Sonne der Wahrheit/Jahrgang 15/Heft 6/Text

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S ONNE
DER
WAHRHEIT
 
ORGAN DER BAHÁ’Í
IN DEUTSCHLAND UND ÖESTERREICH
 

 
HEFT 6 15. JAHRGANG AUGUST 1935
 


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Die Bahá’í-Lehre,[Bearbeiten]

die Lehre Bahá’u’lláhs erkennt in der Religion die höchste und reinste Quelle allen sittlichen Lebens.

Die Ausdrucksformen des religiösen Lebens des Einzelnen, ganzer Völker und Kulturkreise haben im Laufe der Geschichte entsprechend den jeweils anderen Verhältnissen und dem Wachstum des menschlichen Erkenntnisvermögens Wandlungen erfahren. Die äußeren Gesetze und Gebote aller Weltreligionen entsprachen immer den entwicklungsgeschichtlich gegebenen Erfordernissen in bezug auf den Einzelnen, die soziale Ordnung und das Verhältnis zwischen den Völkern. Alle Religionen beruhen aber auf einer gemeinsamen, geistigen Grundlage. „Diese Grundlage muß notwendigerweise die Wahrheit sein und kann nur eine Einheit, nicht eine Mehrheit bilden.“ ('Abdu'l-Bahá.) „Die Sonne der Wahrheit ist das Wort Gottes, von dem die Erziehung der Menschen im Reich der Gedanken abhängig ist.“ (Bahá’u’lláh.) Alle großen Religionsstifter waren Verkünder des Wortes Gottes entsprechend der Fassungskraft und Entwicklungsstufe der Menschen. Das Wesen der Religion liegt darin, im Bewußtwerden der Abhängigkeit des Menschen von der Wirklichkeit Gottes Seine Offenbarer anzuerkennen und nach Seinen durch sie übermittelten Geboten zu leben.

Die Bahá’i-Lehre bestätigt und vertieft den unverfälschten und unwandelbaren Sinn und Gehalt aller Religionen von neuem und zeigt darüber hinaus die kommende Weltordnung auf, welche die geistige Einheit der Menschheit zur Voraussetzung haben wird. Die in ihr zum Ausdruck kommende Weltanschauung steht mit den Errungenschaften der Wissenschaft ausdrücklich in Einklang.

Die Lehre Bahá’u’lláhs enthält geistige Grundsätze und Richtlinien für eine harmonische Gesellschafts-, Staats- und Wirtschaftsordnung. Sie beruhen auf dem Gedanken der natürlich gewachsenen, organischen Einheit jedes Volkes und der das Völkische übergreifenden geistigen Einheit der Menschheit. Den Interessen der Volksgemeinschaft sind die Sonderinteressen des Einzelnen unterzuordnen, denn nur die Gesamtwohlfahrt verbürgt auch das Wohl des Einzelnen.

Wie jede Religion, so wendet sich auch die Bahá’i-Lehre an die Herzensgesinnung des Menschen, um die religiösen Kräfte in den Dienst wahren Menschentums zu stellen. Sie erstrebt die Höherentwicklung der Menschheit mehr durch die Selbsterziehung des Einzelnen als durch äußerlich-organisatorische Maßnahmen. Der Bahá’i hat sich daher über seine ernst aufgefaßten staatsbürgerlichen Pflichten hinaus nicht in die Politik einzumischen, sondern sich zum Träger der Ordnung und des Friedens im menschlichen Gemeinschaftsleben zu erheben. Bahá’u’lláhs Worte sind: „Es ist euch zur Pflicht gemacht, euch allen gerechten Regenten ergeben zu zeigen und jedem gerechten König eure Treue zu beweisen. Dienet den Herrschern der Welt mit der höchsten Wahrhaftigkeit und Treue. Zeiget ihnen Gehorsam und seid ihre wohlwollenden Freunde. Mischt euch nicht ohne ihre Erlaubnis und Zulassung in politische Dinge ein, denn Untreue gegenüber dem Herrscher ist Untreue gegenüber Gott selbst.“

Bahá’u’lláh weist den Weg zu einer befriedeten, im Geiste geeinigten Menschheit. Ein alle Staaten umfassender Bund in ihrer Eigenart entwickelter und unabhängiger Völker auf der Grundlage der Gleichberechtigung, ausgestattet mit völkerrechtlichen Vollmachten und Vollstreckungsgewalten gegenüber Friedensstörern, soll die übernationalen Interessen aller Völker der Erde in völliger Unparteilichkeit und höchster Verantwortung wahrnehmen. Zwischenstaatliche Konflikte sind durch einen von allen Staaten beschickten Weltschiedsgerichtshof auf friedlichem Wege beizulegen.

Die geistige Wesensgleichheit aller Menschen und Völker erheischt einen organischen Aufbau der sozialen Weltordnung, in der jedem seine einzigartige, besondere Eingliederung und Aufgabe zugewiesen ist. Die geographischen, biologischen und geschichtlichen Gegebenheiten bedürfen im Gemeinschaftsleben der Völker immer einer besonderen Beachtung, ohne die sie umschließende Einheit im Reiche des Geistes aus den Augen zu verlieren.

Die Lehre Bahá’u’lláhs „ist in ihrem Ursprung göttlich, in ihren Zielen allumfassend, in ihrem Ausblick weit, in ihrer Methode wissenschaftlich, in ihren Grundsätzen menschendienend und von kraftvollem Einfluß auf die Herzen und Gemüter der Menschen“.


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SONNE DER WAHRHEIT
Organ der Bahá’í in Deutschland und Österreich
Verantwortlich für die Herausgabe: Dr. Eugen Schmidt, Stuttgart-W, Reinsburgerstraße 198
Schriftleitung: Dr. Adelbert Mühlschlegel, Dr. Eugen Schmidt, Alice Schwarz-Solivo
Verwaltung: Paul Gollmer Begründet von Alice Schwarz-Solivo
Preis vierteljährlich 1.80 Reichsmark, im Ausland 2.– Reichsmark
Heft 6 Stuttgart, im August 1935
Asmá — Namen 92
15. Jahrgang

Inhalt: Göttliche Lebenskunst. — Nabíl’s Erzählung: Der Aufenthalt des Báb in Shíráz nach der Pilgerreise. — Rasse und Religion.


Die Quelle alles Guten ist: Vertrauen in Gott, Gehorsam Seinen Geboten gegenüber und Zufriedenheit mit Seinem heiligen Willen und Wohlgefallen.

Worte der Weisheit von Bahá’u’lláh


Göttliche Lebenskunst[Bearbeiten]

Aus den Schriften ‘Abdu’l-Bahá's (Fortsetzung)

Zusammengestellt von Mary M. Rabb (New York, Brentanos Publishers)

Übersetzung aus dem Englischen


9. Kapitel: Praktische Anwendung des geistigen Lebens (Fortsetzung)

Es ziemt dir, dich von allen Wünschen zu trennen, nur nicht von deinem Herrn, dem Höchsten, so daß du nicht Hilfe noch Beistand von irgend jemand auf der Welt erwartest, auch nicht von deinem Vater oder deinen Kindern. Ergib dich in Gott. Begnüge dich mit nur wenigen von den Gütern dieser Welt. Wahrlich, Sparsamkeit ist ein großer Schatz. Wenn einer deiner Verwandten dich unterdrückt, so klage nicht wider ihn vor den Behörden; nein, offenbare herrliche Geduld gegen jegliches Unglück und Beschwernis. Wahrlich, dein Meister ist der Gott der Treue. Vergib und übersieh die Mängel, die in jenem Menschen zutage getreten sind, aus Liebe und Zuneigung. Wisse, daß nichts in diesem Leben dir zum Nutzen gereichen wird, außer das Anflehen und Anrufen Gottes, der Dienst in Seinem Weinberg, das ständige Ihm Dienen aus einem Herzen voll Liebe.

Wenn dein tägliches Leben schwierig wird, dann wird Gott, dein Herr, alsbald dir gewähren, was dich befriedigen wird. Sei geduldig in der Zeit der Trübsal und Versuchung, ertrage jegliche Schwierigkeit und Beschwernis mit weitem Herzen, mit hingebungsvollem Geist und mit einer Zunge, die beredt ist im Gedenken an den Barmherzigen. Wahrlich, so ist das Leben in Zufriedenheit, geistigem Dasein, himmlischer Ruhe, göttlichem Segen und an himmlischer Tafel. Bald wird der Herr deine schroffe Lage mildern, sogar schon in dieser Welt.

Sei nicht betrübt durch Armut, denn wahrer Reichtum steigt auf und wogt empor wie das Weltmeer.

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Ich kann nicht verstehen, warum die Menschen sich darauf versteifen, daß man etwas nicht aufgeben kann, an das man einmal gewöhnt ist. Man bringt das sehr leicht fertig, wenn man das Gemüt mit dem Entschluß erfüllt, auf immer darauf zu verzichten. Alles ist eine Sache des Charakters und der Entschlossenheit.

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Der Mensch muß unermüdlich in seinen Anstrengungen sein. [Seite 42]

Ist einmal seine Anstrengung in den passenden Kanal geleitet, so wird er Erfolg haben, wenn heute nicht, so doch morgen. Bemühung an sich ist einer der edelsten menschlichen Charakterzüge. Hingabe an seinen Beruf, Anstrengung bei dessen Durchführung, Einfachheit des Geistes und Standhaftigkeit in Glück und Leid, das sind die Wertstempel des Erfolges. Eine Person, die mit diesen Eigenschaften gekennzeichnet ist, wird die Früchte ihrer Arbeit ernten und wird die Glückseligkeit des Königreiches gewinnen.

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Reinlichkeit und Heiligkeit in allen Lagen sind Merkmale reiner Wesen und Notwendigkeiten freier Seelen. Die einfachste Art der Vollkommenheit besteht in Reinlichkeit und Heiligkeit und in der Reinheit von jeglichem Mangel. Wenn der Mensch in allen Lagen rein und unbefleckt bleibt, wird er ein Mittelpunkt der Widerspiegelung des offenbarten Lichtes werden. In allen Taten des Menschen und in seiner Haltung muß zuerst Reinheit sein, sodann Schönheit und Unabhängigkeit. Der Kanal muß gereinigt werden, ehe er mit köstlichem Wasser gefüllt werden kann. Die reine Nase atmet die Düfte des Rosengartens der Gnadenfülle ein, das reine Herz wird zum Spiegel der Schönheit der Wahrheit. Darum sind in den himmlischen Büchern die göttlichen Ratschläge und Gebote mit Wasser verglichen worden. So ist im Qur’án gesagt: „Und wir haben reines Wasser vom Himmel herabkommen lassen“; und im Evangelium: „Es sei denn, daß der Mensch die Taufe mit Wasser und Geist erlange, kann er nicht in das Reich Gottes gelangen.“ Somit ist es klar, daß die göttlichen Lehren die himmlische Gnade sind und die Regenschauer der Barmherzigkeit Gottes, welche die Menschenherzen reinigen.

Der Sinn ist: Sauberkeit und Heiligkeit, Reinheit und Feinheit erheben die Menschheit in allen Lebenslagen und lassen die Welt der Zufälligkeiten voranschreiten.

Auch in physischen Dingen angewandt, führt Feinheit zur Erlangung von Geistigkeit, wie dies in den heiligen Schriften niedergelegt ist.

Wenngleich äußere Sauberkeit nur eine physische Sache ist, so hat sie doch großen Einfluß auf die geistige Natur. So zum Beispiel: obwohl der Ton nur eine Luftschwingung ist, die das Trommelfell des Ohres trifft, und wenn auch Luftschwingungen nur ein Vorgang sind unter anderen Vorgängen, die von der Luft abhängen, so bedenket doch tief, wie die wundervollen Noten eines bezaubernden Liedes den Geist beeinflussen! Ein wundervolles Lied gibt dem Geist Schwingen und erfüllt die Herzen mit Erhebung.

Ich komme darauf zurück, daß die Tatsache, einen reinen und makellosen Körper zu haben, gleichfalls einen Einfluß auf den Geist des Menschen ausübt. Nun sieh, wie sehr doch die Reinheit am Hofe Gottes gutgeheißen wird, so daß sie sogar in den heiligen Büchern der Propheten besonders Erwähnung findet. So verbieten die heiligen Bücher das Essen unreiner Dinge oder den Gebrauch von irgend etwas Unreinem. Gewisse Verbote sind unbedingt und ein Befehl für alle. Wer das Verbot mißachtet, der wird von Gott verabscheut und wird ausgeschlossen aus der Zahl der Erwählten. Dies bezieht sich auf Dinge, die durch ein unbedingtes Verbot untersagt sind, dessen Übertretung eine schwere Sünde ist; sie sind so häßlich, daß selbst ihre Erwähnung beschämend ist. Dann gibt es noch andere verbotene Dinge, die kein sofortiges Unheil verursachen und deren verderbliche Folge nur schrittweise sich aufweist. Auch sie werden von Gott verabscheut, getadelt und verworfen, aber ihr Verbot ist nicht in unbedingtem Sinne niedergelegt, obwohl freilich Sauberkeit und Heiligkeit, Makellosigkeit und Reinheit, die Erhaltung der Gesundheit und Unabhängigkeit durch diese Untersagungen gefordert werden.

O Freunde Gottes, die Erfahrung hat gezeigt, wie sehr der Verzicht auf Tabak, Wein und Opium Gesundheit, Stärke und Freude des Denkens, durchdringendes Urteil und physische Kraft verleiht. Es gibt heute einen Stamm, die Drusen, der sich des Tabaks, Alkohols und Opiums gänzlich enthält, und dieser übertrifft bei weitem alle andern an Kraft, Tapferkeit, Gesundheit, Schönheit und Anmut. Ein Einzelner dieser Männer kann zehn Männern anderer Stämme widerstehen; dies ist allgemeinhin erprobt worden. Das heißt also, im Ganzen ausgedrückt, die Menschen dieses Stammes sind den Menschen anderer Stämme überlegen.

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Was den Genuß geistiger Getränke betrifft, so sind nach dem Wortlaut des Buches Aqdás starke wie leichte Getränke verboten. Der Grund dieses Verbotes ist, daß geistige Getränke den Geist auf Abwege führen und Ursache körperlicher Schwächung sind. Wäre der Alkohol wohltätig, so wäre er durch die göttliche Schöpfung [Seite 43] in die Welt gebracht worden und nicht durch die Bemühung des Menschen. Alles, was dem Menschen zuträglich ist, das ist schon in der Schöpfung vorhanden. Nun ist es ärztlich-wissenschaftlich bewiesen und begründet, daß geistige Getränke schädlich sind. Daher betrifft die Bedeutung des in den Tablets Niedergeschriebenen — „Ich habe für dich erwählt, was im Himmel und auf Erden ist“ — jene Dinge, die der göttlichen Schöpfung gemäß sind, und nicht die Dinge, welche schädlich sind. Zum Beispiel ist Gift eines dieser Dinge. Wie kann man nun sagen, daß die Gifte gewohnheitsmäßig gebraucht werden sollen, weil Gott sie für den Menschen geschaffen habe? Immerhin, wo geistige Getränke durch einen Arzt für den Kranken verschrieben werden und ihr Gebrauch notwendig ist, da mögen sie, wie verordnet, auch angewandt werden.

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‘Abdu’l-Bahá sprach, während Er aus dem Fenster sah: „Wir hören das Rauschen des Meeres in einem fort. Es hört nie auf. Hörte es auf, so wäre die Welt tot, stillstehend, leblos. Die Wogen des Menschengemütes aber sind noch weit größer als die des Meeres. Auch sie gehen immerfort. Sie stehen nie auch nur einen Augenblick still. Diese Bewegung ist gut. Wenn dieser Wogen des Gemütes nur wenige sind, dann ist der Mensch stumpf und still. Was für Perlen und Juwelen ruhen in den Tiefen des Meeres! Aber die Perlen und Juwelen, die im Menschengemüte verborgen sind, das sind Erkenntnisse, Tugenden, Fähigkeiten und mehr noch, diese Perlen können wachsen und zunehmen an Glanz auf ewig hin; die Perlen des Meeres dagegen bleiben immer die gleichen. Diese Wogen gehen von unserem Gemüt hinaus und schaffen Bewegung und Gedanken in anderen Gemütern. Was können, von einem starken Gedanken der Liebe ausgehend, sich für große Folgen zeigen!“

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Nutzlose Erörterungen ermüden und langweilen den Menschen. Leute, die mich fast jeden Tag besuchen, bringen einen Strom nutzlosen, geistlosen Geschwätzes mit und ich muß sie mit Geduld anhören. Uns ist befohlen, mit allen Menschen Umgang zu pflegen. Heute besuchten mich drei Personen und sie schwatzten eine Stunde lang ohne irgend ein deutliches Ergebnis.

In der Rede offenbart der Mensch sein Herz. Welche Welt auch das Herz durchwandern mag, des Menschen Rede wird um diesen Mittelpunkt kreisen. Aus seinen Worten kannst du verstehen, in welcher Welt er wandert, ob er nach oben, nach dem Reich des Lichtes schaut oder nach unten zu der niederen Welt, ob er achtsam ist oder achtlos, ob er erwacht ist oder schlafend, ob er lebendig ist oder tot. Darum sagt ‘Alí: „Der Mensch ist hinter seiner Zunge verborgen. Aus der Fülle seines Herzens spricht der Mensch.“

Es gibt Personen, mit denen du umgehst und dich unterhältst, deren Sprache lebenspendend, freudeschenkend ist. Die Matten und Welken werden erfrischt, die Freudlosen werden glücklich, die Verlöschten werden neu entflammt und die Leblosen werden belebt mit dem Hauch des Heiligen Geistes. Wer im Meer des Zauderns und Zweifels versunken ist, wird durch das Rettungsboot der Gewißheit und Zuversicht gerettet; wer an diese stoffliche Welt verhaftet ist, wird getrennt; und wer vollgetränkt mit tadelnswertem Tun ist, der wird geschmückt mit lobenswerten Merkmalen. Andererseits gibt es manche Leute, deren Atem schon das Licht des Glaubens auslöscht; deren Gespräch die Festigkeit und Standhaftigkeit in der Sache Gottes schwächt; deren Gesellschaft die Aufmerksamkeit von dem Königreich Abhá ablenkt.

Die Seelen, die durch die frohen Botschaften Gottes erfreut, zu den Düften der Heiligkeit hingezogen, von allem außer Gott getrennt sind und des Namens Gottes gedenken, sind der Welt der Finsternis entzogen, ihr Denken ist ganz und gar durchdrungen von geistigen Schwingungen und ihre Botschaften bestehen in göttlichen Ratschlägen und Ermahnungen. Solche Seelen sind die Offenbarer von Gottes Barmherzigkeit, die Erzieher von Völkern und die Beleber der Menschenwelt. Sie sind Schutzengel, die Ursache menschlichen Fortschritts und die geistigen Führer der wandernden Menschenkinder. Ruhm sei auf ihnen!

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Wenn ein Mensch die „Verborgenen Worte“, „Ishráqát“, „Tajallíyát“, „Die frohen Botschaften“, „Die Worte der Weisheit“ und „Tarázát“ liest und im Einklang auch nur mit einem dieser göttlichen Ratschläge lebt, wird er die Stufe der Vollkommenheit erreichen, wird er der Mittelpunkt gnadenreicher Empfänglichkeit, der Dämmerungsort menschlicher Tugenden werden und die Strahlen des Königreiches werden sich aus seinem Antlitz und Charakter offenbaren. [Seite 44]

O ihr Freunde Gottes! Diese Ratschläge und Ermahnungen der Gesegneten Vollkommenheit sind durch die Höchste Feder enthüllt, um als Führer zum Handeln betrachtet zu werden und nicht, um nur gelesen zu werden. Es gibt viele Leute, die diese Tablets lesen, ihren Inhalt preisen — aber sie leben nicht einmal nach einem dieser Worte.



Nabíl’s Erzählung[Bearbeiten]

Übersetzung aus „The Dawn-Breakers“, Nabíl’s Narrative of the early days of the Bahá’í Revelation, New York 1932


8. Kapitel: Der Aufenthalt des Báb in Shíráz nach der Pilgerreise


Der Besuch des Báb in Medina bezeichnete den Abschluß Seiner Pilgerreise nach Ḥijáz. Von dort kehrte Er nach Jaddih1) zurück und erreichte auf dem Seeweg Seine Heimat. Er landete in Búshihr, neun Monde nachdem Er Sich zu Seiner Pilgerreise von diesem Hafen aus eingeschifft hatte. In demselben Khán2), in dem Er schon früher Unterkunft gefunden hatte, empfing Er Seine Freunde und Verwandten, die herbeigekommen waren, um Ihn zu begrüßen und willkommen zu heißen. Während Er noch in Búshihr war, hatte Er Quddús in Seine Gegenwart gerufen und ihn mit der größten Güte gebeten, nach Shíráz abzureisen. Er sprach zu ihm: „Die Tage deines Beisammenseins mit Mir gehen ihrem Ende entgegen. Die Stunde des Abschieds hat geschlagen, eines Abschieds, dem keine Wiederbegegnung folgt, es sei denn im Reiche Gottes, in Gegenwart des Königs der Herrlichkeit. In dieser Welt des Staubs waren dir nur neun flüchtige Monate der Teilhaberschaft mit Mir zuerteilt. An den Ufern des Großen Jenseits dagegen, im Reiche der Unsterblichkeit, erwartet uns die Freude ewiger Vereinigung. Die Hand des Schicksals wird dich bald in ein Weltmeer von Trübsal stürzen um Seinetwillen. Auch Ich werde dir folgen; auch Ich werde in seine Tiefen versenkt. Freue dich in überströmender Beglückung, denn du wurdest zum Fahnenträger der Schar der Leiden erwählt und stehst in der Vorhut des edeln Heeres, das in Seinem Namen Martyrium erleiden wird. In den Straßen von Shíráz werden Beschimpfungen auf dich gehäuft werden und die schwersten Beleidigungen werden deinen Körper befallen. Du wirst das schändliche Verhalten deiner Feinde überleben und wirst zur Gegenwart Dessen gelangen, Der das alleinige Ziel unserer Anbetung und Liebe ist. In Seiner Nähe wirst du alles Leid und Ungemach vergessen, das über dich gekommen sein wird. Die Heerscharen des Niegeschauten werden herbeieilen, um dir zur Seite zu stehen und der ganzen Welt dein Heldentum und deine Herrlichkeit zu verkünden. Dein wird die unaussprechliche Freude sein, um Seinetwillen den Kelch des Martyriums zu leeren. Auch ich werde den Pfad des Opfers betreten und werde mich im Reiche der Ewigkeit wieder mit dir zusammenfinden.“ Dann übergab ihm der Báb einen Brief, den Er an Ḥájí Mirzá Siyyid ‘Alí, seinen Onkel mütterlicherseits, geschrieben und worin er ihn von Seiner glücklichen Ankunft in Búshihr benachrichtigt hatte. Zugleich vertraute Er ihm eine Abschrift des Rhaṣá’il-i-Sab’ih3) an, einer Abhandlung, in welcher Er die wesentlichen Erfordernisse für jene festsetzte, welche zur Erkenntnis der neuen Offenbarung gelangt waren und ihren Anspruch anerkannt hatten. Als Er nun Quddús zum letzten Male Lebewohl sagte, bat Er ihn, Seine Grüße an jeden Seiner Lieben in Shíráz zu bestellen.

Erfüllt mit dem Gefühl unerschütterlichen Entschlusses, die ausgesprochenen Wünsche seines Meisters auszuführen, verließ Quddús Búshihr. In Shíráz angekommen, wurde er von Ḥájí Mirzá Siyyid ‘Alí herzlich bewillkommnet; er nahm ihn in sein Haus auf und frug eifrig nach dem Befinden und dem Tun seines geliebten Verwandten. Als Quddús ihn für den Ruf der neuen Botschaft aufnahmefähig sah, machte er ihn mit dem Wesen der Offenbarung bekannt, mit welcher jener Jüngling schon seine Seele entflammt hatte. Der Onkel des Báb mütterlicherseits war, auf die Bemühungen, welche Quddús aufbot, der erste, nach den Buchstaben [Seite 45] des Lebendigen, der in Shíráz die Sache annahm. Da die volle Bedeutung des neugeborenen Glaubens bis dahin geheim gehalten war, so war er sich der ganzen Ausdehnung ihrer Folgerungen und ihrer Herrlichkeit noch nicht bewußt. Seine Unterredung mit Quddús jedoch nahm den Schleier von seinen Augen. Sein Glaube wurde so unerschütterlich und seine Liebe zum Báb so vertieft, daß er sein ganzes Leben Seinem Dienste weihte. Mit unermüdlicher Wachsamkeit begann er, Seine Sache zu verteidigen und Seine Person zu schützen. Bei seinen dauernden Bemühungen dachte er nicht an Müdigkeit und schätzte er den Tod gering. Obgleich er als eine hervorragende Persönlichkeit der Geschäftswelt jener Stadt galt, ließ er niemals materielle Gedankengänge in seine geistige Verantwortlichkeit einschleichen, der Persönlichkeit seines geliebten Verwandten Schutz zu gewähren und Seine Sache zu fördern. Er hielt bei seiner Aufgabe aus, bis zur Stunde, da er in Gefolgschaft der Sieben Märtyrer von Tíhrán mit beispiellosem Heldentum sein Leben für Ihn hingab.

Die nächste Person, die Quddús in Shíráz traf, war Ismu’lláhu’l-Asdaq, Mullá Ṣádiq-i-Khurásání, dem er die Abschrift des Khaṣá’il-i-Sab’ih anvertraute und die Notwendigkeit betonte, alle ihre Verordnungen unverzüglich in die Tat umzusetzen. Unter ihren Vorschriften befand sich die nachdrückliche Einschärfung des Báb an jeden getreuen Gläubigen, folgende Worte der überlieferten Formel des adhán4) beizufügen: „Ich bezeuge, daß der, dessen Name ‘Alí-Qabl-i-Muḥammad5) ist, der Diener des Baqíyyatu’-l1áh6) ist.“

(Fortsetzung folgt.)


1) Im Deutschen meist „Dschiddah“ geschrieben.

2) Ähnlich einer Karawanserei.

3) Wörtlich: „Die sieben Qualifikationen.

4) Mohammedanischer Ruf zum Gebet.

5) Bezieht sich auf den Namen des Báb.

6) Wörtlich: „Der Überrest Gottes“, Bezieht sich auf Bahá’u’lláh.



Rasse und Religion[Bearbeiten]

Von Dr. Adelbert Mühlschlegel

Es sind drei wichtige Punkte, in denen die beiden großen Begriffe Rasse und Religion gegenwärtig in Deutschland sich überschneiden: Rassenhygiene, Rassenpolitik und rassengemäßer, arteigener Glaube. Im folgenden wird versucht, aus dem Geist des Bahá’í-Glaubens und den ihm zu Grunde liegenden Texten eine klare Stellungnahme zu diesen Problemen zu finden.

Die Rassenhygiene ist großenteils eine ärztlich-wissenschaftliche Angelegenheit. Auch die Entscheidung, welche Krankheiten und Krankheitsanlagen vererbt werden, muß sich in erster Linie auf die wissenschaftlichen Ergebnisse stützen. Der von kirchlicher Seite häufig angegriffene, jetzt gesetzlich verankerte Grundsatz, daß der Staat ein Recht hat, die Fortpflanzung solcher Belasteter durch Sterilisation zu verhindern, widerspricht nicht dem Bahá’í-Glauben. Es gleicht dies im wesentlichen dem Kriegsdienst und anderen schweren Eingriffen der Allgemeinheit in das Privatleben des Einzelnen. Hier geht der Grundsatz des Gemeinnutzes der Ordnung und der Wahl des kleineren Übels vor. Überhaupt liegt ja der Schwerpunkt des Bahá’í-Glaubens nicht so sehr in einer Stellungnahme zu den Mißständen unserer heutigen Zeit und zu den Meinungsverschiedenheiten darüber, die ja beide von einem noch unentwickelten oder verdorbenen Zustand des Menschengeschlechtes herrühren. Vielmehr will der Bahá’í-Glaube — wie jede Religion, solange sie nicht entartet ist — einen neuen, edleren, geistigeren Menschentyp entwickeln, der über diese und viele andere Fragen, wie der Erwachsene über die Nöte der Kindheit, hinausreift. Dann werden auch solche Zwangsgesetze nicht mehr nötig sein. So ist es nicht abwegig, wenn wir uns vorstellen, daß dereinst viele dieser Krankheiten verschwinden werden oder rascher heilbar sind, daß manche sich vielleicht nicht mehr in dem heutigen Maße vererben, weil bei einem geistigeren Menschentyp sich auch die körperlichen Vererbungsgesetze verschieben, daß eine Veredlung des Menschentyps mancherlei Krankheitsveranlagungen, besonders seelischer Art, nicht mehr so schlimm zur Auswirkung kommen läßt, und schließlich, daß der Mensch des Bahá’í-Zeitalters die Kraft hat, der Allgemeinheit zu Liebe das Opfer zu bringen, freiwillig auf Nachkommen zu verzichten.

Grundsätzlich ähnlich ist die Stellung des Bahá’í-Glaubens der Rassenmischung gegenüber. Freilich sind hier die wissenschaftlichen Unterlagen vorläufig noch unsicherer. Es ist ja auch leichter, die körperliche Tatsache einer [Seite 46] Krankheit und ihrer Vererbbarkeit festzustellen als darüber hinaus die verwirrende körperliche wie seelische Fülle der gesamten menschlichen Geschichte und der darin waltenden Rassengesetze zu übersehen, zu unterscheiden und zu bewerten. Man kann aus dem reichen Schatz der Geschichte fast für jede Theorie seine Beweise finden. Wie verschieden bewerten die verschiedenen Zeiten ihre Vergangenheit! Man sah je nachdem die Ursache des Untergangs von Kulturepochen in der Rassenmischung, im Klima, in der Unsittlichkeit, im Alkohol, in Seuchen, in der Gottlosigkeit, in der politischen Anarchie, in den sozialen Mißständen, in der Entwurzelung von Natur und Ackerbau, in Kriegskatastrophen usw. Wie schwer ist da Ursache und Folge zu unterscheiden! Dieser Fragenkomplex läßt sich natürlich nicht mit den Erfahrungen an Bohnenblüten, Meerschweinchen und Hunden allein bemessen. Feststehend ist wohl, daß Inzucht einerseits und Vermischung gewisser sehr artverschiedener Rassen andererseits nicht gut sind. Aber wo dazwischen liegt das Optimum? Wie verschieden beurteilt es z. B. der jeweilige Zeitgeist, ob ein Bursche ein Mädel aus seinem kleinen Gebirgsdorfe heiratet (Inzucht), oder ein Friese eine Bayerin, oder ein Norddeutscher eine Schwedin (artverwandt und politisch befreundet) oder ein Rheinländer eine Nordfranzösin (artverwandt, aber politisch feindlich) oder ein Deutscher eine Wendin (artverschieden, aber gleiche Staatsangehörige), oder ein Deutscher eine inländische Jüdin! Die Grenzen der Sprache oder der Kulturgemeinschaft oder des Staatsgebietes decken sich nicht mit denen des Blutes. Viele Völker sind etwas sehr Uneinheitliches, nicht zuletzt auch das deutsche Volk. Aber es gibt ja andererseits auch rassenformende Kräfte im Leben der Völker: hohe und feste gemeinsame Ideale, Austausch des Blutes zwischen den verschiedenen Stämmen des Volkes, Reinheit des Blutes, Reinheit der Sitten und Instinkte, Verwurzelung in der heimatlichen Natur, wo ja in geheimnisvoller Weise volkstümliche Anlagen mehr entwickelt werden als dies im Ausland oder auf dem Asphalt der Großstadt möglich ist. Die heutige Generation entwickelt bewußt und planmäßig diese rassenerhaltenden Ideale. Dies ist an und für sich gut und widerspricht einer echten Religion nicht — sowenig wie etwa die Pflege der Familienveranlagung — solange nicht etwas Vergängliches wie das Volk über das Unvergängliche, über Gott gestellt wird. Denn Völker sind nicht ewig, sondern vergänglich. Alle hohen Religionen sind aber auf den beiden Pfeilern gegründet: Einheit und Einzigkeit Gottes und Weiterleben der Seele nach dem Tode. Die Religion entwickelt die Seelen zu ihrer Vollkommenheit vor und nach dem irdischen Tode, und eines der Mittel dazu ist der Dienst am Volke. Der Bahá’í-Glaube, die letzte religiöse Offenbarung, erzieht die Menschheit der Zukunft. Für sie gelten die Prinzipien, daß die Menschheit als Einheit erlebt wird, daß die Rassenvorurteile verschwinden, daß der Weltfriede verwirklicht wird. Dies schließt gesunde Rassenpolitik, wie sie oben geschildert ist, nicht aus, aber so etwas wird nicht vollkommen sein ohne den Bahá’í-Geist. Denn das Menschheitserlebnis muß noch über dem Volkserlebnis stehen, sonst könnte die Liebe zum eigenen Volk in Vorurteil und Fanatismus anderen Völkern gegenüber ausarten. Auch in unentwickelten Völkern können ungeahnte Fähigkeiten schlummern. Der Weltfriede muß in einem Menschheitsbewußtsein begründet sein, so daß sich jedes Volk für alle anderen Völker mitverantwortlich fühlt. Der Bahá’í-Glaube setzt Rassenvermischung nicht etwa auf das Programm; diese wird mit dem Schwinden der Verkehrshindernisse sowieso immer mehr eintreten. Bei der heutigen Menschheit freilich könnte dies chaotische Zustände zur Folge haben. Aber der Bahá’í-Glaube wird die Menschheit dazu entwickeln, daß diese Gefahr bemeistert wird. Je vielfältiger eine Menschengruppe ist, eines um so stärkeren Geistes bedarf es, sie in idealer Weise zu einigen, so daß bei bester Entwicklung der einzelnen Eigenart doch alle ein Einheitsbewußtsein haben und letzthin nach den gleichen absoluten Grundsätzen leben. Nur die Religion kann dieses große Menschheitswerk vollbringen, denn sie allein ist die Quelle aller Kulturwerte. Keine der seither bestehenden Religionsformen aber ist dazu imstande, denn sie sind alle kirchlich erstarrt, konfessionell zerspalten, dogmatisch und kultisch verfälscht, politisch verbogen und durch traditionelles Beiwerk belastet. Nur der Bahá’í-Glaube ist dazu berufen, denn „er ist in seinem Ursprung göttlich, in seinen Zielen allumfassend, in seinem Ausblick weit, in seiner Methode wissenschaftlich, in seinen Grundsätzen menschendienend und von kraftvollem Einfluß auf die Herzen und Gemüter der Menschen“. Neben diesen allgemeinen Wirkungen auf Völker und Einzelmenschen durch Geist und Lehre [Seite 47] sind noch einige spezielle Angriffspunkte zu erwähnen, wodurch der Bahá’í-Glaube für die Rassenveredelung von Bedeutung ist: Das Gebot der Keuschheit außerhalb der Ehe ist, wenn es befolgt wird, nicht nur das Hauptmittel im Kampfe gegen die Geschlechtskrankheiten; es bewahrt auch dem jungen Menschen den reinen Instinkt in der Wahl des Lebensgefährten. Die Bedingung, daß die beiderseitigen Eltern mit der Ehe einverstanden sein müssen, ist ein Prüfstein für den Geist selbstloser Liebe und dient gerade bei verschiedenartigen Ehepartnern zur Förderung der Harmonie unter den verschiedenen Typen und Völkern. Das Verbot von Mönchtum und Askese begegnet der Unfruchtbarkeit von Menschen, die nicht zu den Schlechtesten gehören, und verhindert auch hoffentlich in der Zukunft jenen häßlichen Gegensatz zwischen inbrünstigem Gottsuchen und übersteigerten Vorstellungen von „Fleisch“, „Verdammnis“ und „Erbsünde“, wie er seit Paulus bald zwei Jahrtausende lang die christliche Kultur verzerrt hat. — So ist der Bahá’í-Glaube der Führer zum fernen Ziel einer neuen Menschheit durch die Verwirrungen und Probleme der nächsten Generationen hindurch.

Mit dem Vorhergesagten wurde schon die dritte Frage berührt, die gerade in Deutschland immer mehr sich zuzuspitzen scheint: Bedürfen die Völker einer arteigenen Glaubensform oder ist die Religion etwas Übernationales? Ist die Religion eine Funktion der Volksseele wie Kunst, Literatur, Sitten und Gebräuche? Oder ist die religiöse Offenbarung durch einen Gottgesandten etwas Absolutes, dem sich alle Eigenheiten der Völker unterzuordnen haben? Das deutsche Volk hat unter religiösem Hader mehr gelitten als die meisten anderen und hat nicht zu einem religiösen Frieden gefunden. In der deutschen Geschichte sind durch konfessionelle Kriege und durch den Kampf zwischen Staat und Kirche ganze Länder verwüstet worden und Millionen Menschen umgekommen. Die tieferen, wahren Ursachen dieses Übels sind noch nicht behoben. Die weltanschaulichen Gegensätze von heute haben tiefe geschichtliche und seelische Wurzeln. Das deutsche Volk hat die Sehnsucht und das heilige Recht, heute endlich auch diese Fragen zu lösen. Es sind gegenwärtig etwa sechs Lager zu unterscheiden. In jedem derselben sind neben den üblichen Fanatikern, Schmarotzern, Mitläufern und Überläufern reine Seelen und bedeutende Köpfe zu finden, die aus ehrlicher Verantwortung und Überzeugung ihre Anschauung vertreten. Da ist zunächst die katholische Kirche, ein im Laufe von bald zwei Jahrtausenden abgewandeltes und politisiertes Christentum, noch immer das mächtigste geistige Bollwerk des Abendlandes, dem deutschen Wesen artfremd und bei allem sonstigen Segen oft auch schon unheilvoll. Sodann die evangelische Kirche, zwar der deutschen Seele näher, aber doch nur ein unvollkommener Versuch der Menschen, aus dem kirchlich entstellten Christentum die reine Lehre herauszuschälen. Der völkische Flügel dieser Front, die „Deutschen Christen“, erleben in der Gestalt Christi einen lichten Gegensatz zu Juda und Rom. Sie anerkennen in ihm noch eine absolute und einzigartige Autorität als Gottesoffenbarer, wogegen der „Deutschen Glaubensbewegung“ Christus kein Gottessohn mehr ist, sondern ein religiöser Genius neben anderen, dem der deutsche Mensch nicht in besonderem Maße verpflichtet ist; für sie sind die vorchristlichen wie christlichen Schriften und Werke deutscher und artverwandter Religiosität von maßgebender Bedeutung und aus der reichen Fülle religiöser Führer und Schriften wählt sie aus, was der deutschen Seele wesensverwandt erscheint. Hier reihen sich dann noch die vielen kleineren Gruppen an, welche eine neue deutsche Glaubensform vorwiegend in vorchristlich altdeutschem Geiste suchen. Manche von ihnen sehen in Christus nicht mehr einen Propheten, sondern nur eben einen Juden, der altes arisches Weisheitsgut vermittelt oder gar verfälscht hat. Abseits von allen diesen steht schließlich die Schar von Freidenkern und Atheisten, deren Anschauungen hauptsächlich aus dem naturwissenschaftlichen und marxistischen Materialismus wachsen.

In diesem Weltanschauungskampfe spielt also die Frage der Arteigenheit des Glaubens eine besondere Rolle. Abgesehen von den beiden Flügelgruppen in der hier angeführten Reihe bemühen sich alle mehr oder weniger um einen arteigenen Glauben. Eine tiefe Sehnsucht, eine jahrhundertelange Tragik spricht daraus. In der zweitwichtigsten Frage aber, in der Beurteilung der Gestalt Christi, gehen sie alle entscheidend auseinander. Das ist eine Probe und ernste Mahnung dafür, daß man zu einer Lösung dieser Probleme nicht gelangt, wenn man an der Tradition festhält oder von ihr ausgeht, noch wenn man sich ohne absolute Richtschnur allein nach der Stimme des Blutes in der oft betonten [Seite 48] nordischen inneren Freiheit seinen Weg durch das Dickicht der Überlieferungen und Meinungen sucht. Es wird gerade vom neuen Deutschland dieser Typ des nordischen Menschen herausgestellt, der äußerlich diszipliniert und volksgebunden, innerlich frei und nur seinem Gott verantwortlich sein Leben meistert. Wenngleich die daraus abgeleitete scharfe Trennung der Belange von Religion und Politik richtig ist und einem Grundsatz des Bahá’í-Glaubens entspricht, so ist doch eine solche Spaltung des Menschen zwischen außen und innen ein Irrtum. Auch in der geistigen Welt gibt es ebenso wie in der Welt des Staates Absolutes und Bedingtes, Führer und Gefolgschaft, Befehlen und freiwilliges Gehorchen, Pflichten für sich und für die andern. Und wer beides erkennt und lebt, der ist der wahre deutsche Mensch. Nehmen wir also Gott als das letzthin einzige Absolute, so ist unsere Entwicklung in erster Linie davon abhängig, daß wir unser ganzes Wesen zu diesem Gott in Beziehung setzen, ihn zu ergründen suchen, uns ihm hingeben, ihm vertrauen, ihn lieben. Jeder sucht und erlebt dies nach seiner Art und Fähigkeit. Aber auch die Lebensalter, die Geschlechter, die Volksschichten, die Völker, die Zeitalter und Kulturepochen erleben ihn jeweils verschieden. Daß sich jedoch diese Verschiedenheit zu religiösen Streitigkeiten, Verfolgungen und Kriegen verschärfte, ist Menschenwerk, liegt nicht im Wesen der Religion und widerspricht einem der wichtigsten Bahá’í-Prinzipien. Aber die Heilung dieser Zustände kommt nicht dadurch zu Stande, daß man eine dieser aufgezählten Kategorien, die der Völker, herausgreift und nach ihren Bedürfnissen Glaubensformen schafft. Vielmehr sollten wir nie vergessen, daß der unfaßbare Gott für unsere menschliche Fassungskraft sich nirgends so unmittelbar und vollkommen offenbart wie in Wort und Geist der vollkommensten Menschen, der Gottgesandten, der „Manifestationen“. „Gott, einzig und allein, wohnt an Seinem eigenen Ort, welcher über Raum und Zeit, Erwähnung und Äußerung, Zeichen, Beschreibung und Erklärung, Höhe und Tiefe heilig ist“ (Bahá’u’lláh). „Die Quelle alles Wissens ist die Erkenntnis Gottes. Erhaben ist Sein Ruhm. Und diese Erkenntnis kann auf keine andere Weise erlangt werden als durch die Erkenntnis Seiner göttlichen Manifestation“ (Bahá’u’lláh). Daraus folgt, daß für den Einzelnen sowohl wie für die Völker der richtige Weg der ist, sich mit diesen Gottgesandten auseinanderzusetzen, sie anzuerkennen und nach ihrer Lehre zu leben. Nun ist dies sehr erschwert, ja teilweise unmöglich gemacht, dadurch, daß diese großen Propheten dereinst zu anderen, vergangenen Kulturepochen geredet und Worte und Gebote deren Bedürfnissen und Fassungskraft angepaßt haben, zudem auch dadurch, daß ihre Spuren durch menschliches Beiwerk arg entstellt worden sind. So mußte immer wieder ein neuer Prophet auftreten und ohne wesentlichen Widerspruch zu den früheren Offenbarern die eine Wahrheit in neuer Form wiedergeben. Zuletzt, vor wenigen Jahrzehnten, ist Bahá’u’lláh über diese Erde gegangen. Er kam für die ganze Menschheit als Erfüller der Verheißungen der vorangegangenen Gottgesandten. Er hat die eine Wahrheit in das dem heutigen Menschen gemäße Gewand gekleidet, Seine Lehre ist nicht kirchlich verfälscht. Darum kann er für jeden Menschen, für jedes Volk der Weg und das Leben sein. So auch für Deutschland in seiner Glaubensnot: Den Christen nimmt er ihren Christus nicht; er schenkt ihn ihnen vielmehr neu und hilft, ihn von Kult und Dogma zu scheiden. Die Nichtchristen der verschiedenen Lager aber, wofern sie ehrlich und ohne Vorurteile ihm nahen, finden in Bahá’u’lláh einen geistigen Führer, der sie zur Lösung ihrer Fragen und Nöte leitet, ohne daß sie dabei ihre Freiheit anders opfern werden, als wie eben ein treuer Gefolgsmann dies tut, wenn er sich freiwillig einem Führer anschließt.

So wird die deutsche Volksseele aus religiöser Zerrissenheit zur Einheit finden und dereinst auf unsere heutige Glaubensnot wie auf einen trüben Winter zurückschauen, wenn sie in diesem neuen geistigen Erleben sich entfalten und der Menschheit noch ungeahnte Blüten und Früchte schenken wird.



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Bahá’u’lláh

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Buch der Gewißheit oder Kitábu’l-Iqán. Eine Auseinandersetzung mit theologischen Fragen verschiedener Religionen, geschrieben in Bagdad um 1862. Ist fortsetzungsweise in den beiden Jahrgängen X und XI unserer Zeitschrift „Sonne der Wahrheit“ enthalten.

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Bahá’u’lláh und das neue Zeitalter. ein Lehrbuch von Dr. J. E. Esslemont. Ganzleinen 2.50

'Abdu'l-Bahá Abbas’ Leben und Lehren, von Myron H. Phelps. . . . . .gebunden 2.--

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Am Morgen einer neuen Zeit. Untersuchung der geistigen Ursachen der Weltkrise und Beleuchtung der letzthin einzigen Möglichkeit ihrer Überwindung durch die Bahá’i-Lehre. Von Dr. Hermann Großmann . . . . . kart. 1.80

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Lebensgestaltung. Das Leben und ich. Das Leben und mein Nächster. Das Leben und Gott. Kursberichte der Eßlinger Bahá’í-Sommerwoche 1933 . . . -.30

Die Bahá’i-Weltanschauung. Eine kurze Einführung. Von Pauline Hartmann . . . . —.20

Das Hinscheiden 'Abdu'l-Bahás ("The Passing of 'Abdu'l-Bahá") . . . -.30

Sonne der Wahrheit. Bahá'i-Monatszeitschrift.

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Jahrgang X - XIV gebunden je 6.--