| SONNE DER WAHRHEIT | ||
| Heft V | JULI 1922 | |
| ORGAN DES DEUTSCHEN BAHAI-BUNDES STUTTGART | ||
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Die Hauptpunkte der Bahailehre
1. Die gesamte Menschheit ist als Einheit anzusehen. Alle Vorurteile gegenüber anderen Menschen, Völkern und Rassen müssen beseitigt werden.
2. Alle Religionen müssen sich in einer höheren Einheit zusammenfinden. Ein Gott, eine Religion.
3. Durch einen festgegliederten, allumfassenden Völkerbund und ein internationales Schiedsgericht muß der universale, dauernde Weltfrieden gesichert werden.
4. Neben der Muttersprache soll in jedem Land der Erde eine Welt-Einheitssprache eingeführt und gelehrt werden.
5. Jeder Mensch hat dasselbe Anrecht auf die geistigen und materiellen Güter des Lebens.
6. Die Menschen haben die Pflicht, nach Wahrheit zu forschen. Zwischen wahrer Religion und Wissenschaft besteht kein Widerspruch.
7. Beide Geschlechter sollen die beste Erziehung und eine der Begabung entsprechende Ausbildung erhalten.
8. Mann und Frau haben überall die gleichen Rechte. Jede Art von Hörigkeit ist streng verboten.
9. Für jeden Menschen besteht die Pflicht zur Arbeit. Für Arbeitsunfähige und Erwerbslose tritt eine gesetzliche staatliche Fürsorge ein.
10. Die schlimmen Wirkungen des Kapitalismus werden durch ein neugeordnetes, weises Erbrecht und durch geeignete Sozialisierung beseitigt.
11. Für jedes Gemeindewesen, wie für den Staaten- und Völkerbund, wird eine Verwaltungsbehörde mit bestimmten Verordnungsrechten u. Fürsorgepflichten -— das sog. Haus der Gerechtigkeit — eingesetzt. Im übrigen hat der Bahai jeder staatlichen Obrigkeit zu gehorchen.
12. Die Bahailehre ist die Universal- und Einheitsreligion für die ganze Menschheit. Der Mittelpunkt des neuen Gottesbündnisses und der Erklärer der Lehre ist Abdul Baha (Abbas Effendi), dem diese Stellung von seinem Vater Baha’o’llah (Hussein Ali-Nuri) übertragen wurde.
| SONNE DER WAHRHEIT ORGAN DES DEUTSCHEN BAHAI-BUNDES Herausgegeben vom Verlag des Deutschen Bahai-Bundes Stuttgart Verantwortliche Schriftleitung: Alice Schwarz - Solivo, Stuttgart, Alexanderstraße 3 Preis des Einzelheftes M. 4.75, Preis des Jahrgangs im Abonnement, vierteljähr. M. 13.50 |
| Heft 5 | Stuttgart, im Juli 1922 | 2. Jahrgang |
Inhalt: Gebet von Abdul Baha. — Brief von Shoghi Effendi an alle Bahai. — Ueber das Hinscheiden Abdul Bahas. — Brief aus Haifa von Frau A. Schwarz an ihre Familie. — Parolo de Abdul Baha en la unuigo de la spiritualistig, Salle de 1 Athenée St. Germain, Paris. 9. XI. 1911.
| „Der Himmel der göttlichen Weisheit ist erleuchtet und von ihm scheinen zwei Sonnen: die der Barmherzigkeit und der Güte! Baha ’Ullah. |
„Nur in der Einigkeit liegt Kraft. Unter einem Zelt ist Vereinigung und Harmonie. Das Bündnis Gottes am heutigen Tag der Offenbarung ist ein Rettungsboot, eine Arche der Erlösung!“ Abdul Baha |
Mache, o Gott, unsere Schritte gerade auf Deinem Weg und stärke unsere Herzen im Gehorsam gegen Dich! Wende unser Angesicht der Schönheit Deiner Einheit zu und erfreue unser Herz mit dem Zeichen Deiner göttlichen Einheit! Schmücke unsern Körper mit dem Gewand Deiner Barmherzigkeit und nimm den Schleier der Sündhaftigkeit von unseren Augen hinweg! Reiche uns den Kelch Deiner Gnade, damit alle Wesen das Lob Deiner Größe erschallen lassen! Offenbare ihnen, o Gott, Deine gnädigen Worte und das Geheimnis Deiner göttlichen Wesenheit, damit die hl. Begeisterung des Gebets ihre Seelen erfülle — einem Gebet, das über Worten und Buchstaben steht, das über das Reden in Lauten erhaben ist und bei dem alle Dinge in nichts versinken im Angesicht der Offenbarung Deiner Herrlichkeit! Mein Gott! Dies sind Diener, die fest und treu in Deinem Bund und Testament verblieben, die sich am Seil der Beständigkeit in Deiner Sache hielten und sich festklammerten an den Saum des Gewandes Deiner Größe. Hilf ihnen, o Gott, mit Deiner Gnade, bestätige sie mit Deiner Gunst und stähle ihre Lenden im Gehorsam gegen Dich! Du bist der Vergebende, der Gnädige! |
Brief von Shoghi Effendi an alle Bahai. [Bearbeiten]
- Haifa, Palästina, 5. III. 1922.
Liebe Mitarbeiter in der Sache von Baha ’Ullah!
Mit Worten des Bedauerns und der Enttäuschung möchte ich diesen Brief beginnen, denn meine Kräfte erlauben mir in Anbetracht meiner mannigfaltigen dringenden Pflichten nicht, alle persönlichen Zuschriften zu beantworten und auf die vielen Botschaften der Liebe, der Sympathie und der Zuversicht, die Ihr so freundlich an mich nach dem Hinscheiden des Geliebten gesandt habt, zu antworten. Ich bin dessen gewiß, daß ich die Empfindungen der verlassenen Frauen des Hauses wiedergebe, wenn ich sage, daß es uns, wie sehr wir auch darnach verlangen, mit den Einzelnen zu korrespondieren, — in Anbetracht der großen Verantwortung und der vielerlei Pflichten, die wir haben — leider unmöglich ist, eine handschriftliche Botschaft an jeden einzelnen Freund gelangen zu lassen und Euch mitzuteilen, was wir alle beständig fühlen und wie wir für Euch alle beim Besuch des heiligen Grabes beten.
In dieser gegenwärtigen ernsten Zeit, durch die die Gottessache nach dem Beschluß göttlicher Weisheit hindurchgehen muß, ist es heilige Pflicht für jeden Einzelnen von uns, darnach zu streben, die volle Bedeutung dieser Stunde des Uebergangs zu erkennen und daraufhin den großen Entschluß zu fassen, mit Standhaftigkeit unsere heilige Pflicht zu erfüllen. Die Liebe und väterliche Fürsorge, die unser geliebter Meister uns aus der Höhe herabsendet, ist groß, und ohnegleichen ist der Geist, der heute Seine Diener in der Welt belebt. Doch viel hängt von den Charaktereigenschaften und von den Bemühungen Seiner Geliebten ab, auf denen jetzt die Verantwortung der Weiterführung Seines glorreichen Werks ruht. Wie groß ist das Bedürfnis in der Jetztzeit, da die verheissenen Ströme Seiner Gnade bereit sind, sich über jede einzelne Seele zu ergießen, allen den Blick zu erweitern und zu klären für die Mission der heiligen Sache an der Menschheit und unsere ganze Kraft dareinzusetzen, sie in der ganzen Welt zu verbreiten! Aller Augen sind nun, da die erhabene Persönlichkeit des Meisters dieser Welt des Sichtbaren entrückt ist, mit großer Gespanntheit auf uns gerichtet, die wir uns nach Seinem Namen nennen und auf denen in erster Linie die Verantwortung liegt, die Fackel brennend zu erhalten, die Er in dieser Welt entzündete. Wie sehr empfinde ich in dieser wichtigen Entwicklungszeit der heiligen Sache die Notwendigkeit der Forderung eines festen und bestimmten Entschlusses, alle unsere persönlichen Neigungen und lokalen Interessen um der Bedürfnisse und der Notwendigkeit der Gottessache willen hintanzusetzen! Jetzt ist die Zeit, da man nicht nur alle nebensächlichen Bedenken in Anbetracht unserer besonderen Verhältnisse hintansetzen, ja gänzlich aufgeben, sondern auch einen festen, geeinigten Willen der Welt gegenüber zeigen muß, der keine andere Absicht hat, als der Verbreitung Seiner Sache zu dienen.
Es ist meine feste Ueberzeugung, die
ich nun mit allem Nachdruck ausspreche,
daß die Würde und Einheit der Lehre
es dringend verlangt, daß die Freunde
sie mit Wort und Tat bezeugen, sich betätigen
bei dem Aufbau der sozialen
Prinzipien Baha ’Ullah’s und weniger
Wert auf widersprechende Lehren legen.
Mit einem Herzen, das bis auf die letzte
Spur von Argwohn frei und mit Hoffnung
und Glauben an das erfüllt ist, was
der Geist der Liebe vermag, müssen wir
alle — zumal in diesem Augenblick —
frühere Eindrücke zu vergessen suchen
und mit absolut gutem Willen und richtigem
Zusammenarbeiten uns vereinigen
in der Vertiefung und Verbreitung des
Geistes der Liebe und in dem Dienst,
den die Lehre bisher so bemerkenswert
der Welt erzeigt hat. Mit diesem guten
Willen, mit der Duldsamkeit und der
unverfälschten Güte gegen Alle muß beständig
eine Wachsamkeit Hand in Hand
gehen, daß nicht durch Vereinigung mit
den Weltmenschen, die Wenigen, die
durch den Meister ausdrücklich als
Feinde der heiligen Sache bezeichnet
sind, eine Bresche in die Bewegung schlagen.
Erst wenn ein unverkennbarer Beweis
erbracht ist von den üblen offenkundigen
Angriffen gewisser Menschen,
ist es ratsam, die Sache zu veröffentlichen; denn eine vorzeitige Erklärung,[Seite 67]
die zu offenem Streit unter den Freunden
führen könnte, ist viel schädlicher, als
sich weiterhin zu gedulden mit denen,
von welchen man schlechte Absichten zu
erwarten hat. Wie der Meister so vollkommen
und anhaltend in Seinem ganzen
Leben tat, so müssen wir alle die
größten Anstrengungen machen, den reinen
Geist der Güte und hoffnungsvollen
Liebe auch Menschen anderen Glaubens
und anderer Klassen entgegenzubringen
und uns aller herausfordernder Reden zu
enthalten, die die Wirkung dessen, was
wirkliche und dauernde Güte bewirken
kann, verhindern könnten.
Wünscht Abdul Baha nicht, wenn Er auf uns mit gütiger Erwartung von Seiner herrlichen Stufe herabblickt, daß wir so viel als möglich die Spuren des Tadels verwischen, zu Streit führende Erörterungen, kühle Ablehnungen und kleinliche, unnötige Bemerkungen vermeiden, die das Vorwärtsschreiten der heiligen Sache hemmen, den Eifer der treuen Gläubigen dämpfen und die Erhabenheit der Bahai-Lehre in den Augen der Fragesteller herabziehen? Um jedoch gut und rasch die Angelegenheit gütlich beizulegen, wenn je einmal eine solch üble Agitation sich zeigt und vorsichtig ermittelt ist, so wird das beste und einzige Mittel (zur Verständigung) darin bestehen, daß (wenn einmal eine solch üble Handlung ganz sicher festgestellt und auf gütlichem Wege keine Einigung zu erreichen ist), die Sache in aller Stille den Vertretern der Geistigen Gemeinschaft am Ort zu großzügiger Behandlung und ernster und reiflicher Ueberlegung zu unterbreiten. Wenn die Mehrzahl der Mitglieder der lokalen Gemeinschaft nach gewissenhafter (objektiver) Prüfung des Falls, - und dies ist nationaler Brauch der Gemeinschaft der Freunde in Amerika - sich von der Richtigkeit überzeugt hat, so sollte nur durch die Vermittlung dieser Gemeinschaft der gewissenhaft geprüfte Fall der größeren Körperschaft, die alle Gemeinden (z. B. in Amerika) vertritt, mitgeteilt werden ‚die dann wiederum alle zur Verfügung gestellten Angaben der lokalen Gemeinschaft achtsam studiert und darauf selbständig die letzte Entscheidung trifft. Wenn dann entschieden ist, kann dies zu fernerer Ueberlegung und Erwägung nach dem hl. Land berichtet werden.
Dies läd augenscheinlich eine schwere Verantwortung auf die lokalen, sowie nationalen Gemeinschaften (Körperschaften), welche mit des Meisters Beistand und Führung sich im Laufe der Zeit zum lokalen und nationalen „Haus der Gerechtigkeit“ entwickeln werden. Hieraus entspringt die Notwendigkeit für eine lokale Geistige Gemeinschaft oder Körperschaft an jedem Ort, wo die Anzahl der erwachsenen Gläubigen die Zahl 9 überschreitet ("Rat der Neun“) sowie die Vorkehrung für die direkte Wahl einer Körperschaft, die in angemessener Weise die Interessen aller Freunde und der Gemeinschaften (z. B. in Amerika) vertritt.
Einige Worte von Baha ’Ullah und Abdul Baha über die Pflichten und die Tätigkeit der „Geistigen Arbeitsgemeinschaft“ in jedem Land (späterhin als das „Lokale Haus der Gerechtigkeit" bezeichnet) zeigen ausdrücklich die Heiligkeit ihrer Art, das weite Feld ihrer Tätigkeit und die schwere Verantwortung, die ihr obliegt.
In einer Anrede an die Mitglieder der
Geistigen Gemeinschaft in Chicago sagte
der Meister folgendes: "Wenn ihr das
Beratungszimmer betretet, so sprecht
folgendes Gebet mit der größten Liebe
zu Gott im Herzen, mit einer Zunge, die
rein ist von allem außer Seiner Erwähnung,
daß der Allmächtige euch gnädig,
helfe, das Höchste zu vollbringen: „O
Gott, mein Gott! Wir sind Deine Diener,
die sich in Ergebung Deinem heiligen
Antlitz zuwenden, die sich losgelöst haben
von allem außer Dir an diesem glorreichen Tage. Wir haben uns in dieser
geistigen Gemeinschaft versammelt, in
Ansicht und Gedanken einig, zu gemeinsamem Zweck, um Dein Wort den Menschen kund zu tun. O Herr, Du unser
Gott! Mache uns zu Zeichen Deiner
Göttlichen Führung, zu Standarten Deines erhabenen Glaubens unten den Menschen, zu Dienern Deines machtvollen
Bündnisses. O Du unser Gott, Du Höchster! Die Offenbarungen Deiner Göttlichen Einheit in Deinem Abha-Reich
scheinen wie die leuchtenden Sterne über
alle Länder. O Herr, hilf uns, daß wir
werden wie Meere, die aufbrausen mit
Wogen Deiner wunderbaren Gnade, wie
Ströme, die aus Deinen allerherrlichsten
Höhen fließen, wie gute Früchte, die auf
dem Baum Deiner himmlischen Sache reifen, wie Bäume, die rauschen im Winde[Seite 68]
der Gnade, der aus Deinem himmlischen
Weinberg weht! O Gott, mache unsere
Seelen gehorsam den Worten Deiner
Göttlichen Einheit, erfrische unsere Herzen mit Deiner überströmenden Gnade,
daß wir uns vereinen wie die Wogen
eines Meeres und zusammenfließen wie
die Strahlen Deines hervorbrechenden
Lichts, daß unsere Gedanken, unsere Ansichten, unsere Gefühle wie eine Wirklichkeit werden und sie den Geist der
Einheit in der Welt offenbaren! Du bist
der Gnädige, der Barmherzige, der Bestätigende, der Allmächtige, der Gütige,
der Mitleidsvolle!“
Im „Heiligen Buch“ steht geschrieben: „Der Herr hat befohlen, daß in jeder Stadt ein „Haus der Gerechtigkeit“ gegründet werde, wobei sich die Berater in der Zahl Baha’s. vereinigen sollen. Sollte diese Zahl überschritten werden, so würde es nichts schaden. Es geziemt ihnen (den Mitgliedern des Hauses der Gerechtigkeit), die Vertrauenswürdigen des Barmherzigen unter den Menschen zu sein und sich selbst als die von Gott bestimmten Beschützer für alles, was auf Erden wohnt, zu betrachten. Es steht ihnen zu, miteinander zu beraten und Acht zu haben auf das Wohl der Diener Gottes um Seinetwillen, für sie zu sorgen, wie für ihr eigenes Wohl und nur das zu wählen, was ziemlich und schicklich ist. Dies hat Euch der Herr, Euer Gott, befohlen. Hütet Euch, vernachlässigt nicht, was ausdrücklich geoffenbart ist in Seinem Tablet. Fürchtet Gott, o Ihr, die Ihr achtsam seid!“
Weiter sagt Abdul Baha folgendes: „Es ist jedem zur Pflicht gemacht, nichts zu unternehmen, ohne den „Geistigen Rat“ zu fragen, seiner Weisung genau mit Herz und Seele zu gehorchen und sich ihm unterzuordnen, damit alles richtig erledigt und gut geordnet werde; sonst würde jedermann unabhängig und nach seinem eigenen Gutdünken handeln, seinen eigenen Wünschen folgen und die Sache schädigen.“
„Die erste Notwendigkeit für die, die zusammen beraten, ist die Reinheit des Beweggrundes, die Erleuchtung des Geistes, die Loslösung von allem außer Gott, die Angezogenheit durch Seine Göttlichen Düfte, Demut und Erniedrigung gegenüber den von Ihm Geliebten, Geduld und Langmut in Schwierigkeiten und Dienstergebenheit an Seiner erhabenen geheiligten Schwelle. Sollte ihnen durch die Göttliche Gnade geholfen werden, diese Eigenschaften zu erlangen, so wird ihnen Erfolg aus dem unsichtbaren Reich Bahas zuteil werden. Heute sind beratende Versammlungen von größter Wichtigkeit, sie sind sogar eine Lebensnotwendigkeit. Gehorsam gegen ihre Beschlüsse ist wesentliche Pflicht. Die Glieder der Gemeinschaft müssen miteinander in einer solchen Weise beraten, daß kein Anlaß zu Mißhelligkeit oder Mißklang entsteht. Dies kann erreicht werden, wenn jedes Mitglied mit völligem Freimut seine eigene Meinung ausspricht und seine Anschauung begründet. Bei Widerspruch soll sich niemand beleidigt fühlen; denn nur, wenn die Angelegenheiten nach allen Seiten hin besprochen sind, kann der richtige Weg gefunden werden. Der leuchtende Funke der Wahrheit kommt erst zutage nach der Erörterung verschiedener Ansichten. Wenn nach der Besprechung eine Entscheidung einmütig getroffen wurde, so ist es gut und recht. Wenn aber, was Gott verhüten wolle, verschiedene Ansichten entstehen sollten, so muß die Mehrzahl der Stimmen maßgebend sein.“
Mit Rücksicht auf die vielen Pflichten,
die den Gliedern des Beratungskörpers
obliegen, sagt der Geliebte folgendes:
„Die erste Bedingung ist absolute Liebe
und Harmonie zwischen den Gliedern der
Geistigen Gemeinschaft. Sie dürfen sich
nicht fremd gegenüberstehen, müssen vielmehr
in sich selbst die Einheit Gottes
fühlen; denn sie sind die Wogen eines
Meeres, die Tropfen eines Stromes, die
Sterne eines Himmels, die Strahlen
einer Sonne, die Bäume eines
Obstgartens, die Blumen eines
Beets. Sollte eine Gedankenübereinstimmung und ein
völliges Einvernehmen nicht vorhanden
sein, so würde die Versammlung aufgelöst und zu nichte gemacht werden. Die
zweite Bedingung ist folgende: Sie (die
Mitglieder) müssen, wenn sie zusammenkommen, ihr Angesicht dem Königreich
des Höchsten zuwenden und um Hilfe aus
dem Reich der Herrlichkeit bitten. Dann
sollen sie in größter Bescheidenheit, Höflichkeit, Würde, Sorgfalt und Mäßigung
ihre Ansicht äußern. Bei allem müssen
sie die Wahrheit oder Wirklichkeit herausfinden und nicht auf der eigenen Ansicht beharren, denn Hartnäckigkeit und
Beharren bei der eigenen Anschauung[Seite 69]
würde schließlich zu Uneinigkeit und
Zank führen, und die Wahrheit würde
verborgen bleiben. Die geehrten Mitglieder müssen in aller Offenheit ihre Gedanken äußern, und es ist in keinem
Fall jemanden gestattet, den Gedanken
eines andern herabzusetzen. Man soll
mit Mäßigung die Wahrheit ergründen;
und sollten verschiedenerlei Ansichten
vorhanden sein, so soll die Stimmenmehrheit den Ausschlag geben, und alles muß
sich dann der Mehrheit fügen. Auch ist.
nicht gestattet, daß eines der verehrlichen Mitglieder Einwendungen macht
oder über gefaßte Entscheidungen Tadel
ausspricht, sei es in der Versammlung
oder außerhalb derselben. Würden diese
Entscheidungen nicht richtig sein, so
würde eine Kritik eine Entscheidung vor
ihrem Inkrafttreten verhindern. Kurz:
Alles, was in innerer Uebereinstimmung
angeordnet ist und der Liebe und reinen
Beweggründen entspringt, ist ein Erzeugnis des Lichts; wenn aber der leiseste
Zug der Entfremdung vorhanden ist, so
wird das Ergebnis Verdüsterung über
Verdüsterung sein. Wenn alles dies befolgt wird, so werden die Versammlungen von Gott sein, im andern Fall aber
werden sie zur Kälte und Entfremdung
führen und dadurch nur Uebles zeitigen.
Die Unterredungen müssen alle von geistigen Dingen handeln, von der Erziehung der Seelen, der Heranbildung der
Kinder, der Unterstützung der Armen,
der Hilfeleistung für die Schwachen in
allen Klassen der Menschheit, von der
Güte gegen alle Menschen zur Verbreitung der Düfte Gottes und zur Verwirklichung Seiner heiligen Welt. Wenn sie
(die Berater) sich bemühen, diese Bedingungen zu erfüllen, so wird die Gnade des
heiligen Geistes ihnen verliehen und ihre
Versammlung wird der Mittelpunkt des
Göttlichen Segens werden; die Heerscharen der Göttlichen Kraft werden
ihnen beistehen und sie werden täglich
eine neue Ausgießung des Geistes erfahren.“
So groß ist die Wichtigkeit und so erhaben ist die Autorität dieser Versammlungen, daß einstmals Abdul Baha, nachdem er eigenhändig die Uebersetzung des „Ishrakat“ ("Strahlen“) korrigiert hatte, die in arabisch durch Sheikh Faray, einem kurdischen Freund aus Kairo, gemacht worden war, in einem Tablet schrieb, er möchte diese oben erwähnte Uebersetzung der Geistigen Gemeinschaft in Kairo unterbreiten, damit sie vor der Veröffentlichung ihre Zustimmung und ihr Einverständnis bekunden könnte. Seine eigenen Worte in diesem Tablet sind: „Der hochgeehrte Sheikh Faraj a’llah hat hier mit größter Sorgfalt den Ishrakat in arabisch übersetzt und dennoch habe ich ihm gesagt, daß er seine Uebersetzung der Geistigen Versammlung in Aegypten unterbreiten und die Genehmigung zur Veröffentlichung von der obengenannten Versammlung einholen solle. Dies soll so sein, weil alle Angelegenheiten in geordneter Weise behandelt werden müssen; denn wäre dem nicht so, so könnte jeder Beliebige irgend ein Tablet übersetzen und es auf eigene Faust drucken und zirkulieren lassen. Selbst ein Nichtgläubiger könnte dies tun und dadurch Konfusion und Unordnung schaffen. Wenn es zur Bedingung gemacht ist, daß die „Geistige Versammlung“ ihre Zustimmung geben muß, so wird eine Uebersetzung, die durch einen Nichtgläubigen gemacht, gedruckt und verbreitet wurde, keine Anerkennung finden...... “
Dies ist gewiß eine klare Verordnung
des ausdrücklichen Wunsches des Meisters, daß nichts, was der Oeffentlichkeit
übergeben wird, eine individuelle Färbung habe, es sei denn, daß dies von der
örtlichen „Geistigen Gemeinschaft" voll
genehmigt und gutgeheißen werde.
Wenn die Sache (was zweifellos der Fall
ist) eine Angelegenheit betrifft, die für
die Sache im jeweiligen Land von hauptsächlichem Interesse ist, dann liegt es
der „Geistigen Gemeinschaft“ ob, sich
der Erwägung und der Zustimmung der
„Nationalen Körperschaft" unterzuordnen, welche die verschiedenen lokalen
Versammlungen vertritt. Nicht allein die
Veröffentlichungen, sondern auch alle
Angelegenheiten ohne Ausnahme sollen
im Interesse der Sache, ob sie nun örtlicher oder allgemeiner, individueller oder
gemeinsamer Art sind, ausnahmslos der
„Geistigen Gemeinschaft" am Ort unterbreitet werden, die dann entscheiden
wird, ob es eine Sache von nationalem
Interesse ist, in welchem Falle es der
„Nationalen Körperschaft“ unterbreitet
werden muß, oder ob die vorstehende
Frage nur von lokaler Bedeutung ist. Unter nationalen Angelegenheiten sind
keine Angelegenheiten, die politischen
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Charakter tragen, zu verstehen, denn
den Gottesfreunden auf der ganzen Welt
ist streng untersagt, sich in irgend
welche politischen Angelegenheiten zu
mischen, sondern sie betreffen Dinge, die
die „Geistige Gemeinschaft“ der Freunde
für das ganze Land angehen.
Nicht nur vollständiger Einklang, sondern auch Verbindung mit den verschiedenen lokalen Vertreter-Versammlungen und den Mitgliedern untereinander — besonders zwischen jeder lokalen Geistigen Gemeinschaft und der Nationalen Körperschaft — ist von größter Wichtigkeit; denn davon ist abhängig die Einheit der Sache Gottes, die Einigkeit der Freunde und das ganze rasche und wirkungsvolle Arbeiten, die geistige Tätigkeit Seiner Geliebten.
Große Ergebnisse zeitigen solche geistige Tätigkeiten, die der Sache im allgemeinen im jeweiligen Land dienlich sind, wie die Herausgabe des „Star of the west“ und anderer Zeitschriften, die die Nationale Körperschaft als Bahai-Organe bestimmt, ferner die Veröffentlichung und Vervielfältigung von Bahai-Literatur und die Verbreitung derselben in den verschiedenen Gemeinden.
Diese Mittel zur Verbreitung der Lehre sollen immer unterstützt und angewendet werden. Solche Mittel sind die Arbeit am Mashriquil-Ashkar, die Behandlung der Rassenfrage in ihrer Beziehung zur Bahai-Lehre, die Art, wie die Orientalen empfangen werden sollen und wie man mit ihnen zu verkehren hat, die Pflege und der Unterhalt des wertvollen Films, der eine Aufnahme bei des Meisters Aufenthalt in den Vereinigten Staaten Amerikas zeigt, ebenso die Original-Platte des Grammophons, das Seine Anrede aufnahm und andere zahlreiche geistige Tätigkeiten. Weit entfernt davon, unter der ausschließlichen Bevormundung irgend einer lokalen Gemeinschaft oder Gruppe der Freunde zu stehen, müssen alle sorgfältig und aufs beste durch eine besondere Kommission geleitet werden, die von der Nationalen Körperschaft gewählt ist und eine Unterabteilung von dieser bildet. Sie (die Nationale Körperschaft) trägt auch die Verantwortung für diese Kommission und führt genaue Oberaufsicht über sie.
Die Zeit für eine mannigfaltige Tätigkeit ist herangekommen, eine Zeit, in der die Diener und Dienerinnen von Baha'Ullah eifrig und ergeben bemüht sein sollen, geeinigt und einig zu handeln, zusammenzuarbeiten und Gutes zu leisten. Der Erfolg eines solch zusammengeschlossenen und systematischen Arbeitens, dem ein allmächtiger Geist innewohnt und das alles frühere überragt, sei es auch noch so herrlich gewesen, eines Werkes, das weiter bestehen soll, wenn auch den Augen der außenstehenden Welt die ruhmvolle Persönlichkeit des Meisters entzogen ist, wird ein überzeugender Beweis der Macht Seines ewig lebendigen Geistes sein.
Euer Bruder und Mitarbeiter in Seiner Sache
(gez.) Shoghi.
PS. Es möge mir erlaubt sein, meinen herzlichsten Wunsch dahin auszusprechen, daß die Freunde Gottes in allen Ländern mich in keinem anderen Licht sehen als in dem eines wirklichen Bruders, der mit ihnen vereint ist in gemeinsamem Dienst an des Meisters geheiligter Schwelle und mich in ihren Briefen und in persönlichen Anreden nur Shoghi Effendi nennen, denn ich wünsche mit keinem anderen Namen genannt zu werden als mit dem, den unser geliebter Meister zu benützen pflegte, ein Name, der neben allen anderen Benennungen mich am besten zu meinem geistigen Wachstum und meiner Entwicklung führen wird.
Übersetzt von Frau A. Schwarz.
Ueber das Hinscheiden Abdul Baha’s.
(Aus „The Passing of Abdul Baha“), (Fortsetzung).
Sein guter und treuer Diener Isma‘il Aga erzählt folgendes:
Etwa zwanzig Tage, ehe mein Meister
verschied, war ich in der Nähe des Gartens, und hörte, wie er einen alten Gläubigen aufforderte zu kommen mit den
Worten: „Komm mit mir, damit wir zusammen die Schönheit des Gartens bewundern. Sieh, was der Geist der Ergebenheit alles erfüllen kann. Dieser
blühende Ort war noch vor wenigen Jahren eine Steinwüste und nun grünt er
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von Laub und Blumen. Ich wünsche, daß
nach meinem Tod die Geliebten sich alle
erheben, um der göttlichen Sache zu dienen und so Gott will, wird es geschehen.
In kurzem werden sich Menschen erheben, die ihr Leben der Welt zum Opfer
bringen werden.“
Wenige Tage später sagte er: „Ich bin so müde! Die Stunde ist gekommen, in der ich alles verlassen muß und meinen Flug antrete. Ich bin zu müde zum Spazierengehen. Es war in den letzten Tagen der Gesegneten Vollkommenheit, als ich daran war, seine Schriftlichkeiten zusammenzusuchen, die auf dem Diwan in seinem Schreibzimmer in Bahji zerstreut lagen, als er sagte: „Es hat keinen Zweck, sie zu sammeln, ich muß sie lassen und gehen!“ - „Auch ich habe mein Werk vollendet, ich kann nichts mehr tun, daher muß ich es verlassen und Abschied davon nehmen.“
Drei Tage vor seinem Tod rief er mich, als er im Garten saß und sagte: „Ich bin krank vor Müdigkeit. Bringe mir zwei von deinen Orangen, damit ich sie esse um deinetwillen.“ Dies tat ich. Als er sie gegessen hatte, wandte er sich mir zu und sagte: „Hast du noch von den süßen Zitronen ?“ Er bat mich, einige zu pflücken... Indem ich dies tat, kam er an den Baum heran und sagte: "Nein, ich muß sie mit eigener Hand brechen.“ Als er von den Früchten zu sich genommen hatte, wandte er sich an mich und sagte: "Wünschest du noch mehr?“ Dann sagte er mit einer rührenden Handbewegung, ergreifend, nachdrücklich und nachdenklich:
„Jetzt ist es zu Ende, es ist beendet!“
Diese bedeutungsvollen Worte drangen mir tief in die Seele, Ich hatte das Gefühl, als ob bei jedem Wort ein Messer mir ins Herz gestoßen würde. Ich verstand deren Sinn, doch dachte ich niemals, daß das Ende so nahe sei.
Ismael-Aga war es, der des Meisters Gärtner mehr denn 30 Jahre war, und der in der ersten Woche nach diesem unersetzlichen Verlust, getrieben durch hoffnungslosen Kummer, über allen seinen Besitz verfügte, seinen letzten Willen verfaßte, zu des Meisters Schwester ging und um Verzeihung bat für alle Fehler, die er begangen habe. Daraufhin übergab er den Schlüssel des Gartens einem vertrauenswürdigen Diener des Haushalts und nahm das Nötige mit, um am Grabe seines geliebten Meisters seinem Leben ein Ende zu machen. Er ging den Berg hinan zu der geweihten Stätte, umschritt das Gebäude dreimal und hätte seinem Leben ein Ende bereitet, wenn nicht ein Freund dazugekommen wäre, der ihn noch zeitig erreichte und ihn von der Ausführung seiner tragischen Handlung abhielt.
Später, am Abend des Freitag, segnete er die Braut und den Bräutigam, die soeben getraut worden waren. Er sprach eindringlich zu ihnen. „Khusraw," sagte er, „du hast deine Kindheit und Jugend im Dienst dieses Hauses verbracht, ich hoffe, daß du unter demselben Dach alt werdest und stets Gott dienen wirst.“
Den ganzen Abend hielt er die übliche Versammlung mit den Freunden ab in seinem eigenen Sprechzimmer.
Am Samstag Morgen stand er sehr frühzeitig auf, betrat das Teezimmer und trank etwas Tee. Er verlangte nach dem pelzgefütterten Mantel, der Baha ’Ullah angehörte. Oft zog er diesen Mantel, den er sehr liebte, an, wenn er fror und sich nicht wohlfühlte. Dann zog er sich in sein Zimmer zurück, legte sich auf sein Bett und sagte: „Decke mich zu. Ich friere so sehr. Die vergangene Nacht . schlief ich nicht gut, ich fror. Dies ist ernst, dies ist der Anfang.“
Hierauf legte man noch weitere Decken auf ihn, er verlangte den Pelzmantel, den er abgelegt hatte, daß er über ihn gedeckt werde. An diesem Tage fieberte er sehr. Am Abend stieg die Temperatur höher, das Fieber fiel jedoch in der Nacht. Nach Mitternacht verlangte er noch etwas Tee.
Alm Sonntag Morgen sagte er: "Es ist mir ganz gut, ich will aufstehen wie immer und den Tee mit Euch im Teezimmer nehmen." Nachdem er sich angezogen hatte, wurde er überredet, auf dem Sofa in seinem Zimmer zu bleiben.
Am Nachmittag schickte er alle Freunde hinauf zum Grab des Bab, wo aus Anlaß des Gedenktags der Erklärung des Bundes ein Fest veranstaltet wurde, zu dem ein persischer Pilger eingeladen hatte, der kürzlich aus Indien angekommen war.
Um 4 Uhr nachmittags sagte er von
dem Sofa in seinem Zimmer aus, auf dem
er ruhte: „Rufe meine Schwester und
meine ganze Familie zu mir zum Tee zu
kommen.“ Nach diesem kam der Mufti
von Haifa und der Oberste des Stadtbezirks
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mit noch einem Besuch, die vom
Meister angenommen wurden. Sie blieben etwa 1 Stunde. Er sprach über Baha
’Ullah zu ihnen, erzählte ihnen seinen
zweiten Traum, erzeigte ihnen außerordentliche Freundlichkeit und ging über
seine gewohnheitsmäßige Höflichkeit hinaus. Dann verabschiedete er sie und
geleitete sie an das äußerste Tor, trotz
ihrer Bitten, er möge auf dem Sofa bleiben und ruhen. Dann nahm er einen Besuch vom Polizeidirektor an, einem Engländer, der gleichfalls mit der liebevollsten Freundlichkeit vom Meister behandelt wurde. Dieser gab ihm seidene,
handgewobene persische Taschentücher,
welches Geschenk der Empfänger hoch
schätzte.
Seine vier Schwiegersöhne und Ruhi Effendi kamen nach der Rückkehr von der Versammlung auf dem Berg zu ihm und sagten: „Der Gastgeber war unglücklich, weil du nicht dabei warst.“ Er gab ihnen zur Antwort:
„Ich war doch dort, wenn auch nicht körperlich, mein Geist war dort mitten unter euch. Ich war mit den Freunden am Grab. Die Freunde sollen kein Gewicht auf die Abwesenheit meines Körpers legen. Im Geist bin ich und werde ich immer mit den Freunden sein, sei ich auch weit von ihnen entfernt.“
Am selben Abend erkundigte er sich nach dem Befinden eines jeden Mitglieds des Haushalts, der Pilger und der Freunde in Haifa. „Sehr gut, sehr gut“, sagte er, als sie ihm berichteten, daß niemand krank sei. Dies waren seine letzten Worte über die Freunde.
Um 8 Uhr ging er zu Bett, nachdem.er etwas Nahrung zu sich genommen hatte und sagte: „Es geht mir ganz gut.“ Er bat alle Familienangehörigen, zu Bett zu gehen und zu ruhen. Zwei seiner Töchter blieben dennoch bei ihm. In dieser Nacht schlief der Meister sehr ruhig, ganz fieberfrei. Er stand um 1.15 Uhr Nachts auf und schritt zum Tische hin, wo er etwas Wasser zu sich nahm. Er legte ein weiteres Kleidungsstück ab und sprach: „Es ist mir zu warm.“ Er legte sich wieder zu Bett und als seine Tochter Ruha Khanum sich ihm wieder näherte, sah sie ihn friedevoll daliegen. Er schaute sie an und bat sie, das Moskitonetz aufzuschlagen mit den Worten: „Ich bekomme schwer Atem, führe mir mehr Luft zu!“ Rosenwasser wurde ihm gereicht, wovon er, im Bett ohne Hilfe aufsitzend, trank. Dann legte er sich wieder und als ihm etwas Nahrung angeboten wurde, sagte er mit klarer und deutlicher Stimme: „Du willst mir Milch geben — jetzt, da ich gehe?“ Er gewährte einen wundervollen Anblick. Sein Gesicht war so ruhig, der Ausdruck so hoheitsvoll; sie dachten er schliefe.
Bald darauf war er vor den Augen seiner Geliebten verschieden. Die Augen, die stets mit liebevoller Güte auf die Menschen gerichtet waren, ob auf Freund oder Feind, hatten sich nun geschlossen. Die Hände, die stets ausgestreckt waren, um den Armen und Bedürftigen Almosen zu geben, um den Gelähmten und Verstümmelten, den Blinden, den Waisen und Witwen zu helfen, hatten nun ihre Arbeit vollbracht. Die Füße, die unermüdlich gewandert waren, um die vielen Aufträge des Herrn der Barmherzigkeit auszuführen, waren zur Ruhe gekommen. Die Lippen, die so beredt den Kampf gegen die Ursachen der Leiden der Menschheit geführt hatten, waren geschlossen. Das Herz, das so machtvoll in wundervoller Liebe für die Kinder Gottes geschlagen hatte, stand nun still. Sein strahlender Geist war von diesem Erdenleben, mit seinen Verfolgungen durch die Feinde der Wahrheit mit seinen Stürmen und Qualen während einer nahezu 8Ojährigen unermüdlichen Arbeit für das Wohl anderer, hinübergegangen.
Sein langes Märtyrertum war vollendet!
(Übersetzt von Frau A. Schwarz).
Geistige Entwicklung.
(Aus „Zehn Tage im Lichte Akkas“ von J. M. Grundy).*)
(Fortsetzung).
- ) Veröffentlicht in Englisch 1907.
Abdul Baha ließ mich zu sich kommen.
Ich traf ihn in einem kleinen Zimmer an,
welches seinen Ausgang nach dem Hofe
hat. Er saß auf einem erhöhten Stuhl,
sein schönes Angesicht, das majestätisch
in seiner Ruhe und Kraft wirkte, war
dem einzigen Fenster zugewendet. Er
begrüßte mich freudig. Beide Töchter
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waren anwesend. Er sagte: „Ich wünsche,
daß du von Akka Friede und Freude des
geistigen Lebens mitnehmen mögest.“ Ich
antwortete, es wäre mir unmöglich, aus
dieser Atmosphäre des Geistes, wie sie
hier weht, wegzugehen, ohne wundervollen Segen dadurch empfangen zu haben.
Er fuhr fort: „Gott ist gleich dem ruhigen, unbegrenzten Meere, Seine Gaben sind unerschöpflich und grenzenlos. In unserem physischen Selbst sind wir den Tieren gleich; aber die Tiere stehen in manchem sogar höher denn die Menschen; sie sind ruhiger und gelassener, vertrauensvoller und zuversichtlicher gegenüber den Gaben Gottes, sie stehen mehr in der Flut seines Willens. Die Vögel auf dem Berg Karmel sind seine Geschöpfe, sie können zu den höchsten Zweigen der Bäume fliegen und ihr Nest darin bauen. Auf den Gipfeln der Berge erfreuen sich die Vögel der schönen Aussicht über die See und die Berge. Alle diese Schönheiten sind auch für uns vorhanden. Die Liebe Gottes und die Schönheiten Gottes existieren überall für den Menschen, wenn er sich nur zu den geistigen Höhen erheben, sein geistiges Auge öffnen und sie sehen will. Ist der König frei wie der Vogel, um sich aufwärts zu schwingen? Des Königs Haupt ist oft von Sorgen über die Dinge dieser Welt bedrückt. Das wahre Glück hängt von geistiger Empfänglichkeit und von geistiger Freude ab. Die Geisteskräfte sind Gaben Gottes, welche dem Menschen verliehen sind, um ihn zur geistigen Glückseligkeit zu führen. Die höchste Tugend für den Menschen ist die Liebe zu Gott. Die Liebe Gottes, die Erkenntnis Gottes ist die größte und einzige Glückseligkeit, weil sie die Gottesnähe ist. Dies ist das Königreich Gottes. Gott lieben heißt: Gott kennen, Ihn kennen heißt in sein Königreich eintreten, um in seiner Nähe zu sein. Was ich für dich wünsche ist, daß du auf seinem Wege wandeln mögest.“
Ich antwortete: Nachdem du mir jetzt den Weg gezeigt hast, wünsche ich auf diesem himmlischen Pfade zu wandeln. Er sagte: „Du bist nahe bei Gott, und Tag für Tag wirst du durch Erkenntnis vorwärtsschreiten, hin zur geistigen Freude. Dann wirst du für andere die Quelle der Führung sein. Sie werden in dir eine andere Person sehen; jedermann
wird diese Veränderung in deinem Leben sehen. Du mußt geistige Liebe in dir selbst und in andern entwickeln. Physische Liebe ist sehr verschieden von geistiger Liebe. Geistige Liebe in andern erwecken heißt: Friede und Freude für dich selbst erlangen.“
Ich sagte: "Ich wünsche, diese Botschaft des Lichts und der Wahrheit zu lehren, aber ich fühle, daß meine Kraft zu schwach und zu unbedeutend ist.“ Er antwortete: "Der Berg ist groß, aber er hat keine Leuchtkraft. Der Diamant ist klein, aber doch voll Licht. Der Elefant bringt keine Melodie hervor; aber der Gesang der Nachtigall gleicht himmlischer Musik. Ich will beten, daß du von den Gaben Gottes etwas empfangen mögest. Du wirst erfüllt werden mit Kraft, denn der Geist wird durch dich sprechen. Du sollst andere nicht unglücklich machen. Bringe künftig immer mehr Opfer für die Sache Gottes, dann wird die Liebe Gottes in deinem Herzen mehr und mehr zunehmen.“ — Ich sprach ihm mein Bedauern aus, daß ich den Haushalt, in welchem ein solcher Friede und eine solche Harmonie herrsche, verlassen müsse. Er sagte: „Du wirst immer im Geiste hier verweilen und nie ganz abwesend sein.“
Ich fragte: "Was soll ich denjenigen sagen, welche erklären, daß sie durch das
Christentum befriedigt seien und die gegenwärtige Manifestation nicht nötig hätten?" Er antwortete: „Ueberlasse sie sich
selbst. Was tun sie, wenn sich nach
einem König, der früher regierte, ein
neuer König auf den Thron setzt? Sie
müssen den neuen König anerkennen,
sonst sind sie keine wirklichen Untertanen des Königreichs. Im letzten Jahr
hatten wir einen Frühling, kann deshalb
jemand sagen, ich habe dieses Jahr keinen Frühling nötig, der alte Frühling genügt mir? Nein! Der neue Frühling muß
kommen, um die Erde mit Schönheit und
Glanz zu erfüllen. Die Sonne ging diesen
Morgen auf. Sollen wir zu der Sonne
sagen: Geh weg! Wir haben dich heute
nicht nötig, du warst ja gestern da!
Wenn wir darnach streben, diese heilige
Sache mit Glauben und Liebe in unseren
Herzen aufzubauen, so wird sie alle Wissenschaft, alle Philosophie und alle Metaphysik dieser Tage überragen. Ich bin
überrascht durch die wundervollen
Dinge, welche sich ereignen. Das Wort
Gottes zeigt solche Macht und Schärfe,
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daß alle über den Fortschritt, den es bewirkt, erstaunt sein werden.“
Ich sagte: "Ich will beten, daß ich unterstützt und gestärkt werde." Er erwiderte: „Gott wird dir helfen.“ Dann fuhr er fort: „Tue alles, was in deiner Macht steht, um den Armen und Bedürftigen zu helfen. Diene Gott auf diesem Wege. Die Armen sind die Vertrauten Gottes. Gib die Botschaft jeder lauschenden Seele. Gib ihr, so viel sie aufnehmen kann. — In Persien war ein Mann, der weder lesen noch schreiben konnte, dennoch war er durch seine reine Liebe zu Gott der Führer für manche großen Menschen in dieser Wahrheit. Wenn du dich zu Gott wendest, dann wird er sich zu dir wenden und dir beistehen. Er wird dich beredt machen. Durch seine Weisheit wirst du jedem überlegen sein. Die Zunge spricht, was vom Herzen kommt, und wenn du Gott treu bist, wird er durch dich sprechen. Stehe andern bei und hilf ihnen, diese Wahrheit zu erkennen, wie du sie erkannt hast. Sei ihr Führer und Helfer. Diese Botschaft ist höchst notwendig für jung und alt. Die Jungen müssen in ihr mehr Fortschritte machen und mehr Früchte hervorbringen als die Alten, gerade wie junge und starke Bäume dem Gärtner die meisten Früchte bringen. Christus sagte: „Ihr werdet den Baum an seinen Früchten erkennen.“ Er meinte damit, daß die Frucht entweder gut oder schlecht, viel oder wenig sein werde. Die, welche aus dem Geist geboren sind, besitzen alle göttlichen Eigenschaften des Wachstums. Ohne diese Eigenschaften sind sie bloß Männer und Frauen und nichts weiter, sie sind nicht geistig belebt; sie sind ohne die Kraft des Wachstums, Christus sagte von ihnen: „Sie sind tot.“ Laß alle deine Gedanken auf dies gerichtet sein, damit die Gläubigen und andere erkennen mögen, daß du den geistigen Frühling in deiner Seele und ein neues Leben erlangt hast. Dies ist vollkommene Glückseligkeit, der einzige wahre Friede. In kurzem wirst du in dir wahrnehmen, daß du in der Gegenwart der Gesegneten Vollkommenheit warst. Du bist immer in der Gegenwart Gottes. Oeffne die Fenster deiner Seele, damit Er in dir gegenwärtig sei.
Die Seelen sind verschieden in ihrer Fähigkeit, das Licht des Geistes zu empfangen und zu offenbaren. Die Gesegnete Vollkommenheit sagte: „Es gibt so viele Wege zu Gott, als es Atemzüge Seiner menschlichen Geschöpfe gibt.“ Jede Seele muß sich nach ihrer individuellen Fähigkeit entwickeln. Petrus unterschied sich von Johannes und Paulus von Barnabas, dennoch waren alle erfüllt mit dem Licht des Geistes Christi.
Daraus folgt: Wie jede Seele ihre eigene Entwicklung hat, so muß auch jede Seele zuletzt allein vor Gott stehen. Niemand kann am letzten Tag für dich in der Gegenwart Gottes eintreten. Wie die Seele wächst, so vergrößern sich ihre Fähigkeiten. Diese bilden den Maßstab der Entwicklung. Liebe ist der Beweis großer seelischer Fähigkeit. Wenn wir die Menschen lieben wie Gott uns liebt, dann haben wir die vollkommene Stufe erreicht. Das ewige Leben ist uns dann eigen, und diese vergängliche Welt kann uns nichts mehr bieten. Jeden Tag sollst du Gutes tun und wenn es nur durch das Sprechen eines freundlichen Wortes geschieht.
Die Erkenntnis Gottes wird erlangt
durch Streben und Geduld. Wir müssen
an das Tor der Wahrheit klopfen und
Gott im Ernst suchen. Unwissenheit ist
ebenso unser natürlicher Zustand, wie
Wissen der Zustand unserer Entwicklung
ist. Ein gutes Gewissen ist die göttliche
Natur in uns, welche geweckt werden
muß und welche unser ewiges Schicksal
gestaltet. Alle Seelen kommen durch die
Güte Gottes in diese Welt und haben
gleiche Rechte zu ihrer Entwicklung. Die
Seele ist wohl durch ihre ererbten Eigenschaften beeinflußt; sie verliert aber nie
die Möglichkeit, — welches ihr Zustand
auch sei — durch das Licht des Geistes
Gottes belebt zu werden. Das eine Gehirn vermag schneller zu arbeiten als das
andere; die eine Seele vermag leichter
Intelligenz zu erlangen als die andere;
aber die Macht und Gegenwart des göttlichen Geistes hängt nicht von intellektuellen Fähigkeiten ab. Die Jünger Christi
waren einfache, geringe Fischer und
glaubten doch an ihn, während die gelehrten Pharisäer ihn nicht erkannten.
Die Seelen- und Sinnen-Intelligenz erwacht schon im Mutterleib. Der göttliche Geist tritt aber erst in den Menschen ein, wenn das Gewissen geweckt
und die Seele zu den ewigen Wirklichkeiten erwacht ist. Jesus sagte: „Die
wahren Anbeter werden Gott im Geist
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und in der Wahrheit anbeten.“ Solche
Anbeter sucht der Geist. Wenn also alle
Seelen die Fähigkeit haben, durch den
göttlichen Geist entflammt zu werden
und die göttliche Macht uns alle unterstützt, so müssen wir nur wollen, um die
Gaben empfangen zu können.
Manche erblicken in einem Samenkorn nur eine harte, dunkle Substanz, während andere in ihm das Lebensprinzip, die Anlage zu einem Baum mit Blättern und Früchten sehen. Der wahre Gläubige bringt Blätter und Früchte hervor und beweist damit, daß das Prinzip des Lebens in ihm erweckt und belebt ist. Die Menschen sind nicht sicher, ob dieses Prinzip Wirklichkeit und vollkommene Wahrheit ist. Es ist aber bestimmt wahr, wenn wir in den Seelen, welche die „Gesegnete Vollkommenheit“ gepflanzt hat, geistiges Wachstum sehen. Christus gab uns das Gleichnis von dem Sämann. Der Same bedeutet die Wahrheit. Etliches von dem Samen ging — wie er sagte - verloren und etliches wuchs auf, erstickte aber in den menschlichen Lehren. Durch Verbindung mit Menschen, welche Gott ferne sind, kann z.B. das Wachstum des Geistes unterbrochen werden. Wenn wir Gläubige in diesem Zustande finden, dann sollten wir darnach streben, sie in eine andere Umgebung und unter einen besseren Einfluß zu bringen. Sie haben einen Arzt nötig. Die bedürftigsten sind die, denen man am ersten helfen muß. Christus sagte: „Arme habt ihr allezeit bei euch“; damit meinte er diejenigen, welche ohne die Lehren des Wortes Gottes sind. Sie sind unsere Pflegebefohlenen, und wir sind für sie verantwortlich, Während des griechisch-türkischen Krieges war der Zustand der türkischen Soldaten ein schrecklicher. Das Volk ernannte eine Kommission, um Geld zu sammeln zu ihrer Unterstützung. Viele steuerten eine Zeitlang bei, aber zuletzt gab außer mir niemand mehr etwas, um ihnen zu helfen. Die Soldaten beklagten sich, daß sie immer weniger Unterstützung erhielten. Der Gouverneur erwiderte ihnen, dass alles, was sie noch bekommen, von der Hand Abbas Effendis komme und daß alle anderen Zuwendungen aufgehört hätten. Die Soldaten zeigten aber keine Dankbarkeit für das, was sie empfingen, sondern beklagten sich im Gegenteil bitter über ihren Wohltäter. — Wenn Gott für uns der einzige Geber ist, so sollten wir zu ihm rufen: „Habe Barmherzigkeit mit uns!“ Der Krieg ist ein schreckliches Elend. Er beginnt und endigt mit Unheil. Eine Mutter hat z.B. einen schönen, vielversprechenden Knaben, er entwickelt sich zum Mann, zieht in den Krieg, und in einem Augenblick sind alle seine Vorzüge und all seine Fähigkeiten vernichtet.“
(Übersetzt von W.Herrigel)
Brief aus Haifa von Frau A. Schwarz an ihre Familie.
Haifa, 24. März 1922.
.... Gestern abend, nachdem wir eine lange, wichtige Unterredung mit Shoghi Effendi und einer Anzahl europäischer und orientalischer Bahai bis gegen Mitternacht gehabt hatten, sagte uns Shoghi Effendi, daß er uns, wie verabredet, andern Morgens zu einer Autofahrt nach Akka abholen werde. Nicht allen Besuchern wird dies Erleben beschert, mit Shoghi Effendi das erste mal „die weiße Gefängnisstadt" Baha ’Ullahs zu besuchen. Dieser Tag wird mir unvergeßlich bleiben.
Ich schrieb Euch von der herzlichen Liebe, die uns die persischen Bahaipilger entgegenbringen. Es sind mit den vielen Männern nur wenige Frauen hierhergepilgert, auch ist derzeit ein halbwüchsiger Knabe mit seinem Vater hier, aus dem wohl ein Badi (der junge Märtyrer von Bagdad) werden könnte. Die Perserinnen, die mich, so oft sie mich im Hause Abdul Bahas sehen, wo sie über den ganzen Aufenthalt hier mit den Damen wohnen, schließen mich wortlos in ihre Arme und folgen mir mit den Blicken, bis ich außer Sehweite bin. Der liebe Vater ist tief beeindruckt vom Wesen der persischen Pilger. Sie sind wie Heilige. Ein ganz besonders lieber Freund von ihm, ein alter Mann, auf dessen Gesicht eine wundervolle Güte liegt, hat seinen palastartigen Besitz in Persien, der in schönem Parke liegt, zu einem Masraquel Azkar umgewandelt, sein ganzes reiches Eigentum der hl. Sache Baha ’UIlah’s geweiht. Ich flechte dies hier ein, da gerade dieser Bahaipilger vor unserer Abfahrt zu uns kam, um den lieben Vater zu sehen. Bei dieser Gelegenheit wurde durch Mason Remey eine photographische Aufnahme von uns zusammen gemacht.
Der Lenker des Autos ist Khusraw, der getreue Diener unseres geliebten Herrn; er ist seit
seinem 7. Lebensjahr im Hause des Meisters.
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Als Waise im Leben stehend, fand er dort eine
Heimat ohnegleichen. Das Verhältnis der Hausgenossen ist in der Familie Abdul Bahas gänzlich verschieden von dem bei uns im Abendland;
sie gehören ganz und gar zur Familie, vergessen
aber nie den Respekt, den sie den treuen Beschützern ihres Lebens entgegenzubringen haben.
Khusraw ist sehr geschickt bei allem, was er unternimmt. Seine Besonnenheit als Chauffeur ist
sehr zu loben. Der geliebte Herr traute ihn
wenige Tage vor seinem Tode persönlich, da er
wohl wußte, daß dieser Mensch ohne ernste ihm
auferlegte Pflicht durch seinen Herrn das Leben
ohne diesen nicht hätte länger ertragen können.
So fuhren denn Shoghi Effendi, Vater und ich und eine amerikanische Bahai, Miss W., Akka zu. Das Pflaster der Straßen ist nichts weniger als gut, man wird es hier rasch gewohnt und kümmert sich dann nicht mehr darum. Nach dem Uebergang der Eisenbahngleise wird das Landschaftsbild ein anderes. Die Häuser lassen wir hinter uns, zur Rechten liegt eine Zeltkolonie, ein Feuer brennt, um das sich Männer gelagert haben, unweit ruhen Kamele, die, neuer Lasten harrend, geduldig stehen. Rasch vorüber und weiter den Sanddünen zu! Zur Linken das blaue rauschende Meer, zur Rechten Sanddünen, einige hohe Dattelpalmen, noch vereinzelt, dann nichts mehr, nur Sand! Vielfach fahren wir so nahe am Meere, daß das Wasser am Wagen hochaufspritzt, dann wieder möglichst auf feuchtem Sand. Wege gibt es keine hier, da der Sand durch Wasser und Wind täglich sich türmt und verrinnt — ein Bild des Lebens und der Zeit.
Tagelang möchte ich hierstehen dürfen, über mir das blaue Zelt Gottes, vor mir die ewigen Wogen des Meeres, das mit jedem Wellenschlag neu, Geheimnisvolles aus seinen Tiefen heranspült. Tausende von zarten Muscheln und kleinen Seetieren spült es an. Tierkadaver trägt es zurück, die die gierigen Raubvögel und Raben zerhacken, die aufgescheucht emporsteigen, um sich nach einigen Kreisen wieder eilig auf die Atzung zu stürzen.
Nicht satt kann ich mich sehen an der Düne, die sich ausdehnt, so weit das Auge reicht. Hier erlebe ich die Schöpfung Gottes mit, als er die Wasser von der Erde schied und sah, daß es gut war. Eine unbeschreibliche Größe des Naturgeistes durchdrang mich. — Wir bogen etwas nach der Düne ab, überfuhren eine mühsam mit Eisendraht überzogene Wegstrecke, die wenigstens das Versinken im Triebsand hemmt, überqueren den Kison, der einen lichten Wasserstreifen in die Meereswellen zieht, eine Brücke, in deren Planken bedenkliche Löcher sind und nähern uns der halbzerfallenen einstigen Karawanserei, die einsam am Strande liegt; sie bildet jetz t eine schöne Ruine in der Sandbucht.
Araber und im Gesicht mit blauen Strichen bemalte Beduinenfrauen begegnen uns; letztere tragen schwere Gefäße von schöner Form auf dem Haupt, barfüßig — wie meist alles hier. Stundenweit her kommen sie und bringen Milch nach Akka und noch weiter nach Haifa. Diese in Lehmdörfern hausenden Menschen leben von etwas Ackerbau und Viehzucht.
Allmählich taucht Akka mit seinem weißen Minaret und seinen Festungsmauern auf. Der grüne „Napoleonshügel" wird rechts sichtbar. Ihn ließ einst der Welteroberer Napoleon aufführen, um Akka beschießen zu können und mit der Eroberung dieser Stadt den Schlüssel für den Orient zu gewinnen (im Jahr 1799); sein Bemühen blieb aber vergeblich.
Shoghi Effendi zeigt uns Bahajee, das in der Ferne sichtbar wird.
Weiter geht die Fahrt! Rasch nähern wir uns der bewohnten Zone, wo uns ein kleiner Araber-Friedhof auffällt, dahinter ein Bahai-Friedhof mit 3 Marmor-Grabmälern, worunter das der Mutter Abdul Bahas. Zur Linken die historische Stelle der Landung Baha ’Ullah’s und der Gläubigen. Die Einzelheiten hierüber könnt Ihr aus dem Phelpsschen Buch ersehen und die Tragik bemessen, mit der dieser neue Zeitabschnitt damals für Baha ’Ullah, seine Familie und die mit Ihm Ziehenden anbrach,
Wir lassen Akka zur Linken und fahren auf einem ziemlich guten Feldweg, an weiteren Grabstätten, die die Ueberreste historischer Persönlichkeiten und Freunde Baha ’Ullah’s bergen, vorüber. Die Monumente der Bahai tragen am Haupt eine Inschrift und sind von den Araber-Grabsteinen sehr verschieden, welche bei Männern runde, kurze Säulen an der Front tragen, die an der Kuppe rot angestrichen sind und an den seitlichen Wandflächen wappenähnliche Zeichen mit bunter Farbe tragen, die sich geradezu kubistisch ausnehmen. In voller Sonne liegen die weißen Marmordenkmale da. Etwa 2 Meter tief wird der Sarg in die Erde gesenkt, und ohne Untermauerung die Monumente daraufgebaut. Die Natur sorgt. für die Toten und streut in den jetzt noch junggrünen Grasboden tausende von kleinen bunten Blumen, dicht wie ein samtweicher Teppich. Bald wird ihre Pracht dahin sein und das Gras dürr stehen in brennender Sonnenglut.
Nun sind die schönen Aquaduktanlagen mit der
hohen Ueberführung sichtbar und bilden herrlich
schöne Unterbrechungen der Landschaft. An
offenen Wasserstellen schöpfen Beduininnen mit
ihren Kindern Wasser in ihre edelgeformten Tonkrüge.
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Wir fahren weiter zu einem kleinen, wie eine bunte Oase daliegenden Garten, in dessen Mitte ein Gartenhaus steht, Es ist dies der Ort, wo die Besucher Baha ’Ullah’s und Abdul Bahas rasteten, ehe sie nach Bahajee kamen. Jetzt nähern wir uns rasch dem palastartigen Gebäude Bahajee. Shoghi Effendi zeigte uns das Eckzimmer im 1. Stock, in dem Baha ’Ullah starb. Um die Breitseiten des Hauses führt eine Säulenhalle, über den Fenstern befinden sich noch aus der Zeit der Erbauung des Hauses Freskomalereien, Engelgestalten u. Wappenzeichen.
An der Seitenfront halten wir. Der Palast hat mindestens viererlei aneinandergebaute Gebäude — niederer als das Hauptteil — wozu ich auch den Anbau zähle, der das Grab unseres in tiefer Ehrfurcht geliebten Baha ’Ullah birgt. Abul Gazem, aus dem trotz seiner großen Bescheidenheit die Würde seiner persischen Abstammung spricht, ist Hüter des hl. Grabes. Er bewillkommnete seinen Herrn mit wundervoller Ehrerbietung und lud uns ein, in die kühle, abgedunkelte Halle einzutreten. Ich richtete meinen Blick hinaus aus dem wohltuenden Halbdunkel auf einen kleinen Innenhof, inmitten dessen ein über und über mit goldgelben Zitronen beladener Baum steht, von der Frühsommersonne des Orients überflutet. Nur ein Tisch und Stühle stehen in dem Raum, wo wir sind, ein Glaskrug, zur Hälfte gefüllt mit goldgelben Sternen, den Blüten eines stark duftenden Strauchs, steht auf dem Tisch. Rechts vom Eingang liegt das Wohnzimmer Abdul Baha’s, das er so gerne bewohnte, Es ist ganz belassen, wie es zu seinen Lebzeiten war; links oben an den Fenstern steht sein Bett, an der rechten Wand zieht sich ein langer Diwan an den Fenstern hin. Von hier aus liebte es der Meister so sehr, in die Landschaft, zum Meer und mit dem Fernglas hinüber nach Haifa, nach dem Karmel, zu schauen.
Am unteren Wandende steht eine Kommode mit den wenigen Requisiten, die der Meister täglich benützte. Helle japanische Strohmatten bedecken den Boden. Der Friede, der hier herrscht, die Strahlungen, die hier von ihm gegenwärtig sind, müssen jedem Besucher mehr oder minder bewußt werden. Gewaltige, einige Jahrhunderte alte weitausladende Pinienbäume stehen unweit des Gebäudes. Wir gehen über den schwachbewachsenen Grasboden dahin und von dort aus macht der liebe Vater auf Wunsch Shoghi Effendis eine Skizze von dem Haus.
In großer Güte und gastfreundlicher Weise kommt Shoghi Effendi im Verlauf von 1 1/2 Stunden 3 mal zu uns heran mit Blumen; auch sendet er Abul Gazem mit Wasser und köstlichen Orangen, die, am Baume ausgereift, von wundervoller Süßigkeit und feinem Duft sind.
Wir sitzen im Schatten von Olivenbäumen, die in dem, dem Meer abgerungenen, vielmehr vor Jahrhunderten angeschwemmten Boden sehr ertragreich sind. Hier hatte ich eine unvergeßliche, besinnliche Stunde, in der mir das Leben und Leiden dieser Großen, die das Leid der Menschheit trugen — und mit welchem Mut! so ganz zum Bewusstsein kam. Nie werde ich diese mittägliche stille Stunde vergessen. — Nahe bei uns weidet ein Fohlen, vorüber zieht ein Zug Kamele, die so merkwürdig schön zu der ernsten Landschaft in dieser Einsamkeit passen.
In unmittelbarer Nähe von Bahajee ist ein kleiner Garten, überschüttet mit Blumen. Orangenbäume und Zitronen stehen darin; es ist wie ein Stück blendender Schönheit inmitten dürftigen Graswuchses. Diesen Garten hat Baha ’Ullah mit Abdul Baha und den Gläubigen selbst geschaffen, indem sie von weither Erde herbeitrugen, das Wasser von weither holten und so mit aller Geduld dies kleine Paradies schufen. Wenn man es nicht selbst sieht neben seiner Umgebung, so kann man sich kein richtiges Bild davon machen.
Nun kommt der Augenblick, für den ich mich so ernst vorbereiten konnte; wir gehen gemeinsam zum Grab unseres großen Baha ’Ullah. -
Der Hüter des Grabes öffnet uns die Tore; wir treten ein, legen die Schuhe ab, gehen etliche, mit schönen Perserteppichen belegte Stufen hinan und treten auf die Schwelle einer lichterfüllten Halle. An der Türe steht Shoghi Effendi und sprengt uns Rosenwasser in die Hände; wir benetzen damit Lippe und Stirne und stehen nun in einem durch Oberlicht hellerleuchteten Saal, der in lichtesten Farben gehalten ist. Inmitten des mit hellblauen, alten Perserteppichen belegten Steinbodens ist eine große Gartenanlage mit über und über blühenden, meist tropischen Pflanzen, desgleichen riesige Geranien und Asparagus. In der zweifensterigen Nische steht ein Tisch mit Lampen und Vasen, das Symbol des Lichts für die Welt. Es sind dies Gaben der Freunde. Drei große Deckenlüster und Seitenlichter zieren den Raum. Eine heilige Stille umgibt uns.
Shoghi Effendi singt ein Besuchstablet und
zieht alsdann den Vorhang vor einer Türe zurück,
die in den heiligen Raum führt. Die Schwelle
ist mit Rosen und: Blütenkelchen bedeckt. Wir
knien in tiefster Ehrfurcht an dieser Schwelle
nieder und senken unsere Stirne in heißem Gebet auf den Stein. — Ströme unaussprechlicher
Gefühle durchfluten uns. Wir legen Veilchen als
Opfergabe nieder; aber mehr noch opfern wir
unsere Seele, unser eigenes Ich und bringen ein
Gelöbnis der unverbrüchlichen Treue dem dar, der
da sagte: „Halte meine Gebote, daß ich dir die
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Geheimnisse der Unendlichkeit offenbare und dich
mit den Lichtern der Ewigkeit erleuchte!“
Tiefbewegt verlassen wir diese geheiligte Stätte, nachdem Shoghi Effendi uns die geöffneten Hände mit den Blüten füllte, die auf der Schwelle zum heiligen Grab lagen. Wie gerne hätten wir den Innenraum des Grabes gesehen, allein Ali Mohammed, der Stiefbruder Abdul Baha’s, der ihm zeitlebens so viel Leid zufügte, hat sich des Schlüssels mit Gewalt bemächtigt und die Regierung wegen der Erbfolge Sir Abbas Effendis beunruhigt. Wieder besteigen wir das Auto und Shoghi Effendi zeigt uns den „Roten Hügel“ von Baha ’Ullah. Dort pflegte er seine Zelte aufzuschlagen und seine Freunde folgten ihm dahin. Der Berg ist im April über und über mit Blüten bedeckt; eine erfrischende Luft weht auf dem Hügel, den wir steil hinangingen. Auch jetzt schon beginnt das Blühen der vielfarbigen Frühlingsblumen; darin das emsige Leben der kleinen Insekten und das Summen und Brummen der Käferlein in glückseliger Daseinsfreude! Mir kam die „Bergpredigt Jesu“ in den Sinn, denn auch seine Jünger folgten ihm auf den Berg nach, lagerten sich um ihn und lauschten seinen Lehren. — Dann fahren wir weiter nach dem „Rizwan“ durch eine arme aus Lehmhäusern bestehende Araberansiedelung hindurch, alles grau in grau, sehr ärmlich und schmutzig. Den ganzen Gebirgszug entlang sind überall Ansiedelungen und auch größere Ortschaften. Der Aquadukt, der vom Gebirge her meilenweit nach Akka gutes, reines Trinkwasser führt und der teilweise hohe Ueberführungen hat, trägt viel durch diese Säulentore zu einem reizvoll antiken Charakter der Landschaft bei. Zwei große Gärten liegen zusammenhängend wie ein grünes Eiland vor uns, der „Rizwan“ und „Firduz"; beides Benennungen für „Paradies“. Bahajee bedeutet „Entzücken“. Der Lieblingsteil des Rizwan Baha ’Ullah’s liegt zwischen zwei Armen des, das ganze Jahr über gleichmäßig stark fließenden Flusses Na’main. Palmen, riesengroße Arokarien Orangen-, Mandarinen- und Zitronenbäume, Eukalyptus, und viele andere tropischen Bäume stehen dort; dazwischen blühen Tausende von Levkoien, Rosen, Nelken, Löwenzahn in wild-üppiger Pracht durcheinander. Beim Lieblingsplatz Baha ’Ullah’s zwischen zwei alten Riesenbäumen, steht unser Tisch gedeckt mit all’ den guten Dingen, die Khusraw aus Haifa mitgebracht hat. Baha ’Ullah hat hier breite Bänke, die über das Ufer hinausragen, am Wasser bauen lassen, die beiderseits des hier schmalen Gartens stehen. Ein kleines Wasserwerk wird mittelst einer Sakyae getrieben, die, aufs einfachste konstruiert, durch ein Pferd, dessen Augen verbunden sind, gedreht wird. Ich setze mich nahe an dieses Wasserrad und lausche auf das einförmige Taken des kleinen Holzhammers, Ein kleiner Knabe, der Sohn des Gärtners, treibt das Pferd an, wenn es in seinem blinden Wandern ermüden will. Ein einsamer hoher Eukalyptusbaum, in dessen gelbgrünen, bewegten Zweigen der Wind spielt, steht bei der Sakyae. Alles ist in Sonne getaucht und duftet und atmet in der Liebe Gottes, Dies ist wieder eine Feierstunde, ein Tag des Herrn — könntet Ihr ihn doch mit mir teilen! Am Ende des Gartens steht ein langgestrecktes, kleines Haus, in dem wenige Zimmer sind, wie es vielfach hierzulande zu finden ist. Hier pflegte Baha ’Ullah 14 Tage und 14 Nächte von Bahajee aus zu verbringen; die Gläubigen kamen dahin, und oft lagerten 30—40 Menschen vor diesem Haus im Freien. Baha ’Ullah schrieb hier viele Tablets und liebte diesen Aufenthalt sehr. Das Rizwan-Fest wurde hier gefeiert, wobei er eigenhändig den Freunden Gebäck, Kandiszucker und andere Süßigkeiten reichte. Das Zimmer Baha ’Ullah’s ist groß und länglich; es ist verblieben, wie er es bewohnte. Zwei große Tische, sein persisches Bett, zusammengerollt und in buntem Leinenumschlag, der Samowar, schöne Perserteppiche liegen auf dem mattenbedeckten Steinboden, einfache Rohrstühle stehen den Wänden entlang; unendlich schlicht ist dieser Raum. Ein einfacher Holzkasten ist auf Abdul Baha’s Wunsch angefertigt worden, worin der Rohrstuhl von Baha ’Ullah steht, eine welke Rose liegt darauf. Wie anspruchslos ist dieser Raum, und doch werden in künftigen Zeiten die zur Erkenntnis erwachten Menschen, die die Größe Baha ’Ullahs begreifen, an alle diese Stätten pilgern und den Spuren dieses Gottesgesandten folgen, der, aus der Heimat verbannt und verfolgt, dennoch der Menschheit die höchsten ethischen Werte im Namen Gottes verkündigte.
Die Gartenzäune in maurischem Stil sind vielfach zerfallen, aber diese Ungezwungenheit gibt der Ueppigkeit der Vegetation sehr viel Spielraum. Die Wasser des kleinen Bassins rauschen, die Schalen haben sich gefüllt, laufen über und füllen die tiefer liegenden und treten aus in die Steinfließen und rinnen kristallklar über den schmalen, zementierten Weg in das Bachbett. Die kleinen Kinder des Gärtners des Rizwan nützen die Gelegenheit und treten mit den braunen Füßchen in das lockende Naß. Viele fremde Vögel, die ich nicht nennen kann, jubilieren in den Zweigen, und ich lasse mich mit dem Strom der unendlichen Harmonie im ganzen All forttragen. Schnelle grüne Eidechsen huschen die hartborkigen Stämme hinan, und ich rette rasch das Leben einer großen Grille, die mühsam mit den Wellen kämpft.
Jenseits des Flusses ist Grasboden mit hohen,
alten Dattelpalmen; eine armselige Niederlassung,
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ein Steinhaus und strohbedeckte Hütten stehen
beisammen; Frauen mit gemalten Gesichtern treiben Geflügel und Esel fort, holen Grünfutter und
stehen mit einer ihnen unbewußten Anmut und
doch stolz und frei da. Die Gärtnersfamilie sind
Zoroastrier-Bahai; wir können nicht zusammen
reden, aber die Mutter versteht doch, wenn ich
ihr sage, daß sie prächtige Kinder hat und der
„Große Name“ ist ja in allen Zungen gleich.
Nach vierstündigem Aufenthalt fahren wir von Rizwan weg, um noch flüchtig den „Garten Firduz“ zu besuchen. Bemerkenswert sind dort die üppigen Orangen und Granatäpfel. Unweit
des Hauses des Gartenhüters mit seiner Familie ist ein großes Schwimmbassin aus Zement, zu dem man auf einer schwanken Holztreppe hinaufgelangt. Nur kurz dort, dann dem Strande zu! Das Meer nimmt wundervolle violette Töne an, wird dann wie flüssiges Silber, unsagbar schön. — Ein großes, einst deutsches Kriegsschiff, jetzt unter englischer Flagge, liegt vor Anker in Haifa. Wir sind wieder nahe der Stadt; bergan geht der Weg durch kreischende Menschen, an staubaufwirbelnden Automobilen vorüber, durch die Stadt der persischen Kolonie zu. Ein ereignisreicher Tag, der uns unvergeßlich bleiben wird, geht zu Ende.
Parolo de Abdul Baha en la unuigo de la spiritualistig, Salle de 1 Athende St. Germain, Paris. 9. XI. 1911.
Antaü clio mi deziras esprimi al vi mian dankon por via gastamo kaj konfesi mian &ojon pri via spiriteco. Feliligas min Ceesti tian kunvenon. vi kunvenis por aüdi dian mision. Se vi scius rigardi per la okuloj de la vereco, grandaj ondoj de la spiriteco estus videblaj en tiu ©i salonego. La potenco de la Sankta Spirito estas evidenta tiujn. Dank’ al Dio, ke viaj koroj estas inspirita] de dia ardo. Viaj animoj estas kvazaü ondoj sur la maro de I’spirito. Sametiele multaj malgrandaj ondoj unuigas al oceano, tiel same iu el vi estas aparta ondo, &iu estas unuigata en Dio. Ciu koro devus elradii unuecon, por ke la lumo de la dia fonto el &iuj hele kaj klare lumu. Ni ne nur rigardu la apartajn ondojn, sed ni pririgardu la tutan maron. De la aparta ni devas levigi al la tuto. La spirito kvazalas grandan oceanon, kaj la animoj de homoj simbolas la ondojn de l’granda maro.
En la Biblio estas profetita, „Nova Jerusalemo“ sur la tero. Estas klare, ke tiu tiela urbo ne estas konstruita el materiaj $tonoj kaj mortero, sed ke estas urbo ne farita per manoj, sed eterna urbo, konstruita en Cielo.
Tio estas profeta simbolo kaj signifas, ke la diaj instruoj revenos, por lumigi la . korojn de la homoj. Pasis longa tempo,
de post tia sankta gridado regis la vivon de la homaro. Sed nun la „Sankta Urbo“ la „Nova Jerusalem“ denove malsuprenvenis sur la teron kaj aperis je la orienta cielo; je l’horizonto de Persujo $i levigis brile, por lumigi kiel lumo la tutan mon don. Ni vidas nuntempe la plen umigon de la diaj profetajoj. Jerusalem estis malaperinta; la Ciela urbo estis detruita, nun fi estas denove konstruita, Gi estis detruita elfunde, $iaj muroj kaj ties murdentoj denove estas starigitaj kaj superas alte en novigita kaj majesta beio. En okcidento triumfis la materia bonstato, dum en la oriento brilis la spirita suno.
Mi tre &ojas esti antaü kunvenaro kiel kiel tiu ©i en Parizo, kie spirita kaj materia progreso estas kunigataj ef unueco.
La homo, t. e. la vera homo estas la animo kaj ne la korpo; kvankam la fizika homo apartenas al la animala regno, lia animo igas lin superi la kroman kreitajaron. Rigardu kiel, la lumo de la suno lumigas la materian mondon; sammaniere la dia lumo elverSas siajn radiojn super la regnon de la animo. Gi estas la animo, kiu faras la homan kreitajon je Ciela estajo.
Per la potenco de la Sankta Spirito, kiu efikas per la animo, la homo kapablas percepti la dian realecon. Ciuj grandaj verkoj de la arto kaj de la scienco estas pruviloj de la forto de I’spirito. La sama spirito efernas nian vivon. Nur tiuj, kiuj estas baptitaj per la dia spirito, kapablas unuigi Ciujn popolojn. Per la potenco de la spirito estas ebla al la orienta mondo, kun $iaj spiritaj pensoj intermiksigi kun la okcidenta regno de la faroj, por ke la materia mondo dii$u.
- El tio rezultas, ke Ciuj, kiuj laboras por
la celo de la Ciopovulo, estas soldatoj en
la armeo de I’spirito. La lumo de la Ciela
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mondo militadas kontraü la mondo de la ombroj kaj de l’iluzioj, La radioj de la suno de !’vero disigas la mallumon de la superstico kaj de la malkomprenoj.
Via pensado estas spirital AI vi, serCantaj la veron, venos la malkaSo de Baha’Ullah kaj alportos al vi grandan $ojon. Tiu instruo estas spirita; en fi estas neniaj ordonoj, kiuj ne estas de la dia spirito,
Oni ne povas percepti la spiriton per la materiaj sentoj de la fizika korpo, krom tiam, kiam gi efektifißas per eksteraj signoj kaj faroj, La homa korpo estas videbla, Ja’animo malvidebla. Malgraü tio estas la animo la ilo, kiu direktas la homajn kapablojn kaj regas la homecon.
La animo havas du Cefkapablojn:
l, Kiel la eksteraj cirkonstrancoj estas interligataj] kun la animo per okuloj, orelo} kaj cerbo, same ankaü la animo transdonas siajn dezirojn kaj intencojn al manoj kaj al lango per la cerbo kaj efektivigas per tio. La spirito en la animo estas la vera esenco de I’vivo.
2. Ladua kapablo efektivißas en la mondo
de la vizioj, kie la animo, en kiu logas la spirito, havas sian esencon kaj siajn funkciojn en helpo de la materiaj, korpaj sentoj. En regno de la vizio la animo vidas sen helpo de la fizikaj okuloj, $i aüdas sen helpo de la fizikaj oreloj kaj $i vagadas sendepende de fizikaj helpiloj. Pro tio estas klare, ke la spirito povas funkeii en la homa animo per tio, ke $i uzas la organojn de la normalaj sentoj, kaj ke fi ankaü kapablas vivi kaj agi sen ilia helpo en la mondo de la vizioj. Tio pruvas sendube la superecon de la animo pri la korpo kaj la supeiecon de la spirito pri la materio. Rigardu ekzemple tiun &i lampon. Cu la lumo en fi ne estas pli nobla ol la lampo, kiu Sin enhavas? Kiom ojn bela formita lampo estas, ne enhavante lumon, $i ne plenumas sian destinon kaj estas senvira objekto. La lampo bezonas la Iumon, sed tiu Üi ne bezonas la lampon. La spirito ne bezonas korpon sed la korpo bezonas la spiriton, sen tiu &i $i ne povas ‚vivi. La animo povas vivi sen la korpo sed sen animo la korpo estas senviva.
En ra nn rer ang are me.
Kiam homo perdas vidon, aidon, manon aü piedon, tiam lia.animo restes tute en la korpo, kaj la homo: restas kapabla, malka$i diajn virtojn. Aliflanke estus e© por periekta korpo neeble, vivi sen spirito,
La plej granda potenco de la Sankta Spirito ekzistas en la diaj manifestacioj de la vero. Per la forto de l’spirito la homaro ricevis diajn instruojn kaj alportis eternan vivon al la homoj. Per la potenco de l’spirito la dia majesteco brilis de la oriento £is okcidento kaj per la sama spirito la diaj virtoj de le homaro estos malkaßataj.
Niaj plej grandaj penadoj devas celi, liberigi nin de la materiajoj. Ni devas klopodi pli spiritigi, pli perfektigi, por vivi laü la ordonoj en la diaj instruoj, servi la aferon de la unueco kaj de !’vera egaleco, esti kompataj kaj reflekti la amon de I’Ciopovulo &iujn homojn, por ke la lumo de la spirito vidifu en Ciuj niaj agoj; kaj ke la tuta homaro estu unuigita kaj la ventega maro pro tio estu trankviligata kaj &iuj malkvietigaj ondegoj malaperu de la oceano de l’vivo, por ke tiu ©i estonte estu kvieta kaj paca. Tiamaniere la homoj vidos la „Novan Jerusalem“, kaj ili eniros tra $iaj pordegoj kaj riecvos tielajn donacojn.
Mi dankas Dion por la favoro, pasigi &i tiun posttagmezon inter vi, kaj mi dankas vin por via spirita sentado. Mi preßas, ke vi progresu en dia fervoro, kaj ke la forto de la Sankta Spirito pliigu inter vi, por ke la profetajoj kaj Ciuj $ojaj misioj de la sarıktaj skribajoj plenumigu en tiu &i granda jarcento de la lumo. Tio estas la belega tempo, pri kiu nia Sinjoro Jesuo Kristo parolis instruante nin preßi: „Venu via regno farigu via volo kiel en la £ielo, tiel ankaü sur la tero. Mi esperas, ke tio ankaüi estas via espero kaj via plej granda deziro,
Ni estas unuigitaj en la unu celo kaj en la espero, ke öiuj estas kvazau unu animo kaj ke iu koro estas inspirata per la amo de nia dia patro.
Ciuj niaj agoj estu spiritaj kaj &iuj viaj interesoj kaj inklinoj koncentrigu je la re$lando de la majesto,
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Druck: Wilhelm Heppeler, Stuttgart.
Geschichte und Bedeutung der Bahailehre.
Die Bahai-Bewegung tritt vor allem ein für die „Universale Religion" und den „Universalen Frieden“ — die Hoffnung aller Zeitalter. Sie zeigt den Weg und die Mittel, die zur Einigung der Menschheit unter dem hohen Banner der Liebe, Wahrheit, Gerechtigkeit und Barmherzigkeit führen. Sie ist göttlich ihrem Ursprung nach, menschlich in ihrer Darstellung, praktisch für jede Lebenslage. In Glaubenssachen gilt bei ihr nichts als die Wahrheit, in den Handlungen nichts als das Gute, in ihren Beziehungen zu den Menschen nichts als liebevoller Dienst.
Zur Aufklärung für diejenigen, die noch wenig oder nichts von der Bahaibewegung wissen, führen wir hier Folgendes an: „Die Bahaireligion ging aus dem Babismus hervor. Sie ist die Religion der Nachfolger Baha’o’llahs, Mirza Hussein Ali Nuri (welches sein eigentlicher Name war) wurde im Jahre 1817 in Teheran (Persien) geboren. Vom Jahr 1844 an war er einer der angesehensten Anhänger des Bab und widmete sich der Verbreitung seiner Lehren in Persien. Nach dem Märtyrertod des Bab wurde er mit den Hauptanhängern desselben von der türkischen Regierung nach Bagdad und später nach Konstantinopel und Adrianopel verbannt. In Bagdad verkündete er seine göttliche Sendung (als „Der, den Gott offenbaren werde") und erklärte, daß er der sei, den der Bab in seinen Schriften als die „Große Manifestation", die in den letzten Tagen kommen werde, angekündigt und verheißen hatte. In seinen Briefen an die Regenten der bedeutendsten Staaten Europas forderte er diese auf, sie möchten ihm bei der Hochhaltung der Religion und bei der Einführung des universalen Friedens beistehen. Nach dem öffentlichen Hervortreten Baha’o’llahs wurden seine Anhänger, die ihn als den Verheißenen anerkannten, Bahai (Kinder des Lichts) genannt. Im Jahr 1868 wurde Baha’o’llah vom Sultan der Türkei nach Akka in Syrien verbannt, wo er den größten Teil seiner lehrreichen Werke verfaßte und wo er am 28. Mai 1892 starb. Zuvor übertrug er seinem Sohn Abbas Effendi (Abdul Baha) die Verbreitung seiner Lehre und bestimmte ihn zum Mittelpunkt und Lehrer für alle Bahai der Welt.
Es gibt nicht nur in den mohammedanischen Ländern Bahai, sondern auch in allen Ländern Europas, sowie in Amerika, Japan, Indien, China etc. Dies kommt daher, daß Baha’o’llah den Babismus, der mehr nationale Bedeutung hatte, in eine universale Religion umwandelte, die als die Erfüllung und Vollendung aller bisherigen Religionen gelten kann. Die Juden erwarten den Messias, die Christen das Wiederkommen Christi, die Mohammedaner den Mahdi, die Buddhisten den fünften Buddha, die Zoroastrier den Schah Bahram, die Hindus die Wiederverkörperung Krischnas und die Atheisten — eine bessere soziale Organisation.
In Baha’o’llah sind alle diese Erwartungen erfüllt. Seine Lehre beseitigt alle Eifersucht und Feindseligkeit, die zwischen den verschiedenen Religionen besteht; sie befreit die Religionen von ihren Verfälschungen, die im Lauf der Zeit durch Einführung von Dogmen und Riten entstanden und bringt sie alle durch Wiederherstellung ihrer ursprünglichen Reinheit in Einklang. In der Bahaireligion gibt es keine Priesterschaft und keine religiösen Zeremonien. Ihr einziges Dogma ist der Glaube an den einigen Gott und an seine Manifestationen (Zoroaster, Buddha, Mose, Jesus, Mohammed, Baha’o’llah),
Die Hauptschriften Baha’o’llahs sind der Kitab el Ighan (Buch der Gewißheit), der Kitab el Akdas (Buch der Gesetze), der Kitab el Ahd (Buch des Bundes) und zahlreiche Sendschreiben, genannt „Tablets“, die er an die wichtigsten Herrscher oder an Privatpersonen richtete. Rituale haben keinen Platz in dieser Religion; letztere muß vielmehr in allen Handlungen des Lebens zum Ausdruck kommen und in wahrer Gottes- und Nächstenliebe gipfeln. Jedermann muß einen Beruf haben und ihn ausüben. Gute Erziehung der Kinder ist zur Pflicht gemacht und geregelt. Niemand ist mit der Macht betraut, Sündenbekenntnisse entgegenzunehmen oder Absolution zu erteilen.
Die Priester der bestehenden Religionen sollen den Zölibat (Ehelosigkeit) aufgeben, durch ihr Beispiel predigen und sich im praktischen Leben unter das Volk mischen. Monogamie (die Einehe) ist allgemein gefordert, Streitfragen, welche nicht anders beigelegt werden können, sind der Entscheidung des Zivilgesetzes jeden Landes und dem Bait’ul’Adl oder „Haus der Gerechtigkeit“, das durch Baha’o’llah eingesetzt wurde, unterworfen. Achtung gegenüber jeder Regierungs- und Staatseinrichtung ist als einem Teil der Achtung, die wir Gott schulden, gefordert. Um die Kriege aus der Welt zu schaffen, ist ein internationaler Schiedsgerichtshof zu errichten. Auch soll neben der Muttersprache eine universale Einheits-Sprache eingeführt werden. „Ihr seid alle die Blätter eines Baumes und die Tropfen eines Meeres“ sagt Baha’o’llah.
Es ist also weniger die Einführung einer neuen Religion, als die Erneuerung und Vereinigung aller Religionen, was heute von Abdul Baha erstrebt wird. (Vgl. Naveau Larousse, illustre supplement, p. 66.)