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Die Bahá’í-Lehre,[Bearbeiten]
die Lehre Bahá’u’lláhs erkennt in der Religion die höchste und reinste Quelle allen sittlichen Lebens.
Die Ausdrucksformen des religiösen Lebens des Einzelnen, ganzer Völker und Kulturkreise haben im Laufe der Geschichte entsprechend den jeweils anderen Verhältnissen und dem Wachstum des menschlichen Erkenntnisvermögens Wandlungen erfahren. Die äußeren Gesetze und Gebote aller Weltreligionen entsprachen immer den entwicklungsgeschichtlich gegebenen Erfordernissen in bezug auf den Einzelnen, die soziale Ordnung und das Verhältnis zwischen den Völkern. Alle Religionen beruhen aber auf einer gemeinsamen, geistigen Grundlage. „Diese Grundlage muß notwendigerweise die Wahrheit sein und kann nur eine Einheit, nicht eine Mehrheit bilden.“ ('Abdu'l-Bahá.) „Die Sonne der Wahrheit ist das Wort Gottes, von dem die Erziehung der Menschen im Reich der Gedanken abhängig ist.“ (Bahá’u’lláh.) Alle großen Religionsstifter waren Verkünder des Wortes Gottes entsprechend der Fassungskraft und Entwicklungsstufe der Menschen. Das Wesen der Religion liegt darin, im Bewußtwerden der Abhängigkeit des Menschen von der Wirklichkeit Gottes Seine Offenbarer anzuerkennen und nach Seinen durch sie übermittelten Geboten zu leben.
Die Bahá’i-Lehre bestätigt und vertieft den unverfälschten und unwandelbaren Sinn und Gehalt aller Religionen von neuem und zeigt darüber hinaus die kommende Weltordnung auf, welche die geistige Einheit der Menschheit zur Voraussetzung haben wird. Die in ihr zum Ausdruck kommende Weltanschauung steht mit den Errungenschaften der Wissenschaft ausdrücklich in Einklang.
Die Lehre Bahá’u’lláhs enthält geistige Grundsätze und Richtlinien für eine harmonische Gesellschafts-, Staats- und Wirtschaftsordnung. Sie beruhen auf dem Gedanken der natürlich gewachsenen, organischen Einheit jedes Volkes und der das Völkische übergreifenden geistigen Einheit der Menschheit. Den Interessen der Volksgemeinschaft sind die Sonderinteressen des Einzelnen unterzuordnen, denn nur die Gesamtwohlfahrt verbürgt auch das Wohl des Einzelnen.
Wie jede Religion, so wendet sich auch die Bahá’i-Lehre an die Herzensgesinnung des Menschen, um die religiösen Kräfte in den Dienst wahren Menschentums zu stellen. Sie erstrebt die Höherentwicklung der Menschheit mehr durch die Selbsterziehung des Einzelnen als durch äußerlich-organisatorische Maßnahmen. Der Bahá’i hat sich daher über seine ernst aufgefaßten staatsbürgerlichen Pflichten hinaus nicht in die Politik einzumischen, sondern sich zum Träger der Ordnung und des Friedens im menschlichen Gemeinschaftsleben zu erheben. Bahá’u’lláhs Worte sind: „Es ist euch zur Pflicht gemacht, euch allen gerechten Regenten ergeben zu zeigen und jedem gerechten König eure Treue zu beweisen. Dienet den Herrschern der Welt mit der höchsten Wahrhaftigkeit und Treue. Zeiget ihnen Gehorsam und seid ihre wohlwollenden Freunde. Mischt euch nicht ohne ihre Erlaubnis und Zulassung in politische Dinge ein, denn Untreue gegenüber dem Herrscher ist Untreue gegenüber Gott selbst.“
Bahá’u’lláh weist den Weg zu einer befriedeten, im Geiste geeinigten Menschheit. Ein alle Staaten umfassender Bund in ihrer Eigenart entwickelter und unabhängiger Völker auf der Grundlage der Gleichberechtigung, ausgestattet mit völkerrechtlichen Vollmachten und Vollstreckungsgewalten gegenüber Friedensstörern, soll die übernationalen Interessen aller Völker der Erde in völliger Unparteilichkeit und höchster Verantwortung wahrnehmen. Zwischenstaatliche Konflikte sind durch einen von allen Staaten beschickten Weltschiedsgerichtshof auf friedlichem Wege beizulegen.
Die geistige Wesensgleichheit aller Menschen und Völker erheischt einen organischen Aufbau der sozialen Weltordnung, in der jedem seine einzigartige, besondere Eingliederung und Aufgabe zugewiesen ist. Die geographischen, biologischen und geschichtlichen Gegebenheiten bedürfen im Gemeinschaftsleben der Völker immer einer besonderen Beachtung, ohne die sie umschließende Einheit im Reiche des Geistes aus den Augen zu verlieren.
Die Lehre Bahá’u’lláhs „ist in ihrem Ursprung göttlich, in ihren Zielen allumfassend, in ihrem Ausblick weit, in ihrer Methode wissenschaftlich, in ihren Grundsätzen menschendienend und von kraftvollem Einfluß auf die Herzen und Gemüter der Menschen“.
SONNE DER WAHRHEIT Organ der Bahá’í in Deutschland und Österreich Verantwortlich für die Herausgabe: Dr. Eugen Schmidt, Stuttgart-W, Reinsburgerstraße 198 Schriftleitung: Dr. Adelbert Mühlschlegel, Dr. Eugen Schmidt, Alice Schwarz-Solivo Verwaltung: Paul Gollmer • Begründet von Alice Schwarz-Solivo Preis vierteljährlich 1.80 Reichsmark, im Ausland 2.– Reichsmark |
Heft 2 | Stuttgart, im April 1935 Jalál — Ruhm 92 |
15. Jahrgang |
Inhalt: Nabíl’s Erzählung: Bahá’u’lláh’s Reise nach Mázindarán (Schluß). — Göttliche Lebenskunst. — Gott in uns. — 13. Bahá’i-Nationaltagung am 27. und 28. April in Stuttgart.
Die Göttlichen Propheten sind wie das Kommen des Frühlings, indem jeder die Lehren des ihm vorausgegangenen Propheten erneuert und neu belebt. Gerade so wie alle Frühlingszeiten durch das neue Leben, die Regenfülle und Schönheit in Wirklichkeit eins sind, so ist das Wesen der Sendung und Erfüllung aller Propheten eines und dasselbe. Heute haben die Anhänger der Religion den Blick für die wesentliche Wirklichkeit der geistigen Frühlingszeit verloren . ... Seine Heiligkeit Bahá’u’lláh kam, um das Leben der Welt mit diesem neuen und göttlichen Frühling zu erneuern... Der geistige Frühling ist gekommen. Unendliche Güte und Gnade sind sichtbar geworden. Was für eine Gabe ist größer als diese?*)
’Abdu’l-Bahá
*) Entnommen und übersetzt aus „The Bahá’í Magazine“,
Band 25, März 1935, Nr. 12, S. 370.
Nabíl’s Erzählung[Bearbeiten]
Übersetzung aus „The Dawn-Breakers“, Nabíl’s Narrative of the early days of the Bahá’í Revelation, New York 1932
5. Kapitel: Bahá’u’lláh’s Reise nach Mázindarán (Schluß)
Eines Tages sah Bahá’u’lláh in Begleitung Seiner Freunde auf einem Seiner Reitausflüge in
das Land einen einsamen jungen Menschen am Wegrand sitzen. Sein Haar war aufgelöst und er
trug das Gewand eines Derwisch. An einem Bach hatte er ein Feuer angezündet, bereitete seine
Speise zu und aß sie. Sich ihm nähernd, frug Bahá’u’lláh ihn überaus gütig: „Sage Mir, Derwisch,
was tust Du hier?“ „Ich bin dabei, Gott zu essen“, erwiderte er stumpf. „Ich koche Gott
und verbrenne Ihn.“ Die natürliche Einfachheit seines Benehmens und die Aufrichtigkeit seiner
Antwort gefielen Bahá’u’lláh außerordentlich. Er lächelte über seine Bemerkung und begann,
sich mit ihm ungezwungen herzlich und freimütig zu unterhalten. In kurzer Zeit hatte Bahá’u’lláh
ihn völlig gewandelt. Über das wahre Wesen Gottes aufgeklärt und mit einem von der
eitlen Vorstellung seines eigenen Volkes befreiten Geist, erkannte er das Licht sofort, welches
jener freundliche Fremde ihm so unvermutet gebracht hatte. Dieser Derwisch, dessen Name
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Muṣṭafá war, wurde von den Lehren so begeistert, die seinem Gemüte eingeprägt worden
waren, daß er, seine Kochgeräte zurücklassend, sich geradeswegs erhob und Bahá’u’lláh folgte.
Zu Fuß hinter Seinem Pferd und von dem Feuer Seiner Liebe entflammt, sang er fröhlich Verse
eines Liebesliedes, welches er unter dem Eindruck des ersten Augenblicks komponiert und
seinem Geliebten gewidmet hatte, „Du bist der Morgenstern der Führung“, lautete sein froher
Kehrreim. „Du bist das Licht der Wahrheit. Enthülle Dich selbst den Menschen, o Offenbarer der
Wahrheit!“ Obgleich dieses Gedicht in späteren Jahren unter seinem Volke weite Verbreitung
fand und es bekannt wurde, daß es ein gewisser Derwisch, mit dem Beinamen Majdhúb und
dem eigentlichen Namen Muṣṭafá Big’i-Sanandaji, ohne Vorbereitung zum Preise seines Geliebten
verfaßt hatte, so schien keiner gewahr zu werden, auf wen es wirklich sich bezog, noch ahnte
irgend jemand zu einer Zeit, als Bahá’u’lláh vor den Augen der Menschen noch verborgen war,
daß dieser Derwisch allein Seine Stufe erkannt und Seine Herrlichkeit entdeckt hatte.
Bahá’u’lláh’s Besuch in Núr hatte die weitestreichenden Erfolge erzielt und der Ausbreitung der neugeborenen Offenbarung einen bemerkenswerten Antrieb gegeben. Durch Seine anziehende Beredsamkeit, die Reinheit Seines Lebens, die Würde Seiner Haltung, die unwiderlegbare Logik Seiner Darlegung und durch die vielen Beweise Seiner Herzensgüte hatte Bahá’u’lláh die Herzen der Bevölkerung von Núr gewonnen, ihre Seelen bewegt und sie unter der Fahne des Glaubens zusammengeführt. Derartig war die Wirkung Seiner Worte und Taten, daß, wenn Er umherzog, die Lehre zu verkünden und ihre Herrlichkeit Seinen Landsleuten in Núr zu offenbaren, sogar die Steine und Bäume jener Gegend durch die Wogen der Geistesmacht, die von Seiner Person ausstrahlten, belebt zu sein schienen. Alle Dinge schienen mit einem neuen und reicheren Leben beschenkt zu sein, alle Dinge schienen laut auszurufen: „Siehe, die Schönheit Gottes ist offenbart worden! Erhebe dich, denn Er ist gekommen in all Seiner Herrlichkeit.“ Als Bahá’u’lláh aus ihrer Mitte gegangen war, setzten die Einwohner von Núr die Verbreitung der Sache und die Festigung ihrer Grundlagen fort. Eine Anzahl von ihnen erduldeten schwerstes Mißgeschick um Seinetwillen; andere tranken auf Seinem Pfade mit Freude den Becher des Märtyrertums aus. Mázindarán im allgemeinen und Núr im besonderen waren auf diese Weise gegenüber anderen Provinzen und Distrikten Persiens ausgezeichnet, indem sie zuerst eifrig die Göttliche Botschaft annahmen. Der Distrikt Núr, das wörtlich „Licht“ bedeutet, welcher in das Gebirge Mázindarán’s eingebettet liegt, war der erste, auf welchen die Strahlen der Sonne fallen sollten, die in Shíráz aufgegangen war, der erste, um dem übrigen Persien, welches noch in den Schatten des Tales der Nachlässigkeit eingehüllt war, zu verkünden, daß der Morgenstern der himmlischen Führung endlich aufgegangen ist, um das ganze Land zu erwärmen und zu erleuchten.
Als Bahá’u’lláh noch ein Kind war, träumte der Vazir, Sein Vater, einen Traum. Bahá’u’lláh erschien ihm in einem weiten, endlosen Ozean schwimmend. Sein Körper strahlte in einem Lichterglanz über dem Wasser, welcher die See erleuchtete. Rings um Sein Haupt, das deutlich über dem Wasser zu sehen war, leuchteten nach allen Richtungen Seine langen, tiefschwarzen Locken, die in großer Fülle über den Wellen schwebten. Als er träumte, sammelte sich eine Unmenge Fische um Ihn herum, wobei sich jeder an dem Ende eines Haares festhielt. Bestrickt über den Glanz Seines Angesichtes, folgten sie Ihm, in welcher Richtung Er auch schwamm. So groß auch ihre Zahl war, und obgleich sie sich fest an Seine Locken anklammerten, schien doch nicht ein einziges Haar von Seinem Haupte losgerissen noch der geringste Schaden Seiner Person zugefügt zu werden. Frei und unbehindert bewegte er sich über dem Wasser, und sie alle folgten Ihm.
Der Vazír, durch diesen Traum stark beeindruckt, ließ einen in dieser Gegend berühmten
Wahrsager zu sich kommen und bat ihn, den Traum für ihn auszulegen. Dieser Mann erklärte,
wie durch eine Vorahnung des künftigen Ruhmes Bahá’u’lláh’s inspiriert: „Der endlose
Ozean, den du in deinem Traum gesehen hast, o Vazir, ist nichts anderes als die Welt des
Daseins. Ohne Hilfe und allein wird dein Sohn über sie stärksten Einfluß gewinnen. Wohin
immer Er Seine Schritte lenken mag, Er wird unbehindert vorwärtsschreiten. Niemand wird
Seinen Marsch aufhalten, niemand wird Seinen Fortschritt hemmen. Die Unmenge Fische
bedeutet die Unruhe, welche Er unter den Menschen und Verwandten der Erde hervorrufen
wird. Um Ihn herum werden sie sich versammeln und an Ihn werden sie sich hängen. Des
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unfehlbaren Schutzes des Allmächtigen sicher, wird dieser Aufruhr Seiner Person niemals
Schaden bringen, noch wird Seine Einsamkeit auf der See des Lebens Seine Sicherheit
gefährden.“
Dieser Wahrsager war betroffen, als er daraufhin Bahá’u’lláh sah. Er schaute lange in Sein Angesicht und prüfte sorgfältig Seine Gesichtszüge. Er war von Seiner Erscheinung entzückt und lobte jeden Zug Seines Gesichtes. Jeder Ausdruck in diesem Angesicht enthüllte seinen Augen ein Zeichen Seiner verborgenen Herrlichkeit. Seine Bewunderung war so groß und sein Lob für Bahá’u’lláh so überfließend, daß der Vazír seit jenem Tage seinem Sohn noch tiefer ergeben wurde. Die von diesem Wahrsager ausgesprochenen Worte dienten dazu, seine Hoffnung und sein Vertrauen in Ihn zu stärken. Wie Jakob wünschte er nur, sich für die Wohlfahrt seines geliebten Joseph zu verbürgen und Ihn mit seinem liebevollen Schutze zu umgeben.
Obwohl Bahá’u’lláh’s Vater völlig entfremdet, erwies Ḥájí Mírzá Áqásí, der Groß-Vazír des Muḥammad Sháh, seinem Sohn jedes Zeichen der Achtung und Gunst. So groß war die Hochachtung, welche der Ḥájí ihm zollte, daß Mírzá Áqá Khán-i-Núrí, der I'timádu’d-Dawlih, welcher später Ḥájí Mírzá Áqásí nachfolgte, mißgünstig wurde. Er nahm die Überlegenheit über ihn, welche Bahá’u’lláh als einem gänzlich jungen Mann zugestanden wurde, übel auf. Die Saat der Eifersucht war seit dieser Zeit in seine Brust eingepflanzt. Obgleich noch ein junger Mensch und während sein Vater noch lebte, glaubte er, es werde ihm in der Gegenwart des Groß-Vazír der Vorrang gegeben. Was wird mir geschehen, frage ich mich, wenn dieser junge Mann seinem Vater nachgefolgt sein wird?
Nach dem Tode des Vazír bewies Ḥájí Mírzá Áqásí auch weiterhin Bahá’u’lláh die höchste
Achtung. Er pflegte Ihn in Seinem Hause zu besuchen und Worte an Ihn zu richten, als ob Er
sein eigener Sohn wäre. Die Aufrichtigkeit seiner Ergebenheit wurde jedoch sehr bald auf die
Probe gestellt. Eines Tages, als er durch das Dorf Qúch-Hisár kam, welches Bahá’u’lláh
gehörte, wurde er von dem Reiz und der Schönheit dieses Platzes und dem Reichtum seines
Wassers so sehr beeindruckt, daß in ihm der Gedanke aufkam, davon Eigentümer zu werden.
Bahá’u’lláh, den er aufforderte, den augenblicklichen Kaufpreis dieses Dorfes anzugeben,
bemerkte: „Wäre dieser Besitz ausschließlich mein eigen, hätte ich gerne deinem Wunsche
entsprochen. Dieses vergängliche Leben mit all seinen niedrigen Besitztümern ist in meinen
Augen keiner Anhänglichkeit würdig, wieviel weniger dieser kleine und unbedeutende Landbesitz.
Da eine Anzahl anderer Leute, sowohl reiche als auch arme, Volljährige und noch Minderjährige,
mit mir das Eigentum an diesem Besitz teilen, möchte ich dich bitten, dich in dieser Sache an
sie zu wenden und um ihre Einwilligung nachzusuchen.“ Mit dieser Antwort unzufrieden,
suchte Ḥájí Mírzá Áqásí mit betrügerischen Mitteln sein Ziel zu erreichen. Sobald als
Bahá’u’lláh von seinen üblen Absichten unterrichtet wurde, übertrug Er mit der Zustimmung aller
Beteiligten das Eigentumsrecht sofort auf den Namen der Schwester Muhammad Sháh’s, welche
bereits wiederholt ihren Wunsch zum Ausdruck brachte, seine Eigentümerin zu werden. Der
Ḥájí , über diese Maßnahme in Wut geraten, ordnete an, von dem Land gewaltsam Besitz zu
ergreifen, wobei er behauptete, daß er es bereits von seinem ursprünglichen Besitzer gekauft
hätte. Die Vertreter von Ḥájí Mírzá Áqásí wurden durch die Agenten der Schwester des Sháh
streng zurechtgewiesen und ersucht, ihren Herrn von dem Entschluß dieser Frau, ihre Rechte
geltend zu machen, zu unterrichten. Der Ḥájí brachte diesen Fall vor Muhammad Sháh und
beklagte sich über die ungerechte Behandlung, die ihm widerfahren war. An dem gleichen
Abend hatte die Schwester des Sháh diesen mit der Natur der Maßnahme bekannt gemacht. Sie
sagte zu ihrem Bruder: „Oft hat deine Kaiserliche Majestät den Wunsch ausgesprochen, daß
ich über die Juwelen verfügen sollte, mit welchen ich mich in deiner Gegenwart zu schmücken
gewohnt bin, um mit deren Ertrag irgend ein Besitztum zu erwerben. Es ist mir nunmehr
gelungen, deinen Wunsch zu erfüllen. Ḥájí Mírzá Áqásí ist jedoch jetzt fest entschlossen, es mir
gewaltsam zu entreißen.“ Der Sháh beruhigte seine Schwester wieder und befahl dem Ḥájí ,
auf seinen Anspruch zu verzichten. Der Letztere ließ in seiner Verzweiflung Bahá’u’lláh zu sich
kommen und versuchte mit allen Künsten Seinen Namen zu verunglimpfen. Die Beschwerden,
die er gegen Ihn vorbrachte, erwiderte Bahá’u’lláh mit entschiedenen Worten und erbrachte
dabei mit Erfolg den Nachweis Seiner Schuldlosigkeit. In seiner ohnmächtigen Wut rief der
Groß-Vazír aus: „Was soll all diese Schwelgerei und üppige Lebensweise, an der du dich zu
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ergötzen scheinst? Ich, der ich der erste Minister des Sháhansháh von Persien
bin, empfing niemals die Zahl und Auswahl an Gästen, die sich jeden Abend um deine Tafel drängen.
Warum all diese Verschwendung und Ruhmsucht? Du sinnst sicher auf einen Anschlag gegen mich.“
„Gnädiger Gott!“ rief Bahá’u’lláh aus. „Soll der Mann, welcher aus dem Reichtum seines Herzens
sein Brot mit seinen Mitmenschen teilt, bezichtigt werden, verbrecherische Absichten zu hegen?“
Ḥájí Mírzá Áqásí war äußerst bestürzt. Er wagte nicht zu erwidern. Obgleich von den
verbündeten kirchlichen und zivilen Mächten Persiens unterstützt, fand er sich schließlich bei
jedem Streit, den er gegen Bahá’u’lláh zu führen sich erdreistete, völlig geschlagen.
Bei einer Anzahl anderer Vorfälle wurde Bahá’u’lláh’s Überlegenheit über seine Gegner in gleicher Weise gerechtfertigt und anerkannt. Diese ihm gelungenen persönlichen Triumphe trugen dazu bei, Seine Stellung zu erhöhen und Seinen Ruhm weit zu verbreiten. Alle Volksschichten staunten über Seinen rätselhaften Erfolg, ohne Schaden aus den gefahrvollsten Kämpfen hervorzugehen. Nichts anderes als Göttlicher Schutz, dachten sie, konnte bei solchen Gelegenheiten Seine Unversehrtheit bewahren. Nicht einmal unterwarf sich Bahá’u’lláh, obgleich Er den schwersten Gefahren ausgesetzt war, der Vermessenheit, dem Geiz und dem Verrat Seiner Umgebung. In Seiner Verbindung während dieser Tage mit den höchsten Würdenträgern des Reiches, ob geistlichen oder staatlichen Beamten, begnügte Er sich niemals einfach damit, den von ihnen geäußerten Ansichten oder geltend gemachten Ansprüchen beizustimmen. Er pflegte in ihren Versammlungen unerschrocken für die Sache der Wahrheit einzutreten, sich für die Rechte des Unterdrückten einzusetzen, den Schwachen zu verteidigen und den Schuldlosen zu schützen.
(Fortsetzung folgt.)
Göttliche Lebenskunst[Bearbeiten]
Aus den Schriften ‘Abdu’l-Bahá's (Fortsetzung)
Zusammengestellt von Mary M. Rabb (New York, Brentanos Publishers)
Übersetzung aus dem Englischen
8. Kapitel: Geistige Heilung
Heilung kommt von Gott. Nur wenn die himmlische Segnung auf uns ruht während der
Heilung, können wir in Wahrheit geheilt werden.
Alles ist von Gott abhängig. Arznei ist nur eine äußere Form oder ein Mittel, durch das wir himmlische Heilung erlangen können. Ohne die himmlische Segnung ist sie nichts wert. Wenn der Mensch die Natur betrachtet, in der er lebt, so wird er finden, daß alle erschaffenen Dinge einer bestimmten Abhängigkeit unterworfen sind, d. h. das Leben des Menschen ist von der Luft abhängig, die er einatmet, ebenso das der Tiere, die auf der Erde leben, und gleicherweise ist das Leben eines jeden Geschöpfes von bestimmten materiellen Bedingungen abhängig. Der Mensch ist darum, wie alle Geschöpfe, ein Gefangener der Natur. Die Sonne ist ihrem Gesetz untertan, die Erde muß ihrem Bewegungsgesetz folgen, und ebenso das Meer. Aber durch die geistige Kraft Gottes, welche Er, in Seiner Güte, allein dem Menschen verliehen hat, wurde der Mensch befähigt, die Naturgesetze in mancherlei und wunderbarer Weise zu überschreiten. Es ist Naturgesetz, daß der Mensch auf der Erde gehe; er aber überwindet dieses Gesetz, denn er kann über das Wasser reisen und wie ein Vogel durch die Luft fliegen.
Durch die wunderbare Geistesmacht, die Gott dem Menschen gibt, ist er befähigt, das Königreich zu erreichen. Aber siehe! Der Mensch ist nicht dankbar und achtet nicht der großen Gnade, welche Gott ihm erwiesen hat.
O Dienerin Gottes, es gibt zweierlei Arten von Krankheiten, geistige und körperliche.
Körperliche Krankheiten können durch Medizin und Extrakte aus Sträuchern und Kräutern geheilt
werden. Krankheiten, welche durch Gemütserregungen verursacht wurden, können durch die
Macht des menschlichen Geistes geheilt werden. Aber die Macht des göttlichen Geistes herrscht
über alle körperlichen Leiden und über die des Gemüts. Wenn der Geist des Menschen bestätigt
und unterstützt wird von den Bestätigungen des Heiligen Geistes, dann werden seine Wirkungen
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allüberall in der Welt des Daseins sichtbar werden.
Was die geistige Heilung betrifft, so kann sie auch eine Wirkung haben, denn gewisse Strahlungen können zwischen den Herzen aus der Konzentrationskraft entstehen. Aus dieser Konzentrationskraft können Wirkungen gewonnen werden, und Heilung oder Erleichterung kann aus solchen Wirkungen entstehen.
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Es besteht eine Verbindung zwischen materiellen und geistigen Dingen. Je gesünder der Körper des Menschen, desto größer wird die Kraft des Menschengeistes sein; die Kraft des Intellekts, die Kraft des Gedächtnisses, die Kraft der Überlegung wird größer sein, wenn der Mensch gesund ist.
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Ich hoffe, daß du wie ein aufgehendes Licht werden und geistige Gesundheit erlangen mögest; geistige Gesundheit aber führt zur Gesundheit des Körpers.
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Es gibt zweierlei Arten von Krankheiten, materielle und geistige. Zum Beispiel, wenn du dich in die Hand schneidest und betest darum, geheilt zu werden, ohne das Bluten zu stillen, so tust du nicht viel Gutes; dies benötigt ein materielles Mittel.
Manchmal, wenn das Nervensystem durch Furcht gelähmt ist, ist ein geistiges Mittel notwendig. Geistesgestörtheit, sonst unheilbar, kann durch Gebet geheilt werden. ... Es kommt oft vor, daß man durch Kummer krank wird. Diese Krankheit kann durch geistige Mittel geheilt werden.
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O Wahrheitssucher! Es gibt zwei Wege, um Krankheit zu heilen, nämlich materielle und geistige Mittel. Der erste Weg besteht in der Anwendung medizinischer Heilmittel. Der zweite besteht im Gebet zu Gott und im Sich-Ihm-Zuwenden. Beide Mittel sollten angewandt und ausgeführt werden. Wenn Krankheiten durch körperliche Dinge verursacht wurden, sollten sie mit medizinischen Heilmitteln behandelt werden. Wenn sie aber geistigen Ursachen zuzuschreiben sind, so können sie durch geistige Mittel zum Weichen gebracht werden. So wird eine Krankheit, die durch Leid, Furcht oder nervöse Eindrücke verursacht wurde, eher durch geistige als durch körperliche Behandlung zu heilen sein. Deshalb sollten beide Arten von Heilmitteln erwogen werden. Überdies widersprechen sie sich nicht, und ihr solltet die physischen Mittel als Gabe der Gnade und Gunst Gottes annehmen, der ärztliche Erkenntnis offenbar werden ließ, damit Seine Diener auch aus dieser Behandlungsart Nutzen ziehen mögen. Aber ihr sollt der geistigen Behandlungsweise dieselbe Aufmerksamkeit schenken, denn sie zeitigt wunderbare Wirkungen. Wenn du nun wissen willst, was das göttliche Heilmittel ist, das den Menschen von aller Krankheit heilen und ihm die Gesundheit des göttlichen Königreiches geben wird, so wisse, daß es die Vorschriften und Lehren Gottes sind. Bewahre sie heilig.
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O Dienerin Gottes! Die Gebete, welche als Heilungsgebete niedergeschrieben wurden, sind gleicherweise für geistige wie für materielle Heilung bestimmt. Darum singe sie, um geistige und materielle Heilung zu erbitten. Sicherlich wird die Heilung gewährt werden, wenn sie dem Besten des Kranken dient. Für manche Kranke aber wäre Heilung nur die Ursache anderer Krankheiten. Darum ist es Weisheit, welche die Erhörung mancher Gebete versagt.
O Dienerin Gottes! Die Macht des Heiligen Geistes kann beide, materielle und geistige Krankheiten, heilen.
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Es ist nicht eigentlich der Körper, welcher Schmerz und Störungen empfindet, sondern die Seele. Wenn unser Arm schmerzt, so ist die Störung im Körper, und doch ist es die Seele, welche den Schmerz fühlt und geplagt ist, nicht der Körper, obwohl die Ursache dieser Störung im Körper liegt.
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Meine geistige Gesundheit ist immer vollkommen. Ich erfreue mich einer ewigen Gesundheit
des Geistes. Ich hoffe, daß alle Menschen der Welt diese himmlische Gabe gewinnen werden.
Bete darum, daß die geistige Gesundheit der Menschheit täglich Fortschritte machen möge,
denn es gibt viele Ärzte, welche die körperlichen Leiden der Menschen behandeln, aber es gibt
sehr wenig göttliche Ärzte. In diesem Zusammenhang sagte Christus: „Fürchtet euch nicht vor
denen, welche Gewalt haben über euren Körper, sondern fürchtet euch vor denen, welche Gewalt
haben über euren Geist.“ Bemüht euch, euern Geist frei werden zu lassen, daß er auffliegen
möge zu den Höhen der Heiligkeit. Laßt ihn die mächtigen Schwingen des Fortschrittes
entfalten.
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Oft bringt körperliche Krankheit den Menschen seinem Schöpfer näher und bewirkt, daß sein
Herz sich loslöse von allen weltlichen Wünschen, bis es empfindsam und mitfühlend wird gegen
alle Leidenden, und mitleidig gegen alle Geschöpfe. Wenn der Mensch auch zeitweilig durch
Krankheiten zu leiden hat, so wird sein Geist von ihnen doch nicht wirklich berührt. Nein, im
Gegenteil, sie tragen bei zur Erreichung des göttlichen Ziels; d. h. geistige Empfänglichkeiten
werden oft in den Herzen durch Krankheiten erweckt werden.
(Fortsetzung folgt.)
Gott in uns[Bearbeiten]
Von Emil Jörn
Jesus sagt, Gott ist Geist, und die Ihn anbeten wollen, müssen wissen, was Geist ist. Er
sagt ferner, daß der Vater, also der Geist, in Ihm wohne. Auch bei Paulus heißt
es häufig, daß Gott in den Herzen der Gläubigen wohne. Und Bahá’u’lláh sagt in den „Verborgenen
Worten“: „Dein Herz ist Meine Wohnstätte, heilige sie für Mein Kommen.“ Und vorher: „Der Tempel
des Seins ist Mein Tabernakel. Mache ihn rein von allen Dingen, damit Ich in ihm wohne
und Meinen Thron in ihm errichten kann.“ Der Geist Gottes, Gott selbst, will wohnen in unseren
Herzen, das heißt, Er will die Herrschaft haben. Er, den wir Herr nennen, will auch in
Tat und Wahrheit der Herr sein. Oder wie Paulus sagt: „Der Friede Gottes regiere eure
Herzen.“ In den „Sieben Tälern“ von Bahá’u’lláh heißt es: „Wenn das Licht des Königs der Einheit
in Herz und Seele des Menschen einzieht, so wird Er die Glieder des Körpers alle erleuchten
und jener bekannte Vers seinen verborgenen Sinn offenbaren: „Der Gläubige nähert sich Mir
im Gebete, bis daß Ich ihm Antwort gewähre, und wenn Ich ihm Antwort gewährt habe, dann
hört er durch Mich.“ „Der Herr des Hauses erweist sich als solcher im eigenen Hause, und alle
Säulen darin leuchten und strahlen in Seinem Lichte. Des Lichtes Wirkung und Kraft kommt
vom Spender des Lichtes, darum bewegt sich alles durch Ihn und erhebt es sich nach Seinem
Befehle. Dies ist die Quelle, daraus die trinken, die nahe bei Gott sind, wie es geschrieben steht:
„Eine Quelle zum Trinken für jene, die nahe sind.“ Auf dieser Stufe wird es von dem Wanderer
heißen können: „Er wird aus dem Kelch der Vergeistigung trinken und die Offenbarung der
Einzigkeit sehen. Auf dieser Stufe zerreißt er die Schleier der Mehrfältigkeit und fliegt aus
der Welt der Leidenschaften empor zum Himmel der Einheit: Er wird mit Gottes Ohr hören und
mit Augen gleich Gottes Augen die Geheimnisse der Schöpfung des Ewigen schauen1). Er
tritt in die Zuflucht des Freundes und wird zum Begünstigten im Zelt des Geliebten. Er zieht die
Hand Gottes aus der Falte des Unumschränkten und zeigt das Geheimnis der Macht auf, doch rechnet
er es sich nicht als Verdienst an, denn er erkennt, daß seine Tugend in Gott ist.“ So beschreibt
Bahá’u’lláh selbst den Zustand des Herzens, in dem der Geist Gottes, der Heilige Geist, zur
Herrschaft gelangt ist. Und wenn wir den Mut haben, nach so erhabenen Worten noch einiges
hinzuzufügen, so kann es nur in aller Demut an der Hand dessen geschehen, der von Bahá’u’lláh
selber als Sein Erklärer bestellt ist. Ich erinnere an die Ausführungen ‘Abdu’l-Bahá’s „über die
Zustände der wahrnehmenden Seele“2). Die Erweckung aus dem Schlaf, dem natürlichen Zustand,
geschieht in der Regel durch Leid. Plötzlich, blitzartig geht ein Ruf wie aus einer andern
Welt, ein tiefaufrüttelndes, erschreckendes, heiliges Entweder-Oder durch die Seele. Entweder
du fängst jetzt mit ganz andern, allem bisherigen ganz entgegengesetzten Prinzipien an, oder
es wird dir das wahre Glück nie leuchten. Meistens ist es irgendein Gotteswort, das uns plötzlich
klar wird. Bei Ekkehart heißt es: „Es spricht der Weise: da alle Dinge mitten im tiefsten
Schweigen waren, kam von oben hernieder, vom königlichen Stuhl, an mich ein verborgenes
Wort.“ Freilich hat das Wirken Gottes in uns schon viel früher begonnen. „Verhüllt in Meinem
unvordenklichen Wesen und in Meinem ewigen Sein fühlte Ich Meine Liebe zu dir, deshalb
erschuf Ich dich und verlieh dir Mein Ebenbild.“ „Ich beauftragte alle Atome und das Wesen
aller erschaffenen Dinge mit deiner Erziehung, so daß, ehe du aus dem Schoße deiner
Mutter kamst, Ich für dich zwei Brünnlein,
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fließend mit heller Milch, verordnete. Ich bestimmte Augen, dich zu bewachen, und Herzen, dich zu
lieben. Aus reinem Edelmut ernährte ich dich unter dem Schatten Meiner Barmherzigkeit und
beschützte dich durch das Wesen Meiner Gnade3).“ Aber der Mensch ging in die Irre, aß
Erde statt Brot und ergab sich der fleischlichen Gesinnung wie alle anderen um ihn. Nun aber steht
infolge des Leides plötzlich die Seele auf, der Geist erwacht und mit ihm die Reue, die tiefe Reue.
„Und dies ist die erste Stufe der Entwicklung zu Gott hin. Diese Reue, dieses Streben nach
göttlichen Tugenden bilden die Mittel, durch welche das Gesicht der Erleuchtung erlangt wird4).“
Nun kann die Selbsterziehung hinzukommen zur göttlichen Erziehung. Immer dieser heiligen Führung zu
folgen, immer in allen Wechselfällen des Lebens auf die Stimme zu hören, die da richtet und rettet,
erinnert, bittet, ruft, das ist nun der Sinn und die Aufgabe. „Ich bekenne, daß Du mich
erschaffen hast, Dich zu erkennen und Dich anzubeten5).“ Zur rechten Zeit stille
sein, zur rechten Zeit tief beten und augenblicklich gehorchen können, darauf kommt auf dieser
Stufe alles an6). Wir wollen freilich immer gern bald nach der neugebildeten Weltanschauung
handeln können, wir wollen viel tun für Gott und Sein Reich und überschreiten dabei unsere
Grenzen7). Seine wirklichen Freunde aber taucht Er ganz unter im Meer Seiner heiligen
Gunst. Darum kommen bestimmte Leiden solange wieder, bis die Hyazinthen wirklicher Erkenntnisse,
die zarten Pflänzchen der Gewißheit in der heiligen Stadt des Herzens aufsprießen. „Durch
Stillesein werdet ihr stark sein.“ „Selig sind die am Geiste Armen.“ „Die „göttliche Schwachheit
ist stärker denn die Menschen sind“, sagt Paulus 1.Kor. 2, 25. Er, der in der Höhe wohnt, Er
wohnt auch „in den zerbrochenen Herzen“8) und in „Seinen Elenden”9). Es muß
zu einem förmlichen Sterben in Gott kommen, wenn das Leben in Gott
möglich werden soll. Paulus sagt öfters: Wir missen in Christus gestorben sein, damit wir mit ihm
auferstehen können10). „Zuvörderst mußt du ein Nichts werden, bevor das Feuer des Seins
in dir lohe und du angenommen werden kannst auf dem Wege der Liebe“, sagt Bahá’u’lláh in den
„Sieben Tälern“. Nichts mehr wünschen, nichts mehr erhoffen als Ihn allein, Seiner Ehre,
Seinem Namen dienen, Seinem Willen gehorchen zu können11). Noch tiefer müssen
wir schürfen:
Sogar in der Nachfolge ist oft noch Eigenliebe, Eigensucht, Ichbeziehung verborgen. O diese
stete Ichbeziehung! Wie leiden wir darunter! In unsere edelsten Entschlüsse, ja in unsere tiefste
Demut schleicht sie sich hinein, und entwertet sie. Es ist erschreckend, wie lange wir uns selbst
belügen, wie wir uns dagegen wehren, aus innerster Wahrhaftigkeit zu bekennen: Du, Du
bist der Gerechte, wir aber sind Sünder. Ja, noch mehr: Manchmal entdecken wir, wenn wir wieder
einmal mit all unserer Nachfolge zusammengebrochen sind, daß wir trotz der Bitte um Vergebung
nicht zur Ruhe und zum Frieden zurückfinden können. Auch dahinter steht fast immer
Eigenliebe, enttäuschter Ehrgeiz. Man hatte schon Gefallen an sich und glaubte, so, mit solchen
Grundsätzen und Eigenschaften könne man sich wieder sehen lassen. Wenn wir darüber genauer
nachforschen, vielleicht unter Zuhilfenahme psychoanalytischer Erkenntnisse, dann verstehen
wir, daß die hl. Manifestationen eine besondere Bezeichnung für dies wahre Selbst, das unerlöste
Ich, gefunden haben, den Ausdruck Satan, Teufel. Wir verstehen auch, daß dieses satanische
Wesen erst ganz ausgetrieben werden muß, ehe Gott Seinen Thron in uns errichten, die
Bestätigung des Geistes zu uns kommen kann. Bahá’u’lláh sagt: „Mein Wille und der Wille
eines andern sind wie Feuer und Wasser, sie können nicht in ein und demselben Herzen
beisammen sein.“ „Ihr habt Meinem Feind Einlaß in Meine Behausung gewährt, denn ihr habt die
Liebe zu einem andern als Mich in euren Herzen eingeschlossen.“ Es gehört die Arbeit eines
ganzen Lebens dazu, ehe das Ich vollständig entthront ist, ehe die Seele wirklich eingehen kann
in den Zustand, den wir Ruhe nennen. „Ehe wir eingehen können zu „Seiner Ruhe”12).
Oft kommt im Alter oder bei beginnendem Alter der natürliche Mensch mit all seinen Ansprüchen
noch einmal wieder durch wie zu einer letzten entscheidenden Prüfung. Das gibt dann oft einen
verzweifelten Kampf um die Oberherrschaft des
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Geistes. Alles muß sozusagen noch einmal errungen werden — in einem tieferen, aufrichtigeren
Sinn: Die Prinzipien der Reinheit, der Güte und Liebe, ja, der Wahrhaftigkeit und
Ehrlichkeit — der vollen Wahrhaftigkeit und Ehrlichkeit — ach, wieviel Menschen trifft man denn,
die wirklich ganz wahrhaftig sind. Und noch mehr entdeckt man, wie wenig man es letzten
Endes selber ist. Gerade der Ältere erkennt die Wahrheit des Wortes Hesekiel 24, 13: „Deine
Unreinheit ist so verhärtet, daß, ob Ich dich gleich gern reinigen wollte, dennoch du dich
nicht willst reinigen lassen von deiner Unreinheit. Darum kannst du hinfort nicht rein werden,
bis Mein Grimm sich an dir gekühlet hat.“ Da gibt es sehr harte Prüfungen. Fünf negative
Dinge nennen die „Verborgenen Worte“, die uns auf dem Wege der Heiligkeit umlauern: Neid,
Gier, Zweifel, Selbstverherrlichung, Beziehung zum Weltmenschen. Auch Buddha spricht von
„fünf Hemmungen“. Da gilt das Wort, das ebenfalls von Bahá’u’lláh erneuert ist: „Diese Sünden
werden nur ausgetrieben durch Fasten und Beten.“ Das sind die beiden „Lichter“ am Himmel
wahrer Religion, wie im Buche Ighan erwähnt wird. Niemals aber wollen wir vergessen, daß
uns immer wieder zugerufen wird: „Blicke in dich“, „Meine Liebe ist in dir“, „Mein Licht ist
in dir“, „Das Wesentliche meines Lichtes ist in dir“. In zwölf aufeinander folgenden „Worten“
Bahá’u’lláh’s vernehmen wir den tröstlichen Ton! Ja, laßt uns als Kinder der Herrlichkeit, des
kommenden Sieges, immer in allem Ringen und Kämpfen so herrlich positiv bleiben wie
Bahá’u’lláh es uns lehrt in den „Verborgenen Worten“ wie in allen Seinen Schriften. Er will es,
daß wir auch Geduld mit uns selber haben. Er ist der große „Tröster“. Er sagt: „Das Wesen der
inneren Loslösung ist für den Menschen, Sein Gesicht dem Hofe des Herrn zuzuwenden, in
Seine Gegenwart zu treten, Sein Antlitz vor Augen zu haben und als ein Zeuge für Ihn
einzutreten.“ Da wird das Negative positiv, die Loslösung zur Erhebung. Das gibt Fortschritt und
vollkommene Freude. Also bei jedem Kampf, bei jedem Unterliegen, jeder Sorge, jedem Leid, jeder
Verfolgung, jeder Schwächenanwandlung, jeder Verzagtheit schnell sich lösen und sich dem
Himmel voller Sterne, den „Verborgenen Worten“, zuwenden! Das ist die Rettung. Wie herrlich
ist das Strahlen des Geistes in diesen Aussprüchen! Wahrlich, das ist ein größerer, ein
größter Name! „O Gefährte meines Thrones!“ „O Sohn der Herrlichkeit!“ „O Brüder auf dem
Pfad.“ „Du bist das Tagesgestirn der Sonne Meiner Heiligkeit.“ „Vom Baum der Herrlichkeit
habe Ich die schönsten Früchte für dich bestimmt.“ In keinem Buch der Welt ist soviel
ehrender, lockender, Leben gebender Sonnenschein, soviel Leuchten und Strahlen, wie in
diesen 50 Blättern! „Entzückend ist das Reich des Seins, o würdest du zu ihm gelangen.
Herrlich ist das Reich der Ewigkeit, o würdest du dich über diese vergängliche Welt erheben.“
„Ihr seid Meine Schatzkammern, denn in euch habe Ich die Perlen meiner Geheimnisse und die
Edelsteine Meiner Erkenntnis gelegt.“ So hat Gott „Sein Wirken in uns.“ So redet, tröstet,
ermahnt, erzieht, heiligt der Geist in uns Tag um Tag, Stunde um Stunde. Und wenn einmal das
Gefühl des in den Tiefen verborgenen heiligen, süßen Friedens aussetzt, dann sind wir
unglücklich wie ein Liebender, der seine Geliebte nicht sehen darf. Was ist es denn,
was uns in den Tiefen der Seele immer noch weiter antreibt? Es ist die Stimme des Herrn
selbst, der uns ganz für sich haben will.
(Fortsetzung folgt.)
1) Vgl. auch „Verborgene Worte" arab. 2.
2) Siehe Phelps, „‘Abdu’l-Bahá Abbas Leben und Lehren“ S. 177 ff.
3) „Verborgene Worte“ arab. 3 und persisch 29.
4) Phelps, S. 178.
5) „Verborgene Worte“ S. 74.
6) Psalm 62, 2. Philipp. 2, 14.
7) „Verborgene Worte“ arab. 24.
8) Jes. 57, 15.
9) Psalm 25.
10) Vgl. auch Kolosser 3.
11) Vgl. „Verborgene Worte“ S. 63: „Wahres Gedenken ist: den Herrn, den Hochgepriesen, zu erwähnen und alles andere außer Ihm zu vergessen.“
12) Hebr. 4, 9—11.
13. Bahá’í-Nationaltagung am 27. und 28. April in Stuttgart[Bearbeiten]
Der Verlauf unserer diesjährigen Tagung ist dem Programm zu entnehmen, das der Nationale Geistige Rat als Einladung bzw. Teilnehmerausweis dieser Tage verschickt. Anläßlich dieser Tagung findet am 28. April, 11 Uhr, im Haus des Deutschtums, Danziger Freiheit 1, eine öffentliche Bahá’í-Morgenfeier statt, zu der die Bahá’í-Gemeinde Stuttgart jedermann herzlich einlädt.
In der „Sonne der Wahrheit“ finden nur solche Manuskripte Veröffentlichung, bezüglich deren
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Bahá’u’lláh
Verborgene Worte.. Worte der Weisheit und Gebete. Geschrieben während seiner Verbannung in Bagdad 1857/58 . . . kart. —.80
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Buch der Gewißheit oder Kitábu’l-Iqán. Eine Auseinandersetzung mit theologischen Fragen verschiedener Religionen, geschrieben in Bagdad um 1862. Ist fortsetzungsweise in den beiden Jahrgängen X und XI unserer Zeitschrift „Sonne der Wahrheit“ enthalten.
Jahrgang gebunden je 6.--
'Abdu'l-Bahá Abbas
Ansprachen in Paris. ‘Abdu’l-Bahá spricht hier über zahlreiche Fragen, nach deren Klärung die Völker der Erde suchen.
gebunden 2.--
Beantwortete Fragen. Erklärungen zu christlichen und islamischen Fragen, Behandlung allgemeiner weltanschaulicher Probleme . . . . . . Ganzleinen 2.50
Sendschreiben an die Haager Friedenskonferenz 1919 . . . . . --.20
Sonstiges
Geschichte und Wahrheitsbeweise der Bahá’i-Religion, Einführung in die Gedankenwelt der Bahá’i-Lehre von einem orientalischen Gelehrten. Von Mirza Abul Fazl . . . . . gebunden 2.--
Bahá’u’lláh und das neue Zeitalter. ein Lehrbuch von Dr. J. E. Esslemont. Ganzleinen 2.50
'Abdu'l-Bahá Abbas’ Leben und Lehren, von Myron H. Phelps. . . . . .gebunden 2.--
Die Bahá’i-Offenbarung, ein Lehrbuch von Thornton Chase. . . . . . . kart. 2.--
Am Morgen einer neuen Zeit. Untersuchung der geistigen Ursachen der Weltkrise und Beleuchtung der letzthin einzigen Möglichkeit ihrer Überwindung durch die Bahá’i-Lehre. Von Dr. Hermann Großmann . . . . . kart. 1.80
Ganzleinen 2.50
Lebensgestaltung. Das Leben und ich. Das Leben und mein Nächster. Das Leben und Gott. Kursberichte der Eßlinger Bahá’í-Sommerwoche 1933 . . . -.30
Die Bahá’i-Weltanschauung. Eine kurze Einführung. Von Pauline Hartmann . . . . —.20
Das Hinscheiden 'Abdu'l-Bahás ("The Passing of 'Abdu'l-Bahá") . . . -.30
Sonne der Wahrheit. Bahá'i-Monatszeitschrift.
- Jahrgang III - IX gebunden je 3.--
- Jahrgang X - XIV gebunden je 6.--