Beiwerk ist unwesentlich und nebensächlich und verursacht die Abweichungen und Streitigkeiten unter den Religionen. Wenn wir aber diese äußere Form beiseite legen und die Wirklichkeit suchen, so zeigt sich, daß es nur eine göttliche Religion gibt.
4. Die Religion muss die Ursache der Einigkeit und Eintracht unter den Menschen sein.
Die Religion ist für die Menschheit die größte göttliche Gabe, die Ursache des wahren Lebens und hohen sittlichen Wertes; sie führt den Menschen zum ewigen Leben. Die Religion sollte weder Haß und Feindschaft noch Tyrannei und Ungerechtigkeiten verursachen. Gegenüber einer Religion, die zu Mißhelligkeit und Zwietracht, zu Spaltungen und Streitigkeiten führt, wäre Religionslosigkeit vorzuziehen. Die religiösen Lehren sind für die Seele das, was die Arznei für den Kranken ist. Wenn aber ein Heilmittel die Krankheit verschlimmert, so ist es besser, es nicht anzuwenden.
5. Die Religion muss mit Wissenschaft und Vernunft übereinstimmen.
Die Religion muß mit der Wissenschaft übereinstimmen und der Vernunft entsprechen, so daß die Wissenschaft die Religion, die Religion die Wissenschaft stützt. Diese beiden müssen unauflöslich miteinander verbunden sein.
6. Mann und Frau haben gleiche Rechte.
Dies ist eine besondere Lehre Baha’u’lláhs, denn die früheren Religionen stellen die Männer über die Frauen. Töchter und Söhne müssen gleichwertige Erziehung und Bildung genießen. Dies wird viel zum Fortschritt und zur Einigung der Menschheit beitragen.
7. Vorurteile jeglicher Art müssen abgelegt werden.
Alle Propheten Gottes kamen, um die Menschen zu einigen, nicht um sie zu trennen. Sie kamen, um das Gesetz der Liebe zu verwirklichen, nicht um Feindschaft unter sie zu bringen. Daher müssen alle Vorurteile rassischer, völkischer, politischer oder religiöser Art abgelegt werden. Wir müssen zur Ursache der Einigung der ganzen Menschheit werden.
8. Der Weltfriede muss verwirklicht werden.
Alle Menschen und Nationen sollen sich bemühen, Frieden unter sich zu schließen. Sie sollen darnach streben, daß der universale Friede zwischen allen Regierungen, Religionen, Rassen und zwischen den Bewohnern der ganzen Welt verwirklicht wird. Die Errichtung des Weltfriedens ist heutzutage die wichtigste Angelegenheit. Die Verwirklichung dieses Prinzips ist eine schreiende Notwendigkeit unserer Zeit.
9. Beide Geschlechter sollen die beste geistige und sittliche Bildung und Erziehung geniessen.
Alle Menschen müssen erzogen und belehrt werden. Eine Forderung der Religion ist, daß jedermann erzogen werde und daß er die Möglichkeit habe, Wissen und Kenntnisse zu erwerben. Die Erziehung jedes Kindes ist unerläßliche Pflicht. Für Elternlose und Unbemittelte hat die Gemeinde zu sorgen.
10. Die soziale Frage muss gelöst werden.
Keiner der früheren Religionsstifter hat die soziale Frage in so umfassender, vergeistigter Weise gelöst wie Baha’u’lláh. Er hat Anordnungen getroffen, welche die Wohlfahrt und das Glück der ganzen Menschheit sichern. Wenn sich der Reiche eines schönen, sorglosen Lebens erfreut, so hat auch der Arme ein Anrecht auf ein trautes Heim und ein sorgenfreies Dasein. Solange die bisherigen Verhältnisse dauern, wird kein wahrhaft glücklicher Zustand für den Menschen erreicht werden. Vor Gott sind alle Menschen gleich berechtigt, vor Ihm gibt es kein Ansehen der Person; alle stehen im Schutze seiner Gerechtigkeit.
11. Es muss eine Einheitssprache und Einheitsschrift eingeführt werden.
Baha’u’lláh befahl die Einführung einer Welteinheitssprache. Es muß aus allen Ländern ein Ausschuß zusammentreten, der zur Erleichterung des internationalen Verkehrs entweder eine schon bestehende Sprache zur Weitsprache erklären oder eine neue Sprache als Weltsprache schaffen soll; diese Sprache muß in allen Schulen und Hochschulen der Welt gelehrt werden, damit dann niemand mehr nötig hat, außer dieser Sprache und seiner Muttersprache eine weitere zu erlernen.
12. Es muss ein Weltschiedsgerichtshof eingesetzt werden.
Nach dem Gebot Gottes soll durch das ernstliche Bestreben aller Menschen ein Weltschiedsgerichtshof geschaffen werden, der die Streitigkeiten aller Nationen schlichten soll und dessen Entscheidung sich jedermann unterzuordnen hat.
Vor mehr als 50 Jahren befahl Baha’u’lláh der Menschheit, den Weltfrieden aufzurichten und rief alle Nationen zum „internationalen Ausgleich“, damit alle Grenzfragen sowie die Fragen nationaler Ehre, nationalen Eigentums und aller internationalen Lebensinteressen durch ein schiedsrichterliches „Haus der Gerechtigkeit" entschieden werden können.
Baha’u’lláh verkündigte diese Prinzipien allen Herrschern der Welt. Sie sind der Geist und das Licht dieses Zeitalters. Von ihrer Verwirklichung hängt das Wohlergehen für unsere Zeit und das der gesamten Menschheit ab.
SONNE DER WAHRHEIT Organ der deutschen Bahá’i Herausgegeben vom Verlag des deutschen Bahá’i-Bundes, Stuttgart Verantwortliche Schriftleitung: Alice Schwarz - Solivo, Stuttgart, Alexanderstraße 3 Preis vierteljährlich 1,80 Goldmark, im Ausland 2.– Goldmark. |
Heft 4 | Stuttgart, im Juni 1929 Rahmat — Barmherzigkeit |
9. Jahrgang. |
Inhalt: Worte von 'Abdu'l-Bahá. — Eine kurze Erklärung über die Bedeutung der Zahl „9“, die vor allen andern Zahlen heilig ist. — An die Freunde im Bahá’i-Büro. — Tablet 'Abdu'l-Bahá’s — Die geheimnisvollen Mächte der Kultur. — Vom Werden des Reiches Gottes auf Erden. — 'Abdu'l-Bahá und das verheißene Zeitalter.
Motto: Einheit der Menschheit — Universaler Friede — Universale Religion.
O Gott! Stehe mir bei mit den höchsten Heerscharen, mache mich fest und verleihe mir Stärke und Kraft in Deinem Bündnis und Testament. Ich bin arm, segne mich mit den Gütern Deines Königreichs. Ich bin unwissend, öffne mir die Tore der Weisheit. Ich bin tot, hauche mir den Geist des Lebens ein. Ich bin stumm, verleihe mir eine beredte Sprache, damit ich mit packender, mächtiger Rede den Ruf zu Deinem Königreich erheben und alle zum Dienst für das Bündnis beleben kann.
Du bist der Edelste, der Geber, der Mächtige.
'Abdu'l-Bahá.
Worte von 'Abdu'l-Bahá.
Frage: Welche göttliche Weisheit liegt im Fasten?
Antwort: Die göttliche Weisheit im Fasten ist vielfältiger Art. Da z. B. während jener Tage (d. h. der Periode des Fastens, welche die Anhänger in der Folge beachten werden,) sich die Manifestation der Sonne der Wirklichkeit mit göttlicher Inspiration in der Tiefe des göttlichen Worts und mit der Einsetzung des göttlichen Gesetzes und der Anordnung des Lehrens, mit übermäßiger Anteilnahme und Intensität befaßt, verbleibt kein Verlangen oder keine Zeit zum Essen und Trinken.
Als z. B. Mose auf den Berg Sinai ging und dort mit der Einsetzung des Gesetzes Gottes betraut wurde, fastete er vierzig Tage. Zum Zweck der Erweckung und Ermahnung des Volkes Israel war für ihn das Fasten eine Freude.
Die Deutsche Kolonie in Haifa von einst.
Ebenso enthielt sich Christus während der Einsetzung des geist. Gesetzes, der
Organisation des Lehrens und der Anordnung von Beratungen, vierzig Tage des Essens und
Trinkens (Matth. 4. 2). Im Anfang fasteten die Jünger und andere Christen. Später
wurde in den Kirchenberatungen der maßgebenden Geistlichkeit das Fasten zu einer
Kirchenregel gemacht. Ebenso weist der Koran den ganzen Monat Ramazan über das
Fasten als Pflicht an.
Auch bei dem Erhabenen (dem Báb) vergingen im Anfang seiner Manifestation, durch die übermäßige Wirkung der tiefgehenden Worte, Tage an welchen Er nur Tee zu sich nahm. In gleicher Weise nahm die „Gesegnete Schönheit" (Bahá’u’lláh) als Er sich mit der Einsetzung der göttlichen Lehren befaßte, und während der Tage, als das Wort Gottes andauernd herniederkam, wegen der übermächtigen Einwirkung des Wortes und der Erregung des Herzens, mit Ausnahme der kleinsten Quantitäten keine Nahrung zu sich.
Um den göttlichen Manifestationen zu folgen und zum Zweck der Ermahnung und zum Gedächtnis ihrer erhabenen Stufe wurde dem Volke auferlegt, während jener Tage zu fasten.
Wie geschrieben steht, hielten die Christen früher eine strenge Fastenzeit ein. Denn
jeder ehrliche Mensch, der einen anderen aufrichtig liebt, sehnt sich darnach, jenen
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Zustand zu empfinden, in welchem der Geliebte ist. Wenn dieser geliebte Mensch in
einem Zustand der Sorge ist, trägt er die Sorge mit, wenn er freudig ist, wünscht er
diese Freude zu teilen, wenn jener in Ruhe ist, wünscht auch er sich Ruhe, ist jener in
Bedrängnis, will er zu ihm stehen.
Da in jenen Tagen nun der Erhabene (der Báb) viele Tage fastete und die „Gesegnete Schönheit“ (Bahá’u’lláh) nur wenig Nahrung oder Trank zu sich nahm, und ebenso Christus manche Tage sich der Nahrung enthalten hatte, erschien es ihren Nachfolgern notwendig, dieses Beispiel nachzuahmen. Denn Bahá’u’lláh sagt in dem Tablet der Begegnung: "Sie, die Gläubigen, haben befolgt, was ihnen befohlen war, aus Liebe zu Dir."
Dies ist eine dem Fasten zu Grunde liegende Weisheit.
Die zweite Weisheit ist diese: Fasten veranlaßt die Erweckung des Menschen. Die Regungen des Herzens werden lebendiger und die Vergeistigung des Menschen nimmt zu. Dies wird dadurch hervorgerufen, daß die Gedanken des Menschen sich auf Gott konzentrieren, und daraus sicher Erweckung und Ansporn zu idealem Fortschritt hervorgeht.
Die Deutsche Kolonie in Haifa von heute.
Die dritte Weisheit, die im Fasten liegt, ist materieller und geistiger Art. Das
materielle Fasten ist Enthaltung von Nahrung und Getränken, d. h. von den Begierden
des Körpers. Aber geistiges, ideales Fasten bedeutet, daß der Mensch sich von
Selbstsucht, von Leidenschaften, Gleichgültigkeit und satanischen Eigenschaften
enthält. Daher ist das materielle Fasten ein Merkmal des geistigen Fastens.
Sprich: O Gott! wie ich mich von den Begierden des Körpers fernhalte und nicht essen
und trinken will, so reinige Du mein Herz und mein Leben, und trenne mich von allem anderen,
außer von Deiner Liebe. Heilige, beschütze und behüte meine Seele vor Selbstsucht und
niederen Eigenschaften, damit sich mein Geist mit den Düften der Heiligkeit verbinde
und von allem anderen außer Deiner Erwähnung enthalte.
Eine kurze Erklärung über die Bedeutung der Zahl „9", die vor allen anderen Zahlen heilig ist.
In erster Linie muß man sich darüber klar sein, daß die Hochschätzung eines jeden Namens von den vortrefflichen Eigenschaften des Trägers abhängt. Die Ursache, warum die Namen Gottes hervorragender sind als andere Namen, liegt in der Verwandtschaft der göttlichen Offenbarung. Zum Beispiel ist in jedem Zeitalter, wenn ein Offenbarer Gottes erscheint, dessen Name, gleichviel mit welchem Er sich offenbart, der größte und vornehmste aller Namen. Wie im Mosaischen Zeitalter der Name „Moses" der vornehmste war, so war im christlichen Zeitalter „Christus“ der höchste Name, in Mohammeds Tagen Mohammeds Name, ebenso in den Tagen des Báb dessen Name, und in den Tagen der „Gesegneten Vollkommenheit" ist der Name „Bahá’u’lláh“ der größte aller Namen. Obschon Seine Offenbarung die größte aller Offenbarungen ist und obgleich die vorzüglichsten aller Namen zu der „Gesegneten Vollkommenheit" gehören, hat Er sich selbst den Namen. „Bahá“ gegeben, und infolgedessen ist dieser der größte aller Namen.
Dieser heilige Name wurde in den heiligen Schriften erwähnt, doch wußte niemand, daß er der größte Name ist und Jesaia erwähnt ihn in seinen Büchern an verschiedenen Stellen. Dieser verborgene Name war eines der Geheimnisse der Propheten und jeder derselben übergab ihn oder ein sinnverwandtes Wort kurz vor seinem Hinscheiden seinem Nachfolger. Jesus Christus vertraute Seinen Jüngern diesen Namen unter „Vater“, „Licht“ an; „Licht“ und Bahá sind in mancher Beziehung gleichbedeutend.
Da die Vernunft der Menschen noch nicht die Fähigkeit erreicht hatte, die Bedeutung des Namens Bahá zu verstehen, und die Zeit seiner größten Offenbarung noch nicht erreicht war, gab Christus ihm die Bezeichnung „Licht“, indem Er sagte: „Ich bin das Licht der Welt, wer mir nachfolgt, wird nicht wandeln in der Finsternis", auf daß sie befähigt sein möchten, den Tag der Offenbarung Bahá’u’lláhs zu verstehen.
Dieses Thema enthält ein wichtiges Geheimnis, und das Wort „Licht" bedeutet in persisch und arabisch „Nur“, wie die Geburtsstadt Bahá’u’lláh’s heißt. Bezüglich dieser Tatsache hat Bahá’u’lláh folgendes Tablet geoffenbart: „Wahrlich, Bahá’u’lláh ist Mein Name; Meine Stadt ist Nur." Die Beziehung zwischen dem Worte Nur (d. h. Licht) und Bahá beweist diese gesegnete Tatsache.
Im Zeitalter Mohammeds wurde ein Gebet geoffenbart, welches während der Fastenzeit vor Sonnenaufgang zu beten ist und in dessen Inhalt der Offenbarer bezeugt hat, daß es den größten Namen enthält. Der erste Abschnitt dieses Gebetes lautet wie folgt: „O mein Gott, ich flehe zu Dir durch Dein Bahá mit seinem Abhá, und all Dein Bahá ist Bahi (d. h. erleuchtend). O Gott, ich flehe zu Dir durch all Dein Bahá.“ In demselben Gebete sind viele andere Namen Gottes erwähnt. Der erste Punkt (der Báb) hat im Beyán deutlich erklärt, daß der Verheißene, der Erhoffte mit dem Namen Bahá’u’lláh erscheinen werde.
Bei einer arabischen Berechnung des Zahlenwertes eines jeden Buchstaben, ist die
Zahl des Namens Bahá 9, demnach ist B-2, A-1, H-5, A-1, zusammen 9. Von allen Zahlen
hat die 9 den höchsten Wert. Von den Zahlen von 1—9 ist jede anders, und alle
sind in verschiedenen Formen geschrieben. Darum werden diese Zahlen Einheitszahlen
genannt. Jede über die Grenze der Zahl „9“ hinausgehende Zahl entsteht durch Hinzufügung
einer oder mehrerer Zahlen, also Wiederholungen der einheitlichen Zahlen.
Zum Beispiel, die Zahl 1 wird durch Hinzufügung einer Null zu 10, die 2 wird auf
dieselbe Weise zu 20. Ebenso sind Hunderte, Tausende, Millionen usw. von den neun
Original-Einheitszahlen, unter denen die 9 den höchsten Wert hat und durch Hinzufügung
derselben zusammengesetzt. Folglich hängt die Vollkommenheit der Zahlen in Erreichung
der 9 ab, die alle in dieser Zahl enthalten sind. Deshalb sind alle von dieser
Zahl aufwärts ohne Unterschied ihrer Höhe, nur Wiederholungen der einstelligen
Zahlen, welche in der 9 aufgehen. Darum ist 9 die größte aller Zahlen, denn alle vorherigen
gehen darin auf. Aus diesem Grunde ist ein Name, dessen Zahlenwert 9 ist, der
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größte aller Namen. Denn diese Zahl enthält die Vollkommenheit und Beschaffenheit
aller Zahlen, welche ihr notwendigerweise vorangehen. Ebenso enthält die „Allergrößte
Offenbarung“ in Bahá’u’lláh alle diese Vollkommenheiten, welche die
Offenbarer vergangener Zeiten besaßen, was die Tatsache beweist, daß folgender Bericht
an vielen Stellen offenbart wurde: In Wirklichkeit sind alle Offenbarungen in dieser
„Allergrößten Offenbarung“ enthalten u. aufgegangen; und wer es auch sei, der vor
Ablauf eines vollen Jahrtausends auftritt und Anspruch darauf erhebt, ein Gesandter des
Allmächtigen zu sein, ist ein Betrüger und Lügner.
In den heiligen Schriften haben alle vorhergehenden Offenbarungen übereinstimmend die Offenbarung des Herrn der Heerscharen prophezeit, und den Gott des ganzen Universums, in dem letzten Jahre, d. h. im 19. Jahrhundert des christlichen Zeitalters. Die Berechnungen, welche von den Geschichtsschreibern vergangener Jahrhunderte gemacht wurden, stimmen mit dem zweiten Kommen Christi in diesem Jahrhundert überein. Infolgedessen werden alle Offenbarungen, welche nach der Vollendung von Eintausend Jahren erscheinen werden, der allergrößten Offenbarung untergeordnet sein und als Zweige angesehen werden, gerade wie alle Zahlen von der 9 abgeleitet und alle Einheiten ihr untergeordnet sind. Und weil die Zahl 9 den Wert von sämtlichen Grundzahlen enthält, daher heißt es, daß alle anderen Zahlen von der 9 abgeleitet sind. Ebenso sind die auf die allergrößte Offenbarung — Bahá’u’lláh — folgenden Offenbarungen Ihm untergeordnet.
Die Zahlen von 1—8 werden wie ein Thron der Offenbarung der Zahl 9 betrachtet.
Die 9 am Anfange unserer Niederschriften bedeutet deren Verwandtschaft mit dem Volke des Bahá und diese Zahl wird als Symbol der höchsten Vortrefflichkeit gebraucht. Bezüglich der Anweisung, daß der Größte Name „Alláh’o’Abhá“ jeden Morgen 9 Mal wiederholt werden muß, ist zu sagen, daß dieser Befehl im „Kitab el Akdas“ (dem größten heiligen Buch) steht, damit durch Wiederholung desselben das Herz des Menschen mit dem Lichte Bahá’u’lláhs erleuchtet werde. Fünfundzwanzig ist der Zahlenwert des arabischen Wortes „ulláh“.
Dies ist eine kurze Erklärung des Geheimnisses der Zahl 9. Es ist unmöglich, alle Bedeutungen dieser Zahl niederzuschreiben und zu erklären, wenn auch alle Bäume in Federn, alle Seen in Tafeln, alle Himmel und Erden in Schreibpapier verwandelt würden und alle Menschen während eines Zeitalters des Himmels und der Erde versuchen würden, sie zu beschreiben. In diesen Tagen ist keiner wirklich über die Geheimnisse dieses Namens informiert, außer dem Erklärer des heiligen Buches, dem Ausleger der Verse, dem Mittelpunkt des Bundes, dem Nachfolger der „Gesegneten Vollkommenheit — 'Abdu'l-Bahá —“. (Möge unser Leben ein Opfer für Ihn sein.)
Wir bitten die „Gesegnete Vollkommenheit“, uns alle in Seinem Bunde zu bestätigen und uns vor den Verleumdungen und den Verunglimpfungen der Uebertreter des Bündnisses zu beschützen.
Wahrlich, Er ist der Beschützer, der Helfer, der Großmütige.
An die Freunde im Bahá’i-Büro.
Haifa, 1. Mai 1929.
Meine lieben Freunde!
Im Auftrag von unserem Beschützer möchte ich Euch für Eure liebe und gute Zuschrift und die Grüße danken, die am Ridwán-Fest geschrieben, Eure Unterschrift trug.
Er bittet mich, Euch Seinen herzlichsten Dank und zugleich die Hoffnung auszusprechen, daß dieser freudige Anlaß Euch wieder in der glücklichen Lage sieht, mit noch größerem Eifer der heiligen Sache unseres geliebten Meisters zu dienen. Jeder Tag, der ungenützt dahingeht, ist eine verpaßte Gelegenheit, für die, welche willig die Errichtung Seiner Sache auf Erden auf sich genommen haben und ihr Bestes bei jeder Gelegenheit tun.
Ich möchte Euch Shoghi Effendi’s Anerkennung all der guten Arbeit durch die deutschen Freunde versichern und ebenso seiner Gebete für Euch alle.
Euer aufrichtig Seinem Dienst ergebener
Soheil Afnan.
Meine lieben und teuern Mitarbeiter!
Ich schätze Eure sehr willkommene Botschaft aufrichtigst, und ich möchte Euch auch noch persönlich meiner dauernden Gebete an der heiligen Grabstätte für einen jeden von Euch versichern. In den Ridwán-Tagen trug ich die Freunde in Stuttgart in Herz und Sinn. Ich vertraue und bete darum, daß alle zumal und jedes Einzelne in ihrer Aufgabe fortfahren, zusammenzuarbeiten für die heilige Sache um sich der vielen Segnungen würdig zu erweisen, die unser Geliebter über sie ausgegossen hat.
Euer aufrichtiger Bruder
(gez.) Shoghi.
Ein Tablet 'Abdu'l-Bahá’s nach dem Hingang Bahá’u’lláh’s an alle Freunde.
O ihr Geliebten des Herrn, o ihr meine geistigen Freunde!
Der Herr der Menschheit offenbart folgendes in Seinem Buch der Weisheit, dem Koran: „Wahrlich, der Apostel ist ein gutes Beispiel für euch.“ Das heißt, in seinen Wegen zu wandeln heißt, ein lobenswertes Beispiel anderen zu geben, und den Fußstapfen dieses wahrhaftigen Führers zu folgen, die Erlösung in dieser und in der kommenden Welt zu erlangen. Daher wurden die Nachfolger der Apostel angewiesen, Seinen Weg immerzu und unter allen Umständen zu gehen. Und als eine ganz kleine Anzahl Leute diesen hohen Weg als den richtigen Weg ansahen, sich entschlossen ihn zu gehen, erwuchsen sie zu Fürsten im Land des Erwählten u. zu Königen im Reich des Rechts. Diejenigen aber, die auf ihr Wohlbehagen und Bequemlichkeit schauten, beraubten sich selbst aller göttlichen Gnade, sanken tief in den Abgrund der Verzweiflung und gingen zugrunde. Ihre Tage sind beendet, ihre Freude ist vorüber, ihr heller Morgen ist dunkel, ihr kristallener Kelch ist trübe geworden, ihr aufsteigender Stern ist gefallen, ihr leuchtendes Licht ist erloschen. Aber jene Heiligen, die in Seinem Weg wandelten, sind leuchtend bei dem Morgenanbruch der Herrlichkeit wie die Sterne der Führung aufgestiegen und schienen über die Dämmerungsplätze der Sehnsucht der Herzen in wundervollem und strahlendem Licht. Sie stiegen zum Thron ewigwährender Oberherrschaft auf und wurden zu dem Sitz ewigen Entzückens emporgehoben. Ihre Zeichen sind jetzt offenbar, ihre Lichter brennen, ihr Ziel ist erleuchtet. Ihr siegreiches Gefolge sind die ewigen Heerscharen der Engel in den Höhen, ihre Wohnungen sind nicht zu zerstören, ihre Grundlage ist fest, ihr Licht ist welterhellend, ihre Glut setzt alle Länder in Brand.
Und nun ermeßt und überlegt dies in euren Herzen. Wenn jene Seelen, die diesem strahlenden Licht nachfolgten, die Empfänger solcher gloriosen Gaben wurden und eine so erhabene Stufe erreichten, wie vielmehr werden wir dies erreichen, wenn wir uns aufmachen um zu dienen in den Fußstapfen der Abhá-Schönheit und Seiner Heiligkeit des Erhabenen (möge mein Leben geopfert werden für den, der Martyrium in Seiner Nachfolge erduldete.)
Seine Herrlichkeit der Erhabene ist bei Tag und Nacht, schon von Anbeginn Seiner Offenbarung bis zum Tag Seines glorreichen Martyriums ein Opfer der größten Seelenschmerzen gewesen auf dem Pfad Gottes und bot schließlich Seine geheiligte Brust als einen Schild für viele Pfeile dar, und erhob Sich schließlich aus einem durchlöcherten und gemarterten Leib zum Königreich Abhás.
Die urewige Herrlichkeit, der „Größte Name“ verschmeckte die Bitternis jeden Leides und trank den bitteren Kelch schwerster Bedrückung. Er machte Seine Brust zur Zielscheibe jeden Speerwurfs und hielt Seinen Nacken zum Streich für jedes Schwert bereit. Er wurde in Fesseln und angeschmiedete Ketten gelegt. Er wurde dem Sturm der Feinde ausgesetzt und grausam überfallen von den Gottlosen. Seine Füße wurden in den Stock geschraubt, und Er wurde zu Krummholz und Fesseln verurteilt. Er wurde aus Seinem Heimatland in weite Ferne gebracht und in das Exil in ein fremdes Land verschickt. Im größten Gefängnis erduldete Er qualvolles Herzeleid und war der Gefangene in den Händen der Ungerechtigkeit und Unterdrückung. In diesem schrecklichen Gefängnis, dieser dunklen Höhle hat Er Seine geheiligten Tage beendet, und Er erhob Sich strahlend in Sein Reich.
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Und nun, ihr treuen Freunde, Anbeter dieses leuchtenden Antlitzes, ist es recht und
geziemend, daß wir auch nur einen Augenblick schweigen, daß wir warten und
zögern, Wohlstand und Ruhe suchen und dann ein Opfer der Prüfungen
werden, verwirrt werden, weil wir uns nur mit unseren eigenen Gedanken befassen und
am Irdischen hängen? Nein, bei Gott, es geziemt uns, Tag und Nacht nicht einen
Augenblick zu ruhen, nicht unsere schuldlosen Herzen mit der Entweihung dieser
vergänglichen Welt zu besudeln, sondern vielmehr das Fest der Opferwilligkeit zu bereiten,
freudig am himmlischen Mahl Seiner Liebe teilzunehmen, mit goldener Harfe, mit Laute und
Zimbel den frohen Sang vom Gottesreich anzustimmen und erfüllt von heiliger
Begeisterung zum Kampfplatz des Martyriums zu eilen und unseren Körper, unser
Leben, unsere Seele und alles aufzuopfern.
O Freunde, zeigt eure Treue. O, ihr meine Geliebten, bezeugt eure Standhaftigkeit und eure Beständigkeit! O ihr, die ihr Seinen Namen anruft, wendet euch zu Ihm und haltet fest an Ihm. O ihr, die ihr euer Herz zu Ihm erhebt und um Seine Hilfe fleht, haltet treu zu Ihm und gehet Seine Wege!
Es ist jedem von uns zur Pflicht gemacht einander zu festigen und zu ermutigen und unser äußerstes Bemühen aufzubringen, Seine heiligen Düfte zu verbreiten und uns mit dem Hochhalten Seines Wortes zu befassen. Wir müssen allezeit von dem Zephir, der aus dem Rosengarten Seiner liebevollen Güte weht, bewegt sein und mit dem Duft der geheimnisvollen Blumen Seiner Gnade durchduftet sein! Wir müssen einen Aufruhr der Sehnsucht in den Herzen der Gerechten erwecken und die Brust der rechtlich Denkenden aufrühren und entzücken.
Gott sei gelobt, die siegreichen Heerscharen des Gottesreichs steigen hernieder, die Sterne des Morgenanbruchs aus der Höhe scheinen herab, und die Fahne der göttlichen Führung flattert. Die göttlichen Regen Seiner zarten Fürsorge strömen herab und das Tagesgestirn Seiner Gnade leuchtet sichtbar vom Firmament der Herrlichkeit.
Die Freudenbotschaft des Herrn ist freudvoll gefeiert im Reich Gottes, das Frühlicht Seiner Gnade und Führung bricht sich Bahn in allen Ländern.
Der mächtige Ruf, den die himmlischen Heerscharen erheben, ertönt vom Reiche Abhás:
„Belebe dich und komme zum Leben, du Toter und Geistloser, du, der du versunken bist in Staub und Erde, erwache und sei achtsam! O du Empfindungsloser, Gedankenloser und Betörter, wirf deine Gleichgültigkeit ab, denn wisse, das Weltall ist durchduftet von Ambra, aller Augen sind getröstet und die Flamme Seiner Offenbarung hat die Welt erleuchtet.
Vergiß, vergiß dich selbst und alles, was in dir zur Erde drängt! Es ist die Zeit der Selbstaufopferung, es ist die Zeit, die Düfte der Gnade einzuatmen, es ist die Zeit, das Göttliche Mysterium zu erklären.
O sei du, sei du der Führer Seines kühnen Heeres von Anbetern! Der geheimnisvolle Vogel jubiliert seine süßen Weisen auf dem geheiligten Zweig, lausche ihm und sei eingeweiht in die göttlichen Mysterien!“
Die geheimnisvollen Mächte der Kultur.
In persischer Sprache von einem hervorragenden Bahá’i-Philosophen geschrieben und von Johanna Dawud ins Englische übersetzt, deutsch von Karl Klitzing, Schwerin (Meckl.). Fortsetzung.
„Nach der arabischen Geschichtsschreibung nahm in der Zeit vor dem Auftreten des Propheten (Friede sei auf ihm!) Naaman Ibn Mazar Lakhmi, einer der heidnischen arabischen Könige, dessen Thron in der Stadt Hera stand, eines Tages so viele starke Getränke zu sich, daß er nicht mehr seiner Sinne mächtig, und seines Verstandes vollständig beraubt war. Im Zustande solcher Trunkenheit und Besinnungslosigkeit gab er den Befehl, Khaled Ibn Muzlel und Omar Ibn Mas’oud Kaldah, zwei seiner bevorzugten und vertrauten Freunde, hinzurichten.
Als er seiner Sinne wieder mächtig war, fragte er nach ihnen, und es wurde ihm gesagt,
was geschehen war, nämlich, daß er das Todesurteil über sie ausgesprochen hätte.
Tiefste Traurigkeit befiel ihn, und sein Herz war gramerfüllt. Um der großen Liebe
und Freundschaft willen, die er für diese beiden empfunden hatte, ließ er zwei große
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Bauwerke neben ihren Gräbern errichten.
Zur Erinnerung an diese zwei Männer setzte er zwei Tage im Jahre fest, von denen der eine der Tag des Zornes und der andere der Tag der Gnade benannt wurde, an denen er mit großem Prunke kommen und zwischen den beiden Bauwerken sitzen wollte. Am Tage des Zornes kam niemand, der in seinen Gesichtskreis trat, mit dem Leben davon; er wurde unbarmherzig getötet. Am Tag der Gnade jedoch sollte jeder, der hinzukam oder sich mit einer Sendung dem Könige nahte, Gunstbezeugungen und Geschenke erhalten. Dieses Gesetz und dieser Brauch wurden streng befolgt.
Eines Tages brach der König, auf einem Pferde mit dem Namen „Favorit“ reitend, in die Umgegend zur Jagd auf. Da sah er in der Ferne eine Antilope. Um sie zu jagen, spornte er sein Pferd zur größten Eile an, bis er seine Jagdgesellschaft und sein Gefolge weit hinter sich gelassen hatte.
Die Sonne war untergegangen, und immer war es ihm noch nicht geglückt, das Wild zur Strecke zu bringen.
Als er sich voll Enttäuschung zur Heimkehr wandte, gewahrte er in weiter Ferne ein Zelt und beschloß, sich dorthin zu wenden.
Am Eingang der Behausung fragte er: „Nimmst Du einen Gast auf?“
Der Eigentümer des Zeltes, dessen Name Hanzalah Ibn Abi Ghofra von Tâcy war, antwortete: „Ja“, kam heraus, half ihm absteigen und empfing ihn freudig, indem er zu seiner Frau sagte: „Dies ist allem nach ein vornehmer Mann. Bereite ein Gastmahl. Tue Dein Bestes für seine Bewirtung. Setze ihm das Beste vor, das Du hast.“
Die Frau antwortete: „Wir haben ein einziges Schaf; schlachte dies, indessen ich das wenige Mehl hole, das ich für ein besonderes Fest aufbewahrt habe.“
Hanzalah molk das Schaf, brachte eine Schale mit Milch und bot sie dem Gast an. Darauf schlachtete er das Tier und bereitete ein schmackhaftes Mahl für ihn zu.
Naaman brachte dank der Gastfreundschaft, der Güte und der Aufopferung seines Wirtes Hanzalah die Nacht gut zu.
Als der Morgen heraufdämmerte, dachte Naaman an seine Rückkehr und rief Hanzalah herbei, und sagte ihm: "Du hast mir die aufrichtigste Gastfreundschaft und die größte Hochachtung durch Deine Bewirtung bewiesen. Ich bin Naaman Ibn Manzar Lakmi. Ich würde mich freuen, Dich wiederzusehen, um Deine große Gastfreundschaft zu belohnen.“
Lange Zeit verging, bis eine große Hungersnot über die Gegend von Tâcy hereinbrach, und Hanzalaah in große Not geriet.
Er entschloß sich, den König aufzusuchen und kam durch einen besonderen Zufall am „Tage des Zornes“ vor Naaman.
Der König fühlte sich beunruhigt und tadelte ihn mit den Worten: „Warum hast Du die Nähe Deines Freundes an dem „Tage des Zornes“, der ein verhängnisvoller Tag ist, aufgesucht? Wenn meine Augen heute meinen einzigen Sohn Kabies erblickten, wäre es um sein Leben geschehen. Jetzt trage vor, was Du willst!“
Hanzalah antwortete: „Ich weiß nichts vom „Tag des Zorns“. Aber irdische Dinge sind nur für das Leben und die Lebenden, und da es jetzt bestimmt ist, daß ich aus einem tödlichen Becher trinken soll, von welchem Nutzen könnten mir alle guten Dinge der Erde dann noch sein?
Naaman sagte: „Es gibt keinen Weg, die Verordnung aufzuheben!“
Darauf Hanzalah: „Gewähre mir eine Frist, damit ich zu meiner Familie zurückkehren und meinen letzten Willen aufsetzen kann. Am „Tage des Zorns“ im nächsten Jahre will ich wieder vor Euch erscheinen.
Naaman forderte von ihm einen Bürgen, damit, wenn er sein Versprechen bräche, der Bürge an seiner Stelle hingerichtet werden könnte.
Hanzalah sah sich ängstlich um, ob sich wohl jemand finden würde, der gewillt wäre, für ihn Bürge zu sein, bis seine Augen auf Shareck Ibn Amr Ibn Quais Schaibani, einen Diener von Naaman, fielen und äußerte seine Gedanken in Versen:
„O Shareck! O Sohn von Amre!
Kann ich vielleicht dem Tode entrinnen?
O Bruder aller Geplagten!
Sei hierüber nicht im Zweifel!
O Bruder! Das Vertrauen Naaman’s ist mit Dir.
Dies ist der Tag, für den Scheich Bürge zu sein,
Dem Sohne von Shaiban, dem Edelmütigen.
Die Gnade des Allwissenden ‚macht den Weg leicht.“
Shareck antwortete: „O Bruder! Ich habe nicht den Mut, mein Leben aufs Spiel zu setzen.“
Der unglückliche Hanzalah war bestürzt und enttäuscht.
Dann trat ein Mann, namens Quarad Ibn Aidaa Kalbey vor, der sich erbot, Bürge mit der Bedingung zu sein, daß, wenn sich Hanzalah am "Tage des Zornes“ im folgenden Jahre nicht stellte, er selbst bereit sei, zu erdulden, was auch immer der König befehlen würde, daß geschehen sollte.
Daraufhin machte der König an Hanzalah ein Geschenk von fünfhundert Kamelen und schickte ihn weg.
Am „Tage des Zornes“ im darauffolgen Jahre, als die erste Morgendämmerung sich am Horizont des Ostens erhob, begab sich Naaman, wie gewöhnlich, mit großem Pomp nach den beiden Gebäuden namens Gharijan. Er führte Quarad mit sich, damit er als das Opfer seines königlichen Zornes hingerichtet werden möchte.
Die anwesenden Höflinge baten für den Bürgen um eine Frist bis zum Abend, bis zu welcher Zeit Hanzalah immer noch zurückkehren konnte. Es war jedoch die Absicht des Königs, diesen vom Tode zu erretten, da er Zuneigung zu Hanzalah empfand, und den Bürgen an seiner Statt hinrichten zu lassen.
Er wartete jedoch Bis zum Abend. Als Quarad bereits entkleidet war und seine Enthauptung vollzogen werden sollte, wurde plötzlich in weiter Ferne ein Reiter sichtbar, der in größter Eile herangallopierte. Naaman sagte zu dem Scharfrichter: „Was zögerst Du?“ Seine Minister erwiderten: „Vielleicht ist dieser Reiter Hanzalah selbst!“
Als dieser näher kam erkannte man in ihm Hanzalah von Tâcy. Naaman war über sein Kommen ungehalten und redete ihn also an: „O Du Narr, der den Krallen des Todes entkam, warum gibst Du Dich diesen wieder preis?“
Hanzalah antwortete: „Wisse, o König, daß die Treue zu meinem Versprechen mir das bittere Gift des Todes versüßt.“
Naaman antwortete: „Was war der Anlaß für Deine Treue und wieso hattest Du die Absicht, Dein Wort zu halten?“
Hanzalah erwiderte: „Ich glaube an die erhabene Einheit Gottes und an die Bücher, welche vom Himmel kamen!“
Dann fragte ihn Naaman: „Welcher Religion gehörst Du an?“
Hanzalah antwortete: „Ich bin durch den Odem von Christus belebt, und ich wandle auf dem rechten Pfade, auf dem Wege des Geistes Gottes (Jesus Christus).“
Naaman sagte zu ihm: „Blase den heiligen Odem des Geistes Gottes auch mir ein!“
Hanzalah nahm die Weiße Hand der Führung*) aus dem Busen von Gottes Liebe hervor, indem er das Licht des Evangeliums vor den Augen und dem Urteil der Anwesenden leuchten ließ.
Als Hanzalah zu ihnen über seine Religion gesprochen und Worte des Evangeliums angeführt hatte, wandten sich Naaman und seine Minister von ihren Götzen und ihrem Götzendienst ab und bekehrten sich aufrichtig zur göttlichen Religion und blieben standhaft darin, sie bedauerten tief, daß sie bis dahin von solch einer unendlichen Güte nichts gewußt hatten und dadurch der unaussprechlichen Barmherzigkeit Gottes so lange beraubt gewesen waren!
*) Von Moses wird bei einer Gelegenheit gesagt, daß er, um den Israeliten seine Macht zu zeigen, seine rechte Hand aus seinem Gewande hervorgezogen hat. Sie war weiß wie Schnee, und der Mond widerspiegelte sich klar in ihr. „Die weiße Hand der Führung hervorzunehmen“, bedeutet, eine übernatürliche Kraft zu beweisen, um dadurch das Volk zu führen. Vergl. Koran XXVIII, 32.
Die beiden Gebäude wurden niedergerissen, und indem sie ihre Grausamkeit und
Bedrückung bereuten, schafften sie die Grundlagen zu Gerechtigkeit und zur Rechtsprechung.
Denkt über dieses Wunder nach, daß ein Landbewohner, ein unbekannter, ein einfacher Mann, nur weil er Reinheit und Aufrichtigkeit besaß, einen gerechten König und eine große Menge Volkes durch sein Verhalten aus der Nacht des Irrtums errettete und sie zu dem Lichte des Morgens der Führung leitete, sie aus der Wüste des Verderbens und Götzendienstes löste und sie zu dem Ufer des Sees der Göttlichen Einheit führte! Er war das Werkzeug in der Hand Gottes zur Aufhebung eines grausamen Gebrauches, welcher eine Schmach für die Menschheit und aller Zivilisation verderblich war.
Viel Nachdenken und Sinnen ist dringend erforderlich, und viel Weisheit und Erkenntnis
ist dazu nötig. Mein Herz schmerzt und ist kummervoll, weil ich sehe, daß das Volk
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seine Sorgfalt und Kraft nicht dem zuwendet, was heute doppelt wertvoll ist. Die Sonne
der Wahrheit scheint über die ganze Erde, und wir werden immer noch durch die
Dunkelheit unserer Selbstsucht ihrer beraubt. Der große Ozean wogt um uns her,
und wir sind verdurstet, vertrocknet und matt. Das Göttliche Manna ist vom Himmel
der Einheit herabgekommen, und dennoch gehen wir irre und sind verwirrt. Wie können
wir dieser Hungersnot entrinnen?.
„Ich bin zwischen Reden und Klagen stille!“
Eines der hauptsächlichen Hindernisse zur Annahme der Göttlichen Religion (d. h. der Bahá’i-Lehre) durch die Völker anderer Religionen ist die bestehende Scheinheiligkeit und gottferne Halsstarrigkeit. Erwäget zum Beispiel, daß der göttliche Ruf an den Propheten war: „Führe die Menschen mit Weisheit und milden Ermahnungen auf den Pfad Deines Herrn und verhandle mit ihnen in der freundlichsten Weise (Der Koran). Also wurde ihm befohlen, zu Allen ergeben und gütig zu sein.
Demnach wirft „der gesegnete Baum der Prophezeiung (Mohammed), der weder für den Osten noch für den Westen allein ist“, den Schatten der „Unendlichen Güte“ auf die Häupter aller Menschen der Welt und geht mit der größten Milde des Herzens und mit gewohnter Güte seine Wege.
Ebenso war den Propheten Moses und Aaron (Friede sei mit beiden!), als sie Pharao, ihren Gebieter, anredeten und tadelten, befohlen: „Sprechet zu ihm sanfte Worte. Vielleicht wird er dann erkennen und glauben.“
Trotz des Rufes der erhabenen Propheten und der Heiligen — welche, wenn ihre Gebote ehrlich befolgt würden, in jeder Hinsicht ein schnellhelfendes Mittel wären, vollendete Güte unter die Menschheit zu bringen, schätzen manche Menschen ein Beispiel solch edler Empfindungen, und solcher außerordentlichen Güte sehr gering ein. Sie sind weit davon entfernt, den Geist der heiligen Bücher Gottes zu verstehen, und meiden den Verkehr mit Personen anderer Religionen. Sie beobachten solchen gegenüber nie die alte übliche Höflichkeitszeremonie und halten ihre Anwendung für ungesetzlich.
Wie kann es bei einem solchen Mangel an Innigkeit und Sanftmut möglich sein, eine Seele aus der tödlichen Finsternis der Ablehnung zu führen und sie mit dem hellen Morgen des Glaubens zu erleuchten? Oder einen Menschen anzuspornen und zu ermutigen, aus den Tiefen der Unwissenheit und der Widersetzlichkeit zu dem erhabensten Horizont der Kenntnis Gottes und aus der Unwissenheit zur Seligkeit emporzusteigen?
Laßt uns jetzt mit den Augen der Gerechtigkeit betrachten, daß wenn Hanzalah nicht mit ganzer Ljebe und Aufrichtigkeit, Freundlichkeit und Gastfreundschaft gegen Naaman Ibn Manzar verfahren wäre, er vermutlich nie das Werkzeug der Führung und Leitung jenes Königs und jener großen Menge Götzenanbeter zum Glauben an die Einheit Gottes hätte werden können.
Vom Werden des Reiches Gottes auf Erden.
Wir leben in einer großartigen Zeit. Wir müssen dies glauben allen Pessimisten zum Trotz. Jahrhundertelang hat die Menschheit im Vaterunser gebetet: „Dein Reich komme“ und nun leben wir in der Zeit, da dieses von den Menschen im heiligsten der Gebete erflehte Reich Gottes auf Erden verwirklicht wird.
Vergebens behaupten die Menschen, dieses Reich Gottes sei transcendental, sei nicht von dieser Welt. Nur im Jenseits dürften wir hoffen, die Merkmale erfüllt zu sehen, die man an das verheißene Reich Gottes knüpft. Diese Merkmale finden wir an vielen Stellen der Bibel verzeichnet. Da aber an den in Betracht kommenden Bibelstellen die Zeit vom Kommen des Reichs Gottes auf Erden auch ausgedrückt wird als die Zeit des Endes, als der jüngste Tag, hat man in der Christenheit geglaubt, daraus schließen zu müssen, daß das Kommen des Reichs Gottes auf Erden identisch sei mit dem Untergang der sichtbaren Welt. Weil aber das Jenseitsleben der Menschen logischerweise die ununterbrochene Fortsetzung des Diesseitslebens ist, so hätte die Vernichtung der Welt ja gar keinen Sinn. Jede neue Manifestation gilt für alle im Himmel und auf Erden, wie sich auch Bahá’u’lláh im Tablet Ischrakat an alle im Himmel und auf Erden wendet. Nein, die Sache liegt folgendermaßen:
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Wie alle Propheten, so hat auch Jesus Christus die Menschen seines Zeitalters darauf
hingewiesen und ermahnt, auf die Erscheinung einer weiteren Manifestation zu warten. „Wenn
aber er, der Geist der Wahrheit, kommt... usw.“ Nun haben aber die Menschen seines Zeitalters
diese Manifestation gar nicht erlebt, wenigstens nicht auf Erden. Es gilt aber für sie geradeso
wie für uns, die wir Ihn (Bahá’u’lláh) erlebt haben, da sie ja in der Ewigkeit weiterleben und
Bahá’u’lláh sich auch im andern Reich manifestiert hat. Dadurch werden viele Zweifel und
Unklarheiten beseitigt, wenn man sich dies vergegenwärtigt. Die Seelen im andern Leben
begegnen Gott auch in der Manifestation, und zwar in der gleichen wie auf Erden.
Die in der Bibel für das Reich Gottes aufgestellten Merkmale sollen sich auf dieser Welt nicht verwirklichen lassen! Nun, wir als Bahá’i sehen an Hand der Prinzipien von Bahá’u’lláh heute die Verwirklichung dieser Ideale, der Aufrichtung des Reiches Gottes auf Erden, vor unsern leiblichen Augen sich vollziehen. Warum aber wollen es die Menschen noch nicht wahrhaben? Warum glauben sie nicht an das Kommen des Reiches Gottes auf Erden? Was hindert sie daran? Es sind einerseits die überkommenen Vorurteile vom jüngsten Tag, die dem heutigen aufgeklärten Menschen nichts mehr sagen können, die er, weil sie mit seinem Verstand nicht mehr in Einklang stehen, verwerfen muß. Ferner können die Menschen nicht mehr an die Dogmen glauben, und damit verwerfen sie, da sie die Religion mit diesen Dogmen identifizieren, die Religion überhaupt. Dann kommt hinzu die gewissermaßen ganz natürliche Entwicklung in der Religion: In jeder Religionsperiode gibt es eine Morgendämmerung, einen Mittag und einen Abend. Und ganz zweifellos und anerkanntermaßen leben wir heute am Abend einer Religionsperiode, wenn nicht schon in einer neuen Morgendämmerung.
Im Heiligen Buch der Gewißheit drückt sich Bahá’u’lláh darüber folgendermaßen aus;
„Was die Worte betrifft: „Die Sonne soll ihren Schein verlieren und der Mond soll aufhören zu leuchten, und die Sterne sollen vom Himmel fallen“: Die Bedeutung von „Sonne“ und „Mond“, die in den Worten der Propheten enthalten ist, ist nicht abgestellt auf die wirkliche Sonne und den wirklichen Mond, welche sichtbar sind; o nein, sie haben mit „Sonne“ und „Mond“ mancherlei Bedeutungen ausdrücken wollen. In jedem Fall haben sie eine bestimmte Bedeutung im Auge, zu der das Bild absolut paßt. Z. B.: eine Bedeutung von der Sonne ist die „Sonne der Wahrheit“, welche vom Ort des Anbruchs der Präexistenz heraufdämmert und ihre Gaben allen Graden der Schöpfung zukommen läßt. Diese Sonnen der Wahrheit sind die universalen Manifestationen der Gottheit in der Welt ihrer Attribute und Namen. Wie nach dem Befehl des wirklich Angebeteten die Entwicklung der materiellen Dinge, wie Früchte, Bäume, Farben, Minerale und was sonst in der sichtbaren Welt existiert, mit Hilfe der sichtbaren Sonne vor sich geht, so treten die Bäume der Einigkeit, die Früchte der Einheit, die Blätter der Loslösung, die Blüten der Erkenntnis und der Sicherheit und die Myrten göttlicher Weisheit und Aeußerung in Erscheinung durch die Macht der geistigen Sonnen. Deshalb wird, wenn diese Sonnen sich erheben, die Welt erneuert, die Bäche des Lebens fließen, die See der Wohltätigkeit bewegt sich, die Wolken der Gnade bilden sich, und die Lüfte der Gaben wehen über den Tempeln der Wesen. Durch die Hitze dieser göttlichen Sonnen und geistigen Feuer wird das Feuer der Liebe zu Gott in den Pfeilern der Welt hervorgerufen, und vermöge solcher losgelösten Geister wird der unsterbliche Geist des Lebens den sterblichen Körpern verliehen.“
...In einem andern Sinn werden die Worte „Sonne“, „Mond“ und „Sterne“ verwendet für
die Verordnungen und Vorschriften, die in jeder Religion gegeben sind.... Da in jeder späteren
Manifestation die aufgestellten, scheinenden, klaren und bestimmten Zeremonien, Gebräuche, und
Anweisungen der vorhergehenden Manifestation abgeschafft werden, bezeichneten sie sie in symbolischer
Weise mit den Namen „Sonne“ und „Mond“... Es ist gewiß, daß während der Zeit
der nachfolgenden Manifestation die Sonne der Lehren, Gebote, Verordnungen und Verbote, die
für die vorhergehende Manifestation galten die „Sonne“ und der „Mond“ der Lehren und
Befehle, unter welchen das Volk des betr. Zeitalters erleuchtet und geführt wurde — verdunkelt wird,
d. h. ihr Einfluß und ihre Wirksamkeit dahinschwinden. Jetzt bedenke, hätte das
Volk des Evangeliums den Sinn von „Sonne“ und „Mond“ verstanden, oder hierüber bei dem
Offenbarer der göttlichen Weisheit nachgeforscht, ohne Widerspruch oder Widerspenstigkeit,
so wäre seine Ansicht darüber mit Notwendigkeit klar geworden, und es wäre nicht in der Finsternis
des Egoismus und der Begierden befangen geblieben. Ja, weil sie die Erkenntnis nicht
erforschten nach ihrem Untergrund und ihrem Ursprung, kamen sie um in dem verhängnisvollen
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Tal des Unglaubens und des Irrtums und wurden noch nicht gewahr, daß alle die Zeichen sich
erfüllten und die verheißene Sonne am Horizont der Manifestation dämmerte, während die Sonne, und
der Mond der früheren Wissenschaften, Verordnungen und Lehren sich verfinsterte und unterging...
...Auf gleiche Weise fasse an Hand dieser klaren, festen, wohlbegründeten und sinngerechten Erklärungen das „Zerreißen der Himmel“ auf, das eines der Zeichen von der Stunde der Wiederkunft ist, wie gesagt ist: „Wenn der Himmel wird auseinandergespalten werden" (Koran S. 82). Hierunter ist gemeint, der Himmel der Religion, der während einer jeden Ausgießung aufgerichtet und bei der nachfolgenden Manifestation auseinandergespalten, d. h. aufgehoben und zunichte gemacht wird. Ich sage euch, daß für jemand, welcher achtsam darüber nachdenkt, es sich bei dem Auseinanderspalten dieses Himmels um etwas Größeres handelt, als wenn der wirkliche Himmel sich spalten würde. Ueberlege ein wenig: da ist eine lange, bestehende Religion, unter der alle aufwuchsen und sich entwickelten, durch deren strahlende Verordnungen sie sich haben für lange Perioden leiten lassen; von ihren Vätern und Vorvätern haben sie nichts gehört als die Erwähnung von ihr, so daß ihre Augen nichts sehen als die Befolgung ihrer Gebote und ihre Ohren nichts hören als nur ihre Verordnungen; und dann erscheint nachher einer, und trennt und sondert all dies durch göttliche Macht und Kraft ab, nein vielmehr, hebt es auf. Ueberlege, ob dies nicht von grösserer Bedeutung ist, als das, was sich diese wertlosen Geschöpfe unter Zerreißen des Himmels eingebildet haben.
Ebenso ist zu verstehen die Bedeutung von der „Veränderung der Erde“. Auf welche Herzen immer die Wolken der Gnade dieses Himmels den Regen der Wohltaten herniederströmen ließen, ward die Erde dieser Herzen verändert in die Erde der Erkenntnis und Weisheit... Nein, mit „Erde“ ist gemeint die Erde der Erkenntnis und Weisheit; und mit „Himmel“ die Himmel der Religionen. Betrachte, wie Er die früher ausgebreitete Erde der Erkenntnis und Weisheit mit der Hand der Macht und Herrschaft regierte, und wie er eine neue und unvergleichlich schönere Erde in den Herzen der Diener erbaute, welche neue Myrten, wundervolle Blumen und hohe Bäume in ihren strahlenden Herzen aufgehen ließ. Gleicherweise betrachte, wie die Himmel der vorher geltenden Religionen zusammengerollt werden in der Rechten Hand der Macht, wie der Himmel des Beyan sein Banner hoch erhoben hat durch den Befehl Gottes und geschmückt wird mit der Sonne, dem Mond und den Sternen wundervoller und neuer Verordnungen.
Und die Menschen, die noch an die Religion glauben, was glauben diese? Doch nur das, was ein gewisser Kreis vor ihnen auch schon geglaubt hat. Wenn etwas Neues kommt, das die jeweils geltenden Autoritäten nicht auch glauben, so wird das Neue eben einfach nicht angenommen. Leute, die von sich aus, ohne Vordermänner, etwas zu glauben wagen, auf Grund eigenen Urteils, sind selten. Ich glaube, daß es gerade dieser Glaube, der Glaube, ohne von Autoritäten gestützt zu sein, ist, der selig macht, und den der Apostel meint. Ein Hindernis für den Glauben ist vielfach auch die Furcht, einen Teil seiner eigenen Individualität zu verlieren, wenn man etwas Neues glaubt und annimmt. Es ist ja richtig, daß man zuerst etwas von sich hergeben muß, wenn man etwas Neues glauben soll, aber man bekommt noch mehr dafür geschenkt und die Individualität bleibt unangetastet, wenn sie nicht noch verstärkt und vertieft wird.
Wir hörten vorhin, daß wir heute anerkanntermaßen am Abend der alten Religionsperiode — wir wissen, daß es schon die Morgendämmerung der neuen ist — leben. Die Menschen fühlen selbst, daß etwas geschehen muß, um das völlige Einbrechen der Nacht zu verhüten. Denn zu was benötigt man sonst Weltkonzile, um sich zum wahren Geist von Christi Lehre durchzufinden? Man will wohl, getrieben vom Geist Bahá’u’lláhs, etwas tun, aber es darf nicht viel kosten, man darf dann vom Eigenen nicht zuviel aufzugeben brauchen. O arme Menschheit, warum nicht einfach und klar zurück zur Lehre Jesu? Ja, dies versucht man, aber es ist aus bestimmten Gründen vergeblich.
Ein anderes Bild, aus dem hervorgeht, daß man sich keinen Rat aus der Religion mehr holen kann oder holen will. Auf dem württ. Landeskirchentag führte am 19. 6. 28 der Abgeordnete Fischer u. a. aus (Staatsanz. Nr. 142):
„Die Kirche wisse freilich die Lösung der schweren wirtschaftlichen Fragen nicht, trotzdem dürfe sie nicht mit ihrer eigenen Arbeit zuwarten. Die Lösung der Gegensätze im Volksleben können nicht auf dem Wege des Kampfes gegen ein Wirtschaftssystem erreicht werden, sondern nur auf dem Wege der Umwandlung der Herzen.“
Wenn man die Grundsätze des Evangeliums mehr beachten würde, dann müßte die
Lösung der wirtschaftlichen Gegenwartsprobleme
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nicht schwer fallen. Man würde wohl bald zu der Einsicht gelangen, daß das Evangelium
nach den Worten Jesu gar nicht für alle Zeiten gelten soll, sondern daß Jesus selbst eine Zeit
verheißen hat, in der Einer kommen wird, der die Menschen in alle Wahrheit leiten wird.
Wenn man aus dem Evangelium nicht mehr die Kraft schöpfen kann, in die Gegenwartsprobleme
im Sinne des Willens Jesu Christi einzugreifen, der verlangt, den Nächsten zu lieben, wie
sich selbst, dann gesteht man ja zu, daß es Abend geworden ist, daß für die Gegenwart eine neue
Kraftquelle notwendig ist, aus der heraus die Menschen wieder mit göttlichem Geist erfüllt
werden und die wahren Ziele der Menschheit erkennen können. Wir Bahá’i wissen, daß uns
Bahá’u’lláh diese neue göttliche Kraftquelle erschlossen hat. Hier finden wir die Lösung der
„schweren wirtschaftlichen Fragen der Gegenwart“. Wir sehen, wie notwendig es ist, daß die
Menschen auf dieses Heilmittel hingewiesen werden.
Es ist Abend geworden, oder besser, es ist schon Nacht, nein, auch die Nacht ist schon längst vorüber! Schon dämmert der neue Tag! Schon wirft, wie Dr. Esslemont so poetisch sagt, die neue Sonne ihre Strahlen auf die Gipfel der höchsten Berge, schon ist die Sonne im Begriff, höher und höher zu steigen und wird in kurzer Zeit ihre Strahlen auch in die tiefen Täler werfen und allen noch von der Nacht her sitzen gebliebenen Rauch und Nebel zerstreuen!
Deswegen leben wir in einer großen Zeit. Mag die Zeit in materieller Hinsicht noch so schwer
sein für den Einzelnen, so haben wir vor den Menschen anderer Zeitalter doch etwas voraus:
wir dürfen zuschauen, wie sich Gottes Wille, von dem wir durch den Mund unseres Herrn
Bahá’u’lláh Kenntnis haben, über alle Welt ausgießt und sich durchsetzt, wie er alle Schranken
im menschlichen Willen niederreißt, wie er die sich Wehrenden zermalmt! Wir schauen wie auf
einer Schaubühne zu, wie überall neue Ansätze sich entwickeln, wie überall neues Leben sprießt
und wie sich in diesen neuen Ansätzen für das kundige Auge klar und immer klarer das Weltbild
herausschält, das uns Bahá’u’lláh in großartigen, göttlichen Meisterstrichen vorgezeichnet
hat. Für die Mitmenschen ist es aber keineswegs klar, diese wissen nicht, wohin die Reise
gehen soll, sie stehen staunend vor all dem Neuen und wünschen, auf dem guten Alten, das ihnen
bekannt ist, stehen zu bleiben, weil ihnen das Neue ein gewisses Grauen einflößt wie eine
Reise in ein unbekanntes Land.
Daß dem so ist, daß das Gefühl des Unbehagens über die ins Auge stechenden Aenderungen vorhanden ist, bestätigt Lic. Waldenmaier von Stuttgart in einem Aufsatz über: „Die Krisis der Religion“ (Morgenausg. Stuttg. Neues Tagblatt v. 3.7.28). Dieser Aufsatz beginnt mit den Worten:
„Die vielgebrauchte Redensart von der Krisis der Religion pflegt von entgegengesetzten Gefühlen begleitet zu sein, vom Gefühl der Genugtuung bis zu dem der Unsicherheit und Angst. Zunächst sagt aber das Wort Krisis nichts über den Ausgang der Krisis...“
Immerhin, die Menschen merken einen neuen Zug in der Zeit! Am 28. März 1928 lesen wir im Stuttg. Neuen Tagblatt in einem Aufsatz des Religionsprofessors Karl Heim in Tübingen als Gedanken eines andern Gelehrten:
„Die bürgerliche Geistes- und Gesellschaftslage, die bisher geherrscht haben, war die der in sich ruhenden Endlichkeit. Heute stehen wir mitten im Zusammenbruch dieser Geisteslage.“
Professor Heim selbst schreibt:
„Auch hier sehen wir, das moderne Geistesleben nähert sich ungewollt der Geisteslage, die beim Untergang der Antike vorhanden war, also in der Zeit, in der die Botschaft von Christus in den großen Städten so schnell verstanden wurde. Ganz intolerant, ganz absolut forderte Christus zur Nachfolge auf;... Aber gerade das machte Eindruck. Denn man dürstete damals wie heute nach Einem, der befehlen darf.“
Nun, daran fehlt es auch heute nicht! Bahá’u’lláh hat klar und eindeutig und wahrlich eindringlich genug seine Befehle in die Menschheit geworfen.
Daß die sich vollziehenden Aenderungen in ihrem wahren Wesen erkannt werden, geht auch aus dem weiteren Verlauf des bereits oben zitierten Aufsatzes von Lic. Waldenmaier hervor:
„In Wirklichkeit ist die Lage heute so, daß die Religion weniger als noch vor zwei Jahrzehnten von der Wissenschaft sich bedroht zu fühlen braucht. Die Naturwissenschaft erkennt heute deutlich ihre Schranken und die Unmöglichkeit, mit ihren Mitteln die Welt des Unsichtbaren, Geistigen zu erschließen. Das Weltbild der in sich ruhenden Endlichkeit ist in allen seinen Grundlagen erschüttert...
... Trotzdem ist die Krisis der Religion da. Denn die Religion schwebt nicht über der Erde,
sie ist verwurzelt und verwachsen mit der ganzen Kultur. Tatsächlich stehen wir heute
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in einer Kulturkrisis stärksten Grades, und das Erdbeben, das über die Seele der
Menschheit gekommen ist und alles in Frage stellt, verspüren wir Deutsche ohne
Zweifel am heftigsten...
...Es gibt für den protestantischen Menschen keine Zuflucht in irgend ein unerschüttertes Reich der Religion, sondern nur eine Zuflucht zu Gott selbst, der in Seinem Wort uns anspricht. Die Krisis der Religion wird also hier zu einer Krisis im radikalsten Sinn, zum Gericht Gottes, das über den ganzen Menschen, über seine Religion und seine Kultur ergeht...
... Das Wort, das von Gott, dem Schöpfer herkommt, muß über das ganze Leben, über Gesellschaft, Wirtschaft und Staat als das Richtende und damit zugleich Richtung, Ordnung und Sinn gebende gesprochen werden. Der Protestantismus erhofft so von der religiösen Krisis, die er als Gericht Gottes über die Religion radikal bejaht, für die evangelische Kirche neue Klarheit über ihren Auftrag und neue Kraft zum Vorstoß in eine Welt, die er hoffnungslos der Ziellosigkeit und der Zersetzung preisgegeben sieht, wenn sie nicht mehr das Wort von Gott her hört.“
Sehr interessant für unser heutiges Thema ist die weitere Stelle, die sich in einem Aufsatz im „Badischen Beobachter“ (Hauptorgan der Bad. Zentrumspartei) vom 8.5.28 unter der Ueberschrift „Vexilla regis. Prot. Friedensarbeit“ findet:
„Die entscheidende Frage des Theologen nach einer Dokumentation des göttlichen Willens zur Frage der Abrüstung beantwortete Titius (Konsistorialrat Prof. Dr. Titius, Berlin) positiv, um dann aus diesem Gotteswillen auch die Forderung unbedingten Gehorsams und die ganz besonders wichtige, heute so selten und von vielen so ungern gehörte Unterwerfung des Staats unter den Willen der Gottheit abzuleiten. Auch die deutliche Abkehr der Völker vom kriegerischen Geist der alten Zeit, die völlige Veränderung des Kriegs durch die Technik, die in Millionen wach gewordene Sehnsucht nach Frieden sind nach der Bewertung von Titius Erscheinungen göttlicher Lenkung der Menschheit; selbst in der Demütigung Deutschlands durch die bisher ihm allein auferlegte Abrüstung sieht er einen Weg in eine friedlichere Zukunft...
In der Art und. Weise der Anführung dieser Gedanken eines protestantischen Geistlichen liegt eine unverhohlene Zustimmung zu ihnen. Interessant — im Hinblick auf die Notwendigkeit einer gemeinsamen Arbeit aller an der Religion interessierten Kreise im Dienste an der Menschheit — ist der Schluß des Artikels:
„Wir Katholiken wünschen, daß auch unsere im Glauben getrennten Brüder jene heiße Friedensliebe sich zu eigen machen, die aus dem Glauben an Christus, den Heiland der Welt strömt und die wie ein glückhaft siegbringend Banner ist, unter dem — bei allen andern Vorbehalten! — Protestanten und Katholiken gemeinsam kämpfen können, weil es „Vexillum regis“, das Königsbanner, ist, unter dem wir den Frieden Christi im Reiche Christi fördern, und damit ein Stück Einheit der getrennten Menschheit verwirklichen können.“
In der gleichen Nummer der gleichen Zeitung lesen wir in einem Aufsatz von Bundeskanzler Dr. Seipel:
„... Wir aber glauben, daß wir an einer Bruchstelle der Zeit leben. Das donnernde, welterschütternde Krachen alles dessen, was im Krieg und in der Nachkriegszeit zusammenbrach, hat uns diesen Glauben eingeflößt. Ganz stumpf müßte einer sein..., wenn er nicht merkte, wie die Zeit kreist, wie sehr die Menschen unserer Zeit auf allen Gebieten... das Neue erwarten, sei es, daß sie es fürchten, sei es, daß sie es ersehnen,“
Universitäts-Prof. D. Siegmund-Schultze, Berlin schreibt im Stuttg. Tagblatt vom 2.5.28:
„... Es gibt heute allzuviele, die sich nicht von der Religion oder Moral in die Politik hineinreden lassen möchten. Denn darüber kann kein Zweifel bestehen: Moral und Religion weisen heute in ihren prophetischen Aeußerungen eine starke Gemeinsamkeit nach einer bestimmten Richtung hin auf. Sie verlangen einen Erweis des Geistes und der Kraft gerade auf sozialem und politischem Gebiet...
...Aber wer wollte verkennen, daß die prophetische Verkündigung vom Umschmieden der Schwerter in Pflugscharen im Laufe der Jahrhunderte immer mehr verständnisvolle Hörer gefunden hat! Wer wollte heute noch den Wiegengesang der Engel für den „Euch heute geborenen Heiland“ nur auf den innern Frieden deuten? Nein, christliches Erleben sowohl wie christliche Erkenntnis in Bezug auf die Verbundenheit der Weltheilandsreligion mit dem Friedensreich auf Erden macht Fortschritte...“
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Bei dem Festmahl, das die Stadt Köln zu Ehren des französischen Ministers Herriot gab,
sprach am 2. August 1928 Oberbürgermeister Dr. Adenauer u. A.:
„... Das alte Europa liegt in Trümmern. Wir stehen an der Schwelle eines neuen Zeitalters, einer neuen Epoche der Menschen. Dieses neue Zeitalter kann ein besseres werden und muß ein besseres werden, wenn die Gutgesinnten in allen Ländern es wollen und dafür streiten. Die Gedanken der Aechtung des Kriegs, der Abrüstung, der Verständigung, der friedlichen Beilegung aller Streitpunkte, der Sammlung aller Völker in einer Gesellschaft gleichberechtigter Mitglieder marschieren... .“
In der Erwiderung auf diese Worte bekannte sich Herriot zu den Worten Adenauers:
„Für alle wahrhaft zivilisierten Menschen sei die Zeit gekommen, in der die Kräfte, die so lange für Werke des Todes benutzt worden sind, nun für die Werke des Lebens eingesetzt werden.“
Diese Zeitungsstellen reden eine eindeutige Sprache. Also die Menschen erkennen, daß sie in einer gewaltigen Umwälzung stehen, in dem Weltuntergang, den sie mit dem jüngsten Tag verbunden glauben. Aber noch keineswegs ziehen sie alle notwendigen Schlüsse aus dieser Erkenntnis. Sie sündigen auch wider das Wort Jesu: „Füllet man auch neuen Wein in alte Schläuche.“ Sie wollen dem Neuen gerecht werden, in dem sie sich bemühen, das Alte wieder zu beleben. Sie beziehen all das Neue auf den Impuls des Geistes Christi, während es doch eine ganz neue Geistesausgießung ist, unter deren Einwirkung sie stehen. Aber es war zu Jesu Zeiten geradeso. Gerade zur Zeit seiner Geburt bemühte sich der große Kaiser Augustus, den wir von den Römerzügen nach Germanien her kennen, die alte römische, zur Lächerlichkeit gewordene Staatsreligion wieder zu beleben, selbstverständlich vergeblich. Die Zeit war eben für das Christentum reif und das Christentum setzte sich durch. Geradeso wird sich auch die Sache unseres Herrn Bahá’u’lláh durchsetzen und zwar derart, daß die Menschen glauben und erkennen, daß der Impuls zu all dem Neuen, in dem wir stehen, von Ihm, dem neuen Sprecher Gottes, kommt.
Wir aber wollen uns des Vorrechts würdig zeigen, daß wir gegenwärtig in Gottes Werkstatt schauen dürfen, daß all das großartige Weltgeschehen für uns keine Geheimnisse bietet, da wir es werten dürfen als Erscheinungen, die das Kommen des Reiches Gottes auf Erden mit sich bringt, als die Todeszuckungen der alten Aera, und als die Geburtswehen der neuen Aera, als den Weltuntergang des jüngsten Tages, als Erscheinungen, die zeigen, daß der neue Wille, das neue Testament Gottes im Begriff ist, sich die Welt zu eigen zu machen.
H. Küstner.
Aus 'Abdu'l-Bahá und das verheißene Zeitalter, von Ruth Withe.
Aus dem V. Kapitel. Deutsch von H. Küstner.
Jede Welt die Grundform für die kommende Welt. — Für die früheren Manifestationen Gottes war das Höllenfeuer ein Symbol. — Götzenanbetung bei den Griechen und Götzenanbetung heutzutage. — Unterschied zwischen Okkultismus und Geistigkeit.
'Abdu'l-Bahá sagte, jede Welt sei die Grundform für die kommende Welt. Wir wissen, daß wenn aus irgend einem Grund der Embryo im Mutterleib seine physischen Fähigkeiten nicht entwickelt, der Mensch diese Welt blind, taub, stumm, krüppelhaft oder geistig minderwertig durchwandern muß. Das gleiche gilt für diese Welt in Beziehung auf die nächste. Wir müssen in der einen Welt die Fähigkeiten entwickeln, die wir in der nächsten brauchen, d. h. wir müssen anfangen, in die geistige Bewußtheit einzutreten während wir auf Erden sind, denn geistige Armut in dieser Welt bedeutet Hölle und Zurückbleiben in der nächsten. So betrachtet, sehen wir, wie viel schrecklicher diese Armut des Geistes erscheint gegenüber der materiellen Armut, über die sich die Sozialisten, die Bolschewisten und andere Atheisten so sehr aufhalten.
Die meisten Atheisten bekümmern sich so wenig um die nächste Welt, wie der Embryo im
Mutterleib sich um die Welt kümmert, in welche er bald eintritt. Wenn der Embryo denken könnte
und wenn seine physische Entwicklung von ihm selber abhinge, würde er sich nicht besinnen, wie
heute viele Atheisten und Materialisten, zu sagen,
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daß die Notwendigkeit zur weiteren Entwicklung von ihm selber abhinge, auch würde er sich
nicht besinnen, wie heute viele Atheisten und Materialisten, zu sagen, daß er die Notwendigkeit
zur weiteren Entwicklung seiner Augen, seiner Ohren und seiner Beine nicht einsehe, er brauche
sie ja nicht, wo er sei. Vergeblich würde man ihn darauf aufmerksam machen, daß er bald in
eine Welt des Lichts und des Raums eintreten werde, wo er nicht allein würde gehen müssen,
sondern auch sehen und hören, und daß es wichtiger sei, die Fähigkeiten zu entwickeln, die er in der
Welt brauchen würde, in die er bald eintreten würde, als darüber nachzudenken, wie es da gemütlicher
und bequemer sein könnte, wo er sei. Denn er würde nicht zögern, wie viele Materialisten
von heute zu erwidern, daß ihm erst bewiesen werden müsse, daß es eine solche Welt
gebe, ehe er anfange, sich darauf vorzubereiten. Mittlerweile möchte er sich da möglichst gut
einrichten, wo er sei, und sich nicht mit etwas abquälen, an das er einfach nicht glauben
könne. Zum Glück für den Embryo hängt seine physische Entwicklung nicht von seinem eigenen
Willen ab. Dem Menschen aber ist ein freier Wille gegeben, und wenn er so unbekümmert
leben will, wie der Embryo, und seine ganze Zeit und Kraft an seine und seiner Familie materielle
Bequemlichkeit rücken will, ohne sich auch nur mit einem Gedanken um die nächste Welt zu
kümmern, so unterliegt er geistiger Verknöcherung. In diesem Fall ist er unfähig, sich geistig
zu erfassen, so sicher, wie der Embryo seine physische Existenz nicht erfassen kann, wenn er
aus irgend einem Grunde versäumt hat, sich richtig auf den Eintritt in diese Welt vorzubereiten.
Seine geistigen Gefühle sterben für religiöses Empfinden und religiösen Widerhall geradeso ab,
wie Paralyse physisches Gefühl und Empfinden absterben läßt. In manchen Fällen mag er noch
einen ethischen oder moralischen Widerhall verspüren, aber für einen unreifen Geist ist er
tot. Dies ist es, was Charles Darwin vorschwebte, als was er verloren habe.
Heute lehrt, für eine reifere Rasse, die Bahá’i-Religion nicht Höllenfeuer und ewige Strafe für den Bösen. Wie bereits dargelegt, lehrt sie, daß Himmel und Hölle Zustände des Bewußtseins sind, keine Orte, und daß Himmel und Hölle existiert, nicht nur in dieser Welt, sondern in allen Welten. Wenn wir in Harmonie mit dem göttlichen Gesetz leben, den Lehren der Manifestationen Gottes, so werden wir bis zum gleichen Grad den Himmel bekommen, und wie wir umgekehrt leugnen, bewußt oder unbewußt, schaffen wir uns die Hölle.
Die Manifestationen Gottes benützten die Sprache der Symbole, die meist mächtig auf die Einbildungskraft der von ihnen gelehrten Rasse einwirkte. In früheren Zeiten konnten die Menschen nur durch das Androhen von Strafen in der einfachsten, unmißverständlichsten und härtesten Sprache zum Glauben an Gott und zum Gehorsam Ihm gegenüber gebracht werden. Hätten sie eine mehr abstrakte Art von Belohnung oder Strafe gelehrt, wären sie völlig mißverstanden worden und hätten keine. Wirkung erzielt, weil unreifer Geist abstrakte Wahrheiten nicht verstanden hätte. Ein kleines Kind versteht eine Belohnung durch ein Zuckerstück oder durch etwas Eiskrem, aber es kann sich nichts unter einer Belohnung denken, die ihm als innerer Friede und geistiger Fortschritt beschrieben wird. Es fühlt auch die Strafe, wenn es im dunkeln Zimmer eingesperrt wird, es versteht aber nicht die Strafe eines schlechten Gewissens. Deshalb sprachen Moses, Christus und Mohammed viel von ewiger Feuersqual, weil die Geister damals unreifer waren als heute.
(Fortsetzung folgt.)
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Druck von W. Heppeler, Stuttgart.
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Geschichte und Bedeutung der Bahá’ilehre.
Die Bahai-Bewegung tritt vor allem ein für die „Universale Religion" und den „Universalen Frieden“ — die Hoffnung aller Zeitalter. Sie zeigt den Weg und die Mittel, die zur Einigung der Menschheit unter dem hohen Banner der Liebe, Wahrheit, Gerechtigkeit und Barmherzigkeit führen. Sie ist göttlich ihrem Ursprung nach, menschlich in ihrer Darstellung, praktisch für jede Lebenslage. In Glaubenssachen gilt bei ihr nichts als die Wahrheit, in den Handlungen nichts als das Gute, in ihren Beziehungen zu den Menschen nichts als liebevoller Dienst.
Zur Aufklärung für diejenigen, die noch wenig oder nichts von der Bahaibewegung wissen, führen wir hier Folgendes an: „Die Bahaireligion ging aus dem Babismus hervor. Sie ist die Religion der Nachfolger Bahá’u’lláhs. Mirza Hussein Ali Nuri (welches sein eigentlicher Name war) wurde im Jahre 1817 in Teheran (Persien) geboren. Vom Jahr 1844 an war er einer der angesehensten Anhänger des Bab und widmete sich der Verbreitung seiner Lehren in Persien. Nach dem Märtyrertod des Bab wurde er mit den Hauptanhängern desselben von der türkischen Regierung nach Bagdad und später nach Konstantinopel und Adrianopel verbannt. In Bagdad verkündete er seine göttliche Sendung (als „Der, den Gott offenbaren werde") und erklärte, daß er der sei, den der Bab in seinen Schriften als die „Große Manifestation", die in den letzten Tagen kommen werde, angekündigt und verheißen hatte. In seinen Briefen an die Regenten der bedeutendsten Staaten Europas forderte er diese auf, sie möchten ihm bei der Hochhaltung der Religion und bei der Einführung des universalen Friedens beistehen. Nach dem öffentlichen Hervortreten Bahá’u’lláhs wurden seine Anhänger, die ihn als den Verheißenen anerkannten, Bahai (Kinder des Lichts) genannt. Im Jahr 1868 wurde Bahá’u’lláh vom Sultan der Türkei nach Akka in Syrien verbannt, wo er den größten Teil seiner lehrreichen Werke verfaßte und wo er am 28. Mai 1892 starb. Zuvor übertrug er seinem Sohn Abbas Effendi ('Abdu'l-Bahá) die Verbreitung seiner Lehre und bestimmte ihn zum Mittelpunkt und Lehrer für alle Bahai der Welt.
Es gibt nicht nur in den mohammedanischen Ländern Bahai, sondern auch in allen Ländern Europas, sowie in Amerika, Japan, Indien, China etc. Dies kommt daher, daß Bahá’u’lláh den Babismus, der mehr nationale Bedeutung hatte, in eine universale Religion umwandelte, die als die Erfüllung und Vollendung aller bisherigen Religionen gelten kann. Die Juden erwarten den Messias, die Christen das Wiederkommen Christi, die Mohammedaner den Mahdi, die Buddhisten den fünften Buddha, die Zoroastrier den Schah Bahram, die Hindus die Wiederverkörperung Krischnas und die Atheisten — eine bessere soziale Organisation.
In Bahá’u’lláh sind alle diese Erwartungen erfüllt. Seine Lehre beseitigt alle Eifersucht und Feindseligkeit, die zwischen den verschiedenen Religionen besteht; sie befreit die Religionen von ihren Verfälschungen, die im Lauf der Zeit durch Einführung von Dogmen und Riten entstanden und bringt sie alle durch Wiederherstellung ihrer ursprünglichen Reinheit in Einklang. Das einzige Dogma der Lehre ist der Glaube an den einigen Gott und an seine Manifestationen (Zoroaster, Buddha, Mose, Jesus, Mohammed, Bahá’u’lláh).
Die Hauptschriften Bahá’u’lláhs sind der Kitab el Ighan (Buch der Gewißheit), der Kitab el Akdas (Buch der Gesetze), der Kitab el Ahd (Buch des Bundes) und zahlreiche Sendschreiben, genannt „Tablets“, die er an die wichtigsten Herrscher oder an Privatpersonen richtete. Rituale haben keinen Platz in dieser Religion; letztere muß vielmehr in allen Handlungen des Lebens zum Ausdruck kommen und in wahrer Gottes- und Nächstenliebe gipfeln. Jedermann muß einen Beruf haben und ihn ausüben. Gute Erziehung der Kinder ist zur Pflicht gemacht und geregelt.
Streitfragen, welche nicht anders beigelegt werden können, sind der Entscheidung des Zivilgesetzes jeden Landes und dem Bait’ul’Adl oder „Haus der Gerechtigkeit“, das durch Bahá’u’lláh eingesetzt wurde, unterworfen. Achtung gegenüber jeder Regierungs- und Staatseinrichtung ist als einem Teil der Achtung, die wir Gott schulden, gefordert. Um die Kriege aus der Welt zu schaffen, ist ein internationaler Schiedsgerichtshof zu errichten. Auch soll neben der Muttersprache eine universale Einheits-Sprache eingeführt werden. „Ihr seid alle die Blätter eines Baumes und die Tropfen eines Meeres“ sagt Bahá’u’lláh.
Es ist also weniger die Einführung einer neuen Religion, als die Erneuerung und Vereinigung aller Religionen, was heute von 'Abdu'l-Bahá erstrebt wird. (Vgl. Nouveau, Larousse, illustré supplement, p. 66.)
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In unserem Verlag sind erschienen:
Bücher:
Verborgene Worte von Baha’u’llah. Deutsch von A. Schwarz und W. Herrigel, 1924 1.--
Baha’u’llah, Frohe Botschaften, Worte des Paradieses, Tablet Tarasat, Tablet Taschalliat, Tablet Ischrakat. Deutsch von Wilhelm Herrigel, 1921, in Halbleinen gebunden . . . 2.50
in feinstem Ganzleinen gebunden . . . . . 3.--
Geschichte und Wahrheitsbeweise der Bahaireligion, von Mirza Abul Fazl. Deutsch von W. Herrigel, 1921, in Halbleinen geb. . . . . 4.50
In Ganzleinen gebunden . . . . 5.--
Abdul Bahá Abbas’ Leben und Lehren, von Myron H. Phelps. Deutsch von Wilhelm Herrigel, 1922, in Ganzleinen gebunden . . . . 4.--
Die Bahai-Offenbarung, ein Lehrbuch von Thornton Chase, deutsch von W. Herrigel, 1925, kartoniert M. 4.--, in Halbleinen gebunden M. 4.60
Bah’u’lláh und das neue Zeitalter, ein Lehrbuch von Dr. J. E. Esslemont, deutsch von W. Herrigel und H. Küstner. 1927. In Ganzleinen gebunden . . . . . 4.50
Broschüren:
Bahai-Perlen, Deutsch von Wilhelm Herrigel, 1922 . . . . -.20
Ehe Abraham war, war Ich, v. Thornton Chase. Deutsch v. W.Herrigel, 1911 . . . . -.20
Die Universale Weltreligion, Ein Blick in die Bahai-Lehre von A. T. Schwarz, 1919. . . . -.50
Die Offenbarung Baha’u’llahs, von J.D. Brittingham. Deutsch von Wilhelm Herrigel, 1910 . . . -.50
Einheitsreligion. Ihre Wirkung auf Staat, Erziehung, Sozialpolitik, Frauenrechte und die einzelne Persönlichkeit, von Dr. jur. H. Dreyfus, Deutsch von Wilhelm Herrigel. 2. Auflage 1920 . . . -.50
Die Bahaibewegung im allgemeinen und ihre großen Wirkungen in Indien, nach Berichten eines Amerikaners zusammengestellt und mit Vorwort versehen von Wilhelm Herrigel, Stuttgart 1922 . . . . -.50
Eine Botschaft an die Juden, von Abdul Baha Abbas. Deutsch v. W. Herrigel, 1912 . . . -.20
Das Hinscheiden Abdul Bahas, ("The Passing of Abdul Baha") Deutsch von Alice T. Schwarz, 1922 . . . -.50
Das neue Zeitalter von Ch. M. Remey. Deutsch von Wilhelm Herrigel, 1923 . . . . —.50
Die soziale Frage und ihre Lösung im Sinne der Bahailehre von Dr. Hermann Grossmann-Wandsbel . . . . —.20
Religiöse Lichtblicke, Einige Erläuterungen zur Bahá’i-Botschaft, aus dem Französ. übersetzt von Albert Renftle, 2. erweiterte Auflage, 1928 . . . . --.30
Die Bahá’i-Bewegung, Geschichte, Lehren und Bedeutung. von Dr. Hermann Großmann-Wandsbek . . . . . --.20
Sonne der Wahrheit, Jahrgang 3 - 8 in Halbleinen gebunden à . . . . 9.--
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