Sonne der Wahrheit/Jahrgang 20/Heft 8-10/Text

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SONNE
DER
WAHRHEIT
 
 
Zeitschrift für Weltreligion und Welteinheit
Organ der Bahá’í
in Deutschland und Oesterreich
 
 
Heft 8-10 20. Jahrgang Oktober-Dezember 1950
 


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Die Bahá’i-Weltreligion

Der Glaube, der von Bahá’u’lláh begründet wurde, entstand in Persien um die Mitte des neunzehnten Jahrhunderts. Nach längerer Verbannung des Gründers, zuletzt nach der türkischen Strafkolonie von Akka, und späterhin nach Seinem Tod und Seiner Beisetzung in Akka, hat der Glaube sein endgültiges Zentrum im Heiligen Land gefunden und ist jetzt im Begriff, die Grundlagen seines Verwaltungszentrums für die ganze Welt in der Stadt Haifa aufzubauen.

Wenn man seinen Anspruch, wie er unmißverständlich durch seinen Begründer verfochten wurde, und die Art des Wachstums der Bahá’i-Gemeinde in allen Teilen der Welt betrachtet, so kann dieser Glaube nicht anders angesehen werden als eine Weltreligion, die dazu bestimmt ist, sich im Laufe der Zeiten in ein weltumfassendes Gemeinwesen zu entwickeln. Dessen Kommen muß das goldene Zeitalter der Menschheit ankündigen, das Zeitalter, das die Einheit des Menschengeschlechtes unerschütterlich begründet, seine Reife erreicht und seine Bestimmung durch die Geburt und das Errichten einer alles umfassenden Zivilisation erfüllen wird.


Neue Darlegung ewiger Wahrheiten

Obwohl dem schiitischen Islam entsprungen und in den ersten Entwicklungsphasen von den Anhängern des mohammedanischen und des christlichen Glaubens nur als eine obskure Sekte, ein asiatischer Kult oder ein Ableger der mohammedanischen Religion betrachtet, beweist dieser Glaube nunmehr in wachsendem Maße sein Anrecht auf eine andere Beurteilung als nur die eines weiteren religiösen Systems, das den sich bekämpfenden Glaubensbekenntnissen, die so viele Geschlechter lang die Menschheit zerspalten und ihre Wohlfahrt verwüstet haben, sich zugesellt hat. Vielmehr ist er eine neue Darlegung der ewigen Wahrheiten, die allen Religionen der Vergangenheit zugrunde liegen, und eine einigende Macht, die den Anhängern dieser Religion einen neuen geistigen Elan einflößt, eine neue Hoffnung und Liebe zur Menschheit und sie durch eine neue Vision befeuert, die der grundsätzlichen Einheit der religiösen Lehren, und vor ihren Augen die herrliche Berufung ausbreitet, die dem Menschengeschlecht winkt.

Die Anhänger dieses Glaubens stehen fest zu dem grundlegenden Prinzip, wie es von Bahá’u’lláh verkündet worden ist, daß religiöse Wahrheit nicht absolut, sondern relativ ist, daß Gottesoffenbarung ein fortdauerndes und fortschreitendes Geschehnis ist, daß alle großen Religionen der Welt göttlich in ihrem Ursprung sind, daß ihre Grundsätze zueinander in völligem Einklang stehen, daß ihre Ziele und Absichten eine und dieselben sind, daß ihre Lehren nur Widerspiegelungen der einen Wahrheit sind, daß ihr Wirken sich ergänzt, daß sie sich nur in unwesentlichen Teilen ihrer Lehren unterscheiden und daß ihre Sendungen aufeinanderfolgende geistige Entwicklungsstufen der Menschheit darstellen.


Zur Versöhnung der sich streitenden Bekenntnisse

Die Ziele Bahá’u’lláh’s, des Propheten dieses neuen und großen Zeitalters, in das die Menschheit eingetreten ist — denn Sein Kommen erfüllt die Prophezeiungen des Neuen und Alten Testamentes wie auch des Koran, die sich auf das Erscheinen des Verheißenen am Ende der Zeiten, am Tage des Gerichtes beziehen — sind nicht die Zerstörung, sondern die Erfüllung der Offenbarungen der Vergangenheit und viel mehr die Versöhnung als die Betonung der Gegensätze der sich streitenden Glaubensbekenntnisse, welche die heutige Menschheit noch zerreißen.

Er ist weit davon entfernt, die Stufe der Ihm vorausgegangenen Propheten herabsetzen oder ihre Lehren schmälern zu wollen. Vielmehr will Er die Grundwahrheiten, die in allen diesen Lehren beschlossen sind, in einer Weise aufs neue darlegen, wie sie den Nöten der Menschheit entsprechen und auf ihre Fassungskraft abgestimmt sind und auf die Fragen, Leiden und Verwirrungen der Zeit, in der wir leben, angewendet werden können.

Seine Sendung ist: zu verkünden, daß die Zeiten der Kindheit und Unreife des Menschengeschlechtes dahin sind, daß die Erschütterungen; der heutigen Stufe der Jugend langsam und schmerzvoll sie zur Stufe der Reife vorbereiten und das Nahen jener Zeit der Zeiten verkünden, da die Schwerter in Pflugscharen umgewandelt werden und das von Jesus Christus verheißene Reich begründet wird und der Friede auf diesem Planeten endgültig und dauernd gesichert ist. Auch stellt Bahá’u’lláh nicht den Anspruch auf Endgültigkeit Seiner eigenen Offenbarung, sondern erklärt vielmehr ausdrücklich, daß ein volleres Maß der Wahrheit, als Ihm von dem Allmächtigen für die Menschheit in einem so kritischen Zeitpunkt gestattet wurde, in den späteren Phasen der endlos weiterschreitenden Menschheitsentwicklung enthüllt werden muß.


Einheit des Menschengeschlechtes

Der Bahá’i-Glaube hält die Einheit Gottes hoch, anerkennt die Einheit Seiner Propheten und betont vor allem den Grundsatz der Einheit und Ganzheit aller Menschenrassen. Er verkündet, daß die Einigung der Menschen notwendig und unvermeidbar ist, hebt hervor, daß wir uns ihr schrittweise nähern und stellt die These auf, daß nichts anderes als der verwandelnde Geist Gottes, der durch Sein erwähltes Sprachrohr an

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SONNE DER WAHRHEIT
Zeitschrift für Weltreligion und Welteinheit
Heft 8-10
Preis: DM —.80
OKTOBER-DEZEMBER 1950
Ilm - Wissen Masa’il - Fragen (107)
19. JAHRGANG
Leitgedanken: Einheit der Menschheit - Universaler Friede - Universale Religion

Inhalt: Worte von Bahá’u’lláh — Das offene Tor — Ährenlese — Göttliche Lebenskunst — Über das Wesen der Bahá’i-Offenbarung — Verhängnisvolles Geschichtsbewußtsein — Ein Beitrag zum Weltfrieden — Um die Ehe — Aus der Bahá’i-Welt: Bericht über Sommerschulen, Jugendtreffen und die Gedenkfeiern zur Geburt von Bahá’u’lláh am 12. 11. 1817 — Bahá’i-Konferenz in Zürich — Zum 50. Geburtstag von Günther Heyd, Hamburg.



Die Milde Deiner Gnade, o mein Herr, übersteigt das Maß Deines Zornes, Deine Güte überragt die Gewalt Deines Mißfallens, und Deine Gerechtigkeit wird durch Deine Huld übertroffen. Halte Du durch Deine wundersame Gewogenheit und Barmherzigkeit die Hand Deiner Geschöpfe und lasse sie von der Gunst nicht getrennt sein, die Du für sie als das Mittel, Dich zu erkennen, verfügt hast...

Ich gelobe bei Deiner Macht, o mein Gott, würdest Du Deine Diener nach ihren Verdiensten an Deinem Tage richten wollen, sie würden sicher nichts als Deine Strafe und Pein verdienen. Dennoch bist Du der Großmutvollste, Dessen Gnade nicht zu ermessen ist. Schaue sie, o mein Gott, nicht mit dem Auge Deiner Gerechtigkeit an, sondern schaue sie mit dem Blick Deines schonenden Mitleids und Deines Erbarmens an. Tue ihnen dann, was Deiner Großmut und reichen Gnade gemäß ist. Mächtig bist Du, zu tun, was immer Du wünschest. Unvergleichlich bist Du, kein Gott ist außer Dir, dem Herrn des Thrones droben und drunten, dem Herrscher in dieser und der kommenden Welt. Du bist der Gott der Gaben, der immer Verzeihende, der große Spender, der Großmutvollste.

Bahá’u’lláh*)


*) Entnommen aus „Prayers and Meditations“, S. 136 f.


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DAS OFFENE TOR*)[Bearbeiten]

Tod — wie Geburt — ist ein offenes Tor zu neuem und größerem Leben.


Alle Dinge im Leben wandeln sich, zuzeiten langsam, zuzeiten schnell. Die allmähliche Wandlung beachten wir nicht, aber der plötzliche Wechsel überkommt uns wie eine große Erschütterung. Wir sind häufig wie betäubt oder von Kummer erfüllt. Der Tod kommt plötzlich, aber gleich der Geburt ist er ein offenes Tor zu einem neuen und größeren Leben.

Die ewige Wahrheit von der Unsterblichkeit wird durch den Bahá’i-Glauben von neuem gelehrt. An eine Mutter, die durch das Scheiden eines Sohnes getroffen wurde, schrieb ‘Abdu’l-Bahá: „Aber nun, da er befreit worden ist aus dieser leidbefallenen Herberge und sein Antlitz dem Königreich zugewandt hat, darin liegt die Tröstung für unsere Herzen.“

„Die unergründliche göttliche Weisheit legt uns solch herzzerreißendes Geschehen auf. Es ist, als ob ein freundlicher Gärtner einen frischen und zarten Busch von einem engen Platz in eine weite Landschaft versetzt. Diese Verpflanzung ist nicht die Ursache des Verwelkens, des Verfalls und der Auflösung jener Staude, nein, sie läßt sie vielmehr wachsen und gedeihen, Frische und Wohlgeschmack erlangen, grün und genußreich werden. Dies verborgene Geheimnis ist dem Gärtner wohlbekannt, während jene Seelen, die nichts von dieser Wohltat wissen, annehmen, daß der Gärtner in seinem Zorn und Grimm den Strauch herausgerissen habe. Aber für die Wissenden ist diese verborgene Tatsache offenbar, und dieser vorbestimmte Ratschluß Gottes wird als Gunst betrachtet. Fühle dich darum nicht betrübt noch untröstlich.“

„Bedenke ferner, wie die Frucht, ehe sie sich bildet, als Möglichkeit im Baume ruht. Würde der Baum in Stücke geschnitten werden, kein Zeichen noch irgend ein Teil der Frucht, und wäre er noch so klein, könnte entdeckt werden. Wenn sie erscheint, wie auch immer, offenbart sie sich selbst, wie du gesehen hast, in ihrer wunderbaren Schönheit und herrlichen Vollkommenheit. Wahrlich, gewisse Früchte erlangen ihre vollste Reife erst nach ihrer Trennung vom Baum.“

„Anzunehmen, der Geist stürbe nach dem Tode des Körpers, gleicht der Vorstellung, daß ein Vogel in einem Käfig umkommen müßte, wenn der Käfig zerbrochen wird, obwohl der Vogel nichts von der Zerstörung des Käfigs zu fürchten hat. Unser Körper ist gleich dem Käfig, und der Geist ist gleich dem Vogel... Wenn der Käfig zerbrochen ist, wird der Vogel im Dasein verbleiben, sein Empfinden wird noch stärker, sein Wahrnehmungsvermögen größer und seine Glückseligkeit vervielfacht sein.“

„Es ist augenscheinlich, daß Geist und Körper — wie Vogel und Käfig von einander verschieden sind, und daß die Macht und Durchdringung des Geistes ohne die Mittlerschaft des Körpers stärker ist. Nun, wenn das Werkzeug verlassen ist, fährt der Besitzer des Werkzeugs fort zu handeln. Wenn zum Beispiel die Feder verloren oder [Seite 99] zerbrochen ist, dann bleibt der Schreiber trotzdem lebendig und gegenwärtig; wenn ein Haus zerstört wird, so ist der Eigentümer doch da und am Leben. Dies ist einer der logischen Beweise der Unsterblichkeit der Seele.“

„Du aber erkenne, daß die Seele des Menschen über alles erhaben ist und unabhängig von jeglichen Gebrechen des Körpers und des Gemütes. Wenn ein Starker Zeichen von Schwäche zeigt, so ist dies jenen Dingen zuzuschreiben, die sich hindernd zwischen seine Seele und seinen Körper stellen, bleibt doch die Seele selbst unberührt von allen körperlichen Leiden. Siehe das Licht der Lampe. Wenn auch ein außen befindlicher Gegenstand störend auf ihre Strahlen einwirken mag, so fährt das Licht selbst doch fort, mit unverminderter Fülle zu scheinen. Gleicherweise ist jede Krankheit, die den menschlichen Körper anfällt, ein Hemmnis, das die Seele hindert, die ihr innewohnende Kraft und Stärke zu zeigen. Wenn sie den Körper verläßt, wie auch immer, wird sie solche Überlegenheit erweisen und solchen Einfluß offenbaren, wie keine Macht auf Erden ihresgleichen hat. Jede reine, jede geläuterte und geheiligte Seele wird mit erschütternder Gewalt ausgestattet werden und sich überströmenden Glückes erfreuen.“

„Wisse wahrlich, daß die Seele nach ihrer Trennung vom Körper fortfahren wird, sich zu vollenden, bis sie die Gegenwart Gottes erreicht in einem Zustand und einer Beschaffenheit, die weder der Umbruch der Zeitalter noch Wechsel und Zufälle dieser Welt ändern können. Dies wird so lange dauern wie das Königreich Gottes, Seine Oberherrschaft, Seine Herrschaft und Macht dauern wird. Es wird die Zeichen Gottes und Seine Eigenschaften verkünden und Seine liebende Güte und Freigebigkeit offenbaren.“

„Warum solltest du traurig und gebrochenen Herzens sein? Diese Trennung ist zeitlich; diese Entfernung und Trauer wird nur nach Tagen gezählt. Du sollst ihn finden im Königreich Gottes, und du wirst zu immerwährender Vereinigung gelangen. Körperliche Gesellung ist vergänglich, aber himmlische Verbindung ist ewig. Wann immer du der ewigen und nie endenden Vereinigung gedenkst, wirst du getröstet werden.“

„O Sohn der Höhe! Ich habe den Tod zu einer Freudenbotschaft für dich gemacht. Warum bist du traurig? Ich habe das Licht zu deiner Erleuchtung erschaffen. Warum verhüllst du dich vor ihm?“

„O Sohn des Geistes! Der Heilige Geist verkündet dir Trost. Warum bist du traurig? Der Geist des Gebotes stärkt dich in der Wahrheit. Warum verhüllst du dich? Das Licht des Geistes leuchtet dir voran. Warum gehst du irre?“

„Der Tod bietet jedem vertrauenden Gläubigen den Kelch, der wahrlich Leben ist. Freude schenkt er und ist Mittler des Frohseins, er überbringt die Gabe ewigen Lebens.“

„Nun zu der Frage, ob die Seelen einander in der geistigen Welt wiedererkennen. Diese Tatsache ist gewiß; denn das Königreich ist die Welt der Erscheinung, in der alle verborgenen Wirklichkeiten enthüllt sein werden. Um wieviel mehr werden die vertrauten Seelen offenbar werden. Die Geheimnisse, die der Mensch in der irdischen Welt nicht beachtet, wird er in der himmlischen Welt entdecken, und dort wird er von der verborgenen Wahrheit Kenntnis erlangen; um [Seite 100] wieviel mehr wird er jene wiedererkennen oder entdecken, denen er sich einst verbunden fühlte. Ohne Zweifel: Den heiligen Seelen, die ein reines Auge gewinnen und mit Einsicht begabt sind, werden im Königreiche des Lichtes alle Geheimnisse anvertraut, und sie werden nach der Gnade trachten, Zeuge der Wirklichkeit jeder großen Seele zu sein. Sogar die Schönheit Gottes in jener Welt werden sie augenscheinlich wahrnehmen.“

„Mit ihnen (den Propheten und Seinen Erwählten) wird sich jene Seele frei unterhalten und ihnen das erzählen, was sie erdulden mußte auf dem Pfade Gottes, des Herrn aller Welten. Wenn irgend einem Menschen gesagt würde, was einer solchen Seele in den Welten Gottes verordnet ist...: Sein ganzes Wesen würde augenblicklich in großem Verlangen entbrennen, jenen erhabensten, jenen geheiligten und strahlenden Zustand zu erreichen ...*

„Darum ist der Tod einem Wechsel zu vergleichen oder dem Übergang von einer Stufe zur anderen... Dort gibt es niemals Vernichtung für einen Menschen. Der Mensch ist ewig, immer lebend. Und wenn wir des Todes gedenken, so ist er nur eine eingebildete Grenze, die den Wechsel in sich schließt. Der Mensch fürchtet sich vor dem Tode nur aus Unwissenheit.“

„Eine Liebe, die man für irgend jemand gehegt haben mag, wird in der Welt des Königreiches nicht vergessen werden, noch wirst du dort dein Leben vergessen, das du in der irdischen Welt führtest.“

„Der Tod, dieser zärtliche Bote der Freude, öffnet die Tür zum ewigen Leben in all den Welten Gottes.“


*) Aus dem Englischen von Günther und Ilse Heyd.

Diese Zitate wurden den Schriften Bahá’u’lláh’s und ‘Abdu’l-Bahá’s entnommen. („The open door“, Wilmette, 1947)



ÄHRENLESE AUS DEN SCHRIFTEN VON BAHA’U’LLAH[Bearbeiten]

Nach der englischen Übersetzung von Shoghi Effendi (New York, Bahá’i Publishing Committee 1935) ins Deutsche übertragen.

(Fortsetzung)


Du hattest Mich ferner nach dem Wesen der himmlischen Sphären gefragt. Um ihr Wesen zu begreifen, würde es nötig sein, den Sinn der Andeutungen, die in den alten Büchern über die himmlischen Sphären und den Himmel gemacht wurden, eingehend zu erforschen und den Charakter ihrer Verwandtschaft mit der körperlichen Welt und den Einfluß, den sie auf diese üben, zu entdecken. Jedes Herz wird bei einem so verwirrenden Thema von Staunen erfüllt und jeder Geist über dessen Rätsel bestürzt, Gott allein kann seine Bedeutung ermessen. Die Gelehrten, die das Leben dieser Erde auf mehrere tausend Jahre festlegten, haben in dem langen Zeitraum ihrer Beobachtungen versäumt, sowohl die Zahl, als das Alter der anderen Planeten in Betracht zu ziehen. Bedenke ferner die mannigfachen Abweichungen, die aus den von diesen Menschen aufgestellten Theorien entstanden sind. Wisse, daß jeder Fixstern seine eigenen Planeten hat und jeder Planet seine eigenen Geschöpfe, deren Zahl kein Mensch errechnen kann.

O du, der du deine Augen auf Mein Angesicht gerichtet hast! Der [Seite 101] Tagesanbruch der Herrlichkeit hat an diesem Tag seinen Glanz enthüllt, und die Stimme des Höchsten ruft. Wir haben ehedem die Worte geäußert: „An diesem Tag soll der Mensch seinen Gott nicht befragen.“ Wer dem Rufe Gottes, wie er von dem Tagesanbruch der Herrlichkeit kundgetan wurde, gelauscht hat, dem geziemt es, sich zu erheben und auszurufen: „Hier bin ich, hier bin ich, o Herr aller Namen, hier bin ich, hier bin ich, o Schöpfer der Himmel! Ich bezeuge, daß durch Deine Offenbarung die in den Büchern Gottes verborgenen Dinge enthüllt wurden und, was immer von Deinen Boten in den heiligen Schriften aufgezeichnet wurde, sich erfüllt bat.“

LXXXIII. Betrachte die Fähigkeit der Vernunft, mit der Gott das Wesen des Menschen begabt hat. Prüfe dich selber, und siehe, wie deine Bewegung und deine Ruhe, dein Wille und deine Absicht, dein Gesicht und Gehör, dein Geruchsinn und die Macht der Sprache und was immer zu deinen körperlichen Sinnen und deinem geistigen Wahrnehmungsvermögen in Beziehung steht oder darüber hinausgeht, kurz, wie dies alles eben dieser Fähigkeit entspringt und ihr sein Dasein verdankt. So nahe ist es ihr verbunden, daß ein jeder dieser Sinne sofort aufhört, seine Tätigkeit auszuüben und der Macht entkleidet wird, die Zeichen seiner Wirksamkeit zu offenbaren, wenn in weniger als einem Augenblick seine Beziehung zum menschlichen Körper abgebrochen wird. Es ist ohne jeden Zweifel klar und einleuchtend, daß jedes dieser erwähnten Werkzeuge in seiner eigenen Tätigkeit von dieser Fähigkeit der Vernunft abhängig war und immer abhängig von ihr bleiben wird, die als ein Zeichen der Offenbarung Dessen angesehen werden sollte, der der höchste Herr von allem ist. Durch ihre Offenbarung wurden alle diese Namen und Attribute enthüllt, und bei Aufhebung ihrer Wirkung werden sie alle zerstört und gehen unter.

Es wäre gänzlich unwahr, zu behaupten, daß diese Fähigkeit die gleiche ist, wie die Kraft des Sehens, da die Kraft des Sehens von ihr abgeleitet wird und in Abhängigkeit von ihr wirkt. Es würde ebenso müßig sein, darüber zu streiten, ob diese Fähigkeit dem Gehörsinn gleichgestellt werden kann, da der Gehörsinn von der Fähigkeit der Vernunft die erforderliche Kraft zur Ausführung seiner Tätigkeit empfängt.

Die gleiche Verwandtschaft verbindet diese Fähigkeit mit allem, was immer der Empfänger jener Namen und Attribute im menschlichen Tempel gewesen ist. Jene verschiedenen Namen und geoffenbarten Attribute sind durch das Wirken dieses Zeichens Gottes hervorgebracht worden. Unermeßlich erhaben ist dieses Zeichen in seinem Wesen und seiner Wirklichkeit über alle solche Namen und Attribute. Nein, alles andere außer Ihm verblaßt, wenn man es mit seiner Herrlichkeit vergleicht, zu äußerstem Nichtsein und wird zu einem Gegenstand des Vergessens.

Würdest du von nun an bis zum Ende, das kein Ende hat, und mit allem gesammelten Erkenntnisvermögen und allem Verständnis, das die größten Geister in der Vergangenheit erlangten und in der Zukunft erlangen werden, dieser göttlichverordneten und tiefgründigen Wirklichkeit, diesem Zeichen der Offenbarung des alldauernden, allherrlichen Gottes, in deinem Herzen nachsinnen, du würdest sein Geheimnis nicht ergründen und seinen Wert nicht abschätzen können. Während du deine Machtlosigkeit erkennst, zu einem [Seite 102]| angemessenen Verständnis der in dir wohnenden Wirklichkeit zu gelangen, wirst du ohne weiteres die Nutzlosigkeit solcher Bemühungen einsehen, die du oder irgendein erschaffenes Ding machen mögen, um in das Geheimnis des lebendigen Gottes einzudringen, des Tagesgestirns unvergänglicher Herrlichkeit, des Urewigen ewiger Tage. Dieses Bekenntnis der Hilflosigkeit, zu dem die gereifte Betrachtung schließlich jeden Verstand antreiben muß, ist an sich der Gipfel menschlichen Begreifens und bezeichnet den Höhepunkt menschlicher Entwicklung.

LXXXIV. Sieh den einen, wahren Gott als Einen an, der anders als alles Erschaffene und unermeßlich darüber erhaben ist. Das ganze Weltall strahlt Seine Herrlichkeit wider, während Er Selber von Seinen Geschöpfen unabhängig ist und sie weit überragt. Das ist die wahre Bedeutung göttlicher Einheit. Er, der die ewige Wahrheit ist, ist die eine Kraft, die eine unbestrittene Herrschaft über die Welt des Seins ausübt und deren Bild im Spiegel der gesamten Schöpfung strahlt. Alles Dasein ist abhängig von Ihm, und von Ihm wird die Quelle der Erhaltung aller Dinge gespeist. Dies ist die Bedeutung göttlicher Einheit. Dies ist ihr grundlegender Gedanke.

Manche Menschen haben, von ihren bloßen Einbildungen getragen, sich alles Erschaffene als Gefährten Gottes und Ihm Gleichgestellte gedacht und sich selbst für die Vertreter Seiner Einheit gehalten. Bei Ihm, welcher der eine, wahre Gott ist! Solche Menschen sind das Opfer blinder Nachahmung gewesen und werden es auch weiterhin bleiben und sollen unter die gerechnet werden, die den Begriff Gottes eingeengt und begrenzt haben.

Wer weit davon entfernt ist, Zweiheit mit Einheit zu verwechseln, und keinem Gedanken der Vielfältigkeit gestattet, seine Vorstellung von der Einzigkeit Gottes zu trüben, und wer das göttliche Sein als eines betrachtet, das gemäß Seiner ureigensten Natur die Begrenzungen der Zahl überschreitet — das ist einer, der wirklich an die göttliche Einheit glaubt.

Das Wesen des Glaubens an die göttliche Einheit besteht darin, Ihn, der die Manifestation Gottes ist, und Ihn, der das unsichtbare, das unzugängliche, das unerkennbare Sein ist, als eines und dasselbe zu betrachten. Dies besagt, daß alles, was immer zu Ersterem gehört, alle Seine Taten und Handlungen, was immer Er verordnet oder verbietet, in jeder Hinsicht und unter allen Umständen und ohne irgendwelchen Vorbehalt als gleichbedeutend mit dem Willen von Gott selbst angesehen werden sollte. Dies ist die höchste Stufe, die der wahrhaft an die Einheit Gottes Glaubende je zu erreichen hoffen kann. Gesegnet ist der Mensch, der diese Stufe erreicht und zu denen gehört, die standhaft in ihrem Glauben sind.

LXXXV. O Meine Diener! Es geziemt euch, eure Seelen durch die Beweise gnädiger Gewogenheit, mit denen ihr in dieser göttlichen, dieser herzerquickenden Frühlingszeit überschüttet werdet, zu erfrischen und neu zu beleben. Das Tagesgestirn Seiner erhabenen Herrlichkeit hat seinen Glanz über euch ergossen und die Wolken Seiner unbegrenzten Gnade haben euch überschattet. Wie groß ist der Lohn dessen, der sich selbst so hoher Güte nicht beraubt noch versäumt hat, die Schönheit seines Meistgeliebten in diesem Seinem neuen Gewande zu erkennen! [Seite 103]

Sprich: O Menschen! Die Lampe Gottes brennt. Hütet euch, daß die grimmigen Winde eures Ungehorsams ihr Licht nicht löschen. Jetzt ist die Zeit, euch zu erheben und den Herrn, euren Gott, zu verherrlichen. Strebt nicht nach leiblichem Behagen und bewahrt euer Herz rein und fleckenlos. Der Böse liegt auf der Lauer, bereit, euch zu überlisten. Rüstet euch gegen seine verruchten Anschläge und befreit euch, geführt von dem Licht des Namens des einen, wahren Gottes, aus der Dunkelheit, die euch umgibt. Richtet eure Gedanken lieber auf den Vielgeliebten als auf euch selbst.

Sprich: O ihr, die ihr euch verirrt und euren Weg verloren habt! Der göttliche Bote, der nichts als die Wahrheit spricht, hat euch das Kommen des Meistgeliebten angekündigt. Siehe, Er ist nun gekommen. Weshalb seid ihr niedergeschlagen und mutlos? Warum verzagt sein, da doch der Reine und Verborgene enthüllt unter euch erschienen ist? Er, der beides ist, Anfang und Ende, Er, der beides ist, Ruhe und Bewegung, ist jetzt vor euren Augen offenbar. Siehe, wie an diesem Tag sich der Beginn im Ende widerspiegelt, wie aus Ruhe Bewegung erzeugt ward. Diese Bewegung wurde durch die starken Kräfte hervorgerufen, welche die Worte des Allmächtigen in der ganzen Schöpfung auslösten. Wer durch ihre belebende Macht wiedererweckt wurde, wird sich gedrängt fühlen, den Hof des Geliebten zu erreichen, und wer sich ihrer beraubt hat, wird in nicht wieder auszulöschende Verzweiflung sinken. Wahrhaft weise ist derjenige, den die Welt und alles, was in ihr ist, nicht davon abgehalten hat, das Licht dieses Tages zu erkennen, und der der Menschen eitlem Geschwätz nicht gestattet hat, ihn vom Wege der Gerechtigkeit abzubringen. Wer in der wundersamen Morgendämmerung dieser Offenbarung versäumt hat, sich von ihrem herzerquickenden Windhauch neu beleben zu lassen, der gleicht in der Tat einem Toten. Ein Gefangener ist wahrlich der, welcher den höchsten Erlöser nicht erkannt, sondern vielmehr seine Seele gebunden, elend und hilflos in den Fesseln seiner Begierden belassen hat.

O meine Diener! Wer von diesem Quell gekostet hat, hat ewiges Leben erlangt, und wer es versäumt hat, daraus zu trinken, gleicht einem Toten. Sprich: O ihr, die ihr Schlechtes tut! Die Begierde hat euch daran gehindert, der süßen Stimme Dessen, der der Allgenügende ist, Gehör zu schenken. Reinigt eure Herzen von ihr, damit Sein göttliches Geheimnis euch bekannt werde. Schauet Ihn, offenbar und strahlend wie die Sonne in aller ihrer Herrlichkeit!

Sprich: O ihr, die ihr des Verständnisses ermangelt! Eine schwere Heimsuchung jagt hinter euch her und wird euch plötzlich überfallen. Seid rührig, — vielleicht geht sie alsdann vorüber und fügt euch keinen Schaden zu! Erkennt den erhabenen Charakter des Namens des Herrn, eures Gottes an, der zu euch gekommen ist in der Größe Seiner Herrlichkeit. Er, wahrlich, ist der Allwissende, der Allbesitzende, der höchste Beschützer.

LXXXVI. Und nun zu deiner Frage, ob die Menschenseelen nach ihrer Trennung vom Körper sich eine der anderen bewußt bleiben. Wisse, daß die Seelen des Volkes Bahá’s, die in die Rote Arche eingetreten sind und in ihr wohnen, sich innig miteinander verbinden und unterhalten und so eng in ihrem Leben, ihrem Trachten, ihren Zielen und ihrem Streben verbunden sein werden, als wären sie eine Seele. Sie sind in der Tat diejenigen, die wohlunterrichtet, [Seite 104] scharfblickend und mit Verständnis begabt sind. Also ist es von Ihm verordnet worden, dem Allwissenden, dem Allweisen.

Beim Volk Bahá’s, das gemeinsam die Arche Gottes bewohnt, ist ein jeder über des andern Zustand und Lage wohlunterrichtet, und sie sind miteinander verbunden durch die Bande der Vertrautheit und der Kameradschaft. Dieser Zustand wird jedoch von ihrem Glauben und ihrer Führung abhängen. Diejenigen, die den gleichen Grad und die gleiche Stufe einnehmen, sind sich gegenseitig völlig ihrer Fähigkeit, ihres Charakters, ihrer Kenntnisse und ihres Wertes bewußt. Diejenigen, die einen niedrigeren Grad einnehmen, sind jedoch nicht fähig, die Stufe derer, die über ihnen stehen, hinreichend zu begreifen und ihren Wert zu schätzen. Jeder wird seinen Anteil von seinem Herrn empfangen. Gesegnet ist der Mensch, der sein Gesicht Gott zugewandt hat und standhaft in Seiner Liebe gewandelt ist, bis seine Seele ihren Flug zu Gott genommen hat, dem höchsten Herrn über alles, dem Machtvollsten, dem Immervergebenden, dem Allbarmherzigen.

Wenn die Seelen der Ungläubigen jedoch ihren letzten Atemzug tun, werden sie — und dies bezeuge Ich — all des Guten gewahr werden, das ihnen entgangen ist, und sie werden ihren Zustand beklagen und sich vor Gott demütigen. Dies werden sie nach der Trennung ihrer Seelen vom Körper auch weiterhin tun.

Es ist klar und einleuchtend, daß alle Menschen nach ihrem körperlichen Tod den Wert ihrer Taten abschätzen und sich alles vergegenwärtigen werden, was ihre Hände getan haben. Ich schwöre bei dem Tagesgestirn, das über dem Horizont göttlicher Macht scheint: Diejenigen, welche die Anhänger des einen, wahren Gottes sind, werden in dem Augenblick, da sie aus diesem Leben scheiden, eine Freude und eine Fröhlichkeit empfinden, die zu beschreiben unmöglich ist, während die, welche im Irrtum leben, von einer Furcht und einem Zittern ergriffen und von einer Bestürzung erfüllt sein werden, die nichts übertreffen kann. Wohl ist es um denjenigen bestellt, der den auserlesenen und unverderblichen Wein des Glaubens durch die gnädige Gewogenheit und die mannigfache Freigebigkeit Dessen, der der Herr aller Glauben ist, getrunken hat...

Dies ist der Tag, an dem die Geliebten Gottes ihre Augen auf Seine Manifestation gerichtet halten und auf das heften sollten, was immer jene Manifestation zu offenbaren beliebt. Gewisse Überlieferungen vergangener Zeitalter entbehren jeder Grundlage, während die von einstigen Geschlechtern vertretenen und in ihren Büchern niedergelegten Meinungen zum größten Teil durch die Wünsche verderblicher Neigung beeinflußt wurden. Du bezeugst, daß die meisten der Kommentare und Auslegungen der Worte Gottes, die nun unter den Menschen gültig sind, der Wahrheit entbehren. Ihre Unrichtigkeit offenbarte sich in einigen Fällen, als die trennenden Schleier zerrissen wurden. Sie selber bekannten ihr Versagen, als sie die Bedeutung eines jeden Wortes Gottes erfaßten.

Wenn die Geliebten Gottes — es ist Unsere Absicht, das zu zeigen — Herz und Ohr von den nichtigen Erklärungen, die ehemals abgegeben wurden, heiligen und sich in innerster Seele Ihm, dem Tagesanbruch Seiner Offenbarung, und allem, was immer Er enthüllt hat, zuwenden wollten, so würde ein solches Verhalten als höchst verdienstlich im Angesichte Gottes angesehen werden ... [Seite 105]

Verherrliche Seinen Namen und sei unter den Dankbaren. Übermittle Meine Grüße Meinen Geliebten, die Gott für Seine Liebe auserlesen hat und die Er zu ihrem Ziel gelangen ließ. Aller Ruhm sei Gott, dem Herrn aller Welten.

LXXXVII. Und nun zu deiner Frage: „Wie kommt es, daß keine Aufzeichnungen über die Propheten zu finden sind, die Adam, dem Vater der Menschheit, vorausgingen, oder über die Könige, die in den Tagen jener Propheten lebten?“ Wisse, daß das Fehlen irgend eines Hinweises auf sie kein Beweis dafür ist, daß sie nicht wirklich da waren. Wenn uns heute keine Aufzeichnungen über sie zu Gebote stehen, so sollte das sowohl ihrer äußersten Zeitenferne als auch den ungeheuren Veränderungen zugeschrieben werden, welche seit ihrer Zeit über die Erde gegangen sind.

Überdies waren solche Formen und Arten des Schreibens, wie sie jetzt den Menschen geläufig sind, den Geschlechtern, die vor Adam waren, nicht bekannt. Es gab sogar eine Zeit, in der die Menschen der Kunst des Schreibens völlig unkundig waren und ein System anwandten, das gänzlich verschieden von dem heute Gebräuchlichen ist. Zu einer genauen Darlegung hierüber würde eine sorgfältig ausgearbeitete Erläuterung notwendig sein.

Betrachte die Unterschiede, die seit den Tagen Adams entstanden sind. Die verschiedenen und weitbekannten Sprachen, die jetzt von den Völkern der Erde gesprochen werden, waren ursprünglich unbekannt, ebenso das Vielerlei der heute unter ihnen herrschenden Grundsätze und Sitten. Die Menschen jener Zeit sprachen eine andere als die uns beute bekannte Sprache. In einem späteren Zeitalter erhoben sich Sprachverschiedenheiten in einem Land, das als Babel bekannt ist. Der Name Babel wurde ihm gegeben, weil der Ausdruck den „Platz“ bedeutet, „wo die Verwirrung der Sprachen entstand“.

Darnach trat Altsyrisch unter den bestehenden Sprachen besonders hervor. Die heiligen Schriften früherer Zeiten wurden in jener Zunge geoffenbart. Später erschien Abraham, der Freund Gottes, und ergoß über die Welt das Licht göttlicher Offenbarung. Die Sprache, die Er sprach, als Er den Jordan überquerte, wurde als Hebräisch (‘Ibráni) bekannt, das bedeutet „die Sprache der Überquerenden“. Die Bücher Gottes und die heiligen Schriften wurden damals in jener Zunge geoffenbart, und erst nach einer beträchtlichen Zeitspanne wurde Arabisch die Offenbarungssprache ...

Bezeuge daher, wie zahlreich und weitgreifend die Veränderungen in Sprache, Ausdruck und Schrift seit den Tagen Adams gewesen sind. Wie viel größer müssen die Veränderungen vor Ihm gewesen sein!

Es ist Unsere Absicht, bei der Offenbarung dieser Worte zu zeigen, daß der eine, wahre Gott immer an Seinem allerhöchsten und erhabenen Ort gewesen ist und ewig dort verbleiben wird, hoch über dem Lob und Begreifen aller außer Ihm. Seine Schöpfung hat immer bestanden, und die Manifestationen Seiner göttlichen Herrlichkeit und die Tagesanbrüche ewiger Heiligkeit sind seit undenklichen Zeiten niedergesandt und beauftragt worden, die Menschheit zu dem einen wahren Gott zu rufen. Daß die Namen einiger von ihnen vergessen sind und die Geschichte ihres Lebens verloren ging, ist den Wirren und Wechseln zuzuschreiben, die über die Welt dahingegangen sind. [Seite 106]

In gewissen Büchern ist eine Sintflut erwähnt, die alles, was auf Erden vorhanden war, geschichtliche Aufzeichnungen und andere Dinge, zerstörte. Ferner haben sich viele Umwälzungen ereignet, die die Spuren mancher Ereignisse verwischten. Außerdem weichen die vorhandenen geschichtlichen Aufzeichnungen voneinander ab, und jedes der verschiedenen Völker der Welt hat seine eigene Berechnung über das Alter der Erde und ihre Geschichte. Einige verfolgen ihre Geschichte auf achttausend Jahre zurück, andere auf zwölftausend. Jedem, der das Buch Júk gelesen hat, wird es klar und deutlich, wie sehr die in den verschiedenen Büchern gegebenen Berichte auseinandergehen.

Bitte Gott, daß du deine Augen der größten Offenbarung zuwenden und diese einander widersprechenden Berichte und Überlieferungen vollkommen außer acht lassen mögest.

LXXXVIII. Wisse wahrlich, daß das Wesen der Gerechtigkeit sowohl, als ihre Quelle, beide in den Gesetzen verkörpert sind, die von Ihm verordnet wurden, der die Offenbarung von Gott selbst unter den Menschen ist — so ihr zu denen gehört, die diese Wahrheit erkennen! Er verkörpert wahrlich für die ganze Schöpfung die höchste, die unfehlbare Stufe der Gerechtigkeit. Würde Sein Gesetz so sein, daß es die Herzen aller, die im Himmel und auf Erden sind, mit Schrecken erfüllte, so wäre dieses Gesetz dennoch nichts anderes als die offenbare Gerechtigkeit. Die Furcht und Erschütterung, welche die Offenbarung dieses Gesetzes in den Herzen der Menschen hervorruft, sollte tatsächlich den Schreien des Säuglings verglichen werden, der von seiner Mutter Milch entwöhnt wird — so ihr zu denen gehört, die es wahrnehmen! Würden die Menschen die treibende Absicht von Gottes Offenbarung entdecken, so würden sie sicherlich ihre Furcht beiseite legen und mit dankerfülltem Herzen in außerordentlicher Freude frohlocken.

LXXXIX. Genau so fest wie du glaubst, daß das Wort Gottes — gepriesen sei Seine Herrlichkeit — ewig dauert, so mußt du wahrlich auch mit einem von allen Zweifeln freien Glauben daran festhalten, daß dessen Bedeutung niemals erschöpft werden kann. Diejenigen, die seine berufenen Ausleger sind, sie, deren Herzen die Verwahrungsorte seiner Geheimnisse bilden, sind jedoch die einzigen, die seine mannigfache Weisheit erfassen können. Wer immer beim Lesen der heiligen Schriften versucht ist, hier herauszugreifen, was ihm angemessen scheint, um damit die Autorität des Vertreters Gottes unter den Menschen herauszufordern, gleicht in der Tat einem Toten, wenn er auch, äußerlich gesehen, mit seinen Mitmenschen wandelt, mit ihnen Umgang pflegt und Nahrung und Trank mit ihnen teilt.

O könnte mir die Welt doch glauben! Würden alle Dinge, die im Herzen Bahá’s eingeschlossen liegen, und die der Herr, Sein Gott, der Herr aller Namen, Ihn gelehrt hat, der Menschheit enthüllt, so würde jeder Mensch auf Erden wie vom Donner gerührt sein.

(Fortsetzung folgt)

[Seite 107]



GÖTTLICHE LEBENSKUNST[Bearbeiten]

Aus dem Englischen übertragen

15. KAPITEL: EWIGES LEBEN

(Fortsetzung)


Was ist ewiges Leben?

Die Unsterblichkeit des Geistes geht aus allen heiligen Büchern hervor; sie ist die Hauptgrundlage der göttlichen Religionen. Nun heißt es, daß es zweierlei Arten von Bestrafung und Belohnung gibt: Erstens die Belohnung und Bestrafung in diesem Leben, und zweitens die Belohnung und Bestrafung in der andern Welt. Aber sowohl Paradies als Hölle sind in allen Welten Gottes zu finden, sei es in dieser oder in den geistigen, himmlischen Welten. Diese Belohnungen zu erlangen, heißt das ewige Leben erlangen. Deshalb sagte Christus: „Handelt so, daß ihr das ewige Leben ererbet, und daß ihr wiedergeboren werdet aus Wasser und Geist, damit ihr in das Himmelreich eintretet....“

Die Belohnung in der anderen Welt ist das ewige Leben, was deutlich aus allen heiligen Büchern hervorgeht; es besteht in himmlischer Vervollkommnung, ewiger Belohnung und immerwährender Glückseligkeit. Die Belohnungen in der andern Welt sind die Vollkommenheit und der Friede, die wir in den geistigen Welten erlangen, nachdem wir diese Welt verlassen haben. Die Belohnungen dieses Lebens dagegen sind die in dieser Welt bereits verwirklichten glänzenden und erhabenen Eigenschaften. Sie sind für uns die Ursache des ewigen Lebens, denn sie bilden den wirklichen Fortschritt im Dasein. Dies gleicht der Entwicklung des Menschen vom Embryo bis zur Reife, da er zur Offenbarung der Worte wird: „Gelobt sei Gott, der beste der Schöpfer!“ Die Belohnungen in der andern Welt sind Friede, geistige Gunstbezeigungen, die verschiedenen geistigen Gaben im Königreiche Gottes, die Erfüllung der Wünsche von Herz und Seele und die Begegnung mit Gott in der ewigen Welt. Die Strafen aber in der andern Welt, das heißt die Qualen, bestehen darin, daß die Seelen der besonderen göttlichen Segnungen und der unumschränkten Gaben beraubt sind und daß sie auf die niedrigsten Stufen des Daseins herabsinken. Wer dieser göttlichen Gunst beraubt ist, wird von dem Volk der Wahrheit als tot betrachtet, obwohl er nach dem Tode des Körpers weiterlebt. (1)

Du hast über die Natur der Seele gefragt. Wisse wahrlich, daß die Seele ein Zeichen Gottes ist, ein himmlisches Kleinod; ihre Wirklichkeit vermag auch der Gelehrteste der Menschen nicht zu erfassen, und kein noch so scharfsinniger Geist darf jemals hoffen, ihr Mysterium zu ergründen. Sie ist das erste unter allen erschaffenen Dingen, das die Vortrefflichkeit seines Schöpfers verkündet, das erste, das Seine Herrlichkeit erkennt, sich an Seine Wahrheit hält und sich in Anbetung vor Ihm beugt. Wenn sie gottgläubig ist, wird sie Sein Licht widerstrahlen und am Ende wieder zu Ihm zurückkehren. Wenn ihr aber die Ergebenheit zu ihrem Schöpfer mangelt, dann wird sie ein Opfer des Selbstes und der Leidenschaft und wird am Ende in deren Tiefen versinken. (2)


Der Tod ist eine Zustandsänderung

... Wenn der Körper eine Veränderung erleidet, muß der Geist nicht [Seite 108] davon betroffen werden. Wenn du einen Spiegel zerbrichst, auf den die Sonne scheint, so ist der Spiegel zwar zerbrochen, aber die Sonne scheint weiter... Wenn eine Lampe zerbrochen ist, kann die Flamme noch strahlend weiter brennen.

Ebenso ist es mit dem Geiste des Menschen. Mag auch der Tod seinen Körper zerstören, so hat er doch keine Macht über den Geist. Dieser ist ewig und lebt immer weiter... (3)

...Der Gedanke, der Geist werde nach dem Tode des Körpers umkommen, wäre der Einbildung gleich, daß ein Vogel, der in einem Käfig sitzt, vernichtet werde, wenn man den Käfig zerbricht, obwohl der Vogel von der Zerstörung des Käfigs nichts zu fürchten hat. Unser Körper gleicht dem Käfig, und unser Geist dem Vogel. Wir sehen, daß dieser Vogel im Schlaf ohne den Körper fliegt. Wenn daher der Käfig zerbrochen ist, so wird der Vogel dennoch weiterleben; seine Gefühle werden noch stärker sein, und seine Glückseligkeit wird zunehmen. (4)

Ein Freund frug: „Wie sollte man dem Tod entgegensehen?“ 'Abdu'l-Bahá antwortete: „Wie sieht man dem Ende einer Reise entgegen? Mit Hoffnung und Erwartung. Ebenso ist es mit dem Ende dieser Erdenreise. In der nächsten Welt wird der Mensch sich von vielen Unzulänglichkeiten, unter denen er jetzt leidet, befreit fühlen. Wer durch den Tod gegangen ist, lebt in einer eigenen Sphäre. Sie ist der unsrigen nicht entrückt; ihr Wirken im Königreich ist das unsrige; aber sie ist geheiligt von dem, was wir Zeit und Raum nennen. Unsere Zeit wird nach der Sonne gemessen. Wenn es keinen Sonnenaufgang und keinen Sonnenuntergang mehr gibt, so gibt es für den Menschen auch nicht mehr diese Art von Zeit. Jene, die aufgestiegen sind, leben unter anderen Bedingungen als diese hier auf Erden; doch besteht keine wirkliche Trennung zwischen ihnen.

Im Gebet tritt eine Vermischung der Stufen, eine Vermischung der Zustände ein. Betet für sie, so wie sie auch für euch beten!“ (5)


Das Leben nach dem Tode

Die Mysterien, deren der Mensch in dieser irdischen Welt nicht achtet, die wird er in der himmlischen Welt entdecken, und dort wird ihm das Geheimnis der Wahrheit kund. Wieviel mehr noch wird er Personen, mit denen er zusammen gewesen ist, wieder erkennen oder entdecken! Ohne Zweifel werden die heiligen Seelen, die zu reinem Schauen gelangen und mit Einblick begnadet sind, im Königreich der Leuchten mit allen Mysterien vertraut werden, und sie werden nach der Gabe trachten, die Wirklichkeit jeder großen Seele zu bezeugen. Ja, sie werden die Schönheit Gottes in jener Welt deutlich schauen. Ebenso werden sie alle Freunde Gottes aus alten und jüngsten Zeiten in der himmlischen Versammlung vorfinden.

Was die Verschiedenheit der Art und der Stufe zwischen Lazarus und jenem „reichen Mann“ betrifft, so war sie erstens geistig und zweitens materiell. Der eine war auf der höchsten Stufe der Erkenntnis und der andere in den untersten Tiefen der Unwissenheit. Die Verschiedenheit der Art und der Stufe wird bei allen Menschen naturgemäß wahrgenommen, wenn sie aus dieser sterblichen Welt dahingegangen sind. Sie bezieht sich aber nicht auf den Raum, sondern auf die Seele und ihr Bewußtsein. Das Königreich Gottes ist ja geheiligt über Raum und [Seite 109] Zeit; es ist eine andere Welt, ein anderes Weltall. Aber den heiligen Seelen ist die Gabe der Vermittlung verheißen. Und wisse du sicherlich, daß in den göttlichen Welten die geistig Geliebten einander erkennen und Vereinigung miteinander suchen werden — eine geistige Vereinigung. Ebenso wird eine Liebe, die jemand für einen andern gehegt hat, in der Welt des Königreiches nicht vergessen werden. Desgleichen wirst du dort das Leben, das du in dieser irdischen Welt geführt hast, nicht vergessen. (6)

Der Tod beut jedem zuversichtlich Gläubigen den Kelch des wahren Lebens. Er spendet Freude und bringt Fröhlichkeit. Er verleiht die Gabe ewigen Lebens. (7)

O Sohn der Höhe! Ich habe den Tod zu einer Freudenbotschaft für dich gemacht. Warum bist du traurig? Ich habe das Licht zu deiner Erleuchtung erschaffen. Warum verhüllst du dich vor ihm? (8)

Es ist klar und offensichtlich, daß alle Menschen nach ihrem körperlichen Tod den Wert ihrer Taten würdigen und all dessen bewußt werden, was ihre Hände getan haben ... Sie, die Nachfolger des einen wahren Gottes, werden im Augenblick ihres Hinscheidens aus diesem Leben solche Freude und Fröhlichkeit erfahren, die zu beschreiben nicht möglich ist; jene aber, die im Wahn leben, werden von solcher Furcht und solchem Erzittern gepackt und von solcher Bestürzung erfüllt, daß nichts darüber geht. Wohl dem, der von dem erlesenen und unverderblichen Wein des Glaubens gekostet hat durch die gnädige Gunst und die mannigfachen Wohltaten Dessen, welcher der Herr aller Glaubensbekenntnisse ist... (9)

Wie oft schon ist ein Sünder in der Stunde seines Todes zum Wesen alles Glaubens vorgedrungen und hat sich in durstigen Zügen am unsterblichen Trunke labend, den Flug zu den himmlischen Heerscharen genommen. (10)

Es ist klar, daß die erhabensten Wohnstätten im Reiche der Unsterblichkeit denen zum Wohnsitz bestimmt sind, die aufrichtig an Gott und Seine Zeichen geglaubt haben. Niemals kann der Tod zu dieser heiligen Stätte Zutritt finden. (11)

Wisse wahrlich, daß die menschliche Seele, wenn sie auf den Wegen Gottes gewandelt ist, gewißlich zur Herrlichkeit des Geliebten zurückkehren und in sie aufgenommen werden wird. Bei der Gerechtigkeit Gottes! Sie wird eine Stufe erreichen, die keine Feder beschreiben und keine Zunge zu schildern vermag. Die Seele, die der Sache Gottes treu geblieben ist und unbeirrbar fest auf Seinem Pfad blieb, wird nach ihrem Emporsteigen mit solcher Macht begabt werden, daß alle Welten, die der Allmächtige erschaffen hat, durch sie gefördert werden können. Eine solche Seele versieht und durchdringt auf Geheiß des wahren Königs und göttlichen Erziehers die Welt des Seins mit dem reinen Sauerteig und spendet die Kraft, die Künste und Wunder der Welt offenbar werden läßt. Bedenke, wie das Mehl Sauerteig zum Säuern braucht. Jene Seelen — Sinnbilder der Loslösung — sind der Sauerteig der Welt. Denke darüber nach, und werde einer der Dankbaren. (12)

Es ist möglich, daß der Zustand derer, die in Sünden und Unglauben gestorben sind, verändert wird, das heißt es mag ihnen durch die Gnade Gottes — nicht durch Seine Gerechtigkeit — Vergebung zuteil werden; denn die Gnade gibt ohne Verdienst. So wie wir [Seite 110] hier auf Erden die Kraft haben, für diese Seelen zu beten, so werden wir auch die gleiche Kraft in der andern Welt, im Königreich Gottes besitzen. Sind nicht etwa alle Menschen in jener Welt die Geschöpfe Gottes? Weil sie dies sind, können sie auch in jener Welt Fortschritte machen. Wie sie hier durch ihre ernsten Gebete Licht empfangen können, so können sie auch dort um Vergebung bitten und durch anhaltendes Gebet und Flehen Licht empfangen. Wie die Seelen mit Hilfe demütiger Bitten und anhaltender Gebete einiger heiligen Seelen in dieser Welt Entwicklung erlangen können, so ist es auch nach dem Tode. Auch durch ihre eigenen Gebete können sie Fortschritte machen, ganz besonders aber, wenn sie auch der Gegenstand der Fürbitte der heiligen Manifestation sind. (13)


Trost für die Hinterbliebenen

Seit dem Tode dieses geliebten Jünglings ist durch sein Hinscheiden von dir größte Trauer und Trübsal über dich gekommen, denn in der Blüte seiner Jahre und im Glanz seiner Jugend flog er davon in das himmlische Nest.

Doch darin, daß er aus diesem Jammertal sein Antlitz dem ewigen Neste des himmlischen Königreiches zuwandte und aus einer engen und finsteren Welt erlöst wurde und in die reinen Gefilde des Lichtes geeilt ist, liegt der Trost unseres Herzens.

Solche herzerschütternden Erlebnisse unterliegen der unerforschlichen Weisheit Gottes. Es ist, als wenn ein gütiger Gärtner ein junges und zartes Pflänzchen aus dem engen Saatbeet auf ein weites Feld verpflanzte. Durch dieses Umpflanzen wird weder das Welken noch das Dahinschwinden oder gar die Vernichtung jenes Pflänzleins verursacht, nein, es wächst und gedeiht dadurch, wird frisch und saftig, trägt Laub und Früchte. Dem Gärtner ist dieses Geheimnis wohlbekannt, während jene Seelen, die von dieser Guttat nichts ahnen, annehmen, daß der Gärtner in seinem Zorn und Grimm das Pflänzchen entwurzelte. Sei daher nicht trostlos und betrübt über die Himmelfahrt dieses Vogels der Treue, bete und flehe vielmehr beständig um Vergebung für diesen Jüngling und um seine Erhebung auf noch höhere Stufen.

Ich hoffe, du wirst zu höchster Geduld, Fassung und Ergebung gelangen, und ich flehe und bete an der Schwelle der Einheit und bitte um Verzeihung und Vergebung. Meine Hoffnung auf die unendliche Gnadenfülle Gottes geht dahin, daß Er diese Taube des Glaubensgartens auf dem Aste der höchsten Heerscharen wohnen lasse, so daß sie in den herrlichsten Tönen den Lobpreis der Vollkommenheit des Herrn der Namen und Attribute singen möge. (14)


Gebete für die Entschlafenen

O mein Gott! Du Vergeber der Sünden! Du Verleiher aller Gaben! Du Befreier aus aller Not! Wahrlich, ich flehe zu Dir, vergib denen, die das irdische Gewand abgelegt haben und zu der geistigen Welt aufgestiegen sind.

O mein Herr! Mache sie rein von ihren Übertretungen, verbanne all ihre Sorgen und verwandle ihre Finsternis in Licht. Lasse sie eintreten in den Garten der Glückseligkeit, wasche sie mit dem reinsten Wasser und lasse sie Deine Herrlichkeit auf dem erhabensten Berge erschauen. (15)

O Du vergebender Herr! Wenngleich manche Seelen ihr Leben in [Seite 111] Unwissenheit beschlossen, abspenstig und selbstisch waren, so kann fürwahr eine Woge aus dem Meere Deiner Gnade die Sünder erlösen und reinwaschen. Du gewährst Deine Gnade denen, die Dir genehm sind, und verweigerst sie denen, die Dir nicht genehm sind. Wenn Du Gerechtigkeit üben willst, so sind wir allesamt Sünder und verdienen es, verstoßen zu werden. Willst Du jedoch Gnade walten lassen, so wird jeder Sünder rein und jeder Fremdling zum Freund werden. Vergib und verzeihe daher allen und gewähre allen Deine Gnade. Du bist der Vergebende, der Lichtspender, der Mitfühlende! (16)



ÜBER DAS WESEN DER BAHA’I-OFFENBARUNG[Bearbeiten]

Von Shoghi Effendi*)


„Seit undenklichen Zeiten“, so erklärt Bahá’u’lláh, indem Er über Gott spricht, „war Er, das göttliche Sein, in der unnennbaren Heiligkeit Seines erhabenen Selbstes verborgen, und Er wird ewig weiter im unergründlichen Geheimnis Seiner unerkennbaren Wesenheit verhüllt sein. ... Zehntausend Propheten, jeder ein Moses, sind auf dem Sinai ihres Suchens wie vom Donner gerührt, da Gottes verbietende Stimme ihr ‚Du sollst Mich niemals schauen!‘ spricht, indessen sich eine Myriade Sendboten, von denen jeder so groß wie Jesus ist, bei dem Verbot: ‚Du sollst Mein Wesen nie erkennen!‘ bestürzt auf ihrem Thron erbeben.“ „Wie verwirrend ist für mich in meiner Bedeutungslosigkeit,“ beteuert Bahá’u’lláh, da Er mit Gott spricht, „der Versuch, die heiligen Tiefen Deines Wissens zu ergründen! Wie nichtig ist mein Mühen, mir eine Vorstellung von der Größe der Macht, die in Deinen Werken ruht - der Offenbarung Deiner schöpferischen Kraft — zu machen!“ „Wenn ich, o Gott, der Verwandtschaft nachsinne, die mich mit Dir verbindet“, bezeugt Er in einem weiteren, in eigener Handschrift offenbarten Gebete, „so fühle ich mich bewogen, allen erschaffenen Dingen zu verkünden: ‚Wahrlich, Ich bin Gott!‘; und wenn ich mein eigenes Selbst betrachte, siehe, so finde ich, daß es geringer als der Staub ist!“

„Da nun das Tor des Wissens des Urewigen“, stellt Bahá’u’lláh im Kitáb-i-Iqán fest, „dem Antlitz aller Geschöpfe verschlossen ist, hat Er, der Quell unendlicher Gnade ..... angeordnet, daß jene strahlenden Edelsteine der Heiligkeit vom Reiche des Geistes her in der edlen Form des menschlichen Tempels (Körpers) erscheinen und allen Menschen offenbart werden, um so der Welt die Geheimnisse des unveränderlichen Seins zu übermitteln und von den Feinheiten Seiner unvergänglichen Wesenheit zu künden. ... Alle Propheten Gottes, Seine wohlbegünstigten, heiligen und erwählten Boten, sind ohne Ausnahme die Träger Seiner Namen und die Verkörperungen Seiner Eigenschaften. . . . Jene Worte der Heiligkeit, die ursprünglichen Spiegel, die das Licht der unauslöschlichen Herrlichkeit widerstrahlen, sind nur der Ausdruck Dessen, der der Unsichtbare ist von allen Unsichtbaren.“ [Seite 112]

Daß Bahá’u’lláh wesentlich, trotz der überwältigenden Wucht Seiner Offenbarung, als eine dieser Manifestationen Gottes anzusehen ist und niemals gleichgesetzt werden kann mit jener unsichtbaren Wirklichkeit, dem Wesen des Göttlichen an sich, ist eines der wichtigsten Bekenntnisse unseres Glaubens, das nie verdunkelt werden und dessen Unverletzlichkeit anzutasten keiner seiner Anhänger gestatten dürfte.

Ebenso darf die Bahá’i-Offenbarung, die den Anspruch erhebt, der Höhepunkt eines prophetischen Zyklusses und die Erfüllung der Verheißung aller Zeiten zu sein, unter keinen Umständen versuchen, jene die voraufgegangenen Religionen beseelenden und ihnen zugrundeliegenden ersten und immerwährenden Grundsätze für ungültig zu erklären. Die jeder von ihnen innewohnende gottgewollte Autorität bestätigt und erklärt sie als ihre festeste und eigentlichste Grundlage. Sie betrachtet sie in keinem anderen Lichte, denn als verschiedene Stufen in der ewigen Geschichte und andauernden Entwicklung einer göttlichen und unteilbaren Religion, von der sie selber nur ein abzulösender Teil ist. Sie versucht auch nicht, deren göttlichen Ursprung zu verdunkeln noch die anerkannte Größe ihrer gewaltigen Werke zu verkleinern. Sie wird keinerlei Versuche unterstützen, die darauf abzielen, deren Charakter zu verdrehen oder die ihnen entströmende Wahrheit als nichtig hinzustellen. Ihre Lehren weichen nicht um Haaresbreite von den Wahrheiten ab, die jene enthalten, noch nimmt das Gewicht ihrer Sendung auch nur ein Jota oder Pünktchen von dem durch jene ausgeübten Einfluß, oder von der durch sie eingeflößten Treue. Weit entfernt davon, den Umsturz des geistigen Unterbaues der religiösen Systeme in der Welt zu erstreben, ist es ihre erklärte, unerschütterliche Absicht, deren Grundlagen zu erweitern, ihre Grundmauern neu aufzurichten, ihre Ziele miteinander in Übereinstimmung zu bringen, ihr Leben neu zu stärken, ihre Einheit zu beweisen, die ursprüngliche Reinheit ihrer Lehren wiederherzustellen, ihre Aufgaben einander zuzuordnen und zur Verwirklichung ihrer höchsten Bestrebungen beizutragen. Diese göttlich geoffenbarten Religionen sind, wie ein sorgfältiger Beobachter anschaulich gesagt hat, „nicht dazu bestimmt, zu sterben, sondern wiedergeboren zu werden ... ‚Stirbt nicht das Kind im Jüngling und der Jüngling im Mann, und doch geht weder Kind noch Jüngling unter?‘“

„Die, welche die Leuchten der Wahrheit und die Spiegel sind, die das Licht der göttlichen Einheit widerspiegeln“, so erklärt Bahá’u’lláh im Kitáb-i-Iqán, „— in welchem Zeitalter und Zyklus sie auch immer aus ihren unsichtbaren Wohnungen urewiger Herrlichkeit in diese Welt herabgesandt werden, um die Seelen der Menschen zu erziehen und alle erschaffenen Dinge mit Wohlwollen zu bekleiden — sind unveränderlich mit allbezwingender Macht begabt und mit unüberwindlicher Herrschaft ausgestattet... Diese geheiligten Spiegel, diese Morgenröten urewiger Herrlichkeit sind einer und alle die irdischen Vertreter Dessen, der das Zentralgestirn des Weltalls, sein Wesen und letztes Ziel ist. Er ist es, aus dem sie Wissen und Macht empfangen. Er ist der Urquell ihrer Herrschaft. Die Schönheit ihres Antlitzes ist eine bloße Spiegelung Seiner Erscheinung und ihre Offenbarung ein Zeichen Seines unvergänglichen [Seite 113] Glanzes... Sie sind die Mittler nieerschöpfter Gnade und offenbaren das Licht, das niemals ausgeht... Nie kann die menschliche Zunge ihr Lob in angemessenen Worten singen, noch Menschensprache ihr Geheimnis künden.“ „Da alle diese Vögel des Himmelsthrones“, fährt er fort, „vom Himmel des Willens Gottes herabgesandt sind und alle sich erheben, um Seinen unwiderstehlichen Glauben zu verkünden, so werden sie als eine Seele und als die nämliche Person betrachtet ... Sie alle wohnen in dem gleichen Zelte, erheben sich zum gleichen Himmel, sitzen auf dem gleichen Throne, reden in der gleichen Sprache und verkünden alle den gleichen Glauben ... Sie unterscheiden sich allein im Grade ihrer Offenbarung und der entsprechenden Fähigkeit ihres Lichtes... Daß gewisse Eigenschaften Gottes durch diese Wesen der Loslösung nicht nach außenhin geoffenbart worden sind, bedeutet keineswegs, daß diejenigen, die der Tagesanbruch von Gottes Eigenschaften und die Schatzkammern Seiner heiligen Namen sind, sie nicht doch in der Tat besaßen.“

Wir sollten weiterhin bedenken, daß, wie groß auch immer die durch diese Offenbarung kund getane Macht und wie ausgedehnt auch immer die Reichweite der Sendung sein mag, die ihr Urheber eröffnet hat, sie dennoch nachdrücklich den Anspruch, als letzte Offenbarung des Willens Gottes und Seiner Absicht für die Menschheit angesehen zu werden, ablehnt. Eine solche Vorstellung über ihren Charakter und ihre Wirksamkeit zu hegen, würde einem Verrat an ihrer Sache und einer Verleugnung ihrer Wahrheit gleichkommen. Sie müßte notwendigerweise im Widerspruch mit der fundamentalen Lehre sein, die die Grundlage des Bahá’i-Glaubens bildet, der Lehre, daß religiöse Wahrheit nicht absolut, sondern nur relativ ist, daß die göttliche Offenbarung wohlgeordnet, dauernd und fortschreitend und nicht starr oder endlich ist. Die entschiedene Zurückweisung des Anspruches auf Letztlichkeit, den irgend eines der durch die Propheten der Vergangenheit ins Leben gerufenen religiösen Systeme erheben mag, ist bei den Anhängern des Glaubens Bahá’u’lláh’s genau so klar und nachdrücklich wie ihre eigene Weigerung, diese nämliche Letztlichkeit für die Offenbarung zu beanspruchen, mit der sie ein gemeinsamer Begriff sind. „Zu glauben, daß alle Offenbarung abgeschlossen, daß die Tore der göttlichen Gnade zugemacht sind, daß sich an den Aufgangsorten ewiger Heiligkeit in Zukunft keine Sonne mehr erheben werde, daß das Weltmeer ewigwährender Freigebigkeit für immer still liegt und die Boten Gottes aufgehört haben, sich aus dem Zelt urewiger Herrlichkeit zu offenbaren,“ das muß in den Augen eines jeden Anhängers des Glaubens ein schweres, anverantwortliches Abgehen von einem seiner betonten und grundlegenden Prinzipien bilden.


*) Entnommen aus „Die Sendung Bahá’u’lláh’s", Oxford 1948, S. 25 ff.



VERHÄNGNISVOLLES GESCHICHTSBEWUSSTSEIN[Bearbeiten]

Wenn in Folgendem vom Geschichtsbewußtsein die Rede ist, so ist damit gemeint jene Art des menschlichen Denkens und Fühlens, die das vergangene wie das zukünftige Weltgeschehen abhängig glaubt von bestimmten Gesetzmäßigkeiten, wie sie eben aus der bisherigen Erfahrung [Seite 114] abzulesen seien und auch für die Zukunft alleinige Gültigkeit hätten. Mit anderen Worten, der seitherige Gang der Geschichte wird als Maßstab für die Zukunft genommen, der mehr oder weniger unverrückbar festliege. Also etwa in der Art: immer das gleiche in neuer Weise, ewig im Kreise endloser Bahn. Das ist so ungefähr der Rahmen, in dem sich im großen Ganzen das geschichtliche Bewußtsein bewegt.

Und dieses geschichtliche Denken nun, dem die Menschen im allgemeinen viel mehr verfallen sind, als sie selbst ahnen, muß als eines der größten Hemmnisse für den wahren Aufstieg und Fortschritt der Menschheit betrachtet werden. Beurteilt es doch, wie gesagt, den zukünftigen Gang der Welt wie auch die menschliche Entwicklungsfähigkeit nur nach den bisherigen Erfahrungen und kann bzw. will schon gleich gar nicht an Zustände und Entwicklungsmöglichkeiten glauben, die sein „erprobtes“ Weltbild als Fehlschluß erscheinen ließen.

Daß diese Feststellung den Wert und die Leistungen der Geschichtsforschung in keiner Weise antastet, dürfte ohne weiteres klar sein. Dagegen erscheint die Geschichtsbetrachtung, zumal die auswertende, einer wesentlichen Sichtänderung bedürftig.

Schauen wir uns nach den tiefstliegenden Erfahrungen der Geschichte näher um, so dürften diese im Hinblick auf die Vergangenheit etwa mit jener Feststellung Hegels umrissen werden können:

„Die Geschichte hat noch nie etwas anderes gelehrt, als daß die Menschen nichts aus ihr gelernt haben“,

und im Hinblick auf die Zukunft spiegeln sie sich ungefähr in jenem oft gehörten Ausspruch:

„Aller Idealismus in Ehren, — aber die Welt wird nie anders werden, da doch die Menschen in ihr immer die gleichen bleiben.“

Mit bleierner Schwere lastet dieses Ergebnis geschichtlicher Erfahrung, bewußt oder unbewußt, auf den Gemütern der Menschen und ist dazu angetan, jede in ihnen aufkommende Regung zum Glauben an ein besseres Dasein, schon hier auf dieser Erde, von vornherein zu erdrücken. Ja, man kann wohl sagen, daß der allgemeine Mangel an innerer Glücksentwicklung bei den Menschen weitgehend mit dieser vermeintlichen Aussichtslosigkeit für eine Welterhöhung zusammenhängt, wenn man sich dessen auch nicht bewußt wird. Zwar ist und bleibt jedem Menschen, mehr oder weniger verborgen, die Sehnsucht nach dem Vollkommenen ins Herz gesenkt, also auch nach der höchstmöglichen Vervollkommnung der irdischen Welt im Sinne eines Abbilds der göttlichen. Aber dieser Sehnsucht gegenüber steht, im Verein mit Trägheit, Sattheit, Gleichgültigkeit, Eigenwille und Eigensucht, eben das Erfahrungsdenken, die alle einander in dauerndem Kreislauf so hingebungs- und wirkungsvoll zu fördern vermögen und von je gefördert haben, daß darüber die Sehnsucht in Vergessenheit geriet oder in falsche Bahnen gelenkt wurde.

So kann, in Anlehnung an ein Bibelgleichnis, das übliche Geschichtsbewußtsein mit einem Königsohn verglichen werden, der durch eigene Schuld zum Schweinehirten in der Fremde herabgesunken ist. Zwar mag er gelegentlich aus dunkler Erinnerung heraus die Herrlichkeiten seines [Seite 115] Vaterhauses ahnen, aber sein Leben in der erwähnten tierischen Gesellschaft ist ihm mit der Zeit zu solch selbstverständlicher und sogar lieber Gewohnheit geworden, daß er sich nicht dazu entschließen kann, dasselbe aufzugeben und sich ins Vaterhaus aufzumachen, obwohl ihm dieses offen stünde.

Wer immer für die Zukunft der Menschheit wesentlich andere Möglichkeiten als die althergebrachten aufzuzeigen wagt, begegnet in der Hauptsache einer vielfältig schillernden Reihe negativer Reaktionen, von völliger Verblüffung über Zweifel und Ablehnung bis zu hellem Spott oder gar Ärger, und zwar nicht nur bei den „Weltkindern“, sondern auch bei den bewußt religiösen Menschen. So sehr hat auch bei ihnen das Erfahrungsdenken die Stimme ihres Inneren — die die Stimme ihres Gottgesandten ist, an den sie glauben — allmählich in den Hintergrund gedrängt; so sehr, daß man mit der Zeit immer mehr in ohnmächtige Verzichtstimmung verfiel und schließlich die in den göttlichen Botschaften verheißene bessere Welt nur noch im Jenseits finden zu können vermeinte. So sehr hat auch hier das Erfahrungsdenken die Oberhand gewonnen und übt seine geheime, dämonische Herrschaft über die Seelen der Menschen aus, daß es unter anderem fast unmöglich ist, den heutigen Zustand der Welt in seinen Grundtiefen als das erkennen zu lassen, was er in Wirklichkeit ist, nämlich als völligen Bankerott der religiösen Welt, wenn dies auch bisweilen selbst von den Kanzeln herab mehr oder weniger umschrieben zugegeben wird.

Viel zahlreicher sind hier die Stimmen, die die derzeitige Weltlage etwa als einen normalen Tiefpunkt im üblichen Auf und Nieder der Geschichte gewertet wissen möchten. Zugegeben, daß das Weltgeschehen sich in Wellenlinienform abspielt, und zwar zugegeben auf Grund der Geschichtserfahrung wie auf Grund der Betrachtung geistig-kosmischer Gesetzmäßigkeit im Sinne jener grundlegenden Feststellung in einem der „Verborgenen Worte“ von Bahá’u’lláh: „Auf Reichtum folgt Armut, und auf Armut folgt Reichtum.“ Aber für den Sinn des Daseins — und um diesen geht es ja letzthinnig — für die Beantwortung dieser Frage also ist es von entscheidender Bedeutung, ob diese Wellenlinie fortlaufend aufsteigendes Bestreben zeigt oder ob sie immer auf gleicher Höhe bleibt oder sogar in absteigender Richtung verläuft. Es bleibe dem einzelnen überlassen, sich Gedanken darüber zu machen, ob der jetzige Tiefpunkt nach zwei furchtbaren Weltkriegen und angesichts eines drohenden dritten mit seinen Erduntergangs-Aussichten, ob dieser Tiefpunkt höher liegt als der Tiefpunkt zur Zeit der mosaisch-christlichen bzw. der christlich-mohammedanischen Zeitenwende. Man lasse sich dabei nicht durch die erreichten materiellen Fortschritte täuschen! Sie hatten immer einen Pferdefuß. Dies zeigt sich seit neustem in mehr als eindrucksvoller Weise an der Entdeckung der Atomenergie, die nunmehr auch auf dem physischen Plan das zu verwirklichen droht, was auf dem geistig-seelischen in größtem Umfang bereits Wirklichkeit ist, Wirklichkeit in dem Sinne, daß für die Augen des Gottgesandten die Erdenwelt längst tot ist, gestorben an den Kettenreaktionen ihres gespaltenen Selbsts, woran unter anderem auch gerade der materielle Fortschritt namhafte Schuld trägt. [Seite 116]

Kehren wir zu unserem Bild von der Wellenlinie zurück. Wer könnte bezweifeln, daß die Gottgesandten die stetig aufsteigende Linie für die Weltentwicklung im Auge hatten? Ihr Auferweckungsruf galt immer auch dem Platzgreifen einer ständig höheren Veredlung des äußeren Geschehensablaufs in der Welt, in erster Linie gedacht als natürliche Folge hingebungsvoller Befolgung ihrer geistigen Lehren durch die Menschen. Ja, das Bild, das sie von den zu erstrebenden Zuständen zeichnen bzw. das ihnen die überkommenen Berichte in den Mund legen, erscheint dem geschichtlichen und dem sogenannten vernünftigen Denken gewöhnlich so phantastisch, daß es von ihm entweder in das Reich der Fabel oder, wie schon gesagt, in das Jenseits verwiesen wird.

Bahá’u’lláh hat nun als erster in der Reihe der Sendboten Gottes mit eigener Feder einen konstruktiven Plan für die künftige Weltordnung niedergelegt, vor deren dereinstigen Auswirkungen die höchsten Kulturblüten der Vergangenheit werden völlig verblassen müssen. Es muß in Wahrheit ein Reich des „Herrn der Herrlichkeit“ sein, was da auch auf der irdischen Ebene in Erfüllung gehen wird, — notfalls über noch weitere Trümmer hinweg, wenn die Menschen sich nicht freiwillig dafür hergeben.

Wer sich neben den grundlegenden Lehren der Gesegneten Vollkommenheit, Bahá’u’lláh, unvoreingenommen auch in Seinen Weltordnungsplan vertieft, muß notwendigerweise die Überzeugung gewinnen:

Ließe sich dieses künftige mächtige Friedensreich dazu herbei, daß es schon jetzt für ein kurzes von der Menschheit probeweise in seiner ganzen Wirklichkeit erlebt werden könnte, dann würde diese mit Schrecken gewahr werden, wie sehr sie dem Glauben an die Erfahrung, also dem geschichtlichen Denken hörig ist und wie wenig sie den wahren Glauben kennt, der „Berge zu versetzen vermag“. Und mit einem Schlag wollte sie dann mit keiner Faser mehr an den alten Auffassungen und Einrichtungen festhalten, von denen sie in ihrer Gesamtheit aus Erfahrungs- und anderen Gründen seit Urzeiten nicht mehr oder nur in äußerst dürftiger oder fragwürdiger Weise losgekommen ist.

Daß aber die neue Welt den Menschen von der Vorsehung nicht in den Schoß gelegt wird, sondern daß sie sie selbst erringen müssen und mit göttlicher Hilfe erringen können, ist ein Geheimnis, dessen Ergründung sehr anspornend und fördernd zu wirken vermag. Nicht Gott, sondern die Menschen sind es, die die Welt zu dem gemacht haben, was sie heute ist. Sie ist zwar „vollkommen überall“, nur eben da nicht, „wo der Mensch hinkommt mit seiner Qual“. Nicht Gott, sondern die Menschen haben hier etwas gebunden, was sie auch selbst wieder lösen müssen. So verlangt es ewiges Gesetz.

Wer den Plan von Bahá’u’lláh mit voller Hingabe studiert, vermag bereits eine Sicht zu gewinnen, der gegenüber seine vorherigen Erwägungen über die Zukunft der Welt ihm nur als ein unsicheres und verworrenes Tasten erscheinen müssen, so er sich überhaupt schon einmal ernstlich Gedanken darüber gemacht hat und nicht nur von der Sorge um sein alleiniges Wohl beseelt war. — Er wundert sich mit allem Grund darüber, wie er vorher ohne diese Sicht auskommen konnte, für deren Verwirklichung sich an seinem [Seite 117] Platz einsetzen zu können und zu dürfen, den Sinn des Daseins erst zur vollen Abrundung bringt und das Leben erst wahrhaft lebenswert macht. Befreit atmet er auf, da der lähmende Alpdruck der verhängnisvollen Zukunftsschlüsse des Erfahrungsdenkens von ihm fällt; und nicht minder sieht er sich erlöst von der ewig bangen Frage nach dem sogenannten unerforschlichen Schicksal, das das Erfahrungsdenken in nur zu billiger Weise für all das verantwortlich macht, was über seinem Horizonte liegt und von seiner Trägheit nicht gewendet zu werden vermag. — Beglückt erlebt er in dieser gewonnenen Sicht die endliche rettende Vereinigung von Glauben, Vernunft und Wissenschaft, die den Weg zu einer Welt öffnet, in der man dereinst, wie gesagt, über das menschenunwürdige, streitvolle und rückständige Geschehen der Vergangenheit ebenso verwundert den Kopf schütteln wird, wie man es heute über das Gebaren sogenannter wilder Völkerschaften tut.

So unabsehbar ist der Fernblick, den die nachhaltige Beschäftigung mit dem Weltplan von Bahá’u’lláh gewährt, daß der Hüter des Bahá’i-Glaubens, Shoghi Effendi, in seinem Brief „Weltenwende“ an die Gläubigen folgendes bemerkt:

„Es würde selbst von seiten der erklärten Anhänger des Glaubens von Bahá’u’lláh vermessen sein, wollten sie Anspruch darauf erheben, alle Ausfolgerungen Seines wunderbaren Planes für ein weltumfassendes menschliches Zusammenstehen oder auch nur seine Bedeutung begriffen zu haben. Der Versuch, alle seine Möglichkeiten zu erkennen, seine künftigen Vorzüge abzuschätzen, seine Erhabenheit zu schildern, wäre verfrüht.“

Wer zu freudiger Bejahung der Lehren von Bahá’u’lláh gelangt ist, hat damit Zugang gewonnen zu einem völlig neuen und dazu endlos erweiterungsfähigen Bewußtsein, das über dem Nebel des Erfahrungsdenkens und seiner alles nur grau in grau sehenden Zukunftsschlüsse liegt und das stets die Sonne der alles belebenden und beherrschenden göttlichen Macht gegenwärtig zu haben vermag. Mit anderen Worten, er beginnt mit Staunen und zugleich als beglückende Bestätigung eigener innerer Ahnung die Stufe des Menschen innerhalb der Schöpfung und seine Bestimmung und Aufgabe als etwas so unsagbar Großes zu erkennen, daß er hinsichtlich der Höhen und Weiten menschlicher Fortentwicklung, auch schon hier auf Erden, grundsätzlich alles für möglich hält. Religion aber hat für ihn von da ab nicht mehr bloß die Bedeutung von Mahnung, Trost, Erbauung und gelegentlicher Gebetsverrichtung, wozu sie im allgemeinen herabgesunken ist, sondern Religion wird sein ganzes Denken, Tun und Lassen durchwirkende heiligste und freudigste Verpflichtung sein, deren Erfüllung alles von Grund auf umwandeln muß.

Es ist nachgerade nicht mehr unbekannt, daß alle Gedanken und Empfindungen im Unsichtbaren wirkende Mächte sind, ja sogar das Wesentliche, das Urtümliche des Weltgetriebes ausmachen: So kann also selbst der „einfachste“, zu äußeren Großtaten vielleicht weniger berufene Mensch schon vermöge der seiner neuen Bewußtseinslage entsprechenden dynamischen Ausstrahlungen im Unsichtbaren namhaften Anteil haben an der Neugestaltung der Welt. Er hilft damit gewissermaßen einen ersten Lichtschacht durch den dichten Nebel des [Seite 118] herrschenden Geschichtsbewußtseins zu schaffen und ihn ständig zu erweitern. Denn, „wahrer Glaube ist eine dynamische Kraft“, sagt ‘Abdu’l-Bahá.

Wann endlich wird man begreifen, daß nur ein völliger Wandel im Denken und Handeln die Rettung zu bringen vermag, und daß alle anderen Rettungsversuche im besten Fall nur erbärmliches Flickwerk erreichen?!

Wann wird man auch eindringlich erkennen, daß ein Erfolg nur dann beschieden sein kann, wenn mit dieser Umstellung jeder bei sich selber den Anfang macht?!

Und — wird wohl dem Hörer solchen und ähnlichen Hinweises auf die neue, weltumspannende Gottesbotschaft die geistige Fähigkeit eigen sein, um die verantwortungsvolle Verpflichtung zu erkennen, die ihm aus dem Umstand erwächst, daß diese Kunde ihm zu Ohren gedrungen: die Verpflichtung vor seinem Gewissen, hier zum mindesten ernsthaft und vorurteilslos zu prüfen? — Wird er sich außerdem dessen bewußt werden, daß er es seinem göttlichen Ursprunge schuldet, dem Dargebotenen selbständig nachzuforschen? — Oder wird er am Ende, dem entgegen, etwa Zeitmangel ins Feld führen oder erst einmal abwarten wollen oder Furcht haben vor den Menschen oder zuvor andere darüber befragen müssen oder von vornherein selbst alles besser wissen oder anderes mehr, — ungeachtet dessen, daß es dabei um sein und der ganzen Menschheit Glück und Heil geht? — Wie wird er handeln? Darauf kommt es an!

Hierzu zum Schluß noch ein Wort von Bahá’u’lláh:

„Jeder einsichtige Mensch wird an diesem Tage bereitwillig zugeben, daß der Plan, den die Feder dieses Unterdrückten geoffenbart hat, die höchste belebende Kraft für den Fortschritt der Welt und die Erhöhung ihrer Völker darstellt. Erhebt euch, o Menschen, und entschließt euch durch die Macht der göttlichen Kraft, den Sieg über euer Selbst zu erringen, damit vielleicht die ganze Menschheit aus ihrer Hörigkeit gegenüber den Götzen ihrer eitlen Einbildung erlöst werde — Götzen, die ihren armseligen Anbetern so großen Schaden zugefügt haben und für ihr Elend verantwortlich sind. Diese Trugbilder sind das Hindernis, das den Menschen in seinem Bemühen, auf dem Pfade der Vervollkommnung vorwärtszuschreiten, hemmt. Wir hegen die Hoffnung, daß die Hand göttlicher Macht der Menschheit ihre Hilfe leihen und sie aus ihrem Zustand schmerzlicher Erniedrigung befreien möge.“*)

O.G.

*) „Sonne der Wahrheit“, 19. Jahrgang, Heft 9-10, Seite 146.



EIN BEITRAG ZUM WELTFRIEDEN[Bearbeiten]

Wenige Jahre nach dem zweiten Weltkrieg ist der Frieden der Menschheit wiederum ernsthaft bedroht. Diese Gefahr wird wohl erkannt, doch scheinen alle politischen und wirtschaftlichen Versuche zu einer grundlegenden Verständigung zwischen den Großmächten zum Scheitern verurteilt zu sein.

Es tritt immer offener zutage, daß sich alle Menschen guten Willens zusammenschließen müssen, um die inneren und äußeren Voraussetzungen für gerechte und friedliche Lösungen [Seite 119] internationaler Spannungen zu finden. Ohne die sittlichen, aussöhnenden und verbindenden Kräfte der Religion kann dieser Zusammenschluß nicht erreicht werden. Es muß „über die Grenzen der Nationen, Rassen und Religionsbekenntnisse hinweg die Erkenntnis Allgemeingut werden, daß die Welt eine Heimat ist für die ganze Menschheit“.

In diesem Bemühen erblicken die Bahá’i heute ihre vornehmste Aufgabe. Die gewählte Treuhandgemeinschaft der deutschen Bahá’i, der Nationale Geistige Rat der Baha’i in Deutschland und Österreich e. V., ist Ende Dezember dieses Jahres mit einer „Denkschrift für den Weltfrieden“ an die Öffentlichkeit herangetreten, um im Bewußtsein seiner Verantwortung mit konkreten Vorschlägen auf Grund der Bahá’i-Weltreligion einen Beitrag zum Weltfrieden zu leisten.

In dem Begleitbrief wendet sich der genannte Nationale Geistige Rat an die Empfänger u. a. mit folgenden Worten:

„Es kann nie zu früh sein, sich dieser Aufgabe zu widmen, aber es kann einmal — und wer weiß, wie bald — zu spät sein! Wenn erst der Lauf eines weiteren Krieges verbietet, Worte für den Frieden zu sprechen, würde wieder die verzweifelte Anklage laut werden: ‚Warum habt ihr eure Stimme nicht erhoben, solange es noch Zeit war?‘

Wir legen Ihnen hier ein Weltfriedensprogramm vor, dem keiner, der vorurteilslos und unabhängig denkt, seine tätige Förderung versagen kann.

Eine Weltordnung, die der Menschheit den Frieden verbürgt, muß in ihrem Ursprung göttlich, in ihrer Anwendung gerecht, in ihrer Methode wissenschaftlich und in ihrem Ausmaß universell sein. Die Botschaft, der dieses Programm zur Bildung eines wahren Weltgemeinwesens zugrunde liegt, wendet sich an alle Völker, Rassen, Klassen und Bekenntnisse. Sie führt die sittlichen Normen der menschlichen Gesellschaft auf ihre absoluten Werte zurück, um dem göttlichen Gebot menschlicher Brüderlichkeit in der geistigen Einheit der Menschheit seine praktische Wirksamkeit zum Segen aller zu verschaffen.“

Die Denkschrift gliedert sich in folgender Weise:

Die geistige Situation unserer Zeit,
Weltfriedensprogramm: Der Weg zur Weltordnung,
Geschichtlicher Abriß der Bahá’i-Weltreligion,
Bahá’u’lláh’s Ruf,
Aus Urteilen bekannter Persönlichkeiten über die Bahá’i-Weltreligion.

Es ist vorgesehen, in unserer Zeitschrift später über das Echo unseres Aufrufes zum Weltfrieden zu berichten. Es steht noch eine Anzahl dieser Denkschrift ernsthaften Interessenten zur Verfügung. Wir bitten unsere Leser, sich dieserhalb an die Verlagsabteilung des Nationalen Geistigen Rats der Bahá’i in Deutschland und Österreich e. V., Frankfurt a.M., Westendstraße 24, zu wenden.

Dr. E. Sch.

[Seite 120]



UM DIE EHE[Bearbeiten]

Von Erna Schmidt


Wenn der Mensch in diese Welt hineingeboren wird, ist er nicht einsam, sondern empfängt die ersten Wohltaten gemeinschaftlicher Liebe. Dem Kinde wird die liebende Sorgfalt der Mutter zuteil und so wird es von Anfang an in die kleinste Lebensgemeinschaft, die Familie, freudig aufgenommen.

In dem Maße nun, wie der junge Mensch heranwächst, wird er in eine Vielfalt von menschlichen Beziehungen hineingeführt. Mannigfache Gemeinschaftsformen umschließen sein Leben gleichsam wie Kreise, die für seine Entwicklung mitbestimmend werden. Mit zunehmender Reife wird sich der Mensch dessen bewußt, daß sein Leben unlösbar mit dem seiner Mitmenschen und deren Lebensformen verwoben ist.‘Abdu’l-Bahá spricht von zweifacher Art menschlicher Verbundenheit.

„Alle erschaffenen Dinge sind sichtbare Offenbarungen Gottes Vaterschaft, Seiner Gnade und himmlischen Gaben. Auch die menschliche Bruderschaft liegt hell wie die Sonne zutage, da alle Diener eines einzigen Gottes sind, zu einem einzigen Menschengeschlechte gehören, den nämlichen Erdball bewohnen, unter dem Schutz des allüberspannenden Himmelszeltes ruhen und in der Flut der Göttlichen Segnungen untertauchen. Die menschliche Bruderschaft und Abhängigkeit ist dadurch gegeben, daß gegenseitige Hilfsbereitschaft und Zusammenarbeit die beiden nötigen Grundsätze menschlicher Wohlfahrt sind. Dies ist die physische Verwandtschaft des Menschengeschlechtes. Es gibt noch eine andere Bruderschaft, die geistige, die höher, heiliger und erhabener als alle übrigen ist...

Die wahre Bruderschaft ist geistig, ist doch die physische Bruderschaft der Trennung unterworfen. Die Kriege der äußeren Daseinswelt trennen die Menschheit, aber die ewige Welt der geistigen Bruderschaft kennen keine Trennung. Materielle oder physische Vereinigung beruht auf irdischen Interessen, die göttliche Gemeinschaft aber verdankt ihr Sein dem Hauch des Heiligen Geistes.“1)

Die Ehe als Lebensgemeinschaft von Mann und Frau soll Ausdruck sowohl der menschlichen als auch der geistigen Bruderschaft sein. Die Bedeutung der Ehe kann wohl kaum überschätzt werden, denn wir wissen, die meisten aus eigener Erfahrung, wie sehr diese engste Gemeinschaft auf das persönliche Leben Einfluß nimmt.

‘Abdu’l-Bahá spricht von drei Dingen des menschlichen Lebens, denen die größte Wichtigkeit zukommt und wovon eines die Ehe ist. Neben der Ehe sind nach ‘Abdu’l-Bahá die Weltanschauung und die Berufswahl die wichtigsten Lebensentscheidungen.

Die Ehe wird allgemein als die öffentlich anerkannte Vereinigung von zwei Menschen verschiedenen Geschlechts zu einer dauernden Lebensgemeinschaft und zur Gründung einer Familie angesehen. Bekanntlich unterscheidet man kulturgeschichtlich zwischen Einehe und Vielehe, bzw. Monogamie und Polygamie. Im Abendland hat sich besonders durch den Einfluß des Christentums die Einehe durchgesetzt, [Seite 121] im Orient jedoch kann man heute noch polygame Ehen finden.

Die Ehe ist wie keine andere Gemeinschaftsform in ihrer gegenseitigen Verpflichtung insofern von besonders weittragender Bedeutung, als, wenn sie einmal eingegangen ist, nicht ohne besondere Schwierigkeiten gelöst werden kann. Demgegenüber ist die Dauer der anderen menschlichen Verbindungen wie Freundschaft, Kameradschaft und die vielen persönlichen und wirtschaftlichen Interessengemeinschaften grundsätzlich dem freien Ermessen der Partner überlassen. Das Bündnis der Ehe soll Glück und Leid überdauern und sich als ein für Zeit und Ewigkeit geschlossenes Band erweisen. In seinen Gedenkblättern sagt Emanuel Geibel über die Ehe:

„Das ist die rechte Ehe,
wo zweie sind gemeint
durch alles Glück und Webe
zu pilgern treu vereint
der eine Stab des andern
und liebe Last zugleich
gemeinsam Rast und Wandern
und Ziel das Himmelreich.“


Die Liebesgemeinschaft zweier Menschen soll den Adel geistigen Wachstums tragen. „Das höhere Ziel der Ehegemeinschaft ist dieses, daß einer den andern heilige und sich von ihm heiligen lasse“ ist ein Wort von Schleiermacher. ‘Abdu’l-Bahá sagt uns, was die Heirat von Bahá’i bedeutet, nämlich „daß Mann und Frau geistig und körperlich eins werden müssen, damit sie ewig geeint sein mögen in allen göttlichen Welten und einander im geistigen Leben vervollkommnen. Dies ist die Bahá’i-Ehe...“ und weiter: „Die Bahá’i-Verlobung bedeutet vollkommene Zustimmung und völlige Einwilligung beider Teile. Sie müssen einander die größte Aufmerksamkeit erweisen, und jedes sich mit der Wesensart des andern vertraut machen. Der feste Bund zwischen ihnen muß eine ewige Bindung werden, und ihr Bestreben muß Wesensverwandtschaft, Freundschaft, Einigkeit und Leben für ewig sein.“2) Daraus können wir entnehmen, daß die Wahl des Ehepartners für das ganze Leben des Menschen von entscheidender Bedeutung ist. Die Tragweite einer ehelichen Verbindung findet nach den Bahá’i-Lehren vor allem auch dadurch ihren Ausdruck, daß schon das Verlöbnis nach getroffener freier Entscheidung von der Zustimmung seitens des Vaters und der Mutter abhängig gemacht wird. Bahá’u’lláh sagt darüber: „Wahrlich, im Buch Bayan ist die Angelegenheit abhängig gemacht von der Zustimmung der beiden. Weil Wir wünschten, Liebe und Freundschaft und die Einigkeit unter den Menschen hervorzubringen, machten Wir es auch von der Zustimmung der Eltern abhängig, auf daß Feindschaft und Übelwollen vermieden werden mögen."3)

‘Abdu’l-Bahá antwortete einem diesbezüglichen Fragesteller: „Was die Frage der Verheiratung im Einklang mit dem Gesetze Gottes betrifft: Zunächst mußt du deine Wahl treffen, dann hängt es ab von der Zustimmung von Vater und Mutter. Ehe du nicht gewählt hast, haben diese kein Recht, sich darein zu mischen.“4)

Eines der höchsten Ziele jeder aus wahrer Liebe geschlossenen Ehe ist die harmonische Einheit und Friedfertigkeit, die aber der natürlichen Polarität nicht entbehren soll, wie sie sich aus den männlichen und weiblichen [Seite 122] Anlagen und den seelisch-geistigen Prägungen der Ehegatten ergibt. Diese eheliche Harmonie findet deshalb als die ursprünglichste und engste Gemeinschaft von Menschen ihren wahren Ausdruck in einem Gleichgewichtszustand.

Die in der Bahá’i-Lehre als eines der Hauptprinzipien vertretene Gleichberechtigung von Mann und Frau gilt vornehmlich auch für die Gemeinschaft der Ehe. Sie soll nicht nur die geistige Ebenbürtigkeit von Mann und Frau, sondern auch das gleichberechtigte Zusammenwirken der männlichen und weiblichen Eigenschaften dartun. Nur auf diese Weise kommt das gesunde Gleichgewicht zustande, das sich sowohl für die Familie als auch für alle mit dieser Ehe in Berührung kommenden Menschen als segensreich erweist, Das von ‘Abdu’l-Bahá verheißene Zeitalter des Ausgleichs der männlichen und weiblichen Kräfte kann nur auf dem Boden solcher, diesem Lebensgesetz folgenden Ehen erstehen. Während Paulus in Epheser davon spricht: „Die Weiber seien untertan ihren Männern als den Herrn“ oder „Das Weib aber fürchte den Mann“, äußerte sich ‘Abdu’l-Bahá im Hinblick auf die soziale Stellung der Frau der Zukunft wie folgt: „In der Vergangenheit wurde die Welt durch Gewalt regiert, und der Mann herrschte über die Frau, weil er sowohl körperlich als geistig kräftiger ist und mehr zum Angriff neigende Eigenschaften besitzt. Aber die Zunge der Waage senkt sich schon; die Gewalt verliert ihre Vorherrschaft und geistige Regsamkeit, Intuition und die geistigen Eigenschaften der Liebe und des Dienens, in denen die Frau stark ist, gewinnen an Einfluß. Daher wird das neue Zeitalter ein weniger männliches Zeitalter sein und mehr von den weiblichen Idealen durchdrungen sein oder, um mich genauer auszudrücken, es wird ein Zeitalter sein, in dem die männlichen und weiblichen Elemente der Zivilisation besser ausgeglichen sein werden.“5)

„Die Frauen müssen fortschrittlich gesinnt sein, und ihre Kenntnisse müssen sich zur Vervollkommnung der Menschheit auf Wissenschaft, Literatur und Geschichte erstrecken. Binnen kurzem werden sie zu ihrem Rechte kommen. Die Männer werden sehen, wie die Frauen ernsthaft und würdig an der Besserung des bürgerlichen und politischen Lebens arbeiten, wie sie sich dem Krieg widersetzen und Stimmrecht und gleiche Möglichkeiten fordern. Ich hoffe, daß ihr Frauen in allen Phasen des Lebens Fortschritte macht; dann werden eure Stirnen mit dem Diadem unvergänglichen Ruhmes gekrönt sein.“6)

Man stellt immer wieder fest, daß diese Wandlung im Verhältnis von Mann und Frau noch zu wenig in den Wirkungsbereich der Ehe eingedrungen ist. Zweifellos bergen Ehe und Familie unter diesem Gesichtspunkt sehr wertvolle, bisher noch wenig erschlossene, soziale Werte in sich. Es ist hier besonders auf die segensreichen Auswirkungen der Beratung sowohl in allen Ehe- und Familienangelegenheiten als auch in Problemen und Entscheidungen, die außerhalb dieses engen Gemeinschaftskreises liegen, hinzuweisen.

Die Einheit von Mann und Frau im Sinne der Bahá’i-Weltreligion schließt die Möglichkeit in sich, daß die weiblichen Tugenden und Eigenschaften über den Kreis der Familie hinaus auf [Seite 123] das öffentliche und berufliche Leben größeren Einfluß gewinnen.

Die Vernunftehe wird der hohen Bestimmung des Lebensbündnisses keineswegs gerecht, es wird nur die Liebesehe sein, die die höchste Erfüllung der Ich-Du-Gemeinschaft verspricht. Es tut aber ein klarer Blick not, um in der Wahl des Ehegatten über der Liebe im engeren Sinne nicht die anderen Voraussetzungen einer glücklichen Ehe aus dem Auge zu verlieren, wie gegenseitiges Verstehen, körperliche und seelische Entsprechung.

Das Schicksal zweier in der Ehe verbundener Menschen wird jedoch in entscheidender Weise von ihrer Lebens- und Weltanschauung mitbestimmt. Manche Ehe scheitert an der fehlenden Gemeinsamkeit auf diesem Gebiet. Die Tragik so mancher, sogenannter gemischten Ehen darf nicht unerwähnt bleiben. Wenn in den wichtigsten Lebensfragen zwischen den Ehepartnern, zu denen das Verhältnis des Menschen zu Gott und Umwelt zählen, keine gleiche Zielsetzung gefunden wird, wird früher oder später der Bestand der Ehe bedroht, wenn nicht gar erschüttert. Kompromiß-Versuche lähmen erfahrungsgemäß die geistige und sittliche Höherentwicklung der Ehe.

Nicht zuletzt wirken sich derartige Zustände und Spannungen allzu oft sehr zum Nachteil des seelischen Gleichgewichtes der aus solchen Ehen entsprossenen Kinder aus. Wenn den Kindern auch die elterliche Liebe zukommt, so bedürfen sie doch zur vollen Entfaltung ihrer besten Anlagen und Fähigkeiten einer harmonischen Atmosphäre des Elternhauses. Was der Mensch in seinen Kindesjahren empfängt und erfährt, trägt entscheidend zur Formung und Ausrichtung seines Lebens bei. Auch hier führt der Bahá’i-Grundsatz der Einheit zu der Einsicht und Konsequenz, daß bei der Gattenwahl die gleiche Weltanschauung eine der wichtigsten Voraussetzungen ist.

Wie wir wissen, haben nach den Lehren Bahá’u’lláh’s Vorurteile jeglicher Art keine Berechtigung und sind deshalb zu überwinden. Dies gilt für jedes Lebensgebiet und deshalb auch für die Wahl des Ehegatten. Bahá’u’lláh verkündigte die Einheit des Menschengeschlechts. ’Abdu’l-Bahá sagt: „Alle Völker und Nationen stammen von einer Familie ab, sie sind die Kinder eines Vaters und sollten zueinander sein, wie liebevolle Geschwister.“ Nach den Bahá’i-Lehren können deshalb die Ehegatten zwei verschiedenen Rassen angehören. ‘Abdu’l-Bahá betont, daß alle Stämme, Rassen, Bekenntnisse und Klassen gleichen Anteil „an den Gaben ihres himmlischen Vaters“ haben. Der kulturelle Unterschied zwischen Völkern und Rassen ist kein grundsätzlicher, sondern nur ein entwicklungsbedingter. Daraus beantwortet sich die Rassenmischungsfrage, die künftig bei Eheschließungen im Zuge der Öffnung der Grenzen mehr denn je an Bedeutung gewinnen wird. Es sei in diesem Zusammenhang noch ein Wort 'Abdu'l-Bahá’s bezüglich rassischer Unterschiede angeführt: „Der einzige Unterschied liegt im Grad ihrer Aufrichtigkeit, die Gebote Gottes zu befolgen. Es gibt einige Menschen, die sind wie entzündete Fackeln und andere, die wie Sterne am Himmel der Menschheit leuchten. Die, welche die Menschheit lieben, sind die vortrefflichsten Menschen, einerlei, welcher Nation, welchem Bekenntnis oder [Seite 124] welcher Farbe sie auch angehören mögen.“7)

Die sittliche und gemeinschaftsbildende Kraft der Ehe wird von Bahá’u’lláh auch dadurch unterstrichen, daß er das Zölibat abschafft und die Mönche ausdrücklich zum Eintritt in die Ehe auffordert. „Tretet in die Ehe, auf daß ihr Nachkommen habt, denn Wir haben Unreinheit verneint und euch Treue auferlegt. Ihr seid eure eigenen Wege gegangen und habt den Wegen des Herrn den Rücken gekehrt. Fürchtet den Herrn und seid nicht von den Toren. Wer würde, wenn nicht für den Menschen, Meinen Namen verkünden in Meinem Lande, und wie sonst könnten Meine Eigenschaften und Attribute geoffenbart werden? Denkt darüber nach, und seid nicht von denen, die verschleiert sind und schlafen .. .“8)

Dr. Esslemont sagt darüber: „Welche Berechtigung auch für das Mönchsleben in alten Zeiten und vergangenen Verhältnissen bestanden haben mag, Bahá’u’lláh erklärt, daß solch eine Berechtigung nicht länger vorhanden ist. Und in der Tat, es ist unverkennbar, daß der Austritt einer großen Zahl der Frömmsten und Gottesfürchtigsten der Bevölkerung aus der Gemeinschaft mit ihren Mitmenschen und ihr Zurückweichen vor den Pflichten und der Verantwortlichkeit der Elternschaft eine geistige Verarmung der Rasse zur Folge hat.“9)

Die Auffassung über die Ehe ist naturgemäß im Laufe der Menschheitsentwicklung Wandlungen unterworfen. Ihre Gesetze und Formen zeigen in den überlieferten Religionen Abweichungen.

Bahá’u’lláh hat die Ehe als göttliche Einrichtung erneut bekräftigt und ihre hohen Werte deutlich gemacht. Es ist deshalb nicht überraschend, daß nach dem Willen Bahá’u’lláh’s das Bündnis der Ehe grundsätzlich als ein unlösbares angesehen werden soll. Es gibt aber Fälle, in denen die Aufrechterhaltung einer Ehe zum Schaden der Beteiligten gereicht, weil aus irgend welchen Gründen die unerläßlichen Voraussetzungen einer solchen engen Lebensgemeinschaft verloren gegangen sind. In solchen Fällen mag der Weg zur Scheidung beschritten werden. 'Abdu'l-Bahá nimmt zu dieser Frage in einem Tablet an die Bahá’i in Amerika folgendermaßen Stellung: „Die Freunde müssen sich streng einer Scheidung enthalten, ehe etwas vorgekommen ist, das sie zwingt, sich aus gegenseitiger Abneigung zu trennen. In solchen Fällen mögen sie sich mit Kenntnis des Geistigen Rates entschließen, sich zu trennen. Sie müssen dann geduldig sein und ein volles Jahr warten. Wenn während dieses Jahres zwischen ihnen Einklang nicht wieder hergestellt wird, dann mag ihre Scheidung vollzogen werden ... Die Grundlage des Königreiches Gottes beruht auf Einklang und Liebe, Einheit, Verbundenheit und Einigkeit, nicht auf Streit, besonders nicht zwischen Mann und Frau. Wer von beiden die Schuld an der Scheidung trägt, wird unfehlbar in große Schwierigkeiten geraten, wird das Opfer schrecklichen Unglücks werden und wird schwere Gewissensbisse leiden.“10)

In Bezug auf die Einrichtung der Ehe und die Ehescheidung sind für die Bahá’i die Gesetze des jeweiligen Landes maßgebend, so daß die [Seite 125] Verwirklichung der von Bahá’u’lláh darüber aufgestellten Gebote an den Rahmen dieser Gesetze gebunden ist. Später wird die Bahá’i-Ehe ihre wachsende Bedeutung auch dadurch gewinnen, daß mit der allgemeinen Annahme der Bahá’i-Offenbarung das von Bahá’u’lláh geoffenbarte Buch der Gesetze zur Anwendung kommen wird.

Wir können in der Ehe als dem ursprünglichen und kleinsten Lebenskreis der Menschen die Lebensschule erblicken, in der die im Menschen verborgenen sittlichen Werte und Fähigkeiten zur ersten Entfaltung gelangen mögen.

Das Hohe Lied von Liebe und Treue, wie oft haben wir es schon vernommen, wie jubelnd klingt es am Beginn wohl jeder Lebensgemeinschaft auf und in unzähligen Ehen verliert es leider seinen sieghaften Klang, um schließlich ganz zu verstummen. Welch ungeheure Fülle der Tragik birgt gerade die Ehe hinsichtlich ihrer Inhaltstiefe und Beständigkeit in sich. Es kann wohl aus der Erfahrung heraus gesagt werden, daß nahezu jede Ehegemeinschaft einmal in Zeiten der Krise hineingeführt wird. Wie und ob nun solche Schwierigkeiten überwunden werden, daran erweist sich das Elixier die Lebenskraft einer Ehe. Nichts anderes, als die religiöse Verpflichtung und Verbundenheit werden die Kraft verleihen, die Klippen zu umschiffen. So können wir sagen, daß nur die Ehe für dauernden inneren Bestand und für glückliches Füreinander und Ineinanderleben bürgt, deren Partner von dieser starken, überwältigenden, ethischen Kraft der Religion getragen sind, d.h. daß sie die Gebote Gottes zu ihrer Lebensgrundlage erwählt haben. Dann werden auch Vertrauen, gegenseitige Achtung, Ehrfurcht, Hilfsbereitschaft und Zusammenarbeit treue Begleiter ihres Lebensbundes sein. Und haben sich diese ethischen Werte im Kreise der Ehe und Familie bewährt, so werden sie auch im größeren Kreis der Gemeinschaft segensreich weiterwirken. Die Größe eines Lebensbundes und einer Familie beweist sich dadurch, daß sie gleichsam wie ein Stern am Firmament der Menschheit strahlend leuchtet oder, anders ausgedrückt, zur aufbauenden Zelle der Einheit der Menschheit wird.


1) Bahá’i-Studientexte, Geist der Gemeinschaft, S. 2/3.

2) „Bahá’u’lláh und das Neue Zeitalter“, Genf 1939, S. 268.

3) Ebenda, S. 267.

4) Ebenda, S. 267/68.

5) Ebenda, S. 227.

6) Ebenda, S. 226.

7) Ebenda, S. 244.

8) Ebenda, S. 265/66.

9) Ebenda, S. 267.

10) Ebenda, S. 269.



AUS DER BAHÁ’I-WELT[Bearbeiten]

Deutschland:

Bericht über die Sommerschule in Frankfurt a. Main, Eßlingen-Krummenacker und auf Burg Breuberg.

Zum erstenmal fand in diesem Jahr auch in Frankfurt a. Main in Räumen des Verwaltungszentrums ein Schulungstreffen statt.

Da zu dem gegebenen Zeitpunkt (Ende Mai) ein längerer Urlaub für die meisten der Freunde nicht möglich war, wurde die Veranstaltung in einem verlängerten Wochenende zusammengefaßt, und so fanden sich vom 27. — 29. Mai 1950 32 Teilnehmer zu diesem Treffen zusammen. Durch gute Zusammenarbeit aller konnte nahezu das gesamte für die ursprünglich geplante Sommerschulwoche vorgesehene Programm erfüllt werden. Die Themen: „Du und die Weltordnung“, „Bahá’i-Religion und Christentum“ und „Unser Fünf-Jahresplan“, wurden in verschiedenen Arbeitskreisen behandelt unter der Leitung von Dr. H. Großmann, Frau A. Großmann, Frau Johanna von Werthern, Albrecht Nagel und Arthur Bonacker.

Für alle Teilnehmer sind diese Pfingsttage zu einem starken Erleben und wahren Pfingsten geworden. —

Die Bahá’i-Sommerschule in Eßlingen-Krummenacker vom 6. bis 13. August wurde von Dr. Eugen Schmidt durch einen begeisternden Bericht über die [Seite 126] Europäische Lehrkonferenz in Kopenhagen eingeleitet. Dadurch war eine Atmosphäre der Bereitschaft und Tatkraft geschaffen, von der die gemeinsame Arbeit aller Teilnehmer getragen war. In Eßlingen wurden dieselben Themen wie in Frankfurt in Arbeitskreisen behandelt. Grundlegendes über die Bedeutung des Bündnisses Gottes zu allen Zeiten, von Adam über Moses, Krischna, Buddha, Zoroaster, Christus, Muhammed bis Bahá’u’lláh, übermittelten zwei Vorträge von Dr. Heide Jäger, die durch die von ihr eingestreuten Fragen an die Teilnehmer besonders anregend waren. Es wurde aufgezeigt, daß alle Gottesoffenbarer zu bestimmten Zeiten den Menschen den Willen Gottes übermitteln. Das Ziel aber, das der Göttliche Plan von Ewigkeit her für die Menschheit bestimmte, ist: das Menschengeschlecht in Seinem verheißenen auf Erden zu gründenden Reich zu einen. Die Manifestation unserer Zeit, Bahá’u’lláh, weist dazu den Weg. Die Verordnungen des neuen Bündnisses Gottes wurden erstmalig in der Religionsgeschichte in authentischen Schriften niedergelegt, wodurch Spaltung und Sektenbildung unterbunden werden. Das Bündnis Gottes mit den Menschen fordert bedingungs- und vorbehaltlose Annahme Seiner Gebote, Gehorsam und Unterwerfung gegenüber Seinem Plan und Seinen Einrichtungen, Studium Seiner Lehre und selbständiges Erforschen der Wahrheit.

Mrs. Beatrice Ashton aus USA sprach an zwei Vormittagen über die Handhabung der Bahá’i-Administration. Sie betonte die Wichtigkeit des Beratungsprinzips, das die Gewähr für eine sachliche Lösung der Probleme biete und wies auf den Lebenszweck des Bahá’í hin, der im Dienste der Menschheit, in völliger Hingabe und Gehorsam gegenüber dem Göttlichen Willen bestehe.

Dr. Eugen Schmidt behandelte die sozialen Fragen im Rahmen der Weltordnung von Bahá’u’lláh. Er wies darauf hin, daß die Überwindung der wirtschaftlichen Schwierigkeiten von heute mehr eine Angelegenheit des Herzens als eine solche des Intellekts seien, daß durch den raschen Fortschritt auf wissenschaftlichem und technischem Gebiet die materiellen Werte beherrschenden Einfluß gewonnen hätten und die geistigen Werte mehr und mehr verkümmert seien. Die Bahá’i-Lehre betone jedoch eindeutig den Geist als das Primäre, als Ursache allen Geschehens, was eine Umwertung, eine neue Deutung von in den Menschenrechten verankerten Begriffen zur Folge habe. Es wurde klar ersichtlich, daß die sozialen Fragen nur dann befriedigend gelöst werden können, wenn die Faktoren der Gerechtigkeit, Beratung, Liebe und Opferbereitschaft innerhalb der Menschheit in einer der menschlichen Stufe würdigen Form entwickelt und gestärkt werden.

In einem Arbeitskreis mit Arthur Bonacker über unsern Fünf-Jahresplan und die damit verbundene Lehrpflicht wurde besonders herausgestellt, daß wir die vor uns liegenden Aufgaben nur dann erfüllen können, wenn wir Vertrauen in die Kraft des Bündnisses haben, in die hohe Berufung unseres Hüters und in das Gelingen der Durchführung dieses Planes. —

Wie wichtig die Tatsache des Vorhandenseins authentischer Schriften in der Bahá’i-Religion und vor allem genauer Richtlinien auf Grund der Bündnisse hinsichtlich der Nachfolgeschaft und Textauslegungen sind, ging aus den Ausführungen von Frau Johanna von Werthern hervor, die über das Thema: „Bahá’i-Religion und Christentum“ sprach.

An zwei Abenden hörten die Freunde zwei Vorträge von Frau Erna Schmidt über die Bedeutung des Opfers in der Religion und von Günther Heyd über die Weltordnung Bahá’u’lláh’s, die als eine wertvolle, verinnerlichende Bereicherung der Tagesarbeit von den Teilnehmern begrüßt wurde.

Verschiedene musikalische Darbietungen brachten willkommene Abwechslung. Mrs. Ashton zeigte Lichtbilder von verschiedenen Bahá’i-Gemeinden im Ausland.

Nur allzu rasch war die Zeit verflogen, aber alle Freunde aus nah und fern, auch aus USA, Frankreich, Schweden und Persien, hatten wieder neue Kräfte gesammelt für ihre Bahá’i-Arbeit, und sicher denken alle gerne an die schönen Tage gemeinsamen Schaffens und Erlebens im Bahá’i-Heim Eßlingen-Krummenacker zurück.

Rund 35 Freunde fanden sich vom 31. Juli bis 6. August auf Burg Breuberg (Neustadt/Odenwald) zur Jugend-Sommerschule zusammen. Auch für sie war die Woche ein großes geistiges Erlebnis, das der Jugendarbeit neue Impulse gab. Ihr besonderes Gepräge erhielt die Jugend-Sommerwoche durch die Anwesenheit von elf ausländischen Freunden aus Norwegen, England, Frankreich, der Schweiz und USA, die zum größten Teil von der Kopenhagener Lehr-Konferenz kamen.

Es darf wohl als das wesentlichste Ergebnis der Woche angesehen werden, daß in der Jugend das Verständnis für die Aufgaben und die Arbeit in der Gemeinde geweckt und vertieft wurde. Es war eine [Seite 127] Jugend-Sommerschule — und so kam natürlich neben dem geistigen Streben auch der jugendliche Frohsinn nicht zu kurz.

H. Sch.


Jugendarbeit:

Unter dem Leitthema: „Bahá’i-Jugend heute und morgen“ veranstaltete der Nationale Jugendausschuß am 21. und 22. Oktober in Maulbronn ein Herbsttreffen, an dem neben Vertretern des Nationalen Geistigen Rates der Bahá’i auch zwei Vertreter der US-Land-Commission Württemberg-Baden teilnahmen. Die Tagung befaßte sich vor allem mit Fragen der praktischen Jugendarbeit sowie den Aufgaben der Bahá’i-Jugend innerhalb der Verwaltungsordnung.


Gedenkfeier zur Geburt von Bahá’u’lláh am 12. November 1817

Am 12. November dieses Jahres wurde die Geburt von Bahá’u’lláh in allen größeren Bahá’i-Gemeinden in einer öffentlichen Gedenkfeier mit Ansprachen über die große Bedeutung der neuen Offenbarung an die Menschheit begangen.

Unser Glaubensfreund Günther Heyd, Mitglied der Hamburger Bahá’i-Gemeinde und zur Zeit stellvertretender Vorsitzender des Nationalen Geistigen Rates der Bahá’i in Deutschland und Österreich e. V., vollendete am 3. Dezember sein 50. Lebensjahr. Wer Günther Heyd näher kennt, weiß, daß er es nicht liebt, von seiner Arbeit zu sprechen. In der kulturellen Welt wurde er durch sein Lebenswerk, seine tiefschürfende und umfassende Goetheforschung über Deutschlands Grenzen hinaus bekannt. Wir entnehmen einer Beurteilung seines Schaffens einen für unseren Freund kennzeichnenden Satz: „Das besonders Schätzenswerte an Heyd ist sein selbstloses Sich-Einsetzen für eine lebendige Goetheforschung; dies ist seine Aufgabe, die er mit dem ihm eigenen Ernst erfüllt.“

So vollzieht sich auch seine wertvolle Arbeit zur Verbreitung der Bahá’i-Weltreligion weitgehend in stiller Weise.

Wir wünschen unserem Freund und Mitarbeiter für sein Wirken in Wort und Schrift als Beitrag zur Befriedung der Menschheit von Herzen weiterhin viel Segen und Erfolg. Der jetzt fünfzigjährige Schriftsteller schrieb einmal über menschliches Bemühen folgende Worte nieder:

„Glaube mir, daß du Heiliges tust:
Wenn du heiß dich mühst und nicht eher ruh’st,
Als bis das Werk, das du begannst,
So vollkommen ist, wie du’s machen kannst.
Nicht, daß man dich rühme und reich belohne,
Sondern wegen der unsichtbaren Krone,
Die über jeglichem Dinge schwebt,
Das sich zum möglichen Besten erhebt.“
Die Schriftleitung


Schweiz

Bericht über die Bahá’i-Konferenz in Zürich vom 18./19. November 1950

Wenn die Schweizer Bahá’i über diese Tagung den Leitgedanken „Tieferes Bewußtsein unserer unausweichlichen Verantwortung“ und „Tieferes Bewußtsein der Macht unseres Glaubens“ gestellt hatten, dann lag dem eine sehr tiefe Wahrheit zu Grunde, die ich stärker denn je an diesen beiden Tagen erlebte und fühlte.

Ich will versuchen, zu schildern, was ich gesehen und gelernt habe. Es ist das schon von vorn herein ein schwieriges Beginnen. Ich fühlte mich der unendlichen Liebe aller Schweizer Freunde gegenüber derart unbedeutend und klein, wodurch das Bahá’i-Treffen zu einem gewaltigen, eindrucksvollen und nie in meinem Leben verblassenden Erlebnis wurde. Ich kann beim besten Willen nicht all die seelisch einwirkenden Kräfte und Eindrücke mit meiner menschlich unzureichenden Sprache schildern. Mir fehlen die Worte, die Tagung so wiederzugeben, wie ich sie mit meinem Herzen erlebt habe und welche Gefühle mich dabei beherrschten. Sie werden mich aber trotzdem verstehen, weil Sie mitfühlen können; Sie werden erkennen, was mich bewegte und für alle Zukunft bewegen wird. Wenn ich sage, daß ich einen Monat alt bin, dann haltet es bitte nicht für einen Scherz. Ich bin ein völlig neuer Mensch. Ich bin in meinem innersten Herzen ruhiger, ausgeglichener, glücklicher und zufriedener geworden. Ich stehe dem Leben mit einer physischen Ausgeglichenheit gegenüber, wie nie in einer Zeit vor dieser Bahá’i-Konferenz in Zürich.

Warum? — werden Sie fragen — gut, laßt mich erzählen. — Tag für Tag bat ich Gott — tief im Gebet versunken — um Kraft, allen Schwierigkeiten zu begegnen. Fast aussichtslos erschien es manchmal, denn 14 Tage waren eine zu kurze Zeit, alle Papiere usw., zu besorgen. Es schien zuweilen mehr hoffnungslos als möglich. Ich betete, hoffte und glaubte. Ich verzagte nicht — und endlich am 17. November 1950, also einem Tag vor Konferenzbeginn, war ich im Besitz aller Papiere, Devisen usw.

Wie ein Geschenk vom Himmel schien an diesem Tag die Sonne mit einer strahlenden Schönheit, und mit einem frohen Herzen und voller Erwartung flog ich nach Zürich. [Seite 128]

Ich war tief ergriffen von der Liebe und Freundschaft, mit der ich und alle Gäste aufgenommen wurden. Noch nie in meinem Leben zuvor hatte ich diese Menschen gesehen — und doch waren wir vom ersten Augenblick an — wie Brüder und Schwestern zueinander. Keine Altersstufen trennten keine Sprache bildete ein Hindernis — eine einzige große Liebe verband uns. Ich fühlte mich nicht allein, obwohl ich in einem fremden Land war — ich verstand jeden — obwohl sie von allen Erdteilen, außer Afrika, kamen.

In zwei Sitzungstagen, Samstag Nachmittag und Sonntag von etwa 9 Uhr an, arbeiteten wir für unseren Glauben. In einem mit viel Blumen festlich geschmückten Saal wurde die Konferenz durch eine Klavier- und Violinrezitation zweier junger Schweizer Freunde eingeleitet. Eine feierliche Stille senkte sich über alle Anwesenden. In einem anschließenden Gebet gedachten wir der unermüdlichen Arbeit unseres geliebten Hüters, aller Bahá’i und beteten für alle Menschen auf dieser Erde. Ich fühlte — und alle mit mir Vereinten nicht minder — die herrliche Kraft, die von einem gemeinsamen Gebet ausgeht. Wir fühlten die Kraft der Gebete aller Bahá’i aus allen Erdteilen zu uns strömen und unsere Herzen vergaßen den Alltag, vergaßen das Schwere, was uns bedrückt und wir wurden frei, unbeschwert, und mit einer großen Aufgeschlossenheit begannen wir die Arbeit.

Fritz Semle — der Vorsitzende der Konferenz — begrüßte die Anwesenden und hieß alle herzlich willkommen. Es folgte eine Vorstellung, die jeder für sich selbst übernahm, indem er Namen und Herkunftsort nannte. Wir vernahmen u. a. Persien, Australien, Java, Holland, Luxembourg, Schweiz, USA und Deutschland. In einer Reihe von Kurzreferaten, denen jeweils eine kurze Aussprache folgte, trat ein sehr großes Arbeitsfeld und Diskussionsmaterial zutage. Ich möchte die Referate — die in Deutsch und Französisch schriftlich vorhanden waren — kurz nennen: „Die Entwicklung des göttlichen Planes“ von Frl. Honor Kempton, weiter die sieben Zielpunkte, die der geliebte Hüter in seiner Botschaft an die Kopenhagener Konferenz betonte und unserer besonderen Aufmerksamkeit empfahl: 1. „Tieferes Verständnis der Wahrheiten der Offenbarung Bahá’u’lláh’s, Seines Bündnisses und Seiner Welterdnung“ von Hans Baumann; 2. Die Konsolidierung aller Verwaltungseinrichtungen“ von Fritz Semle jun.; 3. „Schnelle Vermehrung der Mitgliedschaft“ von Gretel Reich; 4. „Wirksame Förderung der kürzlich eingeführten Ausdehnungsarbeit“ von Frau Martha Müller; 5. „Energisches Verbreiten der Bahá’i-Literatur“ von Franz Vetter; 6. „Engere Zusammenarbeit mit den Schwestergemeinden des europäischen Kontinents“ von Frau Margueritte Müller, und als letztes und auch wichtigstes „Tieferes Bewußtsein unserer unausweichlichen Verantwortung“ von Fritz Schär. Alle diese Referate waren so gehalten, daß sie uns Ziel und Richtung angegeben haben, in der wir in Europa arbeiten müssen.

Neben ernster Arbeit und Gebet kam aber auch der fröhliche und lebensstarke Geist der Bahá’i zum Ausdruck. Wir sangen Schweizer und deutsche Volkslieder zusammen, und Mr. Clark (USA) zeigte uns Bilder der Kopenhagener Lehrkonferenz vom vergangenen Herbst.

So vergingen zwei Tage — und ich möchte sagen, daß ich, nicht nur ich, sondern wir alle, viel mehr bekommen haben, als wir geben konnten. Ich bin überzeugt, daß der Geist dieser Tagung sich verbreitet und unsere Saat, vom Winde getragen, zu allen Bahá’i und Menschen wehen wird, um dort mit neuer Kraft die Arbeit fortzusetzen, die durch die Offenbarung unseres Glaubens begonnen wurde. Ich möchte es nicht versäumen, allen Freunden in der Schweiz für die Liebe, Freundschaft und für alles, was mich stark gemacht hat, recht herzlich zu danken und weiter möchte ich dem Wunsche Ausdruck verleihen — Euch alle einmal hier in Deutschland begrüßen zu können.

Der eigentliche Sinn dieser Zeilen soll aber sein: allen Bahá’i in Deutschland neuen Mut und Antrieb für unseren Glauben zu geben. Wir wollen im Gebet vereint sein, dann wird auch der Geist der Züricher Bahá’i-Konferenz bei uns einziehen und gesegnete Früchte tragen. Wir wollen uns die Hände reichen — denn die Welt ist eine Heimat — lassen wir sie eine Welt in Einigkeit sein.

Rolf W. Schiller


Herausgeber: Der Nationale Geistige Rat der Bahá’i in Deutschland und Österreich e.V., Stuttgart.

Hauptschriftleiter: Dr. Eugen Schmidt, Stuttgart.

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diesem Tage wirkt, letzten Endes diesen Zustand herbeizuführen fähig ist. Noch mehr: Der Bahá’i-Glaube legt seinen Anhängern vor allem die Pflicht des ungehemmten Suchens nach Wahrheit auf, verwirft alle Arten von Vorurteil und Aberglauben und erklärt, daß der Zweck der Religion die Förderung von Freundschaft und Eintracht sei; er verkündet in wesentlichen Fragen ihr Zusammengehen mit der Wissenschaft und erkennt sie als die größte Kraft der Befriedigung und des geregelten Fortschrittes der Menschheit. Er hält ohne Zweideutigkeit den Grundsatz gleicher Rechte, gleicher Möglichkeiten und Vorrechte für Männer und Frauen hoch, besteht auf guter Erziehung als Pflicht, tilgt die Extreme von Armut und Reichtum aus, schafft die Einrichtungen eines Priesterstandes ab, verbietet Sklaverei, Askese, Bettelei und Mönchtum und schreibt Einehe vor, mißbilligt Scheidung, betont die Notwendigkeit festen Gehorsams zur Regierung, erhöht jede Arbeit, die im Geiste des Dienens getan wird, auf den Rang des Gottesdienstes, drängt auf die Schaffung oder Auswahl einer Welthilfssprache und gibt einen Umriß für die Einrichtungen, welche den Weltfrieden begründen und dauerhaft machen sollen.


Der Herold

Der Bahá’i-Glaube kreist um drei Hauptgestalten, deren erste ein Jüngling aus Schiras namens Mirzá ‘Ali Muhammád war, bekannt als der Báb (das Tor). Er erhob im Mai 1844, im Alter von 25 Jahren den Anspruch, der Herold Dessen zu sein, der nach den Heiligen Schriften früherer Offenbarungen den Einen, der größer ist als Er selbst, verkünden und den Weg für Sein Kommen bereiten soll. Seine Sendung sei, nach eben diesen Schriften, eine Ära des Friedens und der Gerechtigkeit einzuleiten, die als die Vollendung aller früheren Sendungen begrüßt würde, um einen neuen Zyklus in der Religionsgeschichte der Menschheit einzuleiten. Rasch setzte strenge Verfolgung ein, die von den organisierten Mächten der Kirche und des Staates Seines Geburtslandes ausging und schließlich zu Seiner Gefangenschaft, Verbannung und zu Seiner Hinrichtung im Juli 1850 in Täbris führten. Nicht weniger als 20000 Seiner Anhänger wurden in so barbarischer Grausamkeit hingemordet, daß sie das warme Mitgefühl und die unbegrenzte Bewunderung abendländischer Schriftsteller, Diplomaten, Reisender und Gelehrter hervorrief.


Bahá’u’lláh

Mirzá Husayn - ‘Ali, genannt Bahá’u’lláh (die Herrlichkeit Gottes), aus der Provinz Mázindarán stammend, dessen Kommen der Báb verkündet hatte, wurde von diesen gleichen Mächten der Dummheit und des Fanatismus angegriffen, in Teheran eingekerkert, 1852 aus Seinem Heimatland nach Bagdad verbannt und von dort nach Konstantinopel und Adrianopel und schließlich in die Gefängnisstadt Akka, wo Er nicht weniger als 24 Jahre noch gefangengehalten wurde. Unweit davon starb Er im Jahre 1892. In der Zeit seiner Verbannung, vor allem in Adrianopel und in Akka, gab Er den Gesetzen und Vorschriften Seiner Sendung Ausdruck und erklärte in mehr als hundert Bänden die Grundsätze Seines Glaubens, verkündete Seine Botschaft den Königen und Herrschern des Ostens und des Westens, Christen sowohl wie Mohammedanern.


‘Abdu’l-Bahá

Sein ältester Sohn, ‘Abbás Effendi, bekannt als ‘Abdu’l-Bahá (Diener Bahá’s), war von Bahá’u’lláh zu dessen gesetzlichem Nachfolger und bevollmächtigtem Ausleger Seiner Lehren ernannt worden. Er war seit Seiner frühesten Kindheit Seinem Vater eng verbunden und teilte dessen Verbannung und Leiden. Er blieb ein Gefangener bis 1908, wo Er in Auswirkung der jungtürkischen Revolution aus der Haft entlassen wurde. Nunmehr verlegte Er Seinen Wohnsitz nach Haifa, schiffte sich dann bald zu einer drei Jahre langen Reise nach Ägypten, Europa und Nordamerika ein, in deren Verlauf Er vor einer zahlreichen Hörerschaft die Lehren Seines Vaters auslegte und das Nahen der Katastrophe voraussagte, die bald darauf die Menschheit überfallen sollte. Er kehrte nach Hause zurück am Vorabend des ersten Weltkrieges, in dessen Verlauf Er dauernd Gefahren ausgesetzt war bis zur Befreiung Palästinas.

1921 verließ Er diese Welt. Er wurde in dem auf dem Berge Karmel errichteten Grabmal beigesetzt, das nach dem Gebot Bahá’u’lláh’s für die sterblichen Reste des Báb errichtet war.


Die Verwaltungsordnung

Das Hinscheiden 'Abdu'l-Bahá’s bedeutete das Ende des heroischen Zeitalters des Bahá’i-Glaubens und bezeichnete zugleich den Beginn des gestaltgebenden Zeitalters, das den schrittweisen Aufstieg der Verwaltungsordnung des Glaubens schaffen soll. Ihre Errichtung war von dem Báb vorhergesagt, ihre Gesetze wurden von Bahá’u’lláh geoffenbart, ihre Umrisse wurden von 'Abdu'l-Bahá in Seinem Willen und Testament vorgezeichnet.

Die Verwaltungsordnung des Glaubens von Bahá’u’lláh ist dazu bestimmt, sich zu einem Bahá’i-Weltgemeinwesen zu entwickeln. Sie hat schon die Angriffe überdauert, die solche furchtbaren Feinde wie die Könige der Kadscharen-Dynastie, die Kalifen des Islam, die führenden Geistlichen Ägyptens und das Naziregime in Deutschland gegen ihre Einrichtungen gerichtet hatten, und hat ihre Zweige in alle Teile der Erde ausgedehnt, von Island bis zum äußersten Chile. Sie hat in ihren Bereichen die Vertreter von nicht weniger als 31 Rassen, darunter Christen verschiedener Bekenntnisse, Muselmänner der [Seite 130] sunnitischen und schiitischen Sekten, Juden, Hindu, Sikhs, Zoroastrer und Buddhisten. Sie hat durch ihre festgesetzten Organe Bahá’i-Schriften in 48 Sprachen veröffentlicht und verbreitet.

Diese Verwaltungsordnung ist, im Unterschied von den anderen Systemen, die sich nach dem Tode der Gründer in den verschiedenen Religionen entwickelt haben, göttlich in ihrem Ursprung, beruht mit Gewißheit auf den Gesetzen, Vorschriften, Verordnungen und Einrichtungen, die vom Begründer des Glaubens selbst ausdrücklich niedergelegt und unzweideutig festgesetzt sind und waltet in fester Übereinstimmung mit den Auslegungen der bevollmächtigten Ausleger der heiligen Texte.

Der Glaube, dem diese Ordnung dient, den sie schützt und fördert, ist, das sollte in diesem Zusammenhang wohl bemerkt werden, in seinem Wesen übernatürlich, übernational, gänzlich unpolitisch, parteilos und jedem System oder jeder Schule von Ideen, die irgendeine besondere Rasse, Klasse oder Nation über die andere zu stellen sucht, völlig entgegengesetzt. Er ist frei von jeglicher Form von Kirchentum, hat weder Priesterstand noch Riten und wird allein durch freiwillige Gaben seiner erklärten Anhänger getragen.

Wenn auch die Bekenner des Bahá’i-Glaubens ihren Regierungen treu ergeben sind, in Liebe ihrem Vaterland verbunden und darauf bedacht, zu allen Zeiten dessen Wohl zu fördern, so werden sie doch, weil sie die Menschheit als eine Einheit betrachten und deren Lebensinteressen tief verpflichtet sind, ohne Zögern jedes Einzelwohl, sei es persönlich, örtlich oder national, dem übergeordneten Wohl der Menschheit als Ganzes unterordnen; denn sie wissen gar wohl, daß in einer Welt der gegenseitigen Abhängigkeit der Völker und Nationen der Vorteil des Teiles am besten durch den Vorteil des Ganzen erreicht werden kann, und daß kein Dauererfolg durch eines der zugehörigen Teile erreicht werden kann, wenn das Allgemeinwohl des Ganzen hintangestellt wird.

Shoghi Effendi


Die zwölf Grundsätze der Bahá’i-Weltreligion


1. Die gesamte Menschheit muß als Einheit betrachtet werden.

2. Alle Menschen sollen die Wahrheit selbständig erforschen.

3. Alle Religionen haben eine gemeinsame Grundlage.

4. Die Religion muß die Ursache der Einigkeit und Eintracht unter den Menschen sein.

5. Die Religion muß mit Wissenschaft und Vernunft übereinstimmen.

6. Mann und Frau haben gleiche Rechte.

7. Vorurteile jeglicher Art müssen abgelegt werden.

8. Der Weltfrieden muß verwirklicht werden.

9. Beide Geschlechter sollen die beste geistige und sittliche Bildung und Erziehung erfahren.

10. Die sozialen Fragen müssen gelöst werden.

11. Es muß eine Einheitssprache und eine Einheitsschrift eingeführt werden.

12. Es muß ein Weltschiedsgerichtshof eingesetzt werden.