Sonne der Wahrheit/Jahrgang 17/Heft 4/Text

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SONNE DER WAHRHEIT
Organ der Bahá’í in Deutschland und Österreich
Verantwortlich für die Herausgabe: Dr. Eugen Schmidt, Stuttgart-W, Reinsburgerstraße 198
Schriftleitung: Dr. Adelbert Mühlschlegel, Dr. Eugen Schmidt, Alice Schwarz-Solivo
Verwaltung: Paul Gollmer Begründet von Alice Schwarz-Solivo
Preis vierteljährlich 1.80 Reichsmark
Heft 4 Stuttgart, im Juni 1937
Núr — Licht 94
17. Jahrgang

Inhalt: Ährenlese aus den Schriften Bahá’u’lláh’s (Forts.). — Nabíl’s Erzählung: Die Gefangenschaft des Báb in der Festung von Chihríq. — Die Sendung von Bahá’u’lláh. — Der menschliche Verstand als Stufe zum Gottesbewußtsein. (Schluß)



So mächtig ist das Licht der Einheit, daß es die ganze Erde erleuchten kann. Der eine wahre Gott, der, welcher alle Dinge weiß, bekennt sich zu der Wahrheit dieser Worte ... Dieses Ziel überragt jedes andere Ziel, und dieses Streben ist der Fürst alles Strebens.

Bahá’u’lláh



Ährenlese aus den Schriften von Bahá’u’lláh[Bearbeiten]

(Fortsetzung)


XI. Alle Herrlichkeit sei diesem Tag, dem Tag, an dem die Düfte der Gnade über alle erschaffenen Dinge ausgegossen wurden, ein Tag, so gesegnet, daß vergangene Zeitalter und Jahrhunderte niemals hoffen können, ihm zu gleichen, ein Tag, an dem das Angesicht des Urewigen Tags sich Seinem heiligen Thron zugewandt hat. Daraufhin wurden die Stimmen aller erschaffenen Dinge und darüber hinaus diejenigen der Heerscharen der Höhe vernommen, die laut riefen: „Beeile dich, o Karmel, denn siehe, das Licht des Angesichts Gottes, des Herrschers des Königreichs der Namen und Gestalters der Himmel, ist über dir aufgerichtet worden.“

Vom Freudenausbruch ergriffen und hoch seine Stimme erhebend, rief er aus: „Möge mein Leben ein Opfer für Dich sein, da Du Deinen Blick auf mich gerichtet, mich mit Deiner Freigebigkeit überschüttet und Deine Schritte zu mir gelenkt hast. Die Trennung von Dir, o Du Quell des ewigen Lebens, hat mich nahezu verzehrt, und meine Entfernung aus Deiner Gegenwart hat meine Seele hinweggebrannt. Aller Lobpreis sei Dir, da Du mich befähigtest, Deinem Rufe zu lauschen, da Du mich beehrtest mit dem Tritte Deiner Füße und meine Seele wiedererwecktest durch den belebenden Duft Deines Tages und die ergreifende Stimme Deiner Feder, einer Stimme, die Du zum Posaunenruf inmitten Deines Volkes bestimmt hast. Und als die Stunde schlug, an der Dein unwiderstehlicher Glaube geoffenbart werden sollte, bliesest Du [Seite 50] einen Hauch Deines Geistes in Deine Feder und siehe, die ganze Schöpfung erbebte in ihren Grundfesten und enthüllte der Menschheit solche Geheimnisse, wie sie verborgen in den Schatzkammern Dessen liegen, der der Besitzer aller erschaffenen Dinge ist.“

Kaum hatte seine Stimme jenen erhabensten Punkt erreicht, als Wir erwiderten: „Danke Deinem Herrn, o Karmel. Das Feuer deiner Trennung von Mir hatte stark an dir gezehrt, als das Weltmeer Meiner Gegenwart vor deinem Antlitz wogte und deine Augen und die aller Schöpfung tröstete und mit Entzücken alle sichtbaren und unsichtbaren Dinge erfüllte. Frohlocke, denn Gott hat an diesem Tage Seinen Thron auf dir errichtet, hat dich zum Dämmerungsorte Seiner Zeichen und zum Tagesanbruch der Beweise Seiner Offenbarung gemacht. Wohl dem, der dich umkreist, der die Offenbarung deiner Herrlichkeit verkündet und berichtet von dem, was die Freigebigkeit des Herrn, deines Gottes, über dir ausgegossen hat. Ergreife du den Kelch der Unsterblichkeit im Namen deines Herrn, des Allherrlichen, und zolle Ihm Dank, da Er, als Zeichen Seines Erbarmens mit dir, deine Sorge in Freude gewandelt und deinen Kummer umgestaltet hat in seliges Entzücken. Er, wahrlich, liebt den Ort, der zum Sessel Seines Throns gemacht wurde, den die Tritte Seiner Füße berührten, der durch Seine Gegenwart beehrt wurde, von dem aus Er Seinen Ruf erhob und über den Er Seine Tränen goß.

„Rufe aus gen Zion, o Karmel, und verkündige die frohen Botschaften: Er, Der sterblichen Augen verborgen war, ist gekommen! Seine allbesiegende Herrschaft ist offenbar; Sein alles umstrahlender Glanz ist enthüllt. Hüte dich, daß du nicht zögerst oder schwankest. Eile hin und umschreite die Stadt Gottes, die vom Himmel herabgekommen ist, die himmlische Kaaba, welche die Lieblinge Gottes in Anbetung umkreist haben, die Reinen im Herzen und die Schar der erhabensten Engel. O, wie sehne Ich Mich danach, jedem Orte an der Oberfläche der Erde die frohen Botschaften dieser Offenbarung zu verkünden und in jede ihrer Städte sie zu tragen, - eine Offenbarung, zu der das Herz Sinai’s hingezogen wurde und in deren Namen der Brennende Busch ausruft: ‚Gott, dem Herrn der Herren, gehören die Reiche der Erde und des Himmels.‘ Wahrlich, dies ist der Tag, an dem beide, Land und Meer, frohlocken bei dieser Verkündigung, der Tag, für den jene Dinge aufgespeichert wurden, die Gott, aus einer Freigebigkeit, die über die Fassungskraft des menschlichen Verstandes oder Herzens hinausgeht, zur Offenbarung bestimmt hat. Binnen kurzem wird Gott Seine Arche auf dich zusteuern und das Volk Bahá’s offenbaren, das im Buch der Namen erwähnt worden ist.“

Geheiligt sei der Herr der ganzen Menschheit, bei Erwähnung dessen Namens alle Atome der Erde veranlaßt wurden, zu schwingen und die Zunge der Erhabenheit bewegt wurde, das zu offenbaren, was in Seiner Erkenntnis verhüllt und in der Schatzkammer Seiner Macht verborgen lag. Er ist wahrlich durch die Kraft Seines Namens der Machtvolle, der Allmächtige, der Höchste, der Herrscher alles dessen, was in den Himmeln und alles dessen, was auf Erden ist.

XII. Rührt euch, o Völker, in Erwartung der Tage Göttlicher Gerechtigkeit, denn die verheißene Stunde ist nun gekommen. Hütet euch, daß ihr nicht verfehlt, ihre Bedeutung zu erfassen und zu den Irrenden gerechnet werdet.

XIII. Betrachte die Vergangenheit! Wie viele, hoch und niedrig, haben zu allen Zeiten sehnsüchtig das Erscheinen der Manifestationen Gottes in den geheiligten Persönlichkeiten Seiner Erwählten erwartet. Wie oft haben sie Sein Kommen erhofft, wie häufig haben sie gefleht, daß der Wind göttlicher Gnade wehen und die verheißene Schönheit hinter dem Schleier der Verborgenheit hervortreten und aller Welt offenbar gemacht werden möge. Und wann auch immer die Tore der Gnade sich öffneten und die Wolken göttlicher Freigebigkeit auf die Menschheit herabregneten und das Licht des Unsichtbaren über dem Horizont himmlischer Macht leuchtete, haben sie alle Ihn verleugnet und sich abgewandt von Seinem Antlitz — dem Antlitz von Gott Selbst . . .

Überlege, was könnte der Grund zu solchen Taten gewesen sein? Was könnte ein solches Verhalten gegenüber den Offenbarern der Schönheit des Allherrlichen hervorgerufen haben? Was auch immer in vergangenen Tagen die Ursache der Verleugnung und des Widerstandes jener Leute gewesen sein mag, hat nun zur Verworfenheit der Menschen dieses [Seite 51] Zeitalters geführt. Zu behaupten, daß das Zeugnis der Vorsehung unvollständig war, daß es daher die Ursache der Verleugnung bei den Leuten war, ist offene Gotteslästerung. Wie fern von der Gnade des Allfreigebigen und von Seiner liebenden Vorsehung und milden Barmherzigkeit liegt es, eine Seele unter allen Menschen zur Führung Seiner Geschöpfe herauszugreifen und einerseits Ihr das volle Maß Seines göttlichen Zeugnisses vorzuenthalten und andererseits schreckliche Vergeltung über Sein Volk zu verhängen, weil es sich von Seinem Erwählten abgewandt hat! Nein, die mannigfachen Gaben des Herrn aller Wesen haben zu allen Zeiten durch die Manifestationen Seiner göttlichen Wesenheit die Erde und alle, die darinnen leben, umfaßt. Nicht einen Augenblick lang wurde Seine Gnade zurückgehalten, noch haben die Schauer Seiner liebenden Güte aufgehört, auf die Menschheit zu regnen. Folglich kann ein derartiges Verhalten nur der Kleinheit solcher Seelen zugeschrieben werden, die das Tal der Anmaßung und des Stolzes beschreiten, in den Wüsten der Entfernung verloren gehen, die Wege ihrer eitlen Einbildungen gehen und den Vorschriften der Führer ihres Glaubens folgen. Ihr Hauptansinnen ist nichts als Widerstand; ihr einziger Wunsch ist, die Wahrheit zu verleugnen. Für jeden scharfsichtigen Beobachter ist es einleuchtend und offenbar, daß, wenn diese Leute in den Tagen einer jeden der Manifestationen der Sonne der Wahrheit ihre Augen, ihre Ohren und ihre Herzen von allem, was auch immer sie sahen, hörten und fühlten, geheiligt hätten, sie sicherlich nicht des Schauens der Schönheit Gottes beraubt worden, noch weit von den Wohnstätten der Herrlichkeit abgeirrt wären. Da sie aber das Zeugnis Gottes mit dem Maße ihres eignen Wissens wogen, das zusammengetragen war aus den Lehren der Führer ihres Glaubens, und es im Widerspruch fanden mit ihrem begrenzten Verständnis, erhoben sie sich, um solch ungeziemende Taten zu begehen...

Betrachte Moses! Versehen mit dem Stab himmlischer Herrschaft, geschmückt mit der weißen Hand göttlichen Wissens und vom Párán der Liebe Gottes kommend und die Schlange der Macht und ewiger Hoheit führend, leuchtete Er hervor aus dem Sinai des Lichtes über die Welt. Er berief alle Völker und Geschlechter der Erde zum Königreich der Ewigkeit und lud sie ein, mitzuessen von der Frucht des Baumes der Treue. Sicher habt ihr Kenntnis von dem grimmigen Widerstand Pharao’s und seiner Leute und von den Steinen eitler Einbildungen, die die Hände der Ungläubigen nach jenem gesegneten Baume warfen. Das geschah in solchem Maße, daß Pharao und seine Leute sich schließlich erhoben und die äußerste Anstrengung machten, um mit den Wassern der Falschheit und der Verleugnung das Feuer jenes geheiligten Baumes auszulöschen, der Wahrheit nicht gedenkend, daß kein irdisches Wasser die Flammen göttlicher Weisheit unterdrücken kann, noch vergängliche Windstöße die Lampe ewiger Herrschaft auslöschen. Nein, ein solches Wasser kann das Brennen der Flamme nur verstärken und solche Windstöße können die Erhaltung der Lampe nur befestigen — so ihr mit dem Auge der Einsicht beobachtet und auf dem Pfade von Gottes heiligem Willen und Wohlgefallen wandelt . . .

Und als die Tage von Moses beendet waren und das Licht Jesu, das aus dem Tagesanbruch des Geistes hervorleuchtete, die Welt umfing, erhoben sich alle Völker Israels im Widerstand gegen Ihn. Sie schrieen laut, daß Er, dessen Kommen die Bibel vorausgesagt, durchaus die Gesetze Mose verkünden und erfüllen müsse, während dieser junge Nazarener, der Anspruch auf die Stufe des göttlichen Messias erhob, das Gesetz der Ehescheidung und des Sabbats — die wichtigsten aller Gesetze Mose — aufgehoben habe. Wie war es überdies mit den Zeichen der Manifestation bestellt, die nunmehr erscheinen sollte? Diese Völker Israels erwarten noch bis auf den heutigen Tag die Manifestation, welche die Bibel voraussagte! Wie viele Manifestationen der Heiligkeit, wie viele Offenbarer des ewigen Lichtes sind seit der Zeit Mose erschienen, und dennoch lebt Israel, eingehüllt in die dichtesten Schleier satanischer Einbildungen und falscher Vorstellungen, weiter der Erwartung, daß das Götzenbild ihres eignen Machwerkes mit solchen Zeichen erscheinen wird, wie es selbst sie erdacht hat! Daher hat Gott sie geschlagen für ihre Sünden, hat den Geist des Glaubens in ihnen vernichtet und sie gepeinigt mit den Flammen des niedrigsten Feuers. Und dies aus keinem andern Grunde, als daß Israel sich weigerte, den Sinn solcher Worte, [Seite 52] die in der Bibel bezüglich der Zeichen der kommenden Offenbarung enthüllt wurden, zu erfassen. Da es ihre wahre Bedeutung niemals begriff und dem äußeren Anschein nach solche Begebenheiten sich niemals zutrugen, blieb es darum dessen beraubt, die Schönheit Jesu zu erkennen und das Angesicht Gottes zu schauen. Und noch immer erwarten sie Sein Erscheinen! Seit unvordenklicher Zeit, selbst bis auf den heutigen Tag, haben alle Geschlechter und Völker der Erde solchen wunderlichen und unziemlichen Gedanken angehangen und haben sich so selber der klaren Wasser beraubt, die aus den Quellen der Reinheit und Heiligkeit strömen...

Für diejenigen, die mit Einsicht ausgestattet sind, ist es klar und offenbar, daß, als das Feuer der Liebe Jesu die Schleier jüdischer Begrenzung vernichtete und Sein Einfluß sichtbar und teilweise gestärkt wurde, Er, der Offenbarer der unsichtbaren Schönheit auf Sein Hinscheiden hinwies, indem Er sich eines Tages an Seine Jünger wandte und, während Er in ihren Herzen das Feuer der Verlassenheit entzündete, zu ihnen sprach: „Ich gehe hin und werde wieder zu euch kommen.“ Und an anderer Stelle sagte Er: „Ich gehe und ein anderer wird kommen, der euch all das sagen wird, was ich euch nicht gesagt habe und all das erfüllen wird, was ich gesagt.“ Diese beiden Aussprüche haben nur eine Bedeutung, — so ihr über die Manifestationen der Einheit Gottes mit göttlicher Einsicht nachdenkt.

Jeder scharfsichtige Beobachter wird anerkennen, daß in der Sendung des Qur’án beide, das Buch und die Sache Jesu, bestätigt wurden. Hinsichtlich der Bedeutung der Namen, erklärte Muḥammad Selbst: „Ich bin Jesus.“ Er anerkannte die Wahrheit der Zeichen, Prophezeiungen und Worte Jesu und bezeugte, daß sie alle von Gott waren, In diesem Sinne haben sich weder die Person Jesu noch Seine Schriften von der Muḥammad’s und Seines Heiligen Buches unterschieden, insofern, als beide für die Sache Gottes eingetreten sind, Seinen Lobpreis ausgesprochen und Seine Gebote geoffenbart haben. Daher hat Jesus Selber erklärt: „Ich gehe hin und werde wieder zu euch kommen.“ Betrachte die Sonne! Würde sie jetzt sagen: „Ich bin die Sonne von gestern“, so würde sie die Wahrheit sprechen. Und würde sie, in Anbetracht der Zeitfolge, Anspruch erheben, eine andere, als jene Sonne zu sein, so würde sie noch immer die Wahrheit sprechen. Wenn in gleicher Weise gesagt würde, daß alle Tage nur einer und derselbe sind, so ist dies richtig und wahr. Und wenn mit Bezug auf ihre besonderen Namen und Bezeichnungen gesagt würde, daß sie voneinander abweichen, so ist dies wiederum wahr. Denn, obgleich sie die gleichen sind, erkennt man doch in jedem eine getrennte Bezeichnung, eine besondere Eigenschaft, einen eigenen Charakter. Erfasse demgemäß die Unterscheidung, Verschiedenheit und Einheit, die den verschiedenen Manifestationen der Heiligkeit eigentümlich sind, damit du die Hinweise begreifen mögest, die vom Schöpfer aller Namen und Eigenschaften auf die Geheimnisse der Unterscheidung und Einheit gemacht wurden und du die Antwort auf deine Frage entdeckest, warum jene ewige Schönheit sich Selbst zu verschiedenen Zeiten mit verschiedenen Namen und Bezeichnungen benannt haben mag. ...

(Fortsetzung folgt)



Nabíl’s Erzählung[Bearbeiten]

Übersetzung aus „The Dawn-Breakers“, Nabíl’s Narrative of the early days of the Bahá’í Revelation, New York 1932

(Fortsetzung)

Kapitel XVII: Die Gefangenschaft des Báb in der Festung von Chihríq

Der Zwischenfall in Níyálá trug sich Mitte des Monats Sha’bán i. J. 1264 a. H.1) zu. Ende des gleichen Monats wurde der Báb nach Tabríz gebracht, wo er durch die Hände Seiner Unterdrücker schwere und demütigende Beleidigungen zu erleiden hatte. Jene [Seite 53] überlegten Beschimpfungen Seiner Würde fielen beinahe gleichzeitig mit dem Angriff der Bewohner von Níyálá zusammen, der sich gegen Bahá’u’lláh und Seine Gefährten richtete. Der eine wurde von unwissenden und streitsüchtigen Menschen mit Steinen beworfen; der andere empfing die Streiche von einem grausamen und verräterischen Feind.

Ich werde nun die Umstände schildern, die zu dieser abscheulichen Nichtswürdigkeit führten, welche die Verfolger des Báb sich für Ihn ausgedacht hatten. Er war auf den Befehl Ḥájí Mirzá Aqásí’s nach der Burg Chihríq2) unter die Aufsicht von Jaḥyá Khán-i-Kurd verbracht worden, dessen Schwester die Gattin von Muḥammad Sháh und die Mutter von Náyibu’s-Salṭanih war. Genaue und ausdrückliche Anordnungen waren vom Groß-Vazír an Jaḥyá Khán ergangen, die ihm einschärften, niemanden bis vor seinen Gefangenen gelangen zu lassen. Es wurde ihm ausdrücklich eine Warnung erteilt, dem Beispiel von ‘Alí Khán in Máh-Kú zu folgen, der im Laufe der Zeit die erhaltenen Befehle mißachtet hatte.

Trotz der nachdrücklichen Art dieser Einschärfung und angesichts der unnachgiebigen Gegnerschaft des allmächtigen Ḥájí Mirzá Aqásí, sah sich Jaḥyá Khán außerstande, diesen Instruktionen treu zu bleiben. Auch er geriet bald unter den Zauber seines Gefangenen; auch er vergaß, sobald er in Berührung mit dessen Geiste kam, die Pflicht, die man von ihm forderte. Von Anfang an durchdrang die Liebe des Báb sein Herz und nahm von seinem ganzen Wesen Besitz. Die Kurden, die in Chihríq lebten, deren Fanatismus und Haß gegen die Schiiten die Abneigung noch übertraf, welche die Einwohner von Máh-Kú gegen diese hegten, gerieten gleichfalls unter den verwandelnden Einfluß des Báb. So groß war die Liebe, die Er in ihren Herzen erweckt hatte, daß sie jeden Morgen, bevor sie an ihre tägliche Arbeit gingen, zu Seinem Gefängnis ihre Schritte lenkten und von ferne nach der Feste schauten, die Seine geliebte Person barg, Seinen Namen flehentlich riefen und um Seinen Segen baten. Sie warfen sich zu Boden und suchten ihre Seelen zu erquicken im Gedenken an Ihn. Sie erzählten einander freimütig von den Wundern Seiner Macht und Herrlichkeit und erzählten einander von Träumen, welche Zeugnis ablegten für die schöpferische Macht Seines Einflusses. Keinem einzigen Menschen verweigerte Jaḥyá Khán den Zutritt zu der Burg. Da Chihríq selbst nicht groß genug war, die wachsende Zahl der Besucher aufzunehmen, die durch die Tore hereinkamen, wurde ihnen zugestanden, die nötige Unterkunft in Iskí-Shahr, dem alten Chihríq, zu nehmen, das eine Stunde von der Burg entfernt gelegen war. Was für den Báb eingekauft werden mußte, wurde in der alten Stadt besorgt und in Sein Gefängnis gebracht.

Eines Tages bat der Báb, Honig für Ihn einzukaufen. Der Preis, der für denselben gefordert worden war, erschien Ihm außergewöhnlich hoch. Er nahm ihn nicht an und sagte: „Honig von besserer Qualität hätte ohne Zweifel zu einem billigeren Preis eingekauft werden können. Ich, der ich euer Vorbild bin, war von Beruf Kaufmann. Es schickt sich, daß ihr bei allen euren Unternehmungen Meinen Weg einschlagt. Ihr dürft weder euren Nachbarn betrügen, noch dürft ihr zulassen, daß er euch betrüge. So war die Art und Weise eures Meisters. Den schlausten und fähigsten Männern gelang es nicht, Ihn zu betrügen und Er seinerseits handelte niemals unedel gegen die niedersten und hilflosesten der Geschöpfe.“ Er bestand darauf, daß der Diener, der diese Besorgung gemacht hatte, zurückgehen und Ihm einen besseren und billigeren Honig besorgen sollte.

Während der Gefangenschaft des Báb in der Festung Chihríq veranlaßten plötzliche Ereignisse schwere Beunruhigung bei der Regierung. Es wurde bald bekannt, daß eine Anzahl der bedeutendsten Siyyids, der Ulamás und der Staatsbeamten von Khuy sich der Sache des Gefangenen annahmen und sich mit Seinem Glauben völlig eins fühlten. Unter diesen war auch Mírzá Muḥammad-'Alí und sein Bruder Búyúk-Áqá, beide Siyyids von großem Verdienst, die mit fieberhaftem Ernst ihren Glauben ihren Landsleuten aller Arten und Stände verkündet hatten. Ein dauernder Zulauf von Suchenden und bestätigten Gläubigen strömte hin und zurück zwischen Khuy und Chihríq als das Ergebnis dieser Tätigkeit. [Seite 54]

Es begab sich zu einer Zeit, daß ein hervorragender Staatsbeamter von hoher literarischer Begabung, Mírzá Asadu’lláh, später vom Báb Dayyán zubenannt, dessen heftige Anklagen gegen Seine Botschaft diejenigen, die ihn zu überzeugen versuchten, sehr verwirrt hatten, einen Traum erlebte. Als er erwachte, nahm er sich vor, denselben keinem Menschen zu erzählen. Er legte seine Entscheidung auf zwei Verse des Qur’án fest und richtete folgende Bitte an den Báb: „Ich habe drei bestimmte Dinge im Sinn. Ich bitte dich, mir deren Art zu offenbaren.“ Mírzá Muḥammad-‘Alí wurde gebeten, diese schriftlich niedergelegte Bitte dem Báb zu unterbreiten. Einige Tage später erhielt er eine Antwort in der Handschrift des Báb, worin Er den vollen Hergang jenes Traumes beschrieb und den genauen Wortlaut jener Verse eingab. Die Genauigkeit jener Antwort brachte eine plötzliche Bekehrung zustande. Obgleich des Gehens ungewohnt, eilte Mírzá Asadu’lláh zu Fuß den steilen und steinigen Weg hinan, der von Khuy nach der Burg führt. Seine Freunde wollten, daß er den Weg nach Chihríq zu Pferd zurücklege, aber er nahm ihr Anerbieten nicht an. Die Begegnung mit dem Báb festigte seinen Glauben und erweckte in ihm den feurigen Eifer, den er weiterhin bis an sein Lebensende bewies.

In diesem Jahre hatte der Báb den Wunsch geäußert, daß, von vierzig Seiner Gefährten, ein jeder eine Abhandlung verfassen und darin versuchen solle, mit Hilfe von Versen und Überlieferungen die Echtheit Seiner Sendung zu begründen. Seinem Wunsch wurde alsbald gehorcht, und das Ergebnis ihrer Arbeiten wurde Ihm unterbreitet, Mírzá Asadu’lláh’s Abhandlung errang die unumschränkte Bewunderung des Báb und stand in Seiner Begutachtung am höchsten. Er gab ihm den Beinamen Dayyán und offenbarte ihm zu Ehren das „Lawḥ-i-Ḥurúfát“3), worin Er folgende Feststellung machte: „Hätte der Punkt des Bayán keinen anderen Zeugen, um Seine Wahrheit zu begründen, so würde dies genügen, daß Er ein Tablet offenbarte wie dieses, ein Tablet, wie es kein Maß von Gelehrsamkeit hervorbringen könnte.“

Das Volk des Bayán, das die diesem Tablet zugrunde liegende Absicht völlig mißverstand, dachte, es sei nur eine Auslegung der Wissenschaft des Jafr4). Als in späteren Zeiten, in den ersten Jahren von Bahá’u’lláh’s Haftim Gefängnisin 'Akká, Jináb-i-Muballigh von Shíráz aus die Bitte erhob, Er möge die Geheimnisse jenes Tablets enträtseln, wurde von Seiner Feder eine Erklärung geoffenbart, die jene, welche die Worte des Báb mißverstanden hatten, zum Nachdenken brachte. Bahá’u’lláh brachte aus den Darlegungen des Báb den unwiderlegbaren Beweis herbei, daß das Auftreten des Man-Yuzḥiruhu’lláh5) unweigerlich erfolgen muß in nicht weniger als neunzehn Jahren nach der Erklärung des Báb. Das Geheimnis des Mustagháth7) hatte lange die am meisten suchenden Geister im Volke des Bayán verwirrt und hatten sich als unübersteigbares Hindernis gegen die Erkenntnis des verheißenen Einen erwiesen. Der Báb hatte in diesem Tablet dieses Geheimnis selbst enthüllt; und trotzdem war kein Einziger fähig, die Erklärung, die Er gegeben hatte, zu verstehen. Es war Bahá’u’lláh vorbehalten, dies den Augen aller Menschen zu enthüllen.

Der unermüdliche Eifer, den Mírzá Asadu’lláh kundgab, veranlaßte seinen Vater, der ein guter Freund von Ḥájí Mirzá Áqásí war, jenem die Umstände mitzuteilen, die zur Wandlung seines Sohnes führten, und ihm von der Nachlässigkeit zu berichten, mit der er seinen Pflichten, die ihm der Staat aufgetragen hatte, nachkomme. Er ließ sich weit aus über den Eifer, mit dem ein so befähigter Diener der Regierung sich zum Dienste seines neuen Meisters aufgemacht habe, und über den Erfolg, den seine Bemühungen gehabt hatten.

Ein weiterer Anlaß zu Argwohn von seiten der Regierungsbehörden wurde hervorgerufen durch die Ankunft eines Derwisches in Chihríq, der von Indien gekommen war, und der, sobald er dem Báb begegnete, die Wahrheit Seiner Sendung erkannte. Jedermann, der diesen Derwisch traf, dem der Báb in den Tagen [Seite 55] seines Aufenthaltes in Iskí-Shahr den Beinamen Qahru’-lláh gegeben hatte, fühlte die Glut seiner Begeisterung und war tief beeindruckt von der Festigkeit seiner Überzeugung. Immer mehr Leute wurden von seiner Anziehungskraft bezaubert und anerkannten freudig die zwingende Macht seines Glaubens. Der Einfluß, den er auf sie ausübte, war so groß, daß einige der Gläubigen dazu neigten, ihn als einen Erklärer göttlicher Offenbarung anzusehen, obgleich er eine solche Anmaßung durchweg ablehnte. Es wurde oftmals von ihm erzählt, daß er gesagt habe: „In den Tagen, als ich in Indien die erhabene Stufe eines Navváb einnahm, hatte ich eine Vision des Báb. Er schaute mich an und nahm mein Herz ganz für sich ein. Ich stand auf und wäre bereit gewesen, Ihm zu folgen, als Er mich fest anschaute und sprach: ‚Entkleide dich deines prächtigen Gewandes, gehe aus deinem Vaterland und eile zu Fuß, Mich in Ádhírbáyján zu begegnen. In Chihríq wirst du deines Herzenswunsches Erfüllung finden.‘ Ich folgte Seiner Anweisung und habe nun mein Ziel erreicht.“

Die Kunde des Aufruhrs, den der bescheidene Derwisch unter den kurdischen Führern in Chihríq heraufzuführen vermochte, drang nach Tabríz und wurde von dort aus nach Ṭihrán übermittelt. Kaum war die Kunde in die Hauptstadt getragen, als auch schon der Befehl herauskam, den Báb sofort nach Tabríz zu transportieren, in der Hoffnung, die Erregung, die Sein längerer Aufenthalt an jenem Ort hervorgerufen hatte, zu beruhigen. Bevor der neue Erlaß Chihríq erreichte, hatte der Báb ‘Aẓím beauftragt, Qahru’lláh von Seinem Wunsche zu benachrichtigen, daß er nach Indien zurückkehre und dort sein Leben dem Dienste Seiner Sache weihe. „Allein und zu Fuß“, befahl Er ihm, „soll er zurückkehren, von wannen er kam. Mit der gleichen Inbrunst und Loslösung, mit der er seine Pilgerfahrt in dieses Land getan, muß er nun in seine Heimat zurückkehren und ununterbrochen arbeiten, um das Wohl der Sache zu fördern.“ Ebenso hieß Er ihn Mírzá ‘Abdu’l-Vahháb-i-Turshízí, der in Khuy lebte, sofort nach Urúmíyyíh aufbrechen zu lassen, wo Er ihm, wie Er sagte, bald begegnen würde. ‘Aẓím selbst wurde angewiesen, nach Tabríz zu gehen und dort Siyyid Ibráhim-i-Khalíl von Seinem baldigen Eintreffen in jener Stadt zu benachrichtigen. „Sage ihm“, fügte der Báb hinzu, „daß das Feuer des Nimrod in Tabríz bald angesteckt werden wird; doch trotz der Hitze seiner Flammen wird unseren Freunden kein Leid geschehen.“

Sobald Qahru’lláh die Botschaft seines Meisters erhalten hatte, machte er sich auf, dessen Wunsch zu erfüllen. Einem jeden, der ihn begleiten wollte, sagte er: „Du kannst niemals die Härten dieser Reise ertragen. Laß ab von dem Gedanken, mit mir zu gehen. Sicher würdest du unterwegs zugrunde gehen, um so mehr, als der Báb mir befohlen hat, allein in meine Heimat zurückzukehren.“ Die überzeugende Kraft seiner Worte brachte jene zum Verzicht, die gebeten hatten, ihn begleiten zu dürfen. Er lehnte es ab, Geld oder Gewänder von irgendjemandem anzunehmen. Allein, in ärmlichstem Gewand, den Wanderstab in der Hand, ging er den ganzen Weg zu Fuß in seine Heimat zurück. Niemand kennt sein späteres Schicksal.

Muḥammad-'Alíy-i-Zunúzí mit dem Beinamen Anís, war unter jenen, welche die Botschaft des Báb in Tabríz vernahmen; er wünschte sich glühend, nach Chihríq zu gehen und in Seine Gegenwart zu gelangen. Jene Worte hatten in ihm ein unbezähmbares Verlangen erweckt, sich auf Seinem Pfade zu opfern. Siyyid 'Alíy-i-Zunúzí, sein Stiefvater, eine angesehene Persönlichkeit in Tabríz, setzte sich eifrig seiner Abreise aus der Stadt entgegen und sah sich schließlich veranlaßt, ihn in seinem Hause gefangen zu halten und streng zu bewachen. So schmachtete sein Sohn in seiner Gefangenschaft, bis sein Ersehnter Tabríz erreicht hatte und wieder in sein Gefängnis in Chihríq zurückgebracht worden war.

Ich habe Shaykh Ḥasan-i-Zunúzí folgendes erzählen hören: „Etwa zur gleichen Zeit, als der Báb ‘Aẓím aus Seiner Nähe entließ, erhielt ich von Ihm den Auftrag, alle verfügbaren Tablets zu sammeln, die Er während Seiner Kerkerschaft in den Burgen Máh-Kú und Chihríq geoffenbart hatte, und sie in die Hände von Siyyid Ibráhím-i-Khalíl zu geben, der damals in Tabríz wohnte, und ihm dringend einzuschärfen, sie mit größter Sorgfalt zu verstecken und zu bewahren.

(Fortsetzung folgt.)


1) 3. Juli bis 1. August 1848 n. Chr.

2) Nach „A Traveller’s Narrative“ (S. 18) verblieb der Báb drei Monate in der Burg Chihríq, bis Er nach Tabríz zum Verhör gebracht wurde.

3) Wörtlich: „Tablet der Buchstaben“.

4) Wissenschaft der Weissagungen.

5) Einer der Titel des Báb.

6) Bezieht sich auf Bahá’u’lláh.

7) „Er, der angerufen wird“; der Zahlenwert dieses Wortes ist vom Báb als der Grenzwert der Zeit bezeichnet worden, die für die verheißene Manifestation bestimmt ist.

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Die Sendung von Bahá’u’lláh[Bearbeiten]

Von Else Maria Grossmann, Neckargemünd

Wir veröffentlichen nachstehend eine einführende Betrachtung der Schrift Shoghi Effendi’s „The Dispensation of Bahá’u’lláh“, die in Bälde unter obigem Titel in der deutschen Übertragung erscheinen wird und der auf der fünften Bahá’í-Sommerwoche in Eßlingen das folgende Referat gewidmet war.

In seiner Schrift „The Dispensation of Bahá’u’lláh“, „Die Sendung von Bahá’u’lláh“, ein Nachtrag zur Bahá’í-Verwaltungsordnung, New York 1934, gibt Shoghi Effendi, der Hüter des Bahá’í-Glaubens, ein klares und festumrissenes Bild der drei Mittelpunktsgestalten dieser Offenbarung und erläutert die Stellung, die das Hütertum und die Verwaltungsordnung in der einzigartigen Ausgießung von Bahá’u’lláh einnehmen. „Den ganzen Raum dieses berückenden Schauspiels“, heißt es dort zu Anfang, „überragt die unvergleichliche Gestalt von Bahá’u’lláh, der erhaben ist in Seiner Majestät, voll Ruhe, ehrfurchtgebietend und unerreichbar herrlich. Ihm eng verbunden, und wenn auch untergeordnet im Rang, doch beliehen mit der Vollmacht, mit Ihm zusammen über den Geschicken dieser höchsten Sendung zu thronen, leuchtet in diesem geistigen Bilde die jugendliche Herrlichkeit des Báb in Seiner unendlichen Zartheit, unwiderstehlich in Seiner Anmut, unübertroffen in Seinem Heldentum, einzigartig durch die dramatischen Begebnisse Seines kurzen, doch ereignisreichen Lebens. Und endlich erhebt Sich auf Seiner eigenen Stufe und in einer Art, die von jener der Ihm vorangegangenen Zwillingsgestalten ganz verschieden ist, die ergreifende, anziehende Persönlichkeit ‘Abdu’l-Bahá’s, die in einem Grade, den kein Mensch je zu erreichen hoffen kann — wie hoch auch immer seine Stufe sei —, die Herrlichkeit und Macht widerstrahlt, womit Sie, die Manifestationen Gottes, allein geschmückt sind.“

Kurz aufeinander folgen sich in dieser Ausgießung zwei selbständige Manifestationen. Die erste von ihnen ist der Báb. „Er“, schreibt Shoghi Effendi, „den Bahá’u’lláh im Kitáb-i-Iqán den verheißenen Qá’im benennt, der nicht weniger als 25 von den 27 Buchstaben, welche all die Propheten zu offenbaren bestimmt waren, geoffenbart hat, Er, ein so großer Offenbarer, hat Selbst den Vorrang jener noch höheren Offenbarung bezeugt, welche in kurzem Seine eigene überholen würde.“ Der Báb sieht, trotz der erhabenen Größe Seiner eigenen Sendung, in Sich immer nur den bescheidenen Vorläufer Dessen, den Gott nach Ihm offenbaren wird. „Ein tausendmaliges Durchlesen des Bayán“, so sagt Er einmal in bezug auf das bedeutendste Seiner eigenen geoffenbarten Bücher, „kann dem Lesen eines einzigen Verses nicht gleichkommen, den ‚Er, Den Gott offenbaren wird‘, enthüllen wird.“ Bei einer anderen Gelegenheit wendet Er sich an einen Seiner gelehrtesten und einflußreichsten Anhänger und äußert ihm gegenüber die deutliche Warnung, daß Er ihn „ohne Zögern verleugnen und seinen Glauben zurückweisen“ würde, sollte er die kommende Manifestation bei ihrem Erscheinen nicht anerkennen. „Wenn Mir andererseits gesagt würde“, fährt Er fort, „daß ein Christ, der sich zu Meinem Glauben nicht bekennt, an Ihn glaubt, so würde Ich diesen als Meinen Augapfel ansehen.“ So wird das ganze Leben des Báb zum Dienst auf dem Pfade des Verheißenen, bis Er mit dem Märtyrertod Seine Treue und Ergebenheit für Ihn besiegelt.

Derart war die Einleitung jener größten aller Offenbarungen, die in Bahá’u’lláh ihre Erfüllung erfahren hat, „eine Sendung, deren Möglichkeiten wir erst wahrzunehmen beginnen und deren volle Tragweite wir niemals abwägen können“, die nicht ihresgleichen in der Vergangenheit hat und nicht in der Zukunft finden wird. Bahá’u’lláh verkörpert die Erfüllung der Verheißungen aller Zeitalter und aller Religionen, und der Tag Seines Erscheinens ist „einzigartig und unterscheidet sich von denen, die ihm vorangingen“. „Ein flüchtiger Augenblick“, so bezeugt Er Selber, „überragt an diesem Tage Jahrhunderte eines vergangenen Zeitalter... Weder Sonne noch Mond sind Zeugen eines Tages gleich diesem gewesen.“ „Schauet hin“, fährt Er im Hinblick auf Sich Selber fort, „ihr, die ihr auf Erden wohnt und ihr, Bewohner des Himmels, seid dessen Zeuge: Er ist in Wahrheit [Seite 57] euer Vielgeliebter. Er ist es, desgleichen die Welt der Schöpfung noch nicht gesehen hat, Er, dessen berauschende Schönheit das Auge Gottes entzückt hat, des Gesetzgebers, des Allmächtigen, des Unvergleichlichen!“

‚Bei der Gerechtigkeit Gottes‘ „erklärt Bahá’u’lláh in dem Wunsche, die ganze Stärke Seiner unüberwindlichen Macht zu offenbaren“, — so fährt der Hüter fort, — ‚sollte ein Mensch sich ganz allein im Namen von Bahá erheben und sich mit Seiner Liebe umgürten, so wird der Allmächtige ihm zum Siege verhelfen und sollten auch die Gewalten des Himmels und der Erde gegen ihn zu Felde ziehen.‘ ‚Bei Gott, neben Dem es keinen andern Gott gibt! — sollte sich jemand für den Triumph unserer Sache erheben, so wird Gott ihm zum Siege verhelfen und würden sich auch zehntausende von Feinden gegen ihn zusammenschließen. Und, wenn seine Liebe zu Mir noch stärker wächst, wird Gott seine Erhebung über alle Gewalten des Himmels und der Erde anordnen. So haben Wir den Geist der Macht in alle Regionen geströmt.‘

Und, „sich näher über die Kräfte auslassend, die in Seiner Offenbarung verborgen ruhen, verkündet Bahá’u’lláh das Folgende: ‚Durch die Bewegung Unserer Feder der Herrlichkeit haben Wir auf Befehl des allmächtigen Gebieters neues Leben in jeden menschlichen Körper gehaucht und jedem Wort neue Kraft eingeflößt. Alle erschaffenen Dinge verkünden die Tatsache dieser weltumfassenden Neubelebung.‘ ‚Dieses ist‘, „fügt Er weiter hinzu“, ‚die größte, die freudigste Botschaft, die der Menschheit durch die Feder dieses Mißhandelten zuteil ward.‘ ‚Wie groß‘, „ruft Er an anderer Stelle aus“, ‚ist die Sache! wie erschütternd das Gewicht ihrer Botschaft! Dies ist der Tag, von dem gesagt ist: — O mein Sohn, wahrlich, Gott wird alle Dinge ans Licht bringen, und wenn sie auch nur das Gewicht eines Senfkorns hätten, das in einem Felsen verborgen läge oder im Himmel oder auf Erden; denn Gott durchdringt alles und alles ist Ihm bekannt. —‘ ‚Bei der Gerechtigkeit des einen Wahrhaftigen Gottes! Wenn der Splitter eines Edelsteins verloren ist und unter einem Berge von Steinen begraben und hinter den sieben Meeren versteckt liegt, so wird die Hand des Allmächtigen ihn doch sicherlich an diesem Tag rein und gesäubert von aller Unreinheit ans Licht bringen.‘ ‚Wer an den Wassern Meiner Offenbarung teil hat, wird alle unvergänglichen Wonnen kosten, die von Gott vom Anfang her, der keinen Anfang hat, bis zum Ende hin, das kein Ende hat, bestimmt sind.‘ ‚Jeder einzelne Buchstabe, der von Unserem Munde ausgeht, ist ausgestattet mit solch verjüngender Macht, daß er befähigt ist, eine neue Schöpfung ins Leben zu rufen — eine Schöpfung, deren Größe unerforschlich ist für alle außer Gott. Er, wahrlich, hat Kenntnis von allen Dingen.‘ ‚Es liegt in Unserer Macht, sofern Wir es wollen, ein bißchen fliegenden Staub in einem Augenblick, kürzer als dem Zwinkern eines Auges, Sonnen von unendlicher, von unausdenkbarer Herrlichkeit erzeugen zu lassen, einen Tautropfen zu weiten, zahllosen Weltmeeren anschwellen zu lassen, in jeden Buchstaben eine solche Kraft zu gießen, daß er alle Erkenntnis der Vergangenheit und zukünftiger Zeitalter zu enthüllen vermag.‘ ‚Wir sind im Besitz einer solchen Macht, die, wenn sie zu Tage gebracht wird, das tödlichste Gift in ein Allheilmittel von unfehlbarer Wirkung verwandelt.‘

Ferner verkündet Bahá’u’lláh in bezug auf die Stufe des wahren Gläubigen im Lichte dieser Offenbarung: „Bei den Sorgen, welche die Schönheit des Allruhmreichen heimsuchen! Solcherart ist die für den wahrhaft Gläubigen vorgesehene Stufe, daß, wenn in einer Ausdehnung, die geringer ist, als ein Nadelöhr, der Menschheit der Glanz dieser Stufe enthüllt würde, jeder Beschauer vergehen würde vor Sehnsucht, sie zu erreichen. Aus diesem Grunde wurde verordnet, daß in diesem irdischen Leben das volle Maß des Glanzes seiner eigenen Stufe vor dem Auge eines solchen Gläubigen verschleiert bleibe.“ „Würde der Schleier gelüftet“, versichert Er in ähnlicher Weise, „und der volle Glanz der Stufe derjenigen, die sich Gott völlig zuwandten und in ihrer Liebe zu Ihm der Welt entsagten, offenbar werden, — so würde die ganze Schöpfung wie vom Donner gerührt stehen.“

Wie hoch aber auch die Stufe der Manifestation von Bahá’u’lláh und die Größe Seiner Sendung sein mag, Er selber achtet sich gleich nichts am Hofe des Allmächtigen: „In Meinen Tempel“, äußert Er, „ist nichts zu sehen, als der Tempel Gottes, in Meiner Schönheit nur Seine Schönheit, in Meinem [Seite 58] Wesen nur Sein Wesen, in Meinem Selbst nur Sein Selbst, in Meiner Bewegung nur Seine Bewegung, in Meiner Gelassenheit nur Seine Gelassenheit und in Meiner Feder nur Seine Feder, des Mächtigen, des Allgepriesenen. In Meiner Seele ist nur die Wahrheit gewesen, und in Mir kann nichts als Gott gesehen werden.“ Und, wie eine starke Warnung, Seine eigene Stufe gegenüber Gott, dem Höchsten, nicht mißzuverstehen, äußert Bahá’u’lláh diese Worte: „Seit undenklichen Zeiten ist Er, das göttliche Wesen, in der unaussprechlichen Heiligkeit Seines erhabenen Selbst verborgen gewesen und wird ewig fortfahren, in das unergründliche Geheimnis Seiner unbekannten Wesenheit gehüllt zu bleiben... Zehntausend Propheten, ein jeder ein Moses, sind auf dem Sinai ihres Suchens wie vom Donner gerührt - beim Ertönen von Gottes verbietender Stimme: ‚Du sollst Mich niemals schauen!‘, — während eine Myriade von Sendboten, ein jeder so groß wie Jesus, bestürzt an ihren himmlischen Thronen stehen bei dem Verbote: ‚Meine Wesenheit sollst du niemals erkennen!‘“ „Wie verwirrend für mich, unbedeutend wie ich bin“, beteuert Bahá’u’lláh in Seiner Verbundenheit mit Gott, „ist der Versuch, die heiligen Tiefen Deiner Wesenheit zu ergründen! Wie nichtig sind meine Anstrengungen, mir die Größe der Macht vorzustellen, die in Deinen Werken ruht — die Offenbarung Deiner schöpferischen Kraft!“ „Wenn ich, o mein Gott, die Verwandtschaft betrachte, die mich mit Dir verbindet“, bezeugt Er in einem anderen Gebet, das Er in eigener Handschrift offenbarte, „so sehe ich mich bewegt, allen erschaffenen Dingen zu verkünden ‚wahrlich, Ich bin Gott!‘; und wenn ich mein eigenes Selbst betrachte, siehe, — so finde ich es geringer als Staub!“

Obgleich der machtvolle Zyklus des Bahá’í-Zeitalters, — wie 'Abdu'l-Bahá einmal in einem Sendschreiben an einen hervorragenden Zoroaster und Anhänger des Bahá’í-Glaubens schrieb, — sich in seiner Gesamtheit über eine sehr weite Zeitspanne (Er spricht in dem Schreiben von mindestens 500 000 Jahren) erstrecken wird, so weist Bahá’u’lláh mit allem Nachdruck die mögliche Auffassung zurück, daß diese Seine Offenbarung mit ihrer Erfüllung zugleich auch die letzte und abschließende aller göttlichen Sendungen sein werde. In einem Seiner in Adrianopel geoffenbarten Tablets sagt Er darüber: „Wisse wahrlich, daß der Schleier, der Unser Antlitz verbirgt, nicht vollkommen gelüftet wurde. Wir haben Unser Selbst in einem Grade enthüllt, wie es der Aufnahmefähigkeit der Menschheit Unseres Zeitalters entsprach. Würde die Urewige Schönheit in der Fülle ihrer Herrlichkeit enthüllt werden, so würden sterbliche Augen erblinden vor dem blendenden Glanze ihrer Offenbarung.“ Und in einem andern Schreiben heißt es: „Gott hat Seine Boten entsandt, daß sie Moses und Jesus nachfolgen sollten, und Er wird fortfahren, so zu tun, bis zum ‚Ende, das kein Ende hat‘, damit Seine Gnade aus dem Himmel Göttlicher Freigebigkeit unaufhörlich auf die Menschheit herabkomme!“ „Ich bin nicht Meinetwegen in Sorge“, betont Bahá’u’lláh noch nachdrücklicher, „Ich fürchte nur für Ihn, der nach Mir zu euch herabgesandt werden wird — für Ihn, der mit großer Macht und gewaltiger Herrschaft ausgestattet sein wird.“ Und wieder schreibt Er in der Súriy-i-Haykal: „Mit diesen von Mir geoffenbarten Worten habe ich nicht Mich Selbst gemeint, sondern Ihn, Der nach Mir kommen wird. Gott, der Allwissende, ist dessen Zeuge.“ „Verfahret nicht mit Ihm“, fügt Er hinzu, „wie ihr mit Mir verfahren seid.“


Wenn wir der am Eingang dieser Schrift geäußerten Worte des Hüters über den Báb gedenken, so erkennen wir neben der überragenden Größe der Sendung von Bahá’u’lláh, die einzigartige Stufe, die diesem Vorläufer und Verkünder des gewaltigsten religiösen Zyklusses aller Zeiten zufällt. „Ihm (d. h. Bahá’u’lláh) eng verbunden und, wenn auch untergeordnet im Rang, doch beliehen mit der Vollmacht, mit Ihm zusammen über den Geschicken dieser höchsten Sendung zu thronen, leuchtet in diesem geistigen Bilde die jugendliche Herrlichkeit des Báb in Seiner unendlichen Zartheit, unwiderstehlich in Seiner Anmut, unübertroffen in Seinem Heldentum, einzigartig durch die dramatischen Begebnisse Seines kurzen, doch ereignisreichen Lebens.“ „In der Tat“, sagt Shoghi Effendi weiter, „die Größe des Báb besteht nicht in erster Linie darin, daß Er der von Gott bestimmte Vorläufer einer so erhabenen Offenbarung ist, sondern vielmehr darin, daß Er ausgerüstet wurde mit Kräften, wie sie dem Begründer einer eigenen religiösen Sendung eigen sind [Seite 59] und, daß Er bis zu einem Grade, den keiner der Ihm vorangegangenen Sendboten Gottes erreicht hat, das Zepter unabhängiger Prophetenschaft führte.“

„Die kurze Dauer Seiner Sendung“, heißt es weiter, „der enge Rahmen, in dem zu wirken Seine Gesetze und Verordnungen erlassen waren, liefern keinen Maßstab irgendwelcher Art, um ihren göttlichen Ursprung zu beurteilen und die Macht ihrer Botschaft zu bewerten.“ „Daß eine so kurze Zeitspanne", erklärt Bahá’u’lláh Selbst, „diese mächtige und wunderbare Offenbarung (d. i. die von Bahá’u’lláh) von Meiner eigenen Mir vorangegangenen Manifestation getrennt hat, ist ein Geheimnis, das kein Mensch enträtseln, und ein Mysterium, das kein Geist ergründen kann. Seine Zeitdauer war vorherbestimmt, und kein Mensch wird jemals den Grund hierfür entdecken, es sei denn, daß er über den Inhalt Meines Verborgenen Buches unterrichtet werde.“ „Ich bin der Erste Punkt“, so wandte Sich der Báb von dem Festungsgefängnis von Máh-Kú aus an Muḥammad Sháh, „aus dem alle erschaffenen Dinge gezeugt worden sind... Ich bin das Angesicht Gottes, dessen Glanz nie verdunkelt werden kann, das Licht Gottes, dessen Leuchten niemals erblassen kann... es hat Gott gefallen, alle Schlüssel des Himmels in Meine Rechte zu legen und alle Schlüssel der Hölle in Meine Linke... Ich bin eine der tragenden Säulen des Wortes Gottes. Wer immer Mich anerkannt hat, hat alles erkannt, was wahr und recht ist und hat alles erreicht, was gut und ziemlich ist. Der Stoff, aus dem Gott Mich geschaffen hat, ist nicht der Staub, aus dem andere geformt wurden. Er hat Mir verliehen, was weder der Weltweise jemals begreifen noch der Getreue enthüllen kann.“ „Sollte eine winzige Ameise“, — so bekräftigt der Báb hinreichend, in dem Wunsche, die grenzenlosen, verborgenen Möglichkeiten, die in Seiner Sendung ruhen, zu betonen, — „an diesem Tage begehren, mit solcher Macht begabt zu sein, die schwierigsten und verwirrendsten Stellen des Qur’án enträtseln zu können, so würde ihr Wunsch ohne Zweifel erfüllt werden, da ja das Geheimnis der ewigen Macht im innersten Wesen aller erschaffenen Dinge schwingt.“ „Wenn ein derart hilfloses Geschöpf“, lautet ‘Abdu’l-Bahá’s Erklärung zu einer so aufsehenerregenden Behauptung, „mit einer so hohen Fähigkeit ausgestattet werden kann, wie viel wirksamer muß die Kraft sein, die durch die freigebigen Ergießungen der Gnade von Bahá’u’lláh entfesselt ist!“

„Der Báb, der Erhabene“, bestätigt ‘Abdu’l-Bahá noch besonders in einem anderen Tablet, „ist der Morgen der Wahrheit, dessen Strahlenglanz durch alle Regionen scheint. Er ist auch der Vorbote des größten Lichtes, der Leuchte Abhá: Die Gesegnete Schönheit ist der Verheißene der heiligen Bücher der Vergangenheit, die Offenbarung des Lichtquells, der auf den Berg Sinai schien, dessen Feuer inmitten des brennenden Busches glühte. Wir sind, einer und alle, Diener an ihrer Schwelle und stehen, ein jeder als geringer Wächter, an ihrer Tür.“ „Jeder Beweis und jede Prophezeiung“, so lautet Seine noch ernstere Warnung, „jede Art von Beweiszeugnis, das auf Vernunftgründen oder auf dem Text der Schriften und Überlieferungen beruht, ist als in der Persönlichkeit von Bahá’u’lláh und dem Báb verankert anzusehen. In ihnen ist ihre vollkommene Erfüllung zu finden.“


‘Abdu’l-Bahá — der Diener Gottes, wie Er Sich Selber bezeichnet, — nimmt eine einzigartige Stufe in der ‚Gesamtheit dieser göttlichen Offenbarung ein. „Obgleich Er“, sagt Shoghi Effendi, „Sich in Seiner eigenen Sphäre bewegt und eine Stufe einnimmt, die völlig verschieden von derjenigen des Urhebers und der des Vorläufers der Bahá’í-Offenbarung ist, bildet Er, — kraft der Stellung, die Ihm durch das Bündnis von Bahá’u’lláh zuerteilt ist, — mit jenen zusammen das, was als die drei Mittelpunktsgestalten eines Glaubens bezeichnet werden kann, der unerreicht in der geistigen Geschichte der Welt dasteht. Er thront, mit ihnen vereint, über den Geschicken dieses jungen Gottesglaubens von einer Höhe aus, die kein Einzelner und keine Körperschaft, die seinen Belangen nach Ihm dienen werden und während einer Zeitdauer von nicht weniger als einem vollen Jahrtausend, je hoffen können, zu erreichen.“

„Daß ‘Abdu’l-Bahá keine Manifestation Gottes ist“, fährt der Hüter weiter fort, „daß, obgleich Er der Nachfolger Seines Vaters ist, Er dennoch nicht die gleiche Stufe [Seite 60] einnimmt, — daß niemand außer dem Báb und Bahá’u’lláh jemals Anspruch auf eine solche Stufe vor Ablauf eines vollen Jahrtausends erheben kann, — ist eine Wahrheit, die in den diesbezüglichen Äußerungen beider, des Begründers unseres Glaubens sowohl, als des Auslegers Seiner Lehren, verankert liegt.“

„Seine Heiligkeit der Erhabene (der Báb)“, faßt ‘Abdu’l-Bahá in Seinem Letzten Willen und Testament die Bedeutung der Mittelpunktsgestalten unseres Glaubens kurz zusammen, „ist die Manifestation der Einheit und Einzigkeit Gottes und der Vorläufer der Urewigen Schönheit. Ihre Heiligkeit die Abhá-Schönheit (Bahá’u’lláh) (möge mein Leben ein Opfer für Seine standhaften Freunde sein), ist die erhabenste Manifestation Gottes und der Tagesanbruch Seiner göttlichen Wesenheit. Alle andern sind Seine Diener und folgen Seinem Gebot.“

„Nach diesen klaren und unzweideutigen Darlegungen“, sagt Shoghi Effendi, „die unvereinbar sind mit irgendwelchen Behauptungen eines Anspruchs auf Prophetenschaft, sollten wir jedoch keineswegs folgern, daß 'Abdu'l-Bahá lediglich einer der Diener der gesegneten Schönheit oder bestenfalls einer ist, dessen Amt darin beschränkt liegt, einer der autorisierten Ausleger der Lehren Seines Vaters zu sein.“ Die hohe Stufe vielmehr, die Bahá’u’lláh ‘Abdu’l-Bahá einräumt, geht deutlich aus folgenden Versen aus dem Kitáb-i-Aqdas, dem von Bahá’u’lláh geoffenbarten Buch der Gesetze hervor; sie lauten: „Wenn das Weltmeer Meiner Gegenwart verebbt und das Buch Meiner Offenbarung beendet sein wird, wendet euer Antlitz Ihm zu, Den Gott bestimmt hat, Der dieser Urewigen Wurzel entsprungen ist.“ „Wenn die geheimnisvolle Taube sich aus ihrem Tempel der Lobpreisung aufgeschwungen und ihr fernes Ziel, ihre verborgene Behausung erreicht haben wird, wendet euch in allem, was ihr im Buche nicht versteht, an Ihn, Der diesem mächtigen Stamme entsprossen ist.“

„Zahlreich sind die Niederschriften von Bahá’u’lláh, in denen Er noch eingehender die hohe Stufe ‘Abdu’l-Bahá’s erläutert. „O Du, Der Du der Apfel Meines Auges bist!“ schreibt Er einmal, oder: „Die Herrlichkeit Gottes sei auf Dir und auf allen, die Dir dienen und die um Dich sind. Weh, großes Weh begegne dem, der sich Dir widersetzt und Dich beleidigt. Wohl ihm, der Dir Treue schwört. Das Feuer der Hölle aber peinige denjenigen, der Dein Feind ist.“ „Gesegnet, doppelt gesegnet“, heißt es an anderer Stelle, „ist der Boden, den Seine Füße betraten, das Auge, das durch die Schönheit Seines Antlitzes entzückt wurde, das Ohr, dem die Ehre widerfuhr, Seinem Rufe zu lauschen, das Herz, das die Süßigkeit Seiner Liebe gekostet, die Brust, die sich durch Sein Gedenken geweitet hat, die Feder, die Seinem Preise Ausdruck verlieh, das Pergament, das zum Zeugnis Seiner Schriften wurde.“

Wie erhaben aber auch immer die Stellung sei, die ‘Abdu’l-Bahá in dieser Offenbarung einnimmt und wie hoch die Verherrlichung, die Ihm von Bahá’u’lláh Selbst zuteil wurde, — wir dürfen sie niemals, wie der Hüter ausdrücklich betont, mit derjenigen Seines Vaters, der göttlichen Manifestation, vergleichen. Eine Überschätzung der Stufe ‘Abdu’l-Bahá’s würde ebenso verurteilungswürdig sein, wie eine Unterschätzung derselben. So ist auch in keiner der durch Bahá’u’lláh oder ‘Abdu’l-Bahá geoffenbarten Schriften und Tablets, äußert Shoghi Effendi mit Nachdruck, irgendwelche Bestätigung einer sogenannten „mystischen Einheit“ zwischen Bahá’u’lláh und 'Abdu'l-Bahá zu finden oder zwischen 'Abdu'l-Bahá und Seinem Vater, beziehungsweise irgendeiner der vorangegangenen göttlichen Manifestationen. Nicht im Zusammenhang mit ‘Abdu’l-Bahá, wohl aber in bezug auf den Báb und Bahá’u’lláh, kann von dieser Einheit gesprochen werden, die Bahá’u’lláh in der Súriy-i-Haykal folgendermaßen ausdrückt: „Wäre der Erste Punkt (der Báb) irgendein anderer neben Mir gewesen — wie ihr geltend macht — und hätte Er Meine Gegenwart erreicht, wahrlich, Er würde Sich Selber nie erlaubt haben, Sich von Mir zu trennen, Wir würden vielmehr gemeinsame Freude aneinander in Meinen Tagen genossen haben.“

‘Abdu’l-Bahá ist, um es noch einmal deutlich mit des Hüters Worten festzustellen, „keine Manifestation Gottes, Er erhält Sein Licht, Seine Erleuchtung und Kraft unmittelbar aus der Quelle der Bahá’í-Offenbarung; ... Seine Worte stehen nicht im gleichen Rang mit den Äußerungen von Bahá’u’lláh, obwohl sie die gleiche Gültigkeit besitzen wie jene. Und so ist es für uns nach all dem [Seite 61] Vorhergesagten selbstverständlich, daß das „zweite Kommen Christi“ sich auf Bahá’u’lláh und den Báb bezog, niemals aber auf ‘Abdu’l-Bahá, — wie Letzterer es Selber in einem Tablet an einige amerikanische Gläubige niederlegte. „Ich bin“, sagt 'Abdu'l-Bahá, „zufolge den ausdrücklichen Texten des Kitáb-i-Aqdas und des Kitáb-i-'Ahd der offenbare Ausleger des Wortes Gottes... Wer auch immer von meiner Auslegung abweicht, ist ein Opfer seiner eigenen Einbildung.“ „Mein Name“, — sagt Er in dem vorhererwähnten Tablet an einige amerikanische Gläubige, — „ist 'Abdu'l-Bahá. Meine Befähigung ist 'Abdu'l-Bahá. Meine Wirklichkeit ist 'Abdu'l-Bahá. Mein Ruhm ist 'Abdu'l-Bahá. Untertänigkeit unter die gesegnete Vollkommenheit ist mein köstliches und strahlendes Diadem und Dienst an der ganzen menschlichen Rasse meine immerwährende Religion ... Keinen andern Namen, keinen Titel, keine Erwähnung, keine Empfehlung habe ich, noch will ich jemals haben, außer 'Abdu'l-Bahá. Das ist mein Sehnen. Das ist mein größtes Verlangen. Das ist mein ewiges Leben. Das ist mein ewigwährender Ruhm.“

Mit dem Hinscheiden 'Abdu'l-Bahá’s hat, wie der Hüter es bezeichnet, das heroische und apostolische Zeitalter der Bahá’í-Offenbarung seinen Abschluß gefunden, eine Periode in der Entwicklungsgeschichte unseres Glaubens, deren Herrlichkeit niemals, selbst nicht durch die glänzenden Siege, die der Offenbarung von Bahá’u’lláh in der Zukunft vorbehalten sind, verdunkelt werden kann. Während mit 'Abdu'l-Bahá’s Heimgang, wie erwähnt, das erste Entwicklungsstadium unseres Glaubens zu Ende ging, hat Er Selber noch das zweite eröffnet, das ist das schöpferische Zeitalter, die Periode des Aufbaues jener Ordnung, die vom Báb (im Persischen Bayán) vorausgeschaut, von Bahá’u’lláh gezeugt, von ‘Abdu’l-Bahá geboren wurde, und die an der Hand des ersten Hüters unseres Glaubens die ersten Schritte ins Leben tut.

Die Bahá’í-Verwaltungsordnung, die ‘Abdu’l-Bahá in Seinem Letzten Willen und Testament fest umriß und niederlegte, ist, wie Shoghi Effendi es darlegt, „grundlegend verschieden von allem, was irgendein Prophet vordem begründet hat, insofern, als Bahá’u’lláh Selbst ihre Grundlagen offenbart, ihre Einrichtungen begründet, den Ausleger Seines Wortes berufen und jener Körperschaft, die bestimmt ist, Seine gesetzgeberischen Verordnungen zu ergänzen und in Anwendung zu bringen, die nötige Autorität verliehen hat. Hierin liegt das Geheimnis ihrer Kraft, ihr grundlegender Unterschied und die Bürgschaft gegen Zersetzung und Spaltung. Nirgendwo in den heiligen Schriften irgend eines der religiösen Weltsysteme, selbst nicht in den Schriften des Begründers der Bábi-Sendung, finden wir irgendwelche Verfügungen zur Errichtung eines Bündnisses oder Verordnungen für eine Verwaltungsordnung, die sich an Ausdehnung und Autorität mit jenen vergleichen lassen, die die eigentliche Grundlage der Bahá’í-Sendung bilden.“

Die beiden Zwillingssäulen, auf denen das ganze Gebäude dieser Verwaltungsordnung ruht, sind das Hütertum und das Universale Haus der Gerechtigkeit. Shoghi Effendi schreibt darüber: „Es muß gleich zu Anfang in klarer und unzweideutiger Sprache festgestellt werden, daß diese Zwillingseinrichtungen der Verwaltungsordnung von Bahá’u’lláh als göttlich in ihrem Ursprung, unbedingt notwendig in ihrer Wirksamkeit und einander ergänzend in ihren Zielen und Absichten betrachtet werden müssen. Ihr gemeinsamer, ihr grundlegender Zweck ist der, die Fortdauer jener göttlich verordneten Autorität zu sichern, die der Quelle unseres Glaubens entströmt, die Einigkeit seiner Anhänger zu schirmen und die Unverfälschtheit und Biegsamkeit seiner Lehren aufrechtzuerhalten. Während sie in Verbindung miteinander arbeiten, verwalten diese beiden unzertrennlichen Einrichtungen seine Angelegenheiten, ordnen seine Tätigkeiten einander zu, fördern seine Belange, vollziehen seine Gesetze und beschützen seine Hilfseinrichtungen. Von einander gesondert, arbeitet jede von ihnen in einem deutlich umgrenzten Rechtsbereich; jede von ihnen ist ausgestattet mit ihren eigenen Begleiteinrichtungen, Instrumenten, die zur wirksamen Entlastung ihrer besonderen Verantwortlichkeiten und Pflichten bestimmt sind. Jede einzelne übt, innerhalb der ihr gesetzten Grenzen, ihre Machtvollkommenheiten, ihre Autorität, ihre Rechte und Vorrechte aus. Diese sind weder einander widersprechend, noch verkleinern sie im geringsten die Stellung, die jede dieser Einrichtungen [Seite 62] einnimmt. Weit davon entfernt, miteinander unvereinbar zu sein oder sich gegenseitig zu stören, ergänzen sie eine der anderen Autorität und Wirksamkeit und sind fortdauernd und grundlegend vereint in ihren Zielen.“

In Seinem Letzten Willen und Testament schreibt ‘Abdu’l-Bahá diese bedeutungsvollen Worte über die Stellung beider, des Hütertums sowohl, als wie des Universalen Hauses der Gerechtigkeit: „Der heilige und jugendliche Ast, der Hüter der Sache Gottes, sowohl wie das Universale Haus der Gerechtigkeit, das universal erwählt und eingesetzt werden muß, stehen beide unter der Fürsorge und dem Schutze der Schönheit Abhá, unter dem Obdach und der unbeirrbaren Führung Seiner Heiligkeit des Erhabenen — möge mein Leben für sie beide ein Opfer sein —. Was immer sie bestimmen, ist von Gott.“

„Aus diesen Darlegungen“, schreibt Shoghi Effendi, „geht unzweifelhaft klar und deutlich hervor, daß der Hüter des Glaubens zum Erklärer des Wortes Gottes gemacht wurde und daß das Universale Haus der Gerechtigkeit mit gesetzgeberischer Wirksamkeit für solche Angelegenheiten ausgestattet wurde, die nicht ausdrücklich in den Lehren geoffenbart sind. Die Erklärungen des Hüters, der in seinem eigenen Bereiche wirkt, ist so autoritativ und bindend, wie die Verordnungen des Internationalen Hauses der Gerechtigkeit, dessen ausschließliches Recht und Vorrecht es ist, sich über solche Gesetze und Verordnungen zu äußern und ein endgültiges Urteil darüber auszusprechen, die Bahá’u’lláh nicht ausdrücklich geoffenbart hat. Keiner oder keines dieser beiden kann oder wird jemals übergreifen in das geweihte und vorgeschriebene Gebiet des anderen. Keiner von ihnen wird versuchen, die besondere und unbestrittene Autorität zu schmälern, mit denen beide göttlich ausgestattet wurden.

Trotz der Erhabenheit des Hütertums und der außerordentlich hohen Verantwortlichkeit, die ihm in der Verwaltungsordnung von Bahá’u’lláh zugewiesen wurde, darf seine Stellung, wie Shoghi Effendi ausdrücklich betont, in keiner Weise überschätzt werden. Nie und unter keinen Umständen dürfe der Hüter des Glaubens zum Range ‘Abdu’l-Bahá’s, dem Mittelpunkt des Bündnisses, und noch viel weniger zu jener Stufe erhoben werden, die ausschließlich für die Manifestation Gottes vorgesehen ist. Kein Hüter des Glaubens dürfe je für sich in Anspruch nehmen, das vollkommene Beispiel der Lehren von Bahá’u’lláh oder der ungetrübte Spiegel zu sein, der Sein Licht widerstrahlt. Und, obwohl der Hüter „beschattet wird durch den unfehlbaren und nie irrenden Schutz von Bahá’u’lláh und dem Báb“ und „mit 'Abdu'l-Bahá das Recht und die Verpflichtung zur Auslegung der Bahá’í-Lehren teilt, so bleibt er dennoch wesentlich menschlich.“ „Im Lichte dieser Wahrheit“, so lauten die Worte Shoghi Effendi’s, „zum Hüter des Glaubens zu beten, ihn als Herr und Meister anzureden, ihn als Seine Heiligkeit zu bezeichnen, seinen Segen zu suchen, seinen Geburtstag zu feiern oder irgend ein Ereignis, das mit seinem Leben verknüpft ist, festlich zu begehen, würde gleichbedeutend sein mit einem Abweichen von jenen feststehenden Wahrheiten, die in unserem geliebten Glauben verankert liegen.“ „Lasset niemand“, — so schließen die Ausführungen des Hüters, „während dieses System sich noch im Zustande der Kindheit befindet, seinen Charakter mißverstehen, seine Bedeutung verkleinern oder seinen Zweck verkehrt darstellen. Der Felsen, auf dem diese Verwaltungsordnung begründet ist, ist Gottes unwandelbare Absicht für die Menschheit an diesem Tage. Die Quelle, aus der sie ihre Inspiration ableitet, ist keine geringere, als Bahá’u’lláh Selbst. Ihr Schild und Schirmer sind die Menge der Heerscharen des Abhá-Königreiches. Ihre Saat ist das Blut von nicht weniger als zwanzigtausend Märtyrern, die ihr Leben opferten, damit sie geboren werde und gedeihe. Die Achse, um die ihre Einrichtungen sich bewegen, sind die authentischen Verfügungen aus dem Willen und Testament von ‘Abdu’l-Bahá. Ihre führenden Grundsätze sind die Wahrheiten, die Er, der der unfehlbare Ausleger der Lehren unseres Glaubens ist, so deutlich in Seinen öffentlichen Denkschriften an den Westen verkündet hat. Die Gesetze, die ihre Tätigkeit leiten und ihren Wirkungsbereich festsetzten, sind diejenigen, die ausdrücklich im Kitáb-i-Aqdas verordnet wurden. Der Sitz, um den ihre geistigen, menschendienenden und verwaltungsmäßigen Tätigkeiten sich sammeln werden, sind der Mashriqu’l-Adhkár und seine zusätzlichen Einrichtungen. Die Säulen, die ihre [Seite 63] Autorität tragen und ihr Gefüge stützen, sind die Zwillingseinrichtungen des Hütertums und des Universalen Hauses der Gerechtigkeit. Die zentrale, ihr zugrundeliegende Absicht, die sie zugleich beseelt, ist die Errichtung der Neuen Weltordnung, die von Bahá’u’lláh entworfen wurde. Die Methoden, die sie anwendet, die Richtschnur, die sie gibt, neigen weder zum Osten noch zum Westen, weder zum Juden noch zum Heiden, weder zum Reichen noch zum Armen, weder zum Weißen noch zum Farbigen. Ihre Losung ist die Vereinigung der menschlichen Rasse, ihre Richtschnur der „Höchste Frieden“, ihre Vollendung der Anbruch des goldenen Jahrtausends — des Tages, an dem die Reiche dieser Welt zum Reiche von Gott Selbst geworden sein werden, dem Reiche von Bahá’u’lláh.



Der menschliche Verstand als Stufe zum Gottesbewußtsein[Bearbeiten]

Von Emmi Kanno, Stuttgart

(Schluß)

Diese geistige Zersetzung des Intellekts äußert sich, sobald das Licht der geistigen Sonne sie berührt, statt, wie es bei normaler Entwicklung geschieht, in einem Aufflammen der Begeisterung und daraus in einem Eingehen in die Schwingungen der höheren Vernunft, in einem beständigen und beharrlichen „Vernünfteln“, „Verneinen“, „Belächeln", „Bespötteln“, im günstigsten Falle in einem nachsichtigen und überlegenen „Ablehnen“ der geistigen, der göttlichen Dinge. „O wandelnde Gestalt von Staub! Ich wünschte Gemeinschaft mit dir zu haben, du aber hattest kein Vertrauen zu Mir. Das Schwert deiner Auflehnung hat den Baum deiner Hoffnung gefällt. Ich bin dir allezeit nahe, du aber bist Mir immer ferne. Unvergängliche Herrlichkeit habe Ich dir zugedacht, du aber erwähltest für dich eine grenzenlose Erniedrigung. Da es jetzt noch Zeit ist, so kehre um und verpasse die günstige Gelegenheit nicht.1)

Dieser traurige und gefährliche Zustand des Intellekts ist der erste Schritt seiner beginnenden Zersetzung. Hier gäbe es noch ein „Zurück“ und ein „Halt“ auf dem weiteren Abstiege der Seelen, wenn — sie es nur wollten! — Doch meist sind sie — ach so sehr! — in ihren so vielen und mannigfaltigen materialistischen Ketten verstrickt, gefesselt, daß sie das belebende Licht des Geistes gar nicht mehr wollen, ja es geradezu scheuen. Ihre erstarrten geistigen Organe können von dem Lichte der geistigen Sonne nicht mehr zum Leben erweckt werden. „Sie haben Augen und sehen doch nicht und haben Ohren und hören doch nicht.“

Doch da es keinen Stillstand gibt, so bleibt auch der Intellekt nicht auf dieser seiner ersten Stufe der Zersetzung stehen. Der Intellekt geht infolge der Abwesenheit der Sonne der geistigen Liebe in seiner Rückentwicklung und in immer fortschreitendem Abstiege von dem bloß Menschlich-Bösen allmählich in das Dämonisch-Mephistophelisch-Böse über. Hier aber ist durch die Gnade Gottes und aus Erbarmen mit der Blindbeit Seiner Geschöpfe ein gebietendes „Bis hierher und nicht weiter!“ von Gott der sich immer mehr verfinsternden Menschheit gesetzt. — Daher, ehe diese Stufe des Dämonismus erreicht wird, verfällt die Menschheit erst in eine allgemeine Agonie, die sich auf alle Gebiete des Daseins erstreckt und aus der heraus sie ohne die Prinzipien der geistigen Liebe nie einen Ausweg finden kann noch wird, und so immer mehr in Ratlosigkeit, Bestürzung, Elend, Verzweiflung und Verwirrung gerät. — Die durch die Vernunft „verdrängten“, im Banne gehaltenen Leidenschaften sowohl des Einzelnen als auch ganzer Völker stauen und ballen sich immer mehr und mehr zu einer schwülen, zerstörungsschwangeren Atmosphäre, die zu einer unausdenkbaren allgemeinen Explosion sich zu entladen droht. Diese Explosion muß, ehe die Menschheit die Stufe des Mephistophelischen erreicht, gesetzmäßig in einer gegenseitigen Selbstzerstörung [Seite 64] und Selbstvernichtung sich auslösen, trotz — des Verstandes, der die ganze Sinnlosigkeit dieser Selbstvernichtung wohl erkennt, aber ohne das geistige Licht, ohne das Erleben einer wahren Gottesreligion, durch die allein alle Probleme des Daseins restlos gelöst werden könnten, doch keinen Weg der Erlösung aus diesem Chaos finden kann.

So schreitet denn die Menschheit, verfinstert und geleitet von ihrem entarteten Intellekt, bar der göttlichen Liebe und göttlichen Weisheit, ihrer Vernichtung entgegen und sollte doch mit Hilfe dieses selben Intellekts, des menschlichen Verstandes in seiner Durchstrahlung mit geistigem Lichte, nach dem Plane des Schöpfers gerade in der gegenwärtigen Zeit sich hoch über allen anderen Geschöpfen der Erde aus ihrem jetzigen Zustande der bloß äußeren Zivilisation zum erhabenen Zustande der inneren Zivilisation, zum wahren Edelmenschentum sich emporschwingen und sich mit Hilfe jener hohen Geistesgaben den Himmel auf Erden erbauen!

Statt dessen aber gähnt ein schwarzer Abgrund vor ihr, dem sie, losgerissen von Gott und göttlicher Führung, unaufhaltsam und unentrinnbar zueilt. „O Völker der Erde! Wisset wahrlich, daß unvorhergesehenes Elend über euch kommt und schreckliche Vergeltung eurer harrt. Denket nicht, daß alles, was ihr begangen habt, vor meinem Angesicht erloschen ist. Nein! Bei Meiner Schönheit! All euer Tun hat Mein Griffel mit offenen Lettern auf Tafeln von Chrysolith geschrieben2).“

Nur das Pflegen .und das Erleben einer hohen und reinen Weltreligion der geistigen Liebe könnte die gegenwärtige Menschheit von dem ihr drohenden Sturze in den gähnenden Abgrund der Tiefe retten. Einer Religion, die vom Grunde aus unsere ganze gegenwärtige Weltanschauung völlig umwandelt, unsere Triebe und unser Gedankenleben veredelt und läutert, unser Empfinden für wahre Gerechtigkeit erweckt und systematisch züchtet; unsere so stark betonte Subjektivität in eine verstehende Objektivität wandelt, unser übertriebenes Ichbewußtsein in das in Kraft und Frieden ruhende Gottesbewußtsein versetzt.

„Macht euch auf, o Völker, und entschließt euch durch die Kraft der Gottesmacht, den Sieg über euer eigenes Selbst zu erringen, daß vielleicht die ganze Erde befreit und geheiligt werde von der Knechtschaft ihrer müßigen Einbildungen, Göttern, die ihnen so großen Verlust zugefügt haben und die verantwortlich zu machen sind für das Elend ihrer verächtlichen Anbeter. Diese Abgötter bilden das Hindernis, das die Menschheit in ihrem Bemühen hemmte, auf dem Pfade der Vervollkommnung vorwärts zu kommen. Wir hegen die Hoffnung, daß die Hand der göttlichen Macht der Menschheit ihre Hilfe leihe, um sie aus dem Zustande kummervoller Erniedrigung zu befreien3).“


1) „Verborgene Worte“ von Bahá’u’lláh.

2) „Verborgene Worte“ von Bahá’u’lláh, S. 48.

3) Aus Bahá’u’lláh’s „Ruf an die Menschheit“.



Sechste Bahá’í-Sommerwoche in Eßlingen a. N. Diesem Heft liegt das Programm für unsere diesjährige Sommerwoche bei, wonach das Leitthema „Gott erzieht die Menschheit“ in einem neunteiligen Kurs behandelt werden wird.

Berichtigung. In Heft 1, 17. Jahrg., Seite 6 („Die Rolle der Frau im Bahá’ítum“) in der 18. Zeile von unten (1. Spalte) muß es statt „Lebenden Buchstaben“ „Buchstaben des Lebendigen“ heißen.



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