SONNE DER WAHRHEIT | ||
Heft XI | VII.JAHRG. | JAN. 1928 |
ORGAN DES DEUTSCHEN BAHAI-BUNDES STUTTGART |
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Abdu’l-Bahás Erläuterung der Bahá’i - Prinzipien.
1. Die ganze Menschheit muss als Einheit betrachtet werden.
Baha’u’lláh wandte Sich an die gesamte Menschheit mit den Worten: „Ihr seid alle die Blätter eines Zweigs und die Früchte eines Baumes“. Das heißt: die Menschheit gleicht einem Baum und die Nationen oder Völker gleichen den verschiedenen Aesten und Zweigen; die einzelnen Menschen aber gleichen den Blüten und Früchten dieses Baumes. In dieser Weise stellte Baha’u’lláh das Prinzip der Einheit der Menschheit dar. Baha’u’lláh verkündigte die Einheit der ganzen Menschheit, er versenkte sie alle im Meer der göttlichen Gnade.
2. Alle Menschen sollen die Wahrheit selbständig erforschen.
In religiösen Fragen sollte niemand blindlings seinen Eltern und Voreltern folgen. Jeder muß mit eigenen Augen sehen, mit eigenen Ohren hören und die Wahrheit suchen, denn die Religionen sind häufig nichts anderes als Nachahmungen des von den Eltern und Voreltern übernommenen Glaubens.
3. Alle Religionen haben eine gemeinsame Grundlage.
Alle göttlichen Verordnungen beruhen auf ein und derselben Wirklichkeit. Diese Grundlage ist die Wahrheit und bildet eine Einheit, nicht eine Mehrheit. Daher beruhen alle Religionen auf einer einheitlichen Grundlage. Im Laufe der Zeit sind gewisse Formen und Zeremonien der Religion beigefügt worden. Dieses bigotte menschliche Beiwerk ist unwesentlich und nebensächlich und verursacht die Abweichungen und Streitigkeiten unter den Religionen. Wenn wir aber diese äußere Form beiseite legen und die Wirklichkeit suchen, so zeigt sich, daß es nur eine göttliche Religion gibt.
4. Die Religion muss die Ursache der Einigkeit und Eintracht unter den Menschen sein.
Die Religion ist für die Menschheit die größte göttliche Gabe, die Ursache des wahren Lebens und hohen sittlichen Wertes; sie führt den Menschen zum ewigen Leben. Die Religion sollte weder Haß und Feindschaft noch Tyrannei und Ungerechtigkeiten verursachen. Gegenüber einer Religion, die zu Mißhelligkeit und Zwietracht, zu Spaltungen und Streitigkeiten führt, wäre Religionslosigkeit vorzuziehen. Die religiösen Lehren sind für die Seele das, was die Arznei für den Kranken ist. Wenn aber ein Heilmittel die Krankheit verschlimmert, so ist es besser, es nicht anzuwenden.
5. Die Religion muss mit Wissenschaft und Vernunft übereinstimmen.
Die Religion muß mit der Wissenschaft übereinstimmen und der Vernunft entsprechen, so daß die Wissenschaft die Religion, die Religion die Wissenschaft stützt. Diese beiden müssen unauflöslich miteinander verbunden sein.
6. Mann und Frau haben gleiche Rechte.
Dies ist eine besondere Lehre Baha’u’lláhs, denn die früheren Religionen stellen die Männer über die Frauen. Töchter und Söhne müssen gleichwertige Erziehung und Bildung genießen. Dies wird viel zum Fortschritt und zur Einigung der Menschheit beitragen.
7. Vorurteile jeglicher Art müssen abgelegt werden.
Alle Propheten Gottes kamen, um die Menschen zu einigen, nicht um sie zu trennen. Sie kamen, um das Gesetz der Liebe zu verwirklichen, nicht um Feindschaft unter sie zu bringen. Daher müssen alle Vorurteile rassischer, völkischer, politischer oder religiöser Art abgelegt werden. Wir müssen zur Ursache der Einigung der ganzen Menschheit werden.
8. Der Weltfriede muss verwirklicht werden.
Alle Menschen und Nationen sollen sich bemühen, Frieden unter sich zu schließen. Sie sollen darnach streben, daß der universale Friede zwischen allen Regierungen, Religionen, Rassen und zwischen den Bewohnern der ganzen Welt verwirklicht wird. Die Errichtung des Weltfriedens ist heutzutage die wichtigste Angelegenheit. Die Verwirklichung dieses Prinzips ist eine schreiende Notwendigkeit unserer Zeit.
9. Beide Geschlechter sollen die beste geistige und sittliche Bildung und Erziehung geniessen.
Alle Menschen müssen erzogen und belehrt werden. Eine Forderung der Religion ist, daß jedermann erzogen werde und daß er die Möglichkeit habe, Wissen und Kenntnisse zu erwerben. Die Erziehung jedes Kindes ist unerläßliche Pflicht. Für Elternlose und Unbemittelte hat die Gemeinde zu sorgen.
10. Die soziale Frage muss gelöst werden.
Keiner der früheren Religionsstifter hat die soziale Frage in so umfassender, vergeistigter Weise gelöst wie Baha’u’lláh. Er hat Anordnungen getroffen, welche die Wohlfahrt und das Glück der ganzen Menschheit sichern. Wenn sich der Reiche eines schönen, sorglosen Lebens erfreut, so hat auch der Arme ein Anrecht auf ein trautes Heim und ein sorgenfreies Dasein. Solange die bisherigen Verhältnisse dauern, wird kein wahrhaft glücklicher Zustand für den Menschen erreicht werden. Vor Gott sind alle Menschen gleich berechtigt, vor Ihm gibt es kein Ansehen der Person; alle stehen im Schutze seiner Gerechtigkeit.
11. Es muss eine Einheitssprache und Einheitsschrift eingeführt werden.
Baha’u’lláh befahl die Einführung einer Welteinheitssprache. Es muß aus allen Ländern ein Ausschuß zusammentreten, der zur Erleichterung des internationalen Verkehrs entweder eine schon bestehende Sprache zur Weitsprache erklären oder eine neue Sprache als Weltsprache schaffen soll; diese Sprache muß in allen Schulen und Hochschulen der Welt gelehrt werden, damit dann niemand mehr nötig hat, außer dieser Sprache und seiner Muttersprache eine weitere zu erlernen.
12. Es muss ein Weltschiedsgerichtshof eingesetzt werden.
Nach dem Gebot Gottes soll durch das ernstliche Bestreben aller Menschen ein Weltschiedsgerichtshof geschaffen werden, der die Streitigkeiten aller Nationen schlichten soll und dessen Entscheidung sich jedermann unterzuordnen hat.
Vor mehr als 50 Jahren befahl Baha’u’lláh der Menschheit, den Weltfrieden aufzurichten und rief alle Nationen zum „internationalen Ausgleich“, damit alle Grenzfragen sowie die Fragen nationaler Ehre, nationalen Eigentums und aller internationalen Lebensinteressen durch ein schiedsrichterliches „Haus der Gerechtigkeit" entschieden werden können.
Baha’u’lláh verkündigte diese Prinzipien allen Herrschern der Welt. Sie sind der Geist und das Licht dieses Zeitalters. Von ihrer Verwirklichung hängt das Wohlergehen für unsere Zeit und das der gesamten Menschheit ab.
SONNE DER WAHRHEIT Organ des Bahá’i-Bundes, Deutscher Zweig Herausgegeben vom Verlag des Bahá’i-Bundes, Deutscher Zweig, Stuttgart Verantwortliche Schriftleitung: Alice Schwarz - Solivo, Stuttgart, Alexanderstraße 3 Preis vierteljährlich 1,80 Goldmark, im Ausland 2.– Goldmark. |
Heft 11 | Stuttgart, im Januar 1928 Masá il (Fragen) |
7. Jahrgang |
Inhalt: Beantwortete Fragen. — Glauben und Werke. — Erziehung zum Frieden. — Bahá’i-Arbeit beim
XIX. Universalen Esperanto-Kongreß in Danzig 1927.
Motto: Einheit der Menschheit — Universaler Friede — Universale Religion
Sei nur von Gott und Seinem Willen abhängig, so bewahrst du dir die innere Freiheit, den Menschen, den Dingen und den Begebnissen gegenüber. Die innere Freiheit ist die notwendige Voraussetzung der seelischen Gesundheit.
'Abdu'l-Bahá.
Höre auf Meinen Ruf, der von Meinem Throne ausgeht, damit er dich zum Meere erhebe, das keine Ufer hat und in dessen Tiefen kein Taucher jemals gelangte. Wahrlich dein Gott ist der Allwissende, der Großmütige. Wir wünschen wahrlich Unsere Gunst dir zu schenken durch die Erwähnung dessen, was Wir sahen, damit du die strahlende Welt in dieser dunkeln Welt erschauest und daß du erkennen mögest, daß Wir Welten in dieser Welt besitzen. Danke dafür deinem Herrn, dem Allmächtigen.
Bahá’u’lláh
aus Bahá’i-Scriptures.
Beantwortete Fragen.
Worte 'Abdu'l-Bahás
gesammelt und aus dem Persischen übersetzt von Laura Clifford Barney. Autorisierte und überprüfte deutsche Uebersetzung von Wilhelm Herrigel.
(Fortsetzung.)
37. Kapitel.
Die Gottheit kann nur durch den göttlichen Manifestierten begriffen werden.
Frage: In welcher Beziehung steht die Wirklichkeit der Gottheit zu den göttlichen Dämmerungsorten, den göttlichen Manifestationen?
Antwort: „Wisset, daß die Wirklichkeit der Gottheit oder das Wesen der Einheit reine und absolute Heiligkeit ist, d. h. daß sie geheiligt und erhaben ist über alles Lob. Alle menschlichen Vorstellungen über diese Ebene in Bezug auf die höchsten Eigenschaften der Stufen der Existenz Gottes sind nur Einbildungen. Die Wirklichkeit der Gottheit ist unsichtbar, unbegreifbar, unnahbar, ein reines Wesen, das nicht beschrieben werden kann; denn das göttliche Wesen umgibt alle Dinge. Wahrlich, das Umschließende ist größer als das Umschlossene, und das Umschlossene kann nicht das enthalten, von dem es umschlossen wird, noch seine Wesenheit begreifen. Was für Fortschritte der menschliche Geist auch macht, selbst wenn er den höchsten Grad der Fassungskraft, die äußerste Grenze des Verstandes erreichte, so würde er doch die göttlichen Zeichen und Eigenschaften nur in der erschaffenen Welt, aber nicht in der Welt Gottes schauen. Denn das Wesen und die Eigenschaften des Herrn der Einheit befinden sich auf den Höhen der Heiligkeit, und für den menschlichen Geist und das menschliche Verständnis gibt es keinen Weg, auf dem man sich dieser Stufe nähern könnte. „Der Weg ist geschlossen und das Suchen verboten.“
Es ist klar, daß der menschliche Verstand eine Eigenschaft des Menschen und der Mensch ein Zeichen Gottes ist. Wie kann nun die Eigenschaft des Zeichens den Schöpfer des Zeichens umfassen? Das heißt, wie kann der Verstand, der eine Eigenschaft des Menschen ist, Gott begreifen? Folglich ist die Wirklichkeit der Gottheit der menschlichen Fassungskraft verborgen und der Vernunft aller Menschen verhüllt. Es ist absolut unmöglich, sich zu dieser Ebene zu erheben.
Wir sehen also, daß alles, was niederer ist, unfähig ist, die Wirklichkeit dessen zu erfassen, was höher ist. Wie sehr sich auch der Stein, die Erde und der Baum entwickeln mögen, es wird ihnen, obwohl sie alle vom gleichen Schöpfer erschaffen sind, doch nie gelingen, die Wesenheit des Menschen zu begreifen oder sich die Kräfte des Gesichts, des Gehörs und der andern Sinne auszudenken. Wie kann daher der Mensch, das Geschöpf, die Wirklichkeit des reinen Wesens des Schöpfers verstehen? Diese Ebene ist dem Verstand unerreichbar, keine Erklärung reicht aus, sie zu verstehen, und es gibt keine Macht, sie auch nur anzudeuten. Was hat ein Atom des Staubes mit der reinen Welt zu tun, und was für eine Verwandtschaft besteht zwischen dem begrenzten menschlichen Geist und der unendlichen Welt? Der menschliche Geist ist unfähig, Gott zu erfassen, und die Seelen werden verwirrt, wenn sie versuchen, Ihn zu erklären. „Die Augen sehen Ihn nicht, Er aber sieht die Augen. Er ist der Allwissende, der Weise (Koran S. 6).
In Bezug auf diese Ebene der Existenz ist daher jede Darstellung und Erklärung
fehlerhaft, jedes Lob und jede Beschreibung unzutreffend, jede Vorstellung eitel und
jede Betrachtung wertlos. Aber für dies Wesen der Wesen, für diese Wahrheit der
Wahrheiten, für dies Geheimnis der Geheimnisse gibt es in dieser Welt Widerspiegelungen,
Morgenröten und herrliche Erscheinungen. Der Aufgangsort dieses Glanzes, die Stätte
dieser Widerspiegelungen und die Erscheinung dieser Offenbarungen sind die heiligen
Dämmerungsorte, die universalen Wahrheitsbringer und göttlichen Boten, welche
die wahren Spiegel für das geheiligte Wesen Gottes sind. Jegliche Vollkommenheit,
jegliche Gabe, sowie jeglicher von Gott kommende Glanz Sind in der Wirklichkeit
der heiligen Manifestationen sichtbar und offenbar gleich der Sonne, die in einem
reinen, fein geschliffenen Spiegel mit allen ihren Vorzügen und Gaben widergespiegelt
wird. Wenn nun gesagt wird, die Spiegel seien die Offenbarungen der Sonne und ihre
Dämmerungsorte, so heißt dies nicht, daß
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Karawanserei in Syrien.
Das „große Gefängnis“ in Akka.
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die Sonne von den Höhen ihrer Heiligkeit herabgestiegen und in dem Spiegel verkörpert
ist, noch daß die unbegrenzbare Wirklichkeit auf diesen Ort des Sichtbaren begrenzt
wurde. Gott behüte! Dies ist der Glaube der Anhänger des Anthropomorphismus
(Uebertragung menschlicher Gestalt auf die Gottheit).
Nein, jedes Lob, jede Beschreibung und Verherrlichung bezieht sich auf die heiligen Manifestationen. Alle von uns erwähnten Beschreibungen, Beschaffenheiten, Namen und Attribute gelten den göttlichen Manifestationen. Da noch niemand zu der Wirklichkeit des Wesens der Gottheit gelangte, ist auch niemand imstande, sie zu beschreiben, sie zu erklären, zu loben oder zu verherrlichen. Daher bezieht sich alles, was der Mensch von den Namen, Eigenschaften und der Vollkommenheit Gottes weiß, entdeckt und versteht, auf diese heiligen Manifestationen. Es gibt keinen anderen Zugang, denn „der Weg ist geschlossen, und das Suchen danach verboten."
Aber dennoch sprechen wir von den Namen und Eigenschaften Gottes, und wir preisen Ihn dadurch, daß wir Ihm Gesicht, Gehör, Macht, Leben und Wissen zuschreiben. Wir erwähnen diese Namen und Eigenschaften nicht, um die Vollkommenheit Gottes zu beweisen, sondern um damit auszusprechen, daß Er keiner Unvollkommenheit fähig sei. Wenn wir uns in dieser Welt umsehen, so finden wir, daß Unwissenheit gleichbedeutend ist mit Unvollkommenheit und das Wissen Vollkommenheit ist; deshalb sagen wir, das heilige Wesen Gottes sei Weisheit. Schwachheit ist Unvollkommenheit und Kraft Vollkommenheit; daher sagen wir, das heilige Wesen Gottes sei der Gipfel der Kraft. Damit ist nicht gesagt, daß wir Sein Wissen, Sein Sehen, Seine Macht und Sein Leben begreifen können, denn dies steht außerhalb unserer Fassungskraft. Die wirklichen Namen und Eigenschaften Gottes sind identisch mit Seinem Wesen, und Sein Wesen steht hoch über jeder Fassungskraft. Wenn die Eigenschaften nicht identisch wären mit dem Wesen, dann müßte es eine Vielheit der Präexistenz geben, und es müßten Unterschiede bestehen zwischen den Eigenschaften und dem Wesen. Da nun die Präexistenz notwendig ist, so würde die Folge einer Vielheit der Präexistenz ins Unendliche gehen. Dies wäre offenbarer Irrtum.
Folglich beziehen sich alle diese Eigenschaften, Namen und Lobpreisungen auf die Manifestationen, und alles, was wir uns außer diesen vorstellen und vermuten, ist weiter nichts als Einbildung, denn wir sind nicht imstande, Unsichtbares und Unnahbares zu begreifen. Darum heißt es: „Alles was du dir in der Illusion deiner Vorstellungskraft scharfsinnig als geistige Bilder ausgemalt hast, ist nur eine Schöpfung wie du selbst und kehrt wieder zu dir zurück.“*) Wenn wir uns die Wirklichkeit der Gottheit vorstellen wollen, so ist offenbar diese Vorstellung das Umschlossene und wir sind die Umschließenden, und sicher ist der Umschließende größer als das Umschlossene. Daraus geht deutlich hervor, daß alles, was wir uns unter der göttlichen Wirklichkeit außerhalb der heiligen Manifestationen vorstellen, lediglich Einbildung ist. Für uns gibt es keinen Weg, sich der Wirklichkeit der Gottheit zu nähern, und alles, was wir uns vorstellen, ist nichts anderes als Vermutung.
*) Aus einer Hadith.
Bedenke daher, daß sich verschiedene Völker der Welt in Einbildungen bewegen und die Götzen der Gedanken und Mutmaßungen anbeten. Sie sind sich dessen aber nicht bewußt, sie glauben, ihre Vorstellungen seien die Wirklichkeit, die jedoch nicht im entferntesten begriffen werden kann, und die geheiligt ist über alle Beschreibungen. Sie betrachten sich selbst als das Volk der Einheit und die andern als Anbeter von Götzen, aber die Götzen haben wenigstens eine Existenz als Mineral, während die Götzen der Gedanken und Einbildungen der Menschen nichts als Phantasiegebilde sind, sie haben nicht einmal eine Existenz als Mineral. „Seid achtsam, o ihr Besitzer des Wahrnehmungsvermögens!“
Wisset, daß die Merkmale der Vollkommenheit, der Glanz der göttlichen Gaben und die Lichter der Inspiration in allen heiligen Manifestationen deutlich sichtbar sind; aber das herrliche Wort Gottes, Christus, und der Größte Name, Bahá’u’lláh, sind Manifestationen und Beweise, die erhaben sind über jede Vorstellung; denn sie besitzen alle vortrefflichen Eigenschaften der früheren Manifestationen, ja noch mehr, sie haben sie in solchem Maße, daß die andern Manifestationen von ihnen abhängig sind. So waren alle Propheten Israels Mittelpunkte der Inspiration, und auch Christus war ein Empfänger der Inspiration, aber welch’ ein Unterschied zwischen der Inspiration des Wortes Gottes (Christus) und den Offenbarungen des Jesaias, Jeremias und Elias!
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Wisset, daß das Licht der Ausdruck der Schwingungen des Aethers ist. Die Augennerven
werden von diesen Schwingungen berührt, wodurch das Sehen entsteht. Das
Licht der Lampe entsteht durch die Schwingungen des Aethers und ebenso das Licht
der Sonne. Aber welch’ ein Unterschied zwischen dem Licht der Sonne und dem der
Sterne oder dem der Lampe!
Der Geist des Menschen erscheint und offenbart sich in einem Keimzustand, in einem Zustand der Kindheit und in einem Zustand der Reife sowie in dem Zustand der Vollkommenheit. Der Geist ist einer, aber in dem unentwickelten Zustand mangelt ihm die Kraft des Gesichts und des Gehörs. In dem Zustand der Reife und der Vollkommenheit dagegen erscheint er in höchstem Glanze. Ebenso wird das Samenkorn zuerst zum Blatt, und hier offenbart sich der Geist der Pflanze; als Frucht offenbart es denselben Geist, die Kraft des Wachstums erscheint hier in äußerster Vollkommenheit, aber welch’ ein Unterschied zwischen dem Zustand der Blätter und dem der Frucht! Nur aus der Frucht können hunderttausend Blätter hervorgehen, obgleich sie alle durch den selben Pflanzengeist wachsen und sich entwickeln. Beachtet den Unterschied zwischen der Tugend und Vortrefflichkeit Christi, der Herrlichkeit und dem Glanz Bahá’u’lláhs und den Tugenden der Propheten Israels, solcher wie Hesekiel oder Samuel. Sie alle waren Offenbarungen der Inspiration, aber es besteht zwischen ihnen ein gewaltiger Unterschied.
Mein Gruß sei mit euch!
38. Kapitel.
Die drei Stufen der göttlichen Manifestationen.
Wisset, daß die heiligen Manifestationen, allgemein gesprochen, nur drei Stufen haben, obgleich sie den Grad endloser Vollkommenheit besitzen. Die erste Stufe ist die physische, die zweite ist die menschliche oder die der vernünftigen Seele, die dritte ist die des Erscheinens des göttlichen und des himmlischen Glanzes.
Die physische Stufe betrifft nur die äußere Erscheinung, sie ist zusammengesetzt aus Elementen, und alles Zusammengesetzte ist unbedingt dem Verfall unterworfen. Daß sich eine Zusammensetzung nicht wieder in ihre Bestandteile auflösen sollte, ist unmöglich.
Die zweite Stufe ist die Stufe der vernünftigen Seele, die das eigentliche Wesen des Menschen ausmacht. Auch sie betrifft die äußere Erscheinung, und die heiligen Manifestationen teilen diese Stufe mit allen Menschen.
Wisset, daß die menschliche Seele, obgleich sie schon seit langen Zeitaltern auf Erden existiert, doch einmal in Erscheinung trat.*) Da sie ein göttliches Zeichen ist, ist sie — wenn einmal ins Dasein getreten - ewig. So sind auch die auf dieser Erde vorhandenen Gattungen einmal in Erscheinung getreten, denn man hat festgestellt, daß es eine Zeit gab, da diese Gattungen noch nicht auf dieser Erde vorhanden waren. So hat auch diese Erde nicht immer existiert, aber die Welt der wirklichen Existenz war von jeher vorhanden; denn das Universum ist nicht auf diesen Erdball begrenzt. Dies bedeutet, daß die menschlichen Seelen zwar einmal in Erscheinung getreten, aber dennoch unsterblich, immerwährend und ewig sind. Die Welt der Dinge ist im Vergleich zu der des Menschen die Welt der Unvollkommenheit und die Welt des Menschen ist im Vergleich zu der der Dinge die Welt der Vollkommenheit. Wenn die Unvollkommenheit die Stufe der Vollkommenheit erreicht, wird sie ewig.**) Dies ist ein Beispiel, dessen Bedeutung ihr verstehen müßt.
*) D.h. bei ihrer Geburt.
**) D. h. in dem Reich des Menschen, wo allein der Geist Unsterblichkeit offenbart. Vgl. Kap. „Die fünf Stufen des Geistes“.
Die dritte Stufe ist die Stufe des Erscheinens des Göttlichen und des himmlischen
Glanzes; sie ist das Wort Gottes, die ewige Gabe, der Heilige Geist. Sie hat weder
Anfang noch Ende, denn Anfang und Ende gehören der irdischen Welt an und nicht der
göttlichen. Bei Gott ist das Ende dasselbe wie der Anfang. Die Rechnung nach Tagen,
Wochen, Monaten und Jahren, von gestern und heute, steht im Zusammenhang mit der
irdischen Welt; aber bei der Sonne gibt es keine solche Rechnung, da gibt es weder
gestern, heute noch morgen, weder Monate noch Jahre, da ist alles gleich. So ist auch
das Wort Gottes erhaben über alle diese Zustände, es ist frei von den Grenzen, den
Gesetzen und den Schranken der irdischen Welt. Deshalb hat die Wirklichkeit der
Prophetenschaft, die das Wort Gottes und der vollkommene Zustand der Manifestation ist,
keinen Anfang und wird auch kein Ende haben; ihr Aufgang ist verschieden von allen
andern, er gleicht dem der Sonne. Ihr
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Aufgang im Zeichen Christi geschah mit höchstem Glanz und größter Pracht und währt
für immer und ewig. Bedenket, wieviele siegreiche Könige, wieviele Staatsmänner, Fürsten
und mächtige Organisatoren es schon gab, die alle verschwunden sind! Die sanften Düfte
Christi aber wehen noch heute, Sein Licht leuchtet noch immer, der Widerhall Seiner
Melodien wird noch jetzt gehört, Sein Banner weht noch heute, Seine Armeen
kämpfen noch immer, Seine himmlische Stimme ist jetzt noch liebliche Melodie,
Seine Wolken begießen noch immer die Knospen, Seine Blitze flammen immer noch auf,
Seine Widerspiegelung ist immer noch hell und klar, Sein Glanz erstrahlt und leuchtet
noch immer. Und so ist es auch mit den Seelen, die unter Seinem Schutze sind und
mit Seinem Lichte leuchten.
Es ist also klar, daß die Manifestationen drei Stufen besitzen: den physischen Zustand, den Zustand der vernünftigen Seele und den Zustand des Erscheinens des göttlichen und des himmlischen Glanzes. Der physische Zustand wird sicherlich aufgelöst, aber der Zustand der vernünftigen Seele hat — obwohl sie einen Anfang hat — kein Ende, nein, er ist ausgestattet mit ewigem Leben. Aber die heilige Wirklichkeit, von der Christus sagte: „Der Vater ist im Sohn“, hat weder Anfang noch Ende. Wenn von einem Anfang die Rede ist, so ist damit der Beginn des Offenbarens gemeint, und sinnbildlich ist der Zustand des vorausgegangenen Schweigens mit dem Schlaf verglichen. Nehmen wir z. B. an, ein Mensch schläft, wenn er aber anfängt, zu sprechen, ist er wach, er ist aber, ob schlafend oder wachend, immer dieselbe Persönlichkeit, es ist in seiner Stufe, seiner Erhabenheit, seiner Herrlichkeit, seinem Wesen oder in seiner Natur keine Veränderung eingetreten. Der Zustand des vorausgegangenen Schweigens ist verglichen mit dem Schlaf und der Zustand der Offenbarung mit dem Wachsein. Ein Mensch ist derselbe Mensch, ob schlafend oder wachend. Schlaf ist der eine Zustand und Wachsein der andere. Die Zeit des Schweigens ist also mit dem Schlaf verglichen und die Manifestation und Führung mit dem Wachsein.
Im Evangelium lesen wir: „Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott.“ Es ist also einleuchtend und klar, daß Christus die Stufe des Messias und Seine Vollkommenheit nicht erst während der Taufe, da der Heilige Geist gleich einer Taube auf Ihn herabkam, erlangte. Nein, das Wort Gottes befand sich von Ewigkeit her auf der Stufe der Heiligkeit und wird auch immer da bleiben.
39. Kapitel.
Der menschliche Zustand und der geistige Zustand der göttlichen Manifestation.
Wir sprachen bereits von den drei Stufen der Manifestationen. Die erste Stufe ist die vom Körper abhängige physische Wirklichkeit. Die zweite Stufe ist die der individuellen Wirklichkeit, d. h. die der vernünftigen Seele; die dritte Stufe ist die des Erscheinens des Göttlichen, und diese ist die göttliche Vollkommenheit, sie ist die Ursache des Lebens, der Erziehung der Seelen, der Führung des Volkes und der Erleuchtung der irdischen Welt. Der physische Zustand ist der Zustand des Menschen, der stirbt, weil er aus Elementen zusammengesetzt ist; alles, was aus Elementen zusammengesetzt ist, muß sich unbedingt wieder auflösen und zerfallen.
Aber die eigentliche Wirklichkeit der Manifestationen Gottes ist eine heilige Wirklichkeit und darum ist sie geheiligt, und hinsichtlich ihrer Natur und Eigenschaft unterscheidet sie sich von allen andern Dingen. Sie gleicht der Sonne, die aus ihrer ureigenen Natur Licht erzeugt, und kann keinesfalls mit dem Mond verglichen werden, wie auch die den Sonnenball bildenden Teilchen nicht mit den Teilchen verglichen werden können, aus denen der Mond zusammengesetzt ist. Die Sonnenteilchen und ihre Gestaltung erzeugen Strahlen, aber die Teilchen, aus denen der Mond zusammengesetzt ist, erzeugen keine Lichtstrahlen, sie müssen ihr Licht von der Sonne borgen. Die andern menschlichen Wesen sind daher jene Seelen, die gleich dem Mond ihr Licht von der Sonne nehmen; aber die heilige Wirklichkeit der Manifestation leuchtet aus sich selbst.
Die dritte Stufe dieser Wesen*) ist die göttliche Gabe, der Glanz der ewigen Schönheit
und das Leuchten des Lichts des Allmächtigen. Die eigentliche Wirklichkeit der
göttlichen Manifestationen ist unzertrennt von der Gabe Gottes, von dem herrlichen
Glanz, wie auch der Sonnenkörper nicht vom Licht getrennt ist. Wir können daher sagen,
daß die Himmelfahrt der heiligen Manifestationen einfach das Verlassen dieser aus
Elementen zusammengesetzten Gestalt ist.
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Wenn z. B. eine Lampe diese Nische beleuchtet, auf einmal aber aufhört, sie zu beleuchten,
weil die Nische zerstört ist, so wird deshalb das Licht der Lampe nicht aufhören zu leuchten.
*) der Manifestationen.
Kurz gesagt, in den göttlichen Manifestationen gleicht die ewige Gabe dem Licht, die Individualität dem Glaskörper und der menschliche Leib der Nische. Wenn die Nische zerstört ist, brennt die Lampe dennoch weiter. Die göttlichen Manifestationen sind viele verschiedenen Spiegel; weil jede eine besondere Individualität hat, aber das, was in diesen verschiedenen Spiegeln widergespiegelt wird, ist ein und dieselbe Sonne. Selbstverständlich war die Individualität Christi verschieden von der Individualität Moses.
Wahrlich, diese heilige Wirklichkeit*) ist Sich von Anfang an des Geheimnisses Ihrer göttlichen Existenz bewußt, und von Kindheit an werden in Ihr die Zeichen der Größe offenbar. Wie könnte es wohl sein, daß die Manifestation, ausgestattet mit allen diesen Gaben und dieser Vollkommenheit, sich Ihrer selbst nicht bewußt sein sollte?
*) die Manifestation.
Wir erwähnten bereits, daß die heiligen Manifestationen drei Stufen besitzen, die physische Stufe, die individuelle Wirklichkeit und den Mittelpunkt des Erscheinens der Vollkommenheit. Letzterer gleicht der Sonne, ihrer Wärme und ihrem Licht. Andere Menschen haben nur die physische Stufe und die Stufe der vernünftigen Seele, Geist und Vernunft.**) Daher sind die Worte (Bahá’u’lláhs): „Ich schlief und die göttlichen Lüfte wehten über mich und Ich erwachte“, den Worten Christi zu vergleichen, da Er sagte: „Der Körper ist betrübt, aber der Geist ist glücklich“ oder an anderer Stelle: „Ich bin betrübt, oder Ich bin ruhig oder Ich bin bekümmert.“ Diese Worte beziehen sich auf den physischen Zustand und haben keine Beziehung zu dem individuellen Wesen, noch zu der Offenbarung der göttlichen Wirklichkeit. Bedenket, wieviele tausend Wechselfälle dem menschlichen Körper zustoßen können, aber der Geist bleibt unberührt davon. Es kann sogar vorkommen, daß einige Glieder des Körpers gänzlich verkrüppelt sind, aber das Wesen des Geistes bleibt sich gleich und ist ewig. Dem Gewand mögen Tausende von Unfällen zustoßen, ohne daß für den Träger des Gewands Gefahr besteht. Die Worte Bahá’u’lláhs: „Ich schlief, und die göttlichen Lüfte wehten über Mich und erweckten Mich“ beziehen sich auf den Körper.
**) Vergl. Kapitel 55 „Seele, Geist und Vernunft."
In der Welt Gottes gibt es keine Vergangenheit, da ist alles gleich. Wenn daher Johannes sagte: „Im Anfang war das Wort" so bedeutet dies, daß es war, ist und immer sein wird, denn in der Welt Gottes gibt es keine Zeit. Die Zeit hat Macht über die Geschöpfe, aber nicht über Gott. Christus sagt z. B. in Seinem Gebet: „Dein Name ist geheiligt.“ Dies bedeutet: „Dein Name war, ist und wird geheiligt sein.“ Morgen, Mittag und Abend beziehen sich auf diese Erde, aber bei der Sonne gibt es weder Morgen, Mittag noch Abend.
40. Kapitel.
Das Wissen der göttlichen Manifestationen.
Frage: Eine der Mächte, welche die göttlichen Manifestationen besitzen, ist Wissen. Wo liegt die Grenze dieser Macht?
Antwort: Es gibt zwei Arten von Wissen, ein subjektives und ein objektives, d. h. es gibt ein intuitives (durch unmittelbare Anschauung erlangtes) Wissen und ein aus der Vorstellung abgeleitetes Wissen.
Das Wissen, das die Menschen im allgemeinen von den vorhandenen Dingen haben, wird erlangt durch Ueberlegung oder durch augenscheinliche Gewißheit, d. h., entweder entsteht die Vorstellung, die der Mensch von den Dingen hat, durch die Macht seiner Vernunft oder das Bild ergibt sich aus der Betrachtung des Gegenstandes im Spiegel seines Herzens. Der Kreis dieses Wissens ist sehr begrenzt, weil seine Erlangung von Anstrengungen und Bemühungen abhängt.
Aber die zweite Art von Wissen, die Erkenntnis des Seins, ist intuitiv, sie gleicht der Kenntnis und dem Bewußtsein, das der Mensch von sich hat.
Die Vernunft und der Geist des Menschen z. B. haben Kenntnis von dem Zustand und
der Beschaffenheit der Glieder sowie der Teile, aus denen der Körper zusammengesetzt
ist, und sie werden alle physischen Gefühle gewahr; ebenso kennen sie ihre Kraft,
ihre Empfindungen und ihre geistigen Zustände. Dies ist die Kenntnis des Seins, das
der Mensch verwirklicht und wahrnimmt,
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denn der Geist umgibt den Körper und hat Kenntnis von seinen Empfindungen und
Kräften. Diese Kenntnis ist nicht das Ergebnis von Anstrengungen und Studien; sie
ist einfach vorhanden, sie ist eine Gabe Gottes. Da nun die geheiligten universalen
Manifestationen Gottes das Wesen und die Eigenschaften der Geschöpfe umfassen und
die existierenden Wesen in sich schließen und übertreffen und alle Dinge verstehen, so ist ihr
Wissen göttliches und kein erworbenes Wissen, d. h. es ist eine heilige Gabe,
eine göttliche Offenbarung.
Zum besseren Verständnis dieses Themas wollen wir ein Beispiel anführen. Das edelste Wesen auf Erden ist der Mensch. Er schließt das Tierreich, das Pflanzenreich und das Mineralreich in sich, d. h., ihre Zustände und Eigenschaften sind in ihm enthalten, er besitzt sie alle, er wird die Geheimnisse und verborgenen Kräfte ihres Daseins gewahr. Dies ist aber nur ein Beispiel und kein genau stimmender Vergleich. Die universalen Manifestationen vielmehr haben Kenntnis von der Wirklichkeit der Geheimnisse der Wesen, und deshalb setzen sie Gesetze ein, die dem Zustand der Menschheit angemessen sind; denn Religion ist die wesentliche, von der Wirklichkeit der Dinge herrührende Verbindung. Wenn die Manifestation, d. h. der heilige Gesetzgeber nicht von der Wirklichkeit der Wesen unterrichtet wäre, dann würde Er die wesentliche, von der Wirklichkeit der Dinge herrührende Verbindung nicht begreifen und wäre sicherlich nicht fähig, eine Religion einzusetzen, die der Wirklichkeit entspricht und den tatsächlichen Zuständen angepaßt ist. Die Propheten Gottes, die universalen Manifestationen gleichen erfahrenen Aerzten und die irdische Welt gleicht dem Körper des Menschen; die göttlichen Gesetze sind das Heilmittel und die Behandlung. Deshalb muß der Arzt alle Glieder und Teile des Patienten und dessen Konstitution und Zustand genau kennen, damit er ihm eine Medizin verschreiben kann, die gegen das heftige Gift der Krankheit wirkt. Tatsächlich leitet der Arzt die für den Patienten passende Behandlung von der Krankheit ab; er stellt zuerst die Krankheit fest und verschreibt dann geeignete Heilmittel. Wie kann er ein Heilmittel verschreiben oder eine Behandlung vornehmen, solange er die Krankheit nicht kennt? Um eine geeignete Medizin verschreiben zu können, muß der Arzt die Konstitution, die Glieder, Organe und den Zustand des Patienten genau kennen und mit allen Krankheiten und Heilmitteln vertraut sein.
Die Religion ist also die notwendige Verbindung, die der Wirklichkeit der Dinge entspringt, und da die universalen Manifestationen Gottes von den Geheimnissen der Wesen Kenntnis haben, so kennen sie diese unbedingt notwendige Verbindung, und aus dieser Erkenntnis setzen sie das Gesetz Gottes ein.
Glauben und Werke.
Von H. Küstner.
„Die Bahá’i müssen dem Herrn mit Weisheit dienen, andere durch ihr Leben belehren und das Licht Gottes in Taten offenbaren. Die Wirkung der Taten ist in Wahrheit mächtiger als die der Worte.
Der Fortschritt des Menschen hängt von Aufrichtigkeit, Weisheit, Keuschheit, Intelligenz und von guten Taten ab...
..Manche begnügen sich nur mit Worten, aber die Wahrheit der Worte wird durch gute Taten bezeugt und hängt von der Lebensführung ab. Taten offenbaren die Stufe des Menschen. Die Worte müsse in Uebereinstimmung mit dem sein, was aus dem Wort des Willens Gottes hervorgeht und in den Hl. Schriften berichtet ist.
Das Wesen des Glaubens ist: Wenig Worte zu machen und eine Fülle von Taten aufzuweisen. Wisse, daß für den, dessen Worte seine Taten übertreffen, wahrlich der Tod besser wäre als sein Leben.
(Worte der Weisheit.)
Wenn wir auch immer wieder Spuren echter Nächstenliebe finden, wenn wir auch immer wieder
Menschen finden, die Christi Gebote von der Nächstenliebe in die Tat umsetzen, so ist doch im
allgemeinen in der heutigen Welt wenig
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Nächstenliebe und wenig guter Wille zu finden, sich nach diesen Geboten zu richten. Das
Betrüblichste dabei ist, daß die Religion, die die Hüterin der Moral und der Nächstenliebe
sein sollte, die Kraft verloren hat, hier der Rufer im Streit zu sein, weil sie mit den
Glaubensbekenntnissen und Dogmen identifiziert wird. Es wird von dieser Seite geradezu eine
Zweiheit gepredigt, geradezu dazu aufgefordert, das geistige, religiöse
Leben gesondert von dem sogenannten weltlich-materiellen Leben zu halten. Man lehrt, das
religiöse Leben und das tägliche Leben seien ganz verschiedene Dinge, die scharf von einander
geschieden gehalten werden müßten. Man lehrt, daß jemand selig wird, wenn er nur an Jesus glaubt;
darüber hinaus kann man sein, wie man will, es macht weiter nichts aus. Uns Bahá’i wird auf
Grund der oben angeführten Worte von Bahá’u’lláh und auf Grund anderer Stellen der "Verb.
Worte" (II 69, 76, 81) zum Vorwurf gemacht, unsere Lehre lehre eine Werkgerechtigkeit, sie
schaffe die Erlösung durch den Glauben ab und führe eine Selbsterlösung der Menschen herbei.
Besteht dieser Vorwurf zu Recht? Stimmt die Lehre von der Erlösung durch den Glauben nicht
mit der Bibel überein? Wir lesen im Brief des Jakobus, 2. Kapitel, Vers 14—26:
„Was hilft's, liebe Brüder, so jemand sagt, er habe den Glauben, und hat doch die Werke nicht? Kann auch der Glaube ihn selig machen?... Also auch der Glaube, wenn er nicht Werke hat, ist er tot an ihm selber... So seht ihr nun, daß der Mensch durch die Werke gerecht wird, nicht durch den Glauben allein... Denn gleichwie der Leib ohne Geist tot ist, also ist auch der Glaube ohne Werke tot.“
Mit diesen Worten können wir leicht den Vorwurf der Werkgerechtigkeit zurückweisen. Sie sprechen für sich selber. Wenn man in der Christenheit an diesen Worten manchmal irre wird, so geschieht es im Hinblick auf Jesu Gleichnis vom Pharisäer und dem Sünder, wo Jesus die pharisäische Werkgerechtigkeit verdammt, und weil man sich dessen erinnert, was der Apostel Paulus in Eph. 2, 8—10 schreibt:
„Denn aus Gnade seid ihr selig geworden durch den Glauben — und das nicht aus euch: Gottes Gabe ist es -— nicht aus den Werken (die an sich aber vorhanden sind. Der Verf.), daß sich nicht jemand rühme. Denn wir sind sein Werk, geschaffen in Christo Jesu zu guten Werken, zu welchen uns Gott zuvor bereitet hat, daß wir darin wandeln sollen.“
Wir Bahá’i finden aber bei näherer Betrachtung eine klare Uebereinstimmung mit unserer Lehre auch hier: Wohl macht der Glaube selig, aber eben nur der rechte Glaube, der sich ganz von selbst in Taten und im Lebenswandel offenbart. Für uns ist die Frage geklärt. Es gibt eben für uns keinen Unterschied zwischen Diesseitsleben und Jenseitsleben, zwischen weltlichem, materiellem Leben und dem geistigen Leben. Es gibt kein Leben in doppeltem Sinn. Das geistige Leben muß das tägliche Leben befruchten und durchdringen, und das tägliche, materielle Leber muß — neben andern Zielen — dem geistigen Leben die Mittel schaffen, sich zu vervollkommnen. Die Frage spielt überhaupt auf ein anderes wichtiges Gebiet hinüber, auf dem wir Bahái ganz besonders gesegnet sind, gegenüber der übrigen Welt, auf die Frage nach den Lebenszielen. Das Ziel des menschlichen Lebens besteht nach der Bahá’i-Lehre — kurz zusammengefaßt — im Befolgen der göttlichen Gebote, um sich selbst und der Menschheit zum Fortschritt in diesem und dem jenseitigen Leben zu gereichen. Nicht Lebensflucht, sondern kräftige Lebensbejahung lehrt Bahá’u’lláh. Der Mensch, der seinen Beruf richtig ausübt, übt Gottesdienst aus. Vor allem gehört auch zu den reinen und heiligen Taten, die von uns erwartet werden, daß wir unseren Beruf richtig ausüben und diesen so auffassen, daß wir ihn erfüllen in erster Linie, um der Menschheit zu dienen, und erst in zweiter Linie zu unserem Nutzen, soweit er berechtigt ist; dies bedeutet auch Gottesdienst. Würden alle Menschen dies beachten, so wären andere „gute Taten“ nicht mehr notwendig. Dann gäbe es keine notleidende Menschheit mehr, keine Armen und Unterdrückten, keine verwahrlosten Kranken. Dann würde alles Leid vermieden. Dann gäbe es kein Ausbeuten des Nächsten mehr.
Wir dürfen uns das große Geschenk wohl vor Augen führen, das Bahá’u’lláh der Menschheit in den Worten gemacht hat:
„O mein Diener! Die besten der Menschen sind diejenigen, die ihren Lebensunterhalt durch die Ausübung eines Berufs erwerben und davon ihre Ausgaben und die ihrer Angehörigen in der Liebe Gottes, des Herrn aller Welten, bestreiten.“
(Verb. Worte II 82.)
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Jede menschliche Tätigkeit, die nicht darauf gerichtet ist, der Menschheit zu schaden, sondern
die darauf ausgeht, der Menschheit zu dienen, auch wenn mit diesem Dienst der Lebensunterhalt
erworben wird, ist von Gott gesegnet und darf zu den guten Taten gerechnet werden. Wir
haben deshalb auch nie zu befürchten, daß aus den eingangs angeführten Worten von Bahá’u’lláh
über die Notwendigkeit der Tat etwa eine Werkgerechtigkeit entstünde nach Art der pharirisäischen.
Die rechte Arbeit ist Gottesdienst.
Josua sagte einst:
„Gefällt es euch aber nicht, daß ihr dem Herrn dienet, so erwählt euch heute, wem ihr dienen wollt: den Göttern, denen eure Väter gedient haben jenseits des Stroms, oder den Göttern der Amoniter, in deren Lande ihr wohnet. Ich aber und mein Haus wollen dem Herrn dienen.“ (Josua 24, 15.)
Nicht darauf wollen wir heute den Nachdruck legen, daß nach dieser Bibelstelle die Väter der damaligen Juden auch einmal „Andern Göttern" gedient haben, so wichtig und interessant diese Frage auch sein würde. Würden wir doch auf ihrem Weg nachweisen können, daß alle Völker zu allen und jeden Zeiten an den einen und den gleichen Gott geglaubt haben. Nein, heute wollen wir nur untersuchen, was Josua wohl damit gemeint haben mag, wenn er sagte, er und sein Haus wollten dem Herrn „dienen“.
Was versteht man heute so gemeinhin unter Gottesdienst? In der christlichen Religion hat sich die Gewohnheit herausgebildet, unter Gottesdienst das Zurkirchegehen zu verstehen. Ein anderer Begriff von dem Wort „Gottesdienst“ ist uns kaum mehr gegenwärtig.
Muß es aber so sein? Besteht in unserer bisherigen, uns doch auch lieb und wert gewordenen Religion wirklich kein Gebot, das uns etwas anderes lehrt? Beschränkt sich unsere christliche Religion wirklich nur darauf, den Menschen gewisse Stunden aus dem Alltag hinauszuheben, ihn dann aber wieder voll und ganz dem sogenannten Alltag zu überlassen? Finden wir diesen Unterschied Alltag und Gottesdienst überhaupt in unsern authentischen Verordnungen?
Durchaus nicht. So lesen wir schon im alten Testament im Propheten Micha:
„Es ist dir gesagt, Mensch, was gut ist und was der Herr von dir fordert, nämlich Gottes Wort halten und Liebe üben und demütig sein vor deinem Gott.“
(Micha 6, 8)
Also schon hier haben wir den Begriff des Worthaltens. Das Liebeüben und Demütigsein vor Gott ist darin schon inbegriffen. Was sind diese Gebote, die der Mensch halten soll? Nun, die dem Mose von Gott auf dem Berge Sinai geoffenbarten ewigen Zehn Gebote. Es ist ein eigen Ding um die von den einzelnen Botschaftern geoffenbarten Gebote. In allen Geboten aller Propheten prägt sich aus, daß die Menschen untereinander in Liebe verkehren sollen, einander lieben und an Gott glauben sollen. Und immer wieder finden wir es, daß nicht der Inhalt dieser Gebote, der immer und zu allen Zeiten der Gleiche ist, sondern die Form, die Art, wie sie sich darstellen, für das Wesentliche daran gehalten wird, und daß diese nebensächlichen Verschiedenheiten die Menschen abgehalten haben, allgemein an die Gebote Gottes zu glauben. Immer haben sie sich an etwas gestört bei dem von neuem geoffenbarten Willen Gottes. „Ja, bis jetzt war es doch so, der neue Prophet sagt aber so, also muß er ein Betrüger sein.“ Hätten aber die Menschen auf den Kern der neuen Lehren geschaut, so hätten sie die Identität mit den bisherigen Lehren finden und sich an die neuen Lehren halten müssen.
Was will weiter Jesus Christus unter „Gott dienen“ verstanden wissen? Er sagt:
„Du sollst Gott, deinen Herrn, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und von ganzem Gemüte, das ist das vornehmste und größte Gebot. Das andere aber ist dem gleich: du sollst deinen Nächsten lieben als dich selbst. In diesen 2 Geboten hanget das ganze Gesetz und die Propheten.“
(Matth. 22, 37-40)
Es ist unbegreiflich, daß angesichts dieser Worte eine solche Verflachung in unsern
Anschauungen eintreten konnte. Also der ‘Mensch dient Gott am besten, der Ihn von ganzem Herzen
liebt, wie sich selbst. Wenn ich jemand von ganzem Herzen liebe, so werde ich auch gegen alles, was
mit ihm zusammenhängt, in Liebe verkehren. Wie schon die zehn Gebote Moses in so einziger Weise
gelehrt haben, wie die Menschen untereinander verkehren sollen, so umschließt Jesus in diesem
Gebot das ganze gesellschaftliche und soziale Leben der Menschen zu allen Zeiten. Wenn
wir uns nun darüber klar sind, daß der wahre Gottesdienst darin besteht, Gottes Gebote zu halten, so
müssen wir gleichfalls wissen, was Gott mit Seinen Geboten bezweckt, denn sie sind kein Selbstzweck,
wenn sie auch vielen Menschen unbequem sind. Vor allem unserer heutigen Menschheit sind
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sie unbequem. Mit allerlei Aufwand an Logik und Vernunft versuchen die Menschen, nachzuweisen,
daß die Gebote der Religion auf die heutige Zeit nicht mehr passen und suchen, sich um das Halten
von Gottes Geboten zu drücken.
Was also will Gott mit Seinen Geboten bezwecken? Will Er damit etwas für Sich Selbst erreichen oder was ist es damit sonst? Gott ist die Liebe selbst. Er ist der Schöpfer, der alles erschafft und beherrscht. Er ist deshalb unabhängig von uns, Seinen Geschöpfen. Daß Er etwas für sich will; scheidet also von vornherein aus. Es bleibt also nur übrig, daß Gottes Gebote, wenn sie auch nicht Selbstzweck sind, den Menschen nützen sollen, also demjenigen, der sie befolgen soll. Gottes Gebote dienen und haben zu aller Zeit nur gedient dem Fortschritt und der geistigen Hebung der Menschheit. Wir Bahá’i wissen, daß sich die menschliche Seele aus den untern Reichen der Schöpfung herauf entwickelt hat, in denen andere Gesetze gelten. Diese Gesetze haften der Seele in gewissem Umfang noch an und der Mensch muß bestrebt sein, diese Triebe zu überwinden, denn was z. B. für das Tierreich erlaubt ist, kann für das höher entwickelte Reich des Menschen nicht mehr gelten. Der Mensch muß also streben, über das Tierreich, dem er körperlich angehört, hinauszukommen. Der Mensch unterscheidet sich vom Tierreich durch den ihm von Gott verliehenen Geist, seine vernünftige Seele. An diese vernünftige Seele wenden sich die Gebote Gottes, um sie in ihrer Aufgabe, sich weiter in die Höhe zu entwickeln, zu unterstützen. Gottes Gebote bezwecken, die tierische Natur des Menschen zu kontrollieren, zu leiten, zu überwinden. Sie dienen in erster Linie dem Menschen selbst. Denn auch das menschliche Leben auf Erden ist nicht Selbstzweck.
Nun kann man uns entgegenhalten: „Ja, alles, was in den Geboten der Religion steht, haben wir doch auch im weltlichen Gesetz, das uns bestraft, wenn wir es übertreten!“ Wir berühren hier einen wichtigen Punkt. Wenn wir einen Rückblick in die Geschichte tun, finden wir, daß ursprünglich kein Unterschied bestand zwischen weltlichem und religiösem Gesetz. Es gab keine zweierlei Gesetze. Im religiösen Gesetz sind alle weltlichen Gesetze enthalten, und solange es so war, war es gut. Solange das Volk bestehen konnte, indem es sich lediglich an die Gebote Gottes hielt, solange war es gut. Wenn wir die Gebote, auch die auf den sogenannten Alltag bezüglichen deswegen halten, weil Gott es so will, machen wir, daß der Alltag zum Gottesdienst wird, und wir stehen immer in Verbindung mit Gott. Es gibt dann keine profane Verrichtung. Alles Tun wird heilig. Solange brauchen wir keine weltlichen Gesetze. Die weltlichen Gesetze werden erst notwendig, wenn die Religion niedergeht, wenn ihre Gebote nicht mehr die Kraft haben, die Menschen zu leiten, zu führen, wenn die Menschen anfangen, sich vom Quell alles Seins abzuwenden, wenn das Leben beginnt, Selbstzweck zu werden, wenn die Menschen unterscheiden zwischen gewöhnlichem Leben und zwischen dem heiligen. Dann kommen die weltlichen Gesetze mit ihren Strafen. Dann kommt die Zeit, wo die Gebote nicht mehr um ihrer selbst willen und Dessen willen gehalten werden, Der sie gegeben hat, sondern aus Furcht vor Strafe. Solange der Mensch mit Gott verbunden ist und Seine Gebote um ihrer selbst willen und Gott zu Liebe hält, solange hat der Mensch keine äußerliche Strafe nötig. Er trägt dann die Strafe in sich: Strafandrohung wird erst notwendig, wenn der Mensch den wahren Zweck und die wahren Zusammenhänge des Lebens aus dem Gesicht verliert, wenn er anfängt, sich und sein Leben als Selbstzweck aufzufassen. Je weiter sich die Menschen von Gott entfernen, desto mehr treten die religiösen Gesetze in den Hintergrund, um den weltlichen Gesetzen Platz zu machen, und von diesem Standpunkt aus gesehen bietet sich kein guter Aspekt für unsere heutige Zeit mit ihren bis ins kleinste ausgeklügelten weltlichen Gesetzen. Alle weltlichen Gesetze aber, wenn sie gut sind, bringen nichts anderes zum Ausdruck, als was auch in den zehn Geboten steht.
Wir sprachen bisher immer von dem Willen Gottes und den Geboten Gottes. Gott ist
erhaben über Seine Geschöpfe und für den menschlichen Verstand und seine Begriffe unerreichbar.
Wie gelangen Sein Wille und Seine Gebote zu uns? Durch Gottes Botschafter. Woran aber
erkennen wir Seine Botschafter? Wenn die Sonne scheint, dann braucht es keinen weiteren Beweis
für das Vorhandensein der Sonne. Sie ist sich selbst Beweis. So ist es mit den Gottesoffenbarern.
Jeder Gottesoffenbarer ist sich selbst Beweis. Bahá’u’lláh schreibt in dem Heiligen
Buche der Gewißheit: Das sei ferne von Gottes Güte, daß Er unter allen Menschen Einen
aussuche und ihn zum Botschafter bestimme, ohne ihm auch die genügenden Beweise mitzugeben.
Seine Gewalt über die Herzen der Menschen, die Kraft Seiner Worte und Seiner Gebote, eine
Kraft, die sichtlich höherer Art ist, als menschliche Kraft, der Umstand, daß ihre Worte und
Gebote, auch wenn sie scheinbar nichts anderes sagen, als was sonst gute Menschen auch sagen
und wollen, sich durchsetzen gegen allen Widerstand, ist ein weiterer Beweis. Weiter finden wir
in den Heiligen Schriften, daß jeder Gottesoffenbarer auf die nächste Manifestation verweist und
gewisse Zeichen und Merkmale festsetzt, die der kommende Gottesbotschafter erfüllen wird.
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Nur Propheten, und zwar nur die sogenannten unabhängigen, haben die Macht, Bestehendes zu
ändern und Gebräuche, religiöse und weltliche, abzuschaffen. Ueber die Natur der Propheten
erklärte uns 'Abdu'l-Bahá Folgendes:
„Im Allgemeinen unterscheidet man zwei Arten von Propheten. Die einen sind die unabhängigen Propheten, welche eine Nachfolgerschaft bekommen, und die andern sind die abhängigen, welche selbst Nachfolger sind.
Die unabhängigen Propheten sind die Gesetzgeber und Gründer von einen neuen Zyklus. Ihr Erscheinen bewirkt, daß die Welt ein neues Gewand anzieht, die Fundamente der Religion werden neu gelegt und ein neues Buch wird geoffenbart. Ohne einen Vermittler empfangen sie die Gaben von der Wirklichkeit der Gottheit, und ihre Erleuchtung ist eine himmlische Erleuchtung. Sie sind gleich der Sonne, welche von sich aus Licht gibt und das Licht nicht von einem andern Stern empfängt. Sie sind die Quellen der himmlischen Gaben und die Spiegel der göttlichen Wirklichkeit.
Die andern Propheten sind Nachfolger und Verbreiter der Lehre der ersteren; sie sind Zweige, welche nicht unabhängig sind. Sie empfangen die Gaben von den unabhängigen Propheten, und das Licht der Führung der universalen Propheten kommt ihnen zugut. Sie sind gleich dem Mond, welcher nicht von sich aus leuchtet, sondern sein Licht von der Sonne empfängt.
Manifestationen universaler Art sind z.B. Abraham, Mose, Christus, Mohammed, der Báb und Bahá’u’lláh. Aber die andern, welche nur Nachfolger und Verbreiter sind, sind beispielsweise David, Jesaias, Jeremias, und Ezechiel. Denn die unabhängigen Propheten sind Gründer; sie setzen eine neue Religion ein und machen aus den Menschen neue Kreaturen; sie verändern die allgemeine Moral, verbreiten neue Gebräuche und Regeln und erneuern die Gesetze. Ihr Erscheinen gleicht der Frühlingszeit, welche die Erde in ein neues Gewand kleidet und ihr neues Leben gibt.
Die zweite Art von Propheten, die Nachfolger der ersten, verbreiten das Gesetz Gottes, sie machen die Menschen mit der Religion Gottes bekannt und verkündigen Sein Wort. Von sich aus haben sie keine Macht, ausgenommen die, die sie von den unabhängigen Propheten empfangen.“
(Sonne der Wahrheit, I. Jahrgang, S. 158.)
und ferner:
„Wisse, daß die Eigenschaften der Vollkommenheit, der Glanz der göttlichen Gaben und das Licht der Inspiration in allen heiligen Manifestationen augenscheinlich und sichtbar ist; aber das herrliche Wort Gottes (der Logos), Christus und der größte Name Bahá’u’lláh, sind Manifestationen und Beweise, welche über der Einbildung stehen; denn sie besitzen alle Vollkommenheit, welche die andern Manifestationen von ihnen abhängig macht. So waren beispielsweise alle Propheten Israels Mittelpunkte der Inspiration; aber welch ein Unterschied besteht zwischen den Inspirationen des Wortes Gottes (in Christus und Bahá’u’lláh) und den Offenbarungen von Jesaia, Jeremia und Elia!...
Beachtet den Unterschied, welcher besteht zwischen den Tugenden und Vollkommenheiten Jesu Christi und Bahá’u’lláhs und den Eigenschaften der Propheten Israels, wie Ezechiel und Samuel. Sie alle waren Offenbarer der Göttlichen Inspiration, aber zwischen ihnen besteht ein unendlicher Unterschied.“
(Sonne der Wahrheit, I. Jahrgang, S. 161.)
Die für uns in Betracht kommenden Propheten haben alle aufeinander hingewiesen. So hat Mose
auf Christus und auf Bahá’u’lláh verwiesen, und Christus verwies auf Bahá’u’lláh. Es gibt viele
Menschen, die mit an sich ganz guten und schönen Lehren hervortreten, die auch Anhänger finden,
deren Sache sich aber bald wieder zerschlägt und auflöst. Hier fehlte die schöpferische Kraft
Gottes, die die Sache der Propheten stützt und hält. In dem herrlichen Buch von Abul Fazl
„Bahá’ibeweise“ lesen wir in klarer Ausführung, daß sich
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die Sache der großen Propheten durchgesetzt hat, ohne weltliche Gelehrsamkeit der Propheten, ohne
Unterstützung durch irgend welchen Einfluß, ohne materielle Hilfe, lediglich aus sich selbst heraus
durch Gottes Kraft und Macht. Die griechischen und ägyptischen Philosophen waren machtlos gegenüber
den Greueln ihrer Religion und gegenüber den Greueln der ihnen benachbarten Araber. Als aber Jesus kam, beeinflußte er die Sitten und Gebräuche der Römer und Griechen, und als Mohammed kam, schaffte er
bei den Arabern die Greuel ab.
„An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen“
lehrt uns Jesus. Und wahrlich, alles trägt seine Frucht, die ihm eigentümlich ist.
Jesus hat auf die nach ihm kommende Manifestation des Vaters hingewiesen und Bahá’u’lláh hat diese Zeichen erfüllt. Es ist nicht nötig, die Erfüllung dieser Zeichen hier im Einzelnen darzulegen. Wir finden sie des Näheren ausgeführt im XIII. Kapitel des Buchs v. Dr. Esslemont. Wir wollen hier nur festhalten, daß es in der heutigen Zeit neben Bahá’u’lláh keinen unabhängigen Gottesoffenbarer geben kann, und soweit jemand den Anspruch macht, abhängiger Prophet zu sein, muß er von Bahá’u’lláh abhängig sein, muß sich für Bahá’u’lláhs Gesetze einsetzen und sich der Autorität Bahá’u’lláhs bewußt unterwerfen. Und auch hier wieder hat. Bahá’u’lláh dafür gesorgt, daß wir uns nicht täuschen können, denn Er hat durch Sein Gesetz selbst Richtlinien für die abhängigen Propheten aufgestellt. Er selbst hat als ersten Nachfolger Seinen Sohn 'Abdu'l-Bahá eingesetzt, 'Abdu'l-Bahá, den Diener Gottes, und dieser wieder hat uns als Nachfolger Shoghi Effendi bestimmt. Wenn wir nun die uns von Gott durch Bahá’u’lláh gesandten Gebote darauf ansehen, was sie uns sagen hinsichtlich des heutigen Themas, des Gottesdienstes, so finden wir in den frohen Botschaften Folgendes:
„Jeder Bahá’i aber muß den andern im Dienen und Erweisen von Liebe zu übertreffen suchen. Dies ist. allen zur Pflicht gemacht. Gesegnet sind die, welche sie erfüllen.“
und ferner:
„Jedem einzelnen von euch ist es zur Pflicht gemacht, sich in irgend einem Berufe, sei es Kunst, Gewerbe usw. zu betätigen. Wir veranlaßten, daß die gewissen hafte Erfüllung eurer Berufspflichten dem Dienste Gottes, des Wahrhaftigen, gleichgeachtet wird.“
In diesen Geboten hat die Liebe Gottes und Seine Weisheit Vorsorge getroffen, daß der Unterschied, der bisher zwischen Alltag und Gottesdienst bestand, verschwinden muß. Die Alltagsarbeit, gewissenhaft und zum Wohl der Menschheit ausgeführt, ist Gottesdienst. Wir können nicht mehr darum in Verlegenheit kommen, womit wir Gott dienen wollen. Der Menschheit nützen, die Menschheit fördern, auch damit dienen wir Gott, vor allem aber dann, wenn wir uns dabei dessen bewußt sind und die Arbeit zu Gottes Lob verrichten. Daß nebenher die Herzensverehrung Gottes zu gehen hat, bedarf keiner Erwähnung, und wie und in welchem Geiste wir Gott dienen sollen, hat uns noch Einer gezeigt, 'Abdu'l-Bahá, Der nichts sein wollte, als der Diener Gottes. Wenn wir auf Sein Leben und auf Sein ergebenes Dienen blicken, können wir nie in die Irre gehen darum, daß wir nicht wissen, womit wir Gott dienen sollen. Sein ganzes Leben war ein einziger Gottesdienst, und zwar gerade darum, weil es dem Dienst an der Menschheit galt. Er hat uns die frohen Botschaften gebracht, daß das Reich Gottes auf Erden angebrochen sei. Er hat uns die Gebote Gottes erläutert und erklärt und sie unserem Verständnis eingeprägt mit Worten, wie sie klarer und einfacher, wie sie aber auch tiefer kein Philosoph hätte sprechen können. Auf ihn trifft die Prophezeiung in Matth. 23, V. 11 zu, wo es heißt:
„Der größte unter euch wird euer Diener sein.“
Wir müssen uns die Vorschriften von Bahá’u’lláh voll und ganz zu eigen machen. Es genügt nicht, daß wir uns der Bahá’ilehre zuwenden, weil uns vielleicht gerade die eine oder andere Seiner Lehren besonders zusagt. Es geht z. B. für einen Sozialisten nicht an, sich der Lehre zuzuwenden, weil Bahá’u’lláh den sozialen Ausgleich befohlen hat, im übrigen aber ruhig weiter dem Klassenkampfgedanken zu huldigen. Es geht nicht an, die Einheit der Menschheit anzuerkennen, im übrigen aber weiter einem übertriebenen Nationalismus hinzuneigen, denn Bahá’u’lláh sagt:
„Ruhm gebührt nicht dem, der sein Vaterland liebt, sondern dem, der die ganze Menschheit liebt.“
Es geht nicht an, Vertrauenswürdigkeit zu verkünden, und selbst im Herzen noch allerlei
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Hintergedanken gegen seine Brüder und Schwestern zu hegen, und so fort. Vor allem müssen wir den
Geboten Bahá’u’lláhs unser Herz öffnen, daß sie unser tägliches Leben weihen und darauf Einfluß
nehmen, und daß sich das tägliche Leben dem Leben der Seele unterordnet. Wir müssen davon
loskommen, daß wir zwischen Gottesdienst und Alltag unterscheiden. Es gibt hier keine Trennung,
diese Trennung konnte nur konstruiert werden, solange man das Leben als Selbstzweck
nahm. Das hat aber für die Bahá’i aufgehört. Wir Bahá’i befolgen Gottes Gebote aus Liebe zu Gott.
Daß wir uns dabei selbst den besten Dienst erweisen, das hat Gott in Seiner unerschöpflichen
Gnade so verordnet.
Erziehung zum Frieden.
Ansprache von Martha L. Root, Pittsburg, U.S.A., gelegentlich der internationalen Konferenz „Friede durch Schule“ in Prag, Ostern 1927.
Hochgeschätzte Damen und Herren,
Friedensfreunde!
„Wir leben im Morgengrauen eines neuen universalen Zeitalters, und wir benötigen eine universale Friedenserziehung, die für diese neue Zeit geeignet ist. Das gleiche hat Ihnen unser bedeutender und befähigter Präsident, Professor Bovet, gesagt: wir bedürfen einer geistigen Erziehung, um den kindlichen Geist zu immer höheren Idealen zu führen. Deshalb trete ich vor Sie, um über die außerordentlich kraftvollen Prinzipien Bahá’u’lláhs zu sprechen, eines Weltenlehrers mit universaler Erziehung zum Frieden.
Die Bahá’i-Bewegung ist das Esperanto der Religion. Bahá’u’lláh befahl ein und dasselbe Lehrprogramm, gleichviel ob für Knaben oder Mädchen. Mädchen wie Knaben sollen die gleichen Lehrgänge durchmachen. Ein Programm hilft zur Einheit des Menschen. In dem Maße, wie die Menschheit die gleiche Erziehung und die Gleichberechtigung für beide Geschlechter erhalten wird, werden die Kriege auch verschwinden.
Der Sohn Bahá’u’lláhs, 'Abdu'l-Bahá, sagte, daß Friedenserziehung in der Unterhaltung, nicht nur durch Bücherlernen erfolgen sollte. Ein Kind muß das andere fragen und dieses soll antworten, so werden sie guten Fortschritt machen. Später werden die Kinder gern untereinander über diese Themen sprechen. Er sagte auch: „Die Charakterbildung ist ein untrennbarer Teil dieser universalen Erziehung. In der freiheitlichen Schule bilden die Kinder eine kleine Einheit, die den Selbstausdruck, die Selbstdisziplin und die gegenseitige Hilfsbereitschaft entwickelt. Dem Geist des Wettbewerbs folgt Zusammenarbeit und wahre Kameradschaft. Die Kinder werden nicht mehr allein durch den Willen des Lehrers beeinflußt, der sie vorandrängt. In dieser neuen Methode ruht der Keim einer großen sozialen Reform. Denn wer sich mit Selbstbetrachtung abgibt, steht schon mit beiden Füßen auf dem Friedenswege. Vergeblich wird dieser Weg von den Menschen gesucht, die von Kindheit an bis heute ihr Interesse in der Oberherrschaft des einen über den andern sehen.“
Die Schulen müssen ein neues unparteiisches Studium der Literatur, Geschichte und der Kultur des Islams und des Buddhismus wie des Judentums und der Krishnalehre einführen. Auf diese Weise werden sie das Morgenland mit dem Abendland vereinigen und Fundamente für universale Verbrüderung und Frieden schaffen.
Eine universale Erziehung hat in diesem Augenblick die willkommene und dankenswerte Aufgabe, die Menschheit vom Kriege abzuziehen und sie zum Bewußtsein der Welteinheit und des Friedens zu erheben. 'Abdu'l-Bahá sagte: „Mit allen geeigneten Mitteln müssen die Eltern und Lehrer die Prinzipien der Aufrichtigkeit, Liebe, Treue, des Gehorsams, der wahren Demokratie und Freundlichkeit in den wachsenden Geist und das Gemüt der Kinder pflanzen. So wird in der Zukunft die zivilisierte Welt wie die Flut eines mächtigen Stromes sein, so werden die künftigen Kinder die Einheit und den guten Willen der ganzen Menschheit errichten. Die kleinen Kinder werden von ihren Eltern in der Liebe Gotttes und in der Liebe zur Menschheit erzogen werden müssen — nicht nur in der Liebe zur Menschheit in Asien oder zur Menschheit in Europa oder in Amerika, sondern zur Menschheit der ganzen Welt.“
Die Knaben und Mädchen müssen gleichzeitig geistige und materielle Erziehung erhalten. Die materielle Erziehung ist nötig. Sie gibt der Menschheit Mittel zur physischen Behaglichkeit. Aber das Glück der Menschheit rührt zuallererst von den Tugenden der Menschheit her, denn dieses Glück kommt aus der Intuition, aus der Liebe zu Gott, aus der Erkenntnis Gottes, der Gleichberechtigung unter den Völkern, aus der Gerechtigkeit und der Verbundenheit der Herzen.
Vielleicht fragen Sie, wie wir nicht nur den Intellekt sondern auch den Charakter, das Herz,
den Willen erziehen können? Das ist nur dadurch möglich, daß die höchsten Ideale der Wahrheit
und Gerechtigkeit in die Herzen der Kinder
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eingepflanzt werden. Jene Ideale müssen derartig lebendig und nahgerückt mit so viel Glanz und
geistiger Schönheit dargeboten werden, daß die Kinder sie lieben. Diese Liebe wird nicht eher
ihre Vollendung erreichen, bis Gerechtigkeit, guter Wille, Wahrheit, Brüderlichkeit als der Wille
Gottes betrachtet werden.
Wir brauchen alle eine Erziehung zum Frieden. Wie das Kind der Führung durch Lehrer oder Erzieher bedarf, so benötigen die Erwachsenen der Führung von Offenbarern und Propheten, um sich geistig und sittlich zu vervollkommnen und den Frieden zu erlangen. In diesem Jahrhundert wird der universale Friede durch die Lehren Bahá’u’lláhs fest errichtet werden. Doktor Zamenhof sagte, daß wir wohl keinen universalen Frieden bekommen, bis zu der Zeit, in der wir eine universale Religion und eine universale Hilfssprache haben werden. Heute haben wir beides.
Ich schließe mit den Worten 'Abdu'l-Bahás über eine internationale Sprache: „Nun ist, gottlob, diese Sprache, Esperanto, erdacht worden. Das ist eine der besonderen Gaben dieses leuchtenden Jahrhunderts, eines der größten Unternehmen dieses großen Zeitalters. Die Verständigung durch eine Sprache formt die Menschheit zu einer Welt um. Sie beseitigt das Sich-Nicht-Verstehen zwischen den Religionen, sie macht das Morgenland mit dem Abendland durch den Geist der Bruderschaft und Liebe bekannt. Die Vereinigung der Sprachen verwandelt diese Welt aus vielen Familien in eine Familie. Diese internationale Hilfssprache sammelt die Nationen unter einem Banner, die fünf Erdteile werden gleichsam zu einem Erdteil werden, denn die Menschen werden dadurch ihre Gedanken untereinander austauschen können. Die internationale Sprache wird Unwissenheit und Vorurteile beseitigen dadurch, daß jedes Kind, gleichviel welcher Rasse oder Nation, einem Studium der Wissenschaft und Kunst in jedem Lande zukünftig nachgehen kann, weil es nur noch zwei Sprachen zu erlernen braucht, erstens seine Landessprache und dann die internationale Hilfssprache. So wird die materielle Welt zum Ausdruck der geistigen Welt werden. So werden Entdeckungen offenbar werden, Erfindungen sich mehren, die Wissenschaft mit großen Schritten voranschreiten, die wissenschaftliche Bodenbestellung sich in stärkerem Maße entwickeln, denn die Nationen werden nun gegenseitig die zum Ausdruck gebrachten Gedanken aufnehmen können, und diese Gedanken werden in der universalen Sprache ihren Ausdruck finden."
(Aus dem Esperanto übersetzt.)
, Bahá’i-Arbeit beim XIX. Universalen Esperanto-Kongreß in Danzig 1927.
Vom 29. Juli bis 4. August 1927 fand in Danzig der XIX. Universale Esperanto-Kongreß statt, an dem, wie alljährlich, Esperantisten aus den verschiedenen Ländern teilnahmen. Im Rahmen der Veranstaltungen wurden auch zwei Bahá’i-Fachsitzungen abgehalten, die von Martha L. Root mit großer Sorgfalt und Umsicht vorbereitet worden waren.
In der Eröffnungssitzung dieses Jubiläumskongresses (Esperanto ist jetzt vierzig Jahre alt) am Freitag, den 29. Juli, las unsere Freundin Martha L. Root vor ungefähr 1500 Zuhörern im großen Saal des Festgebäudes einen Brief Shoghi Effendis vor, der folgendermaßen lautete:
Haifa, Palästina, den 17. April 1927.
An die Delegierten und Freunde, die dem XIX. Universalen Esperanto-Kongreß beiwohnen.
Meine lieben Mitarbeiter im Dienste für die Menschheit!
Aus Anlaß der Eröffnung des XIX. Universalen Esperanto-Kongresses freue ich mich sehr, Ihnen zu schreiben und Ihnen von ganzem Herzen den vollsten Erfolg in der großen Arbeit, die Sie für die Fortentwicklung der Menschheit tun, zu. wünschen.
Es wird Sie — dessen bin ich sicher — interessieren zu erfahren, daß gemäß den wiederholten und eindringlichen Ermahnungen 'Abdu'l-Bahás Seine Anhänger sich begeistert mit dem Studium des Esperanto befassen, für dessen Zukunft sie die größten Hoffnungen hegen. Diese Anhänger sind selbst in den abgelegensten Dörfern und Häuschen Persiens, wohin bis jetzt kaum das Licht der westlichen Zivilisation gedrungen ist, sie sind auch in anderen Ländern des ganzen Orients vertreten.
Ich drücke die Gefühle ungezählter Bahá’i in der ganzen Welt aus, wenn ich Ihnen durch diesen Brief den herzlichen Ausdruck unserer aufrichtigsten Glückwünsche und unserer eifrigen Gebete für den Erfolg Ihrer Arbeiten und die Erreichung Ihres edlen Zieles übermittle.
In treuer Gesinnung Ihr
(gez.) Shoghi.
Dieser Brief machte, ebenso wie fünf Bahá’i-Glückwunschtelegramme verschiedener Länder, die
im Verlaufe des Jubiläums-Festabends vom Generalsekretär des internationalen
Esperanto-Zentralkomittees verlesen wurden, auf alle Zuhörer großen Eindruck. Und sicherlich
ist es mit diesen Grußworten zu verdanken, daß zahlreiche
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Kongreßteilnehmer, die dadurch zum erstenmale etwas über die Bahá’i-Bewegung erfahren hatten, sowohl
zur ersten als auch zur zweiten Bahá’i-Fachsitzung kamen.
Die erste Bahá’i-Fachsitzung fand im Roten Saal des Kongreßgebäudes (Schützenhaus) statt. An der einen Wand hatte der Redakteur der Bahá’i-Esperanto-Zeitung „La Nova Tago“, eine interessante Ausstellung von Bahá’i-Zeitschriften verschiedener Länder in den verschiedensten Sprachen angebracht. An der Eingangstür lagen auf einem besonderen Tisch verschiedene Zeitschriften und Flugblätter zur kostenlosen Mitnahme, so unter anderem die eben erwähnte „La Nova Tago“, „Bahá’i-Perlen“ in Esperanto, ein Flugblatt „Was ist die Bahá’i-Bewegung“ u. a. m. Ferner lag eine Esperanto-Uebersetzung von Dr. J.E. Esslemonts „Bahá’u’lláh und Seine Botschaft“ zum Verkauf auf.
Der Rednertisch war mit weißen Lilien geschmückt. Nach Eröffnung durch Martha L. Root, die den Vorsitz führte, sang Fräulein Lotte Dischler, Stettin, mit Klavierbegleitung von Werner Berthe, Charlottenburg, „La cieloj gloras la Dian honoron (die Himmel rühmen)“ von Beethoven. Nach Verlesung von Grußbriefen Shoghi Effendis und Prof. Dr. Aug. Forels, Yvorne, und eines Dankbriefes der blinden Esperantisten für die von Martha L. Root geschenkte Esperanto-Blindenschrift-Ausgabe des Flugblattes „Was ist die Bahá’i-Bewegung?“, die alle Leser der Esperanto-Blinden-Zeitschrift noch vor dem Kongresse erhalten hatten, sprach Dr. Ernst Kliemke, Berlin, als Hauptredner über „La Kulturaj Prinzipoj de la Bahaismo“. Eine deutsche Uebersetzung dieses Vortrages wird hoffentlich demnächst in der „Sonne der Wahrheit" erscheinen können, sodaß sich ein Bericht darüber erübrigt, zumal der Rahmen eines allgemeinen Berichtes für einen so wertvollen Beitrag zu unserer Bahá’i-Einführungs- und Fortbildungs-Literatur zu eng ist. Weiter sprach Werner Berthe über „La Ideo de l’ Bahaismo (Die Idee des Bahá’ismus)“, die Prinzipien der Bahá’i-Lehre erläuternd, und Martha L. Root aus eigener Erfahrung über die Bahá’i-Arbeit in vielen Ländern, über die Erfolge dieser Arbeit und über die Ausbreitung der Bahá’i-Lehre.
Zur Pflanzung einer Esperanto-Jubiläums-Eiche im Esperantogrund in Zoppot, einem kleinen Tal mit wundervollem Blick auf die Danziger Bucht, am Sonntag, den 30. Juli, hatte Martha. L. Root Erde aus dem Englewood bei New York, wo 'Abdu'l-Bahá gesprochen hatte, und von den Gräbern des Báb, Bahá’u’lláh’s und 'Abdu'l-Bahá’s, vom Karmel und aus Bahji bei Akka mitgebracht.
Die zweite Bahá’i-Fachsitzung fand am Montag, den 31. Juli im gleichen Raum bei ebenso reger Teilnahme statt, trotz gleichzeitiger Abhaltung der wichtigsten allgemeinen Kongreß-Sitzung. Wieder präsidierte Martha L. Root, und Fräulein L. Dischler sang „En la vesperrugo (im Abendrot)“ von Schubert und „Vespergesang“ von Kämpf.
Nachdem Martha L. Root. den Zuhörern die anwesenden Freunde aus den verschiedensten Ländern vorgestellt hatte, kam sie zum Hauptthema: „Bahaaj sciencaj pruvoj de l’ vivo post la morto (die wissenschaftlichen Beweise der Bahá’i-Lehre über das Leben nach dem Tod)“. Dieser Vortrag ist bereits in Heft 9 der „Sonne der Wahrheit“ erschienen. Anschließend sprach Friedrich A. Gerstner über „La progresada de la Bahaa Movado (das Fortschreiten der Bahá’i-Bewegung)“ und ging dabei auf die Organisation, die verschiedenen „Geistigen Arbeitsgemeinschaften“, Einrichtungen (Schulen, Sparkasse, Kinder- und Jugendlichengruppen usw.), die verschiedenen Bahá’i-Zeitungen, wobei er die oben erwähnte Ausstellung erklärte, ein. Danach erzählte Prof. Christaller, Stuttgart, über den Besuch 'Abdu'l-Bahá’s in Stuttgart; er bedauerte seinerzeit nur, daß eine unmittelbare Unterhaltung mit 'Abdu'l-Bahá infolge der Sprachschwierigkeiten nicht möglich war. Obgleich er sich auf Grund seiner Weltanschauung nicht zu den Bahá’i’s rechne, empfehle er allen denen, die einen Mittelpunkt ihrer Weltanschauung oder einen Gott brauchen, die Bahá’i-Lehre wegen ihrer hohen Qualitäten. Herr H. Greff, Elbing, berichtete dann, wie er zur Bahá’i-Bewegung gekommen sei: Anfang 1914 las er in der damals von Dr. L. L. Zamenhof, dem Erfinder des Esperanto, redigierten Esperanto-Zeitschrift „La Revuo“ Auszugs-Uebersetzungen aus dem bekannten Werke von Gobineau. Da er von dem Gelesenen begeistert war, suchte er sich weiteres Material zu beschaffen und verlieh später die Broschüren des Verlags des deutschen Bahá’i-Bundes in Stuttgart, sowie die „Sonne der Wahrheit“ an zwei protestantische Pfarrer und einen Rabiner, die gleichermaßen über den hohen Wert der Bahá’i-Lehre übereinstimmten. Er ging dann noch in einigen Punkten auf die Geschichte ein und demonstrierte daran die Lebensfähigkeit der Bahá’i-Lehre. Weiter erzählte Frau Moscheles, London, über den Besuch 'Abdu'l-Bahá’s in ihrem Heim, und Jens Schjerve, Oslo, gab sein Arbeitsprogramm bekannt. Es wurde noch eine Grammophonplatte mit einigen von 'Abdu'l-Bahá gesungenen persischen Gebeten zu Gehör gebracht, und zum Schluß las Fräulein Dorothy Marshall, San Franzisko, einige Worte 'Abdu'l-Bahá’s vor. Noch eine ganze Anzahl von Zuhörern blieben, um Fräulein Root über verschiedene Punkte um Auskunft zu bitten.
Druck: Wilhelm Heppeler, Stuttgart
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Geschichte und Bedeutung der Bahá’ilehre.
Die Bahai-Bewegung tritt vor allem ein für die „Universale Religion" und den „Universalen Frieden“ — die Hoffnung aller Zeitalter. Sie zeigt den Weg und die Mittel, die zur Einigung der Menschheit unter dem hohen Banner der Liebe, Wahrheit, Gerechtigkeit und Barmherzigkeit führen. Sie ist göttlich ihrem Ursprung nach, menschlich in ihrer Darstellung, praktisch für jede Lebenslage. In Glaubenssachen gilt bei ihr nichts als die Wahrheit, in den Handlungen nichts als das Gute, in ihren Beziehungen zu den Menschen nichts als liebevoller Dienst.
Zur Aufklärung für diejenigen, die noch wenig oder nichts von der Bahaibewegung wissen, führen wir hier Folgendes an: „Die Bahaireligion ging aus dem Babismus hervor. Sie ist die Religion der Nachfolger Bahá’u’lláhs. Mirza Hussein Ali Nuri (welches sein eigentlicher Name war) wurde im Jahre 1817 in Teheran (Persien) geboren. Vom Jahr 1844 an war er einer der angesehensten Anhänger des Bab und widmete sich der Verbreitung seiner Lehren in Persien. Nach dem Märtyrertod des Bab wurde er mit den Hauptanhängern desselben von der türkischen Regierung nach Bagdad und später nach Konstantinopel und Adrianopel verbannt. In Bagdad verkündete er seine göttliche Sendung (als „Der, den Gott offenbaren werde") und erklärte, daß er der sei, den der Bab in seinen Schriften als die „Große Manifestation", die in den letzten Tagen kommen werde, angekündigt und verheißen hatte. In seinen Briefen an die Regenten der bedeutendsten Staaten Europas forderte er diese auf, sie möchten ihm bei der Hochhaltung der Religion und bei der Einführung des universalen Friedens beistehen. Nach dem öffentlichen Hervortreten Bahá’u’lláhs wurden seine Anhänger, die ihn als den Verheißenen anerkannten, Bahai (Kinder des Lichts) genannt. Im Jahr 1868 wurde Bahá’u’lláh vom Sultan der Türkei nach Akka in Syrien verbannt, wo er den größten Teil seiner lehrreichen Werke verfaßte und wo er am 28. Mai 1892 starb. Zuvor übertrug er seinem Sohn Abbas Effendi ('Abdu'l-Bahá) die Verbreitung seiner Lehre und bestimmte ihn zum Mittelpunkt und Lehrer für alle Bahai der Welt.
Es gibt nicht nur in den mohammedanischen Ländern Bahai, sondern auch in allen Ländern Europas, sowie in Amerika, Japan, Indien, China etc. Dies kommt daher, daß Bahá’u’lláh den Babismus, der mehr nationale Bedeutung hatte, in eine universale Religion umwandelte, die als die Erfüllung und Vollendung aller bisherigen Religionen gelten kann. Die Juden erwarten den Messias, die Christen das Wiederkommen Christi, die Mohammedaner den Mahdi, die Buddhisten den fünften Buddha, die Zoroastrier den Schah Bahram, die Hindus die Wiederverkörperung Krischnas und die Atheisten — eine bessere soziale Organisation.
In Bahá’u’lláh sind alle diese Erwartungen erfüllt. Seine Lehre beseitigt alle Eifersucht und Feindseligkeit, die zwischen den verschiedenen Religionen besteht; sie befreit die Religionen von ihren Verfälschungen, die im Lauf der Zeit durch Einführung von Dogmen und Riten entstanden und bringt sie alle durch Wiederherstellung ihrer ursprünglichen Reinheit in Einklang. Das einzige Dogma der Lehre ist der Glaube an den einigen Gott und an seine Manifestationen (Zoroaster, Buddha, Mose, Jesus, Mohammed, Bahá’u’lláh).
Die Hauptschriften Bahá’u’lláhs sind der Kitab el Ighan (Buch der Gewißheit), der Kitab el Akdas (Buch der Gesetze), der Kitab el Ahd (Buch des Bundes) und zahlreiche Sendschreiben, genannt „Tablets“, die er an die wichtigsten Herrscher oder an Privatpersonen richtete. Rituale haben keinen Platz in dieser Religion; letztere muß vielmehr in allen Handlungen des Lebens zum Ausdruck kommen und in wahrer Gottes- und Nächstenliebe gipfeln. Jedermann muß einen Beruf haben und ihn ausüben. Gute Erziehung der Kinder ist zur Pflicht gemacht und geregelt.
Streitfragen, welche nicht anders beigelegt werden können, sind der Entscheidung des Zivilgesetzes jeden Landes und dem Bait’ul’Adl oder „Haus der Gerechtigkeit“, das durch Bahá’u’lláh eingesetzt wurde, unterworfen. Achtung gegenüber jeder Regierungs- und Staatseinrichtung ist als einem Teil der Achtung, die wir Gott schulden, gefordert. Um die Kriege aus der Welt zu schaffen, ist ein internationaler Schiedsgerichtshof zu errichten. Auch soll neben der Muttersprache eine universale Einheits-Sprache eingeführt werden. „Ihr seid alle die Blätter eines Baumes und die Tropfen eines Meeres“ sagt Bahá’u’lláh.
Es ist also weniger die Einführung einer neuen Religion, als die Erneuerung und Vereinigung aller Religionen, was heute von 'Abdu'l-Bahá erstrebt wird. (Vgl. Nouveau, Larousse, illustré supplement, p. 66.)
Verlag des Deutschen Bahá’i-Bundes Stuttgart
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In unserem Verlag sind erschienen:
1. Die Geschichte der Bahai-Bewegung, von S. S. Deutsch von Wilhelm Herrigel. Dritte Ausgabe . . . -.20
2. Bahai-Perlen, Deutsch von Wilhelm Herrigel . . . . -.20
3. Ehe Abraham war, war Ich, v. Thornton Chase. Deutsch v. W.Herrigel . . . . -.20
4. Das heilige Tablet, ein Sendschreiben Baha’o’llahs an die Christenheit. Deutsch von Wilhelm Herrigel . . -.20
5. Die Universale Weltreligion, Ein Blick in die Bahai-Lehre von Alice T. Schwarz . . . . -.50
6. Die Offenbarung Baha’u’llahs, von J.D. Brittingham. Deutsch von Wilhelm. Herrigel . . . -.50
7. Verborgene Worte von Bahá’u’lláh. Dtsch. v. A. Schwarz u. W. Herrigel . . . 1.--
8. Baha’u’llah, Frohe Botschaften, Worte des Paradieses, Tablet Tarasat, Tablet Taschalliat, Tablet Ischrakat. Deutsch von Wilhelm Herrigel, in Halbleinen gebunden . . . 2.50
in feinstem Ganzleinen gebunden . . . . . 3.--
9. Einheitsreligion. Ihre Wirkung auf Staat, Erziehung, Sozialpolitik, Frauenrechte und die einzelne Persönlichkeit, von Dr. jur. H. Dreyfus, Deutsch von Wilhelm Herrigel. Neue Auflage . . . -.50
10. Die Bahaibewegung im allgemeinen und ihre großen Wirkungen in Indien, von Wilhelm Herrigel . . . . -.50
11. Eine Botschaft an die Juden, von Abdul Baha Abbas. Deutsch von Wilhelm Herrigel . . . -.20
12. Abdul Baha Abbas, Ansprachen über die Bahailehre. Deutsch von Wilhelm Herrigel, in Halbleinen gebunden . . . . . 3.--
in feinstem Ganzleinen gebunden. . . . . 3.50
13. Geschichte und Wahrheitsbeweise der Bahaireligion, von Mirza Abul Fazl. Deutsch von W. Herrigel, in Halbleinen geb. . . . . 4.50
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14. Abdul Baha Abbas’ Leben und Lehren, von Myron H. Phelps. Deutsch von Wilhelm Herrigel, in Ganzleinen gebunden . . . . 4.--
15. Das Hinscheiden Abdul Bahas, ("The Passing of Abdul Baha") Deutsch von Alice T. Schwarz . . . -.50
16. Das neue Zeitalter von Ch. M. Remey. Deutsch von Wilhelm Herrigel . . . . —.50
17. Die soziale Frage und ihre Lösung im Sinne der Bahailehre von Dr. Hermann Grossmann . . . . . —.20
18. Die Bahai-Offenbarung, ein Lehrbuch von Thornton Chase, deutsch von W. Herrigel, kartoniert M. 4.--, in Halbleinen gebunden M. 4.60
19. Bah’u’lláh und das neue Zeitalter, ein Lehrbuch von Dr. J. E. Esslemont, deutsch von W. Herrigel und H. Küstner. In Ganzleinen gebunden . . . . . 4.50
20. Sonne der Wahrheit, Jahrgang 3 - 6 in Halbleinen gebunden . . . . . 6.50
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