Sonne der Wahrheit/Jahrgang 7/Heft 10/Text

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SONNE

DER

WAHRHEIT
 
Heft X VII.JAHRG. DEZ. 1927
 
ORGAN DES DEUTSCHEN BAHAI-BUNDES STUTTGART


[Seite 144] Abdu’l-Bahás Erläuterung der Bahá’i - Prinzipien.


1. Die ganze Menschheit muss als Einheit betrachtet werden.

Baha’u’lláh wandte Sich an die gesamte Menschheit mit den Worten: „Ihr seid alle die Blätter eines Zweigs und die Früchte eines Baumes“. Das heißt: die Menschheit gleicht einem Baum und die Nationen oder Völker gleichen den verschiedenen Aesten und Zweigen; die einzelnen Menschen aber gleichen den Blüten und Früchten dieses Baumes. In dieser Weise stellte Baha’u’lláh das Prinzip der Einheit der Menschheit dar. Baha’u’lláh verkündigte die Einheit der ganzen Menschheit, er versenkte sie alle im Meer der göttlichen Gnade.


2. Alle Menschen sollen die Wahrheit selbständig erforschen.

In religiösen Fragen sollte niemand blindlings seinen Eltern und Voreltern folgen. Jeder muß mit eigenen Augen sehen, mit eigenen Ohren hören und die Wahrheit suchen, denn die Religionen sind häufig nichts anderes als Nachahmungen des von den Eltern und Voreltern übernommenen Glaubens.


3. Alle Religionen haben eine gemeinsame Grundlage.

Alle göttlichen Verordnungen beruhen auf ein und derselben Wirklichkeit. Diese Grundlage ist die Wahrheit und bildet eine Einheit, nicht eine Mehrheit. Daher beruhen alle Religionen auf einer einheitlichen Grundlage. Im Laufe der Zeit sind gewisse Formen und Zeremonien der Religion beigefügt worden. Dieses bigotte menschliche Beiwerk ist unwesentlich und nebensächlich und verursacht die Abweichungen und Streitigkeiten unter den Religionen. Wenn wir aber diese äußere Form beiseite legen und die Wirklichkeit suchen, so zeigt sich, daß es nur eine göttliche Religion gibt.


4. Die Religion muss die Ursache der Einigkeit und Eintracht unter den Menschen sein.

Die Religion ist für die Menschheit die größte göttliche Gabe, die Ursache des wahren Lebens und hohen sittlichen Wertes; sie führt den Menschen zum ewigen Leben. Die Religion sollte weder Haß und Feindschaft noch Tyrannei und Ungerechtigkeiten verursachen. Gegenüber einer Religion, die zu Mißhelligkeit und Zwietracht, zu Spaltungen und Streitigkeiten führt, wäre Religionslosigkeit vorzuziehen. Die religiösen Lehren sind für die Seele das, was die Arznei für den Kranken ist. Wenn aber ein Heilmittel die Krankheit verschlimmert, so ist es besser, es nicht anzuwenden.


5. Die Religion muss mit Wissenschaft und Vernunft übereinstimmen.

Die Religion muß mit der Wissenschaft übereinstimmen und der Vernunft entsprechen, so daß die Wissenschaft die Religion, die Religion die Wissenschaft stützt. Diese beiden müssen unauflöslich miteinander verbunden sein.


6. Mann und Frau haben gleiche Rechte.

Dies ist eine besondere Lehre Baha’u’lláhs, denn die früheren Religionen stellen die Männer über die Frauen. Töchter und Söhne müssen gleichwertige Erziehung und Bildung genießen. Dies wird viel zum Fortschritt und zur Einigung der Menschheit beitragen.


7. Vorurteile jeglicher Art müssen abgelegt werden.

Alle Propheten Gottes kamen, um die Menschen zu einigen, nicht um sie zu trennen. Sie kamen, um das Gesetz der Liebe zu verwirklichen, nicht um Feindschaft unter sie zu bringen. Daher müssen alle Vorurteile rassischer, völkischer, politischer oder religiöser Art abgelegt werden. Wir müssen zur Ursache der Einigung der ganzen Menschheit werden.


8. Der Weltfriede muss verwirklicht werden.

Alle Menschen und Nationen sollen sich bemühen, Frieden unter sich zu schließen. Sie sollen darnach streben, daß der universale Friede zwischen allen Regierungen, Religionen, Rassen und zwischen den Bewohnern der ganzen Welt verwirklicht wird. Die Errichtung des Weltfriedens ist heutzutage die wichtigste Angelegenheit. Die Verwirklichung dieses Prinzips ist eine schreiende Notwendigkeit unserer Zeit.


9. Beide Geschlechter sollen die beste geistige und sittliche Bildung und Erziehung geniessen.

Alle Menschen müssen erzogen und belehrt werden. Eine Forderung der Religion ist, daß jedermann erzogen werde und daß er die Möglichkeit habe, Wissen und Kenntnisse zu erwerben. Die Erziehung jedes Kindes ist unerläßliche Pflicht. Für Elternlose und Unbemittelte hat die Gemeinde zu sorgen.


10. Die soziale Frage muss gelöst werden.

Keiner der früheren Religionsstifter hat die soziale Frage in so umfassender, vergeistigter Weise gelöst wie Baha’u’lláh. Er hat Anordnungen getroffen, welche die Wohlfahrt und das Glück der ganzen Menschheit sichern. Wenn sich der Reiche eines schönen, sorglosen Lebens erfreut, so hat auch der Arme ein Anrecht auf ein trautes Heim und ein sorgenfreies Dasein. Solange die bisherigen Verhältnisse dauern, wird kein wahrhaft glücklicher Zustand für den Menschen erreicht werden. Vor Gott sind alle Menschen gleich berechtigt, vor Ihm gibt es kein Ansehen der Person; alle stehen im Schutze seiner Gerechtigkeit.


11. Es muss eine Einheitssprache und Einheitsschrift eingeführt werden.

Baha’u’lláh befahl die Einführung einer Welteinheitssprache. Es muß aus allen Ländern ein Ausschuß zusammentreten, der zur Erleichterung des internationalen Verkehrs entweder eine schon bestehende Sprache zur Weitsprache erklären oder eine neue Sprache als Weltsprache schaffen soll; diese Sprache muß in allen Schulen und Hochschulen der Welt gelehrt werden, damit dann niemand mehr nötig hat, außer dieser Sprache und seiner Muttersprache eine weitere zu erlernen.


12. Es muss ein Weltschiedsgerichtshof eingesetzt werden.

Nach dem Gebot Gottes soll durch das ernstliche Bestreben aller Menschen ein Weltschiedsgerichtshof geschaffen werden, der die Streitigkeiten aller Nationen schlichten soll und dessen Entscheidung sich jedermann unterzuordnen hat.

Vor mehr als 50 Jahren befahl Baha’u’lláh der Menschheit, den Weltfrieden aufzurichten und rief alle Nationen zum „internationalen Ausgleich“, damit alle Grenzfragen sowie die Fragen nationaler Ehre, nationalen Eigentums und aller internationalen Lebensinteressen durch ein schiedsrichterliches „Haus der Gerechtigkeit" entschieden werden können.


Baha’u’lláh verkündigte diese Prinzipien allen Herrschern der Welt. Sie sind der Geist und das Licht dieses Zeitalters. Von ihrer Verwirklichung hängt das Wohlergehen für unsere Zeit und das der gesamten Menschheit ab.


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SONNE    DER  WAHRHEIT
Organ des Bahá’i-Bundes, Deutscher Zweig
Herausgegeben vom Verlag des Bahá’i-Bundes, Deutscher Zweig, Stuttgart
Verantwortliche Schriftleitung: Alice Schwarz - Solivo, Stuttgart, Alexanderstraße 3
Preis vierteljährlich 1,80 Goldmark, im Ausland 2.– Goldmark.
Heft 10 Stuttgart, im Dezember 1927
Masá il (Fragen) 84
7. Jahrgang

Inhalt: Beantwortete Fragen. — Weihnachts-Ahnen. — 'Abdu'l-Bahá Abbas. — Begebenheiten aus meinem Leben.

Motto: Einheit der Menschheit — Universaler Friede — Universale Religion


Die Früchte der Taten eines Menschen, das heißt, die Ernte — die Vergeltung für die Führung des Menschen — wird im himmlischen Reich eingesammelt.

'Abdu'l-Bahá,

(Bahá’i-Scriptures 788.)



Worte von 'Abdu'l-Bahá

Viele Menschen denken, daß Religion sich auf ein Gebäude konzentriert, vor dessen Altar sie beten. In Wirklichkeit ist Religion eine Stellungnahme, die der Mensch der Gottheit gegenüber einnimmt und die sich im Leben des Menschen auswirkt. Die Bestätigung des heiligen Geistes kommt zu dem Menschen, der sein Leben mit gelassener Fügsamkeit hinnimmt.

Die Befreiung kommt dadurch, daß der Mensch aus seinem Willen ein Tor macht, durch das die Bestätigung des Geistes eintreten kann. Mit Religion meinen wir jene notwendige Bindung, welche die Menschheit vereint. Dies war stets der Inbegriff der Religion und um dieser willen sind Offenbarer in die Welt gekommen. Wie bedauerlich ist es, daß die religiös maßgebenden Persönlichkeiten späterhin diese feste Basis verlassen und dagegen eine Reihe Dogmen und Rituale gesetzt haben, die in völligem Widerspruch mit der Grundlage der göttlichen Religion stehen.

Aus Bahá’i-Scriptures.

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Beantwortete Fragen.

Worte 'Abdu'l-Bahás

gesammelt und aus dem Persischen übersetzt von Laura Clifford Barney. Autorisierte und überprüfte deutsche Uebersetzung von Wilhelm Herrigel.

(Fortsetzung.)


32. Kapitel.

Erklärung der Worte: „Denn viele sind berufen, aber wenige sind auserwählet“.

Frage: Christus sagte im Evangelium: „Denn viele sind berufen, aber wenige sind auserwählt.“ Und im Koran heißt es: „Er wird besondere Gnade walten lassen über denjenigen, bei dem es ihm gefällt.“ Welche Weisheit liegt in diesen Worten?

Antwort: Wisset, daß die Organisation und die Vollkommenheit des ganzen Weltalls es erfordern, daß es zahllose Daseinsformen gibt. Die Geschöpfe könnten doch nicht nur in einer Stufe, in einer Art und in einer Klasse verkörpert werden; der Unterschied der Stufen und der Vielseitigkeit der Formen sowie die Verschiedenheiten der Geschlechter und Gattungen sind unzweifelhaft notwendig. Das heißt, die Stufen des Minerals, der Pflanze, des Tieres und des Menschen sind unvermeidlich, denn die Welt könnte nicht mit den Menschen allein eingerichtet, geschmückt, organisiert und vervollkommnet werden. Ebensowenig könnte die Welt gewisse Schönheiten, genaue Organisationen und köstliche Zierden aufweisen, wenn nur Tiere, Pflanzen oder Minerale vorhanden wären. Zweifellos gelangt diese Welt gerade durch diese Verschiedenheit der Stufen, Arten und Klassen zur vollkommensten Schönheit und Pracht. Wenn z. B. dieser Baum nur in der Frucht bestände, so könnte die Vollkommenheit des Pflanzenreichs nicht erlangt werden, denn Blätter, Blüten und Früchte sind alle notwendig, damit der Baum geschmückt werde mit äußerster Schönheit und Vollkommenheit.

Betrachtet nun auch den Körper des Menschen; er ist zusammengesetzt aus verschiedenen Organen, Teilen und Gliedern. Des Menschen Schönheit und Vollkommenheit erfordert das Vorhandensein der Ohren, der Augen, des Gehirns und auch der Nägel und der Haare. Wenn der Mensch ganz aus Gehirn, Augen oder Ohren bestände, so würde er so gut wie unvollkommen sein. So würde auch das Fehlen der Haare, der Augenwimpern, der Zähne und der Nägel ein unbedingter Fehler sein, obgleich diese im Vergleich zu den Augen ohne Gefühl sind und dem Mineral und den Pflanzen. gleichen; aber ihr Fehlen im Körper des Menschen wäre durchaus ein auffallender Fehler.

Da nun die Stufen des Daseins sehr verschiedenartig sind, sind einige Wesen höher in der Stufenleiter als andere. Daher sind nach dem Wunsch und Willen Gottes einige Geschöpfe, wie der Mensch, zur höchsten Stufe auserwählt, einige andere, wie die Pflanze, stehen auf der mittleren und wieder andere, wie das Mineral, auf der niedrigsten Stufe.

Die Mildtätigkeit Gottes hat den Menschen zur höchsten Stufe auserwählt; und die Unterschiede zwischen den Menschen in Bezug auf geistigen Fortschritt und himmlische Fähigkeiten entspringen ebenfalls der Wahl des mitleidigen Gottes. Der Glaube z. B. der ewiges Leben ist, ist das Zeichen dieser Mildtätigkeit und nicht das Resultat der Gerechtigkeit. Die Flamme des Feuers der Liebe in dieser Welt der Erde und des Wassers kommt von der Macht der Anziehung und nicht von den Anstrengungen und Bestrebungen. Aber trotzdem können durch Anstrengungen und Beharrlichkeit Erkenntnis, Wissen und andere hohe Eigenschaften erlangt werden; aber nur das Licht der göttlichen Schönheit ist imstande, den Geist des Menschen durch die Kraft der Anziehung anzuregen und umzuwandeln. Deshalb ist gesagt: „Viele sind berufen, aber wenige sind auserwählt.“

Aber die irdischen Geschöpfe sind ihrer eigenen Stufe wegen weder verachtet, verurteilt, noch verantwortlich gemacht. Z. B. sowohl das Mineral, die Pflanze und das Tier sind in ihren verschiedenen Stufen recht und gut, wenn sie aber in ihrer eigenen Stufe unvollkommen bleiben, dann sind sie tadelnswert, denn ihre Stufe an sich ist vollkommen.

Die Unterschiede zwischen den Menschen sind von zweierlei Art; der eine ist ein Unterschied in der Stufe und dieser Unterschied ist nicht tadelnswert. Die andere Art ist ein Unterschied im Glauben und im Vertrauen. Das Fehlen dieser Eigenschaften [Seite 147]






Die, von Mrs. Watson in Heft 6, Seite 90 erwähnte Aufnahme vor dem Garten Rizwán, direkt nach ihrer Heilung die aus dem Artikel „Das Wunder“ hervorgeht. Nachträglich in freundlichster Weise zur Verfügung gestellt von Mr. Pauli, New-York.





Ansicht von Haifa vom Berg Carmel aus auf die deutsche Kolonie.


[Seite 148] ist tadelnswert, denn alsdann wird die Seele überwältigt von ihren Begierden und Leidenschaften, die sie dieser Segnungen berauben und sie hindern, die Macht der Anziehung der göttlichen Liebe zu fühlen. Obgleich dieser Mensch in seiner Stufe als Mensch lobenswert und brauchbar ist, so wird er dadurch, daß er der hohen Eigenschaften dieser Stufe beraubt ist, eine Quelle der Unvollkommenheit, für die er verantwortlich ist.*)

*) Vgl. Kap. 57: Die Ursache der Verschiedenheit in den Charakteren der Menschen.


33. Kapitel.

Die Wiederkunft, von der die Propheten sprachen.

Frage: Wie haben wir die „Wiederkunft“ zu verstehen?

Antwort: Bahá’u’lláh hat diese Frage im Buch Iqan voll und ganz erklärt.**) Leset es, und die Wahrheit über dies Thema wird euch klar werden. Da ihr mich aber gefragt habt, so will ich es kurz erklären. Als Grundlage dieser Erklärung wollen wir das Evangelium nehmen, denn dort ist deutlich gesagt, daß damals Johannes, der Sohn Zacharias, der kam, um den Menschen die frohe Botschaft vom Reiche Gottes zu bringen, gefragt wurde: „Wer bist du? Bist du der verheißene Messias?“ Er erwiderte: „Ich bin nicht der Messias." Darauf fragten sie ihn: „Bist du Elias?" Er antwortete: „Ich bin es nicht.“ Diese Worte zeigen deutlich, daß Johannes, der Sohn des Zacharias, nicht der verheißene Elias war. Aber am Tage der Verklärung sagte Christus auf dem Berg Tabor, Johannes, der Sohn Zacharias, sei der verheißene Elias gewesen.

**) Vgl. Kap. 26, Fußnote 1.

In Markus 9, 11—13 heißt es: „Und sie fragten ihn und sprachen: Sagen doch die Schriftgelehrten, daß Elia muß zuvor kommen. Er antwortete aber und sprach zu ihnen: Elia soll ja zuvor kommen und alles wieder zurechtbringen; dazu des Menschensohn soll viel leiden und verachtet werden, wie denn geschrieben stehet. Aber ich sage euch: Elia ist kommen und sie haben an ihm getan, was sie wollten, nach dem von ihm geschrieben steht.“

In Matthäi 17, 13 lesen wir: „Da verstunden die Jünger, daß er von Johannes dem Täufer zu ihnen geredet hatte.“ Wie schon erwähnt, fragten sie Johannes den Täufer: „Bist du Elias?“ Er antwortete: „Nein, ich bin es nicht.“ Dies antwortete Johannes, obgleich Christus so klar sagte, daß Johannes der verheißene Elias sei. Wenn nun Johannes der verheißene Elias war, warum sagte er dann: „Ich bin es nicht!“ Und wenn er nicht Elias war, warum sagte dann Christus, er sei es gewesen?

Die Erklärung hierfür ist folgende. Nicht die Persönlichkeit, sondern die Wirklichkeit der hohen Eigenschaften ist damit gemeint; d. h. dieselben hohen Eigenschaften, mit denen Elias ausgestattet war, waren auch in Johannes dem Täufer vorhanden und wurden in ihm aufs genaueste verwirklicht. Deshalb war Johannes der Täufer der verheißene Elias. In diesem Fall müssen wir nicht auf die Persönlichkeit, sondern auf die Eigenschaften blicken. Im letzten Jahr war z. B. eine Blume da, und in diesem Jahr ist auch eine Blume da. Ich kann also sagen, die Blume vom letzten Jahr ist wiedergekommen. Damit will ich aber nicht sagen, daß dieselbe Blume in ihrer genauen Individualität wiedergekommen sei; weil nun aber diese Blume die gleichen Eigenschaften hat, wie die vom letzten Jahr, denn sie hat den gleichen Duft, die gleiche Zartheit, Farbe und Form, so sage ich, die Blume vom letzten Jahr ist wiedergekommen, und diese Blume ist die frühere Blume. Wenn der Frühling kommt, können wir sagen, der Frühling des letzten Jahres ist wiedergekehrt, weil wir alles, was im letzten Jahr vorhanden war, in diesem Frühling wiederfinden. Deshalb sagte Christus: Ihr werdet alles sehen, was sich in den Tagen der früheren Propheten ereignete.

Wir wollen noch ein weiteres Beispiel anführen: Das Samenkorn vom letzten Jahr ist gesät, Zweige und Blätter sprossen hervor, Blüten und Früchte erscheinen und alles, bis zum Samenkorn, ist wiedergekehrt. Wenn nun dies zweite Samenkorn ausgepflanzt ist, wird von ihm ein Baum aufwachsen und wiederum werden diese Blätter, Blüten und Früchte erscheinen und dieser Baum wird zur Vollkommenheit gelangen. Da der Anfang ein Samenkorn war, und das Ende ein Samenkorn ist, sagen wir, das Samenkorn sei wiedergekommen. Wenn wir auf die Bestandteile des Baumes blicken, so sehen wir, daß es andere Bestandteile sind, wenn wir aber die Blüten, Blätter und Früchte betrachten, so werden wir finden, daß der gleiche Duft, die gleiche Köstlichkeit und der gleiche Wohlgeschmack erzeugt wurde. Deshalb ist die Vollkommenheit des Baumes ein zweites Mal wiedergekehrt.

Wenn wir die Wiederkunft hinsichtlich des Individuums betrachten, so werden wir [Seite 149] finden, daß es ein anderes Individuum ist; betrachten wir aber die Eigenschaften und Vortrefflichkeiten, so sehen wir, daß diese wiedergekommen sind. Als daher Christus sagte: „Er ist Elias“ meinte Er: Dieser Mann offenbarte die Gaben, die Vollkommenheit, den Charakter, die Eigenschaften und Tugenden des Elias. Johannes der Täufer dagegen sagte: „Ich bin nicht Elias.“ Christus hatte die Eigenschaften, die Vollkommenheit, den Charakter und die Tugenden der beiden im Auge, Johannes aber blickte auf seinen Körper, auf seine Persönlichkeit. Es ist hiermit wie mit dieser Lampe. Sie war letzte Nacht hier, und heute Nacht leuchtet sie uns, und morgen Nacht wird sie uns wieder Licht spenden. Wir sagen, die Lampe von heute gibt uns dasselbe Licht wie gestern Nacht, ihr Licht ist wiedergekommen. Dies bezieht sich aber nur auf das Licht und nicht auf das Oel, den Docht und die Lampe.

Dies Thema ist voll und ganz erklärt im Buch Iqan.


34. Kapitel.

Petris Glaubensbekenntnis.

Frage: In Matthäi 16, Vers 18 heißt es: „Du bist Petrus, und auf diesen Felsen will ich bauen meine Gemeine." Was bedeuten diese Worte?

*) Bekanntlieh war der eigentliche Name des Petrus Simon, aber Christus gibt ihm den Namen Kephas, der dem griechischen Wort Petras entspricht und Fels bedeutet.

Antwort: Diese Worte Christi sind eine Bestätigung der Antwort Petri auf die Frage Christi: „Wer sagt denn ihr, daß Ich sei?" Petrus antwortete: „Du bist Christus, der Sohn des lebendigen Gottes.“ Alsdann sagte Christus zu ihm: „Du bist Petrus“ — denn Kephas bedeutet in der aramäischen Sprache Fels — „und auf diesen Fels will ich meine Gemeine bauen.“ Andere hatten auf die Frage Christi geantwortet, Er sei Elias, andere sagten, Er sei Johannes der Täufer, und wieder andere, Er sei Jeremias oder der Propheten einer.

Christus wollte durch Andeutung oder eine Anspielung die Worte des Petrus bestätigen, und unter Bezug auf seinen Namen Petrus sagte Er: „Auf diesen Fels will ich meine Gemeine bauen“ und meinte damit: Dein Glaube, daß Christus der Sohn des lebendigen Gottes ist, wird das Fundament der Religion Gottes sein; und auf diesem Glauben wird das Fundament der Kirche Gottes, die das Gesetz Gottes ist, errichtet werden.

Daß sich das Grab des Petrus in Rom befindet, ist übrigens zweifelhaft, es ist nicht beurkundet; manche sagen, es befinde sich in Antiochien.

Laßt uns außerdem einmal einen Vergleich anstellen zwischen dem Leben einiger Päpste und der Religion Christi. Christus, hungernd und ohne Obdach, aß Pflanzen und Kräuter in der Wüste. Er wollte niemals die Gefühle irgend eines Menschen verletzen. Der Papst fährt in einem mit Gold gedeckten Wagen und verbringt seine Zeit in größtem Glanz, umgeben von einem Luxus, Reichtum und Schmuck, wie Könige ihn niemals hatten.

Christus verletzte niemand, aber einige unter den Päpsten töteten unschuldige Menschen, wie ihr dies in der Geschichte bestätigt findet. Wieviel Blut wurde durch die Päpste vergossen nur deshalb, um zeitliche Macht festzuhalten! Lediglich wegen Meinungsverschiedenheiten ließen sie Tausende von Dienern der Menschheit und gelehrte Männer, welche die Geheimnisse der Natur entdeckten, töten. Wie sehr widersetzten sich doch die Päpste der Wahrheit!

Denket an die Anweisungen Christi und vergleichet sie mit den Gewohnheiten und Gebräuchen der Päpste. Bedenket, hat die Art und Weise, wie die Päpste regierten, irgend welche Aehnlichkeit mit den Lehren Christi? Wir beabsichtigen nicht Kritik zu üben, aber die Geschichte des Vatikans steht in ihrer Art außerordentlich da. Mit diesen unseren Beweisen wollen wir nur feststellen, daß die Lehren Christi und die Art der päpstlichen Regierung ganz verschiedene Dinge sind, sie stimmen nicht miteinander überein. Seht, wieviele Protestanten auf Befehl der Päpste getötet wurden, wieviele Tyranneien und Unterdrückungen letztere unterstützten und wieviele Strafen und Martern sie verhängten! Kann in diesen Handlungen irgendeiner der lieblichen Düfte Christi entdeckt werden? Nein, im Namen Gottes sage ich, diese Männer gehorchten Christus nicht, aber die heilige Barbara, deren Bild wir hier vor uns haben, war Christus gehorsam, die wandelte in Seinen Fußstapfen und setzte Seine Gebote in die Tat um. Unter den Päpsten jedoch gab es auch einige gesegnete Seelen, die in den Fußstapfen Christi wandelten, ganz besonders in den ersten Jahrhunderten der christlichen Zeitrechnung, da die zeitlichen Dinge mangelten und heftige Prüfungen Gottes über sie kamen. Als sie aber in den Besitz der Regierungsgewalt kamen, und weltliche Ehren [Seite 150] und Reichtümer erlangten, vergaßen sie Christus ganz und gar und beschäftigten sich mit zeitlicher Macht, Größe, Bequemlichkeit und Luxus. Sie töteten Menschen, widersetzten sich der Verbreitung der Bildung, marterten Männer der Wissenschaft, unterdrückten das Licht der Erkenntnis und befahlen Mord und Plünderung. Tausende von Seelen, Männer der Wissenschaft und Gelehrsamkeit und andere unschuldige Menschen starben in den Gefängnissen Roms. Wie können wir bei all’ den vorausgegangenen Taten an diese Stellvertretung Gottes glauben?

Der päpstliche Stuhl hat sich beständig der Wissenschaft widersetzt, ja in Europa wird sogar behauptet, die Religion sei die Gegnerin der Wissenschaft und die Wissenschaft zerstöre die Fundamente der Religion. In Wirklichkeit aber verbreitet die Religion Gottes die Wahrheit, begründet Wissen und Erkenntnis, ist voll Wohlwollen gegenüber den Gelehrten, zivilisiert die Menschheit, entdeckt die Geheimnisse der Natur und erleuchtet die Horizonte der Welt. Wie kann man daher sagen, sie sei die Gegnerin der Wissenschaft? Gott behüte! Bei Gott ist Wissen die herrlichste Gabe für den Menschen und das Mittel zu seiner Vervollkommnung. Sich dem Wissen zu widersetzen ist ein Beweis von Unwissenheit, und wer Erkenntnis und Wissenschaft verabscheut, ist eigentlich kein Mensch, sondern eher ein Tier ohne Vernunft. Wissen ist Licht, Leben, Glück, Vollkommenheit, Schönheit und das Mittel, um sich der Quelle der Einheit zu nähern. Es ist die Ehre und der Ruhm der Menschheit und die größte Gabe Gottes. Wissen ist gleichbedeutend mit Führung, und Unwissenheit ist Irrtum.

Glücklich, wer seine Tage damit zubringt, Wissen zu erlangen, die Geheimnisse der Natur zu entdecken und die Feinheiten der reinen Wahrheit zu ergründen. Wehe aber denjenigen, die zufrieden sind mit Unwissenheit, deren Herzen sich erfreuen an gedankenlosen Nachahmungen, die in die tiefsten Tiefen der Unwissenheit und Dummheit versunken sind und ihr Leben vergeudet haben.


35. Kapitel.

Prädestination *)

Frage: Wenn Gott Kenntnis hat von der Tat, die jemand ausführen wird, und wenn diese Tat auf der Tafel des Schicksals geschrieben steht, ist es dann noch möglich, sich ihr zu widersetzen?

*) Vorherbestimmung.

Antwort: Das Vorauswissen irgendwelcher Dinge bedingt noch nicht ihre Verwirklichung. Die Allwissenheit Gottes umgibt die Wirklichkeit der Dinge sowohl vor als nach ihrem Erscheinen, und doch wird sie nicht die Ursache ihres Erscheinens. Sie ist eine der Vortrefflichkeiten Gottes. Auch was von Gott inspiriert durch den Mund der Propheten bezüglich des Erscheinens der Verheißenen geweissagt wurde, war nicht die Ursache des Erscheinens Christi. Den Propheten wurden die verborgenen Geheimnisse der Zukunft geoffenbart, und so wurden sie bekannt mit den zukünftigen Ereignissen und verkündigten sie. Dies Vorauswissen und diese Prophezeiungen waren aber nicht die Ursache der Ereignisse. Zum Beispiel weiß heute Abend jedermann, daß morgen früh die Sonne aufgeht, aber dies allgemeine Vorauswissen ist nicht die Ursache, daß die Sonne aufgeht und am Himmel erscheint.

Das Wissen Gottes im Reiche der Zufälligkeiten bringt nicht die Gestaltung der Dinge hervor, im Gegenteil, es ist geheiligt über Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Es ist wohl identisch mit der Wirklichkeit der Dinge, verursacht aber nicht ihr Vorkommen.

So wird auch der Bericht oder die Erwähnung eines Vorgangs nicht zur Ursache seiner Verwirklichung. Durch göttliche Inspiration wußten die Propheten, was in Zukunft geschehen würde; durch sie wußten sie z. B., daß Christus gemartert würde und verkündigten es. War es nun ihr Wissen und ihre Kenntnis, die das Märtyrertum Christi verursachten? Nein, dies Wissen ist eine der vollkommenen Eigenschaften der Propheten, es verursachte nicht das Märtyrertum Christi.

Durch mathematische Berechnungen wissen die Astronomen, daß zu einer bestimmten Zeit eine Sonnen- oder Mondfinsternis eintreten wird. Diese Entdeckung verursacht aber sicherlich nicht, daß die Finsternis eintritt. Dies ist natürlich nur ein Vergleich und kein genaues Bild. [Seite 151]



Dritter Teil.

Macht und Stellung der Manifestationen Gottes.


36. Kapitel.

Die fünf Stufen des Geistes.

Wisset, daß es — allgemein gesprochen — fünf Stufen des Geistes gibt. Die erste ist der Pflanzengeist. Er ist eine Kraft, die auf Geheiß des Allerhöchsten von der Zusammensetzung der Elemente, von der Mischung der Substanzen, ihrem Einfluß, ihrer Wirkung und Beziehung zueinander, herrührt. Wenn diese Substanzen und Elemente voneinander getrennt sind, hört auch die Kraft des Wachstums auf. Um ein anderes Beispiel zu gebrauchen: Die Elektrizität kommt durch die Zusammensetzung von Elementen zustande, und wenn diese Elemente wieder getrennt werden, wird die elektrische Kraft zerstreut und geht verloren. Solcher Art ist der Pflanzengeist.

Diesem folgt der Tiergeist, der auch aus der Mischung und Zusammensetzung von Elementen hervorgeht. Diese Zusammensetzung aber ist vollständiger. Nach dem Ratschluß des allmächtigen Herrn wird eine vollkommene Verbindung erlangt, und der Tiergeist oder mit andern Worten, die Macht der Sinne ist geschaffen. Er wird die Natur der Dinge, die sichtbar, hörbar, eßbar, fühlbar und riechbar ist, wahrnehmen. Wenn aber die verbundenen Elemente wieder getrennt und aufgelöst sind, wird naturgemäß auch dieser Geist wieder entweichen. Er gleicht dieser Lampe hier. Wenn das Oel, der Docht und das Feuer miteinander verbunden werden, dann entsteht das Licht, wenn aber das Oel verbraucht und der Docht aufgezehrt ist, dann erlischt auch das Licht.

Der menschliche Geist nun kann mit den Strahlen der Sonne verglichen werden, die auf einen Kristall fallen. Der Körper des Menschen, der auch zusammengesetzt ist aus Elementen, ist in vollkommenster Anordnung zusammengefügt; er ist der gediegenste Bau, die edelste Zusammensetzung, die allervollkommenste Daseinsform. Er wächst und entwickelt sich durch den Tiergeist. Dieser vollkommene Körper kann verglichen werden mit einem Kristall und der menschliche Geist mit der Sonne. Wenn auch der Kristall zerbricht, so bleiben doch die Gaben der Sonne bestehen, wenn der Kristall vernichtet ist oder zu existieren aufhört, so wird dies die Strahlen der Sonne nicht bekümmern, denn sie sind ewig. Dieser Geist hat die Macht, Entdeckungen zu machen, er umfaßt alle Dinge. Alle wunderbaren Zeichen, wissenschaftlichen Entdeckungen, großen Unternehmungen und wichtigen, geschichtlichen Ereignisse, die ihr kennt, sind diesem Geist zuzuschreiben. Er brachte sie durch geistige Macht von dem Reich des Unsichtbaren und Verborgenen auf die Ebene des Sichtbaren. Obgleich der Mensch auf der Erde lebt, macht er Entdeckungen am Himmel. Von bekannten Tatsachen ausgehend, d. h. von Dingen, die bekannt und sichtbar sind, entdeckt er Unbekanntes. Der Mensch lebt z.B. auf dieser Halbkugel, aber durch die Macht seines Verstandes entdeckt er einen anderen Erdteil, wie Columbus Amerika entdeckte, das bis dahin unbekannt war. Sein Körper ist schwer, aber mit Hilfe des von ihm erfundenen Flugzeuges ist er imstande, sich aufzuschwingen. Seine Bewegungsfähigkeit ist langsam, aber mit Hilfe der von ihm erfundenen Maschinen reist er mit außerordentlicher Geschwindigkeit nach dem Osten und Westen. Kurz, diese Macht umfaßt alle Dinge.

Der Geist des Menschen hat aber wiederum zweierlei Ausdruck, einen göttlichen und einen satanischen, d. h. er ist fähig, entweder höchste Vollkommenheit oder äußerste Unvollkommenheit zu erlangen. Wenn er sich Tugenden erwirbt, dann ist er das edelste aller vorhandenen Wesen, und wenn er lasterhaft wird, dann sinkt er auf die niederste Stufe des Daseins herab.

Die vierte Stufe des Geistes ist der himmlische Geist. Er ist der Geist des Glaubens und der Gaben Gottes, er kommt von dem Odem des heiligen Geistes, und durch die göttliche Macht wird er zur Ursache ewigen Lebens. Es ist die Macht, die den irdischen Menschen himmlisch und den unvollkommenen Menschen vollkommen macht. Dieser Geist macht die Unreinen rein, die Schweigsamen beredt, er reinigt und heiligt diejenigen, die in fleischlichen Lüsten gefangen sind und macht die Unwissenden weise.

Die fünfte Stufe des Geistes ist der Heilige Geist. Dieser ist der Vermittler zwischen Gott und Seinen Geschöpfen. Er gleicht einem Spiegel, der der Sonne zugewandt ist. Wie der reine Spiegel das Licht von der Sonne empfängt und ihre Strahlen auf andere Gegenstände überträgt, so ist der Heilige Geist der Vermittler des heiligen Lichts der Sonne der Wirklichkeit, das er den [Seite 152] geheiligten Wesen gibt. Er ist geschmückt mit allen göttlichen Vortrefflichkeiten. So oft er erscheint, wird die Welt erneuert und ein neuer Zyklus gegründet. Der Körper der Menschheit legt ein neues Gewand an. Dies kann verglichen werden mit dem Frühling; so oft dieser kommt, tritt die Welt von einem Zustand in einen andern ein. Durch das Kommen der Frühlingszeit wird die dunkle Erde grün und alle Arten von Blumen und wohlriechenden Kräutern wachsen; die Bäume bekommen neues Leben und neue Früchte erscheinen, ein neuer Zyklus ist gegründet. Mit dem Erscheinen des Heiligen Geistes ist es ebenso; so oft er erscheint, erneut er die Menschheit und gibt den menschlichen Seelen ein neues Leben, er kleidet die Weit in ein lobenswertes Gewand, vertreibt die Finsternis der Unwissenheit und verursacht das Leuchten des Lichts der Vollkommenheit. Mit dieser Macht hat Christus den geistigen Zyklus erneuert, der himmlische Frühling breitete sein Zelt mit höchster Frische und Lieblichkeit unter der Menschheit aus, und die lebengebenden Düfte durchdufteten alle Erleuchteten.

So gleicht auch das Erscheinen Bahá’u’lláhs einer neuen Frühlingszeit, die mit heiligen Düften, mit den Heerscharen des ewigen Lebens und mit himmlischer Macht erschien. Sein Kommen errichtete den Thron des göttlichen Königreiches im Mittelpunkt der Welt, und durch die Macht des Heiligen Geistes belebte Er die Seelen und gründete ein neues Zeitalter.



Weihnachts-Ahnen.


Es geht in stillem Ahnen

Aus Kinderlanden mit

Und hält in stummem Mahnen

Mit jedem Alter Schritt.


Es summt die Kinderlieder,

Im Wachen, halb im Traum

Und sehnt sich immer wieder

Nach einem Weihnachtsbaum.


Der tief in jedem Herzen

Durchs ganze Leben brennt.

Doch neu entfacht die Herzen

Der heilige Advent.


Paul Häcker.



'Abdu'l-Bahá Abbás.

Von Simon Ernst, Tel-Awiw, Palästina.

Nachstehender Artikel steht anscheinend in keinem Zusammenhang mit jüdischen Problemen; tatsächlich handelt es sich aber um eine Bewegung, die aus zwei Gründen lebhaft interessieren muß: erstens ist die Baháilehre die einzige religiöse Bewegung der Neuzeit, die ihr wirkliches Zentrum in Palästina hat; zweitens sind die Baháis eine Menschengruppe, die nicht nur in der Theorie, sondern tatsächlich jeden Menschen, also auch den Juden, als Bruder betrachtet. In jenen Gegenden Persiens, wo die Baháis einen beträchtlichen Teil der Bevölkerung bilden, schützen sie die von den herrschenden Schichten verfolgten Juden, und haben sich deren Dankbarkeit in einem solchen Maße erworben, daß eine nicht geringe Anzahl von Juden in Persien sich aus eigenem Antrieb den Baháilehren angeschlossen hat.

Die wahre Philosophie besteht nicht darin, Bücher, sondern Menschen zu machen.

Feuerbach.

In der Geschichte der modernen Menschheit finden wir von Zeit zu Zeit Gestalten, die sich über ihre mechanisierte Generation hoch erheben und die frische Individualität ihrer Vorgänger widerspiegeln. Einer von diesen war sicher 'Abdu'l-Bahá Abbás, populär auch Abbás Effendi genannt. (Geboren 1844, gestorben 1921 in Haifa-Palästina.) Wenn wir den mächtigen Strom von Gedanken und Ideen überblicken, der von Seiner Lehre umfaßt wird, so erkennen wir, daß Er nicht nur ein origineller Denker war, sondern ein von prophetischer Intuition erfüllter Führer der Menschheit, der nach Art der Propheten anderer Religionen die Menschheit im Geiste der Liebe und des Friedens umzuwandeln suchte. Mit der ganzen Kraft des in Ihm lodernden Feuers protestierte 'Abdu'l-Bahá gegen die banale Religiosität der Dogmen und Zeremonien und predigte Freude, Brüderlichkeit und Einfachheit als einzigen Weg, der zu Gott führt.

Seine ganze Lehre ist von dem allen Mystikern gemeinsamen Gedanken durchtränkt, daß im Wechsel aller Dinge Gott das einzige Unwandelbare ist, Dessen Wesen nicht erkannt werden kann, Dessen Gebote uns jedoch durch Seine Offenbarungen an Seinen Propheten kundgemacht worden sind. Die Offenbarung ist eine einheitliche, darf [Seite 153] also nicht als Grundlage für religiöse Spaltungen und Sekten benutzt werden. Der Mensch ist zur Freiheit geboren und kann nur in Freiheit Gott wahrhaft dienen; jede Knechtschaft widerspricht dem Willen Gottes. Gottes größte Propheten waren alle diejenigen, die göttliche Wahrheiten verkündet haben, u. a.: Moses, Zarathustra, Buddha, Jesus, Mohammed und als Schlußglied in deren Reihe Bahá’u’lláh. Die Lehre Bahá’u’lláhs ist nur die Fortsetzung und Entwicklung der Lehre der früheren Propheten, angepaßt dem heutigen Entwicklungsstande der Menschheit.

Nach der Auffassung der Anhänger der Bahái-Lehre ist Bahá’u’lláh der alleinige Stifter dieser Religion, und 'Abdu'l-Bahá nur der vom Stifter bestimmte autoritative Kommentator Seiner Lehre. Vom Standpunkte eines unabhängigen Beobachters muß man aber feststellen, daß die klare, für den Westen berechnete Fassung der Baháilehre, — die vom Bahá’u’lláh selbst in poetischem Gewand gegeben wurde, — gerade ein Verdienst 'Abdu'l-Bahás ist, daß man Ihn also vom europäischen Standpunkt aus als Mitstifter dieser Religion betrachten muß, obgleich 'Abdu'l-Bahá persönlich sich nur als bescheidenes Werkzeug seines Vaters betrachtete. Das meiste zur Verbreitung der Baháilehre im Westen haben gerade 'Abdu'l-Bahás Vorträge in London, Paris und Amerika beigetragen.

Vom Standpunkt der Baháilehre gibt es nicht viele Religionen in der Welt, sondern nur eine einzige, die je nach Zeit und Umständen anders gefärbt ist. Es gibt nur einen Schöpfer; alle Menschen sind Tropfen derselben Quelle, und deshalb müssen sie sich gegenseitig als Brüder fühlen. Nicht Glaube, sondern Liebe ist die Grundlage der Religion, und diese Liebe befiehlt uns, alle Vergehen unseres Nächsten zu verzeihen.

Einer der Hauptgrundsätze der Baháilehre ist das jesuanische, von Tolstoi hervorgehobene Verbot, sich dem Uebel mit Gewalt zu widersetzen. Man solle Schlechtes mit Gutem vergelten — so verkündete 'Abdu'l-Bahá — und den Uebeltäter bemitleiden, denn das Uebel, das er in seiner Unwissenheit begeht, enthält schon in sich selbst den Keim der Strafe.

'Abdu'l-Bahá wollte in jedem Menschen einen opferfreudigen Gabenspender sehen, dessen ganzes Leben eine Kette von ethischen Taten sein soll. Er hielt sich in Seiner Lebensart vollkommen an Seine Lehre, daß der Mensch seine leiblichen Bedürfnisse auf das Notwendigste einschränken müsse, um desto mehr Kraft und Zeit für geistige Aufgaben zu haben. In der Bahá’ilehre gibt es kein eigentliches Paradies und keine Hölle im Sinne anderer Religionen. „Nur gute Taten", - sagt 'Abdu'l-Bahá, - „bringen den Menschen nahe zu Gott, und dies ist das Paradies. Die Hölle ist nur ein Ausdruck zur Bezeichnung der Gewissensbisse des Sünders.“

Die äußeren Zeremonien sind bei den Baháis sehr einfach. Es gibt keinen Priester; jede Gemeinde wählt mit Stimmen-Mehrheit ein neungliedriges Komitee für Verwaltungsangelegenheiten.

Bahá’u’lláh hatte bereits eine internationale Hilfssprache befürwortet, um Angehörige verschiedener Nationen einander näher zu bringen; 'Abdu'l-Bahá hat das Erlernen der Esperanto-Sprache befürwortet.

Die Religions-Philosophie der Baháilehre zeigt eine charakteristische Aehnlichkeit mit der buddhistischen. Es wird auch hier die Lehre von den vier Grundelementen der Natur verkündet; sie bilden die Grundlage zu vier Entwicklungsstufen, welche von den Mineralien beginnend, über Pflanzen und Tiere im Menschen ihren Höhepunkt erreichen. Beiden Religionssystemen ist auch eine echt demokratische Gesinnung gemeinsam. Der Unterschied besteht hauptsächlich darin, daß die Grundstimmung des Buddhismus pessimistisch und diejenige des Baháitums optimistisch ist. Manche diesbezügliche Aussprüche 'Abdu'l-Bahás bilden eine Parallele zu denjenigen des chassilischen Zaddikim. Die Gesinnung 'Abdu'l-Bahás wird am besten durch folgenden Vorfall illustriert, den Dr. Simon Milner in der Sammelschrift „Hatkupha“ für 1917 berichtet: Als eine vornehme Dame einst bei 'Abdu'l-Bahá zu Tisch eingeladen war, und ihr Dienstmädchen bescheiden in einer Ecke stehen blieb, erhob Sich 'Abdu'l-Bahá und geleitete es zu einem Stuhl zu Seiner Rechten, indem Er sagte: „In unserer Welt gibt es keine Herrscher und keine Diener; der Schöpfer hat uns alle gleich lieb.“

Die Bahái-Lehre bedeutet eine Revolution in der Welt der Religionen, denn sie bekämpft jede auf Zeremonien und Dogmen beruhende Religiosität und macht dasjenige zur Nebensache, was in allen bisherigen Religionen tatsächlich die Hauptsache war.

Sowohl Bahá’u’lláh, wie auch 'Abdu'l-Bahá verfügten über keine äußeren Machtmittel, sie haben im Gegenteil von Seiten der türkischen und persischen Regierung sehr viel Verfolgung erdulden müssen. Ihre Anhänger in Persien haben direkt ein Martyrium durchgemacht, das dem Martyrium der urchristlichen Gemeinden nicht nachsteht. Von Seiten der offiziellen Vertreter der christlichen Kirchen wurden die Stifter der Bahái-Lehre als Schwärmer gering geschätzt. Und doch durchbrach die Idee einer Dogmen- und ritualfreien Religion, welche die Wissenschaft hochschätzt, die Frau dem Manne gleichstellt und die Lösung sozialer und internationaler Probleme in das Gebiet der Religion hereinzieht, nach und nach die [Seite 154] Starrheit des Ostens und die Selbstzufriedenheit des „zivilisierten" Westens, so daß nach offiziellen Bahá’iberichten derzeit, außer Persien, wo die Bewegung alle Kreise der Bevölkerung zu umfassen beginnt, mehrere hundert Baháigemeinden in allen fünf Erdteilen bestehen; in elf Ländern haben sich diese Gemeinden bereits in Nationalverbänden zusammengeschlossen. Es ist für die Zukunft eine internationale Versammlung der Vertreter der Nationalverbände vorgesehen, welche die oberste, demokratisch organisierte Verwaltungsinstanz der Baháigesamtheit sein soll. Als äußerstes Kennzeichen des Baháieinflusses im Westen wird jetzt in Vilmette bei Chicago ein prächtiger Bahá’itempel, genannt „Mashriqul-Askar“ (Morgendämmerung der Verehrung Gottes), gebaut, der allen Menschen ohne Unterschied der Religion und Nation offen stehen wird.

Gerade in der Zeit nach dem Weltkriege, wo einerseits die Giftsaat des Fremdenhasses in allen Teilen der Welt so üppig aufgegangen ist, und andererseits alle edlen Seelen von diesem ständigen Zustande, vom „Homo homini lupus est“ angeekelt sind, bietet die Bahái-Lehre einen sehr geeigneten Sammelpunkt für alle wahren Freunde der Idee der Menschenverbrüderung.



Begebenheiten aus meinem Leben.

Erzählt von Moneereh Khanum.

Aus dem Persischen ins Englische übersetzt von Mirza Ahmad Sohrab Isphahani, Persien.

Deutsche Uebersetzung von Karl Klitzing, Schwerin/M.

(Fortsetzung.)

Ich antwortete:

„O meine geliebte Freundin, Mirza Mohammed Ali ist der von Mohammed Verheißene Eine. Er ist der in allen Heiligen Büchern erwartete Offenbarer. Wenn immer eine Manifestation erscheint und der Ruf Gottes erhoben wird, so ist es gleich, in welchem Zeitabschnitt oder in welchem Zeitalter diese Bewegung und dieser Aufruhr verursacht wird, es fließen Ströme von Blut, und die Widersacher verleumden ihn. Haben Sie nicht in dem Heiligen Buch, dem Koran, die Verse gelesen: „Jedesmal wenn ein Botschafter mit dem, was eure Seelen nicht wünschen, zu euch kommt, so verstoßt ihr ihn hochmütig, ihr klagt einige des Betruges an und erschlagt andere!“ Weiter lesen Sie im Koran: „O Unglück der Menschen! Kein Botschafter kommt zu ihnen, den sie nicht verlachen.“ Ich führte eine Anzahl ähnlicher Stellen aus dem Koran an. Sie entgegnete, daß niemand außer Gott den wirklichen Sinn des Korans und das darin begründete Wissen verstünde. Ich antwortete ihr:

„Ganz richtig, ich pflichte Ihnen vollkommen bei, daß der Koran außerhalb der menschlichen Auffassung liegt. Lassen Sie uns aber dann auf die Bücher von Masnavi zurückgreifen (ein im Orient wegen seiner religiösen und mystischen Lehren wohlbekanntes Buch, in welchem die Geschichte der alten Propheten in leuchtenden Bildern verzeichnet ist). Denken Sie über die Geschichte von Moses und Pharao nach, wie der letztere Moses verwarf. Denken Sie daran, wie die Pharisäer Christus aufnahmen. Denken Sie über die Geschichte des Lebens Mohammeds nach und wie die Bewohner von Arabien ihn verwarfen. Alle diese geschichtlichen Tatsachen sind im Masnavi und anderen Büchern berichtet.“

Wir brachten Stunden damit zu, das Buch Masnavi miteinander zu lesen, und ich erklärte ihr die ausschlaggebenden Stellen. Die weiblichen Angehörigen des Afnan waren bei diesen Unterredungen zugegen. Es waren in der Tat glückliche Tage, die ich nie vergessen werde und deren Erinnerung mir stets teuer bleiben wird,

Nach unserer Abreise aus Schiras erhielt ich die freudige Kunde, daß sie im Glauben gefestigt und Anfängerin der hl. Lehre wurde.

Eines Tages bat ich die gesegnete Gattin des Báb, als wir genug über diese strittigen Punkte gesprochen hatten, ob sie mir nicht etwas von den Begebnissen aus ihrem Leben und von ihrem Zusammensein mit dem Báb, von der Stunde an, die sie in seine Heilige Nähe geführt habe und auf welche Weise ihre Ehe mit ihm zustande gekommen sei, erzählen wolle. Sie antwortete:

„Ich erinnere mich an nichts mehr, aber da Sie es wünschen, will ich Ihnen alles das erzählen, was in meiner Seele haften geblieben ist. Der Vater des Báb, Siyyid Mohammed Reza, war der Sohn meines Onkels. Er befaßte sich mit gewinnbringendem Handel. Wir waren drei Schwestern. Eines Nachts sah ich im Traume Fatima, die Tochter Mohammeds, die mit der Absicht in unser Haus kam, eine von uns Schwestern mit ihrem Sohn zu vermählen. Meine Schwester und ich bewillkommten sie mit Herzlichkeit und Ehrerbietung. Als sie sich setzte, schaute sie uns durchdringend an, erhob sich dann von ihrem Sitz, trat auf mich zu und küßte mich auf die Stirne. Im Traume fühlte ich, daß sie an meiner Person großes Gefallen fand und daß sie mich vor den anderen bevorzugte.

Am nächsten Morgen stand ich auf und fühlte mich leicht und gehoben‚ aber ich schämte mich, meinen Traum irgend jemand zu erzählen. Am [Seite 155] selben Nachmittage kam die Mutter des Báb in unser Haus. Meine Schwestern und ich bewillkommten sie, und zu meiner Ueberraschung wurde mein Traum zur Wirklichkeit, sie erhob sich von ihrem Sitz, kam lächelnd auf mich zu, küßte mich auf die Stirn und umarmte mich. Nach einem allgemein geführten Gespräch entfernte sie sich wieder. Meine älteste Schwester flüsterte mir ins Ohr, daß sie gekommen sei, um meine Hand für ihren Sohn zu erbitten. Ich erwiderte: „Wie glücklich bin ich!“ Dann erzählte ich meinen Traum von der vergangenen Nacht und sagte, daß die Verwirklichung dieses Traumes mich überaus beglückt hätte.

Nach einer Reihe von Tagen wurde über eine Verlobung gesprochen und uns einige Geschenke ins Haus gesandt, um diese glückliche Verbindung abzuschließen. Dann ging seine Heiligkeit der Báb, begleitet von seinem Onkel, nach Bu-Shir, wo er Waren einhandeln wollte. Jedesmal wenn ich nach jenem Traum die Mutter des Báb traf, konnte ich sie, obgleich sie meine Tante war, nicht mit Vertraulichkeit behandeln, sondern ich war gegen sie von äußerster Höflichkeit und Ehrerbietung.

Ich erinnere mich nicht, wie lange die Reise des Báb nach Bu-Shir dauerte. Aber während er in jener Stadt war, sah ich eines Nachts im Traum, daß die Hochzeitsnacht stattfand, und ich neben dem Báb saß. Er trug ein grünes Gewand, das mit einigen Inschriften bestickt war, die ich bei näherer Betrachtung als Verse aus dem Koran erkannte, unter diesen war der Vers vom Licht, und es sah so aus, als ob der Körper des Báb von einem Heiligenschein umgeben sei. Es machte mich außerordentlich glücklich und fröhlich, den Báb in dieser wunderbaren Weise zu sehen. Ich erwachte aus dem Schlaf, und seit jener Zeit war eine feste Ueberzeugung in mir lebendig, und ich war von einem großen Glauben erfüllt, daß er eine höchst wunderbare Persönlichkeit sei. Seine Liebe erfüllte mein Herz zum Ueberfließen, aber ich wagte nicht, diese vertraulichen Dinge irgend jemand zu erzählen, bis er von Bu-Shir zurückkehrte, und sein Onkel das Hochzeitsfest anordnete.

Als die Trauung vorüber war und ich den Báb persönlich kennen lernte, löste ich mich von materiellen Dingen, mein Herz war ganz von ihm erfüllt, und seine Reden der Weisheit, seine Unterweisung, sein Verhalten und seine Sitten bezeugten mir, daß er ein überirdisches Wesen war, aber ich konnte auch in meinen kühnsten Gedanken mir nicht vorstellen, daß er der verheißene Mahdi, der von Mohammed Vorausgesagte sei.

Er brachte die meiste Zeit in Andacht und im Gebet zu, sang Sprüche und las Heilige Verse. Am Abend, wenn er heimkehrte, pflegte er nach dem üblichen Gebrauch der Kaufleute um seine Schreibmappe und ein Buch zu bitten, das ich für sein Rechnungsbuch hielt, aber nach einer oberflächlichen Prüfung sahen diese Bücher nicht wie Geschäfts- und Rechnungsbücher aus.

Zuweilen frug ich ihn:

„Was enthalten diese Bücher und Schriften?"

Er pflegte lächelnd zu antworten: "Dies sind die Rechnungsbücher der Völker der Welt.“

Während er mit Lesen und Schreiben beschäftigt war, pflegte er, wenn jemand plötzlich eintrat, seine Bücher und Schriftstücke hastig zusammenzunehmen und sie in ein Seidentuch einzuschlagen. Alle Freunde und Verwandten, wie auch meine Geschwister wähnten mit sicherem Instinkt, daß der Báb ein außergewöhnliches Wesen war, und sie erzeigten ihm gegenüber deshalb große Ehrerbietung und Verehrung bis zum Abend des 23. Mai 1844. In dieser Nacht besuchte Mullah Hussein Bushreyeh den Báb, dem dessen Mission bekannt war, und wurde zum ersten Jünger seiner Sache. Dies war tatsächlich eine wunderbare Nacht.

Der Báb sagte zuvor:

„Wir werden heute abend einen sehr teueren Gast beherbergen.“ Sein heiliges Angesicht war verklärt, und dieser vergeistigte Ausdruck des Báb ließ mich lange auf seine gesegneten Worte hören aber er wandte mir sein Angesicht, zu und sagte:

„Es ist besser, daß Du Dich zurückziehst und ruhst.“ Ich wollte seinem Wunsche nicht zuwiderhandeln und suchte mein Bett auf, aber ich lag die ganze Nacht wach und hörte fortwährend seine geistige Unterredung, die er in lebhaftester Weise mit Mullah Hussein Bushreyeh führte, wobei er ihm die Verse vorlas und dazu Beweise und Schlußfolgerungen anführte.

Von jener Zeit an nahm der Báb jeden Tag einen fremden Gast bei sich auf, indessen diese geistigen Besprechungen ununterbrochen fortgesetzt wurden. Wenn ich alle die Leiden und Prüfungen erschöpfend berichten wollte, die in jenen Tagen auf ihn gehäuft wurden, so würden Sie es nicht ertragen, dies anzuhören, aber ich will Ihnen eine von den vielen Begebenheiten erzählen, die davon zeugen, wie er von seinen Feinden angegriffen wurde.

Eines Nachts lagen wir zu Bett und schliefen. Gegen zwölf Uhr drang 'Abdu'l-Hamid Khan, der Bürgermeister der Stadt, begleitet von einem Haufen Männer, vom Dache aus in das Haus ein, er kam in die Zimmer, zog den Báb aus dem Bett, und ohne irgend welche Frage und Antwort zu gestatten, nahm er ihn, ohne ihm Zeit zu lassen seine Kleider anzuziehen, mit nur einem sehr dünnen Gewande bekleidet, mit sich fort. Dies war mein letztes Zusammensein mit meinem erhabenen Gatten. Es ist außer meiner Macht, die Heimsuchungen und Prüfungen, die über den Báb kamen, und die unerhörten Verfolgungen, die ihm [Seite 156] auferlegt wurden, zu beschreiben. Ich traf nie wieder irgend einen seiner Freunde und Anhänger. Die Verbindung war nach allen Seiten abgebrochen, und wir konnten weder mit ihm zusammentreffen, noch mit ihm in schriftlichen Verkehr treten.

Eines Tages erfuhr ich von einem großen Aufruhr in Schiras. Es war, als ob ein Aufstand ausgebrochen wäre. Ich hörte Trompetensignale, und ich sah Menschen erregt hin und herlaufen. Nachforschungen ergaben, daß man die Köpfe der Märtyrer von Nayriz in die Stadt gebracht hatte. Am nächsten Tage führten sie unter demselben Lärm und Getöse und dem Geschrei des Mob die Gefangenen von Nayriz durch die Straßen zur Schau. Ich wünschte mir lebhaft, mit einem dieser Gefangenen zusammenzutreffen, aber es war unmöglich. Später klopften zwei dieser Gefangenen, als Bettler verkleidet, an unsere Tür, aber sie wagten nicht, ein Wort über die Sache zu sprechen, da sie von Spähern beobachtet wurden. Dies waren in der Tat die Tage der großen Prüfungen. Aber heute erfreuen Sie sich hier völliger Freiheit. Wir können ruhig zusammen über diese Wahrheit ohne Furcht und Zittern reden. Ist es Ihnen jetzt möglich, einige Zeit hier zu bleiben und mit den Damen des Afnan zusammenzutreffen und mit ihnen über diese geistigen Dinge zu sprechen?“

Scheich Salman, der die Geschäfte für unsere Karawane erledigte, sagte, es würde nicht weise sein, sich in Schiras irgendwie länger aufzuhalten, daß es der heilige Befehl Bahá’u’lláh’s wäre, unsere Reise mit der Pilgerschar fortzusetzen. Binnen kurzem sagten wir der Gattin des Báb und den anderen Damen des Afnan unter Weinen und dem Ausdruck unseres Bedauerns Lebewohl und brachen nach Bu-Shir auf. Vor unserer Abreise jedoch ersuchte sie mich, der „Gesegneten Vollkommenheit" zwei Bitten zu übermitteln; die erste war, daß eins von den Blättern des „Gesegneten Baumes Bahá’u’lláh’s“ einem Verwandten des Báb zur Ehe gegeben werde, damit diese beiden göttlichen „Blätter“ auch in der äußeren und sichtbaren Welt verbunden würden. Die zweite Bitte war, daß ihr Erlaubnis gegeben werde, Bahá’u’lláh zu besuchen. Als ich mich in dem Heiligen Gemach vorstellte, übermittelte ich diese Aufträge, und die Erfüllung beider wurde sogleich zugesagt.

Bahá’u’lláh bestimmte, daß der Bruder der Gattin des Báb — der Vater von Mirza Mohsen, und der spätere Gatte einer der Töchter 'Abdu'l-Bahás — Schiras verlassen, die Frau des Báb mit sich führen und nach dem Heiligen Lande reisen solle. Es war ihm befohlen, sich den Anschein zu geben, als reise er nach Mekka. Da er unvermeidlichen Schwierigkeiten ausgesetzt war, reiste er allein nach dem Heiligen Lande und schrieb dann seiner Schwester, der Gattin des Báb, daß er gezwungen worden wäre, ihr voraus zu reisen, aber daß, so es Gottes Wille sei, die Mittel für ihre Reise ebenfalls beschafft werden würden. Sie war nach Empfang dieses Briefes so niedergeschlagen, daß sie schwer erkrankte, und zwei Tage darauf verschied. Ihre sterblichen Ueberreste wurden in Sha-Tcherag, Schiras beigesetzt.

Als die „Gesegnete Vollkommenheit“ von diesen traurigen Begebenheiten unterrichtet wurde, war Er außerordentlich betrübt und sandte sogleich an Mirza Sadeg von Isphahan einen Befehl, daß er, ohne Zulassung einer Entschuldigung, sogleich die Angehörigen des „Königs der Märtyrer“ nach dem Heiligen Lande senden sollte. Dieser Befehl wurde in Eile ausgeführt.

Begleitet von meinen Reisegefährten, kam ich eines Spät-Nachmittags in Bu-Shihr an, und wir hielten bei einer Karawanserei an. Da ich noch nie das Meer gesehen hatte, ging ich sogleich auf das Dach des Gebäudes und meine Augen sahen zum erstenmal über den Persischen Meerbusen hin. Ich war von dem herrlichen Anblick hingerissen und sagte zu mir selbst: "Du mußt über diese Wasser in ferne Welten ziehen.“

Gefühle der Liebe zur Heimat, und die Anhänglichkeit an meine Verwandten, erfüllten meine Seele und brachten mir vergangene Erinnerungen in lebhaftester Weise wieder zum Bewußtsein. Ich war so bewegt, daß mir unwillkürlich Tränen in die Augen traten, da die Angehörigen und Verwandten unserer Familie alles bedeutende Menschen u. durch das Band einer besonderen Liebe und zärtlichen Zuneigung miteinander verbunden waren. Dennoch preise ich den Herrn, daß Er uns über die Oberfläche der Erde auf Seinem göttlichen Pfade zerstreut hat. Er hat uns getrennt, bewirkt, daß viele von uns ihr Leben für die Sache opfern durften, unsere Namen zur Erörterung in jeder Versammlung gemacht und uns die Ehrennamen der „König der Märtyrer“ und „der Geliebte der Märtyrer“ verschaffte.

Ich stieg glückstrunken von dem Dache herab. Im stillen Gedenken an weit entfernte Freunde, Schwestern und Verwandte, und bewegt durch viele angenehme Erinnerungen, legte ich mich nieder in einem Winkel des Zimmers; mein Kopf ruhte auf einer Satteltasche, und ich schlief ein. Es träumte mir, ich befände mich in einer ungeheuren Wüste. Eine Perlkette lag um meinen Hals. Plötzlich riß die Schnur des Halsbandes, und die Perlen fielen zerstreut in den Sand. Erschrocken und von Sorge erfüllt, raffte ich die Perlen fieberhaft auf, aber zu meiner Ueberraschung war eine jede Perle so groß wie ein [Seite 157] Hühnerei geworden, ja noch größer, und einige derselben waren miteinander verbunden und strahlten eine Pracht und einen Glanz aus, daß sie die große Wüste Sahara erleuchteten. Sie waren so schön, so fehlerfrei, so reich an Glanz und Qualität, daß ich mich in meinem Traum an die Worte des Báb erinnerte, wie er sie in dem persischen Beyan *) offenbart hat: „Bemühe Dich so viel Du kannst, jeden wertlosen und wertvollen Gegenstand der Gegenwart, Dem, Der Gott offenbaren soll, darzubieten.“

*) Ein Lehrbuch des Báb.

Ich sagte mir: „Wäre es nicht wunderbar, alle diese Perlen zu sammeln und sie bei mir zu tragen, bis ich in die Gegenwart der „Gesegneten Vollkommenheit“ komme, und Ihm diese anzubieten?“ Im Traumlande fand ich eine Vase, und legte die Perlen in diese hinein. Ich hielt die Vase über meinen Kopf und rief laut aus:

O Du! Der Du Gott offenbaren sollst! O Du! Der Du Gott offenbaren sollst!“

Es schien mir, als ob ich eine Strecke zurückgelegt hätte, als ganz plötzlich ein Zweig inmitten der Vase hervorschoß und nach dem Heiligen Lande wies und mich nach jenem heiligen Ort führte. Jetzt sah ich, daß der Zweig aufrecht stand und sich wieder beugte wie zu einer Anbetung. Eine süße, engelreine Stimme kam aus dem Zweige hervor:

„Allah’o’Akbar! Alla’o’Azem! Allah’o’Abhá!‘“

Ich stimmte in diesen Ruf der Anbetung und Verehrung, des Lobes und des Ruhmes für den Herrn mit diesen Worten ein. Meine Stimme tönte so laut, und ich rief diese Worte mit solcher Freude, daß Siyyed Jahya aus dem Schlafe erwachte. Er schüttelte mich, bis ich aufwachte, und sagte: „Schwester, Schwester, was ist mit dir, daß du im Schlafe so laut rufst und sprichst!“

Dann berichtete ich ihm meinen Traum und sagte, daß ich unfähig wäre, ihm eine vollkommene Schilderung der Schönheit und der himmlischen Glückseligkeit in meinem Traum zu machen. Ich befand mich in einem Zustande der Erbauung, daß ich mich mitten in der Nacht hinsetzte und infolge jenes Traumes an meine Mutter schrieb, und den Bericht nach Isphahan sandte.

Am nächsten Tage gingen wir an Bord des Dampfers, und nach einer Seereise von einigen Tagen landeten wir im Hafen von Jeddah. Wir suchten dann Mekka auf und erfüllten die feierlichen Gebräuche des Haj. Hier trafen wir eine Anzahl Gläubige, unter ihnen Siyyid Ali Akbar, den Neffen des Siyyid Mehdi Dahjy und seine Frau, die aus dem Heiligen Lande zurückgekehrt waren und eine Pilgerreise nach Mekka gemacht hatten. Als sie erfuhren, daß wir nach dem Heiligen Lande reisen wollten, suchten sie, unsere Abreise zu verhindern, und sagten, daß es gegenwärtig niemandem erlaubt wäre, nach Akka zu kommen, da einige traurige und unglückliche Ereignisse von neuem die Einkerkerung der Freunde herbeigeführt hätten‚ und die Behörden keinem Bahái gestatteten, die Stadt Akka zu betreten. Diese Nachricht betrübte uns sehr, und wir wußten nicht, was wir tun sollten, aber Scheich Salman versicherte uns, daß diese Zustände uns nichts anhaben könnten, und hieß uns, vertrauensvoll zu sein, damit wir in das Heilige Land mit der äußersten Ruhe und Gelassenheit kämen, selbst wenn alle Gläubige ins Gefängnis geworfen und in Ketten gelegt wären.

Nachdem wir allen vorhandenen Vorschriften, religiösen Gebeten und feierlichen Handlungen, die zu einer Pilgerfahrt nach Mekka gehören, nachgekommen waren, kehrten wir nach Jeddah zurück. Dort fanden wir einen Brief von Mirza Aga Jann, dem Vertrauten von Bahá’u’lláh, vor, er erklärte darin, daß wir auf Befehl der „Gesegneten Vollkommenheit“ in Jeddah bleiben sollten, bis alle Pilger aus Mekka in ihre diesbezügliche Heimatsorte zurückgekehrt wären. Dann sollten wir still nach Alexandrien reisen und die Ankunft eines Telegramms abwarten.

So blieben wir denn auf obigen Befehl in Jeddah, bis alle Pilger abgereist waren. Wir reisten mit siebzehn Gläubigen, die schon unsere Reisegefährten von Mekka her waren, nach Alexandrien. Hier erreichte uns ein Telegramm aus der Gesegneten Gegenwart Bahá’u’lláhs, das uns benachrichtigte, daß alle anderen Reisegefährten umkehren, und wir vier auf einem österreichischen Dampfer nach Akka abreisen sollten. Das Telegramm bestimmte ferner, daß wenn der Dampfer den Hafen von Akka erreiche, wir an Bord bleiben sollten, bis 'Abdu'l-Ahad uns rufen würde, und mit ihm sollten wir dann an Land gehen.

So verließen uns unsere Reisegefährten, und wir brachen in das Heilige Land auf. Unser Dampfer ging eine halbe Stunde vor Sonnenuntergang in dem Hafen von Akka vor Anker. Wir warteten und warteten, aber 'Abdu'l-Ahad ließ sich nicht sehen. Alle Fahrgäste verließen das Schiff, die Schiffsladung wurde gelöscht, und noch immer erschien niemand. Wir waren beunruhigt, und wußten nicht, was wir tun sollten. Mein Bruder Siyyid Jahya sagte scherzhaft:

„Teure Schwester, es scheint mir, als ob wir wieder umkehren müßten.“

Ich gab ihm zur Antwort: „Mein Bruder, wir wollen gerne gehorchen. In einem Tablet, genannt „Die Stadt der Ergebenheit", erklärt Bahá’u’lláh: [Seite 158]

„Das Paradies der Ergebenheit ist schöner, als das Paradies der Verneinung.“

Die Nacht brach an, und die Schiffstreppe wurde hochgezogen. Wir verloren allen Mut und waren tief niedergeschlagen. Scheich Solman war ganz außer sich. Plötzlich drang aus tiefer Stille die helle Stimme von 'Abdu'l-Ahad, gleich der Posaune des Himmels, oder dem Boten Seiner Heiligkeit des Allmächtigen, an unser Ohr. Die Schiffstreppe wurde heruntergelassen, und wir verließen das Schiff. Er hatte ein eigenes Boot mitgebracht. In nächtlicher Stille fuhren wir zu der Landungsstelle von Akka. Es war sehr dunkel, und wir kannten niemand außer Kaleem, den Bruder Bahá’u’lláhs und Khojeh Abboud, sehen. Letzterer war der Besitzer des Hauses, in dem die „Gesegnete Vollkommenheit" wohnte. Später erzählte mir „das Größte Heilige Blatt",*) daß 'Abdu'l-Bahá in Erfüllung des Befehls Bahá’u’lláh’s auch nach dem Landungsplatz gekommen sei, aber ich erinnere mich nicht, Ihn gesehen zu haben.

*) Geistiger Name für die älteste Tochter Bahá’u’lláhs.

Wir folgten Kaleem und kamen zu dem Khan und wurden daselbst von seiner Familie bewirtet. Am nächsten Morgen besuchten und bewillkommten uns Mitglieder der Heiligen Familie. Ich ging mit ihnen und verweilte zum ersten Mal in der Gegenwart der „Gesegneten Vollkommenheit“. Welches Entzücken und welche Begeisterung mich erfüllte, liegt außerhalb aller Beschreibung. Die ersten Worte Bahá’u’lláh’s an mich waren:

„Wir haben Dich zu einer Zeit in dieses Gefängnis gebracht, in der die Tür für den Besuch eines jeden Gläubigen geschlossen ist. Dies geschieht allein zu dem Zweck, einem jeden die Kraft und die Macht Gottes zu zeigen.“

Ich lebte in dem Hause Kaleem’s weiterhin fast fünf Monate lang. Ich besuchte Bahá’u’lláh oft und kehrte dann in mein Quartier zurück. Immer, wenn Kaleem von seinem Besuch bei der „Gesegneten Vollkommenheit“ zurückkehrte, pflegte er mir von Dessen unendlicher Güte zu erzählen und mir irgend eine Gabe von Ihm mitzubringen. Eines Tages kam er, mit überaus freudigem Gesichtsausdruck zurück und sagte:

„Ich habe für Sie ein höchst wunderbares Geschenk mitgebracht. Dies besteht darin, daß Ihnen ein neuer Name gegeben worden ist, und dieser ist „Moneereh" (Erleuchtete).

Sofort erinnerte ich mich an Siyyid Mehdi in Isphahan, die uns von dem Traum der „Gesegneten Vollkommenheit" erzählt hatte, in welchem sie die Tochter von Mi’rza Hassan krank sah, mit bleicher Gesichtsfarbe und wahrnahm, wie sie weiterhin elender wurde, bis sie diese materielle Welt verließ. Hiernach erschien im Traum ein anderes Mädchen mit leuchtendem Antlitz und erleuchtetem Herzen, und dieses wäre auserwählt die Gattin die „Größten Zweiges“ zu werden.

Der Grund, warum ich fünf Monate lang in dem Haushalte von Kaleem zubrachte, bestand in Platzmangel in dem Hause der „Gesegneten Vollkommenheit“. Khojeh Abboud fragte Kaleem, warum die Hochzeit verschoben würde. Er erhielt keine klare Antwort, aber später nahm er von selbst wahr, daß die Ursache des Aufschubes der Verheiratung im Fehlen eines Zimmers lag. Sein Haus stand neben dem Hause von Bahá’u’lláh, er nahm nun die Einfriedigung zwischen den beiden Häusern weg und baute ein Zimmer zwischen seinem Hause und dem Hause von Bahá’u’lláh auf. Er stattete das Zimmer mit äußerster Einfachheit und Sauberkeit aus. Als alles fertig war, ging er zu der „Gesegneten Vollkommenheit“ und sagte Ihm, daß er dies Zimmer für 'Abdu'l-Bahá hergestellt hätte. Sein Anerbieten wurde dankbar angenommen.

Dann kam der Abend meiner Vermählung heran, die köstlicher war als was in hunderttausend Jahren erlebt werden kann. Ich wurde mit einem weißen Kleide, das für mich von den Händen des „Größten Heiligen Blattes“ angefertigt worden war, geschmückt, es war köstlicher als Seide und Sammet aus dem Paradies. Gegen neun Uhr abends vernahm ich die beglückende Stimme des „Unvergleichlich Geliebten“, und es wurde mir gestattet, vor Bahá’u’lláh zu treten. Begleitet von dem „Größten Heiligen Blatt", lauschte ich auf die Worte der „Gesegneten Vollkommenheit", Der unter einem Moskitonetz ruhte. Er sagte:

„Du bist willkommen! Du bist willkommen! O Du, Mein „Gesegnetes Blatt“ und Meine Dienerin! Wir haben Dich auserwählt und Dich dazu auserkoren, die Gefährtin des „Größten Zweiges“ zu werden und Ihm zu dienen. Dies geschieht durch Meine Güte, welcher nichts gleich ist. Die Schätze der Erde und des Himmels können mit derselben nicht verglichen werden.“

Nachdem Er in solchem Sinne gesprochen und Sein Wohlwollen gegen mich offenbart hatte, verwies Er auf Bagdad, Adrianopel und das „Allergrößte Gefängnis" und sagte, daß viele Mädchen auf diese große Berufung gehofft hätten, aber sie wären nicht damit begünstigt worden.

„Du mußt sehr dankbar sein, denn Du hast diese größte Gunst und Gabe erlangt.“

Bahá’u’lláh entließ uns darauf mit den Worten: „Möchtest Du immer im Schutze Gottes stehen!“ [Seite 159]

Sie können sich wohl vorstellen, in welcher beglückenden Atmosphäre ich schwebte, nachdem ich diese himmlischen Worte vernommen und diesen herrlichen Segen erlangt hatte. Wie wunderbar waren alle meine Hoffnungen erfüllt worden. Mir fielen die Worte des persischen Dichters ein:

„In jenem Augenblick öffnet sich der Himmel, der sich auf die Erde senkt. Wenn Du die Auferstehung noch nicht mit eigenen Augen gesehen, dann komm’ und schaue!“

Nach jener gesegneten Stunde und nach jenem glücklichen Augenblick wohnte ich in dem Paradies der Ewigkeit, in einer Welt der Liebe, der Zuneigung, der Ergebenheit und der Demut. Ich betrat das Zimmer, das für den „Größten Zweig“ hergerichtet war, und erfuhr Seine Gunst, Seine Zuneigung, Seine Seligkeit und Seine Größe.

Eine Stunde später traten 'Abdu'l-Bahá, die Gattin von Kaleem, die Gattin von Khojeh Abboud, des Besitzers des Hauses, und seine Tochter in das Zimmer. Die Mutter von Mirza Mohammed Ali brachte besondere Tablets, die bei solchen Gelegenheiten gelesen und gesungen werden, besonders jenes Tablet Bahá’u’lláh’s, das mit der frohen Erklärung beginnt:

„Wahrlich, die Tore des Paradieses sind geöffnet, und der göttliche Jüngling ist erschienen!“

Sie überreichte mir dies Tablet und bat mich, es zu singen. Unwillkürlich nahm ich jenes heilige Tablet in meine Hände und fing an, mit klarer, heller Stimme zu singen. Noch nach Jahren, wenn immer ich mit der Gattin von Abboud zusammentraf, berief sie sich auf jene Nacht, und sagte, sie könnte jene Zusammenkunft niemals vergessen, und die Lieblichkeit jenes Gesanges klänge immer noch in ihrem Ohr.

Sie pflegte zu sagen:

„Nie vordem habe ich in meinem Leben ein Brautlied singen hören, wie Sie es bei Ihrer Hochzeit taten!“

Das Vorstehende ist ein kurzer Bericht über mein Leben, über meine Träume, meine Reisen und meine Zusammenkunft mit der Gattin des Báb. Wenn ich die Einzelheiten aus den fünfzig Jahren meines Zusammenseins mit dem „Geliebten der Welt", von seiner Liebe, Güte und Milde aufzeichnen wollte, so würden mir fünfzig Jahre nicht ausreichen, um dies niederzuschreiben. Selbst wenn alle Meere auf Erden in Tinte und alle Blätter der Wälder in Papier umgewandelt würden, so könnte ich es dennoch nicht mit entsprechender Vollendung schildern.

Ich bete an der Schwelle der Einheit und flehe zu Ihm, daß Er auf uns Seine Gnade und Freigebigkeiten in allen Welten ausgieße! O Herr, laß das Ende aller unserer Tage und unseres Tuns mit Güte, Tugend und Glück erfüllt sein!

Niedergeschrieben von der Dienerin an der Schwelle: Moneereh.



Bahá’u’lláh und das neue Zeitalter

von Dr. J. E. Esslemont

ist in schönem Leinenband mit Goldtitel erschienen. Wer irgend jemand ein Geschenk machen will, tut gut dies herrliche Werk zu schenken. Aber auch jeder unserer Freunde sollte sich dies Buch beschaffen, weil es eine schnelle Übersicht über die Vielseitigkeit der Bahá’i-Lehre gibt und weil man sich durch das vortreffliche Inhaltsverzeichnis rasch über Punkte informieren kann, die uns gegebenenfalls beim Belehren anderer besonders wichtig erscheinen. Es umfaßt 430 Seiten.

Preis Mk. 4.50, Porto und Verpackung 40 Pfg.

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Druck: Wilhelm Heppeler, Stuttgart


[Seite 160]

Verlag des Deutschen Bahá’i-Bundes Stuttgart

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In unserem Verlag sind erschienen:

1. Die Geschichte der Bahai-Bewegung, von S. S. Deutsch von Wilhelm Herrigel. Dritte Ausgabe . . . -.20

2. Bahai-Perlen, Deutsch von Wilhelm Herrigel . . . . -.20

3. Ehe Abraham war, war Ich, v. Thornton Chase. Deutsch v. W.Herrigel . . . . -.20

4. Das heilige Tablet, ein Sendschreiben Baha’o’llahs an die Christenheit. Deutsch von Wilhelm Herrigel . . -.20

5. Die Universale Weltreligion, Ein Blick in die Bahai-Lehre von Alice T. Schwarz . . . . -.50

6. Die Offenbarung Baha’u’llahs, von J.D. Brittingham. Deutsch von Wilhelm. Herrigel . . . -.50

7. Verborgene Worte von Bahá’u’lláh. Dtsch. v. A. Schwarz u. W. Herrigel . . . 1.--

8. Baha’u’llah, Frohe Botschaften, Worte des Paradieses, Tablet Tarasat, Tablet Taschalliat, Tablet Ischrakat. Deutsch von Wilhelm Herrigel, in Halbleinen gebunden . . . 2.50

in feinstem Ganzleinen gebunden . . . . . 3.--

9. Einheitsreligion. Ihre Wirkung auf Staat, Erziehung, Sozialpolitik, Frauenrechte und die einzelne Persönlichkeit, von Dr. jur. H. Dreyfus, Deutsch von Wilhelm Herrigel. Neue Auflage . . . -.50

10. Die Bahaibewegung im allgemeinen und ihre großen Wirkungen in Indien, von Wilhelm Herrigel . . . . -.50

11. Eine Botschaft an die Juden, von Abdul Baha Abbas. Deutsch von Wilhelm Herrigel . . . -.20

12. Abdul Baha Abbas, Ansprachen über die Bahailehre. Deutsch von Wilhelm Herrigel, in Halbleinen gebunden . . . . . 3.--

in feinstem Ganzleinen gebunden. . . . . 3.50

13. Geschichte und Wahrheitsbeweise der Bahaireligion, von Mirza Abul Fazl. Deutsch von W. Herrigel, in Halbleinen geb. . . . . 4.50

In Ganzleinen gebunden . . . . 5.--

14. Abdul Baha Abbas’ Leben und Lehren, von Myron H. Phelps. Deutsch von Wilhelm Herrigel, in Ganzleinen gebunden . . . . 4.--

15. Das Hinscheiden Abdul Bahas, ("The Passing of Abdul Baha") Deutsch von Alice T. Schwarz . . . -.50

16. Das neue Zeitalter von Ch. M. Remey. Deutsch von Wilhelm Herrigel . . . . —.50

17. Die soziale Frage und ihre Lösung im Sinne der Bahailehre von Dr. Hermann Grossmann . . . . . —.20

18. Die Bahai-Offenbarung, ein Lehrbuch von Thornton Chase, deutsch von W. Herrigel, kartoniert M. 4.--, in Halbleinen gebunden M. 4.60

19. Bah’u’lláh und das neue Zeitalter, ein Lehrbuch von Dr. J. E. Esslemont, deutsch von W. Herrigel und H. Küstner. In Ganzleinen gebunden . . . . . 4.50

20. Sonne der Wahrheit, Jahrgang 3 - 6 in Halbleinen gebunden . . . . . 6.50


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Geschichte und Bedeutung der Bahá’ilehre.

Die Bahai-Bewegung tritt vor allem ein für die „Universale Religion" und den „Universalen Frieden“ — die Hoffnung aller Zeitalter. Sie zeigt den Weg und die Mittel, die zur Einigung der Menschheit unter dem hohen Banner der Liebe, Wahrheit, Gerechtigkeit und Barmherzigkeit führen. Sie ist göttlich ihrem Ursprung nach, menschlich in ihrer Darstellung, praktisch für jede Lebenslage. In Glaubenssachen gilt bei ihr nichts als die Wahrheit, in den Handlungen nichts als das Gute, in ihren Beziehungen zu den Menschen nichts als liebevoller Dienst.

Zur Aufklärung für diejenigen, die noch wenig oder nichts von der Bahaibewegung wissen, führen wir hier Folgendes an: „Die Bahaireligion ging aus dem Babismus hervor. Sie ist die Religion der Nachfolger Bahá’u’lláhs. Mirza Hussein Ali Nuri (welches sein eigentlicher Name war) wurde im Jahre 1817 in Teheran (Persien) geboren. Vom Jahr 1844 an war er einer der angesehensten Anhänger des Bab und widmete sich der Verbreitung seiner Lehren in Persien. Nach dem Märtyrertod des Bab wurde er mit den Hauptanhängern desselben von der türkischen Regierung nach Bagdad und später nach Konstantinopel und Adrianopel verbannt. In Bagdad verkündete er seine göttliche Sendung (als „Der, den Gott offenbaren werde") und erklärte, daß er der sei, den der Bab in seinen Schriften als die „Große Manifestation", die in den letzten Tagen kommen werde, angekündigt und verheißen hatte. In seinen Briefen an die Regenten der bedeutendsten Staaten Europas forderte er diese auf, sie möchten ihm bei der Hochhaltung der Religion und bei der Einführung des universalen Friedens beistehen. Nach dem öffentlichen Hervortreten Bahá’u’lláhs wurden seine Anhänger, die ihn als den Verheißenen anerkannten, Bahai (Kinder des Lichts) genannt. Im Jahr 1868 wurde Bahá’u’lláh vom Sultan der Türkei nach Akka in Syrien verbannt, wo er den größten Teil seiner lehrreichen Werke verfaßte und wo er am 28. Mai 1892 starb. Zuvor übertrug er seinem Sohn Abbas Effendi ('Abdu'l-Bahá) die Verbreitung seiner Lehre und bestimmte ihn zum Mittelpunkt und Lehrer für alle Bahai der Welt.

Es gibt nicht nur in den mohammedanischen Ländern Bahai, sondern auch in allen Ländern Europas, sowie in Amerika, Japan, Indien, China etc. Dies kommt daher, daß Bahá’u’lláh den Babismus, der mehr nationale Bedeutung hatte, in eine universale Religion umwandelte, die als die Erfüllung und Vollendung aller bisherigen Religionen gelten kann. Die Juden erwarten den Messias, die Christen das Wiederkommen Christi, die Mohammedaner den Mahdi, die Buddhisten den fünften Buddha, die Zoroastrier den Schah Bahram, die Hindus die Wiederverkörperung Krischnas und die Atheisten — eine bessere soziale Organisation.

In Bahá’u’lláh sind alle diese Erwartungen erfüllt. Seine Lehre beseitigt alle Eifersucht und Feindseligkeit, die zwischen den verschiedenen Religionen besteht; sie befreit die Religionen von ihren Verfälschungen, die im Lauf der Zeit durch Einführung von Dogmen und Riten entstanden und bringt sie alle durch Wiederherstellung ihrer ursprünglichen Reinheit in Einklang. Das einzige Dogma der Lehre ist der Glaube an den einigen Gott und an seine Manifestationen (Zoroaster, Buddha, Mose, Jesus, Mohammed, Bahá’u’lláh).

Die Hauptschriften Bahá’u’lláhs sind der Kitab el Ighan (Buch der Gewißheit), der Kitab el Akdas (Buch der Gesetze), der Kitab el Ahd (Buch des Bundes) und zahlreiche Sendschreiben, genannt „Tablets“, die er an die wichtigsten Herrscher oder an Privatpersonen richtete. Rituale haben keinen Platz in dieser Religion; letztere muß vielmehr in allen Handlungen des Lebens zum Ausdruck kommen und in wahrer Gottes- und Nächstenliebe gipfeln. Jedermann muß einen Beruf haben und ihn ausüben. Gute Erziehung der Kinder ist zur Pflicht gemacht und geregelt.

Streitfragen, welche nicht anders beigelegt werden können, sind der Entscheidung des Zivilgesetzes jeden Landes und dem Bait’ul’Adl oder „Haus der Gerechtigkeit“, das durch Bahá’u’lláh eingesetzt wurde, unterworfen. Achtung gegenüber jeder Regierungs- und Staatseinrichtung ist als einem Teil der Achtung, die wir Gott schulden, gefordert. Um die Kriege aus der Welt zu schaffen, ist ein internationaler Schiedsgerichtshof zu errichten. Auch soll neben der Muttersprache eine universale Einheits-Sprache eingeführt werden. „Ihr seid alle die Blätter eines Baumes und die Tropfen eines Meeres“ sagt Bahá’u’lláh.

Es ist also weniger die Einführung einer neuen Religion, als die Erneuerung und Vereinigung aller Religionen, was heute von 'Abdu'l-Bahá erstrebt wird. (Vgl. Nouveau, Larousse, illustré supplement, p. 66.)