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SONNE DER WAHRHEIT | ||
Heft X | DEZ. 1924 | |
ORGAN DES DEUTSCHEN BAHAI-BUNDES STUTTGART |
Die Hauptpunkte der Bahailehre [Bearbeiten]
1. Die gesamte Menschheit ist als Einheit anzusehen. Alle Vorurteile gegenüber anderen Menschen, Völkern und Rassen müssen beseitigt werden.
2. Alle Religionen müssen sich in einer höheren Einheit zusammenfinden. Ein Gott, eine Religion.
3. Durch einen festgegliederten, allumfassenden Völkerbund und ein internationales Schiedsgericht muß der universale, dauernde Weltfrieden gesichert werden.
4. Neben der Muttersprache soll in jedem Land der Erde eine Welt-Einheitssprache eingeführt und gelehrt werden.
5. Jeder Mensch hat dasselbe Anrecht auf die geistigen und materiellen Güter des Lebens.
6. Die Menschen haben die Pflicht, nach Wahrheit zu forschen. Zwischen wahrer Religion und Wissenschaft besteht kein Widerspruch.
7. Beide Geschlechter sollen die beste Erziehung und eine der Begabung entsprechende Ausbildung erhalten.
8. Mann und Frau haben überall die gleichen Rechte. Jede Art von Hörigkeit ist streng verboten.
9. Für jeden Menschen besteht die Pflicht zur Arbeit. Für Arbeitsunfähige und Erwerbslose tritt eine gesetzliche staatliche Fürsorge ein.
10. Die schlimmen Wirkungen des Kapitalismus werden durch ein neugeordnetes, weises Erbrecht und durch geeignete Sozialisierung beseitigt.
11. Für jedes Gemeindewesen, wie für den Staaten- und Völkerbund, wird eine Verwaltungsbehörde mit bestimmten Verordnungsrechten u. Fürsorgepflichten — das sog. Haus der Gerechtigkeit — eingesetzt. Im übrigen hat der Bahai jeder staatlichen Obrigkeit zu gehorchen.
12. Die Bahailehre ist die Universal- und Einheitsreligion für die ganze Menschheit. Der Mittelpunkt des neuen Gottesbündnisses und der Erklärer der Lehre war Abdul Baha (Abbas Effendi), dem diese Stellung von seinem Vater Baha ’Ullah (Hussein Ali-Nuri) übertragen wurde. Vor seinem Hinscheiden hat Abdul Baha seinen Enkel Shoghi Effendi zum Hüter und Beschützer der Bahaisache bestimmt.
SONNE DER WAHRHEIT ORGAN DES DEUTSCHEN BAHAI-BUNDES Herausgegeben vom Verlag des Deutschen Bahai-Bundes Stuttgart Verantwortliche Schriftleitung: Alice Schwarz - Solivo, Stuttgart, Alexanderstraße 3 Preis vierteljährlich 1,50 Goldmark, im Ausland 1,80 Goldmark. |
Heft 10 | Stuttgart, im Dezember 1924 | 4. Jahrgang |
Inhalt: Bericht über den deutschen Bahai-Kongreß. — Liebste Freunde! — Mitteilungen vom Verlag.
Motto: Einheit der Menschheit — Universaler Friede — Universale Religion
Lies o meine Tochter, die heiligen Bücher der Menschheit, studiere als Christin, besonders das Neue Testament, zeige mir, wo spricht der große Meister Jesus Christus vom „Zorn Gottes“? wohl aber von der verzehrenden Liebe des Vaters zum verlorenen Sohn!
Abdu'l-Bahá.
O liebevoller Gefährte!
Das Königreich Gottes ist die Quelle aller Macht und nur die Kühnen und Mutigen Seiner Streiter — die der Welt Leben verleihen — werden mit des Reiches Gnade und göttlichem Beistand unterstützt sein. Ich hege die Hoffnung, daß du, gleichviel durch welches Land du ziehst, wie ein Frühlingsregen jede menschliche Seele neubelebst und sie zum Grünen und sie zu neuer Frische bringst. Oder daß Du wie der lebendige Hauch die Kranken und Schwachen kräftigst. Mögest Du unter jedem Himmelsstrich den Duft der Liebe Gottes verbreiten, die Fahne der Einheit der Menschheit hochhalten, bei jedem Menschen die Vorurteile, seien es sektirischer, nationaler, rassiger oder politischer Art, ausrotten und die heilige Lehre der Liebe und Einheit unter den verschiedenen Völkern der Erde verkünden.
Gelobt sei Gott, die Pforten des Königreichs sind weit geöffnet und viele Menschen aus dem Osten und Westen strömen mit glühenden Herzen ununterbrochen durch sie ein. Wie groß ist das Feld! Jetzt ist es Zeit auf dem Streitroß des Dienstes vorwärts zu eilen und vor den Augen der Welt eure Kraft, euren Mut und eure Zuversicht zu entfalten.
O mein Gefährte! Das Licht der Wahrheit scheint überall hin; strenge dich an, daß die Augen geöffnet werden um seine Zeichen und seine Herrlichkeit zu schauen. O wie bedauernswürdig wären die Kinder der Menschen, wenn sie sich der grenzenlosen Gnade Gottes in diesem heiligsten Zeitalter, in diesem erleuchteten Jahrhundert beraubten. Biete daher dein Leben als Opfer für die Sache der Menschheit dar, damit dadurch die Armen ihren Anteil an dem himmlischen Schatz erlangen; daß die Hilflosen gestärkt werden mit der Kraft des Königreichs; daß die Waisen ihren himmlischen Vater finden, daß die Schwachen ermutigt und die Unzufriedenen zufrieden werden durch die Milde des Allbarmherzigen; daß die schmerzlich Dürstenden den Quell des Lebens finden und die Zweifelnden das Obdach des Friedens und der Ruhe erreichen....
ABDU'L-BAHA.
Übersetzt aus dem Persischen von Shoghi Effendi, in deutsch von Frau A. Schwarz.
Bericht über den deutschen Bahai-Kongreß.
20.—22. Sept. 1924. 13.—15. Izzat 80. (Fortsetzung.)
Im Rahmen der Veranstaltungen des 3. deutschen Bahaikongresses vom 20. bis 22. September in Stuttgart, fanden am Sonntag, 21. September, Besprechungen der Leiter der Gärtlein ’Abdu’l-Bahás statt, bezüglich der Gestaltung des Auf- und Abbaus derselben. Um. 10 Uhr vorm. eröffnete Herr Oberlehrer Schwaderer, Eßlingen, die Tagung und umriß in kurzen Zügen den Zweck dieser Zusammenkunft und bat dann Herrn Dr. Großmann, Hamburg, über seine Tätigkeit dort zu berichten.
Herr Dr. Großmann führte etwa aus, daß die heutige Form der Sonntagsschule nur ein Uebergang ist. Das Ziel ist die Bahaischule. Eine Errichtung derselben ist aber in nächster Zeit nicht möglich, da wir an die Schulgesetze gebunden sind. — Die Arbeit in den Gärten soll nur das Wichtigste umfassen. Unwesentliches ist beiseite zu lassen. Drei Gebiete sind es, die uns in unserer Tätigkeit genügen: Erdkunde mit Einschluß der Kulturgeschichte, Religion und Sprache.
1. Geographie.
An sehr lehrreichen Beispielen zeigte Herr Dr. Großmann, wie vorteilhaft das Gebiet der Geographie mit Kulturgeschichte ist. Die Kinder lernen dadurch nicht nur die erdkundlichen Verhältnisse des Landes, sondern auch die dadurch bedingten gesellschaftlichen, wirtschaftlichen, religiösen und sittlichen Eigenheiten der Bewohner und ihrer Ueberlieferung (Geschichte) kennen und verstehen. Der Vortragende führte des Näheren aus, wie das zu gestalten wäre und wie wertvoll solch ein Unterricht ist. Für die Beschaffung guten Anschauungsmaterials wäre dabei Sorge zu tragen, da dieses später in der Bahaischule Verwendung finden könnte. Zur Erlangung von solchem ist der Austausch von Postkarten und Bildern aus den Städten und Gegenden der einzelnen Gärten sehr geeignet; sehr gute Anschauungsmittel liefern auch die J. F. Schreiber’schen volks- und heimatkundlichen Aufstellbögen, von denen etwa 2 Dutzend erschienen sind, die Landschaften und Typen aus allen Teilen des Reichs darstellen.
2. Religion.
Ein weiteres Gebiet der Betätigung ist die religiöse Unterweisung. Wohl ist „Religion an sich“ nicht lehrbar; aber die biblischen und anderen religiösen Geschichten und Sprüche wirken auf unser Fühlen und Denken und sollen dadurch zu edlem Wollen und Handeln anregen. Es ist sogar schon möglich, auch mit den Kindern einfache philosophische Probleme zu behandeln. Nur darf dabei der Leiter nichts anderes als bloß „Leiter" sein, also nichts Eigenes geben, sondern die Kinder die Wahrheiten selbst suchen lassen, zu ihnen hinleiten. Herr Dr. Großmann berichtete dabei von den Kindern des Friedensgärtleins unseres lb. Freundes Jörn in Warnemünde, wie sie jeden Morgen einen Spruch an die Wandtafel schreiben, der als leitender Gedanke über ihrer Arbeit stehen soll.
3. Sprache.
Das dritte Gebiet ist der Sprachunterricht in deutsch, englisch und Esperanto. Die Beziehungen der Sprachen untereinander als auch innerhalb der deutschen Sprache können aufgedeckt werden. Mit Hilfe der Sprachkenntnis können Zusammenhänge klar gemacht werden, die letzten Endes zur Erkenntnis der Einheit des Menschengeschlechts führen. Um einem längst gehegten Bedürfnis nachzukommen, ist geplant, daß die Kinderzeitschrift „Das Rosengärtlein“ einen Esperanto-Lehrgang erhalten soll, durch den die Kinder in leichter Weise in die Weltsprache eingeführt werden.
Neben diesen 3 Gebieten oder teilweise verbunden mit ihnen, ginge die Handbetätigung. Die Hamburger Kinder beschäftigen sich dabei mit Buchbinder-, Säge- und Flickarbeiten. Außerdem wäre hier Gelegenheit, die Schreiberschen Aufstellbögen auszuschneiden und zusammenzusetzen. Gerade in dieser Stunde ist es leicht möglich, in die Kinderherzen hineinzuhorchen und zu erfahren, was sie bewegt. Es ist dies insofern wichtig, als der Leiter sich in seiner seelsorgerlichen Tätigkeit danach zu richten hat.
Diese Ausführungen sollen natürlich nicht bindend sein für alle Gärten, sondern
lediglich Anregungen geben.
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An diesen Vortrag schloß sich die Aussprache an.
Ein Stuttgarter Freund betonte nochmals die Wichtigkeit der Erziehung der Jugend zum wahren Leben, gerade in unserer Zeit.
Sodann baten verschiedene Freunde aus Stuttgart um Mithilfe anderer Freunde in der Arbeit im „Sonnengärtlein“ zur teilweisen Entlastung der jetzigen Leiterin, Frl. Trudel Meier. Die Freunde aus der Umgebung Zuffenhausen und Eßlingen, sagten ihre Mithilfe zu.
Ferner kam die finanzielle Sicherstellung des „Rosengärtleins“ zur Sprache. Man einigte sich dahin, daß jede Gruppe nach Möglichkeit freiwillige Beiträge zur Deckung der etwa 100 Mark betragenden Unkosten für jede Nummer liefert.
Da um 11 Uhr die öffentlichen Vorträge begannen, mußte die Sitzung unterbrochen werden.
Nachmittags um 2 Uhr versammelten sich die Freunde der Kindergartenarbeit wieder. Da zu gleicher Zeit eine Sitzung des Nationalrats stattfand, konnte Herr Dr. Großmann und einige weitere Freunde nicht anwesend sein.
Es wurde in der Aussprache über wichtige Punkte fortgefahren.
Dabei wurde die Frage aufgeworfen, welche zeitliche Stellung die Handarbeiten in den Zusammenkünften einnehmen soll. Man hielt es für das Beste, wenn dafür eine eigene Stunde eingerichtet wird. Denn wenn in der gleichen Stunde, in der das Kind durch Erzählungen usw. innerlich gefesselt, erschüttert und dadurch zum guten Menschen erzogen werden soll, wenn dann nachher noch gebastelt, gesägt, genäht wird, so wird jedenfalls der Eindruck, der sonst nachhaltig ist und im Stillen weiterwirkt, durch das Verdrängen anderer Gedanken verflacht und verdrängt.
Man kam hierauf auf die methodische Behandlung der religiösen Stoffe zu sprechen. Im allgemeinen sollen die Kinder nur das lernen, was sie verstanden haben. Es wurde zwar auch gesagt, daß die alte „Lernschule" vieles habe lernen lassen an Sprüchen und Liedern, ohne daß die Kinder es begriffen hätten und es sei erst so nach und nach das Verständnis dafür gekommen, sodaß man in späteren Jahren den Nutzen davon habe, was man in der Jugend unverstanden gelernt habe. Das mag zum Teil richtig sein. Aber weitaus das meiste von dem sinnlos Gelernten wurde rasch vergessen und wurde später wieder neu gelernt. Jedenfalls wollen wir uns bemühen, das zu Lernende auch verständlich zu machen. Abstrakte Begriffe sind so gut als möglich zu erklären unter Zuhilfenahme von allen Hilfsmitteln (Sprache, Zeichnung usw. [Beispiele: Barmherzigkeit = warmes Herz haben; das Gegenteil: kaltes Herz = Lieblosigkeit] Geschichten erläutern diesen Begriff vollends. Auch graphische Darstellung ist oft sehr gut. Z. B. unser tiefes Sehnen =unser so sein (wie das Vorbild: Vor jedem steht ein Bild des, das er werden soll; erreicht er’s nicht, ist nicht sein Friede voll). Je tiefer der „Fall“, umso größer die Entfernung von Gott. Gott, der Unendliche, dargestellt als die unendliche Linie, den Kreis und den heiligen Menschen, den endlich Vollkommenen als Punkt der Kreislinie, der in Raum und Zeit, ins Materielle aber auch einseitig Geistige) „gefallene“ Mensch als Punkt innerhalb des Kreises. Je tiefer der Fall, desto größer wird die (geometr.) Sehne, das Sehnen; die beiden Punkte der Sehne suchen zu einem (dem Berührungspunkt der Tangente) zu werden, zum vollkommenen Menschen, (Fausts 2 Seelen in der Brust; die 6 im Hexeneinmaleins) der in Gott lebt und Gott in ihm, der geometrisch einen Punkt hat und nicht zwei, der einfältig ist und nicht mehr zweifältig. So lassen sich manche Begriffe klären.]
Eine längere Aussprache fand statt über die Frage: wie gliedern wir das
Gärtlein? Es wurde gesagt, es sei ein Unding, daß 4—16jährige Kinder und
junge Leute zusammen unterrichtet werden. Eine Sonderung ist nötig,
etwa 4—8 und 9—14 Jahre. Die über 14 Jahre Alten sollten zu Gemeinschaften
zusammengefaßt werden. Ein Stuttgarter Freund, der jahrelang praktische
Erfahrungen auf diesem Gebiet gesammelt hat, legte dar, daß für diese Altersstufe die Gärtleinstunden nicht mehr genügen. Die Jugend will hinaus; eine völlige
Umwandlung geht in ihr vor sich; es treibt und gärt und will sich Ausdruck
verschaffen, gestalten. Die Jugend wandert und erlebt dadurch. Wir pflegen
das, wofür Interesse im Sinne der großen Lehre da ist: Musik, Sprache,
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Körperübungen (Turnen, Gymnastik, Reigen als Verbindung von Musik rhythmischer
Tanz), hauptsächlich Wandern. Auf diesen Wanderungen könnte man andere
„Gärten“ oder Freunde besuchen oder bei größeren Entfernungen sich unterwegs
irgendwo treffen. Solche gemeinsamen Fahrten sind ein nicht zu unterschätzendes
Erziehungsmittel (Ausbildung des Gemeinschaftsgefühls;
Gegenseitiges Verstehen, gegenseitige Hilfe, eins für alle, alle für eins,
Zusammengehörigkeit auch mit der Natur: wir sind ein Organismus).
Bei dieser Gelegenheit wurde auch die Frage der Kredukation erörtert. Verschiedene
Freunde äußerten sich dazu. Allgemein wurde die Trennung nach Geschlechtern
nicht für gut befunden und die gemeinsame Erziehung gewünscht. Eine Trennung ist unnatürlich und wirkt unter Umständen geradezu das Gegenteil. Sehr
schön hatte Freund Henseler die Notwendigkeit des gemeinsamen Erlebens
der Geschlechter begründet.
Angeregt durch die Besprechungen über die metaphosische Behandlung der religiösen Stoffe kam man auch auf die Märchen zu sprechen. Es wurde für recht befunden, unsern Kindern Märchen zu erzählen aus der Erkenntnis heraus, daß unsere Märchen mehr sind als bloße Märe, daß ein tiefer Wahrheitskern, tiefe religiöse Probleme in ihnen enthalten sind. (Z. B. bei Rotkäppchen das Problem des Sündenfalles und der Erlösung, ebenso bei Dornröschen u. a.) Weggelassen sollen solche Märchen werden, die in den Kindern Angstvorstellungen erwecken oder zu Lieblosigkeiten oder Grausamkeiten gegen andere Geschöpfe anreizen könnten. Denn jedes Kind wird ein Märchen als Wahrheit in sich finden, empfinden, wird alles mitfühlen, mithandeln und mitleiden, erleben, ebenso wie es seinen Schemel als Eisenbahn erlebt. Der Gedanke, daß das Märchen „nicht wahr" sei, ist immer vom Erzieher in das Kind gelegt werden. Lassen wir das! Denn der ganze Zauberhauch, der das Kinderland umgibt (vgl. Christkind, Osterhas u. a.) wird vergiftet, die Gestaltungskraft der Phantasie versiegt und nur zu bald ist dann aus dem Kind ein blasierter Allesbesserwisser, ein gemütsloser Mensch geworden.
Mit dem Wunsche, der allen aus dem Herzen gesprochen war, daß die Leiter der Gärtlein und ihre Freunde öfter zusammenkommen sollten, etwa eine Jugendtagung veranstalten im nächsten Frühjahr oder Sommer, um sich gegenseitig auszusprechen und Anregungen zu sammeln, schloß der Vorsitzende die Tagung.
Vormittags 11 Uhr eröffnete der Kongreßvorsitzende, Herr Konsul Albert Schwarz, die allgemeine Tagung im großen Saal des Bürgermuseums. Er hieß die Anwesenden herzlich willkommen und sprach einige einführende Worte für die beiden öffentlichen Vorträge, die auf den Vormittag festgesetzt waren, über die Themata: „Baha’u’lláh und das neue Zeitalter", Vortragende Frau Alice Schwarz und: „Die Notwendigkeit der Bahailehre“ Vortragender Herr W. Herrigel. Anschließend hieran werde das Melodram, gedichtet von Herr Dr. Mühlschlegel wiederholt.
Als Einleitung hiezu sang Fräulein Julie Stäbler mit Klavierbegleitung die Arie aus der Pfingstkantate von J. S. Bach.
Dann sprach Frau Alice Schwarz über:
Baha’u’lláh und das neue Zeitalter.
„Als gewaltiger, unerschütterlicher Weiser des Wegs steht in den Jahrtausenden
in der Geschichte der Menschheitsentwicklung der Gottgesandte. Von
urdenklichen Zeiten aufwärtsführend redete Er zum Volk als Uebermittler des
Gebots, der Anweisungen Gottes, des Allmächtigen, an die Menschheit. So
geschah es zu Zeiten Adams, Abrahams, Mose, Jesus Christus und Mohameds.
Diese Gottesboten führten das Volk, zu dem sie entsandt waren, auf eine hohe
Stufe der Kultur und Ethik. Wenn sich die Menschen auch im Lauf der Zeit von
dem wertvollsten, dem Wissen von Gott und den heiligsten Gesetzen abkehrten
und sich mehr von der geistigen Kultur, der weltlichen Zivilisation zuwandten.
Mit einem jeden Gottesgesandten begann ein neues Zeitalter und heute stehen
wir wieder am Beginn einer neuen Zeit durch das Kommen Baha’u’lláhs in
diese Welt und durch die Verkündigung Seiner Lehre von der Einheit des
Menschengeschlechts. Baha’u’lláh ist nicht zu einem Volk oder zu
einer Nation von dem Allmächtigen entsandt, sondern Er
kam für alle Nationen, für alle Menschen, ohne jede Ausnahme und bildet
dadurch, daß er in großartigster Toleranz alle Religionen, die Wissenschaften
und Künste in Seine große Lehre einschließt, auch die einzige Möglichkeit des
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wirklichen Zusammenfindens der verschiedenen Glaubensbekenntnisse in eine
Einheit. Alle Gebete gipfeln in dem Flehen zu dem einzigen allmächtigen Gott,
doch der Ritus unterscheidet sich voneinander, was die Hauptursache der
Trennung und ein wirkliches Hemmnis zum Uebergang von einem zum anderen
Glaubensbekenntnis bildet, und doch muß letzten Endes ein Zusammenschluß
stattfinden. Um den richtigen Weg einzuschlagen, zum Emporstieg für die
Menschheit, ist es unerläßlich, das Wort des Gottgesandten ernstlich zu beachten
und zu befolgen. Immer wieder wird der Ruf nach einem Führer in dieser ernsten
schweren Zeit, die die ganze Welt berührt, vernommen, und verhältnismäßig
wenige wissen, daß Er schon da ist, ja, daß Er schon wieder aus der Welt des
Sichtbaren gegangen ist, daß aber Seine Mission beendet ist, daß das Morgenrot
Seiner Zeit den Horizont erhellt und der Menschheit einen leuchtenden Tag herauf bringen wird.
Was sind tausend Jahre; sie sind nur ein Tag vor Gott, bei dem es kein „es war und es wird" gibt, sondern nur ein „es ist“.
Warum so viele Irrwege und Abzweigungen, die so viel Elend und Leiden bringen, da die Linien doch so gerade gezeichnet sind und die heilige Gotteslehre nur aufgegriffen zu werden braucht.
Ob sich die Menschen heute darum kümmern oder nicht, unabwendbar schreiten wir über die Schwelle eines neuen Zeitalters, ob die Menschen davon wissen oder nicht, sind sie Werkzeuge des großen Geistes, der über ihnen steht; ihre Gedanken werden auf die Notwendigkeit der Zeitbedürfnisse gelenkt und sie müssen sich befassen mit Fragen, deren Lösung uns Baha’u’lláh in Seinem „Kitab El Aqdas“ geoffenbart hat. Der Geist der Zeit ist berührt von dem Wehen des Allerhöchsten und Sein Wort vollzieht sich wie es immer und ewig war.
Ich muß hier in kurzen Zügen das Geschichtliche berühren: Erst 60 Jahre sind dahin gegangen, daß Baha’u’lláh — die Herrlichkeit Gottes — Seine Mission und Gottesgesandtschaft in Seinem Heimatland Persien, erst einem Kreis intimster Vertrauter, dann später in der vollen Oeffentlichkeit erklärte. Ihm voran gegangen, vorbereitend auf Sein Kommen war der Báb, das Tor, oder die Pforte, (wie er sich nannte), mit einer Reform des Islam in die Oeffentlichkeit getreten und hatte ernstlich seine Zeitgenossen auf das Nahen des großen Verkünders des Willens Gottes vorbereitet. Seine Zeit war kurz, die blinde Wut der relig. Fanatiker machten seinem heiligen Leben ein frühes Ende, denn sie hofften dadurch, dem Geist der Befreiung, der den Erwachten leuchtende Ziele wies, ein Ende zu bereiten. Die ewige Wiederholung des Kampfes zwischen Nacht und Licht. Der Bab, mit dem im Laufe der Jahre gegen 20000 Menschen ihr Leben für ihre Ueberzeugung und den Glauben an eine neue Gottes-Offenbarung freudig, im Geiste und in der Erkenntnis dieser wunderbaren Gnade Gottes, hingaben, hatte das Kommen des Vaters verheißen. Und Baha’u’lláh — die Herrlichkeit Gottes — erschien, und mit Ihm treten wir in eine neue Epoche ein. Er ist für die neue Zeit der Vermittler zwischen dem unfaßbaren, dem nie zu ergründenden ewigen Weltenschöpfer und der Menschheit. Zuerst erklärte Er einem kleinen Kreis der Vertrautesten Seine göttliche Berufung, später der vollen Oeffentlichkeit. Und als Er sich der Welt kund tat, geschah Ihm, wie zu allen Zeiten den Propheten geschah: Er wurde verleumdet, verfolgt, des Landes verwiesen, ins Gefängnis geworfen und auf alle Art gepeinigt, denn nie waren die breiten Massen der Menschen bereit, die Größe eines so reinen hohen Geistes zu erkennen und zu würdigen. So waren es auch in dieser neuen Zeit nur Auserlesene, aber doch eine größere Anzahl, die die Wahrheit Seiner Lehre erkannten und die fühlten, daß hier der ganz Große — und Einsame — unter ihnen sei, der hoch erhaben, über allem Irdischen stand und dennoch so innig damit vertraut war, und Der ein Reich Gottes auf Erden zu gründen berufen sei. Das Licht, das der Báb entzündete, hatte Baha’u’lláh zu einer Flamme entfacht, der die schwersten Maßnahmen der persischen Regierung, hinter der sich die Geistlichkeit verbarg, nicht mehr Einhalt gebieten konnte; auch nicht das Heimatverbot, die Exilierung von Teheran nach Bagdad, nach Konstantinopel, Adrianopel und Akka.
Wie stark die Geistesströme waren, die von Ihm ausgingen, beweist uns die
unerschütterliche Glaubenstreue der kleinen
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Schar von 70 Anhängern, die zugleich mit der Familie Baha’u’lláhs in die
Verbannung zogen und lieber sterben wollten, als ihren Herrn zu verlassen.
Hocherhaben überragt alle Anhänger Baha’u’lláhs, die sich Lichtkinder nannten, Sein Sohn 'Abdu'l-Bahá Abbás der Diener Gottes, den Er Sich als Nachfolger erkor und den Er nachdrücklich als Mittelpunkt des Bündnisses Gottes benennt. Er übertrug ihm die Verkündigung und Auslegung Seiner Worte, als alleinberechtigten Stellvertreter Seiner selbst. Bis an Sein Lebensende, das Baha’u’lláh in Bahajee unweit von Akka i.J. 92 ereilte, blieb Er ein Verbannter aus Seiner Heimat, wo Er als Kind und Jüngling ein Leben voller Schönheit und Glanz im Schlosse des vornehmen Elternhauses verbracht hatte.
Da Baha’u’lláh durch dauernde Gefangenschaft von der Welt abgeschlossen blieb, war es die Aufgabe Abdu’l-Bahás von frühester Jugend an die Sache des geliebten Vaters sich zu Seiner eigensten zu machen. Der furchtbare Ernst dieser Lebensaufgabe wurde Ihm in den Kinderjahren schon bewußt, da Er doch Zeuge der grausamen Verfolgungen war, die Seinem Vater als Haupt der Bewegung, wie auch den Gläubigen zuteil wurden. Dem tief veranlagten Knaben der Geist Seines Geistes war und der mit leidenschaftlicher Liebe an Seinem Vater hing, blieb kein Schmerz fremd.
Die vierzig Jahre der Verbannung mit allen ihren Nebenerscheinungen sind genügsam in Werken und Berichten von Zeitgenossen, Orientalisten und nach eigenen Angaben der Kenntnisnahme der Oeffentlichkeit zugänglich. Ganz augenfällig war bei Abdu’l-Bahá ein spontanes Wissen und eine große Kenntnis der Metaphysik, was weise Männer und die Geistlichkeit höchlichst in frühester Jugend schon an Ihm bestaunten. Sein tiefes Durchdenken aller Zustände über die Landesgrenzen weit hinaus, Seine inspirierte Weisheit und Sein Schauen in die Gegenwart, Zukunft und Vergangenheit ließen schon frühzeitig erkennen, daß Ihm eine führende Rolle beschieden sei. ’Abdu’l-Bahás wundervoll ausgeglichener Charakter, Seine erstaunliche Tragkraft, die nimmermüde Tätigkeit und unerschütterliche Treue in der heiligen Sache, Seine große Mildtätigkeit und verzeihende Güte, machten Ihn zum Freund selbst derer, die Ihn wegen Seiner neuen Lehre hassen zu müssen vermeinten. Es sei hier bemerkt, daß er nicht wie andere Altersgenossen eine Schulbildung genoß, da die Jahre hierfür in die schwerste Zeit der Verfolgung Seines Vaters in Teheran fielen.
Aus den Gefängnismauern sandte einst Baha’u’lláh Seinen Ruf an die regierenden Häupter der Nationen. Diese Sendschreiben sind geschichtliche Dokumente. Ihr Inhalt, Aufruf, Warnung und Verheißungen sind buchstäblich in Erfüllung gegangen. Viel schweres Schicksal für asiatische und auch europäische Länder hätte vermieden werden können, sofern diese Sendschreiben einen richtigen Widerhall an maßgebender Stelle gefunden hätten.
Durch die Bewegung der Jungtürken und die Absetzung Abul Hamids fielen die Ketten nach 40jähriger Gefangenschaft von diesen Staatsgefangenen ab. Daraufhin machte ’Abdu’l-Bahá große Reisen nach Amerika und Europa, vorzüglich nach England, Frankreich, Deutschland, Ungarn und rief die Menschen zum Welt-Frieden. Er warnte vor der furchtbaren Weltkatastrophe, die unvermeidlich hereinbrechen müsse, wenn die Menschen nicht den Weg zu Gott, zur Gerechtigkeit gegen den Nächsten, finden. Doch die Menschen waren nicht bereit zu hören und das nun unabwendbare Schicksal nahm seinen Verlauf.
Er erhob Seine Stimme, um die ganz in materielles Wesen versunkene Menschheit zu erwecken zur wahren Erkenntnis, um sie auf eine höhere Stufe der Ethik zu führen und Ihnen den Willen Gottes kund zu geben. In klarer einfacher Weise enthüllte und erklärte Er ihnen das Wesen der Offenbarung Baha’u’lláhs und lud die ganze Menschheit ein in das Königreich Gottes. Sein Ruf fand nur bei Einzelnen der großen Gesamtheit Gehör, aber diese sind nun auch Zeugen dessen geworden, wie sich alles erfüllte, wie Er es voraussah.
Auch dies heilige Leben der größten Aufopferung ’Abdu’l-Bahás für die Menschheit
hat seinen Abschluß gefunden im November des Jahres 1920, als Er in Seine wirkliche Heimat
einging. Heute liegt die Obhut der heiligen Lehre Baha’u’lláhs in den Händen
eines Enkels ’Abdu’l-Bahás, den Er testamentarisch als Beschützer der Bahai-Lehre
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bestimmte. Dieser, mit Namen Shoghi Effendi ist jugendlich an Jahren, aber er ist
sich seiner großen Verantwortung voll bewußt, und waltet seines heiligen Amtes
in würdigster und geistvollster Weise.
Klar und deutlich ist uns nun der Weg gezeigt, auf dem wir aufwärts gelangen können. Die alten Zeiten sind vorbei, eine neue Zeit steht vor uns, in die wir allmählich hineinwachsen. Die Anhänger der Bahailehre, die sich in allen Ländern befinden, und deren Zahl tagtäglich wächst, wissen nur allzu gut, daß nur dieser eine Weg zum wirklichen Ziele führt. Genug. der alten Denkweise, des Kriegsrufes, der Unterdrückung und der Lüge. Genug mit den furchtbaren Kriegen, mit der zweispaltigen Moral. Einerseits wird ein Mensch, der einen Mitmenschen tötet, verurteilt, gerichtet und zum Tode geführt, wogegen im Kriege Ehrenkreuze die Brust dessen schmückt, der möglichst viele seiner Mitmenschen getötet hat. Dies ist eine unwürdige Moral. Genug der furchtbaren Anklagen, der Tausenden, die heimatlos, verwitwet, verwaist sind oder ihrer Lebenskraft verlustig gingen. Die furchtbaren, ins Gigantische anwachsenden Werkzeuge der Zerstörung, sollen in menschenfreundliche, aufbauende und fördernde Hilfsmittel zur Hebung der Nationen umgewandelt werden. Mit den ungeheuren Geldmitteln, die bisher zur Zerstörung aufgebracht worden sind, wäre heute jeder Armut weit und breit Einhalt geboten.
Wir stehen auf der Schwelle einer neuen Zeit. Durch einen Völkerbund, der im wahren Geist der Gerechtigkeit und des Völkerrechts, das jeder Nation gleich zusteht, geschlossen ist, müssen die auftretenden Streitfragen an einem Weltschiedsgerichtshof in einem gütigen Ausgleich geschlichtet werden.
Ferner sagt Baha’u’lláh, daß die Menschheit die törichten Vorurteile, die zwischen den Religionen bestehen, ablegen soll. Durch ein Studium anderer Religionen kommt man auf die innersten Zusammenhänge, u. das Aeußerliche Unwesentliche, das den Unterschied bildet, wird dadurch hinfällig, Die Baháilehre faßt in größter Toleranz alle Religionen in eine Einheit zusammen, die in engster Verbindung mit der Wissenschaft steht. Baha’u’lláh löst die soziale Frage durch eine allgemeine Steuerabgabe an das „Haus der Gerechtigkeit“ und durch ein weises Erbrecht, wie auch durch Beteiligung der Arbeiter an dem Unternehmen, dem sie dienen.
Nicht aus der uns durch Generationen vertrauten Religion sollen wir austreten, um Bahái zu werden, sondern die Religion, in der wir groß geworden sind, müssen wir erkennen und sie in ihren großen heiligen Aufgaben erfüllen, wie sie uns der große Nazarener lehrte, dann gelangen wir in heiliger Erkenntnis zur Wahrheit der Lehre Baha’u’lláhs, die uns neue Bahnen eröffnet.
In uns selbst müssen wir aufbauen, uns tiefinnerst von der Liebe zum Materiellen lösen und im Reiche der großen göttlichen Erkenntnis Schätze sammeln. Klar und deutlich sind die einzelnen Prinzipien aufgestellt für das neue Zeitalter. Diese Lehre des Lichtes und der Wahrheit wird der Welt eine neue Lebensanschauung bringen, die uns zu einem höheren Menschentum führt. Der Geist aber muß in uns lebendig werden, dann kommen wir dem Reiche Gottes nahe, dann sind wir Baháis, dann erkennen wir auch die Bewahrheitung der prophetischen Worte Christi: „Ich werde wiederkommen zur Rechten des Vaters“.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Jede Zeit bringt neue Bedürfnisse
mit sich und deshalb ist in der heutigen, überaus wichtigen Zeit, in der eine neue
Entwicklung einsetzt, deren erste Morgenstrahlen den Horizont färben, ein großes
Verlangen rege nach geistigen Gütern. Warum unwiederbringliche Zeit
mit Suchen verbringen, wenn die Wahrheit klar vor uns liegt?. Durch den belebenden
Geist, der durch Baha’u’lláh über die Welt hinströmt, ist, wie zur Frühlingszeit
ein Keimen und Drängen in der menschlichen Seele und daher arbeiten auch so
viele Menschen der großen Ursache unbewußt an der Erfüllung Seiner Gedanken
u. Absichten. Dies wird sich mehr denn je noch in der Zukunft als Rückschlag
auf den krassen Mamonismus geltend machen, denn angeekelt von all dem Hasten
nach materiellen Gütern besinnt sich der Mensch endlich auf
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sich selbst und dies wird zum Wendepunkt in seinem Leben. Möge dann der
Ruf an sein Ohr dringen, daß es etwas weit Höheres und Erhabeneres gibt, daß
die heilige Gotteslehre aufs neue verkündet wurde im fernen Osten und daß
der Lichtstrahl dieser Sonne über alle Länder hin bis ins tiefste, fernste Tal
fallen wird.
Diese große Lehre gehört der ganzen Welt und die Zeit ist da, in der die Menschheit zu einer großen Einheit zusammengeschlossen werden kann.
Unser geliebtes Deutschland hat eine ganz besondere Verheißung erhalten. Von hier aus soll über ganz Europa das geistige Licht und die neue göttliche Erkenntnis ausgehen; nach Erniedrigung und Schmach ist die Sonne göttlicher Liebe am Werk, einen herrlichen, neuen Frühling zu entfalten. Darum ist es unsere Pflicht, unseren Mitmenschen die frohe Botschaft zu künden und Gott tausendfältig zu lobpreisen, für alle Seine herrliche Gnade, die Er der Welt aufs neue bewies dadurch, daß Er Sich wieder der leidenden, verirrten Menschheit erbarmte!“
Hierauf betrat Herr Wilhelm Herrigel den Rednerpult und sprach über:
Die Notwendigkeit der Baháilehre.
Viele, die zum erstenmal von dieser Lehre hören, fragen, ist sie überhaupt notwendig, haben wir dies nicht alles schon im Christentum? Wir müssen antworten: Wenn das Christentum bis jetzt das erreicht hätte, was Christus als Resultat seiner Lehre erwartete, dann müßten wir sagen, sie ist nicht notwendig. Baha’u’lláh, der Stifter der Bahailehre, sagte selbst: „Wenn die Lehre Jesu Christi von Anfang an bis heute von seinen Anhängern befolgt und in die Tat umgesetzt worden wäre, dann wäre mein Kommen nicht mehr nötig gewesen, die Welt wäre zum Paradiese Gottes geworden und alle Menschen hätten seine Lehre angenommen. Was hat sich aber in der Tat ereignet? Studieren wir die Kirchengeschichte vorurteilslos, so werden wir finden, daß die christliche Religion schon 150 Jahre nach Christi Tod anfing niederzugehen und daß es mit ihr in den darauf folgenden Jahrhunderten noch vielmehr bergab ging. Anstatt sich in die herrlichen Lehren Jesu zu vertiefen, sie in die Tat umzusetzen, fing man an, sich über gewisse Begriffe zu streiten und Dogmen aufzustellen, die jene furchtbaren Spaltungen in der Christenheit verursachten und schreckliches Blutvergießen unter denen, die sich Christen nannten, zur Folge hatten.
Solches war von Jesus nicht beabsichtigt. Er befahl: „Liebet eure Feinde.“ Wie sah es mit der Befolgung dieses Gebotes unter denen, die sich Christen nennen, aus? Tausende und Abertausende von Menschen, die zur Christenheit zählten, mußten ihr Leben, religiöser Differenzen wegen, oftmals auf die schrecklichste Art und Weise, lassen.
Wie sieht es heute in der Welt aus? Haben wir religiösen Frieden, Friede zwischen den Völkern, Friede in den Familien und Gemeinden? Wenn dem so ist, dann könnten wir vielleicht sagen, die Bahailehre sei nicht notwendig. Die Religion — und es gibt nach der Bahailehre nur eine Religion — muß in ihrer Reinheit wiederhergestellt werden, sie muß das Mittel zur Vereinigung aller Völker der Erde werden. Noch bis vor kurzem galt es als nicht fein, überhaupt über religiöse Dinge mit andern zu sprechen und die meisten gingen gleichgültig über die Religion weg, andere verleugneten sie völlig. Man mag aber über die Religion denken wie man will, eines wird jeder zugeben müssen, nämlich, daß sie schon unzähligen Menschen Trost und Stärkung in ihren Nöten und ganz besonders in ihren letzten Zügen gebracht hat. Daß die christliche Religion solches bei den einzelnen Menschen, trotz der Verschiedenheit der Bekenntnisse und der Dogmen, noch zustande brachte, ist ein Beweis ihrer göttlichen Herkunft. Die Religion ist aber nicht nur dazu da, dem Einzelnen über alles irdische Leid hinweg zu helfen, und ihn in den Himmel zu heben, sie muß das Heilmittel für den so sehr erkrankten Körper der Menschheit sein.
Viele sagen und sagten schon, wir brauchen keine Religion. Es genügt, wenn wir Moral einschärfen. Hat man denn überhaupt schon darüber nachgedacht, woher die Moral letzten Endes stammt? Doch nirgends her als aus der Religion. Es ist Tatsache, daß ein Volk, das sich der Religion auch entfremdet, moralisch immer mehr niedergeht.
Nach all diesen Spaltungen in der Christenheit und in den vielen andern [Seite 153]
Religionen, die es außer dem Christentum gibt, deren Anhänger aber dennoch zu
demselben einen Gott beten, fragten sich schon viele, zu was diese Vielheit in
der Gottesverehrung? Wenn nur ein Gott ist, zu was diese Verschiedenheiten in der
Religion? Es war ja einmal notwendig, daß den verschiedenen Völkern die göttliche
Botschaft von einem ihrer Volksgenossen in einer ihnen verständlichen Form
überbracht wurde. Aber heute ist die Menschheit soweit vorangeschritten, daß
sie fähig ist, die universale Botschaft Gottes von der Einheit der gesamten
Menschheit und dem einen Gott und Vater aller, zu verstehen. Diese herrliche
Lehre hat bereits bewirkt, daß sich Millionen von Menschen aus allen Rassen,
Nationen und Religionen in größter Liebe und Einigkeit mit einander verbanden
und sich brüderlich die Hände reichten. Alle bisher trennenden Schranken sind
gefallen. Kann es etwas Größeres und Herrlicheres für die Menschheit geben?
Man fragt ferner, mit was wollt ihr beweisen, daß Baha’u’lláh ein Gottgesandter ist? Was sagte Christus als er von falschen und wahren Propheten sprach? „Darum an ihren Früchten sollt ihr sie erkennen." Die Sonne hat für ihre Existenz keinen andern Beweis nötig als den, daß sie Licht und Wärme spendet. Die Offenbarung Baha’u’lláhs spendet der Menschheit geistiges Licht und neues geistiges Leben. Wenn also die Bahaifreunde in der ganzen Welt sich in Liebe die Hände reichen und dafür sorgen, daß das soziale Elend aus der Welt geschafft und jedermann Arbeit und Verdienst geboten wird, außerdem durch die herrlichen Lehren jedermann Gelegenheit hat, sich aufs höchste in seinem Innenleben zu vervollkommnen, so kann gewiß nicht gesagt werden, daß der Baum, der solche Früchte bringt, ein „fauler Baum“ sei.
Eben in unserer Zeit taucht da und dort in den Worten und Schriften bedeutender Persönlichkeiten der Sehnsuchtsruf nach einem solchen Helfer auf. Hanns Baum, der schwäbische Historiker, schrieb 1920 in Nr. 183 des Stuttgarter Neuen Tagblatts:
Wenn ich wüßte, daß mein Flehen träfe Gottes Herz, ich bät ihn, daß er Einen möchte senden, der die Menschen führe aus dem Dunkel hin zum Höhentempel, wo die Liebe thront und wo die Güte dient im schlichten Kleid. Damit das Laute und das Falsche schwände, daß der Friede segnend seine Hände drüber breite..,
„Wenn ich wüßte, daß mein Flehen träfe Gottes Herz, ich bäte, daß er Einen, daß er jetzt den Einen möchte senden, nun der Frühling läßt die blauen Bänder über braune Erdenschollen wehen...
„Herr des Himmels, Meister aller Länder, laß den Einen Großen auferstehen.“
Als sich vor über hundert Jahren Deutschland in einer tiefen Erniedrigung befand, schrieb Dorothea Schlegel, die Gattin des Dichters und Gelehrten Friedrich von Schlegel:
„O mein armes Land! Wer bin ich, daß ich ein Vaterland zu haben glaube? O armes Deutschland, arme Welt! Du leidest so schwer, so bitterlich und weißt es nicht warum? Und suchest die Ursache hier und dort und findest sie nicht, weil du sie nicht in dir selber suchst? O wer dir doch die Augen öffnete; wo ist der Held, der Prophet? Er könnte dir mehr nutzen als tausend Heere, als gräßliche Schlachten. Denn die Gegenwart ist für dich verloren, und du kannst nur für die Zukunft ringen, und wer sollte dich lehren, wie du es tun sollst? Wer erzieht deine blinde, wieder Kindheit gewordene Unvernunft? Wird kein Prophet kommen, der den künftigen Helden, den künftigen Retter bildet?“
Solche Sehnsuchtsrufe wären noch viele aufzuzählen, sie tauchen immer wieder auf und ach! man weiß nicht, daß dieser Ersehnte gekommen ist und daß sein Geist in der Welt heute schöpferisch wirkt. Eben in diesen Tagen findet in Stuttgart ein Kongreß des Internationalen Freundschaftsbundes der Kirchen statt. Dieser Bund erstrebt eine Vereinigung der christlichen Kirchen. In London tagt ab 22. September die Konferenz der im Britischen Reich bestehenden wichtigsten Religionen, mit Ausnahme des Christentums und des Judentums, um sich näher zu kommen und einander besser verstehen zu lernen. Wie viele Bestrebungen sind seit dem Bestehen der Bahailehre aufgetaucht, von denen jede unbewußt eines oder das andere der Prinzipien der Bahailehre zur Durchführung zu bringen sucht.
1. Das allgemeine Suchen nach Wahrheit und Klarheit war noch nie so groß, wie heute.
2. Das Streben nach Verständigung zwischen
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den verschiedenen Religionen und Bekenntnissen.
3. Die Einsicht, die sich bei unseren Denkern immer mehr Bahn bricht, daß es ohne Religion nicht geht.
4. Die Bestrebungen, einen Weg zu finden, um Religion und Wissenschaft in Einklang zu bringen.
5. Die Frauenbewegungen und Frauenrechte.
6. Der Weltfriedensgedanke, Weltschiedsgerichtshof.
7. Die Erziehungsfrage, (Einheitsschule etc.)
8. Die Welthilfssprache (Esperanto).
9. Die soziale Frage und ihre Lösung.
Dies sind Bestrebungen, von denen man vor dem Kommen Baha’u’lláhs noch wenig oder nichts wußte. Woher kommt dieser Geist in der Menschheit? Man sagt, dies ist der Zeitgeist. Wohlan, aber woher kommt dieser? Gibt es auch Wasser ohne eine Quelle? Diese Quelle ist Gott und Baha’u’lláh ist der große, reine Kanal, der uns dieses Wasser des Lebens rein und klar zuführt. Von ihm und seiner Lehre strahlt dieser alles belebende Geist aus und befruchtet die Menschenherzen, wie die Sonnenstrahlen der kalten Erde neues Leben einhauchen. Durch diesen alles erleuchtenden Geist werden wir hier auf Erden schon glückliche und selige Menschen.
Die Bahailehre bietet uns aber nicht bloß eine Diesseitsreligion. Nein, sie lehrt vielmehr die bewußte Fortdauer die Individualität nach dem Tod des Körpers. Es wird aber jedem einleuchten, daß wenn wir einmal von diesem herrlichen Geist der Liebe durchdrungen sind, und gar nicht mehr anders können als Gott und die Menschen zu lieben, wir das Himmelreich schon hier in uns haben und wir daher nicht erst ängstlich zu sorgen brauchen, was wird aus mir, wenn ich die Augen für diese Welt schließe.
Die Bahailehre verlangt keinen Austritt aus der Kirche von dem, der sich ernstlich mit dem Studium der Bahailehre befassen will. Da sie aber als neue Offenbarung Gottes das bringt, was unsere Zeit am nötigsten hat, so ist jedem dringend zu raten, sich einmal ernstlich in diese Lehre zu vertiefen, sein Leben nach ihr einzurichten und sie mit dem wahren Wesen seiner bisherigen Religion zu vergleichen.
Was die Bahailehre bereits und was sie noch zustande bringen wird, ist die Erfüllung dessen, was im wahren Christentum erwartet wird. Jesus lehrte uns beten: „Dein Reich komme, dein Wille geschehe auf Erden wie im Himmel.“ Das Reich Gottes auf Erden kann nur in gegenseitiger aufrichtiger Liebe aller Menschen der Welt und in der Betätigung des göttlichen Willens bestehen und dies ist das Hauptziel der Bahailehre.
Das Herannahen dieses neuen Zeitalters ahnten manche edlen Menschen: Gottfried Keller, geb. 1819, deutet dies an in seinem Gedicht:
Frühlingsglaube.
Es wandelt eine schöne Sage
Wie Veilchenduft auf Erden um,
Wie sehnend eine Liebesklage
Geht sie bei Tag und Nacht herum.
Es ist das Lied vom Völkerfrieden
Und von der Menschheit letztem Glück,
Von goldner Zeit, die einst hienieden,
Der Traum als Wahrheit kehrt zurück.
Wo einig alle Völker beten
Zu einem König, Gott und Hirt;
Von jenem Tag, da den Propheten
Ihr leuchtend Recht gesprochen wird.
Dann wirds nur eine Schmach noch geben,
Nur eine Sünde in der Welt;
Des Eigen-Neides Widerstreben,
Der es für Traum und Wahnsinn hält!
Wer jene Hoffnung gab verloren
Und böslich sie verloren gab,
Der wäre besser ungeboren;
Denn lebend wohnt er schon im Grab.
Und der zur Zeit der Morgendämmerung dieser neuen Offenbarung im Jahr 1845
verstorbene Dichter Friedrich Krummacher gibt seiner Ahnung in folgendem Lied Ausdruck. :
Eine Herde und ein Hirt!
Wie wird dann dir sein, o Erde,
Wann sein Tag erscheinen wird?
Freue dich, du kleine Herde;
Mach dich auf und werde Licht!
Jesus hält, was er verspricht.
Hüter, ist der Tag noch fern?
Schon ergrünt es auf den Weiden,
Und die Herrlichkeit des Herrn (Baha’u’lláh)
Nahet dämmernd sich den Heiden;
Blinde Pilger fleh’n um Licht:
Jesus hält was er verspricht.
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Sieh, das Heer der Nebel flieht
Vor des Morgenrotes Helle
Und der Sohn der Wüste kniet
Dürstend an der Lebensquelle;
Ihn umleuchtet Morgenlicht:
Jesus hält, was er verspricht.
Gräber werden aufgetan;
Rauscht verdorrete Gebeine,
Macht dem Bundesengel*) Bahn!
Großer Tag des Herrn erscheine!
Jesus ruft: Es werde Licht!
Jesus hält, was er verspricht.
- ) Der Bundesengel ’Abdu’l-Bahá.
Dieser neue Tag, dieses neue Zeitalter ist mit dem Jahr 1844 angebrochen, das
Leben der Bahai der ganzen Welt bezeugt dies. Wollen wir es machen wie
die Juden vor 1900 Jahren, die verächtlich von der „Sekte der Nazarener" redeten?
Die Geschichte wiederholt sich. Heute sucht man die Bahaisache abzutun,
indem man sie höhnisch eine‚ "islamitische Sekte“ nennt. Sie ist dies aber
ebensowenig, wie das Christentum eine Sekte des Judentums ist.
Es erhebt sich auch häufig die Frage, warum sich Gott gerade einen Perser als Träger seiner hl. Botschaft erwählte. Dies liegt immer in Gottes Hand, Er tut was Ihm beliebt. Aber in einer Hinsicht können wir uns dies erklären. Als Christus kam, waren die Juden eine verachtete, geknechtete Nation, aber diese war die einzige, die die Einheit Gottes hochgehalten hatte, und deshalb ging aus ihr der Erwählte hervor. Der Islam ist das Produkt der Offenbarung Gottes durch Mohammed, der 600 Jahre nach Christus zu den Arabern kam und sie die Einheit Gottes lehrte. Zur Zeit des Kommens des Bab und Baha’u’lláhs war der Islam neben den Juden die einzige Religion, die die Einheit Gottes hochhielt; denn die Christen lehren seit dem Jahr 385 einen Dreieinigen Gott, und um dieses Prinzip der Dreieinigkeit durchzusetzen, kämpften sie vom Jahr 325—385 selbst mit Feuer und Schwert. Christus aber zählte die Worte: „Höre Israel, der Herr unser Gott ist ein einziger Gott“, zum vornehmsten Gebot. (Mark. 12,29.) Aus welcher Nation oder Religion es Gott beliebt, Seinen Botschafter zu erwählen, darf uns nicht stören. Seine Echtheit muß an seinen Früchten erkannt werden. Die Verbrüderung der Menschheit, die Beseitigung der Vorurteile, die Erleuchtung, die seine Nachfolger erlangen und der Geist der Liebe, der ihr ganzes Wesen erfüllt, sind Früchte, die am Baume Baha’u’lláhs reifen und die Echtheit seiner Mission dartun.
Wir, die wir uns aus nah und fern bei diesem Kongreß versammelt haben, sind auch Früchte von diesem Baum. Mögen wir alle unser Bestes tun, damit sich 'Abdu'l-Bahás Prophezeiung, nach der Deutschland in dieser Sache eine führende Rolle in Europa spielen soll, bald erfülle.
Hierauf kam das von Dr. A. Mühlschlegel verfaßte Melodram abermals zur Aufführung. Die
Dichtung machte auch an diesem Vormittag einen tiefen Eindruck auf das Auditorium und bildete
einen würdigen Abschluß des in der Oeffentlichkeit tagenden Teils des Kongresses. Eine
heilige Weihe lag über der Zuhörerschaft, und der Geist des großen Gottesgesandten
weilte fühlbar über dieser Feier.
Zum Mittagsmahl versammelten sich ein großer Teil der Kongreßteilnehmer im Bürgermuseum zu gemeinsamer Vereinigung. Herr Dr. Brauns hielt eine eindringliche, zu Herzen gehende Ansprache, worin er betonte, daß keines der Freunde an diesem Liebesmahl teilnehmen sollte, ohne zuvor alle etwaigen Schatten und Mißverständnisse im Herzen ausgelöscht zu haben. Er wies darauf hin, daß dies ein Tag sei, der alles Trübe aus der Vergangenheit auslösche und für alle Freunde ein Fest gegenseitigen Verzeihens und der Liebe im Namen 'Abdu'l-Bahás sei.
Um 2 Uhr fand die erste geistige Nationalratssitzung mit den neu gewählten Mitgliedern statt.
Im Laufe des Nachmittags kamen verschiedene Referate zum Vortrag wie folgt:
Bahá’i-Erziehung.
Herr D. Großmann.
Es ist einer der großen Gedanken der Baháilehre, daß sie überall in unserem
Erkenntniskreis das beherrschende Gesetz der Entwicklung nachweist. Aber
während die Entwicklung sonst in der Natur gleichsam automatisch erfolgt,
wird sie für den Menschen bis zu einem gewissen Grade eine leitbare, indem er
vielfach mit seinem Willen einzugreifen vermag. Die Tatsache, daß er zumeist
in der Wahl seines Weges, nicht aber in der seines letzten Entwicklungszieles frei
ist, ergibt für den erkennenden Menschen die Notwendigkeit, auf dem kürzesten
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Wege dem Ziele zuzustreben, will er die Wirrnisse verkürzen, durch die er hindurchgehen
muß. Diesen kürzesten Weg zum Ziele zu finden aber bedarf es für
den Menschen der Erziehung. Zweifach ist die Erziehung: physisch, als eine
Notwendigkeit für den Menschen im physisch gebundenen Zustand, der Entwickelung
unseres Körpers und dem Kulturfortschritt dienend, und geistig oder
göttlich. Durch die geistige Erziehung soll der Mensch dazu geführt werden,
sich über die Materie zu erheben. Was die physische Entwickelung anbelangt, so
vermag der Mensch hier mittels seines Verstandes durch Studium und Forschung
selbst Fortschritte zu erzielen, somit auch den Plan für seine physische
Erziehung bis zu einem gewissen Grade selbst zu entwerfen und durchzuführen,
wogegen der Plan für die geistige Erziehung göttlichen Ursprungs sein muß, da
die Menschheit zu ihrer geistigen Entwickelung Jahrtausende bedarf und
infolgedessen vor Erreichung des Zieles den Weg zu ihm auch noch nicht überbauen
kann. Die Vermittler der göttlichen Erziehung aber sind die göttlichen
Manifestationen. Sie waren in der Regel dank ihrer größeren Erkenntnis zugleich
auch Gesetzgeber für die physische Erziehung der Menschen.
Die Haupt-Erziehungsgebote Baha’u’lláhs lassen sich wie folgt zusammenfassen:
1. Die Erziehung muß universal und umfassend sein.
2. Die Erziehung soll in stärkstem Maße eine praktische sein.
3. Die Erziehung sollte sich nur mit Dingen befassen, die dem menschlichen Fortschritt und Wohlergehen dienen.
4. Alle Erziehung muß mit Freudigkeit gepaart sein.
Aus dem Geist der Lehren Baha’u’lláhs heraus lassen sich folgende allgemeine Erziehungslehrsätze aufstellen:
1. Jeder Mensch ist in gewissem Sinn Lehrer aber zugleich auch Lernender.
2. Wahre Belehrung muß durch übereinstimmende Worte und Taten erfolgen.
3. Der Lehrer muß dem Lernenden ein Vorbild sein.
4. Es muß die Sache und nicht die Person des Lehrers sein, die den Lernenden anzieht.
5. Der Lernende ist als werdende Persönlichkeit zu betrachten. Er muß zunächst zur Höhe des Lehrers erzogen werden, dann aber soll die Erziehung ihm eine solche Selbständigkeit gegeben haben, daß er über den Lehrer hinauszuwachsen vermag.
6. Die Individualität des Lernenden muß durch den Lehrer weitmöglichst berücksichtigt werden.
7. Der Lehrer muß den gewohnten lokalen, nationalen, sozialen, rassischen und religiösen Eigenarten der Lernenden Rechnung tragen.
Besondere Beachtung verdient, was wir aus den Lehren Baha’u’lláh’s über Führerschaft entnehmen können. Der wahre Führer führt durch die Macht seiner Persönlichkeit. Er kennt kein Führenwollen sondern nur ein Dienen und muß jederzeit bereit sein, zurücktreten zu können.
Die sozialen Ausblicke der Bahailehre.
Herr Julius Henseler:
Geliebte Geschwister!
Baha’u’lláh hat auch für unsere sozialen Nöte die Tore der Befreiung aus diesen
Nöten aufgestoßen. Er gab Gesetze, welche sowohl dem Arbeitgeber als wie
dem Arbeitnehmer zu seinem wahren Rechte verhelfen. Eingebildete Rechte
waren bis heute auf beiden Seiten, aber im heutigen Zeitalter kann keine
Einbildung bestehen bleiben, und so werden, bis die Lehre Baha’u’lláh verbreitet
sein wird, Kämpfe zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer in Abwechslung erscheinen
und so lange in immer gesteigertem Auswuchs, bis beide Lager einsehen lernten,
daß sie mit ihren vermeintlichen Rechten sich und den andern in die Grube legen.
Und wenn diese Einsicht bei ihnen Platz greift, dann werden sie forschen,
was die gesegnete Feder vor nahezu fünfzig Jahren göttlich inspiriert
niedergeschrieben hat. Die Gesetze, welche Baha’u’lláh dem Arbeitnehmer
zusichert, lassen den Arbeitnehmer nicht nur einen Sklaven der Arbeit sein, sondern
diese Gesetze verschaffen ihm geistigen Anteil am Ganzen, und wo der Einzelne
geweckt wird zum geistigen Mitarbeiten, Mit-dazu-beitragen, einen Arbeitszweig
auszubauen, da wird er sich geadelt
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vorkommen u. er wird die Sorgen u. Freuden des Arbeitgebers an sich verschmecken, u.
er wird mit anderem Interesse an seine Arbeit gehen und von seiner Arbeit gehen.
So wiederum hat der Arbeitnehmer ein volles Leben und ist nicht nur bezahlte
Maschine. Der Arbeitgeber aber muß sich verpflichten, dem Arbeiter, der
sein Werk und seine Sache unterstützt und trägt, ein gesichertes Alter zu bieten
und das nicht als Almosen oder als Gnade von obenherunter, sondern
als wohlverdientes Recht.
Aus den Lehren Baha’u’lláhs können sowohl Arbeitgeber wie Arbeitnehmer den Weg der wahren Verständigung finden, den Weg des Aufblühens und der Handreichung gehen, und sie werden durch die Zeitläufte der nächsten Jahre dazu gedrängt werden, denn der Geist Baha’u’lláh ist’s, was die Arbeitgeber sowohl als die Arbeitnehmer führt, leitet und zusammenschweißt.
Der Riß, der bisher durchgegangen durch bezahlte Hand und zahlende Hand, wird im Zeitalter Baha’u’lláh aufgehoben sein, denn Arbeit muß jeder verrichten, mag er in Millionenschätzen geboren sein, er hat die staatliche Verpflichtung, zu arbeiten. Das sind die Gesetze Baha’u’lláh. Dienet der großen Aufgabe, damit zu ihrer Erfüllung Arbeitgeber und Arbeitnehmer erweckt werden.
Alláh’o’Abhá.
Zeitströme.
Frau Votteler-Bernhardt, Freudenstadt:
Wir müssen uns immer mehr und mehr bewußt werden, welch großer Vorzug es ist, in der heutigen Zeit leben zu dürfen.
Gnade im Ueberfluß hat das Hereinkommen Baha’u’lláhs in unsere Sphäre über uns ausgegossen, und wir haben Gelegenheit, wie kein Zeitalter vor uns je gehabt, darüber nachzudenken, worinnen die Schuld der Jahrtausende verborgen liegt.
Krieg und Kriegsgeschrei hallte und gellte in jedem Jahrhundert etliche Male auf und Ländlein und Lande kamen daran und nicht nur Länder und Nationen führten Krieg, nein, auch die Religionen, welche gottversöhnend wirken sollten im Menschengeschlecht, pflanzten das Bajonett und das Schwert auf.
Gott aber sprach am Tage der Tage: Friede und Freude und Einigkeit werde der Welt geschenkt, und wie einem Befehlshaber gefolgt wird, so folgen die Geistwellen der Entwicklung dem Befehl dessen, der die Wellen des Aethers und die Wellen des Geistes mit derselben Schnelligkeit ausgestattet hat. Ebensowenig wie der Mensch im Stande ist, der Schnelligkeit des Blitzes Einhalt zu tun, mit der er Häuser und Dörfer in Asche legt, ebensowenig und noch weniger werden intellektuelle Köpfe die Wellen des Geistes von der Spiegelung des menschlichen Atlases zurückschnellen dürfen und können; denn die Sphäre der Geistwelle preßt die Gehirne in dumpfem Druck und diese Gehirne sind so stumpf geworden, daß sie den Druck aus höchster Sphäre nicht einmal intellektuel schildern können, hätte Gott nicht Arbeiter in seinen Weinberg geschickt, die es der heutigen Menschheit in beispiellose, schnell begriffliche Nähe rücken werden.
Weltweise haben die Schnelligkeit des Blitzes berechnet, Gelehrte berechnen die Wellen des Lichts und Weltweise bezweifeln die Wellen des belebenden Seins.
Doch sie werden in kurzer Zeit zu einsichtsvollen Schülern dieser bisher unerkannten Wellengesetze, denen der Mensch unterstellt war von Anbeginn bis heute, und für alle künftigen Zeiten werden sie mit heißer Inbrunst das auf sich herabflehen und ihre Körper unter die göttlich gewaltige Naturkraft unterstellen.
Haben sie es an sich erfahren, so ist die Umgestaltung der heutigen Welt zur Notwendigkeit geworden, und keine Einrichtung wie sie heute besteht, wird bestehen bleiben in dieser Form.
So wenig ein erwachtes Weib noch mit Puppen der Kindheit und Kindestage spielt, so wenig werden die Gelehrten mit den alten Einrichtungen Verkehr pflegen wollen. Darum werden alle Gelehrten eifrig bemüht sein müssen, umzulernen, und das, was Baha’u’lláhs Lehre birgt, zu verkörpern und zu beleben.
Wir aber bitten um Kraft daß Er in den Schwachen mächtig werde.
Alláh’o’Abhá.
Der einheitliche Kern der Religion.
Frau M. Helling Freiburg i. Br.
Gott ist das Allerverborgenste, das größte Mysterium und die verborgene
Quelle alles Existierenden, und wie es
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nur einen Gott gibt, so kann es auch nur eine unwandelbare Wahrheit geben
und nur einen geistigen Kern aller religiösen Lehren, der in der Tat der gleiche
in allen Religionssystemen ist. Das Wesen Gottes ist für den Menschen unbegreiflich,
geheiligt und erhaben über jede Spekulation; nur durch Seine Offenbarung als
Schöpfer des Universums und durch Vermittelung Seiner Manifestationen, der
großen Gottgesandten (Meister und Propheten), vermögen wir uns eine
Vorstellung von der Erhabenheit Gottes und den durch Schöpfung, Entwicklung
und Menschheitserziehung zu allmählicher Vollendung führenden Heilsabsichten
Gottes zu machen. Denn, wahrlich, es ist kein Volk so verlassen gewesen
von der göttlichen Liebe, daß es nicht zu seiner Zeit heimgesucht worden wäre
von einem großen geistigen Lehrer, der ihm ewige Wahrheitslehren vermittelte:
Confutius, Laotse, Zoroaster, Krischna, Buddha, Moses, Christus Jesus (der
große Meister von Nazareth); Baha’u’lláh und ’Abdu’l-Bahá, sie alle sind Gottesgesandte,
nicht zu gedenken der unzähligen übrigen Propheten und Weisen, die
vom heiligen Geiste bewegt, Gottes Willen verkündeten. Wie ein roter Faden
zieht sich durch die ganze Menschheitsgeschichte die segensreiche Wirksamkeit
dieser erhabenen Weisheitslehrer und ein jeder von Ihnen vermittelte die ihm
gewordene Botschaft Gottes den Menschen in derjenigen Form; die ihrer jeweiligen
Fassungskraft und ihrem Entwicklungsgrade angemessen war. Sie sind es, welche
das Palladium des Geistes zu allen Zeiten hoch hielten und die arme,
verblendete Menschheit, deren überwiegende Mehrheit heute noch nicht das Ewige
vom Vergänglichen zu unterscheiden vermag, vor dem gänzlichen geistigen Ruin,
dem völligen Sichverlieren im Materiellen bewahrt haben.
Denken wir uns einmal alles Sonnen- und Sternenlicht aus der Atmosphäre unserer Erde entfernt, und wir müssen uns sagen, daß mit dem letzten Lichtstrahl auch die letzte Spur vegetativen Lebens aufhören würde, ja, daß unser ganzer Planet nur noch ein erstarrter, eisbedeckter Steinkoloß sein würde. Ebenso wäre es der Menschheit in seelisch-geistiger Beziehung ergangen. Ohne die segensreiche Wirksamkeit der großen Erleuchteten würde sie in zunehmender Gottentfremdung stets kälter und finsterer werden und immer mehr im Materiellen untertauchen, anstatt erleuchteter und edler zu werden und allmählich dem hohen Ziele der Vollendung näher zu kommen.
Es gibt nur einen ruhenden Pol in der Erscheinungen Flucht: den alles belebenden, erhaltenden und vollendenden, alldurchdringenden göttlichen Geist!
Niemand vermag das Wesen der Materie zu definieren. Die Wissenschaft hat uns mit „Kraftwirbeln“ und „Kraftfeldern" bekannt gemacht, mit P-, H- und N-Srahlen, Elektronen, Jonen etc.; ja, sie weist sogar in der durch Zellteilung erfolgenden Vermehrung der Amöben (einzelliger, kleinster Lebewesen), sowie in der schier endlos fortleuchtenden und ausstrahlenden Substanz des Radiums, Kräfte nach, die selbst in der Materie dauernd fortzuwirken scheinen; um wieviel mehr müssen die großen göttlichen Ideen, die geistigen Urtypen alles Erschaffenen, von ewiger Dauer sein! In der Tat sind dieselben nicht nur die geistigen Fundamente des ganzen Universums, sondern auch die Grundlagen aller höheren Erkenntnis; sie lassen sich heute noch in den verschiedensten religiösen Lehren und Bekenntnissen nachweisen. Wir finden sie im Pantheon der Griechen (dessen verschiedene Göttergestalten ursprünglich nur personifizierte Eigenschaften des Einen urewigen Gottes waren); wir erkennen sie wieder in der Philosophie der Inder in den „Amhaspends" der Parsen, in der ägyptischen Götterlehre, in der Kabbalah (der geheimen Ueberlieferung) der Hebräer, im Alten und Neuen Testament etc.
Während des ganzen Altertums, bis zum Beginn der christlichen Aera, hielten
die Mysterienschulen diese Lehren hoch; sie waren Jahrhunderte hindurch Alleingut
der Eingeweihten, indes die Völker noch der Vielgötterei huldigten. Als
Grundlage aller geistigen Erkenntnis ist die Lehre von der zehnfachen Offenbarung
Gottes, wie sie uns die Kabbalah in wunderbarer Klarheit, im höchsten
Lichte der göttlichen Urideen (der zehn „Sephiroth") bietet, anzusprechen. Aus
den höchsten drei Offenbarungsformen des aus der ewig verborgenen Quelle
hervorströmenden Lichtes, hat das Christentum den Begriff der göttlichen
„Dreieinigkeit“ abgeleitet; (die Inder nennen
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diese Uroffenbarungen Gottes: Brahma, Vishnu und Shiva: 1. Gott den Schöpfer,
den alles durchdringenden Geist oder die „Allliebe“; 2. das ewig schaffende, im
ganzen Universum zum Ausdruck gelangende „Gotteswort" oder den Logos der
Griechen, und 3. den im sichtbaren All-wirkenden, allen Welten und Wesen Existenz, Daseinsbedingungen und Intelligenz verleihenden „Heiligen Geist", während die sieben konstituierenden Kräfte die Kosmokratoren oder Dyan Chohans
der Inder oder die sieben (bereits erwähnten) „Amhaspends“
der alten Perser darstellen. Der, jeder höheren Erleuchtung barer,
an althergebrachten Lehren hängende Sinn der großen Masse,
die sich auch heute noch nicht weiter als bis zum „blinden Glauben",
dem verstandesmäßigen „Fürwahrhaltens“ heiliger Ueberlieferungen
aufzuschwingen vermag, war von jeher eine unversiegbare Quelle schwer
zu überwindender Hindernisse und unsagbarer Leiden für alle
gottbegnadeten Weisen, Propheten und Großen Eingeweihten (= die Manifestationen
Gottes), welche berufen waren, neue Lehren (dem kulturellen Fortschritt
der Völker entsprechend), den alten hinzuzufügen, um so den geistigen Horizont
der Menschheit stets mehr und mehr zu erweitern. Viele Propheten des „Alten
Bundes" wurden von den Israeliten gesteinigt, Sokrates mußte den Schierlingsbecher
trinken, und Jesus, der Chrestos, = der Gesalbte, auf dem der Geist Gottes
ruhte, mußte den Kreuzestod sterben, weil er die „mittleren Mysterien“, nämlich den
Weg zu Gott durch innere, geistige Entwickelung und völlige Loslösung von
Materiellem (= vollkommenen Triumph des Geistes) durch Sein Leben und schließlich
durch Sein Sterben am Kreuze, der Menschheit offenbarte. Unzählige Märtyrer folgten
Ihm nach (man denke nur an die „lebenden Fackeln" des Nero) und dennoch hat die
Liebe Gottes in Baha’u’lláh und 'Abdu'l-Bahá wiederum Große Erleuchtete
Manifestationen Gottes zur Erde gesandt, um die im Materialismus versinkenden
Menschen zu lichten Höhen zu leiten; wieder zeigen Blutspuren den Weg an, auf
dem die Menschheit vorwärtsschreitet; aber wie sehr auch
der Unverstand der Irrenden wüten mag, die göttlichen Ideen müssen doch den
Sieg davontragen, und einst kommt die Stunde, in der alle Menschen sich als die
Kinder eines Vaters, die Wellen eines Meeres, die Aeste eines Baumes erkennen werden!
Was zeigt uns die Entwicklung der Bahai-Bewegung in Deutschland.
Vortrag von Frau Plessner-Berlin:
„Die Sache ist groß! Groß! und das Königreich Gottes umspannt Himmel und Erde.“
Sie erfüllt unser ganzes Denken und Sein. Von dem ersten Augenblick an, als wir mit ihr bekannt wurden, waren wir von ihrer Größe und Herrlichkeit überwältigt. Je tiefer wir eindringen in ihre Geheimnisse, desto mehr wächst unsere Erkenntnis von ihrer Gewalt und Größe und wachsen wir mit ihr. Wie ist es nun zu erklären, daß wir trotz unserer Begeisterung nicht alle Menschen, die mit uns in Berührung kommen, hinreißen zu gleichem Gefühl? Sicher ist die Unzulänglichkeit unseres Wesens und die Dürftigkeit unserer Sprache wohl der erste Grund, daß wir nicht alle Menschen, die von der Heiligen Sache durch uns erfahren, zu begeisterten Anhängern machen. Aber auch außer uns liegen die Gründe. Ich habe Gegner verschiedener Art kennen gelernt. Die einen, begeistert von der Idee des Weltfriedens, lehnen doch die Bahai-Lehre als religiöse Offenbarung ab, weil sie, wie sie sagen, irreligiös seien oder kein „metaphysisches Bedürfnis" haben.
Diese Gegner kann ich, wenn sie Geduld genug haben, mir zuzuhören, von der mangelnden Tiefe ihres Denkens überzeugen. Wenn ich Ihnen die Worte Gott, Religion, Seligkeit in ihrer wahren Bedeutung zeige und ihren tiefen Sinn ihnen entschleiere, dann nehmen diese Worte ein neues Gesicht für sie an und erfüllen sich auch für sie mit lebendiger Kraft. So geführt, fangen sie an, die Worte Goethes aus dem Faust zu begreifen:
Wer darf ihn nennen?
Und wer bekennen:
Ich glaub ihn?
Wer empfinden
Und sich unterwinden
Zu sagen: ich glaub ihn nicht?
Der Allumfasser,
Der Allerhalter,
Faßt und erhält er nicht
Dich, mich, sich selbst?
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Wölbt sich der Himmel nicht da droben?
Liegt die Erde nicht hierunten fest?
Und steigen freundlich blickend
Ewige Sterne nicht herauf?
Schau ich nicht Aug ins Auge dir,
Und drängt nicht alles
Nach Haupt und Herzen dir
Und webt in ewigem Geheimnis
Unsichtbar sichtbar neben dir?
Erfüll dein Herz, so groß es ist,
Und wenn du ganz in dem Gefühle selig bist,
Nenn es dann, wie du willst,
Nenn’s Glück! Herz! Liebe! Gott!
Ich habe keinen Namen
Dafür! Gefühl ist alles;
Name ist Schall und Rauch,
Umnebelnd Himmelsglut.
Und wenn sie sich nicht hartnäckig und verbittert besserer Erkenntnis verschließen,
dann beginnen sie — zwar erst mit tastenden Schritten — das Heilige Gebiet
wieder zu betreten, zu dem sie sich durch Mißverstehen und falsche Schlüsse
die Wege versperrt hatten. Aus ihnen werden die treuesten Anhänger der
Bahai-Lehre, die nicht genug danken können für das Glück, durch die Heilige
Botschaft aus der Enge, Armut und Dürftigkeit ihres früheren Lebens hinausgeführt
zu sein in das Königreich Abhá’s.
Unter den sogenannten Religiösen finden sich diejenigen Gegner, die garnicht oder nur schwer von der Herrlichkeit der Bahai-Lehre zu überzeugen sind. Einerlei, ob sie Juden oder Christen sind, fürchten sie, ihrer Religion drohe Gefahr, und verschließen sich hartnäckig besserer Einsicht. Ihnen muß man all die herrlichen Worte ’Abdu’l-Bahás über Mose und Christus sagen und ihnen die Wahrheit zum Bewußtsein bringen, daß alle Religionen, in ihrem tiefsten Wesen erkannt und erlebt, zur Gotteskindschaft führen und so zu der Menschen-Verbrüderung, welche die Religion der Bahai fordert. Sie zu tiefer und weiter Auffassung ihrer Religion hinzuführen, ist unsere Aufgabe. Mit zartestem Verständnis für ihr religiöses Denken und Empfinden müssen wir sie allmählich dahin bringen, die Worte der Bibel in der tiefen Bedeutung zu erfassen, wie unsere Göttlichen Meister es lehren.
Mit dem Anerkennen der Lehren ist der erste Schritt getan — aber weit ist der Weg, bis wir wahre Anhänger unserer Geliebten Meister sind. „In das Königreich einzutreten ist leicht — aber treu und standhaft zu bleiben ist schwer.“ Vor allem sind es zwei Forderungen, die jeder erfüllen muß, der zu seinem Glück und zur Freude der andern der Bahai-Gemeinschaft angehören will: Er muß von sich alles verlangen und muß den andern für alles dankbar sein, für den kleinsten Dienst in der Heiligen Sache — er darf mit sich niemals zufrieden, mit den andern muß er immer zufrieden sein.
Er muß bedenken: die Einigung der Menschen, für die unsere Göttlichen Meister und ihre edlen Jünger so Unaussprechliches gelitten haben, hängt davon ab, daß in kleinen, überfüllten Kreisen der Beweis erbracht wird, daß himmlische Begeisterung und glühende Liebe imstande sind, verschiedenartigste Menschen zu friedlichem, glücklichem Leben zu vereinigen. „Die Ursache der Eintracht und Harmonie unter den Menschen zu werden" — ist höchstes Gebot. Wir können es nur erfüllen, wenn wir mit dankbaren und liebenden Augen das Streben des andern, der Sache zu dienen, erkennen.
Mit liebender Geduld einander tragen und fördern: Das bedeutet unser Glück und das Glück unserer Gemeinschaft. Dann wird die Erde wahrhaft ein Garten und Paradies werden, wie unser Geliebter Meister es uns verheißt.
Bahailehre und Studententum.
Fräulein Adelheid Jäger: stud. med.
“Wenn wir die Lehre Baha’u’lláhs studieren, so fällt uns zweierlei in die Augen: das eine, daß Baha’u’lláh in seinem Buche der Gesetze befiehlt:
Gleiche Rechte, sowohl für Mann wie Frau.
Gleiche Schulung für beide Teile!
Wohl hat Baha’u’lláh die Arbeit, welche die Gelehrten bisher geleistet, anerkannt,
hat aber hinzugefügt, daß alle Zweige der Wissenschaft noch in den Kinderschuhen
stecken. Damit sie aber nicht noch generationenlang in diesem kindlichen
Gebahren seien, hat er in Tablets die Menschen gelehrt, warum ihre
Wissenschaften nicht über die Kinderzeitreife hinausgekommen sind. Er hat uns
Perspektiven erschlossen, von einer Höhe, von einer Größe, von einer Weite, daß,
wenn alle Gelehrten der Welt sich anschicken würden, die Worte Baha’u’lláhs
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in Tat sichtbar zu verwandeln, die Welt binnen kurzem in einen feineren, harmonischeren
Gang gebracht wäre.
Ein großes Versehen ist der Wissenschaft bisher unterlaufen. Sie hat die Realitäten der sichtbaren Schöpfung für wichtiger genommen, denn die Realitäten, die wir uns noch nicht sichtbar gemacht haben. Und das wird die Arbeit aller Gelehrten und Studierenden sein, sich mit den Realitäten, die bestimmender sind, trotz ihrer Unsichtbarkeit bisher zu befassen, daß diese Realitäten erforscht und im Sichtbaren ausgebaut werden. Darum allen Gelehrten, allen Studierenden den Zuruf:
Forschet und suchet und studieret in den Büchern, in den Worten, in den Tablets von Baha’u’lláh und jeder wird befähigt werden, die Welt schöner zu gestalten!
Die Sackgasse des intellektuellen Forschens muß durchstoßen werden! Das Intellektuelle muß das Spirituelle als oberes Gesetz anerkennen! Umlernen und exakter lernen und beharrlicher werden im Verfolgen eines heiligen Einfalls ist allen, welche sich zur Lehre bekennen zur Pflicht gemacht.
Wir freuen uns, daß unsre Akademien uns das funktionelle Zusammengreifen der sichtbaren Organe und Glieder erklären, denn durch die Lehre Baha’u’lláhs lernen wir verstehen, was die Glieder belebt und bewegt. Die beiden Wissenschaften zusammen, die spirituelle-intellektuelle ergeben das Ganze, das die Schöpfung in Wahrheit ist und die chaotischen Verstümmelungen und nutzlosen Hilfeleistungen werden bald, so bald verschwinden, als ernste Gelehrte, ernst zu nehmende Denker sich mit der heiligen Lehre Baha’u’lláhs befassen und vertraut machen. Wir Glieder der Akademie wünschen unseren oberen Führern und Lehrern spirituelles Wissen, und wir danken ihnen für die Unterstützung, die sie uns im intellektuellen Begreifen gewähren. Wir rufen darum den Herren Gelehrten, sowie den Studierenden zu:
Im Forschen nach Wahrheit muß sie uns einmal begegnen in der Sonne Baha’u’lláh.
Um 8 Uhr abends spielte Herr Otto Stübler zur Einführung des öffentlichen Vortrags das Adagio aus „Violinkonzert“ von Max Bruch, am Klavier begleitet von Musikdirektor G. A. Nack. Hierauf hielt Herr Dr. Adalbert Mühlschlegel folgenden Vortrag:
Baha’u’lláh, Deutschland und der heutige Mensch.
Liebe Geschwister in dem Einen Vater!
Aufs neue ist im Osten die Sonne aufgegangen. Ein neuer Gottgesandter ist erschienen: Baha’u’lláh, d. h. die Herrlichkeit Gottes.
Unendlich ist Seine Größe und Seine Bedeutung und noch lange nicht können wir Ihn verstehen. Vermessenheit wäre es heute zu behaupten: ich verstehe Baha’u’lláh. Seine wahre und letzte Bedeutung zu erfassen, sind wir außerstande. Sie reicht in Sphären, die unserer geringen Fassungskraft nicht mehr zugänglich sind. Aber schon das Wenige, das wir kleinen Geschöpfe durch Ihn und in Ihm zu erleben vermögen, ist gewaltig und bringt neues Licht und neues Leben in diese arge Welt.
Ich glaube, wir können dem Wesen Seiner Sendung am nächsten kommen, wenn wir vom Menschen und seiner Entwicklung auszugehen versuchen.
Forschen wir zurück in die Vergangenheit, so sehen wir, daß die genaue Wissenschaft der Geschichte nur wenige Jahrtausende weit reicht. Die Anthropologie zeigt uns dazu, wie vor grauen Zeiten primitivere Menschen gelebt haben müssen. Und zu beiden nicht in Widerspruch, sondern, tiefer erfaßt, in Ergänzung tritt, was die Heiligen Schriften aller Völker und Kulturen uns lehren. Sie künden, jede in ihrer Sprache, wie weit, weit zurück einstens ein goldenes Zeitalter auf Erden geblüht hat. Menschen lebten da, schlicht, einfach, den Kindern gleich. Sie hatten, was sie brauchten mühelos in Fülle.
Warum dies? Weil sie kindlich rein waren und nichts aus ihrer menschlichen Persönlichkeit heraus sich dem entgegenstemmt, was das Göttliche in ihrem Herzen ihnen befahl. Der göttliche Geist war in ihnen Regent, und wie im Kinde war auch ihre Seele rein von menschlichem Eigenwillen, rein von der Ueberklugheit des menschlichen Verstandes, rein von Leidenschaften und Begierde, rein von Gram und Sorge. Und weil der Geist allein der Herrscher war, so geschah alles mühelos, war alles Wonne und Glück.
Aber eisern gehen die Gesetze ihren Gang. Der menschliche Intellekt
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entwickelte sich immer mehr, denn Erfahrung auf Erfahrung prägte sich ihm ein
im Laufe der Geschlechter. Und wir können uns darin einfühlen, wie reizvoll es
ist, dem sich neu Entwickelnden nachzugehen und wie groß die Gefahr dabei ist,
daß dieses Zweite, dieses Gewordene, was sich erst dazu entwickelt hat, mehr
und mehr allein maßgebend werden will. Wir sehen all dies auch an der Entwicklung
des Einzelmenschen. Denn das biogenetische Grundgesetz: die Entwicklung des
Einzelwesens stellt eine abgekürzte Entwicklung der Art dar, — gilt ebenso
auch für das Seelische wie für das Körperliche. Der heranreifende Mensch
gerät von seinem kindlich reinen Zustand hinweg in ein Meer von Versuchungen
und immer wieder und wieder folgt er nur seinem Verstande, seinem Eigenwillen,
seinen Trieben und nicht jener leise mahnenden Stimme in ihm.
Auch die Pflanze zeigt uns das Gleiche im Bilde. Solang sie noch im ersten Werden ist, solange ihre Formen noch einfach sind, strömt der belebende Saft von der Wurzel her ungestört in ihre fernsten Teile. Wenn sie aber einmal entwickelter und komplizierter geworden ist, dann tritt da und dort manchmal eine Stockung ein und dieser oder jener Zweig hat seine Verbindung mit dem nährenden Stamm verloren; er entbehrt den alles durchströmenden Saft und wird dürr und fruchtlos und geht den Weg des Vergänglichen.
Aehnlich war es auch bei jenen Menschen einstens. Die Schlange, der niedere Verstand, der den Kopf dem Lichte entgegenstreckt, aber kriechend ewig der Erde verhaftet ist, die Schlange erhob ihre Stimme und dieser Stimme gehorchte der Mensch mehr als der göttlichen in ihm. Da geschah der große Riß, da ward der Ur-Sprung aller heutigen Zustände. Wie ein Schlag in ein klares stilles Wasser die Oberfläche aufwühlt und das Spiegelbild verschwinden läßt, so verschwamm und verschwand mit einem Male das reine Bild Gottes, das reine Gotterleben im Herzen des Menschen. Und wie der Schlag auf dem Wasserspiegel in Wellen Ring um Ringe zeugt, so müssen sich nach ewigen Gesetzen die Folgen dieses Bruches auswirken bis zum Letzten. Daran kann kein Gott etwas ändern; denn der Schöpfer selbst ist das Gesetz, das die Welt im Innersten zusammenhält, und Er kann sich nicht widersprechen, Er kann sich nicht verleugnen.
Die Folgen dieses Falles war die Erbsünde, die Erlösung der Menschheit von der Erbsünde ist das Eine, was nottut.
Und ein zweites, ewiges Gesetz ist dieses: Wo ein Ding gebunden ist, da muß es gelöst werden. Auf Erden ist es einst geschehen, auf Erden muß es auch gelöst, erlöst werden.
Darum mußten, von der göttlichen Barmherzigkeit entsandt, die großen Propheten von ihrer hohen Warte herabsteigen in das Fleisch hinein, um im Fleische selbst den fleischlichen Sinnen das Göttliche erlebbar werden zu lassen, sodaß auch die Blinden die Herrlichkeit Gottes, verkörpert in Seinen Entsandten, sehen und auch die Tauben seinen Mahnruf hören konnten und erwachten und den Weg fanden zu ihrer Erlösung.
Doch weit ist dieser Weg, und es bedarf viel Kraft und Licht, ihn zu gehen. Kraft gibt die Liebe und Sehnsucht nach dem Göttlichen ; Licht aber geben uns die Heiligen Lehren. „Erkenne dich selbst!“ lehrte ein alter Meister der Griechen. Selbsterkenntnis tut uns darum vor allem not. Denn wie soll der Mensch seinen Weg finden, ehe er nicht weiß, wer er ist?"
Dreifach ist der Mensch: Götttlicher Geist, Seele und Körper. Nicht zweifach nur, wie oft die landläufige Meinung ist: Seele und Körper. Dreifach ist er und dreifach wirkt sich auch das Erscheinen eines Gottgesandten in der Menschheit aus:
Auf der göttlichen Ebene ist es der Heilige Geist, der in solchen Zeiten mit Macht das Land durchbraust, und allen, die sich ihm öffnen und ihn anzuziehen vermögen, denen wird in solchen Zeiten Unendliches gegeben.
Im Seelischen wirken die Lehren, die lebendigen Worte. Lebendig, denn sie sind aus göttlichem Feuer geboren, und dieses Feuer leuchtet in ihnen weiter ewig neuschöpferisch.
Im Körperlich-Materiellen tritt es zutage, in den religiösen Verordnungen und Gesetzen hier auf Erden das Leben in Gott gestalten zu helfen.
Die Sonne ist ewig die gleiche; doch, wie sie sich auswirkt in ihren Segnungen,
das ist verschieden je nach dem Ding, auf das ihr Segen sich ergießt. Und so
haben auch die Gottgesandten in ganz
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verschiedener Weise auf Erden ihre Sendung erfüllt. Sie gaben es nach dem, wie
es verfaßt werden konnte, was für Menschen und Verhältnisse sie antrafen, und
vermessen wäre es, aus der Form, wie sie es gaben, auf die Größe und Möglichkeit
dessen zu schließen, was sie hätten geben können, wenn sie größere und reinere
Menschen angetroffen hätten.
Betrachten wir die Bibel: Moses traf ein Völkchen an, das zwar große Möglichkeiten hatte, aber damals unterdrückt und verwahrlost war. Er mußte es zuerst körperlich, materiell und moralisch erziehen, mußte ihm Gebote bringen: „Du sollst nicht...“, mußte es lehren an einen Gott zu glauben und diesem Gotte zu gehorchen. Unendlich mehr hätte er geben können, doch wieviele hätten dies damals erfaßt?
Christus konnte in dem, wie er es gab, auf Moses aufbauen. Er brauchte nicht nur zu lehren an einen Gott zu glauben, Er konnte verkünden, wie man Ihn in sich erlebt. „Der Vater in mir und ich in Ihm...“ Er konnte von der Erlösung und von der Wiedergeburt sprechen, der Wiedergeburt zu einem neuen Sein. So hat Christus Moses nicht widersprochen, sondern ihn erfüllt, wie er ja gesagt hat: „Ich bin nicht gekommen, aufzulösen, sondern zu erfüllen.“
Aber die Menschen haben auch ihn nur wenig verstanden und fast nie aus ihm gelebt. Wieviele Wiedergeborene und Erlöste gibt es heute in der Christenheit? Der landläufige Glaube verlegt die verheißene Erlösung und Seligkeit in unser Dasein nach dem Erdenleben, während doch jeder Mensch dazu berufen ist, hier auf Erden, im Fleische als ein Erlöster zu wandeln, um am Ende seines irdischen Lebens den Körper abzulegen wie ein Gewand und aus der Welt zu gehen, wie geschrieben steht, „ohne den Tod zu schmecken.“
So sehr war das Abendland auch nach Christus’ Zeit von der allumfassenden Einheit der göttlichen Wahrheit entfernt, daß es in Muhammad etwas Gegensätzliches erblickte. Und dabei gab dieser doch das gleiche Eine, Göttliche, nur in anderen Worten und Formen, nach der Fassungskraft und den Verhältnissen der Völker, unter denen er erschienen. So haben die beiden Religionen blutig sich bekämpft, so haben die Menschen aus einem Geschenk, das wundervolle Ergänzung hätte sein sollen, Gegensatz, Haß und Elend gemacht.
Einstweilen hat sich die Menschheit weiterentwickelt. Sie gleicht nicht mehr einem Kinde oder Jünglinge, sondern einem erwachsenen Manne, der in der reifen Fülle seines Seelenlebens nach Geschlossenheit und Klarheit strebt. Die alten Kirchen können seinen Durst nicht stillen, die alten Einrichtungen sind erstarrt, die immer wieder neu auftauchenden Bewegungen sind mit Menschlichem vermischt und vermögen darum selten im Letzten zu befriedigen. Glauben und Wissen, Kirche und Monismus, Materialismus und Spiritualismus, Nationalismus und Pazifismus und so viele andere Zeitrichtungen stehen als Gegensätzlichkeiten einander gegenüber. Die Menschheit ruht noch nicht gefestigt in der Einheit, wo diese scheinbaren Gegensätzlichkeiten sich in einem Höheren auflösen. Und dieser Zustand ist heute überall auf Erden, wenn auch jeweils wieder in anderer Art. Das göttliche Leben aus der Ewigen Quelle flutet nicht durch die verworrenen Kanäle der Menschheit, allumfassend, allvereinend, allbeglückend, sondern es steht jeweils gesondert als ein Teil da, mit Allzumenschlichem vermischt. Keine heilig rauschenden Ströme, sondern eine Anzahl sorgsam abgefüllte Flaschen, mit Etiketten versehen und verstaubt.
Aber groß ist die Sehnsucht nach dem Ewigen, dem All-Ein, dem Neuschöpferischen in den Herzen der heutigen Menschheit und seit Jahrzehnten schon steigt langsam, doch sieghaft unter den trüben chaotischen Wogen einer sterbenden alten Zeit das Neue empor. Und alle die vielen kleinen Bewegungen von heute, die alte Tafeln zerbrechen und nach Neuem tasten, sie alle sind wie der Schaum auf der einen großen Woge des Geistes der Weltenwende, Baha’u’lláh.
Seine Sendung ist zu erfüllen, was die früheren Gottgesandten vorbereitet,
verkündet und gelehrt hatten. Wie Christus Moses erfüllt und verherrlicht hatte, so
erfüllt und verherrlicht Baha’u’lláh Christus und alle anderen Gottgesandten. Er
ist der Schlußstein des großen Erlösungswerkes seit dem Sündenfall. Er ist die
Spitze der Pyramide, zu der auf den verschiedenen Seiten und Kanten die Völker
emporgestrebt sind. Er ist der
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Verheißene der alten Heiligen Bücher aller Völker und Zeiten. Finsternis herrscht
überall, wo noch nicht die Frohe Botschaft der Erlösung aufgeleuchtet ist.
Darum sprach Christus: „Ich bin das Licht der Welt.“ Baha’u’lláh aber ist
der Tag, der jetzt im ersten Morgendämmern aufblitzt. Und wie dem Tage
das Licht als selbstverständlich, wesenhaft und allgegenwärtig innewohnt, so
wird im heranbrechenden Zeitalter Baha’u’lláh gelebte Wirklichkeit, was von
alters her verkündet und beleuchtet war: der Geistmensch, der Gottmensch, in dem
der göttliche Geist Regent ist und nicht ein Stück der so geliebten Persönlichkeit.
Ihn haben alle ersehnt und geschaut, die in den letzten Jahrzehnten auf Erden in
dem gewaltigen Strahlenkegel Baha’u’lláh gestanden: Nietzsche hat vom
Uebermenschen gesungen, Dostojewskji hat nach ihm gerungen, Tolstoj hat seine
Auferstehung verkündet. Und heute ergreift ein immer machtvolleres Sehnen
die Menschheit, denn wie der Frühling ist der Heilige Geist ins Land gezogen. Der
Schläfer reibt sich die Augen und, wenn er auch im Trotz die Läden verschlossen
läßt, die Sonne geht dennoch auf. Selbst die Kartoffeln keimen im Keller, wenn
der Lenz ins Land kommt. Denn keine Mauer, keine Schranke kann den Strom
des ewigen Lebens zurückdämmen. Heißt es ja: „Ich will meinen Geist
ausgießen über alles Fleisch.“
Aber noch weit, sehr weit ist der Weg, bis das Goldene Zeitalter durch den Neuen Menschen Wirklichkeit geworden ist. Der heutige Mensch gleicht einem zerrütteten Reiche: Der Monarch ist eingesperrt im hintersten Gefängnis. Auf dem heiligen Throne tummeln und bekämpfen sich der Minister Verstand, der General Wille und so manche kleineren Größen. Jeder will allein der Mächtigste sein. Wären sie aber alle in Einigkeit zusammen und würden sie in Demut Dem sich beugen, Dem sie zu gehorchen haben, so würde das Reich blühen und jeder wäre an seinem Platze glücklicher und mächtiger denn so.
Aber freilich, oft wissen wir nicht, wem wir zu gehorchen haben, welche der beiden Stimmen in uns die des Vaters ist. Darum müssen wir den Menschen, wie er erschaffen ist, verstehen lernen. ’Abdu’l-Bahá hat uns darüber Aufschluß gegeben. Wie sich das Licht in vielen Farben bricht, so wirkt und webt der Weltgeist in fünf Aspekten: Pflanzengeist, Tiergeist, menschlicher Geist, göttlicher Geist, heiliger Geist. Alle diese fünf Aspekte des Geistes kommen im Menschen zum Ausdruck. Je nach dem, welcher der Herrscher im Menschen ist, auf dementsprechender Stufe steht dieser Mensch.
Der Mensch, der noch vom Tiergeist beherrscht wird, ist der tierische Mensch. Seine Sphäre ist die der fünf körperlichen Sinne: Gesicht, Gehör, Geruch, Geschmack, Gefühl. Wie sie reagieren, so handelt er, so ist er gesinnt. Wie er gefrühstückt hat, so ist er gelaunt. Er lebt nicht dem Größeren, zu dem er berufen ist.
Eine Stufe höher steht der Vernunftsmensch. In ihm ist nicht der Tiergeist Herrscher, sondern der menschliche Geist. Dessen Sphäre ist die der fünf geistigen Sinne: Vorstellungskraft, Gedankenmacht, Fassungskraft, Erinnerungsvermögen und Vermittlungssinn. Viel vermag die menschliche Vernunft, wieviel, ist kaum in wenigen Worten zu sagen. Aber so wenig ein Tier sich vernunftgemäß die Erdkugel oder das Himmelsgewölbe vorstellen kann, so wenig vermag die Vernunft das Höhere, das Göttliche zu erfassen; denn das liegt in anderer Sphäre. Die Menschheit von heute aber überschätzt noch den Verstand, weil sie die halbe Schöpfung, das dem Verstand Erfaßbare, für die ganze Schöpfung nimmt. Und kommt eine reine göttliche Offenbarung zu ihnen, so hören sie nicht oder lassen sich verwirren. Darum ist auch gesagt: „Ich preise dich, Vater, daß Du solches den Weisen und Klugen verborgen hast.“ So ist der Verstand für die heutige Menschheit das größte Hindernis auf ihrem Wege zu Gott, der Verstand, der demütiger Diener seines göttlichen Herrn sein sollte. Denn was der Verstand allein schafft, liegt immer nur in seiner eigenen Sphäre: oft sind es großartige Systeme und neue Entdeckungen, allzuoft aber nur enge Sackgassen, und nie das Eine, Letzte, was nottut: Erlösung. Denn, „was vom Fleische geboren wird, das ist Fleisch, und was vom Geiste geboren wird, das ist Geist.“ Wir aber haben Geburtshelfer der Neuen Zeit zu sein.
Doch dazu ist nötig, daß der Göttliche Geist in uns wirken kann; denn „das
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Himmelreich kommt nicht mit äußeren Gebärden," es ist inwendig in uns. Als
leise, mahnende Stimme, als Gewissen tut es sich fast allen kund. Aber bei wenigen
heute ist es feste Gewißheit, für die sie ihr Alles hinzugeben bereit sind. Dieses
Göttliche spricht durch das Herz; es soll sein reiner Spiegel sein. Das erste der
Verborgenen Worte lautet: „O Sohn des Geistes! Mein erster Rat ist dies: besitze
ein reines, gütiges und strahlendes Herz, auf daß dein sein möge eine Herrschaft,
himmlisch, allheilig, unvergänglich und ewig während.“
Wenn wir all dies überblicken, so fühlen wir voll Ehrfurcht, welche Gnade darin ruht, in dieser großen Zeit zu leben. — Und welche Verantwortung! Denn ein Tag von heute ist in seiner Bedeutung einem Jahre gleich aus früheren Zeiten, die nicht so begnadet sind. Und wir fühlen, unser deutsches Vaterland hat darin eine besondere Sendung. Wohin wir im Weltall schauen; alle Bewegung ruht in dem Rhythmus der Polarität. Mit beiden Beinen abwechselnd schreiten wir vorwärts. Im Ein- und Ausatmen sind wir in Verbindung mit dem belebenden Element. In Flut und Ebbe durchströmt das Blut unseren Körper. Mann und Weib zusammen schaffen das neue Geschlecht. So ist es auch in der Menschheit im Großen: Im Osten steigt die Sonne zum Himmel empor, der Osten ist groß im weltabgewandten Empfangen des Geistes. Im Westen neigt sich die Sonne der Erde zu, der Westen ist stark im Gestalten des Empfangenen.
In keinem Volke sind beide Fähigkeiten so vereint wie im deutschen. Es ist tief und innerlich im Erleben und treu und gewissenhaft im Gestalten. Darum ist es als erstes berufen, zwischen Ost und West zu vermitteln und beide in höherer Einheit zu vereinen. Aber es schläft heute noch. Seine guten Kräfte bekämpfen sich in seiner Brust noch als Gegensätze. Jahrhundertelanger Leiden und Enttäusschungen hatte es bedurft, bis das deutsche Volk dieser Stunde entgegenreifte.
Nun ist sie da. Aufs Neue ist die Sonne im Osten aufgegangen. Der siebente Tag zieht herauf.
Erwachet! o erwachet!
Bis tief in den Abend hinein blieben die Freunde beisammen, glücklich sich im Dienst der großen heiligen Sache gefunden zu haben.
Montag, den 22. September trafen sich die Baháis in der Bahái-Bibliothek auf der Wagenburg zu geselligem Beisammensein und verbrachten einige Stunden vereint in reinster Harmonie und Liebe Es wurden Gespräche ’Abdu’l-Bahás in Haifa verlesen und herzliche Aussprache ausgetauscht.
Dieser Bahái-Kongreß wird in lebhafter Erinnerung der Teilnehmer bleiben,
Es war, als ob eine Ausgießung des belebenden Odem Gottes die Bahái in Deutschland zu neuem freudigen Schaffen im Dienst des Allmächtigen begnadet hätte.
Liebste Freunde!
Der Tag naht heran, an dem wir auf der ganzen Welt zum drittenmal den Hingang unseres so heiß geliebten ’Abdu’l-Bahá betrauern. Wollen wir da nicht einen Augenblick in uns blicken und unsere Gedanken sammeln? Wie ist es mit uns, Seinem kleinen Kreis von Anhängern seit jenem Tage bestellt? Wohin richtet sich jetzt unser Weg, und was haben wir seitdem erreicht?
Wir haben nur unser Auge auf die Welt zu richten, ohne auf den Haß und das
Ausmaß der Kräfte der Finsternis zu blicken, die mit dem heraufziehenden
Licht der Bahái-Offenbarung kämpfen. Die Nationen, die erschöpft und ernüchtert
sind, tragen sich offenbar wieder mit dem Geist der Wiedervergeltung, der
Oberherrschaft und dem Krieg. Menschen, die durch wirtschaftliche Umwälzungen
erschüttert sind, treten langsam in zwei große sich gegenüberstehende
Lager mit allen ihnen zu Gebote stehenden Mitteln der sozialen Wirren, des
Klassenhasses und dem weltumfassenden Untergang. Die heute sich mehr denn je
entfremdenden Rassen sind voll von Mißtrauen, Demütigung und Furcht und
scheinen sich zu einem neuen und schicksalsschweren Zusammenstoß
vorzubereiten. Glaubensrichtungen geraten in diesen Strudel der Konflikte und
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Leidenschaften und scheinen mit Ohnmacht und
Verzweiflung auf dieses Schauspiel endloser Unruhen zu blicken.
Dies ist der Zustand, in dem sich die Menschheit befindet, drei Jahre nach dem Heimgang Dessen, Der unaufhörlich die Botschaft einer nahen, gewiß bevorstehenden göttlichen Errettung verkündete. Bereiten wir durch unsere Gedanken, unsere Worte, durch unser Tun als Einzelner und in der Gesamtheit den Weg hierfür? Beschleunigen wir das Gelingen, des so oft vorausgesagten Tages? Es ist nicht zu leugnen, daß das Feuer des Glaubens und der Liebe, die Seine machtvolle Hand in vielen Herzen entzündete, trotz unserer Verwaisung dauernd gleich hell und gleich stark wie je zuvor brennt. Wer kann in Frage stellen, daß die von Ihm Geliebten, sowohl im Osten, als im Westen, trotz der verräterischen Bemühungen der Feinde der heiligen Lehre, einen unerschütterlichen Geist der Treue aufweisen, der des hohen Lobes wert ist? Können Freunde größere Standhaftigkeit und Festigkeit aufweisen, als Seine zuverlässigen und erprobten Freunde es taten, angesichts der ungezählten Schwierigkeiten, der unduldsamen Unterdrückungen und der unglaublichen Einschränkungen? Ein solcher unerschütterlicher Glaube, eine so reine Liebe, solche wundervolle Treue, eine so heldenhafte Beharrlichkeit und so edler Mut, jedenfalls beispielslos und lobenswert an sich, können uns jedoch nicht allein zum endlichen und vollen Sieg einer so großen Sache führen. Nicht eher als bis die dynamische Liebe, die wir für Ihn haben, voll und ganz in aller Macht und Reinheit, in allem unserem Handeln gegen unsere Mitmenschen, seien sie auch fernstehend und einfachen Gemüts wiederspiegelt, dürfen wir hoffen, in den Augen der eigennützigen Welt die Wahrhaftigkeit der alles besiegenden Liebe Gottes zu erhöhen. Nicht eher, als bis wir selbst das Leben eines echten Bahai vorleben, dürfen wir erwarten, die schöpferische und umwandlungsfähige Macht des Glaubens, den wir lehren, zu beweisen. Nur allein die Fülle unserer Handlungen, nur allein die Reinheit unseres Lebens, und die Unverletzlichkeit unseres Charakters kann letzten Endes den Anspruch erheben, daß der Bahai-Geist in diesen Tagen die einzige Vermittlung ist, die ein langersehntes Ideal zu einer dauernden Ausführung bringen kann. Mit dieser Aussicht, die uns klar vor Augen liegt, und gestärkt durch die Gewißheit der gnadenreichen Hilfe Baha’u’lláhs und den wiederholten Versicherungen ’Abdu’l-Bahás laßt uns erst ein solches Leben führen und uns dann mit einem Herz, einem Geist, einer Stimme erheben, um unsere Zahl zu mehren und unser Ziel zu erreichen.
Erinnern wir uns an diesem Tag der Trauer an den Trost, den unser dahingegangener, doch immer wachsamer Meister in Seinem Testament uns gibt:
„Es ziemt sich nicht für die Bahais, einen Augenblick zu rasten, noch Ruhe zu
suchen. Die Gläubigen müssen sich in allen Landen zerstreuen, jedes Klima
durchziehen und in alle Länder reisen, ohne Rast und Ruhe und standhaft bis
zum Ende sein. In jedem Land müssen sie den triumphierenden Ruf „Ya Bahá’i’l-Abhá (O Du Glorreichster der Glorreichen) erschallen lassen! — Die Jünger Christi vergaßen
sich selbst und alles um sie, sie verließen alle ihre Beschäftigung
und ihren Besitz, sie entsagten aller Eigensucht und Leidenschaft und zogen in
völliger Loslösung in die Ferne und riefen die Weltmenschen zur göttlichen
Führung, bis sie schließlich die Welt zu einer anderen machten, die Oberfläche
der Erde erleuchteten und selbst in ihrer letzten Todesstunde sich aufopferten auf
dem Wege des geliebten Gottes. Schließlich erlitten sie in verschiedenen Ländern
einen ruhmreichen Märtyrertod. Laßt die Tatmenschen ihren Fußstapfen nachfolgen!“
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Wenn wir die Bedeutung. dieser Worte erfaßt haben und einen klaren Begriff des wirklichen Wesens unserer Mission, die Art wie wir sie uns zu eigen machen müssen, die Weise zu überzeugen und wenn wir in genügendem Maße die Neubelebung an uns selbst erfahren haben - das wichtigste Erfordernis, um zu lehren — dann müssen wir uns erheben, um die heilige Sache mit Redlichkeit, Ueberzeugung, mit Verständnis und Kraft zu lehren. Dies sei die überragendste und dringlichste Pflicht für jeden Bahai, dies sei die uns beherrschende Leidenschaft in unserem Leben. Laßt uns nach den fernsten Winkeln der Erde ziehen, unsere persönlichen Interessen, unsere Bequemlichkeiten, unsere Geschmacksrichtungen und Vergnügungen opfern, uns unter die verschiedenen Arten der Völker der Welt mischen und uns mit ihren Gepflogenheiten, Ueberlieferungen, ihren Gedanken und Gewohnheiten vertraut machen; erheben wir uns, geben wir Anregung und unterhalten wir die universalen Interessen der Bewegung und bemühen wir uns gleichzeitig mit aller uns zu Gebote stehenden Macht, durch konzentrierte beharrliche Aufmerksamkeit die rückhaltlose Ergebenheit und die tätige Hilfe der hoffnungsvolleren und aufnahmefähigen unserer Hörer zu vermehren. Laßt uns desgleichen das Beispiel unseres geliebten Meisters im Sinn tragen, daß Er uns klar vorgeschrieben hat. Klug und taktvoll in Seiner Annäherung, achtsam und wachsam in Seinen ersten Unterredungen, weit und liberal in allen Seinen öffentlichen Aeußerungen, besonnen und allmählich in der Enthüllung der wesentlichen Wahrheiten der heiligen Lehre, leidenschaftlich mit Seinem Ruf, aber mäßig mit Beweisen, überzeugend im Ton, unerschütterlich in Seiner Glaubenstreue, würdig in Seinem Auftreten, dies waren die besonderen charakteristischen Merkmale in der Vertretung der heiligen Lehre Bahá’u’lláhs durch unseren geliebten Herrn.
Wenn wir alle uns entscheiden, Seinen Weg treu zu gehen, so ist gewiß der Tag nicht fern, an dem unsere geliebte Sache aus der unvermeidlichen Dunkelheit eines jungen und ringenden Glaubens in ein helles Tageslicht weltweiter Erkenntnis übergeht. Dies ist unsere Pflicht, unsere wichtigste Obliegenheit. Hierin liegt das Geheimnis des Erfolges, der Sache, die unserem Herzen so nahe steht. Hierin liegt die Hoffnung, die Errettung der Menschheit. Sind wir uns über unsere Verantwortung völlig klar? Erkennen wir die Dringlichkeit, die Heiligkeit, die ungeheure Größe, die Herrlichkeit unserer Aufgabe?
Ich beschwöre Euch, liebe Freunde, fortzufahren, nein vielmehr Eure Bemühungen zu verdoppeln, Euren Ausblick klar zu erhalten, in neuen Hoffnungen, neuen Entschlüssen unerschütterlich zu sein, damit die Macht Gottes in uns die Welt mit all ihrer Herrlichkeit erfülle.
Dieser inbrünstigen Bitte schließt sich das „Größte heilige Blatt" an. Obgleich sie am Abend ihres Lebens durch die betrübende Stunde der Unterdrückung traurig ist, so wendet sie sich mit größter Sehnsucht ihres Herzens Eurem Land zu, wo Freiheit herrscht, sehnsüchtig erwartend, ehe sie abberufen wird, die Zeichen des universalen Sieges der Sache, die sie so innig liebt, zu vernehmen.
(sig.) Shoghi.
Übers. von Frau A. Schwarz.
Haifa, Palästina, 24. November 1924.
Der Bericht über den Bahai-Kongress in englischer Sprache wird den Lesern der „Sonne der
Wahrheit“ im Ausland als Sonderausgabe der Januarnummer beigefügt. Extrapreis 80 Pfg.
The report of the Bahai-Congress in the Englisch language will be added in a seperate edition to the January number of the “Sun of Truth“. The extra price will be 80 Pfg.
Mitteilung vom Verlag.
Da das Dezemberheft der "Sonne der Wahrheit“ infolge Aufnahme sämtlicher beim letzten Kongreß gehaltenen Referate und Vorträge als Doppelheft erscheinen mußte, ist eine Nachzahlung von 50 Pfg. erforderlich. Wir bitten höflichst, diese mit der nächsten Zahlung entrichten zu wollen. Ferner, um etwaige noch rückständige Bezugsgelder beim Jahresabschluß nicht in die Inventur aufnehmen zu müssen, bitten wir höflichst, solche noch vor 31. Dez. einsenden zu wollen.
Verlag des Deutschen Bahai-Bundes Stuttgart
Fernsprecher S. A. 23996 — — Postscheckkonto 25419 Stuttgart — — Hölderlinstrasse 33
In unserem Verlag sind erschienen:
1. Die Geschichte der Bahai-Bewegung, von S. S. Deutsch von Wilhelm Herrigel. Dritte Ausgabe . . . -.20
2. Bahai-Perlen, Deutsch von Wilhelm Herrigel . . . . -.20
3. Ehe Abraham war, war Ich, v. Thornton Chase. Deutsch v. W.Herrigel . . . . -.10
4. Das heilige Tablet, ein Sendschreiben Baha’o’llahs an die Christenheit. Deutsch von Wilhelm Herrigel . . -.10
5. Die Universale Weltreligion. Ein Blick in die Bahai-Lehre von Alice T, Schwarz . . . . -.50
6. Die Offenbarung Baha’u’llahs, von J.D. Brittingham. Deutsch von Wilhelm. Herrigel . . . -.50
7. Verborgene Worte von Baha o’llah. Deutsch v. A. Braun u. E. Ruoff . . . 1.--
8. Baha’u’llah, Frohe Botschaften, Worte des Paradieses, Tablet Tarasat, Tablet Taschalliat, Tablet Ischrakat. Deutsch von Wilhelm Herrigel, in Halbleinen gebunden . . . 2.--
in feinstem Ganzleinen gebunden . . . . . 2.50
9. Einheitsreligion. Ihre Wirkung auf Staat, Erziehung, Sozialpolitik, Frauenrehte und die einzelne Persönlichkeit, von Dr. jur. H. Dreyfus, Deutsch von Wilhelm Herrigel. Neue Auflage . . . -.50
10. Die Bahaibewegung im allgemeinen und ihre großen Wirkungen in Indien, von Wilhelm Herrigel . . . . -.50
11. Eine Botschaft an die Juden, von Abdul Baha Abbas. Deutsch von Wilhelm Herrigel . . . -.15
12. Abdul Baha Abbas, Ansprachen über die Bahailehre. Deutsch von Wilhelm Herrigel,
in Halbleinen gebunden . . . . . 2.50
in feinstem Ganzleinen gebunden. . . . . 3.--
13. Geschichte und Wahrheitsbeweise der Bahaireligion, von Mirza Abul Fazl. Deutsch von W. Herrigel,
in Halbleinen geb. . . . . 4.--
In Ganzleinen gebunden . . . . 4.50
14. Abdul Baha Abbas’ Leben und Lehren, von Myron H. Phelps.
Deutsch von Wilhelm Herrigel, in Ganzleinen gebunden . . . . 3.50
15. Das Hinscheiden Abdul Bahas, ("The Passing of Abdul Baha") Deutsch von Alice T. Schwarz . . . -.50
16. Das neue Zeitalter von Ch. M. Remey. "Deutsch von Wilhelm Herrigel —.50
17. Die soziale Frage und ihre Lösung im Sinne der Bahailehre von Dr. Hermann Grossmann . . —.20
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Druck: Wilhelm Heppeler, Stuttgart.
Geschichte und Bedeutung der Bahailehre.
Die Bahai-Bewegung tritt vor allem ein für die „Universale Religion" und den „Universalen Frieden“ — die Hoffnung aller Zeitalter. Sie zeigt den Weg und die Mittel, die zur Einigung der Menschheit unter dem hohen Banner der Liebe, Wahrheit, Gerechtigkeit und Barmherzigkeit führen. Sie ist göttlich ihrem Ursprung nach, menschlich in ihrer Darstellung, praktisch für jede Lebenslage. In Glaubenssachen gilt bei ihr nichts als die Wahrheit, in den Handlungen nichts als das Gute, in ihren Beziehungen zu den Menschen nichts als liebevoller Dienst.
Zur Aufklärung für diejenigen, die noch wenig oder nichts von der Bahaibewegung wissen, führen wir hier Folgendes an: „Die Bahaireligion ging aus dem Babismus hervor. Sie ist die Religion der Nachfolger Baha ’Ullahs, Mirza Hussein Ali Nuri (welches sein eigentlicher Name war) wurde im Jahre 1817 in Teheran (Persien) geboren. Vom Jahr 1844 an war er einer der angesehensten Anhänger des Bab und widmete sich der Verbreitung seiner Lehren in Persien. Nach dem Märtyrertod des Bab wurde er mit den Hauptanhängern desselben von der türkischen Regierung nach Bagdad und später nach Konstantinopel und Adrianopel verbannt. In Bagdad verkündete er seine göttliche Sendung (als „Der, den Gott offenbaren werde") und erklärte, daß er der sei, den der Bab in seinen Schriften als die „Große Manifestation", die in den letzten Tagen kommen werde, angekündigt und verheißen hatte. In seinen Briefen an die Regenten der bedeutendsten Staaten Europas forderte er diese auf, sie möchten ihm bei der Hochhaltung der Religion und bei der Einführung des universalen Friedens beistehen. Nach dem öffentlichen Hervortreten Baha ’Ullahs wurden seine Anhänger, die ihn als den Verheißenen anerkannten, Bahai (Kinder des Lichts) genannt. Im Jahr 1868 wurde Baha ’Ullah vom Sultan der Türkei nach Akka in Syrien verbannt, wo er den größten Teil seiner lehrreichen Werke verfaßte und wo er am 28. Mai 1892 starb. Zuvor übertrug er seinem Sohn Abbas Effendi (Abdul Baha) die Verbreitung seiner Lehre und bestimmte ihn zum Mittelpunkt und Lehrer für alle Bahai der Welt.
Es gibt nicht nur in den mohammedanischen Ländern Bahai, sondern auch in allen Ländern Europas, sowie in Amerika, Japan, Indien, China etc. Dies kommt daher, daß Baha ’Ullah den Babismus, der mehr nationale Bedeutung hatte, in eine universale Religion umwandelte, die als die Erfüllung und Vollendung aller bisherigen Religionen gelten kann. Die Juden erwarten den Messias, die Christen das Wiederkommen Christi, die Mohammedaner den Mahdi, die Buddhisten den fünften Buddha, die Zoroastrier den Schah Bahram, die Hindus die Wiederverkörperung Krischnas und die Atheisten — eine bessere soziale Organisation.
In Baha ’Ullah sind alle diese Erwartungen erfüllt. Seine Lehre beseitigt alle Eifersucht und Feindseligkeit, die zwischen den verschiedenen Religionen besteht; sie befreit die Religionen von ihren Verfälschungen, die im Lauf der Zeit durch Einführung von Dogmen und Riten entstanden und bringt sie alle durch Wiederherstellung ihrer ursprünglichen Reinheit in Einklang. In der Bahaireligion gibt es keine Priesterschaft und keine religiösen Zeremonien. Ihr einziges Dogma ist der Glaube an den einigen Gott und an seine Manifestationen (Zoroaster, Buddha, Mose, Jesus, Mohammed, Baha ’Ullah),
Die Hauptschriften Baha ’Ullahs sind der Kitab el Ighan (Buch der Gewißheit), der Kitab el Akdas (Buch der Gesetze), der Kitab el Ahd (Buch des Bundes) und zahlreiche Sendschreiben, genannt „Tablets“, die er an die wichtigsten Herrscher oder an Privatpersonen richtete. Rituale haben keinen Platz in dieser Religion; letztere muß vielmehr in allen Handlungen des Lebens zum Ausdruck kommen und in wahrer Gottes- und Nächstenliebe gipfeln. Jedermann muß einen Beruf haben und ihn ausüben. Gute Erziehung der Kinder ist zur Pflicht gemacht und geregelt. Niemand ist mit der Macht betraut, Sündenbekenntnisse entgegenzunehmen oder Absolution zu erteilen.
Die Priester der bestehenden Religionen sollen den Zölibat (Ehelosigkeit) aufgeben, durch ihr Beispiel predigen und sich im praktischen Leben unter das Volk mischen. Monogamie (die Einehe) ist allgemein gefordert, Streitfragen, welche nicht anders beigelegt werden können, sind der Entscheidung des Zivilgesetzes jeden Landes und dem Bait’ul’Adl oder „Haus der Gerechtigkeit“, das durch Baha ’Ullah eingesetzt wurde, unterworfen. Achtung gegenüber jeder Regierungs- und Staatseinrichtung ist als einem Teil der Achtung, die wir Gott schulden, gefordert. Um die Kriege aus der Welt zu schaffen, ist ein internationaler Schiedsgerichtshof zu errichten. Auch soll neben der Muttersprache eine universale Einheits-Sprache eingeführt werden. „Ihr seid alle die Blätter eines Baumes und die Tropfen eines Meeres“ sagt Baha ’Ullah.
Es ist also weniger die Einführung einer neuen Religion, als die Erneuerung und Vereinigung aller Religionen, was heute von Abdul Baha erstrebt wird. (Vgl. Naveau Larousse, illustre supplement, p. 66.)
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