SONNE DER WAHRHEIT | ||
ORGAN DER DEUTSCHEN BAHAI | ||
HEFT 1 | 14. JAHRGANG | MÄRZ 1934 |
Die Bahá’i-Lehre,[Bearbeiten]
die Lehre Bahá’u’lláhs erkennt in der Religion die höchste und reinste Quelle allen sittlichen Lebens.
Die Ausdrucksformen des religiösen Lebens des Einzelnen, ganzer Völker und Kulturkreise haben im Laufe der Geschichte entsprechend den jeweils anderen Verhältnissen und dem Wachstum des menschlichen Erkenntnisvermögens Wandlungen erfahren. Die äußeren Gesetze und Gebote aller Weltreligionen entsprachen immer den entwicklungsgeschichtlich gegebenen Erfordernissen in bezug auf den Einzelnen, die soziale Ordnung und das Verhältnis zwischen den Völkern. Alle Religionen beruhen aber auf einer gemeinsamen, geistigen Grundlage. „Diese Grundlage muß notwendigerweise die Wahrheit sein und kann nur eine Einheit, nicht eine Mehrheit bilden.“ ('Abdu'l-Bahá.) „Die Sonne der Wahrheit ist das Wort Gottes, von dem die Erziehung der Menschen im Reich der Gedanken abhängig ist.“ (Bahá’u’lláh.) Alle großen Religionsstifter waren Verkünder des Wortes Gottes entsprechend der Fassungskraft und Entwicklungsstufe der Menschen. Das Wesen der Religion liegt darin, im Bewußtwerden der Abhängigkeit des Menschen von der Wirklichkeit Gottes Seine Offenbarer anzuerkennen und nach Seinen durch sie übermittelten Geboten zu leben.
Die Bahá’i-Lehre bestätigt und vertieft den unverfälschten und unwandelbaren Sinn und Gehalt aller Religionen von neuem und zeigt darüber hinaus die kommende Weltordnung auf, welche die geistige Einheit der Menschheit zur Voraussetzung haben wird. Die in ihr zum Ausdruck kommende Weltanschauung steht mit den Errungenschaften der Wissenschaft ausdrücklich in Einklang.
Die Lehre Bahá’u’lláhs enthält geistige Grundsätze und Richtlinien für eine harmonische Gesellschafts-, Staats- und Wirtschaftsordnung. Sie beruhen auf dem Gedanken der natürlich gewachsenen, organischen Einheit jedes Volkes und der das Völkische übergreifenden geistigen Einheit der Menschheit. Den Interessen der Volksgemeinschaft sind die Sonderinteressen des Einzelnen unterzuordnen, denn nur die Gesamtwohlfahrt verbürgt auch das Wohl des Einzelnen.
Wie jede Religion, so wendet sich auch die Bahá’i-Lehre an die Herzensgesinnung des Menschen, um die religiösen Kräfte in den Dienst wahren Menschentums zu stellen. Sie erstrebt die Höherentwicklung der Menschheit mehr durch die Selbsterziehung des Einzelnen als durch äußerlich-organisatorische Maßnahmen. Der Bahá’i hat sich daher über seine ernst aufgefaßten staatsbürgerlichen Pflichten hinaus nicht in die Politik einzumischen, sondern sich zum Träger der Ordnung und des Friedens im menschlichen Gemeinschaftsleben zu erheben. Bahá’u’lláhs Worte sind: „Es ist euch zur Pflicht gemacht, euch allen gerechten Regenten ergeben zu zeigen und jedem gerechten König eure Treue zu beweisen. Dienet den Herrschern der Welt mit der höchsten Wahrhaftigkeit und Treue. Zeiget ihnen Gehorsam und seid ihre wohlwollenden Freunde. Mischt euch nicht ohne ihre Erlaubnis und Zulassung in politische Dinge ein, denn Untreue gegenüber dem Herrscher ist Untreue gegenüber Gott selbst.“
Bahá’u’lláh weist den Weg zu einer befriedeten, im Geiste geeinigten Menschheit. Ein alle Staaten umfassender Bund in ihrer Eigenart entwickelter und unabhängiger Völker auf der Grundlage der Gleichberechtigung, ausgestattet mit völkerrechtlichen Vollmachten und Vollstreckungsgewalten gegenüber Friedensstörern, soll die übernationalen Interessen aller Völker der Erde in völliger Unparteilichkeit und höchster Verantwortung wahrnehmen. Zwischenstaatliche Konflikte sind durch einen von allen Staaten beschickten Weltschiedsgerichtshof auf friedlichem Wege beizulegen.
Die geistige Wesensgleichheit aller Menschen und Völker erheischt einen organischen Aufbau der sozialen Weltordnung, in der jedem seine einzigartige, besondere Eingliederung und Aufgabe zugewiesen ist. Die geographischen, biologischen und geschichtlichen Gegebenheiten bedürfen im Gemeinschaftsleben der Völker immer einer besonderen Beachtung, ohne die sie umschließende Einheit im Reiche des Geistes aus den Augen zu verlieren.
Die Lehre Bahá’u’lláhs „ist in ihrem Ursprung göttlich, in ihren Zielen allumfassend, in ihrem Ausblick weit, in ihrer Methode wissenschaftlich, in ihren Grundsätzen menschendienend und von kraftvollem Einfluß auf die Herzen und Gemüter der Menschen“.
SONNE DER WAHRHEIT Organ der deutschen Bahá’i Verantwortlich für die Herausgabe: Dr. Eugen Schmidt, Stuttgart W, Reinsburgerstraße 198 Schriftleitung: Dr. Adelbert Mühlschlegel, Dr. Eugen Schmidt, Alice Schwarz-Solivo Verwaltung: Paul Gollmer • Begründet von Alice Schwarz-Solivo Preis vierteljährlich 1.80 Reichsmark, im Ausland 2.– Reichsmark |
Heft 1 | Stuttgart, im März 1934 Bahá — Herrlichkeit 91 |
14. Jahrgang |
Inhalt: Die große Botschaft. — Göttliche Lebenskunst. — Bericht über eine frühe Pilgerreise aus dem Jahr 1898. — Vom Wesen Gottes. — Aussprüche von ‘Abdu’l-Bahá zu Miß St. 1910 in Haifa. — 12. Bahá’i-Jahrestagung. — Bahá’i-Sommerwoche 1934.
Im Namen Gottes, des Erhabenen, des Allerhöchsten!
Die Sonne der Wahrheit ist das Wort Gottes, von dem die Erziehung der Menschen im Reich der Gedanken abhängig ist. Es ist der Geist der Wirklichkeit und das Wasser des Lebens. Ihm verdanken alle Dinge ihr Dasein.
Worte der Weisheit von Bahá’u’lláh
Die große Botschaft[Bearbeiten]
Er besitzt die Macht über das, was Er will!
Dies ist das erhabene Buch von dem Herrn der Welten an die, welche an diese große Verkündigung zu glauben haben; wahrlich, es ist eine Ermahnung an alle, die geführt sind, und eine Urkunde für den Einen, der dem Herrn des Volkes der Erkenntnis genaht ist.
Diejenigen, denen das Schauen von Gott verliehen ist, sind in der Tat die von der Wahrheit Wissenden und sind durch die Schleier derer, die Vielgötterei treiben, nicht davon abgehalten. Sie sehen die Leuchten des Königreiches, wie sie die Sonne an der Himmelsmitte erblicken. Gehören sie nicht wahrlich zu den Menschen „der Gegenwart“? Gesegnet ist, wer die Welt verwirft und die Rote Arche besteigt durch den Namen des Herrn, des Herrn der Namen. Zählt dieser nicht zu dem Volke Bahá’s? Also ist es veranlaßt worden, daß von dem Offenbarer des Al Bayán herniederkam, was der bezeugt, der gerecht richtet in der Sache Gottes und der unter den Zeugen gewesen ist.
Wir sandten ‘Ali (den Báb), der euch das Gottesreich verkündete, vor dem Angesicht Dessen, Der euch in der Wüste der Einfalt rief und euch zu Gott, dem Mächtigen, entbot, dem Erhabenen, dem Großen.
Wäre Er nicht erschienen, so würde niemand das Recht haben, sich dieser Gottesoffenbarung zu widersetzen. Wie würde es dann sein, nachdem Wir den Bayán geoffenbart und ihn mit dem gestickten Gewande Meines Gedenkens geschmückt hatten, dem Köstlichen, dem Wundervollen?
Sprich: O Volk! Ihr ruft die Namen an und verwerft ihren Urheber? Wahrlich, dies ist nichts anderes als schmerzlicher Irrtum. Erhebt euch und steht zu der Gottessache; sodann ladet die Menschen ein zu dieser hohen Warte.
Sprich: Fürchtet ihr euch vor dem Angriff derer, die Unterdrückung verübt haben, nachdem
ihr die Gewalt eures Herrn erschaut, des Mächtigen, des Gepriesenen? Folget dem Beispiel
eures Herrn, des Gnadenvollen, während Seines größten Mißgeschicks. Er ruft die Menschen zur
Wahrheit und ließ Sich niemals hindern, weder durch die Unterdrückung der Bedrücker noch
durch die Beleidigung derer, die Vielgötterei treiben. Wahrlich, euer Herr, der Barmherzige,
beschützt wen Er will, möge Er selbst im
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Rachen des Flügeldrachens sein. Bei Meinem Leben, nicht ein einziges Blatt wird bewegt, es
sei denn durch Seine Erlaubnis, denn Er ist in der Tat der Machtvolle, der Gewaltige. Und
den, dessen bemessene Zeit abgelaufen ist, erfaßt der Tod, und wenn er gleich in einer
Festung wäre.
Sein Erbarmen ist Seinem Zorn vorangegangen; daher haben Wir Qualen von jedem Niedrigen erduldet, obgleich in Unserer Gewalt das Königreich des Himmels und der Erde liegt.
Hütet euch, Dinge zu begehen, wodurch Mißklang entstehen könnte. Einigt euch in der Heiligen Sache und streitet nicht. Durch Einigkeit brecht ihr den Nacken derer, die den Herrscher des Daseins verleugnet haben. Solches ziemt euch besser — so ihr zu den Gläubigen zählt. Nichts anderes wünschten Wir für euch, als das, was euch Gott näher bringt. Horchet auf die Wahrheit und folget nicht den Schritten der Teufel.
Du aber, du erwähnst Mein Gedenken und schaust nach Meinem Antlitz; so überbringe den Menschen, was dir befohlen ist. Vielleicht, daß die Winde aus dem Paradiese sie rühren und zu der Qiblih1) der Erdenvölker hinführen mögen.
Reinige die Menschen mit dem Wasser der inneren Bedeutungen, die Wir euch in den Zeichen niedergelegt haben. Bei Meinem Leben, es ist wahrlich das Wasser des Lebens, das der Barmherzige herabgesandt hat aus den Himmeln der Gnade für das Leben der Menschen dieser Welt.
Die Nacht ist vorüber, da Gott allen, die um Ihn sind, anbefohlen hat: „Sammelt euch im Schatten Dessen, was sich ausgebreitet hat von diesem göttlichen Sadrat“ (Baum im Paradiese). Das ist es, was Wir euch schon bei früherer Gelegenheit geheißen haben. Gesegnet sind, die es erreichen.
Hütet euch davor, mit der Sache Gottes in Streit zu geraten und den Einbildungen der Zweifler zu folgen. Wahrlich, Er ist mit dem, der Seiner gedenkt und Seiner Sache dient, von welcher aus die Düfte des Barmherzigen sich unter die Menschen der Erde verbreitet haben2).
1) Gebetsrichtung.
2) Aus „Bahá’i-Scriptures“, gesammelt von Horace Holley (Kap. II). Übersetzt von A. Sch.-S.
Göttliche Lebenskunst[Bearbeiten]
Aus den Schriften von ‘Abdu’l-Bahá (Fortsetzung)
Zusammengestellt von Mary M. Rabb (New York, Brentanos Publishers)
Übersetzt von Johanna von Werthern-Stuttgart
5. Kapitel: Liebe
Die Ursache der Erschaffung der sichtbaren Welt war Liebe, wie in der wohlbekannten Überlieferung gesagt ist: „Ich war ein verborgener Schatz und Ich wünschte erkannt zu werden; so erschuf Ich die Schöpfung, damit Ich erkannt würde.“ Darum ist es notwendig, daß sich alle vereinigen in der Religion der Liebe Gottes, in einer Weise, daß nicht der kleinste Streit zwischen den Freunden und Gefährten bestehen möge. Auf die Liebe blickend, sollten alle in vollkommener Einheit vorwärts schreiten, so daß kein Streit entstehen möge. In Freud und Leid, in Glück und Unglück, in Armut und Wohlstand sollten alle miteinander teilnehmen.
Worte von Bahá’u’lláh.
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‘Abdu’l-Bahá sagte, daß es fünf Arten von Liebe gibt: .
Erstens: Die Liebe Gottes zu Seinen eigenen Vollkommenheiten, welche Ihn zur Schöpfung veranlaßte, auf daß Seine Schönheit sich offenbare und geschätzt würde.
Zweitens: Die Liebe geheiligter Seelen zu göttlichen Eigenschaften, welche sie durch andere Seelen widergespiegelt finden.
Drittens: Gottes Liebe zum einzelnen Menschen, welche erworben wird entsprechend der Stärke, mit welcher sich ein Mensch Gott zuwendet.
Viertens: Des Menschen Liebe zu Gott, dem Schöpfer. Sie ist die Ursache seines Lebens, seines Fortschrittes und seines Glückes.
Fünftens: Die Liebe zum eigenen Selbst, welche auf das Ich gerichtet ist; sie wird den Menschen aller wahren Entwicklung berauben. Wenn aber die Selbstliebe erkennt, daß der Mensch ein Geschöpf Gottes ist und darum die von Ihm vorgeschriebene Stufe erreichen muß, so wird diese Liebe auch zur Höherentwicklung führen.
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Die Bande der Liebe und die Mittel zur Liebe sind zahlreich unter dem Menschengeschlecht,
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denn der Mensch kann nicht ohne Liebe leben, vielmehr hängt das Leben ab von Freundschaft
und Zuneigung. Beides, die materielle wie die geistige Entwicklung des Menschen sind durch
Freundschaft und Liebe bedingt, und die größte Ehre und Freude in der menschlichen Welt ist
Liebe; aber Wege und Mittel sind verschieden. Oftmals ist die Ursache der Liebe einfach.
Verwandtschaft und Familiensinn; zuweilen Rassenverbundenheit, Vaterlandsliebe, politische
Angelegenheiten usw. Aber durch all diese verschiedenen Bande und Mittel ist unmöglich
wahre und reine Liebe zu erreichen: sie ist ziemlich oberflächlich und vergänglich. Solche
Liebe kann sich leicht in Feindschaft und Haß wandeln, denn sie wird von der kleinsten
Feindseligkeit beeinflußt, während wahre und ideale Liebe Treue und Festigkeit ist. Die Menschen,
welche an Gott glauben und Seinem Wort vertrauen, werden in das Königreich eingehen, und
die wirkliche Einheit wird in solchem Grade an ihnen sichtbar werden, daß sie alle wie die
Tropfen einer See, die Strahlen einer Sonne, die Fische eines Gewässers, die Bäume eines
Waldes, die Vögel eines Gartens, die Fackeln einer Versammlung und die Sterne eines Himmels
sein werden. Solche Liebe ist echt; es gibt keine Unterbrechung für diese Verbindung, noch
irgend eine Trennung für diese Vereinigung. Diese Grundlage kann nie zerstört werden, denn
sie ist ewig. Damit ist klar erwiesen, daß die Liebe zwischen den Geliebten Gottes
immerwährend ist, denn sie ist eine göttliche Gnade, eine göttliche Erscheinung, eine Melodie aus
dem Königreich und ein himmlischer Zusammenhang. Im Koran ist gesagt: „Sie lieben Ihn und
Er liebt sie“, d. h. die Gnade der Liebe ist eine der Göttlichen Gnaden, welche dem Menschen
von Gott gegeben werden, gerade wie die Sonne ihre Strahlen zu den Spiegeln sendet und dadurch
die Spiegel erleuchtet: dies Leuchten und Strahlen kommt von der Gabe der Sonne. Diese
Liebe, welche zwischen den Geliebten besteht, ist darum eine göttliche Gnade, ein göttlicher
Glanz, eine ewige Offenbarung und die Macht der Göttlichkeit: sie ist immerwährend und
ewig.
Das Kostbarste auf der Welt ist Liebe. Die Luft an sich ist nicht kostbar, noch das Wasser, noch irgend ein Element; aber mit der Liebe verbunden werden sie köstlich. Liebe ist die beste Würze. Wenn Liebe im Herzen lebt, kann die kleinste Bewegung herzlichen Willkomm beweisen.
Zum Beispiel: die Gerichte auf diesem Tisch sind nichts Besonderes, sondern sehr einfach; dennoch sind sie kostbar, weil sie mit Liebe gegeben werden.
Christi Abendmahl war an sich etwas ganz Alltägliches, aber weil überaus große Liebe zwischen den verschiedenen Menschen war, die an ihm teilnahmen, übertraf dies Mahl alle königlichen Tafeln und wurde eingesetzt als das Mahl des Herrn. Selbst jetzt, in unserer Zeit, wird es so bezeichnet. Dies ist der Liebe zuzuschreiben, welche zwischen Jesus Christus und Seinen Jüngern bestand.
Die protestantischen Missionare sind aufgebracht durch unsere Liebe, und sie waren sehr erregt und bekümmert darüber. Sie möchten wissen, was Amerikaner und Perser so fest verbindet! ... Sie können nicht sehen, daß es die Liebe Gottes ist, die uns vereinte.
Die Jünger Christi kamen aus verschiedenen Nationen und Himmelsstrichen. Einer war Hebräer, ein anderer Syrier und ein anderer Römer. Wie fest verband Gott ihre Herzen durch Seine Liebe! Ebenso ist es heute. Es ist die Liebe Gottes, die uns in Verbindung brachte, so daß wir uns hier fanden und uns in größter Liebe versammeln.
Mittel und Wege zu freundschaftlichem Zusammenleben sind mannigfaltig.
Da ist das Familienband, welches zur Ursache der Liebe werden kann. Da ist das vaterländische Band, welches eine Grundlage der Liebe sein kann. Da ist die Rassenzusammengehörigkeit, welche eine Quelle der Liebe sein kann. Da ist die Politik, welche eine Ursache von Liebe und Einheit werden kann. Kameradschaft in Geschäften ist auch eine Art von Verbindung. .
Aber keines dieser Bande ist der Liebe Gottes zu vergleichen, denn die Liebe Gottes ist das ewige Band, und außer diesem gibt es nur zeitliche Verbindungen.
Die Liebe Gottes ist das ganz besondere Band, welches keiner Verderbnis anheimfällt, während alle anderen Bande, alle Arten von Liebe augenblicklichen verderblichen Veränderungen unterworfen sind. Durch kleine Ursachen können solche Arten von Liebe in Haß gewandelt werden. Sie verdanken ihren Ursprung einer Sache; wird die Sache beseitigt, so wird die Folge (die Liebe oder Verbundenheit) ebenfalls verschwinden.
Aber die Liebe Gottes hängt nicht von materiellen Dingen ab. Zum Beispiel unsere Versammlung hier ist gänzlich frei von irgend welchen geringwertigen Beweggründen.
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Es gibt zwei Arten von Liebe, universale, allumfassende, und individuelle, persönliche Liebe.
Du mußt die Menschheit lieben, um sie zu erheben und ihr zu helfen. Selbst wenn sie dich
töten, mußt du sie lieben. Individuelle, persönliche Liebe kann nicht erzwungen werden, und
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es wird nicht von dir verlangt, alle Menschen persönlich zu lieben, aber strebe danach, daß
diejenigen, welche in deinem Leben stehen, zur Ursache deiner Weiterentwicklung werden und
daß du zum Mittler ihrer Weiterentwicklung wirst durch deine allumfassende Liebe.
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Frage: „Wie kann man einen Menschen lieben, dessen Persönlichkeit unsympathisch ist?“
Antwort: „Wir sind alle Geschöpfe desselben Gottes. Wir müssen darum alle als Geschöpfe Gottes lieben, selbst wenn sie uns Schlechtes antun. Christus liebte Seine Feinde. Es ist möglich, daß wir zu solcher Liebe gelangen. Gott offenbarte Seine Liebe, als Er den Menschen nach Seinem Bilde schuf. Der Mensch muß Seine Liebe offenbaren, indem er sich selbst und andere mehr und mehr nach dem Bilde Gottes entwickelt. Die wahre Frucht des menschlichen Lebens ist darum Liebe. Der Zweck eines Baumes ist es, Früchte zu bringen. Der Mensch ist wie ein Baum; seine Frucht muß Liebe sein.“
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Ich traf heute morgen einen Mann, welcher einer buddhistischen Sekte angehört, und ich frug ihn: „Was ist deine Botschaft?“ und er erwiderte: „Love — Liebe!“ Ich sagte: „Ja, aber was sonst noch?“ Er wiederholte: „Liebe, das ist alles, dies ist die einzige Botschaft.“
Aber das Wort Liebe ist keine Botschaft; das Wort bezeichnet einen unendlichen Begriff, und wie sollen wir einen unendlichen Begriff in Beziehung bringen zur Menschheit, welche begrenzt ist?
Es gibt in Wirklichkeit vielerlei Arten von Liebe, und eine jede von ihnen ist beschränkt und begrenzt. Da ist die Liebe zum eigenen Lande, die Vaterlandsliebe, die Liebe zur Familie, die Liebe der Freundschaft, die Liebe zwischen Mann und Frau, — jede ist beschränkt und begrenzt. Es gibt nur eine Liebe, welche unbeschränkt und göttlich ist, und das ist die Liebe, welche mit dem Wehen des heiligen Geistes kommt — die Liebe Gottes — welche alle Schranken bricht und alles vor sich einreißt.
Tiere sind der Natur völlig unterworfen, sie sind ihre Sklaven. Sie leben und sterben dort, wo sie geboren wurden, sie sind die Opfer von Sturm und Frost, sie sind an die Wüste, oder den Wald, oder an die großen Flüsse und Meere gebunden.
Aber der Mensch hat die Natur besiegt und ist frei. Er ist nicht mehr der Sklave der materiellen Welt, er beherrscht sie und ist frei. Er zwingt die natürliche Welt unter seinen Willen. Er reist über weite Erdteile, er fährt über den Ozean und er fliegt durch die Luft. Er ist in all diesen Dingen ein befreites Wesen und kann der Natur, in der er geboren wurde, seine Befehle erteilen.
So sollte der Mensch, der von materiellen Dingen befreit wurde, auch lernen, seine Liebe unbegrenzt und göttlich zu machen. Er sollte seine Seele dem Atem Gottes öffnen, damit Er durch ihn wehen und alle Schranken niederbrechen möge.
Wenn du liebst, so strebe danach, göttlich zu lieben. Wenn du dein Vaterland liebst, liebe es nicht mit dem kargen Gefühl, daß es geliebt werden muß, weil es dein Land ist und dir allein gehört, sondern mit dem wacheren Bewußtsein, daß dein Heim ein Teil des Universums ist. Wenn du Bruder oder Kamerad oder Weib und Kind liebst, so liebe sie nicht mit dem engen Sinn des Besitzes, welcher die Liebe selbstsüchtig und ausschließend macht, sondern liebe jeden von ihnen als einen Teil Gottes. Dann wird der Atem Gottes immerfort deine Liebe beleben und sie rein und göttlich machen, und der heilige Geist wird sich deinem Wesen mitteilen und dich mit Gott vereinen.
Aber suche nicht die Ehrungen und die Liebe dieser Welt, suche vielmehr Gott und seine Liebe, dann werden Ehrungen und Liebe, welche Sein sind, dir gehören. Alle Herrlichkeit der Himmel ist Sein, alle Schönheit der Blumen, der Duft der Rosen und die Farben des Sonnenunterganges. Aber über all diesem gehört Ihm die Schönheit der Seele, und sie ist so groß, daß sie vielerlei Formen gewinnt und in mancherlei Gestalten in deinem Bewußtsein erscheint, wenn du lange auf Seine Schönheit blickst. Aber alle andere Schönheit welkt und schwindet dahin, jede andere Ehrung außer der Seinen verliert ihre Bedeutung, alle Liebe außer der Seinen ist nicht wahrhaft wünschenswert.
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Der Zweck des Morgendämmers der Führung und des Glanzes der Sonne der Wirklichkeit war nichts anderes als die Einprägung der göttlichen Liebe unter den Menschenkindern und vollkommenen Kameradschaft zwischen den Gliedern der Menschheit. Darum muß zwischen den Freunden Gottes zuerst die Grundlage dieser Liebe und Einheit gefestigt werden, die dann bei allen Nationen der Welt durchdringen muß. Darum seid gütig untereinander, so viel als ihr könnt, und ebenso gegen andere. Die erste Melodie des Königreiches ist das Lied der Liebe Gottes, und die Liebe Gottes wird verwirklicht in der umfassenden Liebe zum ganzen Menschengeschlecht.
(Fortsetzung folgt.)
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Bericht über eine frühe Pilgerreise aus dem Jahr 1898[Bearbeiten]
Von May Maxwell (Fortsetzung)
Am Montag kamen weitere Pilger an, die den Nil stromaufwärts gefahren waren. Später sagte
uns der Geliebte, daß Er genötigt sei, nach Akka zu gehen, da wichtige Regierungsangelegenheiten
Seine unverzügliche Anwesenheit notwendig machten. Er sagte uns, wir sollten glücklich sein,
denn wir würden bald zum Hause der Gesegneten Schönheit gehen und wir sollten uns bereit
halten, am Mittwochmorgen gegen 6 Uhr nach Akka aufzubrechen. Darauf sagte Er einem
jeden Lebewohl.
Am Dienstag kamen des Meisters Töchter und Lua Getsinger, die ich meine geistige Mutter nenne, von Akka zurück, und am Nachmittag hatten wir Besuch von Verwandten und Mitgliedern der heiligen Familie, die in Haifa leben. Am Abend sagte ich zu Lua, daß der Meister augenscheinlich nicht erkannt habe, wie krank und schwach ich sei, denn sonst hätte Er niemals von mir erwartet, daß ich mit den andern am Mittwoch nach Akka fahren würde. O wie kleingläubig sind wir Menschen! Kein Wunder, daß sie lachte, den Kopf schüttelte und sagte: „Du wirst bald die Macht ‘Abdu’l-Bahás verspüren!“
Es war gegen Abend, als ih erwachte und einen Luftzug über mich hingehen fühlte. Was darauf folgte, läßt sich nicht beschreiben, aber über meine Seele flutete etwas Gewaltiges, eine unsichtbare Macht, eine Kraft ging durch mein ganzes Sein und weitete es mit neuem Leben, mit Liebe und Glück, mit neuer Lebenskraft und Ruhe. Ich wußte nun, daß dies der Geist Gottes war und daß unser Herr für Seine Dienerin betete. In dieser Stunde stand ich auf, dankte Gott und war genesen.
Zur frühen Morgenstunde fuhren wir gemeinsam im Wagen nach der heiligen Stadt Akka. Der Geist Gottes war mit uns, als wir an der Meeresbucht entlang fuhren und immer näher der Grabstätte Dessen kamen, der die Herrlichkeit Gottes ist und dessen Gnade wie Regen auf unsere Seele fiel. Unser Herz war zu voll, um Worte zu finden; still schauten wir nach der mit Mauern umgebenen Stadt, die weiß und klar im Frühlicht vor uns lag. Vor uns das tiefblaue Mittelmeer, darüber der lichte Himmelsdom.
Wir kreuzten zwei Bäche, die sich ins Meer ergießen; die Pferde wateten bis an die Lenden im Wasser. Wir erreichten die Tore von Akka, fuhren durch enge, malerische Gassen, die schon belebt waren, und gelangten zu dem Hause von ‘Abdu’l-Bahá. Ein breiter steinerner Torgang führte uns zu einem quadratischen Hof. Wir stiegen eine Flucht von Treppen hinan, die uns zu dem Oberstock führten. Hier saß am Fenster eines schmalen Zimmers, den Blick über das azurfarbene Meer gerichtet, unser geliebter Herr. Wir knieten vor Ihm nieder und empfanden eine tiefe Liebe und Dankbarkeit, als Er Seine Hände auf unser Haupt legte und leise und liebevoll zu Seinen Dienerinnen sprach. Das Größte heilige Blatt1) betrat nun das Zimmer in Begleitung der heiligen Mutter2) und deren Töchter. Sie begrüßten uns überaus herzlich und bewegt; es war, als ob ich nur eine Weile abwesend gewesen sei und in dieses gesegnete Daheim, das ich wahrlich hier gefunden hatte, zurückgekehrt wäre. Sie führten uns in die Zimmer, die sie unserethalben frei gemacht hatten, und sorgten für jede Annehmlichkeit und Bequemlichkeit; sie taten dies mit einer wundervollen Vergeistigung, ihr eigenes Behagen bedeutete ihnen nichts, sie vergaßen sich selbst in Liebe und im Dienst an der heiligen Schwelle.
Nun folgten drei unvergeßliche Tage und Nächte. Wir hörten nichts als die Erwähnung Gottes. Sein heiliger Name war auf aller Lippen. Sein Lob und Preis wurde gesungen. Seine Schönheit und Güte waren der Inhalt eines jeden Gesprächs, Seine glorreiche Sache das Ziel unseres Lebens. Wo wir auch waren, immer hörten wir von der Gesegneten Vollkommenheit sprechen; wir erfuhren Begebenheiten aus dem Leben des Geliebten, wir sprachen von Seinen Taten und von der leidenschaftlichen Liebe und Ergebenheit Seiner Nachfolger, und auch unser Herz schwoll vor Liebe und Sehnsucht.
Einige Pilgerinnen waren weiß gekleidet; diese waren Frauen von Märtyrern gewesen, und wir hörten die tragische und heldenhafte Geschichte unserer persischen Glaubensgenossen.
Nachdem wir uns etwas erfrischt hatten, ehrte uns der Meister mit einem Empfang in einem
Zimmer mit dem Blick auf das Meer. Er saß in Sich versunken am Fenster, schaute auf und
fragte, ob alle Pilger zugegen seien. Als Er bemerkte, daß einer der Gläubigen fehlte, fragte
Er: „ Wo ist Robert?“ Dieser war ein dunkelfarbiger Diener, den eine Pilgerin aus unserer
Gesellschaft großmütigerweise nach Akka geschickt hatte. Im gleichen Augenblick erschien
Roberts strahlendes Gesicht in der Türe. Der Meister erhob Sich zu seiner Begrüßung, gebot
ihm, sich zu setzen und sprach: „Robert, dein
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Herr liebt dich. Gott gab dir eine schwarze Haut, doch dein Herz ist rein wie Schnee!“
Unser Meister fuhr fort und sprach: „Wir können alle der Sache Gottes dienen, ungeachtet unseres Berufs. Keine Beschäftigung kann eine Seele daran hindern, zu Gott zu gelangen. Petrus war Fischer, aber er vollbrachte wunderbare Dinge. Das Herz aber muß stets Gott zugewandt sein, ohne Rücksicht auf die Art des Berufes. Dies ist das Wichtigste, und alsdann wird die Macht Gottes in uns wirken. Wir sind wie ein Stück Eisen, das vom Feuer in einem solchen Grad erhitzt wird, daß es an der Natur des Feuers teil hat und die gleichen Auswirkungen allem mitteilt, womit es in Berührung kommt. Ebenso ist es mit der Seele, die stets mit Gott verbunden und vom göttlichen Geiste erfüllt ist!“
Eine Gläubige fragte, auf welche Weise wir unser Herz von dieser Welt loslösen können, und 'Abdu'l-Bahá sagte: „Wenn euer Herz stets an Gott hängt und voll der Liebe Gottes ist, dann wird eine solche Liebe euch von allen anderen Dingen trennen; diese Liebe wird eine Mauer sein, die sich gegenüber der Welt und allen anderen Wünschen aufrichten wird. Ihr müßt alle miteinander mit Herz und Seele verbunden sein, dann wird eure Arbeit von Erfolg begleitet und ihr werdet immer größere Gaben erlangen und die Sache Gottes wird durch euer Bemühen in künftigen Jahrhunderten in allen Ländern verbreitet werden. Erinnert euch an die Worte Christi: ‚Ihr habt die Gaben Gottes empfangen ohne Geld und ohne Lohn, somit müßt ihr sie auch frei weitergeben.‘ Dieser Befehl zeigt euch, daß euch alle diese Gaben verliehen sind durch die reine Großmut eures Gottes und nicht um eures Verdienstes willen. Ihr müßt euch unendlich freuen über die liebevolle Gnade Gottes gegenüber euch und allen. Denn alle werden in kurzer Zeit dieser großen Gabe teilhaftig werden. Sie werden vom Osten und vom Westen in das Königreich Gottes kommen. Wie Christus dies vorausgesagt hat, so wird es sich auch erfüllen, daß etliche derer, die nahe sind, ausgeschieden werden, indes die in der Ferne Stehenden diese großen Gaben erhalten!“
(Fortsetzung folgt.)
1) Die Schwester 'Abdu'l-Bahás.
2) Die Gattin von 'Abdu'l-Bahá.
Vom Wesen Gottes[Bearbeiten]
Von Dr. H. G.
Durch die Jahrtausende hindurch sehen wir die Frage nach dem Göttlichen im Mittelpunkt
der religiösen und philosophischen Betrachtungen, oftmals zu Streitigkeiten, Spaltungen und
scheinbar unüberbrückbaren Gegensätzen führend. Eine der Ursachen dieses Meinungsstreites
haben wir in der geringen Denk-Selbständigkeit der meisten Menschen zu suchen, die sich damit
begnügen, Begriffe, wie gerade den des Göttlichen, ohne eigenes Nachdenken so zu übernehmen,
wie sie sie von anderen hören. Sie haben sie nicht mit tieferem Erfassen durchdrungen,
glauben aber gleichwohl, die Wahrheit zu besitzen. So verbindet sich bei ihnen mit der
Oberflächlichkeit und Unselbständigkeit des Denkens das Vorurteil, das der schlimmste Feind
des gegenseitigen Verstehens ist. Es hindert uns daran, die Dinge in ihrer eigentlichen
Bedeutung zu erfassen, weil wir sie gar nicht erst sorgfältig oder doch nur durch die Brille
unserer vorgefaßten Meinung anschauen. Wir pflegen mit jedem Wort nur einen bestimmten, eng
umgrenzten Begriff zu verbinden, obwohl die Sprache mit ein und demselben Wort sehr viele
voneinander abweichende Begriffe zu belegen pflegt, und bleiben dadurch am Worte haften,
statt seinen eigentlichen Sinn zu verstehen.
Der Gegensatz der Meinungen über das Wesen Gottes hat aber noch einen tieferen Grund, der in
der Begrenztheit der menschlichen Natur liegt. Die verschiedenen Gottesbegriffe stimmen
darin überein, daß sie Gott als etwas annehmen, das außer der physischen Erscheinungswelt
besteht, zwar Zusammenhang mit ihr besitzt, aber gleichwohl selbst kein Teil von ihr ist.
Dies gilt sowohl für die primitiven Formen der Geister- und Naturgötter als auch für die
entwickelteren Gottesvorstellungen. Dadurch rückt die Frage nach dem Göttlichen aus dem
Bereich des für den Menschen Faßbaren heraus, da unser Begreifen an die Erscheinungswelt
gebunden ist. In allen Religionen knüpft sich z.B. an den Begriff des Göttlichen der Begriff des
„Dauernden“, „Ewigen“, Eigenschaften also, die wir in der Erscheinungswelt, in der alles dem
Werden und Vergehen unterworfen ist, nicht vorfinden. Daher besitzt das, was wir über Gott
aussagen, wie alles, was wir über intellektuelle Dinge aussagen, nur den Wert eines Gleichnisses.
Es ist ein Versuch, von der unvorstellbaren Wirklichkeit eine subjektive, menschlich
gedachte Vorstellung zu erhalten. „Die Vernunft“, sagt Bahá’u’lláh, „kann Mich (Gott)
nicht begreifen, noch das Herz Mich einschließen“
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(Arab. Verb. Worte 65). Aus dieser Unmöglichkeit heraus, die Wirklichkeit Gottes zu erfassen,
entspringen zahllose Gegensätze und Streitigkeiten. Wenn wir einen Gegenstand sehen, so
streiten wir uns nicht über sein Aussehen, weil wir ihn vor Augen haben. Jeder, der ihn sieht,
kann sich die unmittelbare, gemeinsame Vorstellung von ihm machen. Anders jedoch, wenn
wir den Gegenstand nicht sehen. Dann weckt seine Nennung die verschiedensten Vorstellungen.
So ist es auch mit dem Gottesbegriff.
Wenn wir aber gleich die Wirklichkeit Gottes nicht zu erkennen vermögen, so sind wir doch sehr wohl imstande, uns ein vernünftiges (wenn auch subjektives) Bild von Gott zu machen. Bahá’u’lláh sagt: „Der Eine Wahre steht geheiligt über allem, aber Seine Zeichen sind in allem offenbar. Die Zeichen sind von Ihm — nicht Er selbst — und sie alle sind aufgezeichnet und ersichtlich in dem Buch der Welt. Der Weltenplan ist ein großes Buch, und wer nur zu begreifen vermag, kann daraus entnehmen, was ihn befähigt, auf den rechten Pfad zu kommen. Seht die Strahlen der Sonne an: ihr Licht hat die Welt durchflutet, aber dieser Glanz geht von ihr und ihrer Offenbarung aus, er ist durch sie, doch nicht sie selbst (d. h. ihr Wesen oder Stoff). Was immer auf Erden sichtbar ist, ist Ausdruck Seines Wissens, Seiner Macht und Gnade, indessen Er (Gott) geheiligt über allem steht.“ (Worte d. Paradieses, Einlt.)
Ein subjektives Begreifen Gottes wird selbstverständlich auch begrenzt sein durch die Stufe unseres allgemeinen Begriffsvermögens. Darum sagt Bahá’u’lláh: „Alles, was Ich (Gott) dir durch die Zunge der Macht geoffenbart und für dich mit der Feder der Kraft geschrieben habe, ist entsprechend deinem Maß und deiner Fassungskraft und nicht nach Meiner Stufe und Meiner Ausdrucksfähigkeit geschehen.“ (Arab. Ver. Worte 66.) Wenn wir uns diese Tatsache vor Augen halten, werden wir nicht mehr über Gottesbegriffe streiten können, sondern jedem Menschen seine Vorstellung lassen. Wir werden aber auch aufhören, uns in mystische Grübeleien über das Göttliche zu verlieren, da unsere Erkenntnis die Grenze zwischen den Welten Gottes und der Welt der Äußerungen nicht zu überschreiten vermag. „Überschreite“, so mahnt Bahá’u’lláh, „die dir gesetzten Grenzen nicht, noch trachte nach dem, was dir nicht ziemt. Wirf dich nieder vor dem Antlitz deines Gottes, des Herrn der Kraft und Macht.“ (Arab. Verb. Worte 24.)
Hieraus verstehen wir auch, warum weniger entwickelte Religionsstufen statt an eine Einheit Gottes an eine Göttervielheit glauben: ihr primitives Nachdenken über die Zusammenhänge ist noch in stärkstem Maße an die Erscheinungswelt gebunden. Sie. sehen die Vielheit der Erscheinungen und vermögen in ihnen noch keine gemeinsamen Gesetze zu erkennen. So schreiben sie jeder ihre eigene Gottheit zu.
Einen weiteren Gegenstand der Gottesbetrachtung bilden die Eigenschaften Gottes, wie „Liebe“, „Allmächtigkeit“, „Barmherzigkeit“ usw. Zu ihrem Verständnis kommen wir aus der Erkenntnis der Tatsache, daß nichts in der Erscheinungswelt absolute Vollkommenheit besitzt noch zu erreichen vermag. Anderseits aber bedingt die Tatsache, daß wir uns der Unvollkommenheit bewußt werden, notwendigerweise die Annahme einer Vollkommenheit, da wir jede Eigenschaft nur aus dem Gegensatz heraus erfahren können. So würde der Mensch z. B. kaum zu der Feststellung gekommen sein, daß die Erde von Luft umgeben ist, wenn er nicht einmal an irgendwelchen Wirkungen zuerst erfahren hätte, daß es eine Abwesenheit von Luft geben kann. Da aber in der Erscheinungswelt absolute Vollkommenheit nicht zu finden ist, kommen wir dazu, sie im Göttlichen anzunehmen. So wird Gott zum Träger aller absoluten Tugenden und damit zum großen erzieherischen Vorbild für die Menschheit: ihm ähnlich zu werden ist das hohe Ziel allen religiösen und ethischen Strebens, jenes „lasset Uns Menschen schaffen nach Unserem Bild und nach Unserer Ähnlichkeit“ der Genesis. Er ist die Summe aller jener Eigenschaften, die der Mensch zu verwirklichen suchen soll, wie Güte, Barmherzigkeit und Milde.
Aussprüche von ‘Abdu‘-Bahá zu Miß St. 1910 in Haifa[Bearbeiten]
Ausgearbeitet für Frau Alice Schwarz-Stuttgart von Frau Dr. F. †
21. August 1910.
Lies, meine Tochter, die heiligen Bücher der Menschheit, studiere als Christin besonders das Neue Testament; zeige mir, wo spricht der große Meister Jesu vom „Zorn Gottes“? Wohl aber von der verzehrenden Liebe des Vaters zum verlorenen Sohn!
22. August 1910.
Du frägst: „Was ist denn der Zorn Gottes?“ Als Zorn Gottes wird irrtümlicherweise die Logik,
die Konsequenz, kurz, die Gerechtigkeit Gottes genannt. Wenn wir Gott ignorieren, so
ignoriert Er uns und stellt uns unter Seine unabänderlichen Naturgesetze, gehen wir Ihm aus
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dem Wege, so zieht Er Sich aus unserem Leben zurück. Er, der Schöpfer, läßt Seine Sonne über
Gerechte (Gott-Liebende) und Ungerechte (Gott Entfremdete) aufgehen, aber die ersteren haben
den Tau Seines Segens, die letzteren frösteln unter dem Mehltau Seines Fluches! Und worin
besteht dieser Fluch? Darin, daß Gott der Herr sich nicht mehr persönlich, sondern sachlich zu
uns stellt. Wir sind nicht mehr Seine Erben, sondern wir sind wesens- und paradiesfremde
Schuldner geworden, die nur noch eine geschäftliche Abrechnung, nicht eine väterliche Umarmung
zu erwarten haben! Wohlan, so wählen wir den zwischen Garizim1) und
Ebal2) — wir Bahá’i, wir haben schon den Garizim als Wohnsitz eingenommen,
23. August 1910.
Die richtigen, wahren Bahá’i sind die Schauenden, die Erkennenden, die Wissenden; ihre vornehmste Aufgabe ist, daß sie von der Gnade der Erkenntnis reichlich Gebrauch machen und überall das Gewissen der Menschen schärfen, um so dem Reiche Gottes auf Erden Bahn zu schaffen. Denn Liebe und Frieden bringen den Himmel zur Erde hernieder.
24. August 1910.
Der Engländer hat ein unerschütterliches Staatsbewußtsein, welches mit seinem Geschäftssinn ganz verwachsen ist; deswegen ist er der geborene Eroberer und Kolonisator. Der Deutsche ist seinem eigentlichen Wesen nach entgegengesetzt, seine Anlage zum uferlosen Weltbürger steht seiner Geschäftstüchtigkeit im Wege. Schrankenloser Weltidealismus behindert seinen pedantischen Pflicht- und Arbeitssinn. Er ist der geborene Friedensstifter und Weltschulmeister. Der Engländer weiß, was er will und kann, was er will und will nicht mehr, als er kann, der Deutsche weiß alles, sowohl was er will, wie was er nicht will, er kann beides und tut oft das, was er nicht will, wohl aber was ein anderer will, und meistens will er mehr, als er kann. Der Engländer ist Realist, Gegenwarts- und Tatsachenmensch. Der Deutsche ist Illusionist, Vergangenheitsforscher und Zukunftssucher. Deswegen wird die Welt zunächst dem Briten gehören, und erst in einer zukünftigen, friedliebenden Welt wird der Deutsche obenan stehen. Der Deutsche wird dem Zeitalter des Friedens seine Organisation, seinen Geist, seine Züge einprägen; deswegen glaubte schon die Gesegnete Vollkommenheit Bahá’u’lláh an die Führung der Deutschen, denn dort ist der hoffnungsvollste Boden für die Bahái-Lehre.
(Forts. folgt.)
1) Berg des Segens.
2) Berg des Fluches.
12. Bahá’i-Jahrestagung am 21. und 22. April 1934 in Stuttgart[Bearbeiten]
Verlauf: Samstag, 20 Uhr, Begrüßung mit Ansprache. Sonntag, 11 Uhr, Morgenfeier. 12½ Uhr gemeinsames Mittagessen. 14 Uhr Einigkeitsfest mit Bericht deutscher Freunde über ihre Haifa-Reise. — Alle Freunde und Interessenten des Bahá’i-Glaubens sind herzlich eingeladen.
Bahá’i-Sommerwoche 1934[Bearbeiten]
Die diesjährige Bahá’i-Sommerwoche in Eßlingen a. N. findet voraussichtlich vom 29. Juli bis 5. August 1932 statt, worauf wir jetzt schon hinweisen wollen. Alles Nähere wird noch bekanntgegeben.
Berichtigung: Im Heft 12, Februar 1934, muß es auf Seite 115, erste Spalte, 12. Zeile statt „Unruhe“ „Ursache“ heißen.
In der „Sonne der Wahrheit“ finden nur solche Manuskripte Veröffentlichung, bezüglich deren Weiterverbreitung keine Vorbehalte gemacht werden. — Alle auf den Inhalt der Zeitschrift bezüglichen Anfragen, ferner schriftliche Beiträge wie auch alle die Schriftleitung betreffenden Zuschriften sind an Dr. Eugen Schmidt, Stuttgart W, Reinsburgstraße 198, zu senden. — Bestellungen von Abonnements, Büchern und Broschüren sind an die Verlagsabteilung des Nationalen Geistigen Rats der Bahá’í in Deutschland und Österreich e. V., Stuttgart, Alexanderstr. 3 (Nebengebäude) zu richten. — Alle Zahlungen sind zu leisten an den Nationalen Geistigen Rat der Bahá’í in Deutschland und Österreich e. V., Stuttgart, Alexanderstraße 3 (dessen Postscheckkonto Nr. 19340 Amt Stuttgart). — Alle Rechte vorbehalten. Copyright by Verlagsabteilung des Nationalen Geistigen Rats der Bahá’í in Deutschland und Österreich e. V., Stuttgart. — Druck von J. Fink, Hofbuchdruckerei, Stuttgart.
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Bahá’u’lláh
Verborgene Worte.. Worte der Weisheit und Gebete. Geschrieben während seiner Verbannung in Bagdad 1857/58 . . . kart. —.80
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Frohe Botschaften. Worte des Paradieses, Tablet Tarasat (Schmuck), Tablet Taschalliat (Lichtstrahlen), Tablet Ischrakat (Glanz). Mahnrufe und Anweisungen an die Völker der Erde . . gebunden 2.00
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Buch der Gewißheit oder Kitábu’l-Iqán. Eine Auseinandersetzung mit theologischen Fragen verschiedener Religionen, geschrieben in Bagdad um 1862. Ist fortsetzungsweise in den beiden Jahrgängen X und XI unserer Zeitschrift „Sonne der Wahrheit“ enthalten.
Jahrgang gebunden je 6.--
'Abdu'l-Bahá Abbas
Ansprachen in Paris. ‘Abdu’l-Bahá spricht hier über zahlreiche Fragen, nach deren Klärung die Völker der Erde suchen.
gebunden 2.--
Beantwortete Fragen. Erklärungen zu christlichen und islamischen Fragen, Behandlung allgemeiner weltanschaulicher Probleme . . . . . . Ganzleinen 2.50
Sendschreiben an die Haager Friedenskonferenz 1919 . . . . . --.20
Sonstiges
Geschichte und Wahrheitsbeweise der Bahá’i-Religion, Einführung in die Gedankenwelt der Bahá’i-Lehre von einem orientalischen Gelehrten. Von Mirza Abul Fazl . . . . . gebunden 2.--
Bahá’u’lláh und das neue Zeitalter. ein Lehrbuch von Dr. J. E. Esslemont. Ganzleinen 2.50
'Abdu'l-Bahá Abbas’ Leben und Lehren, von Myron H. Phelps. . . . . .gebunden 2.--
Die Bahá’i-Offenbarung, ein Lehrbuch von Thornton Chase. . . . . . . kart. 2.--
Am Morgen einer neuen Zeit. Untersuchung der geistigen Ursachen der Weltkrise und Beleuchtung der letzthin einzigen Möglichkeit ihrer Überwindung durch die Bahá’i-Lehre. Von Dr. Hermann Großmann . . . . . kart. 1.80
Ganzleinen 2.50
Die Bahá’i-Weltanschauung. Eine kurze Einführung. Von Pauline Hartmann . . . . —.20
Das Hinscheiden 'Abdu'l-Bahás ("The Passing of 'Abdu'l-Bahá") . . . -.30
Sonne der Wahrheit. Bahá'i-Monatszeitschrift.
- Jahrgang III - IX gebunden je 3.--
- Jahrgang X - XII gebunden je 6.--