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SONNE DER WAHRHEIT | ||
Organ der Bahá’í in Deutschland und Öesterreich |
Heft 8 | 16. Jahrgang | Oktober 1936 |
Die Bahá’í-Lehre,[Bearbeiten]
die Lehre Bahá’u’lláhs erkennt in der Religion die höchste und reinste Quelle allen sittlichen Lebens.
Die Ausdrucksformen des religiösen Lebens des Einzelnen, ganzer Völker und Kulturkreise haben im Laufe der Geschichte entsprechend den jeweils anderen Verhältnissen und dem Wachstum des menschlichen Erkenntnisvermögens Wandlungen erfahren. Die äußeren Gesetze und Gebote aller Weltreligionen entsprachen immer den entwicklungsgeschichtlich gegebenen Erfordernissen in bezug auf den Einzelnen, die soziale Ordnung und das Verhältnis zwischen den Völkern. Alle Religionen beruhen aber auf einer gemeinsamen, geistigen Grundlage. „Diese Grundlage muß notwendigerweise die Wahrheit sein und kann nur eine Einheit, nicht eine Mehrheit bilden.“ ('Abdu'l-Bahá.) „Die Sonne der Wahrheit ist das Wort Gottes, von dem die Erziehung der Menschen im Reich der Gedanken abhängig ist.“ (Bahá’u’lláh.) Alle großen Religionsstifter waren Verkünder des Wortes Gottes entsprechend der Fassungskraft und Entwicklungsstufe der Menschen. Das Wesen der Religion liegt darin, im Bewußtwerden der Abhängigkeit des Menschen von der Wirklichkeit Gottes Seine Offenbarer anzuerkennen und nach Seinen durch sie übermittelten Geboten zu leben.
Die Bahá’i-Lehre bestätigt und vertieft den unverfälschten und unwandelbaren Sinn und Gehalt aller Religionen von neuem und zeigt darüber hinaus die kommende Weltordnung auf, welche die geistige Einheit der Menschheit zur Voraussetzung haben wird. Die in ihr zum Ausdruck kommende Weltanschauung steht mit den Errungenschaften der Wissenschaft ausdrücklich in Einklang.
Die Lehre Bahá’u’lláhs enthält geistige Grundsätze und Richtlinien für eine harmonische Gesellschafts-, Staats- und Wirtschaftsordnung. Sie beruhen auf dem Gedanken der natürlich gewachsenen, organischen Einheit jedes Volkes und der das Völkische übergreifenden geistigen Einheit der Menschheit. Den Interessen der Volksgemeinschaft sind die Sonderinteressen des Einzelnen unterzuordnen, denn nur die Gesamtwohlfahrt verbürgt auch das Wohl des Einzelnen.
Wie jede Religion, so wendet sich auch die Bahá’i-Lehre an die Herzensgesinnung des Menschen, um die religiösen Kräfte in den Dienst wahren Menschentums zu stellen. Sie erstrebt die Höherentwicklung der Menschheit mehr durch die Selbsterziehung des Einzelnen als durch äußerlich-organisatorische Maßnahmen. Der Bahá’i hat sich daher über seine ernst aufgefaßten staatsbürgerlichen Pflichten hinaus nicht in die Politik einzumischen, sondern sich zum Träger der Ordnung und des Friedens im menschlichen Gemeinschaftsleben zu erheben. Bahá’u’lláhs Worte sind: „Es ist euch zur Pflicht gemacht, euch allen gerechten Regenten ergeben zu zeigen und jedem gerechten König eure Treue zu beweisen. Dienet den Herrschern der Welt mit der höchsten Wahrhaftigkeit und Treue. Zeiget ihnen Gehorsam und seid ihre wohlwollenden Freunde. Mischt euch nicht ohne ihre Erlaubnis und Zulassung in politische Dinge ein, denn Untreue gegenüber dem Herrscher ist Untreue gegenüber Gott selbst.“
Bahá’u’lláh weist den Weg zu einer befriedeten, im Geiste geeinigten Menschheit. Ein alle Staaten umfassender Bund in ihrer Eigenart entwickelter und unabhängiger Völker auf der Grundlage der Gleichberechtigung, ausgestattet mit völkerrechtlichen Vollmachten und Vollstreckungsgewalten gegenüber Friedensstörern, soll die übernationalen Interessen aller Völker der Erde in völliger Unparteilichkeit und höchster Verantwortung wahrnehmen. Zwischenstaatliche Konflikte sind durch einen von allen Staaten beschickten Weltschiedsgerichtshof auf friedlichem Wege beizulegen.
Die geistige Wesensgleichheit aller Menschen und Völker erheischt einen organischen Aufbau der sozialen Weltordnung, in der jedem seine einzigartige, besondere Eingliederung und Aufgabe zugewiesen ist. Die geographischen, biologischen und geschichtlichen Gegebenheiten bedürfen im Gemeinschaftsleben der Völker immer einer besonderen Beachtung, ohne die sie umschließende Einheit im Reiche des Geistes aus den Augen zu verlieren.
Die Lehre Bahá’u’lláhs „ist in ihrem Ursprung göttlich, in ihren Zielen allumfassend, in ihrem Ausblick weit, in ihrer Methode wissenschaftlich, in ihren Grundsätzen menschendienend und von kraftvollem Einfluß auf die Herzen und Gemüter der Menschen“.
SONNE DER WAHRHEIT Organ der Bahá’í in Deutschland und Österreich Verantwortlich für die Herausgabe: Dr. Eugen Schmidt, Stuttgart-W, Reinsburgerstraße 198 Schriftleitung: Dr. Adelbert Mühlschlegel, Dr. Eugen Schmidt, Alice Schwarz-Solivo Verwaltung: Paul Gollmer • Begründet von Alice Schwarz-Solivo Preis vierteljährlich 1.80 Reichsmark |
Heft 8 | Stuttgart, im Oktober 1936 ’Ilm – Erkenntnis 93 |
16. Jahrgang |
Inhalt: Die Welten Gottes. — Die Einheit der Menschheit. — Nabíl’s Erzählung: Aus Kapitel XIII: Die Einkerkerung des Báb in der Burg von Máh-Kú. — Erfüllte Prophezeiungen. — Wiederkunft.
Wenn ihr wenige Tropfen vom reinen Wasser göttlicher Belehrung trinkt, dann wißt ihr: das wahre Leben ist das der Seele, nicht das des Körpers. Der Körper hat ja nur tierisches Leben, und wahrhaft leben können nur die, die ein erleuchtetes Herz besitzen, die aus dem Meere des Glaubens trinken und die Früchte der Gewißheit pflücken. Solches Leben läßt den Tod nicht schmecken und diese Unsterblichkeit hat ewigen Bestand.
Bahá’u’lláh*)
*) Buch der Gewißheit, in dieser Zeitschrift, Jahrg. X, S. 95.
Die Welten Gottes[Bearbeiten]
Worte von Bahá’u’lláh1)
Du hast Mich gefragt, ob der Mensch, von den Propheten Gottes und Seiner Auserwählten abgesehen, nach seinem körperlichen Tode die gleiche Individualität, Persönlichkeit, das gleiche Bewußtsein und den gleichen Verstand, die sein Leben in dieser Welt charakterisieren, beibehalten wird. Wenn dies der Fall wäre, wie erklärt sich dann, wie du bemerkt hast, daß, da solche leichten Schäden seiner geistigen Fähigkeiten wie Ohnmacht und ernste Krankheit ihn seines Verstandes und Bewußtseins berauben, sein Tod aber, der die Zersetzung seines Körpers und die Auflösung seiner Elemente in sich schließen muß, gegen die Zerstörung dieses Verstandes und gegen die Auslöschung dieses Bewußtseins machtlos ist? Wie kann sich jemand vorstellen, daß des Menschen Bewußtsein und Persönlichkeit bestehen bleiben wird, wenn die eigentlichen Werkzeuge, die zu ihrem Dasein und Dienst notwendig sind, vollständig in ihre Bestandteile aufgelöst sind?
Wisse du, daß des Menschen Seele darüber erhaben und von allen Gebrechlichkeiten des
Körpers oder Verstandes unabhängig ist. Daß ein kranker Mensch Zeichen von Schwachheit
aufweist, ist den Hindernissen zuzuschreiben, die sich zwischen seine Seele und seinen Kör-
per stellen, denn die Seele selbst bleibt von jedwedem körperlichen Leiden unberührt.
Betrachte das Licht der Lampe. Wenngleich ein äußerer Gegenstand sich ihren Strahlen
entgegenstellen kann, so leuchtet doch das Licht selbst weiterhin mit unverminderter
Kraft. Ebenso ist jede Krankheit, die den Körper des Menschen befällt, ein Hindernis,
welches die Seele davon abhält, ihre
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innewohnende Macht und Kraft zu offenbaren. Wenn sie jedoch den Körper verläßt, wird sie
solche Überlegenheit beweisen und solchen Einfluß offenbaren wie keine Macht auf Erden
es ihr gleichtun kann. Jede reine, jede geläuterte und geheiligte Seele wird mit
ungeheuerer Macht ausgestattet werden und soll sich größter Fröhlichkeit erfreuen.
Betrachte die Lampe, welche unter einem Scheffel verborgen ist. Obgleich ihr Licht scheint, so ist doch ihr Glanz den Menschen verhüllt. Betrachte gleicherweise die Sonne, die durch die Wolken verdunkelt worden ist. Beobachte, wie ihr Glanz sich vermindert zu haben scheint, wo doch in Wirklichkeit die Quelle jenes Lichtes unverändert geblieben ist. Die Seele des Menschen sollte mit dieser Sonne verglichen und alle Dinge auf Erden als ihr Körper angesehen werden. Solange kein äußeres Hindernis zwischen sie tritt, wird der Körper in seiner Gesamtheit das Licht der Seele dauernd widerspiegeln und durch ihre Macht unterstützt werden. Sobald jedoch ein Schleier sich zwischen sie legt, scheint die Helligkeit dieses Lichtes abzunehmen.
Betrachte wieder die Sonne, wenn sie gänzlich hinter den Wolken verborgen ist. Obgleich die Erde noch von ihrem Lichte erhellt ist, ist doch das Ausmaß an Licht, das sie empfängt, beträchtlich vermindert. Erst wenn die Wolken zerstreut sind, kann die Sonne wieder in der Fülle ihrer Herrlichkeit scheinen. Weder die Gegenwart der Wolken, noch ihre Abwesenheit können in irgendeiner Weise den ihr innewohnenden Glanz der Sonne beeinträchtigen. Die Seele des Menschen ist die Sonne, durch welche sein Körper erleuchtet wird und von der er seine Nahrung bezieht. So sollte diese Beziehung betrachtet werden.
Beachte ferner, wie die Frucht, ehe sie gebildet ist, wirksam im Baume ruht. Schnitte man den Baum in Stücke, so könnte kein Zeichen noch irgendein Teil der Frucht entdeckt werden und wäre er noch so klein. Wenn sie jedoch erscheint, offenbart sie sich selbst, wie du beobachtet hast, in ihrer wunderbaren Schönheit und herrlichen Vollkommenheit. Gewisse Früchte allerdings erreichen ihre vollste Entwicklung erst nach der Trennung vom Baume.
Was deine Frage über den Ursprung der Schöpfung betrifft; so wisse wahrlich, daß Gottes Schöpfung von Ewigkeit her bestanden hat und für immer bestehen wird. Ihr Anfang hat keinen Anfang gehabt und ihr Ende kennt kein Ende. Sein Name, der Schöpfer, setzt eine Schöpfung voraus, ebenso wie Sein Titel, der Herr der Menschen, das Dasein eines Dieners in sich schließen muß.
Was jene den Propheten des Alten Testamentes zugeschriebenen Sprüche anlangt, wie: „Im Anfang war Gott; es gab kein Geschöpf, Ihn zu erkennen“, und „Der Herr war allein; und niemand war, Ihn anzubeten“, so ist die Bedeutung dieser und ähnlicher Sprüche klar und augenscheinlich und sollte niemals mißverstanden werden. Die gleiche Wahrheit bezeugen diese Worte, die Er geoffenbart hat: „Gott war allein; es war niemand anders neben Ihm. Er wird immer bleiben, was Er stets gewesen ist.“ Jedes scharfsichtige Auge wird leicht wahrnehmen, daß der Herr nun offenbar ist, doch es niemanden gibt, Seine Herrlichkeit zu erkennen. Mit diesem ist gemeint, daß die Wohnung, worin das Göttliche Wesen wohnt, weit über dem Fassungsvermögen und Gesichtskreis von jedem außer Ihm ist. Was auch immer in der zufälligen Welt entweder ausgedrückt oder begriffen werden kann, kann niemals die Grenzen überschreiten, die durch ihre innewohnende Natur ihr auferlegt worden sind. Gott allein übersteigt solche Beschränkungen. Er, wahrlich, ist der Immerwährende. Kein Ebenbürtiger oder Gefährte ist mit Ihm verbunden gewesen oder kann es jemals sein. Kein Name kann mit Seinem Namen verglichen werden. Keine Feder kann Seine Natur beschreiben, noch kann irgendeine Zunge Seine Herrlichkeit schildern. Er wird für immer unermeßlich erhaben bleiben über jedem außer Ihm Selbst.
Siehe auf die Stunde, in welcher die erhabene Manifestation Gottes Sich Selbst den
Menschen offenbart. Ehe jene Stunde kommt, ist das Altehrwürdige Wesen, welches den
Menschen noch unbekannt ist und bis jetzt von dem Worte Gottes noch nicht Kunde gab,
Er Selbst, der Allweise in einer Welt ohne einen Menschen, der Ihn erkannt hat. Er ist
in der Tat der Schöpfer ohne eine Schöpfung. Denn in dem eigentlichen Augenblick, der
Seiner Offenbarung vorausgeht, soll jedwedes erschaffene Ding bereit gemacht sein,
seine Seele Gott hinzugeben, In der Tat ist
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dies der Tag, von welchem geschrieben worden ist: „Wessen soll das Königreich sein an
diesem Tag?“ Und niemand kann bereit gefunden werden, zu antworten!
Was deine Frage über die Welten Gottes anbelangt, so wisse du in Wahrheit, daß die Welten Gottes unzählbar und in ihrer Stufe unendlich sind. Niemand kann sie schätzen oder umfassen außer Gott, der Allwissende, der Allweise. Betrachte deinen Zustand, wenn du schläfst. Wahrlich, Ich sage, diese Erscheinung ist das geheimnisvollste der Zeichen Gottes unter den Menschen; dächten sie in ihren Herzen nur darüber nach. Siehe, wie das Ding, welches du in deinem Traum gesehen hast, nach einer ansehnlichen Zeitspanne völlig verwirklicht ist. Wäre die Welt, in der du dich selbst in deinem Traume befandest, die gleiche wie die gewesen, in der du lebst, so wäre es für das Ereignis, das sich in diesem Traume zutrug, notwendig gewesen, im selben Augenblick seines Eintretens in dieser Welt bekannt zu werden. Wenn dem so wäre, würdest du selbst dessen Zeuge geworden sein. Da dies jedoch nicht der Fall ist, so muß notwendigerweise daraus folgen, daß die Welt, in der du lebst, verschieden und getrennt ist von jener, die du in deinem Traum erfahren hast. Diese letztere Welt hat weder Anfang noch Finde. Richtig wäre es, wenn du bestrittest, daß diese gleiche Welt, als verordnet von dem allherrlichen und allmächtigen Gott, innerhalb deines eigenen Selbstes und von dir umschlossen wäre. Es wäre gleichfalls richtig, zu behaupten, daß dein Geist, nachdem er die Begrenzungen des Schlafes überschritten und sich selbst aller irdischen Verhaftung entledigt hat, durch das Eingreifen Gottes befähigt worden wäre, ein Reich zu durchwandern, welches in der innersten Wirklichkeit dieser Welt verborgen liegt. Wahrlich Ich sage, die Schöpfung Gottes umfaßt Welten neben dieser Welt und Geschöpfe außer diesen Geschöpfen. In jeder dieser Welten hat Er Dinge verordnet, die niemand außer Er, der Allesdurchdringende, der Allweise, erforschen kann. Denke darüber nach, was Wir dir geoffenbart haben, auf daß du die Absicht Gottes, deines Herrn und des Herrn aller Welten, entdecken mögest. In diesen Worten sind die Geheimnisse der göttlichen Weisheit wie ein Schatz aufbewahrt worden. Wir haben Uns enthalten, bei diesem Gegenstand zu verweilen, wegen des Kummers, der Uns durch die Taten derer umfangen hat, die durch Unsere Worte erschaffen wurden, so ihr von denen seid, die auf Unsere Stimme lauschen wollen.
Dächtest du in deinem Herzen über das Betragen der Propheten Gottes nach, so würdest du sicherlich und bereitwillig bezeugen, daß es außer dieser Welt notwendigerweise noch andere Welten geben muß. Die Mehrheit der wahrhaft Weisen und Gelehrten haben zu allen Zeiten, wie es von der Feder der Herrlichkeit im Tablet der Weisheit berichtet worden ist, die Wahrheit von dem bezeugt, was die Heilige Schrift Gottes geoffenbart hat. Sogar die Materialisten haben in ihren Schriften die Weisheit dieser göttlich berufenen Botschafter bezeugt und haben die Hinweise, welche die Propheten auf das Paradies, das Höllenfeuer und auf zukünftige Belohnung und Bestrafung machten, beachtet, angetrieben durch den Wunsch, die Seelen der Menschen zu erziehen und emporzuheben. Beachte deshalb, wie die Allgemeinheit der Menschheit, was auch immer ihr Glaube oder ihre Lehre waren, die Erhabenheit dieser Propheten Gottes anerkannt und ihre Überlegenheit gelten lassen hat. Diese Edelsteine der Loslösung werden von einigen als die Verkörperung der Weisheit gelobt, während andere sie für das Sprachrohr Gottes halten. Wie könnten solche Seelen eingewilligt haben, sich selbst ihren Feinden auszuliefern, wenn sie geglaubt hätten, daß alle Welten Gottes auf dieses irdische Leben beschränkt worden wären? Hätten sie solche Leiden und Qualen willig erduldet, wie sie kein Mensch je erfahren oder bezeugt hat?
O Meine Diener! Es leuchtet nichts anderes in Meinem Herzen als das unauslöschliche
Licht des Morgens Göttlicher Führung und aus Meinem Munde geht nichts hervor als das
Wesen der Wahrheit, die der Herr, euer Gott, offenbart hat. Folget daher nicht eueren
irdischen Wünschen und verletzet nicht das Bündnis Gottes, noch brechet euer Gelübde zu
Ihm. Wendet euch zu Ihm mit festem Entschluß, mit der ganzen Liebe eueres Herzens
und mit der vollen Kraft euerer Worte, und wandelt nicht auf den Wegen des Toren. Die
Welt ist nur eine Schau, eitel und leer, ein bloßes Nichts, das den Schein der
Wirklichkeit trägt. Setzt euere Liebe nicht auf sie.
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Zerreißet nicht das Band, das euch mit euerem Schöpfer verbindet und seid nicht von denen,
die von Seinen Wegen abschweifen und irregehen. Wahrlich, Ich sage, die Welt ist
vergleichbar dem Dunst in einer Wüste, den der Dürstende für Wasser hält und nach dem er
mit all seiner Kraft strebt, bis er ihn, wenn er ihn erreicht hat, als bloße Täuschung
findet. Sie kann ferner verglichen werden mit dem leblosen Bild der Geliebten, die der
Liebende gesucht und endlich nach langem Suchen und zu seinem größten Bedauern als
etwas gefunden hat, „was seinen Hunger weder sättigen noch befriedigen kann“.
O Meine Diener! Sorget euch nicht, wenn in diesen Tagen und auf dieser irdischen Stufe Dinge von Gott verordnet und geoffenbart worden sind, die eueren Wünschen entgegenstehen, denn Tage seliger Freude und himmlischen Entzückens warten gewißlich auf euch. Welten, heilig und geistig, herrlich, werden eueren Augen enthüllt werden. Ihr seid durch Ihn dazu bestimmt, in dieser und der nächsten Welt an ihren Segnungen teilzuhaben und an ihren Freuden teilzunehmen und einen Anteil ihrer helfenden Gnade zu erlangen. Ihr werdet ohne Zweifel zu jeder von ihnen gelangen.
1) Entnommen und ins Deutsche übertragen aus „World Order“,
März 1936, Bd. 1, Nr. 12, 5.458 ff.
Ein Weltglaube[Bearbeiten]
Studien aus den Lehren Bahá’u’lláh’s
VI. Die Einheit der Menschheit
Von Hussein Rabbani
Jedem die Bahá’í-Offenbarung Studierenden, der die Lehren von Bahá’u’lláh genügend
gelesen und über sie nachgedacht hat, ist es klar geworden, daß die Lehre von der
Einheit der Menschheit den Kernpunkt Seiner Botschaft an die Welt bedeutet.
Tatsächlich ist sie das hauptsächlichste und hervorragendste Merkmal Seines Glaubens und
der Eckstein Seines Systems der Einigung der Welt. Bei. sorgfältiger Prüfung findet man,
daß Seine ganzen sozialen und menschendienenden Lehren auf diese grundlegende Lehre
hinauslaufen und ihr sogar untergeordnet sind. Nach Ihm gibt es kein soziales Ziel, das
höher als dieses wäre, wenigstens in der Welt, wie sie heute zusammengesetzt ist, und keine
Bewegung auf der Erde, die größere Treue, Opfer oder Verehrung vom Einzelnen verlangt. Sie
stellt so den höchsten Grad der Vollkommenheit im gegenwärtigen Zustand der Entwicklung
der Gesellschaft dar und die höchste Stufe der Reife, welche die Menschheit seither
erreichte.
„Die Gabe Gottes für dieses erleuchtete Zeitalter“, sagt ‘Abdu’l-Bahá, „ist die Erkenntnis der Einheit der Menschheit und der grundlegenden Einheit der Religion.“ Ein andermal sagt Er: „In jeder Offenbarung ist das Licht der Göttlichen Führung um eine im Brennpunkt befindliche Lehre vereinigt... In dieser wunderbaren Offenbarung, in diesem herrlichen Jahrhundert ist die Grundlage des Gottesglaubens und das hervorragendste Merkmal Seines Gesetzes das Bewußtsein der Einheit der Menschheit.“
„Das Tabernakel der Einheit wurde errichtet“, verkündet Bahá’u’lláh in Seiner Botschaft
der ganzen Menschheit. „Betrachtet einander nicht als Fremde. Ihr seid die
Früchte eines Baumes und die Blätter eines Zweiges.“ In einem andern Tablet sagt Er:
„Die grundlegende Absicht, die den Glauben Gottes und Seine Religion belebt, ist, das
Wohl der menschlichen Rasse zu schützen und ihre Einheit zu fördern und den Geist der
Liebe und Kameradschaft unter den Menschen zu pflegen.“ An den verstorbenen Professor
E. G. Browne, der Ihn im Jahre 1890 in Bahjí besuchte, richtete Er diese wahrhaft
prophetischen Worte: „Wir wünschen nur das Wohl der Welt und das Glück der Völker...
Daß alle Völker eins im Glauben und alle Menschen Brüder werden; daß das Band der
Liebe und Einigkeit zwischen den Menschenkindern gestärkt werde; daß
Religionsverschiedenheit aufhöre... Aber trotz alldem wird es dahin kommen: diese
fruchtlosen Kämpfe, diese zerstörenden Kriege werden vergehen und der „Größte Friede“
wird kommen... Der Mensch rühme sich nicht dessen,
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daß er sein Land liebt, er rühme sich eher dessen, daß er sein Menschengeschlecht liebt...“
Dieses Bewußtsein der Welteinheit jedoch ist nicht nur der Grundton der Offenbarung von Bahá’u’lláh. Es verkörpert auch wirklich den Geist der Zeit, in der wir leben. Natürlich konnte in früheren Zeiten und Jahrhunderten, als die Völker durch weite und scheinbar unüberwindliche Entfernungen voneinander abgesondert und getrennt waren, ein solches Bewußtsein der Weltgemeinschaft unmöglich bestehen. In unserer Zeit aber ist durch den ungeheuren Fortschritt in Wissenschaft und Industrie die Welt so sehr zusammengeschrumpft und so bedeutend vereinheitlicht, daß ihre Völker unvermeidlich in engere Berührung als je zueinander kamen, und daraus entstand ein Gefühl der Zusammengehörigkeit, das zu erlangen ihren Vorfahren unmöglich war.
Die gegenseitige Abhängigkeit in der Welt ist in der Tat das am meisten hervorstechende Merkmal unseres gegenwärtigen Zeitalters. Sie ist das lebendigste und verbindlichste unserer sozialen Gesetze. Und dies eben deshalb, weil unsere sogenannten Wegweiser in tatsächlich allen Bereichen menschlicher Tätigkeit es bisher versäumt haben, dieses Gesetz auf alle unsere persönlichen und sozialen Beziehungen hinreichend anzuwenden, so daß die Welt solchen häufigen Unruhen unterworfen wurde, daß alles hier und dort ihre Einheit zu zerstören, ja sogar die Grundlagen ihres Bestehens zu untergraben droht.
„In vergangenen Zeiten“, offenbart ‘Abdu’l-Bahá in einem Seiner Tablets, „konnte, obgleich alles harmonisch eingerichtet war, infolge des Fehlens der hiezu nötigen Hilfsmittel, die Einheit der Menschheit nicht erreicht werden. Die Erdteile blieben weit voneinander geschieden, ja sogar unter den Völkern des gleichen Erdteils waren Annäherung und Gedankenaustausch nahezu unmöglich. Folglich waren der gegenseitige Umgang, das Verstehen und die Einigkeit aller Völker und Rassen der Erde unerreichbar. An diesem Tag jedoch haben sich die Mittel der Verbindung vervielfacht und die fünf Erdteile sind tatsächlich zu einem vermischt... In gleicher Weise sind alle Glieder der menschlichen Familie, ob Völker oder Regierungen, Städte oder Dörfer, in wachsendem Maße voneinander abhängig geworden. Kein Sichselbstgenügen ist länger möglich, um so weniger als politische Verbindungen alle Völker und Nationen einigen und die Bande von Handel und Industrie, Landwirtshaft und Erziehung heute jeden Tag stärker werden. Daher kann die Einheit der Menschheit an diesem Tag erreicht werden.“
Indem Er die verschiedenen Arten von Einheit aufzählt, wie sie noch in der Welt zu begründen sind, fährt Er fort: „Das erste Licht ist die Einheit im politischen Bereich, dessen Frührotschein jetzt wahrgenommen werden kann. Das zweite Licht ist die Einheit des Denkens in Weltunternehmungen, deren Vollbringung in Bälde erfolgen wird. Das dritte Licht ist die Einheit in der Freiheit, die sicherlich erlangt wird. Das vierte Licht ist die Einheit in der Religion, die ja der Eckstein des Grundbaues selbst ist und durch die Macht Gottes in ihrem ganze Glanze geoffenbart werden wird. Das fünfte Licht ist die Einheit der Nationen — eine Einheit, die in diesem Jahrhundert bestimmt errichtet werden wird und alle Völker sich als die Bürger einer gemeinsamen Heimat betrachten läßt. Das sechste Licht ist die Einheit der Rassen; die aus Allen, die auf Erden wohnen, Völker und Arten eines Menschengeschlechtes machen. Das siebente Licht ist die Einheit der Sprache, d. h. die Schaffung einer Weltsprache, in der alle Völker unterwiesen werden und miteinander verkehren können. Jede einzige dieser Einheiten wird unvermeidlich zustande kommen, da ja die Macht des Königreiches Gottes zu ihrer Verwirklichung helfen und beitragen wird.“
Die Bahá’í-Botschaft der Welteinheit steht so in vollkommenerer Übereinstimmung mit dem Geiste der Zeit und ist eine Bestätigung der neuen Richtungen und Entfaltungen in der sozialen Entwicklung. Es ist in der Tat bedeutsam, daß zu einer Zeit, wo die langher historische Richtung nach Verschiedenheit zu Ende geht und umgeleitet wird in die Richtung der Einheit und Zusammenarbeit, daß zu solch einer kritischen Zeit ein Gottgesandter erschienen ist in der Person von Bahá’u’lláh und eine Botschaft brachte, dazu bestimmt, diese Entwicklungsrichtung nach einem sozialen Zusammenhalt und Zusammenarbeiten auf der Welt zu beschleunigen, zu leiten und ins helle Licht zu rücken.
Die Bahá’í glauben in der Tat, daß, wie tief
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auch dieses Gefühl der Welteinheit sei, es aus sich selbst heraus nicht Erfolg darin haben
kann, die Welt nach dem von Bahá’u’lláh aufgestellten sozialen Vorbild aufzubauen. Denn
obgleich das Bewußtsein der Einheit der Menschheit ein unmittelbares und natürliches
Ergebnis der Veränderungen ist, die in den Bereichen der Wissenschaft, der Industrie und
des Handels Platz gegriffen haben, so ist es doch ein zu unklares, zu unbestimmtes Gefühl,
als daß es fähig wäre, einen gründlichen Wandel im organischen Aufbau der Welt zu
erzielen. Es bedarf einer festeren Form und auch machtvoller Ausdrucksmittel, um eine
hinreichend aufbauende soziale Kraft zu werden. Diese Vollkommenheit, davon sind die
Bahá’í überzeugt, kann nur erlangt werden durch einen göttlichen Offenbarer.
In Seinem Tablet an die Königin Viktoria offenbart Bahá’u’lláh folgendes: „Das, was der Herr verordnet hat als oberstes Heilmittel und mächtigstes Werkzeug zur Heilung der ganzen Welt, ist die Vereinigung aller ihrer Bewohner in einer umfassenden Sache, in einem gemeinsamen Glauben. Dies kann in keiner Weise erlangt werden als durch die Macht eines erfahrenen, allmächtigen und inspirierten Arztes.“
Denn die Botschaft der Welteinheit von Bahá’u’lláh kann, obgleich sie eng mit dem weltbelebenden Geiste der Bruderschaft verbunden ist, doch nicht darauf beschränkt werden, als sei sie bloß der Ausdruck einer sozialen Strömung. Sie ist weit umfassender und bestimmter als irgend ein solch allgemeines Wiedererwachen. Durch Bahá’u’lláh ist das Bewußtsein der Einheit der Menschheit erweckt und gewandelt worden aus einem Zustand rein gefühlsmäßigen Sehnens zu einer wirksam aufbauenden sozialen Kraft, die imstande ist, eine neue göttliche Ordnung in der Welt zu errichten.
„Seid darüber nicht im Zweifel“, schreibt Shoghi Effendi in seinem Ziel einer neuen Weltordnung, „daß der Grundsatz der Einheit der Menschheit — der Drehpunkt, um den alle Lehren von Bahá’u’lláh kreisen — nicht bloß der Ausbruch einer unwissenden Gefühlsseligkeit oder ein Ausdruck eines unklaren und frommen Hoffens ist. Sein Ruf ist nicht lediglich gleichzusetzen mit einem Wiedererwachen des Geistes der Bruderschaft und des guten Willens unter den Menschen, noch zielt er einzig auf die Pflege harmonischer Zusammenarbeit unter den Einzelnen, den Völkern und Nationen... Dieser Grundsatz stellt nicht nur die Ausrufung eines ldeales dar, sondern steht fest und untrennbar verbunden mit einer Einrichtung, die hinreichend geeignet ist, seine Wahrheit zu verkörpern, seine Stärke zu beweisen und seinen Einfluß ewig zu erhalten. Er bringt eine organische Veränderung im Gefüge der Gesellschaftsordnung von heute mit sich, eine Veränderung, wie sie die Welt noch nie erfahren hat... Er verlangt nicht weniger als den Wiederaufbau und die Entmilitarisierung der ganzen zivilisierten Welt, einer Welt, die dann organisch geeint ist in allen wesentlichen Teilen ihres Lebens, in ihrer politischen Zusammensetzung, ihrem geistigen Streben, ihrem Handel und Finanzwesen, ihrer Schrift und Sprache, und doch zahllos ist in der Mannigfaltigkeit der nationalen Kennzeichen ihrer verbündeten Einheiten.“
Was aber sind die Folgerungen dieses Grundsatzes der Einheit der Menschheit?
Seine erste Folgerung vor allen andern ist ein allgemeines geistiges Wiedererwachen des
Einzelnen durch ein tiefes Erleben der Einheit Gottes und Seiner ganzen Schöpfung. Es
ist also eine seelische Umformung von Grund auf, die auf einem tiefwurzelnden Glauben
an die wesentliche Einheit Gottes und der Welt, die Er schuf, beruht, ein solches
Begreifen des göttlichen Wesens bietet die Gewähr, im Herzen jedes Menschen ein Bewußtsein
der Treue erstehen zu lassen, das so mächtig ist, die Streitigkeiten zu vertilgen, seien sie
religiöser, rassischer oder politischer Art, die ihn von den übrigen Mitmenschen trennen.
Denn die tiefste Ursache der Uneinigkeit und des Mißklangs in der Welt ist der
Individualismus der menschlichen Natur. Und dieser Individualismus gründet sein Dasein
auf die Tatsache, daß der Mensch eine Macht des Willens besitzt. Gerade wegen dieser
Eigenheit des Wollens finden wir solch einen fortwährenden Widerspruch zwischen den
Gedanken, Bedürfnissen und Wünschen der Menschen. Was deshalb not tut, das ist eine
Kraft, die fähig ist, diese widerstreitenden Interessen und Wünsche zu schlichten, und
das ist eine Aufgabe, die allein die Religion lösen kann. Sie versenkt die Willen der
verschiedenen Einzelmenschen in den Willen
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Gottes und begründet so eine erhabene Glaubenstreue, durch welche die Menschen ihre
Interessen wunderbarerweise als die gleichen erkennen. Dur ein Sichhinwenden an jenes
Wesen der Einheit finden Menschen, die bisher in einem Zustande dauernden Streites
lebten, sich verwandelt in aufopfernde, hingebende Seelen, die in vollkommener Einheit
und vollendeter Liebe miteinander sind. Auf dieser Stufe der Gemeinschaft werden sie wie
„eine Seele in vielen Körpern“. Dies ist eine Einheit, die allein die Liebe Gottes in der
Welt begründen kann, und solange eine solche Liebe die Herzen der Menschen nicht völlig
durchtränkt und durchdringt, kann die Menschheit nie hoffen, eine Weltzivilisation
zu erlangen, die vollkommen und dauernd sein kann.
Die Religion ist daher die einzige Kraft, die im Einzelmenschen ein wahres Bewußtsein der Einheit der Menschheit schaffen kann. Sie wirkt, das geht aus ihrem Sinn klar hervor, als eine bindende Macht, als eine einigende Kraft, als ein Lösungsmittel für persönliche und soziale Gegensätzlichkeiten. Durch die Wandlung und Veredlung unserer inneren Regungen und Gefühle, durch einen echten und aufbauenden Gottesglauben, macht sie solche starken geistigen Kräfte frei, daß sie unsere niedereren Instinkte abtöten und die inneren und äußeren Gegensätze, die uns voneinander trennen, überbrücken kann.
„Die Quelle vollkommener Einheit und Liebe in der Welt des menschlichen Seins“, sagt ‘Abdu’l-Bahá, „ist das Band und die Einheit der Wirklichkeit. Wenn die göttliche und grundlegende Wirklichkeit in Leben und Herzen der Menschen einzieht, erhält und beschützt sie alle Stufen und Zustände der Menschheit und errichtet jene innerliche Einheit der Welt der Menschheit, die nur in ein Wesen einziehen kann durch die Kraft des Heiligen Geistes. Denn der Heilige Geist ist gleich dem Leben im menschlichen Körper, das alle Verschiedenheiten der Körperteile und Glieder in Einheit und Übereinstimmung zusammenbringt... Gerade wie der menschliche Geist des Lebens die Ursache der Einordnung der verschiedenen Teile des menschlichen Organismus ist, so ist der Heilige Geist die beherrschende Ursache der Einheit und Einordnung der Menschheit. Das heißt, das Band oder die Einheit der Menschheit kann nicht wirksam hergestellt werden, es sei denn durch die Macht des Heiligen Geistes. Denn die Welt der Menschheit ist ein zusammengesetzter Körper und der Heilige Geist ist sein beseelendes Lebensprinzip ..."
Von der umbildenden Macht des Wortes Gottes redend, wendet sich Bahá’u’lláh folgendermaßen an einen Seiner Anhänger: „Liegt es in menschlicher Macht, o Hakim, in den Grundbestandteilen irgend eines winzigen und unteilbaren Teilchens der Materie eine solche Umbildung hervorzurufen, daß es verwandelt werde zu reinstem Gold? So verwirrend und schwierig das auch erscheinen mag, die noch größere Aufgabe der Umkehr satanischer Härte in himmlische Macht ist es, die zu vollbringen Wir ermächtigt wurden. Die Kraft, die zu solch einer Verwandlung fähig ist, übertrifft die Wirkungskraft des Elixieres selbst. Das Wort Gottes kann allein für sich den Vorrang beanspruchen, mit der für eine so große und weitreichende Wandlung nötigen Fähigkeit ausgestattet zu sein.“
Diese Worte von Bahá’u’lláh und ‘Abdu’l-Bahá zeigen ganz klar, daß es keine fortdauernde und vollkommene Einheit in der äußeren Welt geben kann, solange nicht zuerst im Seelenleben jedes Einzelnen und jeder Nation ein machtvolles Bewußtsein der wesentlichen Einheit der Menschheit besteht. Und es kann kein Bewußtsein solcher Einheit in der Welt geben, bis die Religion vermöge ihres kräftespendenden und einigenden Einflusses in den Herzen der Menschen eine Liebe und Treue schafft, die über jede irdische Neigung und Sehnsucht erhaben ist.
Anders als die unwirkliche Art der Rationalisten, die versuchen, dem Einzelnen ein
System aufzuzwingen, das sie selbst ersannen in teilweiser oder völliger Verkennung der
Ganzheit menschlicher Natur, zielen die Grundsätze von Bahá’u’lláh zuerst auf eine
Wandlung und Vervollkommnung des inneren Lebens des Menschen und versuchen,
durch solch eine Vervollkommnung eine neue soziale Ordnung aufzubauen, die dauernd
und wirksam ist. Die Methode von Bahá’u’lláh ist deshalb psychologisch, da sie vom inneren
Reich der Regungen und Gefühle zum äußeren Reich der Einrichtungen fortschreitet. In
der äußeren Welt kann es keine Einheit geben, bis die innere Welt des Herzens durch
die Macht des Heiligen Geistes umgewandelt
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ist. Die Einheit der Menschheit muß erst in Herz und Gemüt der Menschen gegründet
sein, ehe sie sich selbst offenbart und endgültige Gestalt in der Form von
Einrichtungen annimmt.
Aber auch solch eine grundlegende geistige Umwandlung genügt noch nicht, den organischen Aufbau der Welteinheit hervorzubringen. Es gehört dazu noch eine zweite und nicht weniger wesentliche Voraussetzung. Das ist die Verkörperung des Grundsatzes der Einheit in der Mannigfaltigkeit als Lebenselement in jedem System der Weltvereinheitlichung, und seine Anwendung auf alle menschlichen Beziehungen, gleich welcher Art und welchen Zwecks.
Die Bahá’í-Lehre der Einheit der Menschheit ist in der Tat von Grund auf gelagert auf dem Glauben, daß die Welteinheit nur erreicht werden kann, wenn individuelle und soziale Unterschiede, die zu Recht bestehen und von Wert sind, erhalten bleiben und gepflegt werden. Denn, was Bahá’u’lláh unter dem Weltgemeinwesen der Zukunft versteht, kann keineswegs den weltbürgerlichen Gedanken und Lehren der Utopisten gleichgesetzt werden, die in äußerster Mißachtung der Ganzheit menschlicher Natur alle bestehenden Verschiedenheiten zu verwischen suchen, sogar auch diejenigen, die dem Wachstum und dem Fortschritt der Zivilisation dienlich sind, und die an ihre Stelle eine soziale Ordnung setzen wollen, die einförmig und farblos ist. Anders als diese phantastischen Sozialreformer war Er sich dessen bewußt, daß eine völlige Gleichmacherei in der Welt nicht nur eine Gefahr, sondern eine Unmöglichkeit bedeutet. Er erkannte den Nutzen der geographischen, völkischen, sprachlichen und sozialen Unterschiede in der Welt, betonte aber auch nachdrücklich die allerhöchste Notwendigkeit ihrer Unterordnung unter das höhere gemeinsame Wohl der Menschheit.
„Betrachtet die Blumen eines Gartens“, erklärt 'Abdu'l-Bahá. „Obgleich sie verschieden sind nach Art, Farbe, Form und Aussehen, so werden sie doch genährt von den Wassern einer Quelle, belebt von dem Odem eines Windes, gestärkt von den Strahlen einer Sonne, und diese Verschiedenheit vergrößert ihren Reiz und vermehrt ihre Schönheit. Wie ungefällig erschiene es dem Auge, wenn alle Blumen und Pflanzen, Blätter und Blüten, Früchte, Zweige und Bäume dieses Gartens dieselbe Gestalt und Farbe hätten! Verschiedenheit in Färbung, Gestalt und Wuchs bereichert und schmückt den Garten und erhöht seine Wirkung auf uns. Gerade so ist es, wenn verschiedene Schattierungen im Denken, Temperament und Charakter zusammengeführt werden unter die Macht und den Einfluß einer Hauptgewalt; dann werden die Schönheit und die Herrlichkeit menschlicher Vollkommenheit enthüllt und offenbar werden. Nichts als die himmlische Macht des Wortes Gottes, welche die Wirklichkeiten aller Dinge beherrscht und überragt, ist fähig, die auseinanderstrebenden Gedanken, Gefühle, Ideen und Überzeugungen der Menschenkinder miteinander in Einklang zu bringen."
So stellt der Leitgedanke der Einheit in der Verschiedenheit einen der Grundbestandteile der Lehre von Bahá’u’lláh für die Einigung der Welt dar. Sein Ruf „ist in erster Linie gerichtet gegen alle Arten von Absonderung, Vereinzelung und Vorurteil“ und zielt nicht ab auf den Umsturz der gesetzmäßigen Verpflichtungen und der Treue des Einzelnen seiner Rasse und Nation gegenüber. Sein Plan der Welteinheit hat einen zweifachen, einen geistigen und sozialen Charakter, indem er zuerst eine gründliche Wandlung des Herzens, eine geistige und sittliche Erneuerung mit sich bringt, die unabweislich den Weg ebnen und die Begründung solcher Einrichtungen ermöglichen wird, die wesentlich sind, Einheit und Frieden in die Welt zu bringen.
Die von Bahá’u’lláh verkündete Weltordnung ist deshalb wahrhaft göttlich im Charakter
und geistig in ihren wahren Grundlagen und übertrifft als solche alle von Menschen
gemachten Lehren und Einrichtungen. In ihr glauben die Bahá’í den Göttlichen Plan
für die heutige Zeit erkannt zu haben. Diese Überzeugung trägt die Gewißheit in sich, daß,
wie schrecklich und unüberwindlich die bestehenden Hindernisse auch sein mögen, dennoch
die Sache des Friedens und der Einheit zum Triumph in der Welt bestimmt ist. In
Worten von Shoghi Effendi ausgedrückt: „Die Verkündung der Einheit der Menschheit — der
Haupteckstein der allumfassenden Herrschaft von Bahá’u’lláh — enthält gleichzeitig eine
Mahnung und eine Verheißung,
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eine Mahnung, daß in ihr das einzige Mittel zur Heilung einer schwer leidenden Welt
liegt, und eine Verheißung, daß ihre Verwirklichung nahe ist.“
Nabíl’s Erzählung[Bearbeiten]
Übersetzung aus „The Dawn-Breakers“, Nabíl’s Narrative of the early days of the Bahá’í Revelation, New York 1932
Aus Kapitel XIII: Die Einkerkerung des Báb in der Burg Máh-Kú
(Fortsetzung)
Als Er in den Mauern der Burg gefangen lag, widmete Er Seine Zeit der Abfassung des
Bayán, des wichtigsten, aufklärendsten und umfassendsten aller Seiner Werke. Er legte
darin die Gesetze und Vorschriften Seiner Offenbarung fest, verkündete klar und mit
Nachdruck die Ankunft der nächstfolgenden Offenbarung und drang ständig in Seine
Anhänger, Ihn zu suchen und zu finden, „Ihn, den Gott offenbaren werde.“ Dabei warnte
Er sie, die Geheimnisse und die Anspielungen im Bayán mit ihren Erkenntnissen Seiner
Sache zu verquicken.
Ich habe Shaykh Ḥasan-i-Zunúzí folgendes bezeugen hören: „Die Stimme des Báb, als Er die Lehren und Grundsätze Seines Glaubens diktierte, konnte deutlich von denen verstanden werden, die am Fuß des Berges wohnten. Die Töne Seines Gesangs, der Rhythmus der Verse, die von Seinen Lippen strömten, drangen an unser Ohr und zu innerst in unsere Seele. Berg und Tal hallten von der Majestät Seiner Stimme wider. Unser Herz erzitterte tief beim Ruf Seiner Worte.“
Die allmähliche Erleichterung der strengen Disziplin, die über den Báb verhängt war, ermutigte eine wachsende Anzahl Seiner Jünger aus den verschiedensten Provinzen Persiens, Ihn auf der Burg Máh-Kú zu besuchen. Ein unaufhörlicher Strom eifriger und ergebener Pilger nahte ihren Toren, durch die Güte und Milde von ‘Alí Khán. Nach einem Aufenthalt von drei Tagen wurden sie ohne Unterschied vom Báb wieder entlassen mit dem Auftrag, zu ihrem betreffenden Feld der Tätigkeit zurückzukehren und ihre Arbeit auf die Festigung Seines Glaubens zu richten. ‘Alí Khán selbst versäumte niemals, jeden Freitag beim Báb vorzusprechen und Ihn seiner unerschütterlichen Treue und Ergebenheit zu versichern. Oftmals kam er mit den seltensten und köstlichsten Früchten, die er in der Umgebung Máh-Kú’s auftreiben konnte, und bot Ihm immerfort alle Leckerbissen an, von denen er dachte, daß sie Ihm munden und gefallen möchten.
Auf diese Weise brachte der Báb den Sommer und Herbst hinter den Mauern der Burg
zu: Der Winter folgte darauf mit einer so außergewöhnlichen Strenge, daß sogar die
kupfernen Geschirre davon angegriffen wurden. Der Anfang dieser Jahreszeit fiel in den
Monat Muḥarram des Jahres 1264 d. H.1). Das Wasser, das der Báb zu Seinen
Abwaschungen benützte, war von so eisiger Kälte, daß die Tropfen auf Seinem Gesicht
glitzernd gefroren. Regelmäßig nach jedem Gebet rief Er Siyyid Ḥusayn zu Sich und bat ihn,
einen Abschnitt aus dem Muḥriqu’l-Qulúb, einem Werk, das der verstorbene Ḥájí Mullá Mihdí
verfaßt hatte, laut vorzulesen; jener war der Urgroßvater von Ḥájí Mírzá
Kamálu’d-Din-i-Naráqí gewesen. In diesem Werk lobpreist der Verfasser die Tugenden, beklagt den
Tod und erzählt die Einzelheiten des Martyriums des Imám Ḥusayn. Der Bericht jener Leiden
brachte das Herz des Báb in heftige Erregung. Seine Tränen rannen, als Er die Erzählung
von den unsagbaren Beleidigungen vernahm, die jenem widerfuhren, und von der entsetzlichen
Qual, die er durch die Hände eines falschen Feindes erdulden mußte. Als sich die
Begebnisse jenes tragischen Lebens vor Ihm abspielten, mußte der Báb immer jener noch
größeren Leidenszeit gedenken, die dem bestimmt war, der den Anbruch des
verheißenen Ḥusayn ankündigte. Für Ihn waren diese einstigen Gräßlichkeiten nur ein Sinnbild,
das die bitteren Trübsale voraussehen ließ, die Sein geliebter Ḥusayn bald selbst durch
die Hände Seiner Landsleute erleiden würde. Er weinte, als Sein Geist sich all die Leiden
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ausmalte, die Er, der sich offenbaren sollte, zu erdulden bestimmt war, Leiden, wie sie
der Imám Ḥusayn selbst mitten in seinen Seelennöten niemals zu erdulden gehabt
hatte.
In einer der Schriften, die der Báb im Jahr '60 d. H. offenbarte, erklärte Er folgendes: „Der Gebetsgeist, der Meine Seele erfüllt, ist die unmittelbare Folge eines Traumes, den Ich ein Jahr vor der Erklärung Meiner Sendung hatte. In einem Gesicht sah Ich das Haupt des Imám Ḥusayn, des Siyyidu’-sh-Shuhadá’, das auf einem Baum hing. Blutstropfen fielen in Menge von Seinem aufgerissenen Hals. Im Gefühl höchsten Entzückens nahte Ich Mich dem Baum, streckte Meine Hände aus, fing einige Tropfen dieses geheiligten Blutes auf und trank sie andachtsvoll. Als Ich erwachte, fühlte Ich, daß der Geist Gottes Mich durchdrungen und Besitz von Meiner Seele ergriffen hatte. Mein Herz erschauerte vor Freude über Seine göttliche Nähe und die Geheimnisse Seiner Offenbarung entfalteten sich vor Meinen Augen in all ihrer Herrlichkeit.“
Kaum hatte Muḥammad Sháh den Báb zu Kerkerhaft in die Bergfeste von Ádhírbáyján verdammt, als ein plötzlicher Schicksalsschlag über ihn kam, wie er es nie zuvor gekannt hatte, der den Staat in seinen Grundfesten erschütterte. Erschreckendes Mißgeschick überfiel seine Streitkräfte, die dabei waren, die innere Ordnung in den Provinzen aufrecht zu erhalten. Die Fahne des Aufruhrs ward über Khurásán gehißt, und die Bestürzung durch diese Erhebung war so groß, daß der geplante Feldzug des Sháh nach Hirát sofort aufgegeben werden mußte. Ḥájí Mírzá Aqásí’s Tollkühnheit und Verschwendungssucht hatten die schwelende Glut der Unzufriedenheit zur Flamme entfacht, die Volksmassen noch mehr erbittert und sie dazu verleitet, Aufstand und Unheil anzustiften. Die unruhigsten Elemente von Khurásán, die in Qúchán, Bujnúrd und Shíraván lebten, schlossen ein Bündnis mit dem Sálár, Sohn des Áṣifu’d-Dawlih, dem älteren Onkel mütterlicherseits des Sháh, und Statthalter der Provinz und lehnten die Herrschaft der Zentralregierung ab. Wie viele Streitkräfte auch aus der Hauptstadt entsandt wurden, sie erlitten sofort Niederlagen durch die Hauptanstifter des Aufruhrs. Ja’far-Qulí Khán-i-Námdár und Amír Arslán Khán, der Sohn des Sálár, welche die Angriffe gegen die Streitkräfte des Sháh führten, zeigten die größten Grausamkeiten und töteten nach Zurückweisung der feindlichen Angriffe ihre Gefangenen erbarmungslos.
Mullá Ḥusayn hatte damals seinen Wohnsitz in Mashhad und bemühte sich, trotz des Aufruhrs, den dieser Aufstand hervorgerufen hatte, die Kunde der neuen Offenbarung zu verbreiten. Sobald er entdeckt hatte, daß der Sálár, im Bestreben, den Endzweck des Aufruhrs zu vergrößern, entschlossen war, sich ihm zu nähern und Anschluß von ihm zu fordern, entschloß er sich rasch, die Stadt zu verlassen, um Verwicklungen mit den Anschlägen dieses ehrsüchtigen und aufrührerischen Führers zu vermeiden. In tiefer Nacht, zusammen mit nur Qambar-'Alí als seinem Diener, machte er sich zu Fuß nach Ṭihrán auf, von wo aus er nach Ádhírbáyján weiterreisen wollte, woselbst er den Báb zu treffen hoffte. Als seine Freunde von der Art seiner Abreise vernahmen, kauften sie alles ein, was ihm auf seiner langen und anstrengenden Reise von Nöten war, und eilten, ihn einzuholen. Mullá Ḥusayn lehnte ihre Hilfe ab. „Ich habe ein Gelübde abgelegt“, sprach er, „den ganzen Weg, der mich von meinem Geliebten trennt, zu Fuß zurückzulegen. Ich werde von meinem Entschluß nicht ablassen, bis ich mein Ziel erreicht haben werde.“ Er wollte sogar Qambar-‘Alí überreden, nach Mashhad zurückzukehren, mußte aber schließlich den Bitten nachgeben und ihm erlauben, ihn als Diener auf der Pilgerreise nach Ádhírbáyján begleiten zu dürfen.
Auf seinem Weg nach Ṭihrán wurde Mullá Ḥusayn von den Gläubigen in den verschiedenen
Städten, die er berührte, begeistert begrüßt. Sie stellten alle an ihn die gleiche Bitte
und erhielten die gleiche Antwort. Ich habe Áqáy-i-Kalím persönlich folgendes sagen
hören: „Als Mullá Ḥusayn in Ṭihrán ankam, ging ich mit vielen anderen Gläubigen, ihn zu
besuchen. Er erschien uns als die reine Verkörperung der Standhaftigkeit, Frömmigkeit
und Tugend. Er flößte uns seine Redlichkeit des Wesens und seine leidenschaftliche Treue
ein. Seine Charakterstärke und Glaubenskraft waren so groß, daß wir davon überzeugt
waren, daß er ohne alle Hilfe, ganz auf sich gestellt, fähig sei, den Triumph des
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Gottesglaubens zu erringen.“ Im geheimen wurde er zu Bahá’u’lláh gebracht und setzte
kurz nach dieser Begegnung seinen Weg nach Ádhírbáyján fort.
In der Nacht vor seiner Ankunft in Máh-Kú, dem Vorabend des vierten Naw-Rúz nach der Erklärung der Sendung des Báb, der in diesem Jahr, dem Jahre 1264 d. H.2), auf den 13. Rabí'u’th-Thání fiel, träumte ‘Alí Khán folgendes, wie er selbst erzählt: „In meinem Schlaf wurde ich von der plötzlichen Erkenntnis aufgescheucht, daß Muḥammad, der Prophet Gottes, bald in Máh-Kú eintreffen werde, daß er sogleich in die Burg gehen werde, um den Báb zu besuchen und Ihm Seine Glückwünsche zum Naw-Rúz-Fest auszusprechen. In meinem Traum eilte ich, Ihm zu begegnen, von dem Wunsche beseelt, einem so heiligen Besucher meinen demütigen Willkommengruß zu bieten. In einem Zustand unbeschreiblicher Freude ging ich zu Fuß an den Fluß, und als ich an die Brücke kam, die ein Maydán vor Máh-Kú liegt, sah ich zwei Männer mir entgegen kommen. Ich glaubte, der eine sei der Prophet selbst und vom anderen, der hinter ihm schritt, nahm ich an, daß es einer Seiner bevorzugten Begleiter sei. Ich eilte, mich Ihm zu Füßen zu werfen, und wollte den Saum Seines Gewandes küssen — als ich erwachte. Große Freude überflutete meine Seele. Ich fühlte mich wie im Paradies mit allen seinen Herrlichkeiten. Von der Wirklichkeit meines Gesichtes überzeugt, nahm ich meine Waschung vor, brachte mein Gebet dar, schmückte mich mit meinen besten Gewändern, besprengte mich mit Essenzen und begab mich zu dem Platz, an dem ich in meinem Traum in vergangener Nacht das Angesicht des Propheten erschaut hatte. Ich hatte meinen Dienern befohlen, drei meiner besten und raschesten Stuten zu satteln und sie gleich an die Brücke zu führen. Die Sonne war eben aufgegangen, als ich ganz allein aus der Stadt Máh-Kú dem Flusse zuschritt. Als ich der Brücke nahe kam, entdeckte ich mit plötzlichem Staunen, daß zwei Männer, die hintereinander herschritten, auf mich zukamen. Instinktiv warf ich mich zu Füßen des Einen, den ich für den Propheten hielt, und küßte sie ehrerbietig. Ich bat ihn und seinen Gefährten, die Pferde zu besteigen, die ich zu ihrem Einzug in Máh-Kú bereitgehalten hatte. „Nein“, war seine Antwort, „ich habe ein Gelübde getan, den ganzen Weg zu Fuß zu gehen. Ich werde bis auf den Gipfel des Berges gehen und dort euren Gefangenen besuchen.“
(Fortsetzung folgt.)
1) 9. Dezember 1847 — 8. Januar 1848 n. Chr.
2) 1848 n. Chr.
Erfüllte Prophezeiungen[Bearbeiten]
Ins Deutsche übertragen aus „L’Epître au Fils du Loup“, édition Champion, Paris 1913, S. 142—181
(Fortsetzung)
Gleicherweise sagt Er im siebten Tor der zweiten Einheit: „O Völker des Bayán, tut
nicht, was das Volk des Furqán getan hat, was die Frucht eurer Nächte wertlos machen
würde usw.“, bis daß Er folgendes — gerühmt sei dessen Erwähnung! — sagt: „Wenn
du zu Seiner Offenbarung gelangst und Ihr gehorchst, dann wirst du die Frucht aus dem
Bayán an den Tag fördern. Andernfalls bist du nicht würdig, bei Gott Erwähnung zu finden.
Hab Mitleid mit dir selbst: wenn du der Gottheit, da Sie auf dem Plane erscheint,
nicht hilfreich entgegenkommst, dann belästige Sie wenigstens nicht.“ Und weiter unten
sagt Er — verherrlicht sei Sein Rang! —: „Wenn du nicht zur Begegnung Gottes gelangst,
so betrübe wenigstens das Zeichen Gottes nicht: Es wird dem Glück derer, die
an den Bayán glauben, gleichgültig gegenüberstehen, wenn ihr eurerseits euch aus
Seiner Schädigung nichts macht. Aber ich weiß, daß ihr es nicht tun werdet.“
O Hádí! Vielleicht hast du auf Grund dieser unbezweifelbaren Erklärungen den Bayán
zu vernichten gewünscht. Höre auf die Kundgabe des Unterdrückten, und laß ab von jener
Gewalttat, die die Säulen des Bayán erschüttert. Was mich betrifft, so bin ich weder
in Chiríq noch in Máh-Kú1) gewesen. Aus den
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Reihen deiner Jünger haben sich Äußerungen erhoben, die jenen genau gleichen, welche die
Schiiten verlauten ließen. „Unser Qur’án“, meinten sie, „ist nicht aufgehoben!“ Und jetzt
sagen sie, daß dieser Bayán nicht der des Báb sei; und dabei ist man im Besitze der
Handschrift Áqá Siyyid Ḥusayn’s und derjenigen Mirza Aḥmad's2).
Ein Wesen, das nie in seinem Leben Verdruß erfahren und immer fünf Dienerinnen Gottes bei sich gehabt hat, nennst du arm? Und was den betrifft, der vom Anfang seines Lebens bis zum heutigen Tage in den Händen des Feindes den schlimmsten Martern der Welt unterworfen war, so hast du hinsichtlich seiner Äußerungen getan, die die Juden über den Messias nicht haben vernehmen lassen. Höre auf die Kundgabe des Unterdrückten, und sei nicht unter den Verlorenen!
Und gleicherweise sagt der Báb: „Wie viele Höllenfeuer verwandelt Gott durch Man-Yuẓhiruhu’lláh in Licht, und wie viele Lichter erklärt Er durch Ihn für Höllenfeuer! Ich sehe Seine Offenbarung so hell wie jene Sonne mitten am Himmel, und sehe das Abnehmen aller anderen, die den Sternen der Nacht gleichen, wenn der Morgen kommt. “O Welt, hast du Ohren, um die Verkündigung Gottes zu vernehmen und rechtlich zu handeln bei dieser Offenbarung, die auf dem Sinaï verlauten ließ: „Wahrlich, Mein Sprecher ist gekommen mit den offenbaren Zeichen und den deutlichen Beweisen, trotz all der fernstehenden Achtlosen und aller lügenhaften Verleumder, die durch ihre Lügen das Licht Gottes auslöschen und durch ihren Haß Seine Zeichen austilgen wollten! Wisset, daß sie Verbrecher sind im Buche Gottes, des Herrn der Welten.“
Und gleicherweise sagt Er: „Der Bayán ist vom Beginn bis zum Schluß der Ort, da alle Seine Schriften und die Schätze Seines Feuers und Seines Lichtes verwahrt sind.“ Großer Gott! Der Duft dieser Erklärung packt den Menschen, denn Er äußert, was Er mit der größten Betrübnis sieht. Gleicherweise sagt Er zum Buchstaben des Lebens, d. h. zu Mullá Báqir — auf ihm ruhe die Herrlichkeit Gottes und Seine Gunst! —: „Ich hoffe, daß du in acht Jahren, am Tage der Offenbarung, verstehen wirst, was Seine Begegnung ist.“
Begreife, o Hádi, und zähle zu jenen, die diese Wohlgerüche wahrnehmen. Sei gerecht: die meisten göttlichen Gefährten und Beweise Gottes sind gemartert worden. Du, du lebst noch. Woher kam diese deine Behütung? Bei Gott, von deiner Verleugnung, wie der Martertod der heiligen Seelen von ihrem Bekenntnis! Jedes gerechte und rechtliche Wesen bezeugt dies; denn diese beiden Ursachen und Gründe sind offenbar und hell leuchtend wie die Sonne!
Und Er wendet Sich auch an den armen Dayyán, den Märtyrer: „Du wirst deinen Wert am
Werte von Man-Yuẓhiruhu’lláh kennen lernen.“ Ebenso hatte Er ihm den Beinamen des dritten
Buchstaben, der an Man-Yuẓhiruhu’lláh glaubt, gegeben, da er sprach: „Wahrlich, du bist der
dritte an Man-Yuẓhiruhu’lláh glaubende Buchstabe.“ Gleicherweise sagt Er: „Gott aber wird
dich, wann Er wollen wird, durch das Wort Man-Yuẓhiruhu’lláh’s zur Erkenntnis führen.“ Und
eben dieser Dayyán war nach dem Ausspruch des Punktes — möge der Geist von dem, was nicht
Er ist, Sein Opfer sein! — die Schatzkammer der Treue gegenüber Gott — gepriesen sei Seine
Herrlichkeit! — und der Ort, wo die Perlen Seines Wissens verwahrt waren, den man so
grausam gemartert hat, daß die allerhöchste Versammlung darüber weinte und seufzte!
Ihn hatte der Báb die verborgen aufbewahrte Wissenschaft gelehrt, und bei ihm hatte Er sie
in Verwahrung gegeben mit den Worten: „O Name des Dayyán3), hier ist die
verwahrte geheime Wissenschaft, die Wir in dich gelegt und dir anvertraut haben als eine
Ehrung von Gott; denn das Auge deines inneren Gefühls ist fein. Sei dir ihres Wertes bewußt
und liebe zärtlich ihren Glanz. Wahrlich, Gott hat für den Punkt des Bayán eine verborgen
aufbewahrte Wissenschaft vorbehalten, die Er vor dieser Offenbarung nicht enthüllt
hatte: und diese Wissenschaft ist bei Gott, dem Verherrlichten, die kostbarste von
allen. Er hat sie zu einem Beweis Seinerseits gemacht, wie Er in den Versen Belege
Seinerseits geschaffen hat.“ Der Arme, der der Besitzer der Schätze der göttlichen
Wissenschaft war, ebenso wie Jináb Mírzá ‘Alí Akbar, einer der angeheirateten Verwandten des
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Punktes — auf Ihm die Herrlichkeit Gottes und Seine Barmherzigkeit! —, Jináb Abu’l Qásim
von Káshán und eine Menge anderer wurden alle auf Befehl Mirzá Yaḥyá’s gemartert!
O Hádí, du besitzest sein Buch4), dem er den Titel „der Wachsame“ gegeben hat: lies es. Wenn du es auch durchgelesen hast, studiere es oft: vielleicht wirst du für dich selbst eine gehobenere Stellung unter dem Zelte der Wahrheit erwählen.
Ebenso A. Siyyid Ibráhim, dem zuliebe jene Worte aus der Feder des Ersten Punktes geflossen sind. Er — verherrlicht sei Er! — sagt: „O du, Mein Freund in den Blättern, o du, Meine Erwähnung in den Büchern nach den Blättern, und o du, Mein Name im Bayán!“ Ihm und Dayyán wurden die Beinamen „der Vater der Bösen“ und „der Vater der Trübsale“ gegeben5)! Sei gerecht: was geschah diesen Unglücklichen, obwohl der eine nur damit beschäftigt war, ihm zu dienen, und der andere sein Gast war?
Kurz: bei Gott, er hat Handlungen vollbracht, deren Erwähnung die Feder seufzen läßt.
Denk ein wenig an die Tugend6) des Ersten Punktes; betrachte, was sich ereignet hat. Als ich aus meiner zweijährigen Zurückgezogenheit, während welcher ich in den Einöden und Gebirgen umhergeirrt war, nach Baghdád zurückkam, um dem Verlangen einiger zu entsprechen, die lange Zeit im Lande umhergelaufen waren7), fand mich Mírzá Muḥammad ‘Alí Rashtí; und vor allen begann er von der Tugend des Báb zu reden und zu erwähnen, wie in Wirklichkeit die ganze Welt in tiefe Trauer versetzt war8). Großer Gott! Wie hat man sich einem solchen Treubruch hingeben können? Ja, ich bitte Gott, Er möge seinen Urheber Verzeihung und Bekehrung erlangen lassen. Wahrlich, Er ist der Hilfreiche, der Weise!
Und Jináb Dayyán — auf ihm die Herrlichkeit Gottes und Seine Barmherzigkeit! — hatte mich besucht; und ich hatte ihn dem treu gefunden, was aus der Feder des Ersten Punktes geflossen war. Ich bitte Gott, Er möge den Achtlosen dazu verhelfen, daß sie sich Ihm zuwenden, den Andersdenkenden, daß sie zu Seinem Gestade vorrücken, und den Verneinern, daß sie diese (große) Sache anerkennen, von der zur Zeit ihres Erscheinens alle Dinge geäußert haben: „Hier ist erschienen, was in den Schatzkammern der Welt verborgen und was von der allerhöchsten Feder in den Büchern, Blättern, Psalmen und Tablets beschrieben war.“ ...
1) Die beiden Orte, an denen der Báb als Gefangener am längsten weilte.
2) Zwei bekannte Sekretäre des Báb.
3) Ad Dayyán bedeutet „der allerhöchste Richter“, eine arabische Bezeichnung für Gott.
4) Ein Buch Mirzá Yaḥyá’s.
5) Von Mirzá Yaḥyá.
6) Womit vermutlich Dayyán gemeint ist.
7) Um ihn zu suchen und zur Rückkehr zu bewegen.
8) Durch den Martertod des Dayyán.
Wiederkunft[Bearbeiten]
Von Karl Klitzing, Graal
In Maleachi 3, 23 befindet sich die Verheißung: „Siehe, Ich will euch senden den Propheten Elia, ehe denn da komme der große und schreckliche Tag des Herrn“, und im 5. Buch Mose, Kapitel 18, 15, heißt es: „Einen Propheten wie Mich wird der Herr, dein Gott, dir erwecken aus dir und deinen Brüdern, dem sollt ihr gehorchen.“ Die Juden warteten daher auf die Wiederkunft des Elias und auf das Erscheinen des Messias, und als Johannes der Täufer an den Ufern des Jordans auftrat, um Buße zu predigen, glaubten sie, daß durch ihn das Wiedererscheinen des Elias in Erfüllung gegangen wäre. Sie sandten zu ihm, ihn zu befragen: „Wer bist Du? Bist Du Elias oder der Prophet?“ Johannes antwortete: „Nein, ich bin. es nicht1).“
Der König Herodes, der Johannes im Gefängnis hatte enthaupten lassen, hörte von
dem Wirken Christi und sagte: „Dieser ist Johannes der Täufer; er ist von den Toten
auferstanden, darum tut er solche Taten2).“ Im Ev. Matth. 16, 13 und 14 lesen
wir: "Da kam Jesus in die Gegend der Stadt Cäsarea Philippi und fragte Seine Jünger und
sprach: Wer sagen die Leute, daß des Menschen Sohn
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sei? Sie sprachen: Etliche sagen, du seiest Johannes der Täufer, die anderen, du seiest
Elias, etliche, du seiest Jeremias oder der Propheten einer.“ Nachdem die Jünger erkannt
hatten, daß die oben angeführte Prophezeiung aus dem 5. Buch Mose, Kapitel 18, 15, durch
das Erscheinen von Christus in Erfüllung gegangen war, und Simon Petrus das
Bekenntnis abgelegt hatte: „Und wir haben geglaubet und erkannt, daß Du bist Christus,
der Sohn des lebendigen Gottes3), beschäftigten sie sich mit der in Maleachi 3, 23
angegebenen Voraussage, daß dem Erscheinen des Messias die Wiederkunft des Elias vorausgehen
sollte und fragten ihren Meister: „Was sagen denn die Schriftgelehrten, Elias müsse
zuvor kommen4)?“ Jesus gab ihnen folgende Antwort: „Elias soll ja zuvor kommen und
alles zurecht bringen. Doch Ich sage euch: Es ist Elias schon kommen, und sie haben ihn
nicht erkannt, sondern haben an ihm getan, was sie wollten. Also wird auch des Menschen
Sohn leiden müssen von ihnen. Da verstunden die Jünger, daß er von Johannes dem
Täufer zu ihnen geredet hatte5).“
Nach der Bahá’í-Lehre gibt es zweierlei Arten von Propheten: unabhängige und abhängige Propheten. ‘Abdu’l-Bahá sagt: „.... Die unabhängigen Propheten sind Religionsstifter; sie gründen eine neue Religion und machen aus den Menschen neue Geschöpfe; sie verändern die vorhandenen Sitten und Verordnungen, erneuern den Zyklus und das Gesetz. Ihr Erscheinen gleicht der Frühlingszeit, die alle irdischen Wesen in ein neues Gewand kleidet und ihnen ein neues Leben gibt. Die zweite Art von Propheten, die Nachfolger, fördern gleichfalls das Gesetz Gottes; sie machen die Menschen mit der Religion Gottes bekannt und verkündigen Sein Wort. Von sich aus haben sie keine Kraft noch Macht, außer derjenigen, die sie von den unabhängigen Propheten empfangen... 6)“
Mose war ein selbständiger Prophet, der eine neue Religion einsetzte und den Zyklus Seines Tages begründete. Die Vorhersage von Mose, daß Gott einen Propheten wie Ihn, d. h. einen selbständigen Offenbarer, erwecken würde, war durch das Erscheinen von Christus erfüllt worden, Der die Gesetze und Vorschriften von Mose, soweit sie die äußerlichen Verrichtungen und Handlungen der Menschen betrafen, abänderte, wie es Seinem Zeitalter entsprach. Wie konnte nun Christus Seinen Jüngern erklären, daß die Prophezeiung, Elias würde wiederkommen, durch das Erscheinen von Johannes dem Täufer erfüllt wäre, nachdem dieser die Frage, ob er Elias wäre, verneint hatte? Bevor wir zu dieser Frage Stellung nehmen, lassen Sie uns zunächst eine weitere Betrachtung anstellen.
Christus saß auf dem Ölberge und Seine Jünger traten an Ihn heran, um Ihn zu fragen, welches das Zeichen sein würde, für die Zukunft Seiner Sache. Nachdem Er die Zeichen angegeben hatte, setzte Er Seine Erklärung fort: „Und alsdann wird erscheinen das Zeichen des Menschensohnes im Himmel. Und alsdann werden heulen alle Geschlechter auf Erden und werden sehen kommen des Menschen Sohn in den Wolken des Himmels mit großer Kraft und Herrlichkeit7). Im Ev. Joh. 14, 2 und 3 lesen wir: „In Meines Vaters Hause sind viel Wohnungen. Wenn’s nicht so wäre, so wollte Ich zu euch sagen: Ich gehe hin, euch die Stätte zu bereiten. Und wenn Ich hingehe, euch die Stätte zu bereiten, so will Ich wiederkommen und euch zu Mir nehmen, auf daß ihr seid, wo Ich bin.“ Im Ev. Joh. 16, 13 und 14 spricht Christus: „Wenn aber jener, der Geist der Wahrheit, kommen wird, der wird euch in alle Wahrheit leiten. Denn er wird nicht von ihm selber reden, sondern was er hören wird, das wird er reden, und was zukünftig ist, wird er euch verkündigen. Derselbige wird Mich verklären, denn von dem Meinen wird er’s nehmen und euch verkündigen.“ Wie kommt es, daß Christus einmal vom Kommen des Menschen Sohnes und des Geistes der Wahrheit sprach, dann wieder erklärte: „Ich will wiederkommen?“ Beziehen sich diese Vorhersagen auf das gleiche künftige Ereignis?
Die Eigenschaften des Aufsteigens, des Herabkommens, des Eintretens usw. gehören
der materiellen Welt und nicht der Welt des Geistes an. In der Welt des Geistes war
Christus von Ewigkeit her eins mit dem Vater, so daß Johannes der Täufer sagen konnte:
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„Nach mir wird kommen, der vor mir gewesen ist, denn er war eher, denn ich8)“, und Christus: „Ehe denn Abraham ward, bin Ich9).“ In der 1. Epistel Petri 1, 10 und 11 lesen wir: „Nach dieser Seligkeit haben gesucht und geforschet die Propheten, die von der Gnade geweissagt haben, so auf euch kommen sollte. Und haben geforschet, auf welche und welcherlei Zeit deutete der Geist Christi, der in ihnen war, und zuvor bezeuget hat die Leiden, die über Christum kommen sollten, und die Herrlichkeit darnach.“ Wenn auch die Offenbarung des göttlichen Willens durch die Vermittlung eines Künders in Menschengestalt erfolgen muß, so wird doch durch die Aufeinanderfolge der Offenbarungen die geistige Einheit der Offenbarer nicht beeinträchtigt. Im Reiche des Geistes sind sie alle eins, Mit dem Wiederkommen eines heiligen Wesens ist nicht die Wiederkunft der individuellen Persönlichkeit mit ihren charakteristischen Kennzeichen, sondern das Erscheinen eines Wesens aus der gleichen geistigen Wirklichkeit gemeint. 'Abdu'l-Bahá erklärt: „...Nicht die Persönlichkeit, sondern die Wirklichkeit der hohen Eigenschaften ist damit gemeint, d.h. dieselben hohen Eigenschaften, mit denen Elias ausgestattet war, waren auch in Johannes dem Täufer vorhanden und wurden in ihm aufs genauste verwirklicht. Deshalb war Johannes der Täufer der verheißene Elias. In diesem Falle müssen wir nicht auf die Persönlichkeit, sondern auf die Eigenschaften blicken... Wenn wir die Wiederkunft hinsichtlich des Individuums betrachten, so werden wir finden, daß es ein anderes Individuum ist; betrachten wir aber die Eigenschaften und Vortrefflichkeiten, so sehen wir, daß diese wiedergekommen sind. Als daher Christus sagte: „Er ist Elias“, meinte Er: Dieser Mann offenbarte die Gaben, die Vollkommenheiten, den Charakter, die Eigenschaften und die Tugenden des Elias. Johannes der Täufer dagegen sagte: „Ich bin nicht Elias.“ Christus hatte die Eigenschaften, die Vollkommenheit, den Charakter und die Tugenden der beiden im Auge, Johannes aber blickte auf seinen Körper, auf seine Persönlichkeit... 10)“.
Hieraus, daß Christus sagte: „Er ist Elias“, d. h. die Eigenschaften der Wirklichkeit, die durch Elias zum Ausdruck kamen, sind in Johannes dem Täufer wiedererschienen, um „alles zurechtzumachen“, können wir mit Gewißheit schließen, daß Christus, als Er einmal von dem Kommen des Menschensohnes und dem Geist der Wahrheit sprach und ein andermal erklärte: „Ich will wiederkommen“, das Wiedererscheinen der Eigenschaften der Wirklichkeit in einer anderen, von Gott auserwählten Persönlichkeit meinte, um „uns in alle Wahrheit zu leiten und uns von allem Irrtum zu befreien.“
Bahá’u’lláh erklärt: „... Es ist dir klar und offenbar, daß alle Propheten die Tempel der Sache Gottes sind, die mit verschiedenem Gewand geschmückt erschienen sind. Und wenn du mit scharfsinnigem Auge darauf achtest, dann wirst du sie alle im gleichen Zelt wohnen sehen, zum gleichen Himmel sich erheben, auf dem gleichen Throne sitzen, die gleiche Sprache sprechen und den gleichen Glauben verkündigen. Solcher Art ist die Einheit dieser reinsten Wesen des Daseins, dieser Sonnen unendlicher und unermeßlicher Herrlichkeit. Wenn daher eine dieser Manifestationen der Heiligkeit verkünden sollte: „Ich bin die Wiederkunft aller Propheten“, so spricht sie wahrlich die Wahrheit. In gleicher Weise ist die Wiederkunft der früheren Offenbarung in jeder folgenden Offenbarung eine Tatsache, deren Wahrheit unerschütterlich gegründet ist. Und weil die Wiederkunft der Propheten Gottes, wie durch Wort und Überlieferung bezeugt, endgültig dargetan wurde, ist nun auch die Wiederkunft ihrer Auserwählten zwingend bewiesen. Diese Wiederkunft ist zu offenbar in sich selbst, als daß irgend ein Zeugnis oder ein Beweis erforderlich wäre11).“
Als Bahá’u’lláh im Osten auftrat, um den göttlichen Willen in diesem Zeitalter der
Reife in der menschlichen Entwicklung kundzutun, zog Er Sich die Bedrückung durch
weltliche und kirchliche Behörden zu, die zuletzt Seine Einkerkerung in der
Gefangenenstadt 'Akká herbeiführten, um Ihn zu vernichten und Seine Lehre auszurotten. —
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'Akká ist eine uralte Stadt und in der Weltgeschichte verschiedentlich hervorgetreten. 'Akká, oder auch Acco, Ptolemais, Acre oder St. Jean d’Acre genannt, liegt an der syrischen Küste, dort, wo das mittelländische Meer die Bai von 'Akká bildet. Ihr gegenüber liegt die Stadt Haifa am Berge Karmel, und zwar ist 'Akká der nördlichste und Haifa der südlichste Punkt der Bai. Während der Kreuzzüge geriet 'Akká in den Strom der Weltgeschichte. Im Jahre 1291 fiel die gut befestigte und stark bevölkerte Stadt 'Akká, die letzte Besitzung der Christen, nach einem furchtbaren Kampf wieder in die Hände der Moslems. Napoleon I. belagerte im Jahre 1799 die Stadt 'Akká, die er als „den Schlüssel zum Osten“ bezeichnete und von ihr erklärte: „Hätte ich 'Akká in Händen, würde ich das Aussehen der Welt verändern!“ Es gelang ihm aber nicht, 'Akká einzunehmen.
Nach Apostelgeschichte 21, 7 hielt Paulus sich einen Tag bei der christlichen Gemeinde in 'Akká, welches damals Ptolemais genannt wurde, auf. In Hosea 2, 15 wird das Tal von Achor als „Tor der Hoffnung“ bezeichnet, und Jesaja sagt in Kapitel 65, 10, daß „das Tal von Achor ein Weideplatz für Meine Herden und für Mein Volk werden soll, das Mich sucht.“
Von Haifa nach 'Akká führt eine schöne Autostraße durch das Tal von 'Akká, welches als Weideplatz für zahlreiche Herden dient, deren Hirten auf Kamelen reiten. Im Geiste legen wir die Fahrt von Haifa nach 'Akká noch einmal zurück. Das blaue Meer und die Sanddünen befinden sich zur Linken, die Ausläufer des Libanongebirges zur Rechten. Die Landschaft wird von hohen Dattelpalmen unterbrochen. Araber, auf Eseln reitend, denen einige mit Waren beladene Kamele nachfolgen, Beduinenfrauen mit blau bemalten Gesichtern, schwere Gefäße anmutig auf ihrem Kopfe tragend, begegnen uns. Die Stadt 'Akká wird, weiß schimmernd, sichtbarer. Zur Linken bemerken wir die historische Stätte, an der Bahá’u’lláh und Seine Gefährten landeten, als sie von Haifa aus über das Meer nach 'Akká gebracht wurden. Wir gelangen durch das gewaltige Festungstor, welches für Bahá’u’lláh geschlossen blieb, mit einem Gefühl der Ergriffenheit, den Ort erreicht zu haben, an dem Bahá’u’lláh die bedrückendste Zeit Seines irdischen Lebens mit strahlender Ergebenheit verbrachte, den Ort, dessen Mauern das heilige Wesen einschlossen, in dessen Händen sich die Schlüssel zur Lösung der Probleme der Welt befanden, um ihr ein anderes Aussehen zu geben und sie zu einem Abglanz himmlischer Tugenden zu gestalten.
Bahá’u’lláh erklärte, daß die Einkerkerung sich als ein Mittel zur Ausbreitung Seiner Sache erweisen würde. Alles hatte Er geopfert — Seine Ruhe, Seine Bequemlichkeit und Seine Besitzungen. Wie Er voraussagte, ist es gekommen. Er zog im Gefängnis Sein Banner hoch, und Seine geistige Lehre ist jetzt in allen fünf Erdteilen verbreitet. Bahá’u’lláh erklärt: „... Wahrlich, Er hat Sich im Osten strahlend erhoben, und Seine Zeichen sind im Westen sichtbar geworden. Denket daran, o Völker, und gleicht nicht jenen, die des Gesandten nicht achteten, der aus der Gegenwart des Mächtigen, des Gepriesenen zu ihnen kam! Wachet auf beim Wehen des Hauches Gottes! Wahrlich, er ging durch die Welt. Gesegnet, wer seinen Duft wahrgenommen und durch ihn Stärkung erfahren hat!.. .12).“
1) Vgl. Ev. Joh. 1, 19—23.
2) Ev. Matth. 14, 2.
3) Ev. Joh. 6, 69.
4) Ev. Matth. 17, 10.
5) Ev. Matth. 17, 11—13.
6) „Beantwortete Fragen“, Seite 207 und 208.
7) Ev. Matth. 24, 30.
8) Ev. Joh. 1, 15.
9) Ev. Joh. 8, 58.
10) „Beantwortete Fragen“, Seite 169 und 171.
11) Ins Deutsche übertragen aus „The Kitáb-i-Iqán, The Book of Certitude“, New York 1931, S. 153/154 (ins Englische übersetzt von Shoghi Effendi).
12) „Das Hocheilige Tablet“, „Sonne der Wahr- heit“, XIV. Jahrgang, Seite 59. .
Wahrer Monotheismus ist die organische Vereinigung der sämtlichen Religionen.
Paul de Lagarde in „Deutsche Schriften“, München 1924, S. 252
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