Sonne der Wahrheit/Jahrgang 4/Heft 9/Text

Aus Bahaiworks
Wechseln zu:Navigation, Suche

[Seite 127]

SONNE

DER

WAHRHEIT
Heft IX NOV. 1924
ORGAN DES DEUTSCHEN BAHAI-BUNDES STUTTGART


[Seite 128]

Die Hauptpunkte der Bahailehre
[Bearbeiten]

1. Die gesamte Menschheit ist als Einheit anzusehen. Alle Vorurteile gegenüber anderen Menschen, Völkern und Rassen müssen beseitigt werden.

2. Alle Religionen müssen sich in einer höheren Einheit zusammenfinden. Ein Gott, eine Religion.

3. Durch einen festgegliederten, allumfassenden Völkerbund und ein internationales Schiedsgericht muß der universale, dauernde Weltfrieden gesichert werden.

4. Neben der Muttersprache soll in jedem Land der Erde eine Welt-Einheitssprache eingeführt und gelehrt werden.

5. Jeder Mensch hat dasselbe Anrecht auf die geistigen und materiellen Güter des Lebens.

6. Die Menschen haben die Pflicht, nach Wahrheit zu forschen. Zwischen wahrer Religion und Wissenschaft besteht kein Widerspruch.

7. Beide Geschlechter sollen die beste Erziehung und eine der Begabung entsprechende Ausbildung erhalten.

8. Mann und Frau haben überall die gleichen Rechte. Jede Art von Hörigkeit ist streng verboten.

9. Für jeden Menschen besteht die Pflicht zur Arbeit. Für Arbeitsunfähige und Erwerbslose tritt eine gesetzliche staatliche Fürsorge ein.

10. Die schlimmen Wirkungen des Kapitalismus werden durch ein neugeordnetes, weises Erbrecht und durch geeignete Sozialisierung beseitigt.

11. Für jedes Gemeindewesen, wie für den Staaten- und Völkerbund, wird eine Verwaltungsbehörde mit bestimmten Verordnungsrechten u. Fürsorgepflichten — das sog. Haus der Gerechtigkeit — eingesetzt. Im übrigen hat der Bahai jeder staatlichen Obrigkeit zu gehorchen.

12. Die Bahailehre ist die Universal- und Einheitsreligion für die ganze Menschheit. Der Mittelpunkt des neuen Gottesbündnisses und der Erklärer der Lehre ist Abdul Baha (Abbas Effendi), dem diese Stellung von seinem Vater Baha’u’llah (Hussein Ali-Nuri) übertragen wurde. Vor seinem Hinscheiden hat Abdul Baha seinen Enkel Shoghi Effendi zum Hüter und Beschützer der Bahaisache bestimmt.


[Seite 129]

SONNE    DER  WAHRHEIT
ORGAN DES DEUTSCHEN BAHAI-BUNDES
Herausgegeben vom Verlag des Deutschen Bahai-Bundes Stuttgart
Verantwortliche Schriftleitung: Alice Schwarz - Solivo, Stuttgart, Alexanderstraße 3
Preis vierteljährlich 1,50 Goldmark, im Ausland 1,80 Goldmark.
Heft 9 Stuttgart, im November 1924 4. Jahrgang

Inhalt: Telegramm von Shoghi Effendi nach Stuttgart. — An die Geliebten des Herrn und die Dienerinnen des Gnadenreichen in Deutschland und Oesterreich. — Deutscher Bahai-Kongreß; Bericht. — Report of the Bahai-Congreß from the 20 th to the 22 nd of September 1924. — Zum 12. November. — Rundunk. — Notiz.


Motto: Einheit der Menschheit — Universaler Friede — Universale Religion


O meine Schwester, du fragst mich nach der Bestimmung der Lediggebliebenen. Der ledige Bruder soll eine Ausnahme bleiben; hat ihm aber Gott der Herr entscheidende Ehehindernisse in den Weg gelegt, so soll er Pflegevater oder Vormund von Waisen oder Halbwaisen werden. Seinen Vaterschaftsberuf soll er auf alle Fälle zeitlebens ehrenamtlich — im Namen und Auftrag des Hauses der Gerechtigkeit — ausüben. Die ledige Schwester (ob sie selbst daran schuld oder unschuldig ist) hat ihre Mütterlichkeit zu pflegen, indem sie sich zeitlebens der Kinder, der Einsamen, der Alten, der Kranken, der Fremdlinge — außeramtlich, also neben ihrem Beruf — annimmt im Namen und Auftrag des Hauses der Gerechtigkeit.

'Abdu'l-Bahá.



Er ist der Mächtige, der Vergebende, der Mitleidsvolle.

Gott, mein Gott! Du siehst Deine Diener am Abgrund der Verderbnis und des Irrtums; wo ist Dein Licht der göttlichen Führung. O Du Ersehnter der Welt, Du kennst ihre Hilflosigkeit und ihre Schwäche. Wo ist Deine Kraft, o Du, in Dessen Händen die Macht des Himmels und der Erde liegt.

Ich bitte Dich o Herr, mein Gott, bei der Herrlichkeit des Glanzes vom Licht Deiner göttlichen Gnade, bei den Tiefen des Ozeans Deines Wissens und Deiner Weisheit und bei Deinem Wort mit welchem Du die Völker Deiner Herrschaft regierst, mir zu gewähren, daß ich einer von denen sei, der Dein Geheiß in Deinem Buch beobachtet. Verordne für mich das, was Du Deinem Vertrauten verordnetest, dem, der den Wein der göttlichen Inspiration aus dem Kelch Deiner Gnade getrunken hat, der zu Deinem Wohlgefallen eilte, und der Dein Bündnis und Testament einhält. Du bist mächtig zu tun was Du willst, es gibt keinen anderen Gott als Dich, den Allwissenden, den Allweisen.

Verordne für mich bei Deiner Gnade o Herr, was mich in dieser und in der nächsten Welt fördert und mich näher zu Dir führt. O Du, der Du der Herr über alle Menschen bist. Es gibt keinen anderen Gott, als Dich, den Alleinigen, den Machtvollen, den Gepriesenen!

'Abdu'l-Bahá Abbás.

Übersandt von Shoghi Effendi.


[Seite 130]



Telegramm von Shoghi Effendi nach Stuttgart

Haifa, 15. Oktober 1924.

Friends congress-letter relieved my heart. Imperishable love.

(sig.) Shoghi.


Der Kongreß-Brief der Freunde befreite mein Herz. Unvergängliche Liebe.

(sig.) Shoghi.


An die Geliebten des Herrn und die Dienerinnen des Gnadenreichen in Deutschland und Oesterreich.

Liebe Freunde!

Ich kehre in das heilige Land zurück, mit dem überwältigenden Gefühle der Wichtigkeit des geistigen Standes der heiligen Sache in der Welt. So sehr ich den störenden Einfluss meiner wiederholten gezwungenen Zurückziehung vom Felde des Dienstes beklage, so kann ich Sie ohne Zaudern versichern, daß mein letzter und bedeutungsvoller Schritt mit äußerstem Widerstreben geschah und nur nach reiflicher und nachdrücklicher Erwägung hinsichtlich des besten Weges, um die Interessen einer kostbaren Sache zu erhalten.

Meine verlängerte Abwesenheit, meine Untätigkeit sollten aber nicht allein gewissen äußerlichen Kundgebungen von Disharmonie, von Unzufriedenheit und Mangel an Loyalität zugeschrieben werden, obgleich deren Einfluß auf die Förderung meines Wirkens von lähmender Einwirkung war, sondern auch meiner eigenen Unwürdigkeit, meiner Unfähigkeit und Schwäche.

Ich möchte Sie bitten, sich mit mir wieder im Gebet zu vereinigen, diesesmal noch heißer und universale als vorher, indem wir mit einer Stimme den gütigen Meister anflehen, unsere Schwachheit und unsere Fehler zu übersehen und uns zu würdigeren und treueren Kindern Seiner selbst zu machen.

Die Menschheit, durch Leiden und Trübsal bewegt, geht rasch ihrer Bestimmung entgegen. Wenn wir nachlässig sind, wenn wir es unterlassen, unsere Pflicht zu tun, so werden gewiß andere berufen werden, unsere Aufgabe zu übernehmen, als Führer für die schreienden Nöten dieser heimgesuchten Welt. Nicht durch die Stärke unserer Zahl, nicht dadurch, daß wir eine Anzahl neuer und guter Prinzipien aufstellen, nicht durch eine organisierte Lehrtätigkeit — mag diese auch noch so weit über die Welt reichen und ausgearbeitet sein — selbst nicht durch die Festigkeit unseres Glaubens oder Stärke unseres Enthusiasmus können wir letzten Endes hoffen, in den Augen eines kritischen und skeptischen Zeitalters die höchste Stufe der Offenbarung zu erreichen. Ein Ding, und nur ein einziges, wird unfehlbar allein den zweifellosen Triumph dieser heiligen Sache sichern, d. h. das Ausmaß, in welchem unser inneres Leben, unser eigener Charakter in ihren Mannigfaltigkeiten den Glanz dieser ewigen Prinzipien, die Baha’u’lláh bestimmt hat, widerspiegelt. Wenn ich zurückblicke auf die trüben Tage in meiner Einsamkeit, verbittert durch das Gefühl der Angst und der Trübsal, so darf ich mich mit Anerkennung und Dankbarkeit doch an die unzweifelhaften Beweise Ihrer Liebe und Ihres festen Eifers erinnern, welche ich von Zeit zu Zeit empfangen habe, und welche in nicht geringem Maße dazu gedient haben, die Last, die so schwer auf meinem Herzen liegt, zu erleichtern.

Ich kann wohl den Grund der Unsicherheit, ja Niedergeschlagenheit nachfühlen, welche das Gemüt und die Sinne jedes Liebenden und treuen Dieners des geliebten Meisters bewegt haben, [Seite 131] während dieser langen Monate der Unterbrechung und des betrübenden Schweigens. Aber ich kann Sie versichern, daß die bemerkenswerte Hingabe, welche Sie zum Schutz der heiligen Sache zeigen, die Festigkeit im Glauben, die ununterbrochene Tatkraft, welche Sie für deren Förderung an den Tag legen, erst am Ende voll belohnt werden kann von 'Abdu'l-Bahá, Der auf Seiner hohen Warte der sichere Zeuge alles dessen ist, was Sie für Ihn geleistet und gelitten haben.

Und wenn ich in die Zukunft blicke, so hoffe ich, daß die Freunde zu allen Zeiten, in jedem Land und von jeder Art von Gedanken und Charakter freiwillig und freudig sich scharen, um ihre örtlichen und insbesondere ihre nationalen Zentren der Tätigkeit, indem sie ihre Interessen mit vollständiger Einigkeit und Zufriedenheit, mit vollem Einvernehmen, mit hoher Begeisterung und starker Kraft aufrecht erhalten und fördern.

Dies ist in der Tat die einzige Freude und das Sehnen meines Lebens, denn es ist der Ursprung von dem alle späteren Segnungen ausströmen werden, das breite Fundament, auf welchem die Sicherheit des heiligen Baues letzten Endes ruhen muß. Werden wir nicht hoffen dürfen, daß endlich die Dämmerung eines strahlenden Tages anbrechen möge für unsere geliebte Sache?

Shoghi.

Haifa, 24, Sept. 1924.

Übersetzt von A. Sch.



Deutscher Bahai-Kongreß

Stuttgart 1924

20.—22. September 1924

13.—15. ’Izzat 80


Samstag, den 20. September

3 Uhr nachmittags:

Begrüßung und Empfang im großen Saal des Bürgermuseums, Langestraße 4, durch Herrn Konsul Schwarz;

Verlesung des Beratungs-Tablets;

Melodram, verfaßt von Herrn Dr. A. Mühlschlegel, Stuttgart.


4 Uhr nachmittags:

Berichte der Ortsgruppen.


7 Uhr abends:

Neuwahl des Nationalrats durch die Wahldelegierten; anschließend erste Sitzung des neugewählten Nationalrats im kleinen Saal des Bürgermuseums;

Einigkeitsfest für die an der Wahl und Sitzung nicht Beteiligten;

Musikalische Vorträge.


Sonntag, den 21. September 9 Uhr vormittags:

Fortsetzung der Berichte der Ortsgruppen;

Gleichzeitig (8 bis 11 Uhr) Konferenz der Leiter von Kindergärtlein der Weltgemeinschaft im kleinen Saal.

11 Uhr vormittags:

Arie aus Pfingstcantate, von J.S. Bach (musikalischer Vortrag von Fräulein Julie Stäbler, am Klavier Fräulein Lony Schütze).

Oeffentliche Vorträge:

[Seite 132]

1. Baha’u’lláh und das neue Zeitalter, von Frau Alice Schwarz, Stuttgart;

2. Die Notwendigkeit der Bahai-Lehre, von Herrn Wilhelm Herrigel, Stuttgart.


1 Uhr nachmittags:

Gemeinsames Mittagessen im Bürgermuseum.


3 Uhr nachmittags:

Referate:

1. Was zeigt uns die Entwicklung der Bahai-Lehre in Deutschland, Frau Pleßner, Berlin;

2. Bahai-Erziehung, Herr Dr. Großmann, Hamburg;

3. Zeitströme, Frau Votteler-Bernhardt, Freudenstadt;

4. Die sozialen Ausblicke der Bahai-Lehre, Herr Julius Henseler, Eßlingen;


5. Bahailehre und Studententum, Fräulein Heide Jäger, Tübingen;

6. Der geistige Kern der Religion, Frau Helling, Freiburg.


8 Uhr nachmittags:

Adagio aus Violinkonzert... Max Bruch (Violin-Solo von Herr Otto Stäbler, Stuttgart, am Klavier Herr Musikdirektor G. A. Nack).

Oeffentlicher Vortrag:

Baha’u’lláh, Deutschland und der heutige Mensch, Herr Dr. A. Mühlschlegel, Stuttgart.


Montag, den 22. September

1/2 11 Uhr vormittags:

Zwangslose Zusammenkunft in der Bahai-Bibliothek auf der Wagenburg, Wagenburgstr. 5; Linie 10 und 18, Haltestelle Heidehofstraße.



Bericht.

Im gutbesetzten, großen, schön dekorierten Saal des Bürgermuseums, begann am Samstag, den 20. September 1924, nachmittags 3 Uhr, der Kongreß. Derselbe wurde durch einen schönen Gesangsvortrag des wundervollen Liedes vom „großen Namen“ umrahmt, vorgetragen von Damen und Herren der Stuttgarter Bahaigemeinde, unter Führung von Frl. Stäbler.

Hierauf begrüßte Herr Konsul Schwarz die Erschienenen mit tiefempfundenen Worten. Er verlas zunächst das Tablet, welches 'Abdu'l-Bahá für Beratungen geoffenbart hat, wobei sämtliche Teilnehmer sich von ihren Sitzen erhoben. Alsdann richtete er folgende Ansprache an die Versammlung:

„Der große Name „Alláh’u’Abhá“, den wir eben gehört haben, möge unser aller Herzen und Seele erfüllen. Möge Gottes Segen auf unserer Arbeit ruhen. Möge Baha’u’lláh und 'Abdu'l-Bahá freundlich auf unser Beginnen herniederblicken. Möge unsere Arbeit in Ihrem Geiste von der gleichen Liebe erfüllt sein, wie wir sie stets von diesen beiden großen Meistern und geliebten Führern empfinden durften. Wir sind zusammen gekommen, um unsere Treue und Hingebung zur heiligen Sache erneut zu bestätigen, indem wir unseren geliebten Meister bitten, unsere geringe Arbeit freundlich anzunehmen und zu diesem Werke Seinen Segen zu verleihen. Wir wollen erneut geloben, die Lehren und Bestimmungen unserer großen Meister von ganzem Herzen zu befolgen. Als mit das Wichtigste erscheint mir das Gebot der Liebe zum Nächsten, dieser Liebe, die wir von 'Abdu'l-Bahá so viel erfahren durften. Vor elf Jahren hat 'Abdu'l-Bahá zu einer großen andächtigen Versammlung hier in diesem Saale gesprochen. Trotzdem Er sich nicht wohl fühlte, wollte Er die so sehnlich auf Ihn Wartenden nicht enttäuschen. Diese Versammlung ist für jeden Teilnehmer unvergeßlich geblieben, der Raum ist für uns heilig geworden und ’Abdu’l-Bahás göttlicher Geist waltet wieder über uns. Wir empfinden Seine Liebe und Güte, und diese Eigenschaften wollen wir trachten, in uns aufzunehmen, um sie unserem Nächsten gegenüber ebenfalls zum Ausdruck zu bringen. Wenn die Menschheit von diesem Geiste und von dieser Liebe erfüllt sein wird, so werden die fürchterlichen Kriege aufhören, die von der Macht des Bösen immer wieder angezettelt wurden. Es wird alsdann nicht die rohe Gewalt, sondern der Geist den Sieg davontragen. Mit Abscheu erfüllt es uns, daß derjenige der Gefeierte sein soll, der durch rohe Gewalt den anderen niedergezwungen hat. Unser armes Land leidet in unerhörter Weise infolge der durch die furchtbare Bedrückung, die seine Gegner, trotzdem heute Frieden sein soll, ihm auferlegen. All dies wäre kaum zu ertragen, wenn wir nicht an die von 'Abdu'l-Bahá für Deutschland so wundervolle Verheißung denken könnten, in der Er uns sagte, daß das geistige Licht‚ das über Europa ausstrahlen wird, von Deutschland aus seinen Anfang nehmen werde. Diese Worte dürfen uns eine frohe Zuversicht geben. Wir müssen dieselben aber auch richtig zu verstehen trachten. Nicht Deutschland als Staat wurde diese Verheißung zuteil, sondern denjenigen Menschen, welche die Lehren und Anordnungen der beiden großen Gottgesandten voll und ganz in sich aufnehmen, nach ihnen leben und für dieselben mit aller Kraft, Weisheit und gleichzeitig mit Bescheidenheit einstehen. Die verheißenden Worte 'Abdu'l-Bahás legen uns deshalb große Pflichten und Verantwortung auf, denn es liegt [Seite 133] eine ungeheuere Arbeit vor uns. Wie sollen wir vor Ihm bestehen, wenn wir nicht Seine heiligen Worte mit allem Nachdruck und treuester Pflichterfüllung befolgen und die von Ihm uns gewiesenen Wege gehen; wir müssen unermüdlich vorwärts streben und unser eigenes Ich hintansetzen in Seinem heiligen Gedächtnis.

Gestatten Sie mir, meine lieben Freunde, Sie auf die Anordnungen unseres teuren Beschützers, Shoghi Effendis, hinzuweisen. Wie Sie wissen, findet anläßlich unseres Kongresses die Wahl zum Nationalrat statt.

Shoghi Efftendi, unser hochverehrter Beschützer der heiligen Sache, hat bei der Konstituierung festgesetzt:

„Die neun Mitglieder des Nationalrats wählen zunächst einen Präsidenten, einen Vizepräsidenten, einen Sekretär, einen Schatzmeister und noch mehr Beamte, wenn notwendig. Niemand soll die Wahl zum Nationalrat annehmen, es sei denn, daß er in der Lage ist, sich der heiligen Sache in durchaus ausreichender und entsprechender Weise zu widmen, daß es ihm möglich ist, den Sitzungen und Konferenzen beizuwohnen, zu welchem der Präsident, oder der Vizepräsident einlädt. Da Stuttgart als das Zentrum der heiligen Sache in Deutschland angesehen wird, so wird der Nationalrat in Stuttgart seinen Sitz haben. Alle Geistigen Bahai-Arbeitsgemeinschaften von Deutschland stehen unter dem Nationalrat in Stuttgart, welcher die erste Stelle in Deutschland einnimmt. Dies ist so zu verstehen, daß, wenn auch der Nationalrat in Stuttgart den Vorrang in Deutschland haben wird, alle Angelegenheiten mit der größten Harmonie, Einigkeit und Liebe behandelt werden sollen, sowohl unter den Mitgliedern des Nationalrats selbst, wie auch den Mitgliedern der Geistigen Arbeitsgemeinschaften gegenüber. Die größte Freundlichkeit und Aufrichtigkeit soll das Eine dem Andern entgegenbringen, denn der Meister wünscht Seine Kinder als wahre Bahai zu sehen. Der Nationalrat gibt seinen Mitgliedern eine Fülle von Arbeit. Aus diesem Grunde wird festgesetzt, daß spezielle Komitees zu bilden sind, welche den Nationalrat in seinem Werk zu unterstützen haben. Diese Komitees arbeiten unter der Leitung des Nationalrats. In diese Komitees können sowohl Mitglieder des Nationalrats, als solche der Geistigen Arbeitsgemeinschaften, wie auch andere Gläubige gewählt werden. Aber jeder muß sich darüber klar sein, daß in den verschiedenen Komitees eine Fülle von Arbeit zu tun ist und deshalb sollen Gläubige nur eine Wahl annehmen, wenn sie sich in weitgehender Weise dem Werk der Sache Gottes widmen Können. Es wird vorhanden sein:

1. Ein Komitee für Uebersetzungen, Veröffentlichungen, kein Buch soll gedruckt und keine Zeitung veröffentlicht werden, es sei denn, daß die gewählten Mitglieder dieses Komitees diese kontrolliert und ihren Bericht dem Nationalrat gegeben haben.

2. Das Zweite Komitee ist für Lehren. Hiermit ist nicht nur gemeint, das Lehren von Menschen, welche sich für die heilige Sache interessieren; von Wichtigkeit vielmehr ist auch, junge Gläubige zu lehren, auf daß sie in die Lage versetzt werden, auch selbst zu lehren. Eine große Bedeutung für die Verbreitung der heiligen Sache ist diesem Komitee zuzusprechen.

3. Das dritte Komitee hat die Korrespondenz mit den Bahaizentren des Ostens und Westens. Hiermit ist der fortgesetzte Verkehr mit den Nationalräten anderer Länder gemeint, an welche die Nachrichten über die heilige Sache zu übersenden sind. Ferner Zeitungen (die „Sonne der Wahrheit“ soll an jedes Zentrum gesandt werden und auch in das Englische übersetzt werden), Bücher usw., wie auch andererseits der Nationalrat der anderen Länder dem Stuttgarter Nationalrat gegenüber das Gleiche tun soll. Aber nicht nur die Verbindung zwischen Osten und Westen soll von dem Komitee aufrecht erhalten werden, es soll vielmehr auch in fortgesetzter Verbindung mit den Arbeitsgemeinschaften aller Plätze des eigenen Landes stehen, sie über alle neuen und interessanten Anlegenheiten in der heiligen Sache informieren, dafür besorgt sein, daß Zeitungen (Sonne der Wahrheit) an sie geschickt werden, neue Bücher usw. und alle notwendigen Auskünfte und Mitteilungen in der heiligen Sache an dieselben gelangen lassen. In gleicher Weise haben die Geistigen Arbeitsgemeinschaften aller Plätze in Deutschland das Komitee über alle wichtigen Angelegenheiten in Kenntnis zu setzen, welche an deren Sitz vorkommen, Bericht über Gläubige zu geben, welche sich für Lehrer eignen usw.

[Seite 134]

4. Das vierte Komitee ist eingesetzt, um Bahai zu empfangen, welche von fremden Plätzen kommen und sich um sie zu bekümmern. Es hat auch die Kontrolle über die Freunde, welche vom Osten kommen. — Wenn weitere Komitees sich als notwendig erweisen sollten‚ so wird der Nationalrat diese auswählen. Alle diese Komitees sind dem Nationalrat gegenüber verantwortlich, der die Ueberwachung über ihre ganze Tätigkeit auszuüben hat. Von besonderer Bedeutung ist, daß nichts in der Oeffentlichkeit getan werden soll, ohne die Zustimmung des Nationalrats.

Alle Arbeit soll getan werden mit größter Liebe, Selbstlosigkeit und Aufrichtigkeit. Verschiedene Meinungen sollen in größter Freundlichkeit geklärt werden. Jeder Gläubige soll sich dessen bewußt sein, daß er für die heilige Sache arbeitet, für unseren teuren und geliebten Meister, Der zum Königreiche Abha’s emporgestiegen ist. Er soll nie vergessen, daß die heilige Sache die bedeutendste und wichtigste göttliche Angelegenheit ist, welche in der ganzen Welt existiert und daß die größte Einigkeit herrschen muß, wenn das Werk von Erfolg sein soll.“

„Wir werden heute die Berichte der Geistigen Arbeitsgemeinschaften und auch Referate zu hören bekommen. Ich würde es für außerordentlich wertvoll halten, wenn die Freunde ihre Berichte und Referate nicht nur in retrospektiver Weise erstatten wollten, sondern wenn auch wertvolle Anregungen im Interesse der heiligen Sache, hinsichtlich der Zukunft gemacht werden könnten. Der Nationalrat wird für jede geistige Anregung und praktischen Vorschlag überaus dankbar sein.

Zu meinem größten Bedauern muß ich Ihnen mitteilen, daß unser Freund, Herr Gollmer, ein langjähriger treuer Anhänger der heiligen Sache, und Mitglied des Nationalrats, plötzlich schwer erkrankt ist. Ich weiß Sie in dem herzlichen Wunsche mit mir eins, daß dieser liebe Freund sich baldigst erholen möge. Leider sind unsere alten, lieben Freunde, Herr und Frau Eckstein, mit Rücksicht auf ihre Gesundheit, an der Teilnahme am Kongreß verhindert. Herr Ramboldt von Großstrelitz hat einen herzlichen Bahaigruß zugesandt. Wir gedenken herzlich aller derer, welche an unseren Arbeiten nicht teilnehmen können. Unsere Gedanken eilen hinaus zur Hochburg der heiligen Lehre, nach Akka und Haifa; wir beten in Gedanken an den heiligen Grabstätten und gedenken aller lieben Freunde und Anhänger auf das Herzlichste. Möge Gottes Segen über unserer Arbeit sein! Alláh’u’Abhá!“

In andächtiger Sammlung lauschten die Anwesenden hierauf dem feinsinnigen, von Dr. Mühlschlegel - Stuttgart verfaßten Melodram, das einen unmittelbaren Eindruck machte.



Melodram :

zum

dritten deutschen Bahai-Kongreß 80

Personen:

Führende musikalische Einfühlung . . Werner Schuber

Ein Bahaistudierender .......Adelbert Mühlschlegel

Ein Sucher . . .... ...Julius Henseler

Ein Christ . ......... Otto Geldreich

Ein Gelehrtet . . ..... . Eduard Schäfer

Ein Mann der Tat ........ Friedrich Rost

Eine Künstlerin ........ Margaret Wippermann

Eine Mutter ........ Tarza Flächer

Ein Mädchen . . . .....Pollin Luce

Zeitenwende ........ Julius Brückner


BAHAISTUDIERENDER:

Vater, Du bist der Schöpfer aller Dinge,

Und alles Leben quillt aus Deinem Schoße.

Hehr schufest Du den Menschen, daß er bringe

Dein Reich in diese Welt. — Ach, wie geringe

Ist er geworden! weich geknickte Rose!

Herr, Deine Rechte hält die Weltenlose.

Erhöre Deiner armen Kinder Flehen,

O laß durch Deines Heiligen Geistes Wehen

Die Saat des Neuen Tages auferstehen!

Verhüllt in Deines Seins Unendlichkeit

Erfühltest Du die Liebe zu dem Wesen,

Das in der Erdenwelt von Raum und Zeit

Zu Deinem Priesterdienste auserlesen,

Dein Bildnis sei, Dein Tempel und Dein Kleid,

Dein Mensch. — O Herr, laß uns dazu genesen!

Erhöre Deiner armen Kinder Flehen,

Hilf, daß wir Tauben hören und wir Blinden sehen,

Wie gnädig Du durch Deines Geistes Wehen

Befahlst: Der Neue Mensch soll auferstehen.


SUCHER:

Mein Bruder Mensch, ich forschte schon so viel

Und immer wieder sah ich mir entschwinden,

Was meiner Sehnsucht heißes Ziel.

Vielleicht vermag ich’s hier zu finden.

Auf manchem Wege wanderte ich hin.

Doch nie kam ich zu Gott, noch weiß ich, wer ich bin.


BAHAISTUDIERENDER:

Mein Bruder Mensch, ist Gott nur außer dir?

In dir ist Sein Bildnis vergraben.

Und suchst du durchs ganze Weltenrevier

Und glaubst du und hoffst du bald dort, bald hier,

In dir nur kannst du ihn haben.

Kein Mensch, kein Buch kann ihn dir geben,

In dir nur wirst du ihn erleben.

[Seite 135]

SUCHER:

Doch wie gelange ich dazu,

Zu diesem reinen Glück, zu dieser seligen Ruh?


BAHAISTUDIERENDER:

Schau in dich, schließ dich ein ins Kämmerlein

Und lasse die Menschen reden.

Lasse nicht andre Gedanken herein,

Suche dir deinen Gott allein,

Dann lernst du beten, beten.

Dann wird es rein in dir und stille,

Nur eines redet: Gottes Wille.


SUCHER:

Nach diesem Ziele geht mein ganzes Streben.

Ich fühle tief: es wird mir noch gegeben.

Doch eine Frage treibt mich immerfort:

Warum das Vielerlei um Gottes Wort?

Du sagtest: in dich schauen, beten.

Warum dann all die Bücher, Kirchen und Propheten?


BAHAISTUDIERENDER:

Nur eine Wahrheit gibt es

Und das Wort

Ist Strahl aus dieser Wahrheit.

Zahllose Strahlen leuchten

Und ihr Dämmerort

Das ist das Menschenherz in reiner Klarheit.

Es prangen Gottes Gärten

In Tausenden von Farben,

Doch eine Sonne läßt sie werden,

Nur eine Sonne reift die Garben.

So quillt Barmherzigkeit aus einem Bronne,

So strahlt unendlichfältig

Das Wort aus einer Wahrheitssonne.


CHRIST:

Doch Einer nur vom Vater selber kam

Und hat genommen unsre Sünden

Und litt am Kreuz als Gottes Lamm,

Wie heute Millionen es verkünden.

Was Neues hier gebracht wird, möcht ich wohl erfassen.

Doch Jesus, meinen Heiland, werd ich nimmermehr verlassen,


BAHAISTUDIERENDER:

Er wird dir immer herrlicher erstehen,

Wenn du es lernst: mit neuen Augen sehen.

So oft die Welt in Nacht und Finsternis versinkt,

Ein neuer Morgen wieder ihr den Gruß vom Vater bringt.

Des neuen Tages Sonne strahlt das gleiche Licht.

Gibt Leben, Farben, Glanz.

In ihrem Aufgangsort gleicht sie der andern nicht,

In ihrem Wesen ganz,

Des Neuen Tages Name ist ein andrer,

Doch gleich ist seiner Blumen Duft.

Was zauderst du noch, froher Wandrer,

Wenn dich der Morgenwind vom Lager ruft?

Erfasse tief das neue Weltenweben

Und gib es weiter dann zu neuem Leben.


GELEHRTER:

Das hier hat zweifellos Gestaltungskraft

Und widerspricht auch nicht der Wissenschaft.

Doch die Bemerkung möcht ich mir erlauben:

Verstand — Gefühl sind prinzipiell verschieden.

Zum positiven Wissen steht im Gegensatz das Glauben.

Sie zu vermischen, säh ich gern vermieden.

Religion und Wissenschaft sind zwei verschiedene Reiche.

Und die Geschichte lehrt es uns: ihr Weg ist nie der gleiche.


BAHAISTUDIERENDER:

Was die Geschichte lehrt, heißt: wie wir sie begreifen.

In uns liegt alles Werden tief verborgen,

Wenn wir im Geist des Schöpfers reifen,

Erleben wir in uns das Gestern, Heut und Morgen.

Und wie der Mond die Sonne widerstrahlt,

Durch den Verstand das Gotteslicht sich malt.

In wessen Herz nicht diese Sonne aufgegangen,

Des Leben gleicht der kühlen Vollmondnacht:

Er sieht nicht all die frohen Farben prangen,

Er atmet nicht den Duft der Schöpfungspracht,

Er sieht nur Erde, Wasser, Eis,

Schwarz, grau und weiß.

Gott schuf den Menschen in die Welt, daß er regiere

In seinem Namen, und gab ihm Verstand,

Das er sich scheide von dem Tiere

Und Segen bringe über alles Land.

Doch sei der menschliche Verstand — o nehmt es alle an! -

Des Geistes Diener stets und niemals ein Tyrann.

Denn ist der Mensch geläutert und sein Denken rein,

So staunt er, wie sich Welten ihm entsiegeln.

Die Schöpfung leuchtet auf im Sonnenschein

Und alle Dinge tiefste Wahrheit spiegeln.


GELEHRTER:

Ich sehe, hier wirkt eine Kraft,

Die ewig neu auch die Begriffe schafft.

Sie schmiedet altes Eisen um durch ihre Glut

Und bringt in starre Leiber wieder warmes Blut.


MANN DER TAT:

Doch führt dies viele Denken uns nicht allzuweit,

Wir wollen Taten; denn Gerechtigkeit

Ist erste Tugend in des Vaters Augen.

Wer sie nicht übt, wird wenig taugen.

In jedem kleinsten Tun und Lassen

Nur Seine Stimme hören, Seinen Wink erfassen.

Immer das nächste nur, doch da als ganzer Mann,

Der dies vor Gott und sich vertreten kann.

Der Worte ist’s genug. Nur reines, edles Handeln [Seite 136]

Kann diese arge Welt in einen Garten wandeln,

Wo alles drängt, da hilft kein langer Rat.

Die Neue Zeit befiehlt: Gebet und Tat.


BAHAISTUDIERENDER:

Das ist der Kern der Neuen Lehre:

Was wir im Geist empfangen, müssen wir gestalten.

Sein Reich auf Erden treulich zu verwalten

Heißt: Siegen über alle Erdenschwere.


KÜNSTLERIN:

Dazu ist uns die Kunst ein treuer Freund.

Der Neue Geist weist uns auf neue Spuren.

Wie alle Lebenskraft in ihrer Tiefe schäumt

Und weiterströmt in alle Kreaturen.

Ihr fernes lichtes Fluten, ihr geheimes Mahnen,

Die Mütter alles Werden, alles Lebens,

Was wir in heiligen stillen Stunden ahnen,

Was unser Sehnen ist, die Krone unsres Strebens,

Dies sichtbarlich im Fleische zu gestalten

Ist unser Ringen mit den Urgewalten.

Wir rufen euch in Vaters Reich zurück.

Ein Meer von Freude rauscht in diesem Glück.


MUTTER:

Im Kinde liegt der Menschheit höchstes Gut.

Ich fühle, welche Gnade darin ruht,

In dieser großen, heiligen Zeit zu leben,

Von seinem Geist und Worte zu empfangen,

Durch sie vom Tod zum Leben zu gelangen

Und einem neuen Geschlechte dies zu geben.

Der Mutterleib, ein geistumwebtes Land,

Geformt aus Erde, Himmeln zugewandt -

So steht, zu seiner Priesterin geweiht,

Das Weib am Anbeginn der Neuen Zeit.


MÄDCHEN:

Wie sich der Heilige Geist ins Land ergießt!

Wie ringsumher ein neuer Frühling sprießt!

Die wieder jungfräuliche Erde

Durchzittert wieder Gottes Wort: Es werde.

Aus Ihm wird sich als neuer Keim entfalten,

Was rein und unbefleckt vom Alten.

Ein anderes Geschlecht wird aufersteh’n.

Wohin es wächst, ich ah’n es kaum.

Herr, lasse um den heiligen Baum

Des Lebens Deinen Vatersegen wehen.


ZEITENWENDE:

Ich seh, ein neuer Bau wird aufgerichtet,

Wo Macht mit Eigenwille sich verband,

Wird schließlich alles in sich selbst vernichtet,

Der Heilige Geist durchbraust das Land

Und machtvoll pocht er an die Menschenherzen

Und schafft sie um zu reinen Kerzen.

Mich zählt man eigentlich schon zu den Alten.

Doch hier ist so viel Begeisterung,

Da muß ich schon an euch mich halte,

Die reine Liebe hält uns ewig jung.

Und was sich hier vollzieht im Kleinen,

Das soll im Großen einst geschehen.

O, mögen alle, alle Seine Sonne sehen

Und sich im Dienste ihrer Herrlichkeit vereinen!


GEBET:

Herr, unser Gott, Du schaust von oben

Auf uns herab, die Deinen Namen loben.

Du siehst, daß wir uns Deinem Dienste weihen.

O hilf uns, Herr, daß wir des würdig seien.

Denn wir sind arm und nichts ist unser eigen.

Laß Deine Gnaden auf uns niedersteigen.

Tod sind wir. O erwecke uns zum Leben

Durch Deine Sonne, die Du uns gegeben.

Wir selbst sind schwach und können nicht bestehen.

Um Deine Hilfe wir in Demut flehen.

Herr, mache unsere Herzen licht und rein,

Laß Deinem Geiste sie zur Wohnung sein.

Herr, hilf uns, daß wir Deine Stimme hören.

Und keine Einbildungen uns betören,

Auf daß das hohe Werk in Dir gelinge,

Ein lichter Ton aus unserem Kreise dringe,

Wie Auferstehungssang im Land erklinge,

In hellem Jubel weit und weiter schwinge,

Den Neuen Tag der armen Menschheit bringe.


Die Motive der Parsifalmusik klangen mit der Dichtung zusammen. Alsdann erfolgte die Erstattung der Ortsberichte,



Ortsgruppe Berlin: Frau Pleßner.

Die Rednerin berichtete in warmer Herzlichkeit, daß sie vor etwa drei Jahren zur Kenntnis der Bahai-Lehre gekommen sei; daß aus der Berliner Gruppe heute eine Gemeinde geworden sei. Die Versammlungsabende könnten heute nicht mehr in ihrem Haus abgehalten werden, sondern finden jetzt öffentlich statt.

Um der hl. Sache mit Wort und Tat zu dienen und dieselbe wirkungsvoll zu verbreiten, wurde durch sie ein neuer Tierschutzverein gegründet, bei dem Menschen aus allen Konfessionen u. Parteien zum Ziel des Tierschutzes gemeinsam tätig seien. Die Rednerin führt aus, daß die Gründung einer weiteren Bahai-Gruppe in Berlin-Schmargendorf durchaus berechtigt erscheine, da die großen Entfernungen der Riesenstadt den Freunden nicht ermöglicht, häufig genug zusammenzukommen.


Ortsgruppe Eßlingen: Fräulein Fingerle.

Liebe Geschwister!

„Seit unserem letzten Kongreß sind nun zwei Jahre vergangen, und wenn wir auf diese zwei Jahre zurückblicken und von unserer Arbeit in Eßlingen berichten sollen, so hätten wir eigentlich [Seite 137] nicht vieles zu sagen, wenigstens von unserer Arbeit nach außen, also an der Oeffentlichkeit.

Längere Zeit, und zwar von April 1923 bis September 1923, hatten wir kein geeignetes Lokal, um unsere Versammlungen abhalten zu können. Das Heim, in dem wir unseren Unterschlupf hatten, wurde umgebaut, und in dieser Zeit war es uns trotz vieler Bemühungen rein unmöglich, irgend ein Lokal zu erhalten, denn die Vereinshäuser und christlichen Hospize bleiben uns noch immer verschlossen, da wir von den Führern der christlichen Vereine in Eßlingen als eine mohamedanische Sekte bezeichnet werden, deren Bestrebungen sie nicht die Hand reichen dürfen.

Während dieser Zeit kamen wir im kleinen Kreis bei den einzelnen Freunden zusammen. Obwohl es nicht möglich war, mit allen Freunden in diesen Stunden zusammen zu sein, so hatten auch diese engeren Zusammenkünfte doch ihren großen Vorteil, denn die Freunde traten hier mit ihren Fragen frei heraus und konnten dadurch tiefer in die heiligen Lehren eingeführt werden. Wir behandelten das Buch „Beantwortete Fragen" (Some answered Questions von Laura Clifford Barney) und sprachen darüber. Dieses herrliche Buch gibt uns über die wichtigsten Fragen, die an uns herantreten, bis ins kleinste genauen Aufschluß, und es wäre im Interesse unserer heiligen Sache sehr zu wünschen, daß dieses Buch allen Freunden gut übersetzt bald zugänglich gemacht werden könnte.

Ueberaus glücklich waren wir, als uns im September 1923 wieder unser altes Lokal im Museum geöffnet wurde, in welchem im Jahre 1913 unser geliebter Meister selbst weilte. Wieder war es uns vergönnt, die wunderschönen Einigkeitsfeste für unsere ganze Gruppe zu geben und uns zu versammeln um Seiner Liebe willen und zu Seinem Preise.

Unser lieber Vorsitzender der Geistigen Arbeitsgemeinschaft Eßlingen, Herr Schwaderer, der wie ein starker Baum inmitten der Eßlinger Gruppe steht, hat es immer verstanden, mit seinen begeisternden Worten und seinem Hinweis auf das Leben unserer Meister, uns anzuspornen zum Dienst für unsere heilige Sache und uns in der Liebe füreinander zu betätigen. Er gab uns jeden Dienstag Abend Lehrstunden und zwar sprach er über die verschiedenen Gottesoffenbarer, über ihr Leben und ihre Lehren.

Wenn uns auch gewisse Umstände davon abhielten, in der Oeffentlichkeit zu arbeiten, so sind wir doch innerhalb unseres Kreises und auch darüber hinaus nicht untätig geblieben. Immer wieder haben sich Freunde gefunden, die uns die Hände reichten, und mit uns gingen, als sie die frohen Botschaften vernahmen, andere dagegen, sind hinausgezogen in andere Städte, ja Länder, um dort im Geiste des Meisters für seine Sache zu wirken. Es war ein Kommen und Gehen, ein Bewillkommnen und Abschiednehmen.

Manchesmal schienen uns die Zeitverhältnisse zu Boden zu drücken, doch die Worte unseres Meisters und die lieben Briefe der Freunde aus Amerika, aus Italien, Japan, Indien, Persien und besonders aus Hamburg erfüllten uns wieder mit neuem Mut für die Arbeit in Seinem Königreich.

Als die Lebenshaltung im Jahre 1923 immer schwerer wurde, entschlossen wir uns, die von Amerika zum Fond für ein Bahaiheim zugesandten Dollars einzuwechseln und Lebensmittel dafür zu kaufen; somit wurde unsere ganze Barschaft in Lebensmittel eingetauscht, die unter den Freunden und anderen Bedürftigen unserer Stadt verteilt wurden.

Besonders viel Freude macht uns die Arbeit mit den Kindern; davon kann unsere liebe Schwester Anna Köstlin besser erzählen als ich, die unermüdlich tätig ist, die Kinder in den heiligen Lehren zu unterrichten, aus ihnen Lichteskinder, Sonnenkinder, Tatmenschen zu machen. Doch nicht nur die Arbeit im Stübchen kennen unsere Kinder, sondern wir wandern auch mit ihnen hinaus in Wald und Feld und singen und spielen und freuen uns an Gottes Schöpfung.

Jetzt, da die Abende länger werden, und der Wind kalt über die Felder bläst, sitzen wir mit ihnen zu Hause und verfertigen Arbeiten, die Buben wie die Mädels, die dann verkauft werden und der Erlös hieraus dem Waisenhaus in Hamburg und dem Fond für unser Rosengärtleinheim in Eßlingen zufließt.

Dürfen wir nicht glücklich und voll freudiger Zuversicht sein, wenn wir in die strahlenden Augen der Kinder blicken, wie sie unermüdlich und freudigen Herzens füreinander arbeiten. Muß nicht dabei aller Kummer und Sorge schwinden? Denn unsere Kinder, erzogen in Seinem Geiste, werden fähig sein, Großes zu leisten in der Sache Baha’u’lláhs.

Die größeren Kinder von 14 Jahren aufwärts kommen an den Sonnabenden zusammen und vertiefen sich in die Lehren, sie lesen die Worte unserer Meister, sprechen sich darüber aus und wachsen so in Seinem Geiste. Sie musizieren, sie singen unter der Leitung von Herrn Schwaderer und verschönern dann oft unsere Versammlungsabende mit ihren Liedern. Auch praktische Arbeit wird geleistet. Sie machen Vervielfältigungen auf der Schreibmaschine oder sie helfen an unseren Druckarbeiten mit. Dadurch war es uns auch möglich, am letzten Kinderfest den Freunden eine kleine Freude zu bereiten in Gestalt des [Seite 138] gedruckten Heftes: „Was ist ein Bahai“( V. Kap. aus „Baha’ulláh und das neue Zeitalter“ von J.J. Esslemont), das ja wohl jedem bekannt sein wird. So ist im Laufe der Jahre unter den Eßlingern ein junges Bahaivölkchen erstanden, wohl noch klein heute, doch es wird wachsen und wie ein Sauerteig sein. Heute sehen wir noch keine Früchte unserer kleinen Arbeit, es ist auch nicht die Zeit der Ernte, sondern der Saat, und Gott, der Erhabene, wird denen helfen und die segnen, die aufrichtigen Herzens und selbstlose Diener in Seinem Königreiche sind.

Allàh’u’Abhà!“



Ortsgruppe: Freudenstadt: Frau Votteler-Bernhardt.

„Durch Gottes Gnade ist es mir gelungen, in meiner Heimatstadt, der schönen Stadt der Freuden, eine Arbeitsgemeinschaft gründen zu dürfen und wir arbeiten mit großer Liebe für die Bahailehre.

Lichtkinder zu werden, die dieses große Licht, das Baha’u’lláh in die Welt gebracht hat, ausstrahlen dürfen, ist unser aufrichtiges Bestreben. Es ist so schön, das Entstehen und Wachsen einer solchen Gruppe beobachten zu dürfen. Im Anfang findet man bei den Zuhörern immer ein ängstliches Zurückhalten und ein fast krankhaftes Festhalten am alten Christenglauben. Die Angst, ihren Heiland hergeben zu müssen, ist bei denselben so groß, die Furcht, das Neue könnte ihnen das Alte rauben, so stark, daß es viel Liebe und Geduld braucht, ihnen klar zu machen, daß Baha’u’lláh nicht gekommen ist, Christus zu verdrängen, sondern Seine Lehre zu erfüllen. Dadurch erkennen wir erst Seine wahre Größe.

Dann erst traten sie mit der wirklichen Freude die diese hohe Lehre verlangen darf und muß, an die heilige Sache heran und ich freue mich, berichten zu dürfen, daß auch in meinem Kreise erweckte Seelen sind, die, wenn sie noch tiefer in die Lehre eingedrungen sein werden, einst starke Stützen und treue Mitarbeiter in Seinem Weinberge werden.

Da Freudenstadt ein internationaler Kurort ist, hat man Gelegenheit, mit Menschen verschiedener Rassen in Verbindung zu kommen. Auch diesen Sommer durfte ich manches Samenkörnlein ausstreuen und sehen, daß es hungernde Seelen gibt, die sich gerne göttliche Speise reichen lassen. Die Augen des Lauschenden werden immer strahlender, wenn sie hören, wie hoch und erhaben uns Baha’u’lláh die reine Christuslehre erschließt und uns zeigt, daß wir alle Gottesboten brauchten zur Entwicklung: von Adam, Noah, Abraham, Mose, Christus, Mohammed bis zu Baha’u’lláh, denn jeder war ein Stein, größer oder kleiner, zu dem großen Bau und wenn wir sie alle erkennen als Quellen aus einem göttlichen Meer, dann bilden sie eine Einheit.

Eine ganz besondere Freude war es für mich, zu einem jungen Türken von der heiligen Lehre sprechen zu können. Er hatte schon von Baha’u’lláh gehört und auch von ’Abdu’l-Bahá, glaubte aber, Mohammeds Lehre ließe sich mit der von Baha’u’lláh nicht vereinen, äußerer Gesetze wegen. Als ich ihm nun sagte. daß seit Mohammeds Zeiten die Menschen intellektuell und geistig fortgeschritten seien und man nicht an äußeren Gesetzen einer solch hohen Lehre gegenüber hängen bleiben dürfe, da wurde sein Interesse wach, er wollte mehr hören, wollte Bücher und wurde nicht nur ein höflicher Zuhörer, sondern nahm mit wachem Herzen jedes Wort in sich auf. Das Bild des großen Namens, das ihn heimatlich berührt hatte, war der Anlaß, daß unser kurzes Beisammensein so gesegnet wurde. Das Samenkörnlein ward ausgestreut, möge es aufgehen und zum festgewurzelten Baum im Garten der Erkenntnis werden.

Wir müssen mit offenen Augen durch die Welt gehen und Menschenfischer werden, damit wir uns immer mehr bewußt sind, welche Gnade und großer Vorzug es ist, in der heutigen Zeit leben zu dürfen.

Alláh’u’Abhá,“



Ortsgruppe Gera: Herr Kurt Döring,

berichtet, daß er im Jahr 1908 von seiner Schwester, der verstorb. Fräulein Marg. Döring, und Fräulein Knobloch von der Lehre gehört hätte. Letztere habe längere Zeit in Leipzig Aufenthalt genommen und es sei auch gelungen, eine Gruppe zu gründen. Längere Zeit seien sie ohne richtige Verbindung gestanden, bis Herr Herrigel die Gruppe durch Vorträge und Besuche in den letzten Jahren neu belebt hätte.

Ortsgruppe Göppingen: Herr Gemeinderat Brückner.

„Die Göppinger Gruppe war in den abgelaufenen zwei Jahren nicht im Stande, ihren damaligen Mitgliederstand zu halten. Die Gründe sind größtenteils in Wegzug und Abreise zu suchen. Manche glaubten auch, bei einer anderen Glaubensgemeinschaft den Himmel schneller und bequemer erreichen zu können. Ich kann wohl sagen, das, was wir jetzt haben, ist ein guter Stamm; fast jeder ist bei verschiedenen Körperschaften tätig und arbeitet dort im Bahaigeist. Man beschäftigt sich mit uns in den verschiedenen religiösen Gemeinschaften; auch die Kirche hat uns ihre Aufmerksamkeit zugewendet. Wir alle haben das [Seite 139] ehrliche Bestreben, unserem Namen Ehre zu machen unter dem Leitmotiv: Lasset uns Gutes tun und nicht müde werden, so werden wir auch ernten ohne aufhören. In was besteht nun unser Gutes tun? Da wir im allgemeinen mit irdischen Glücksgütern nicht zu reichlich ausgestattet sind, können wir nicht viele sichtbare in die Augen fallenden großen Werke tun, aber wir wollen Kleinarbeit leisten, ein freundliches Wort, ein herzlicher Gruß, eine kleine Hilfeleistung, ein guter Rat, wenn möglich, verbunden mit Tat, Worte der Liebe und des Verstehens. Ja, die Liebe ist das Größte, was wir geben können und sollen, alle heiligen Schriften bestätigen es, wie oft lesen wir in den Tafeln unseres großen Meisters von Liebe und wie oft wird die Sonne, die nichts anderes als Liebe bedeutet, genannt; wie sie scheint über die Bösen und über die Guten, über Gerechte und Ungerechte, ja Gott ist die Liebe und wer in dieser Liebe bleibt, der bleibt in Gott und Gott in ihm. Ein ganzes Glaubensbekenntnis ist hier auf eine wunderbar einfache Formel gebracht. Die große, allumfassende Liebe, die nicht bei Familie, Staat oder Volk, Halt macht, sondern den ganzen Kosmos umfängt und durchdringt. Sie ist ein besonders hervortretendes Merkzeichen der Bahailehre. Unser großer Schiller hat diesem weltumfassenden Gedanken in seinem Hymnus an die Freude wunderbaren Ausdruck verliehen, wenn er sagt: Seid umschlungen Millionen, diesen Kuß der ganzen Welt, Brüder überm Sternenzelt muß ein guter Vater wohnen. Wir müssen Vollmenschen, Edelmenschen, Lichtmenschen, Gottesmenschen werden, das ist unsere Bestimmung; unsere Parole muß heißen: Vorwärts und aufwärts, dem Licht entgegen!

Ja, so sei es!“



Ortsgr. Hamburg: Herr Dr. Großmann.

Der Redner überbringt die Grüße der Bahai-Freunde in Rostock, Schwerin und Warnemünde. Er berichtet, daß im vorigen Jahr in Hamburg die erste Versammlung gehalten werden konnte. Versammlungen allein jedoch genügen nicht, es müsse auch persönlich geworben werden. Die Gruppen müßten heranwachsen, nicht groß an der Zahl, aber im reinen Geist des Zusammengehörigkeitsgefühls. Es sei ihm vergönnt gewesen, die Ortsgruppe Rostock, Schwerin und Warnemünde zu pflegen. Er persönlich habe sich der Arbeit an den Kindern zugewandt. Auch Herr Lehrer Jörn in Warnemünde suche der hl. Sache auf dem Weg der Kinderarbeit zu dienen. Freund Jörn habe zeitweise 41 Kinder beisammen gehabt. Wie lange es Herrn Jörn noch vergönnt sein werde, so weiter zu arbeiten, wisse man nicht, da stets gegen ihn gearbeitet werde. Neuerdings bearbeitete man die Eltern, daß sie ihre Kinder nicht mehr zu den Veranstaltungen herbeilassen.

In Hamburg sei die Kirche fester verankert denn je. Die Bahai in Schweden hätten mit den Hamburger Freunden Fühlung genommen. Der Redner brachte seine Freude zum Ausdruck, daß er für den nächsten Tag ein Referat über Bahai-Erziehung halten kann und daß die Tagung der Kindergärtleinleiter in den Rahmen des Kongresses einbegriffen worden ist.



Ortsgruppe Heilbronn: Herr Kümmerle

gibt bekannt, daß laufend jede Woche eine Versammlung der Freunde in Heilbronn stattfindet. In neuerer Zeit haben sich zwei Versammlungen gebildet, eine für die Freunde im engeren Kreise, während die andere darauf eingestellt ist, fernstehende Interessenten in die Lehre einzuführen. Ein Bahai-Kindergarten sei auch eingerichtet worden, bei dem erfreuliche Fortschritte zu verzeichnen sind. In der Heilbronner Bahai-Gruppe werde die Esperanto-Sprache gepflegt.



Ortsgr. Karlsruhe: Frau Braunger

teilt mit, daß ihre Ortsgruppe sich ziemlich im gleichen Rahmen bewege wie beim letzten Kongreß. Der Vortrag von Frau Alice Schwarz habe einen sehr guten Eindruck hinterlassen und auch einige neue Interessenten gebracht. Bei ihrer Kindergruppe müßten sie auch erst Erfahrungen sammeln. Die Freunde lassen den Mut nicht sinken, obgleich diese Arbeit noch keine Früchte trägt. Die Arbeit für Esperanto wird gleichfalls gepflegt. Daran schließt Frau Braunger einen Bericht über den Esperantokongreß, der in Wien diesen Sommer tagte, an, den die Rednerin besuchte und bei dem dieselben Erfahrungen wie im vergangenen Sommer 1923 in Nürnberg gemacht wurden. Sehr zu bedauern sei, daß kein Bahai-Redner die hl. Sache in fließendem Esperanto vertreten hätte. Man müsse Sorge tragen, daß bei diesen, von der ganzen Welt besuchten Kongressen, die Bahailehre würdig und redegewandt vertreten werde. Sie betonte, daß sie viel Anregung von dem Kongreß empfangen habe und werde mit neuer Begeisterung an die Arbeit gehen.



Ortsgr. Leipzig: Herr Adam Benke.

Die Entwicklung der hl. Lehre in Leipzig ist auf einem Punkt angelangt, der eine Neugestaltung unerläßlich notwendig macht. Bei einer Neugestaltung wird manches vom Alten ausschalten und Neues dafür ersetzt werden müssen, d.h, alte Anschauungen werden sich zu Gunsten von neuen Auffassungen opfern müssen, wie sich das Samenkorn zur Entwicklung des Halms und der [Seite 140] Aehre zu neuen Körnern opfert. Der Prozeß dieser Entwicklung ist hier offensichtlich, wenn es auch nicht von jedermann anerkannt wird. Die Leipziger Freunde wollen gerne die Wehen auf sich nehmen in der Ablösung ihrer traditionellen Anschauungen, hoffend dadurch, daß die neue Pflanze unter der allumfassenden Liebe unseres unvergleichlichen Meisters zu einem großen Baum erwachse, in dessen Zweigen und Aesten die Vögel aller hohen Gedankenrichtungen sich gegenseitig zum Wohl weiter Kreise einfinden, sich erbauen und gegenseitig stützen können. Die Leipziger Freunde seien sich ihrer Schwäche bewußt und übermitteln durch den Redner die herzliche Bitte, ihrer im Gebet an der hl. Schwelle zu gedenken. Er ist alles, wir arme unzulänglichen Menschen sind nichts, Er ist es, Der in uns lebt und wirkt. Preis sei Gott, dem Ursprung der Liebe und der Macht.

Alláh’o’-Abhá.



Ortsgr. Schwerin: Frau Lisbeth Klitzing.

„Die Bahaibewegung wurde durch unseren Bahaifreund Jörn, Warnemünde in Mecklenburg, bekannt gemacht. Auf seine Veranlassung sprach Herr Herrigel als erster in der Deutschen Friedensgesellschaft in Rostock über die Bahailehre. Der damalige Vorsitzende der Schweriner Ortsgruppe, der diesem Vortrage beigewohnt hatte, veranlaßte den Redner, im Juni v. Js. in der genannten Vereinigung ebenfalls einen Vortrag über die Bahai-Weltreligion zu halten. Durch diesen Vortrag wurde das Interesse für die hl. Lehre bei meinem Manne, mir und einigen anderen geweckt, und blieben wir seitdem mit Herrigel in ständiger Verbindung. Durch dessen Vermittlung erbot sich Herr Dr. Großmann, Hamburg, ebenfalls in Schwerin zu lehren. Nachdem derselbe zweimal vor geladenen Gästen gesprochen hatte, führten wir unsere Absicht, die Lehre auch in der Oeffentlichkeit bekannt zu geben, durch und am 26. Januar hielt Herr Dr. Großmann einen einleitenden, öffentlichen Vortrag über die Geschichte der Bahaibewegung und ihre Ziele. Am 2. Februar hielt Herr Herrigel einen öffentlichen Vortrag über die Wirklichkeit und Einheit aller Religionen. Am übernächsten Abend hatte sich eine stattliche Anzahl Interessenten zusammengefunden, die von letztgenanntem tiefer in die hl. Lehre eingeführt wurden. Aus deren Mitte hat sich der jetzige Freundeskreis gebildet. Später hielt Herr Dr. Großmann hier noch zwei Lehrvorträge. Die Gründung einer Ortsgruppe ist demnächst zu erhoffen. Liebe Freunde haben uns ihre Hilfe zugesagt. Wir werden die Freude haben, Frau Konsul Schwarz und Herrn Herrigel, Stuttgart, und Frau Plessner, Berlin, baldigst am hiesigen Orte für die hl. Lehre wirken zu sehen.



Ortsgruppe Zuffenhausen: Herr Karl Schweizer.

in Zuffenhausen finden jeden Freitag Abend Zusammenkünfte der Freunde im Hause Karlstraße 26 (Familie Schweizer), statt.

Aus der Tätigkeit der Gruppe sei folgendes herausgegriffen.

20. Mai 1923. Beginn der Sammlung für die Tarbiat-Schule in Teheran in Persien. Gesamtbetrag der eingelaufenen Gelder: 50000 Mark aus Berlin, Eßlingen, Hamburg, Heilbronn, Leipzig, Stuttgart, Wien, Zuffenhausen.

5. und 6. Juni 1923. Auf Einladung: Besuch von Frau Schweizer bei der Bahaigruppe in Karlsruhe. Frau Gregory aus Amerika schenkt uns für einige Zeit die Ehre ihres Besuchs.

August 1923, Anwesenheit von Frau Schweizer auf dem Esperanto-Kongreß in Nürnberg. Auf Einladung: Besuch der Bahaifreunde in Wien, daran anschließend in München, Biberach, Schnaitheim und Heilbronn.

6. September bis 13. Oktober 1923. Anwesenheit von Frau Schweizer in Berlin (— anläßlich des Todes ihrer Schwester — Frau Luise Dörre). Bahaikleinarbeit in Charlottenburg, Steglitz und Schmargendorf.

20. November 1923. Niederlegen von Blumen am Gedenkstein ’Abdu’l-Bahás in Mergentheim. Weihnachten 1923 vereinigt Groß und Klein - 12 Kinder konnten beschenkt werden —. Der Grund zum „Gärtlein des Lichts“ konnte gelegt werden.

17. Februar 1924, Kinderfest. Bericht hierüber an Tante Viktoria in Amerika.

21. März 1924, Bahai-Neujahrfest.

21. April 1924. Kinderfest.

1. Juni bis 2. Juli 1924. Vortrags- und Besuchsreise von Frau Schweizer nach Heidelberg, Berlin, Hamburg, Warnemünde, Rostock, Leipzig.

Im Winter 1923/24 fand ein Lehrgang in englischer Sprache statt der zuerst von 7 Teilnehmern am Schlusse nur noch von 2, besucht wurde.

Mehr und mehr zeigt es sich, daß die Arbeit an der Jugend die dankbarste ist. — Wer die Jugend hat, hat die Zukunft.



Ein Bericht der Wiener Ortsgruppe

lief schriftlich ein wie folgt:

Seid der letzten Tagung hat sich wenig geändert. Die Zahl der Freunde im Verein ist etwas angewachsen; es sind jedoch leider erst wenige, die sich in die hl. Sache ernster vertiefen können; es sind Wahrheitssuchende aus allen Schichten. Besondere Verdienste erwirbt sich Herr Dr. Hugo Maier, der in der Diskusion der Adult-school, die allsonntäglich von Quäckern abgehalten wird, die Bahailehre vertritt. Auch sonst erweist er [Seite 141] sich als echter Apostel der Bahai-Lehre. Neben ihm ist Frl. Eleonore Wachsberger zu nennen, die in den Ferien in Zakopane in Polen die Bahai-Lehre als erste verkündete und derzeit in Wien an der Uebersetzung der Prinzipien der Bahailehre in die polnische Sprache arbeitet. Es hat sich eine rege Korrespondenz mit den polnischen Bahaifreunden entwickelt. Frau Dr. Barrasch hat die Absicht, die Kindergruppe, die schon bei ihr versammelt war, künftig zu leiten. Während des Esperantokongeresses wurden zwei Versammlungen der Freunde abgehalten unter Führung von Frau Braunger aus Karlsruhe, wobei Friedrich Gerstner das Studium des Esperanto als dringliche Notwendigkeit empfahl. Aufopfernd arbeiteten während des Kongresses außer den beiden Vorgenannten Georg Branger, August Peternel und Franz Pöllingter,



Ortsgruppe Stuttgart:

Herr Heinrich Küstner.

„Es ist mir ein Stein vom Herzen gefallen, daß auch alle die andern Ortsgruppen darüber zu klagen haben, daß die Zahl der Mitglieder sich nicht wesentlich vergrößert hat. Zu welchen Hoffnungen übrigens die Stuttgarter Gruppe berechtigt, ersieht man aus der Aufführung des Melodrams, durch Herrn Dr. Mühlschlegel verfaßt und von Freunden aufgeführt.

Das Jahr 1923 ist für ganz Deutschland ein außerordentlich schweres gewesen. Es hat dies leider wesentlich die Ausbreitung der hl. Sache gehindert, insbesondere mußte durch die Geldknappheit die Drucklegung bereits druckreifer Uebersetzungen und sonstigen wertvollen Materials bis auf weiteres zurückgestellt werden.

Die Arbeit der Stuttgarter Ortsgruppe hat sich im gleichen Rahmen bewegt, wie beim letzten Kongreß ausführlich berichtet worden ist. Die Donnerstags-Versammlungen haben regelmäßig mit sehr guter Beteiligung stattgefunden; außerdem finden regelmäßige, gutbesuchte Zusammenkünfte in den Wohnungen von einzelnen Freunden statt, wie bei Herrn Herrigel, Frl. Stäbler.

Die Abhaltung von öffentlichen Vorträgen in Stuttgart selbst ist durch die Zeitverhältnisse vereitelt worden; dagegen ist es durch Spenden aus dem Ausland Herrn Herrigel möglich gewesen, verschiedentlich nach Leipzig, Berlin, Warnemünde, Hamburg, Rostock und Gera zu reisen und daselbst Vorträge zu halten.

In der Werbetätigkeit hatte man im vorigen Sommer versuchsweise einen neuen Weg beschritten durch Versendung von Einzelnummern der „Sonne der Wahrheit“ an hervorragende Persönlichkeiten und sonstige Gönner und Freunde geistiger Bewegungen, angeregt durch Herrn Hill. Der Versuch wurde aber aus verschiedenen Gründen und besonderer Erfahrungen wegen wieder aufgegeben. Immerhin sind dadurch viele Personen in weiten Kreisen mit den Zielen unserer Sache bekannt geworden.

Eine Werbetätigkeit wurde auch anläßlich des Esperanto-Weltkongresses in Nürnberg im August 1923 ausgeübt durch Vorträge, Verteilung von Flugblättern und von Einzelnummern der „Sonne der Wahrheit“, die längere Esperanto-Werbeartikel enthielten.

Im vergangenen Sommer konstituierte sich in Stuttgart eine Jugendgruppe zum gemeinsamen Studium der Lehre und zur Pflege der Literatur, Musik und dem geselligen Wandern. Es ist zu wünschen, daß die Jugendgrüppe an der Verwirklichung ihrer Zwecke mit frischem Mute arbeitet und sich durch anfängliche Schwierigkeiten nicht beirren läßt.

Die Einigkeitsfeste und die Feiern der Gedenktage der Bahaiweit wurden in schöner Feierlichkeit und tiefem Ernst begangen. Die Jugendgruppe veranstaltete im Sommer ein Einigkeitsfest und zur Weihnachtszeit fand eine stimmungsvolle Bescherung der Kinder statt.

Im Oktober 1923 hatten wir den Tod unserer Freundin, Frl. Margarethe Döring zu beklagen, einer der ersten Seelen, die in Deutschland die Botschaft Baha’u’lláhs annahmen. Sie hat dem Bahaibund das Mobiliar eines schönen Wohnzimmers zugedacht, das in den Räumen der Bibliothek, Wagenburgstraße 5, untergebracht ist.

Die Stuttgarter Freunde wurden wiederholt durch Besuche von Bahai’s aus dem Ausland erfreut.

Während der schlimmsten Zeit der Inflation und Geldentwertung wurden die Freunde durch Lebensmittelverteilungen unterstützt. Auch wurden im Herbst 1923 zur Kartoffelbeschaffung Darlehen zur Verfügung gestellt.

Den ausländischen Freunden, die unserer Not durch reiche Geldspenden gedacht haben, sei wärmster Dank gesagt.

Bei der heurigen Wahl der geistigen Arbeitsgemeinschaft wurden mit Stimmenmehrheit die bisherigen Mitglieder wiedergewählt. Wir haben dies als Ausdruck des Vertrauens der Ortsgruppe Stuttgart buchen dürfen, trotzdem niemand mehr als wir selbst mit dem Ergebnis des vergangenen Jahres unzufrieden gewesen sind.

Der Brief des „Größten heiligen Blatts" an die Freunde im Abendlande hat uns tief erschüttert, und wir haben uns gelobt, alles aufzubieten, daß aus den Berichten unserer Ortsgruppe Shoghi Effendi’s Herz mit Freude und Befriedigung erfüllt sein möge. [Seite 142]

Auch für unsere Stuttgarter Kinder wurde ein „Liliengärtlein“ gegründet, das sich der Weltgemeinschaft angeschlossen hat. Besonderer Dank gebührt Herrn Dr. Großmann, Hamburg, für die Herausgabe der Kinderzeitschrifft „Das Rosengärtlein“.

Der Ausblick in die Zukunft bietet viel Gutes. Insbesondere ist durch den Anschluß der Freunde des Herrn Dr. Mühlschlegel eine Erweiterung der Arbeitstätigkeit hier und in der Umgebung zu erhoffen.“



Die Berichte der Ortsgruppen gingen etwas nach sechs Uhr zu Ende. Bis zur Wahl des Nationalrats um 8 Uhr wurde eine Pause eingeschaltet und Erfrischungen gereicht.

Während dieser Pause, kurz vor der Wahlhandlung, hielt Frau Schurgast-Berlin folgende Ansprache:


„Liebe, liebe Brüder und Schwestern!

Aus Ketten der Arbeit habe ich mich losgerungen unter Hintansetzung vieler ernster Pflichten, um aus der Tiefe meiner Seele heraus diese Worte zu Ihnen zu sprechen.

Als Einleitung meiner Worte möchte ich ein Gebet lesen, das ’Abdu’l-Bahá uns gab, das mit den Worten schließt und das ich oft mit aller Inbrunst betete: „Wahrlich, du bist der Vergebende, der Barmherzige, der Gütige, der All-Erbarmer“. Und wir geliebte Brüder und Schwestern, wollten uns über Gott erheben und uns Ihm widersetzen? Baha’u’lláh und ’Abdul-Bahá durchlitten Unsagbares, um den Menschen die Einheit zu geben. Wir, die wir uns in ihrem Namen, mit dem heiligen Sehnen, hier zusammengefunden haben, die Liebe und Einheit auf Erden wieder lebendig werden zu lassen, dürfen wir vergessen, daß wir alle einen Organismus bilden müssen? Euch, unserer Jugend, sage ich in aller Ehrlichkeit, es gab da etwas, das den Keim der Zwietracht auch unter einige von uns trug. Das Menschlich-Allzumenschliche, das darf Euch aber nicht schrecken. Im Gegenteil, es muß Euch im reinen mit reinigendem Geiste die Kraft geben, uns zu helfen, die wärmenden Strahlen des Lichts unter uns so stark werden zu lassen, daß alle Finsternis schwinden muß.

Uneinigkeit ist Dunkelheit. Liebe und Versöhnung nur sind Licht. Nicht über Fehl und Schuld wollen wir sprechen, wir haben uns zur Grablegung des Unguten zusammengefunden und zur Auferstehung des Lichts. Nicht an uns ist es, zu rechten. Ueberprüfe jeder in einer stillen Stunde die Wurzeln seines Handelns. Jeder suche in Demut, in die feinen Kanäle einzudringen, die dem Quell seines Handelns selbstsüchtige Wünsche zuführen, und er wird in dieser reinigenden Selbstanalyse den Samen des Zerstörenden zu Blüten der Liebe wandeln, so daß er geläutert zur Quelle tritt, die uns alle gleichermaßen laben soll. Wenn wir so alle in uns selbst reinigend wirken, wird unser Blick hell werden, wir werden nicht im andern einen Fehler suchen, ihm die Verantwortung aufbürden, an der wir Mitschuldige sind, sondern uns selbst zur Verantwortung ziehen.

Es gibt im Heiligtum der Seele — ein Allerheiligstes — des andern Seele —. Geloben wir uns in dieser Stunde, des andern Seele als Heiligtum zu betrachten. Geloben wir uns, die Worte — Bruder und Schwester — als zarteste innigste Melodien in uns klingen zu lassen, klar erkennend, daß die „Kinder des Lichts“ heilige Aufgaben zu erfüllen, ausersehen sind.

Geloben wir jeder in dieser Stunde, alles Unkraut aus unseren Herzen auszujäten — nur dienend der Liebe uns unterzuordnen. Nur Diener, nicht Herrscher zu sein! — Schuld nur von uns selbst, nicht von anderen zu verkünden.

Geloben wir uns hier, nicht Separatismus und damit Machtgelüst stolz zu feiern, sondern demutsvoll uns zu einer dienenden Einheit zu verschmelzen — nur dann haben wir das Recht, diesen hohen Glauben andern zu verkünden.

Nicht Berufung — die Taten unseres Alltagslebens erheben uns zu Lehrern, oder verbieten uns, weiterzulehren.

Auch hier müssen wir es immer neu erwerben, um es zu besitzen. Ihnen allen, geliebte Brüder und Schwestern, reiche ich demutsvoll liebend die Hand zum gemeinsamen Schaffen, zum gemeinsamen Lieben und umschlinge die in besonderer Innigkeit, die abseits ihren Weg sahen, fest überzeugt davon, daß 'Abdu'l-Bahá ihnen Geist von seinem Geiste gab, der uns alle in schönem gemeinsamen Streben vereint. So nur können wir Seine Lehre verbreiten, anders verwirren wir die suchenden Seelen.

Lassen Sie meine Worte in denen Schillers ausklingen, die unsere Meister so herrlich uns vorgelobt haben.

Der Menschheit Würde ist in Eure Hand gegeben — bewahret sie!

Sie sinkt mit Euch, mit Euch wird sie sich heben.

„Du bist der Mächtige, der Allesvermögende. Du vergibst und Du bist es, der die Unzulänglichkeit aller Menschen übersieht.“



Während der Wahl des Nationalrats, in welche kurz nach 8 Uhr eingetreten wurde, fand im großen Saale ein Einigkeitsfest statt. Während dieses Einigkeitsfestes erfolgten musikalische Vorträge wie auch Ansprachen mit Vorschlägen usw. [Seite 143]

Der Wahlhandlung ging eine längere Besprechung der Wahldelegierten voran.

Das Wahlergebnis, alphabetisch geordnet, ergab die Namen:

Herr Hugo Bender, Eßlingen; Herr Dr. Arthur Brauns, Karlsruhe; Herr Stadtrat Brückner, Göppingen; Herr Dr. Hermann Großmann, Hamburg; Herr Wilhelm Herrigel, Stuttgart; Fräulein Anna Köstlin, Eßlingen; Herr Dr. Adalbert Mühlschlegel; Herr Konsul Albert Schwarz und Frau Alice Schwarz, Stuttgart.

Das Wahlergebnis wurde gegen halb 10 Uhr abends vom Vorsitzenden der Versammlung bekannt gegeben.

Forts. folgt.



Bericht aus Schwerin.

Schon seit längerer Zeit lebte in den Schweriner Freunden der Wunsch, Herrn Herrigel in Schwerin zu sehen, um durch ihn in der Lehre weiter gefestigt zu werden.

Vom 25. bs 31. Oktober ds. Js. hatten wir nun die große Freude, Herrn Herrigel bei uns zu haben. Bereits am Sonntag vormittag versammelten sich die Freunde in der Wohnung der Familie Klitzing, die diesen lieben Freund gastlich aufgenommen hatte und wo Herr Herrigel viele an ihn gerichtete Fragen beantwortete. Am Abend dieses Tages war eine Zusammenkunft bei der Familie Gierloff, woselbst die geistige Arbeitsgemeinschaft für Schwerin in Mecklenburg gegründet wurde. Zum 1. Vorsitzenden wurde Herr Karl Klitzing und zur Schriftführerin Fräulein Elisabeth Gierloff ernannt. Anschließend fanden einige musikalische Vorträge statt (worunter Klavier und Geige), besonders das „Lied vom Neuen Bund‘ unsern Die Mecklenburgische Zeitung schreibt darüber:

Montag abend fand öffentlicher Vortrag über das Thema: „Die philosophische und psychologische Grundlage der Bahailehre, insbesondere in bezug auf die Entwicklung der Seele und deren Fortleben nach dem Tod des Körpers statt. Der Vortrag war gut besucht. Die Mecklenburgische Zeitung schreibt darüber:

Ueber die Bahailehre sprach am Montag abend im Saale von Dabelsteins Restaurant Herr Herrigel aus Stuttgart. Man berichtet uns darüber: Herr Herrigel gab zunächst eine kurze Einführung in die geschichtliche Entwicklung der Bahailehre und in die hohen sittlichen Ziele dieser Weltreligion, die das Wesen aller Religionen, das Wort und Leben von der Liebe, wie wir es alle von Jesus von Nazareth kennen, zu verkörpern sucht. Eine aufmerksame Zuhörerschaft hörte auf die Schilderung der Entwicklung der Seele, wie sie nach der Bahailehre gleichzeitig mit der Materie sich durch die verschiedenen Reiche der Natur zum Menschenreich emporentwickelt und dort, vom göttlichen Hauch berührt, ein vernunftbegabtes Leben beginnt, so daß der Mensch durch Ueberwinden der tierischen Elemente in sich im Streben zum göttlich Geistigen zur immer höheren Stufe erzogen wird, die auch nach dem Tode immer noch zu höherer Vollendung sich entwickelt. Redner wies wiederholt darauf hin, das Göttliche in uns durch Befolgen der göttlichen Verordnungen und durch das ernste Gebet zu entfalten, und daß die Seele ebenso sehr der geistigen Nahrung bedürfe, wie der Körper materielle Nahrung notwendig hat. Einen weiteren Vortrag hält Herr Herrigel am Mittwoch abend 8 1/4 Uhr im Saale von Dabelsteins Restaurant.

Am folgenden Abend kamen Freunde und Interessenten zusammen. Am Mittwoch hielt Herr Herrigel einen zweiten öffentlichen Vortrag über: „Die Wichtigkeit und Bedeutung der Bahailehre“. An denselben schloß sich eine lebhafte Aussprache an, die von dem großen Interesse der Zuhörer zeugte und zu näherer Erläuterung des bereits im Vortrag Gesagten führte. Am folgenden Abend vereinigten sich wiederum Freunde und Interessenten in einer gut besuchten Versammlung, in welcher Herr Herrigel darüber sprach, wie er Bahai wurde und seine persönlichen Beziehungen zu 'Abdu'l-Bahá mitteilte. Es schloß sich eine lebhafte Aussprache hieran.

Herr Herrigel hat durch seine letzte Anwesenheit die Freunde in der heiligen Sache gefestigt und neue Seelen gewonnen. Regelmäßige Zusammenkünfte finden jeden Donnerstag abend im Hause der Familie Klitzing, Grenadierstr. 31, statt.

K.



Zum 12. November.

Von einer höheren Warte aus sieht ein Bahai dem Entwicklungsgang der Zeiten zu, und erkennt, daß das Wort, das uns in Gott durch die neuzeitlichen heiligen Gottgesandten gebracht ist, sich erfüllt. Wenn wir den Fruchtkern in die Erde säen, so dürfen wir auch erst die Frucht nach einer Entwicklung des Samenkorns nach dem Wachsen, Blühen und Gedeihen des Baumes erwarten; so ist es auch mit der Erfüllung des Worts. Die Lehre Baha’u’lláh, so hochheilig, [Seite 144] umfassend, so lebensbejahend, muß und wird unaufhaltsam sich die Welt erobern; denn die fortschreitende Entwicklung verlangt nach ihr. Die Lehre trägt auf ihrem Banner die edelsten, höchsten Prinzipien, deren die Menschheit bedarf, um eine Höhe zu erreichen, deren Perspektive heute noch unabsehbar ist. Die Wissenden tragen aber die große Verantwortung für die richtige Verbreitung der hl. Worte der Gottgesandten. Müssen wir uns nicht schämen, wenn Prüfungen aller Art, die, neben denen Baha’u’lláhs und 'Abdu'l-Bahás gemessen, alltäglich und unbedeutend sind, uns verzagt und klein finden sollten? Wozu wären dann die übermenschlichen Opfer der Gottgesandten gewesen? Nein, frei und stark sollen uns die Prüfungen, die als Boten Gottes an uns herantreten, finden. Nie wollen wir das große Ziel aus dem Auge verlieren und mit einer heiligen Liebe und Treue der großen Sache dienen, Ihr geliebten Freunde, seid ihr euch dessen auch bewußt, wie viel großes die göttliche Gnade an euch getan hat, daß ihr euch zu Seinen Jüngern zählen dürft. Sind wir denn auch dankbar genug dafür? Stellen wir uns diese Tatsache auch richtig vor Augen. Ohne eigenen Verdienst, ohne dafür zu leiden, wie so viele Märtyrer — aus lauterer Gnade — durften wir in Sein Reich eintreten. Täglich und stündlich empfangen wir die Beweise der göttlichen Gunst, unsere Seele muß deshalb wach sein, damit wir in allem den Weg zur Erfüllung des göttlichen Planes sehen. Zuweilen kommt eine Offenbarung der Größe Baha’u’lláhs über uns, und es ist, als ob Wolken, die die Sonne verdeckten, mit einmal weggezogen seien und der Sonnenglanz unsere Augen blendete. Das sind unsere besten Momente, das sind die Feiertage für unsere Seele, in denen wir unsere tiefinnerste Zusammengehörigkeit mit dem Allmächtigen und Seine Gnade deutlich empfinden, aber nur einen Schimmer des Gewandes Seiner Herrlichkeit gewahrt haben.

Das Himmelreich ist nahe herbeigekommen und da uns die Gnade zuteil ward, dies zu erfassen, müssen wir auch unsere Mitbrüder zu diesen geöffneten Himmelstoren führen, daß auch sie schauen und erkennen. Dann werden sich die prophetischen Worte erfüllen: Und ich will euch ein neu Herz und einen neuen Geist in euch geben und will solche Leute aus euch machen, die in meinen Geboten wandeln und meine Rechte halten und darnach tun.

Wir flehen zu Gott, daß Er in Seiner unerschöpflichen Liebe unseren Arbeitswillen gelten lasse und gnädig segne in Seinem heiligen Dienst.

A.Sch.



Rundfunk. Donnerstag‚ 30. Okt., abends 7,30 bis 8 Uhr wurde der erste Rundfunk-Vortrag über die Bahai-Lehre vom Ausgangspunkt Stuttgart über die Welt gesandt. Die Rednerin Maria Christa, die sich hinter diesem Pseudonym verbirgt, ist geborene Oesterreicherin. Ihr Vortrag wurde sehr deutlich in Klagenfurt, Wien, Obersteig b. Linz, Altheim, Görlitz, Berlin und in anderen Städten Deutschlands und Oesterreichs vernommen‚ wie Briefe berichten. Die Nachrichten vom Ausland stehen noch aus. So bahnt die moderne Zivilisation der geistigen Kultur die Wege. Es ist geplant, eine Serie von Vorträgen durch Rundfunk mit der Bekanntgabe der großen heiligen Offenbarung Gottes zu halten und es ist zu hoffen, daß ein Segen für Viele daraus erwachse.

Die Schriftleitung.


Radio. On the evening of Thursday Oct. 30 th. from 7.30 to 8.00 clock the first radio lecture on the Bahai Teaching was sent out into the world from the starting-point Stuttgart. The lecturer, Maria Christa, who hides her true identity by this name, is an Austrian. As reported by letters, her lecture was distinctly heard in Klagenfurt, Vienna, Obersteig nr. Linz, Altheim, Görlitz, Berlin and in other towns in Germany and Austria. From abroad news have not yet arrived. In this manner modern civilisation paves the way for spiritual culture. It is planned to give a series of lectures by radio to make known the Holy Revelation of God and it is to be hoped that it may prove a blessing for many souls. the secretary.


Notiz.

Die Fortsetzung des Berichts 'Abdu'l-Bahás in Stuttgart kann erst nach Erledigung der Berichterstattung über den Bahai-Kongreß weiter erfolgen.

Die Schriftleitung.

The constinnation of the report of 'Abdu'l-Bahá in Stuttgart will follow after the report of the Bahai Congress is concluded.

the secretary.



Anfragen, schriftliche Beiträge und alle die Schriftleitung betreffenden Zuschriften beliebe man an die Schriftleitung: Stuttgart, Alexanderstr.3 zu senden :-: Bestellungen von Abonnements, Büchern und Broschüren sowie Geldsendungen sind an den Verlag des Deutschen Bahaibundes Stuttgart, Hölderlinstraße 35 zu richten.


Druck: Wilhelm Heppeler, Stuttgart,


[Seite 145]

Geschichte und Bedeutung der Bahailehre.

Die Bahai-Bewegung tritt vor allem ein für die „Universale Religion" und den „Universalen Frieden“ — die Hoffnung aller Zeitalter. Sie zeigt den Weg und die Mittel, die zur Einigung der Menschheit unter dem hohen Banner der Liebe, Wahrheit, Gerechtigkeit und Barmherzigkeit führen. Sie ist göttlich ihrem Ursprung nach, menschlich in ihrer Darstellung, praktisch für jede Lebenslage. In Glaubenssachen gilt bei ihr nichts als die Wahrheit, in den Handlungen nichts als das Gute, in ihren Beziehungen zu den Menschen nichts als liebevoller Dienst.

Zur Aufklärung für diejenigen, die noch wenig oder nichts von der Bahaibewegung wissen, führen wir hier Folgendes an: „Die Bahaireligion ging aus dem Babismus hervor. Sie ist die Religion der Nachfolger Baha ’Ullahs, Mirza Hussein Ali Nuri (welches sein eigentlicher Name war) wurde im Jahre 1817 in Teheran (Persien) geboren. Vom Jahr 1844 an war er einer der angesehensten Anhänger des Bab und widmete sich der Verbreitung seiner Lehren in Persien. Nach dem Märtyrertod des Bab wurde er mit den Hauptanhängern desselben von der türkischen Regierung nach Bagdad und später nach Konstantinopel und Adrianopel verbannt. In Bagdad verkündete er seine göttliche Sendung (als „Der, den Gott offenbaren werde") und erklärte, daß er der sei, den der Bab in seinen Schriften als die „Große Manifestation", die in den letzten Tagen kommen werde, angekündigt und verheißen hatte. In seinen Briefen an die Regenten der bedeutendsten Staaten Europas forderte er diese auf, sie möchten ihm bei der Hochhaltung der Religion und bei der Einführung des universalen Friedens beistehen. Nach dem öffentlichen Hervortreten Baha ’Ullahs wurden seine Anhänger, die ihn als den Verheißenen anerkannten, Bahai (Kinder des Lichts) genannt. Im Jahr 1868 wurde Baha ’Ullah vom Sultan der Türkei nach Akka in Syrien verbannt, wo er den größten Teil seiner lehrreichen Werke verfaßte und wo er am 28. Mai 1892 starb. Zuvor übertrug er seinem Sohn Abbas Effendi (Abdul Baha) die Verbreitung seiner Lehre und bestimmte ihn zum Mittelpunkt und Lehrer für alle Bahai der Welt.

Es gibt nicht nur in den mohammedanischen Ländern Bahai, sondern auch in allen Ländern Europas, sowie in Amerika, Japan, Indien, China etc. Dies kommt daher, daß Baha ’Ullah den Babismus, der mehr nationale Bedeutung hatte, in eine universale Religion umwandelte, die als die Erfüllung und Vollendung aller bisherigen Religionen gelten kann. Die Juden erwarten den Messias, die Christen das Wiederkommen Christi, die Mohammedaner den Mahdi, die Buddhisten den fünften Buddha, die Zoroastrier den Schah Bahram, die Hindus die Wiederverkörperung Krischnas und die Atheisten — eine bessere soziale Organisation.

In Baha ’Ullah sind alle diese Erwartungen erfüllt. Seine Lehre beseitigt alle Eifersucht und Feindseligkeit, die zwischen den verschiedenen Religionen besteht; sie befreit die Religionen von ihren Verfälschungen, die im Lauf der Zeit durch Einführung von Dogmen und Riten entstanden und bringt sie alle durch Wiederherstellung ihrer ursprünglichen Reinheit in Einklang. In der Bahaireligion gibt es keine Priesterschaft und keine religiösen Zeremonien. Ihr einziges Dogma ist der Glaube an den einigen Gott und an seine Manifestationen (Zoroaster, Buddha, Mose, Jesus, Mohammed, Baha ’Ullah),

Die Hauptschriften Baha ’Ullahs sind der Kitab el Ighan (Buch der Gewißheit), der Kitab el Akdas (Buch der Gesetze), der Kitab el Ahd (Buch des Bundes) und zahlreiche Sendschreiben, genannt „Tablets“, die er an die wichtigsten Herrscher oder an Privatpersonen richtete. Rituale haben keinen Platz in dieser Religion; letztere muß vielmehr in allen Handlungen des Lebens zum Ausdruck kommen und in wahrer Gottes- und Nächstenliebe gipfeln. Jedermann muß einen Beruf haben und ihn ausüben. Gute Erziehung der Kinder ist zur Pflicht gemacht und geregelt. Niemand ist mit der Macht betraut, Sündenbekenntnisse entgegenzunehmen oder Absolution zu erteilen.

Die Priester der bestehenden Religionen sollen den Zölibat (Ehelosigkeit) aufgeben, durch ihr Beispiel predigen und sich im praktischen Leben unter das Volk mischen. Monogamie (die Einehe) ist allgemein gefordert, Streitfragen, welche nicht anders beigelegt werden können, sind der Entscheidung des Zivilgesetzes jeden Landes und dem Bait’ul’Adl oder „Haus der Gerechtigkeit“, das durch Baha ’Ullah eingesetzt wurde, unterworfen. Achtung gegenüber jeder Regierungs- und Staatseinrichtung ist als einem Teil der Achtung, die wir Gott schulden, gefordert. Um die Kriege aus der Welt zu schaffen, ist ein internationaler Schiedsgerichtshof zu errichten. Auch soll neben der Muttersprache eine universale Einheits-Sprache eingeführt werden. „Ihr seid alle die Blätter eines Baumes und die Tropfen eines Meeres“ sagt Baha ’Ullah.

Es ist also weniger die Einführung einer neuen Religion, als die Erneuerung und Vereinigung aller Religionen, was heute von Abdul Baha erstrebt wird. (Vgl. Naveau Larousse, illustre supplement, p. 66.)