Sonne der Wahrheit/Jahrgang 13/Heft 7/Text

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SONNE

DER

WAHRHEIT
 
ORGAN DER DEUTSCHEN BAHAI
 
HEFT 7 13. JAHRGANG SEPT. 1933
 


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Die Bahá’i-Lehre,[Bearbeiten]

die Lehre Bahá’u’lláhs erkennt in der Religion die höchste und reinste Quelle allen sittlichen Lebens.

Die Ausdrucksformen des religiösen Lebens des Einzelnen, ganzer Völker und Kulturkreise haben im Laufe der Geschichte entsprechend den jeweils anderen Verhältnissen und dem Wachstum des menschlichen Erkenntnisvermögens Wandlungen erfahren. Die äußeren Gesetze und Gebote aller Weltreligionen entsprachen immer den entwicklungsgeschichtlich gegebenen Erfordernissen in bezug auf den Einzelnen, die soziale Ordnung und das Verhältnis zwischen den Völkern. Alle Religionen beruhen aber auf einer gemeinsamen, geistigen Grundlage. „Diese Grundlage muß notwendigerweise die Wahrheit sein und kann nur eine Einheit, nicht eine Mehrheit bilden.“ ('Abdu'l-Bahá.) „Die Sonne der Wahrheit ist das Wort Gottes, von dem die Erziehung der Menschen im Reich der Gedanken abhängig ist.“ (Bahá’u’lláh.) Alle großen Religionsstifter waren Verkünder des Wortes Gottes entsprechend der Fassungskraft und Entwicklungsstufe der Menschen. Das Wesen der Religion liegt darin, im Bewußtwerden der Abhängigkeit des Menschen von der Wirklichkeit Gottes Seine Offenbarer anzuerkennen und nach Seinen durch sie übermittelten Geboten zu leben.

Die Bahá’i-Lehre bestätigt und vertieft den unverfälschten und unwandelbaren Sinn und Gehalt aller Religionen von neuem und zeigt darüber hinaus die kommende Weltordnung auf, welche die geistige Einheit der Menschheit zur Voraussetzung haben wird. Die in ihr zum Ausdruck kommende Weltanschauung steht mit den Errungenschaften der Wissenschaft ausdrücklich in Einklang.

Die Lehre Bahá’u’lláhs enthält geistige Grundsätze und Richtlinien für eine harmonische Gesellschafts-, Staats- und Wirtschaftsordnung. Sie beruhen auf dem Gedanken der natürlich gewachsenen, organischen Einheit jedes Volkes und der das Völkische übergreifenden geistigen Einheit der Menschheit. Den Interessen der Volksgemeinschaft sind die Sonderinteressen des Einzelnen unterzuordnen, denn nur die Gesamtwohlfahrt verbürgt auch das Wohl des Einzelnen.

Wie jede Religion, so wendet sich auch die Bahá’i-Lehre an die Herzensgesinnung des Menschen, um die religiösen Kräfte in den Dienst wahren Menschentums zu stellen. Sie erstrebt die Höherentwicklung der Menschheit mehr durch die Selbsterziehung des Einzelnen als durch äußerlich-organisatorische Maßnahmen. Der Bahá’i hat sich daher über seine ernst aufgefaßten staatsbürgerlichen Pflichten hinaus nicht in die Politik einzumischen, sondern sich zum Träger der Ordnung und des Friedens im menschlichen Gemeinschaftsleben zu erheben. Bahá’u’lláhs Worte sind: „Es ist euch zur Pflicht gemacht, euch allen gerechten Regenten ergeben zu zeigen und jedem gerechten König eure Treue zu beweisen. Dienet den Herrschern der Welt mit der höchsten Wahrhaftigkeit und Treue. Zeiget ihnen Gehorsam und seid ihre wohlwollenden Freunde. Mischt euch nicht ohne ihre Erlaubnis und Zulassung in politische Dinge ein, denn Untreue gegenüber dem Herrscher ist Untreue gegenüber Gott selbst.“

Bahá’u’lláh weist den Weg zu einer befriedeten, im Geiste geeinigten Menschheit. Ein alle Staaten umfassender Bund in ihrer Eigenart entwickelter und unabhängiger Völker auf der Grundlage der Gleichberechtigung, ausgestattet mit völkerrechtlichen Vollmachten und Vollstreckungsgewalten gegenüber Friedensstörern, soll die übernationalen Interessen aller Völker der Erde in völliger Unparteilichkeit und höchster Verantwortung wahrnehmen. Zwischenstaatliche Konflikte sind durch einen von allen Staaten beschickten Weltschiedsgerichtshof auf friedlichem Wege beizulegen.

Die geistige Wesensgleichheit aller Menschen und Völker erheischt einen organischen Aufbau der sozialen Weltordnung, in der jedem seine einzigartige, besondere Eingliederung und Aufgabe zugewiesen ist. Die geographischen, biologischen und geschichtlichen Gegebenheiten bedürfen im Gemeinschaftsleben der Völker immer einer besonderen Beachtung, ohne die sie umschließende Einheit im Reiche des Geistes aus den Augen zu verlieren.

Die Lehre Bahá’u’lláhs „ist in ihrem Ursprung göttlich, in ihren Zielen allumfassend, in ihrem Ausblick weit, in ihrer Methode wissenschaftlich, in ihren Grundsätzen menschendienend und von kraftvollem Einfluß auf die Herzen und Gemüter der Menschen“.


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SONNE DER WAHRHEIT
Organ der deutschen Bahá’i
Verantwortliche Schriftleitung: Alice Schwarz-Solivo, Stuttgart, Alexanderstraße 3
Preis vierteljährlich 1.80 Goldmark, im Ausland 2.– Goldmark
Heft 7 Stuttgart, im September 1933
’Izzat — (Macht) 90
13. Jahrgang

Inhalt: Göttliche Lebenskunst. — Sendschreiben Seiner Heiligkeit Bahá’u’lláh an Nasreddin, Schah von Persien (1848— 1896).


O Menschenkind! Für jedes Ding gibt es ein Sinnbild. Das Zeichen der Liebe ist die Seelenstärke, mit der du dich in Meinem Ratschluß fügst, und die Geduld in Meinen Prüfungen.

Bahá’u’lláh

Verborgene Worte



Göttliche Lebenskunst[Bearbeiten]

Aus den Schriften von ‘Abdu’l-Bahá (Schluß)

Zusammengestellt von Mary M. Rabb (Neuyork, Brentanos Publishers)

Übersetzt von Johanna von Werthern-Stuttgart


4. Kapitel: Glaube, Loslösung, Opfer


Eines der Erfordernisse der Treue ist es, daß du dich selbst auf dem göttlichen Pfade aufopfern mögest, deine Augen vor jedem Vergnügen schließest — und mit ganzer Seele darnach strebst, daß du, wie ein Tropfen, dich im Meere der Liebe Gottes versinken und verlieren mögest.

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Der Offenbarer Gottes ist ein vollkommenes Beispiel für wahren Gehorsam. Wie Er müssen auch wir alles opfern, jeden Plan, jede Sehnsucht und jedes Ideal muß völlig dem Willen Gottes hingegeben werden. Wir müssen zu Gott bitten, um alles, was wir wünschen, um alles, was wir erreichen wollen. Der Wille Gottes muß seine Absicht in uns zur Auswirkung bringen. Unser menschlicher Wille muß niedergelegt werden in Opfer und Liebe. ‘Abdu’l-Bahá hat alles dem Willen Gottes in Opfer und Gehorsam dahingegeben .... Unsere Lebenskraft, unser äußeres Selbst, unser inneres Selbst muß Gott geweiht werden in Dienst und Opfer. Selbst das Leben muß dahingegeben werden, wenn es nötig ist. Wenn wir diesen Zustand der Selbstverleugnung nicht erreicht haben, sind wir nicht zu wahrem Gehorsam unter den Willen Gottes gelangt. Ein Schüler muß sich völlig dem Willen des Lehrers unterwerfen. Dies ist wahres Opfer, wahrer Gehorsam.

Wahrer Gehorsam und wahres Opfer sind identisch, sie sind unbedingte Bereitschaft, zu befolgen und auszuführen, was immer in der Sache Gottes zu tun dir auferlegt werde. Wenn du Gott wirklich liebst, so wirst du bereit sein, Ihm alles zu opfern und dich völlig Seinem Willen zu unterwerfen. Weihe dich Ihm ganz. Sein Wille bedeutet alles. Sein Dienst ist das Höchste.

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Mit der Forderung, daß der Mensch sich selbst vergessen soll, ist gemeint, daß er sich zum Mysterium des Opfers erheben soll (dies bedeutet das Überwinden sterblicher Gefühle und das Aufgeben tadelnswerter Bitten, welche die Dunkelheiten unseres vergänglichen Lebens bilden), nicht aber, daß er seine körperliche Gesundheit und seine Geisteskräfte schwächen soll.

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Asketentum ist nicht notwendig. Eine Seele wächst durch die Ausübung menschlicher Tugenden, die Wahrung menschlicher Sitten und durch göttliche Gunst. Das strenge Asketentum der Heiligen war Aberglaube. Das Mönchstum der christlichen Kirche war ein Fehler. Der Apostel Paulus ist für vieles davon verantwortlich, weil er in einer seiner Episteln die Menschen preist, welche nicht heiraten. Paulus mißbilligte den Ehestand. Aber Gott schenkte uns nicht Gaben, damit wir sie verschmähen sollen. Er schuf alle Segnungen, damit seine Geschöpfe Ihn preisen mögen.

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In dieser neuesten Offenbarung des göttlichen Willens ist das Asketentum geistiger Art, denn geistiges Asketentum ist gut und bringt Erfolge. Der Mensch kann Tugenden erlangen einerseits durch angeborene Kräfte seiner Natur und andererseits können sie durch die Schwäche seiner Natur bedingt sein. Zum Beispiel: ein Kind ist frei von der Welt. Dieses Freisein oder Losgelöstsein ist seiner Schwachheit zuzuschreiben. Aber ein weiser Mensch, der das Alter der Reife erreicht hat, mag ebenso frei sein von der Welt und sich nicht um sie kümmern. Loslösung auf dieser Stufe ist ein Zeichen angeborener Stärke des Charakters. Ein welker Arm ist unfähig, jemanden zu steinigen oder zu schlagen. Diese Harmlosigkeit ist nicht einer Tugend zuzuschreiben, sondern einer Schwäche. Wenn aber ein Mensch, dessen Hand und Arm gesund und stark ist, nicht schlägt, so ist dies ein Zeichen von Stärke und Tugend. Ein Stummer und Tauber kann nicht lügen, aber dieses Nicht-Lügen ist ein Anzeichen einer Schwäche, nicht einer Stärke. Aber der, dessen Zunge redet und nicht lügt, ist wahrhaft mächtig. Ein Toter ist ungefährlich, nichts Böses kann von ihm kommen, aber das ist kein Lob. Kommt von einem Lebenden nichts Böses, so bedeutet dies ein Lob für ihn. Nun kommen wir zum Thema.

Durch die Härten des Asketentums werden die Kräfte der Natur gestört, dies führt zu großer Schwäche und Unfähigkeit, etwas zu tun. Ein solcher Mensch wird keine Härte zeigen. Er wird nichts Böses tun. Er wird keinen Aufruhr verursachen; er ist ruhig. Er ist benachteiligt; er ist wie ein Lamm. Aber dies ist seiner Schwäche zuzuschreiben. — Wer aber geistiges Asketentum erlangt, erwirbt diese Eigenschaften durch Stärke des Charakters. Wenn ein Mensch durch seine Natur, das heißt durch gewisse Unvollkommenheiten seiner Natur, unfähig ist, tadelnswerte Handlungen zu begehen, so spricht dies nicht zu seinen Gunsten. Wenn er aber durch seine Willenskraft und geistige Übung zu einem Zustand des Charakters gelangt, der ihn von solchen Handlungen abhält, so ist dies ein großes Verdienst. Der geistesgestörte Mensch ist gelöst von Fesseln und Versuchungen; er ist frei von Bindungen. Aber dies ist kein Lob für ihn. Wenn aber die Jünger Christi, die in normaler geistiger und körperlicher Verfassung waren, alle Dinge des Lebens verließen, so ist dies in der Tat lobenswert. Körperliches Asketentum wird im Laufe der Zeit zu völliger Aufzehrung der Kräfte, zu größter Schwäche führen. Es wird keine Neigung zur Sünde, keine Bindung an dieses Leben, keine Habsucht, kein Streit und Angriff mehr bestehen, aber dies ist dem Verfall der Kräfte zuzuschreiben. Geistiges Asketentum dagegen hilft dem Menschen zu solchem Blühen seiner Kräfte, daß er fähig wird, seinen Geist abzuwenden von allen Dingen, die nicht sein sollten, und ihn zu ermutigen für alle Dinge, die erstrebenswert sind. In dieser letzten göttlichen Offenbarung gibt es kein physisches oder materielles Asketentum. Die Geistigen sind Asketen, und dies Asketentum besteht im Ausbilden der Seelen und der Erziehung der Menschheit zu guten Sitten und der Erlangung der Eigenschaften des Königreiches.

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[Seite 75] Fasten ist ein Symbol. Fasten bedeutet Enthaltsamkeit von Lust. Physisches Fasten ist ein Symbol für diese Enthaltsamkeit und eine Mahnung; das heißt, gerade wie ein Mensch sich körperlicher Neigungen enthält, soll er sich selbstsüchtiger Neigungen und Wünsche enthalten. Aber bloße Enthaltung von Nahrung hat keinen Einfluß auf den Geist. Es ist nur Symbol, eine Mahnung. Ohne dies hat es keinen Einfluß. Fasten in diesem Sinne bedeutet nicht völlige Enthaltsamkeit von Nahrung. Die goldene Regel für die Ernährung ist, nicht zu viel und nicht zu wenig zu nehmen. Mäßigkeit ist notwendig. Eine Sekte in Indien übt äußerste Enthaltsamkeit, gradweise vermindern sie die Nahrung, bis sie von fast nichts leben. Aber ihr Verstand leidet. Ein Mensch ist nicht zum Dienste Gottes tauglich, weder mit dem Verstande noch mit dem Körper, wenn er durch Nahrungsmangel geschwächt ist. Er kann dann nicht klar sehen.

‘Abdu’l-Bahá erwiderte auf die Erwähnung von Experimenten in Amerika, nach denen der Geist gewinnen sollte durch Enthaltsamkeit: „Dies ist Einbildung. . . . Schließlich weiß Gott mehr als alle. Er hat uns Eßlust gegeben; darum sollten wir essen. Wenn der Körper entbehren muß, was ihm notwendig ist, leidet der Geist. Gott fordert von uns nach unserem Vermögen. Wenn einem Manne, der gerade genügend Kraft hat, 50 Kilo zu tragen, 100 Kilo aufgeladen werden, bricht er zusammen. Mäßigung und gesunder Menschenverstand muß angewandt werden.“

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Gelobt sei Gott, daß du fest bist im Bund und standhaft im Testament. Festigkeit und Standhaftigkeit sind die stärksten Grundlagen für Glaube und Sicherheit. Solange als ein Baum seine Wurzeln nicht in die Tiefe der Erde senkt, wird er nicht fest und sicher stehen, noch wird er wachsen und sich vollkommen entwickeln können. Und wenn er nicht fest verwurzelt ist, wird er von der Gewalt des ersten heftigen Sturmes umgerissen werden.

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Es bedarf keines Wunders, um das Erscheinen des Königreiches Gottes zu bekennen, aber wirkliches Wunder besteht in guten Taten, Gehorsam gegen die Gebote und Lehren des Wahren Herrn, und Festigkeit auf Seinem Pfade, selbst beim heftigsten Sturme.



Sendschreiben Seiner Heiligkeit Bahá’u’lláh an Nasreddin, Schah von Persien (1848-1896) *)[Bearbeiten]

*) Übertragung aus der französischen Übersetzung des Dr. Hippolyte Dreyfus, L’œuvre de Bahá’ou’lláh, Tome II, Librairie E. Leroux, Paris, 1924.

Dieses Sendschreiben hatte keinerlei Erfolg, vielmehr wurde der Überbringer desselben festgenommen und dem Märtyrertod überliefert, indem man ihm heiße Steine ins Fleisch drückte.

Seine Heiligkeit Abdu’l-Bahá äußerte einmal folgendes über diese Begebenheit: „Ein an den Schah von Persien gerichteter Brief wurde einem persischen Gläubigen, namens Mirza Badi Khorasani, anvertraut, der es auf sich nahm, ihn dem Schah eigenhändig zu übergeben. Der unerschrockene Mann wartete in der Nähe von Teheran auf den Schah, der auf einer Reise nach seiner Sommerresidenz des Weges kommen sollte. Der mutige Bote folgte dem Schah bis zu seinem Palaste und hielt sich verschiedene Tage lang in der Nähe des Einganges auf. Man sah ihn immer an derselben Stelle auf der Straße warten, bis die Leute zuletzt auf ihn aufmerksam wurden. Schließlich erfuhr der Schah von ihm und befahl , seinen Dienern, diesen Mann vor ihn zu bringen.

Badi sagte: ‚O Diener des Schah, ich bringe einen Brief, den ich Seiner Majestät persönlich abgeben muß.‘ Als er dann vor den Schah gebracht wurde, sagte er: ‚Ich bringe Ihnen einen Brief von Bahá’u’lláh.‘

Sofort wurde er abgefaßt und von denen ausgefragt, die ihm gerne eine Auskunft abgelockt hätten, welche ihnen zur weiteren Verfolgung Bahá’u’lláhs nützlich gewesen wäre. Aber Badi antwortete ihnen kein Wort. Daraufhin folterten sie ihn, aber er bewahrte trotz allen seine Ruhe. Als sie ihn auch nach drei Tagen nicht zum Sprechen bringen konnten, töteten sie ihn. Diese grausamen Menschen photographierten ihn noch, während er den qualvollen Märtyrertod starb.

Der Schah übergab den Brief Bahá’u’lláhs den Priestern und forderte sie auf, ihm dessen Inhalt zu erklären. Nach einigen Tagen gaben diese zur Antwort, der Brief sei von einem politischen Feinde geschrieben. Der Schah wurde zornig und sagte: ‚Dies ist keine Erklärung: ich bezahle euch, damit ihr meine Briefe lesen und beantworten sollt. Deshalb habt ihr zu gehorchen.‘ Schließlich schenkte er aber dem Briefe keine weitere Beachtung mehr und lebte in gleicher Weise bis an sein Ende.“


O König der Erde, höre auf die Stimme deines Untertans. Wahrlich, ich bin ein Mensch, der an Gott und Seine Zeichen glaubt und sich auf Seinem Pfade geopfert hat, wofür die Leiden [Seite 76] Zeugnis ablegen, in denen ich mich befinde und derengleichen kein menschliches Wesen getragen hat. Und mein Herr, der Wissende, ist Zeuge meiner Worte. Ich habe die Menschen zu nichts anderem gerufen, als dein Herr und der Herr der Welten. Und in Seiner Liebe sind mir Dinge widerfahren, wie sie das Auge der Schöpfung nie gesehen, was jene bestätigen können, die die Schleier menschlicher Natur nicht daran gehindert haben, sich dem herrlichen Anblicke zuzuwenden, und außerdem Jener, Dem das Wissen aller Dinge in einem verwahrten Tablete eigen. Jedesmal, wenn die Wolken des Verhängnisses die Pfeile des Leides auf dem Wege Gottes, des Herrn der Namen, regnen lassen, eile ich ihnen entgegen; und es bezeugt dies jeder Edelmütige und gut Unterrichtete. Wie zahlreich waren die Nächte, da die wilden Tiere in ihren Verstecken ausruhten und die Vögel in ihren Nestern, während ich in Banden und Ketten lag und für mich selbst nicht Hilfe noch Beistand fand! „Künde von der Gnade Gottes zu dir, da du mit einer Anzahl anderer im Gefängnis warst und Er dich aus ihm befreit und dir mit den Heerscharen des Unsichtbaren und des Sichtbaren beigestanden hat, bis daß der König dich nach dem Irak sandte, sobald Wir ihn erst einmal hatten erkennen lassen, daß du kein Aufrührer warst1).“ Wahrlich, die ihren Leidenschaften nachgehen und sich vom Guten abwenden, sind offensichtlich in der Irre. Und jene, die Aufruhr schüren auf der Erde und Blut vergießen und der Menschen Habe an sich reißen, — sie geben Wir preis und bitten Gott, Uns ihnen weder in dieser noch in der anderen Welt zuzugesellen, so sie sich nicht zu Ihm bekehren. Wahrlich, Er ist der Barmherzigste der Barmherzigen!

Wahrlich, dem, der sich Gott zuwendet, ziemt es, bei allen Handlungen sich darüber klar zu werden, was nicht von Ihm ist, und sich nach dem zu richten, was ihm im Buche empfohlen ist: also lautet die Verordnung des verständlichen Buches. Jene aber, die den Befehl Gottes mißachten und ihren Leidenschaften folgen, sind auf schauerlichem Irrweg!

O König, ich bitte dich inständig bei deinem Herrn, dem Barmherzigen, auf die Menschen mit den Augen der Huld zu schauen und mit Gerechtigkeit in ihrer Mitte zu regieren, damit Gott dir ein gnädiges Urteil sprechen kann: wahrlich, dein Herr spricht das Urteil, wem Er will. Die Welt wird vergehen mit allem Ruhm und aller Erniedrigung, die sie enthält, während das Königreich Gottes, des Allerhöchsten, des allwissenden Königs Bestand haben wird!

Sprich: wahrlich, Er hat die Leuchte des Beyán entzündet und Er wird sie mit dem Öle der Gedanken und des Ausdrucks unterhalten: dein Herr, der Barmherzige, steht über dem Ungehorsam der Geschöpfe! Wahrlich, Er wird vermöge Seiner Machtvollkommenheit offenbaren, was Ihm gefällt, und Er wird es durch die Schar der Engel der Nähe beschützen. Er hat die Macht über Seine Schöpfung und Er herrscht über Seine Welt: wahrlich, Er ist der Allwissende, der Weise!

O König, wahrlich, ich schlief wie irgend ein anderer Mensch fest auf meinem Lager. Das Wehen des Allerherrlichsten ging über mich hin und lehrte mich das Wissen von dem, was gewesen ist. Dies stammt nicht von mir, sondern von dem Mächtigen und Allwissenden! Und Er befiehlt mir, der Botschaft Stimme zu erheben zwischen Erde und Himmel. Dafür ist mir das widerfahren, was die Augen der Wissenden mit Tränen überschwemmt! Ich habe nicht die Bücher der Menschen gelesen und bin nicht in die Schulen gegangen: erkundige dich bei der Stadt; in der ih war, um dich zu vergewissern, daß ich nicht zu den Lügnern gehöre. Ich bin ein Blatt, das vom Wehen des Willens deines Herrn, des Mächtigen, des Gepriesenen, bewegt wird. Kann es am Platze bleiben, wenn ein heftiger Wind weht? Nein, beim Herrn der Namen und Eigenschaften! Vielmehr — Er bewegt es, wie Er will; denn in der Gegenwart des Ewigen gehört das Dasein nicht dem Unwesenhaften an. Dies ist Sein entschiedener Befehl, dessen Erlaß mich verpflichtet, zu Seiner Verkündigung in der Welt zu reden. Wahrlich, ich war wie tot angesichts Seines Befehls und kehrte wieder an der Hand deines Herrn, des barmherzigen Rahman2). Vermöchte einer von sich aus zu behaupten, was ihm die Feindschaft aller, Kleiner wie Großer, zuziehen wird? Nein, bei Dem, Der der (großen) Feder die ewigen Geheimnisse zu wissen getan! sondern nur jener, dem von dem Mächtigen, dem Starken geholfen wird.

Die Allerhöchste Feder tat mir folgendes kund: „Fürchte nichts; berichte Seiner Majestät dem Könige, was dir widerfahren ist. Wahrlich, sein Herz ist in der Hand deines Herrn, des Barmherzigen. Vielleicht wird Er am Horizonte seines Herzens die Sonne der Gerechtigkeit und Güte aufgehen lassen.“ Also lautete der versiegelte Befehl, der von Dem ausströmte, Welcher befiehlt.

Sprich: „o König, blicke mit gerechten Augen auf deinen Diener und beurteile dann nach Recht, was ihm widerfahren ist. Wahrlich, Gott hat dich zu Seinem Schatten gemacht unter [Seite 77] deinen Untertanen und zum Zeichen Seiner Macht für die Bewohner dieser Erde: entscheide zwischen uns und jenen, die uns ohne Beweis und klaren Grund unterdrückt haben. Wahrlich, deine Umgebung liebt dich ihrer selbst wegen, während ich dich um deiner selbst willen liebe, und ich wünsche nur das, was dich dem Orte der Gnade näherzubringen und der rechten Hand der Gerechtigkeit zuzuwenden vermag: dein Herr ist Zeuge dessen, was ich sage.

O König, hörtest du das Rauschen der Allerhöchsten Feder und das Gurren der Taube der Ewigkeit auf den Ästen des Sadratu’l Montaha3),die Gott, den Erschaffer der Namen, den Schöpfer des Himmels und der Erde verkünden, dann gelangtest du zu einer Stufe, allwo du in der Welt nur den Glanz des Angebeteten sehen und die Macht als verächtlichstes Ding betrachten würdest; du überließest sie jenen, die danach gelüstet, und würdest dich einem von der Lichtfülle des (großen) Antlitzes erleuchteten Horizonte zuwenden; nicht mehr ertrügest du die Bürde der Regierung, es wäre denn, um deinem Herrn, dem Hohen, dem Allerhöchsten, behilflich zu sein. Alsdann würde die Allerhöchste Versammlung dich segnen. Wie schön wäre diese herrliche Stufe, wenn du vermöge der Macht zu ihr gelangen wolltest, die der Name Gottes verleiht!

Unter den Menschen behaupten welche, ich suche nur meinen Namen zu verewigen, andere, ich trachte nach den Gütern dieser Welt. Und dabei habe ich in meinem ganzen Leben keinen Platz gefunden, auf den ich in Sicherheit meine Füße setzen konnte, und war immer in ein Maß von Leid getaucht, das Gott allein kennt: wahrlich, Er weiß, was ich sage. Wieviele Tage über waren meine Freunde meiner harten Lage wegen bekümmert, und wieviele Nächte lang hat sich der Laut der Klage erhoben unter den Meinigen, die für mein Leben fürchteten! Keiner wird es ableugnen, außer jenem, der keine Aufrichtigkeit besitzt. Hängt der an dieser Welt, der nicht darauf rechnet, einen einzigen Augenblick zu leben? Ich wundere mich über jene, die ihren Wünschen gemäß reden und wie Narren in der Wüste der Leidenschaften und der Sinne umherirren! Man wird sie fragen über das, was sie gesagt haben; und sie werden an diesem Tage für sich weder Schutz noch Hilfe finden. Und andere unter ihnen behaupten: „Wahrlich, er hat Gott geleugnet.“ Und dies, trotzdem alle meine Glieder bezeugen, daß es keinen anderen Gott gibt als Ihn, und obgleich die, die Er durch die Wahrheit entzündet und zum Heile der Menschheit gesandt hat, die Offenbarungen Seiner allerhöchsten Namen sind, die Zeichen Seiner erhabenen Eigenschaften und Behälter Seiner Offenbarung im Reiche der Schöpfung4). Durch sie wird der Beweis Gottes für jeden anderen außer Ihm vollkommen erbracht, das Banner der Einheit aufgerichtet und die Zeichen der Loslösung sichtbar; durch sie schwingt sich jede Seele zu Dem auf, Der den Thron innehat. Wir bezeugen, daß es keinen anderen Gott gibt als Ihn; ewig war Er, und nichts gab es neben Ihm; ewig wird Er bleiben, wie Er gewesen ist! Erhaben ist der Barmherzige darüber, daß die Herzen der Kenntnisreichen zum Erfassen Seines Seins gelangen oder daß der Verstand der Bewohner der Erde die Kenntnis Seines Wesens erreichen kann. Er steht geheiligt über dem Bekanntsein für jeden anderen außer Ihm und ist frei vom Erfaßtwerden durch alles, was außerhalb von Ihm ist: wahrlich, seit aller Ewigkeit war Er unabhängig von den Welten!

Gedenke der Tage, da die Sonne von Batha5) am Horizonte des Willens deines Herrn, des Großen, des Allerhöchsten, aufging: die Schriftweisen wandten sich von ihr ab und die Gelehrten fanden sie fehlerhaft. Begreife alsdann, was heute hinter den Lichtschleiern6) verborgen ist. Die Lage verschlechterte sich für ihn7) allseits, bis daß seine Jünger auf seine Anordnung hin sich zerstreuten: also ward es bestimmt vom Himmel der Herrlichkeit. Erinnere dich ferner daran, wie einer von ihnen vor den Negus8) gelangte und ihm eine Sure des Koran vortrug. Er sagte zu seiner Umgebung: „Wahrlich, dies wurde von dem Allwissenden, dem Weisen geoffenbart. Wer die Schönheit annimmt und an das glaubt, was Jesus gebracht hat, wird sich von dem, was soeben verlesen wurde, nicht abwenden können; wahrlich, wir bezeugen dies, wie wir das bezeugen, was wir von den Büchern Gottes, des Beschützers, des Ewigen, besitzen!“

Bei Gott, o König, wenn du den Liedern der Taube lauschtest, die auf Befehl deines Herrn, des Barmherzigen, auf den Ästen ihre vielerlei Weisen vorträgt, dann würdest du bestimmt deinem Königreihe den Rücken kehren und dich dem herrlichen Anblick. am Horizonte der Stelle zuwenden, von wo aus das Buch der Morgenröte9) zu sehen ist; du würdest deinen Besitz verteilen und zu erlangen trachten, was [Seite 78] Gottes ist. Dann würdest du dich auf dem Gipfel des Ruhmes und der Erhöhung befinden, im Zenith der Größe und Unabhängigkeit: also ward die Sache im Ommu’l Beyán10) durch die Feder des Barmherzigen niedergelegt. In dem, was du heute besitzest, liegt keinerlei Wert, denn morgen wird es ein anderer an deiner Statt sein eigen nennen. Wähle für dich, was Gott für Seine Erwählten ausersehen: wahrlich, Er wird dir ein mächtiges Reich in Seinem Königreiche bescheren. Wir bitten Gott, daß Er deiner Majestät helfe, auf das Wort zu hören, das die Welt erleuchtet, und daß Er dich vor jenen bewahre, die den Regionen der Nähe fernbleiben!

Ruhm sei Dir, o Gott! O Gott, wie viele Köpfe sind aufgespießt worden auf Deinem Pfade! Wie viele Brüste sind den Pfeilen entgegengegangen um Deines Wohlgefallens willen! Wie viele Herzen wurden durchbohrt zur Erhöhung Deines Wortes und zur Ausbreitung Deiner Sache! Wie viele Augen wurden in Tränen gebadet für Deine Liebe! O König der Könige und Erbarmer ihrer Untertanen! Bei Deinem Größten Namen, der zur Morgenröte Deiner erhabenen Namen und zur Offenbarung Deiner höchsten Attribute geworden ist, bitte ich Dich, die Schleier zu lüften, die Dich von Deinen Geschöpfen trennen und sie hindern, sich dem Horizonte Deiner Offenbarung zuzuwenden; alsdann ziehe sie, o Gott, kraft Deines allerhöchsten Wortes von der Linken der Einbildung und Nachlässigkeit zur Rechten der Gewißheit und des Wissens, auf daß sie zu erkennen vermögen, was Du in Deiner Güte und Huld für sie wünschest, und sie sich der Offenbarung Deiner Sache und der Morgenröte Deiner Zeichen zuwenden.

O Gott, Du bist der Gnädige, der Herr voller Güte. Entferne Deine Diener nicht von dem mächtigen Ozean, den Du dazu erschaffen, die Perlen Deines Wissens und Deiner Weisheit hervorzubringen, und verstoße sie nicht von Deiner Tür, die Du für alle in Deinem Himmel und auf der Erde geöffnet hast. O Herr, überlasse sie nicht sich selbst, denn sie begreifen nicht und fliehen das, was ihnen mehr frommt als alles, was auf Erden erschaffen ward. Wirf auf sie, o Herr, den Blick der Augen Deiner Gunst- und Gütebezeugungen und befreie sie von der Leidenschaft und den Sinnen, auf daß sie sich Deinem allerhöchsten Horizonte nahen und die Wonnen Deiner Verkündigung entdecken können, wie die Freuden der (großen) Tafel, die aus dem Himmel Deines Willens und der Atmosphäre Deiner Güte herabgestiegen ist. Ewig hat Deine Gnade die Wesen des Zufalls umhüllt und ist Deine Barmherzigkeit ihren Geschöpfen vorangegangen: es gibt keinen anderen Gott als Dich, den Verzeihenden, den Barmherzigen!

Ruhm sei Dir, o Gott! Du weißt, daß mein Herz in Deiner Sache aufgeht, daß mein Blut in jeder meiner Adern durch das Feuer Deiner Liebe aufwallt und jeder Tropfen zu Dir schreit: „o Allerhöchster Herr, laß mich zur Erde fließen auf Deinem Pfade, auf daß aus mir sprieße, was Du in Deinen Tablets gewünscht, dem Blicke Deiner Diener aber entzogen hast, mit Ausnahme jener, die aus den Händen Deiner Gnade den Kawther der Erkenntnis und aus dem Kelch Deiner Gaben den Salsabil der Weisheit getrunken haben!“ Du weißt, o Gott, daf ich nach keiner anderen Sache als nach der Deinigen Verlangen trage, so daß mir nur daran gelegen ist, Dich zu verkündigen, und meine Feder sich nur bewegt, um Dein Wohlgefallen zu suchen und das zu offenbaren, was Du mir vermöge Deiner Machtvollkommenheit befohlen hast! Du siehst mich, o Gott, genarrt auf Deiner Erde: wenn ich sage, was zu sagen Du mir befohlen hast, dann wenden sich Deine Geschöpfe von mir ab; und wenn ich Deinen Befehl nicht beachte, verdiene ich nur die Schläge Deines Zornes und die Entfernung aus den Gärten Deiner Nähe! Nein, bei Deiner Herrlichkeit! ich wende mich Deinem Wohlgefallen zu und kehre mich ab von dem, wonach die Seelen der Diener verlangt: ich nehme das an, was mit Dir ist, und lasse ab von dem, was mich von den Zufluchtstätten Deiner Nähe und den Höhen Deiner Herrlichkeit entfernen würde. Bei Deiner Herrlichkeit! um Deiner Liebe willen weiche ich vor nichts zurück und für Dein Wohlgefallen fürchte ich alle Leiden der Erde nicht. Und dies geschieht nur durch Deine Kraft, Deine Macht, Meine Herrschaft, Deine Gnade und Deine Gunst, und nicht durch mein Verdienst!

O Gott, dies ist ein Schreiben, das ich dem Könige senden will. Und Du weißt, daß ich ihn nur bitte, Deinem Volke seine Gerechtigkeit zu beweisen und den Bewohnern Deines Königreiches seine Gewogenheit kundzutun. Wahrlich, bei meiner Seele, ich habe nichts anderes verlangt, als was Du verlangt hast, und, bei Deiner Macht, ich verlange nur, was Du verlangst. Tod dem Wesen, das von Dir anderes begehrt, als Dich selbst! Bei Deiner Herrlichkeit! Dein Wohlgefallen bildet die Grenze meines Hoffens und Dein Wille das äußerste Ende meines Wünschens! So sei denn barmherzig, [Seite 79] o Gott, zu diesem Armen, der den Saum des Gewandes des (großen) Reichtums erfaßt hat, und zu diesem Niedrigen, der Dich bei den Namen des Mächtigen, des Großen ruft! Hilf, o Gott, Seiner Majestät dem König, daß er Deine Gebote unter Deinen Dienern ausführe und Deine Gerechtigkeit unter Deinen Geschöpfen zeige, daß er dieses Volk11) regiere, wie er die anderen regiert. Wahrlich, Du bist der Mächtige, der Starke, der Weise!

Mit Erlaubnis und Einverständnis des Königs der Zeit begab ich mich vom Sitz der königlichen Regierung12) nach dem Irak arabi und wohnte zwölf Jahre in diesem Lande. Während meines Aufenthalts beklagte ich mich weder bei dem königlichen Hofe noch bei fremden Regierungen über meine Lage. Im Vertrauen auf Gott wohnte ich in diesem Lande bis zur Ankunft eines Beamten im Irak, der alsbald diese Schar Unglücklicher13) zu quälen begann. Mißbraucht von einigen Religionsgelehrten, die hervortraten oder sich verbargen, verfolgte er täglich diese Diener, obgleich man bei ihnen nie etwas gesehen, was im Gegensatz zur Regierung oder zur Religion oder in Feindseligkeit zu den Prinzipien oder den Gebräuchen der Völkerschaften des Reiches gestanden hätte. Als ich sodann sah, daß — was Gott verhüte! — die weltorganisatorischen Befehle des Sultans durch die Handlungsweise der Ungläubigen Mißachtung erfuhren, sandte ich an den Minister des Auswärtigen, Mirza Said Khan, einen gedrängten Bericht zur Unterbreitung bei Hofe und zu dem Zwecke, daß die Befolgung der Weisungen des Sultans veranlaßt würde. Lange Zeit verging, und es kam keine Weisung. Schließlich spitzten sich die Dinge dermaßen zu, daß man zu fürchten begann, es werde plötzlich ein Aufstand ausbrechen und das Blut des Volkes vergossen werden. Notgedrungen wandte sich eine kleine Anzahl von Freunden um Schutz für die Diener Gottes an den Vali14) des Irak.

Wenn man diese Ereignisse mit dem Auge der Gerechtigkeit betrachtet, dann tritt im Spiegel eines strahlenden Herzens klar zutage, daß das, was sich zugetragen hat, aus der Not heraus geschah und es kein anderes sichtbares und wirksames Mittel gab. Die (hohe) Person des Königs der Könige wird bezeugen und beweisen, daß überall, wo es eine Anzahl dieser Gläubigen gab, durch gewisse Gouverneure das Feuer des Krieges und der Streitigkeiten entfacht wurde, während ich seit meiner Ankunft im Irak Unbotmäßigkeiten und Kämpfe allen untersagt habe. Und mein Beweis findet sich in meinen Handlungen: ein jeder weiß und bezeugt, daß die Zahl der Gläubigen im Irak größer war als irgendwo anders, und daß trotzdem keine der Grenzen, die ich gezogen hatte, überschritten und niemand beunruhigt wurde.

Ungefähr fünfzehn Jahre sind es nun15), seit sie hier sind, Gott zugewandt und auf Ihn vertrauend: sie haben mit Geduld alles ertragen, was ihnen widerfahren ist, indem sie sich ganz auf Gott verließen. Nach meiner Ankunft in Adrianopel fragten mich einige der Bewohner des Irak und anderer Orte nach der Bedeutung des in den heiligen Büchern geoffenbarten Wortes „Sieg“. Verschiedene Antworten wurden abgesandt, von denen auf diesen Seiten eine aufgeführt werden soll, damit am Hofe der Gegenwart außer Zweifel gesetzt werde, daß ich nur die Redlichkeit und Korrektheit im Auge habe. Und wenn einige der göttlichen Gunstbezeugungen, die mir ohne mein Verdienst zuteil geworden sind, nicht offensichtlich ins Auge fallen, so wird man zum mindesten erkennen, daß Gott in Seiner unerschöpflichen Huld und ewigen Barmherzigkeit mein Herz der Zierde der Vernunft nicht beraubt hat. Der Text der Worte, die zur Erklärung des Wortes „Sieg“ verwendet wurden, ist folgender:

„Er ist Gott, der Gepriesene!

Man weiß, daß Gott (herrlich ist Seine Erwähnung!) in heiliger Unberührtheit steht von der Welt und ihrem Inhalt. Und die Bedeutung von „Sieg“ ist nicht die, daß die Menschen sich gegenseitig bekämpfen und befehden sollen. Der Sultan des „Er tut, was Er will” hat das Reich der Schöpfung, Länder und Meere, den Händen der Könige anvertraut, die gemäß ihrem Rang die Schauplätze der göttlichen Macht sind. Bleiben sie im Schatten Gottes, dann gelten sie wie von Gott kommend; und wenn nicht, dann, wahrlich, — dein Herr ist der Weise, der Allwissende! Was aber Gott für Sich selbst gewollt hat, das sind die Herzen Seiner Diener, die die Schatzkammern der göttlichen Verkündigung und Liebe und die Gehege der göttlichen Wissenschaft und Weisheit sind. Ewig war es der Wille des Sultans der Ewigkeit, die Herzen der Diener von den Merkmalen dieser Welt und ihres Inhaltes zu reinigen, auf daß sie fähig würden, die Lichtmengen der Offenbarung des Trägers der Namen und Eigenschaften aufzunehmen. Deshalb darf der Fremdling zur Stadt des Herzens keinen Zutritt finden, damit der (große) vertraute Freund in seine Wohnung [Seite 80] gelange (d. h. die Offenbarung Seiner Namen und Eigenschaften, nicht aber die erhabene Wesenheit; denn dieser Sultan ohnegleichen war immer und wird stets über das Hinauf- oder Herabsteigen geheiligt sein).

An diesem Tage also bedeutete „Sieg“ nicht — noch wird es bedeuten — Streit mit irgend jemandem oder Kampf gegen irgendwen. Im Gegenteil, in Gottes Wohlgefallen liegt es, wenn die Städte der Herzen, die unter der Botmäßigkeit der Heere der Ichsucht und der Leidenschaft stehen, durch das Schwert der Darlegung, der Weisheit und der Aufklärung erobert werden. Wen immer also nach dem Siege verlangt, der muß zuerst die Stadt seines Herzens mit dem Schwerte der Bedeutung und Klarlegung erobern und vermeiden, irgend etwas anderes auf den Lippen zu führen als Gott. Alsdann wende er sich den Städten der Herzen der anderen zu. Dies ist die Bedeutung von „Sieg“. Der Aufruhr fand nie und findet nicht Gottes Gefallen, und was manche Unwissende früher getan haben, ist niemals gutgeheißen worden. Wenn du um Seines Wohlgefallens willen getötet wirst, so ist dies wahrlich für dich mehr wert, als wenn du tötest.

Die Freunde Gottes müssen sich unter den Dienern in einem solchen Zustande erweisen, daß sie durch ihre Handlungen alle Welt zum Rizwan17) Dessen führen, Dem die Herrlichkeit eigen. Ich schwöre bei der Sonne am Horizonte der Heiligkeit, daß die Freunde Gottes auf die Erde und ihre vergänglichen Güter nie Wert gelegt haben, noch je legen werden! Gott hat immer auf das Herz Seiner Diener geblickt, und auch dies ist Seiner höchsten Gunst zu verdanken, wodurch die Sterblichen von den irdischen Zuständen gereinigt und geheiligt werden und zu den ewigen Stufen gelangen sollen. Und trotzdem ist dieser Sultan der Wahrheit in Sich selbst und für Sich selbst unabhängig von allen Dingen; die Liebe der Wesen des Zufalls schafft Ihm keinen Nutzen und ihr Haß keinen Schaden. Alle irdischen Wesen kommen von Ihm und werden zu Ihm zurückkehren; Gott wohnt ganz allein in Seiner eigenen Behausung, die rein gehalten ist vom Raume, von der Zeit, der Erwähnung, Auslegung, Bezeichnung, Beschreibung, Abgrenzung, Höhe und Tiefe! Und keiner kennt Ihn außer Ihm und jenem, der das Wissen des Buches besitzt. Es gibt keinen anderen Gott als Ihn, den Mächtigen, den Gütigen!“

Die Gerechtigkeit besteht also darin, daß Seine Majestät selbst die Gegebenheiten mit dem Auge der Gerechtigkeit und Großmut prüft und sich nicht damit begnügt, gewisse Bittschriften in Empfang zu nehmen, die weder Begründung noch Beweis enthalten. Wir bitten Gott, dem Sultan beizustehen, Seinen Willen auszuführen, und daß Sein Wille zum Wunsche der Welt werde!

Von Adrianopel verschickte man mich nach Konstantinopel. Wir kamen mit einer Menge Unglücklicher in dieser Stadt an; und nach unserer Ankunft traten wir mit keinerlei Menschen in Verbindung, da wir nichts zu erbitten hatten und lediglich wünschten, allen den sichtbaren Beweis zu liefern, daß wir nicht daran dachten, uns unbotmäßig zu zeigen, daß wir nichts mit den Leuten des Aufruhrs zu tun hatten. Bei Dem, Dessen Geist durch die Zunge aller Dinge gepriesen wird! hinsichtlich gewisser Lagen war es sehr schwierig, eine Entscheidung zu treffen: indessen, was getätigt worden ist, wurde es zum Schutze des Lebens der Gläubigen18),. Wahrlich, mein Herr kennt meiner Seele Gehalt, und wahrlich, Er ist Zeuge für das, was ich sage.

Ein gerechter König ist der Schatten Gottes auf Erden: jeder soll im Schatten seiner Gerechtigkeit wohnen und unter dem seiner Gunst sich geborgen fühlen. Dies ist kein abgesonderter und vorbehaltener Platz, zu dem allein einige Bevorzugte Zutritt haben können, denn der Schatten offenbart den, der den Schatten gibt. Gott (herrlich ist Seine Erwähnung!) heißt der Herr der Welten, denn Er hat sie beschützt und beschützt sie alle. Gepriesen sei Seine Gunst, die den Wesen des Zufalls vorangegangen, und Seine Barmherzigkeit, die den Welten entgegengegangen ist.

(Schluß folgt.)


1) Dies spricht Gott zu Bahá’u’lláh.

2) Rahman = der Barmherzige.

3) Der von den Arabern in der Wüste zur Richtungsangabe gepflanzte Baum. Hier symbolisch zu verstehen.

4) Die Gottgesandten.

5) Batha = Mekka; gemeint ist Seine Heiligkeit Mohammed.

6) Gemeint ist die Person Seiner Heiligkeit Bahá’u’lláh.

7) Seine Heiligkeit Mohammed.

8) Der abessinische König.

9) Titel einer Sure des Koran.

10) Das „Mutterbuch", die Quelle aller geoffenbarten Bücher.

11) Die Bahá’i.

12) Teheran, Hauptstadt Persiens.

13) Die Bahá’i.

14) Türkischer Generalgouverneur.

15) 1852—1867.

16) Koran III, 35.

17) Das heißt zur Anerkennung, Erkenntnis.

18) Vermutliche Anspielung auf die von einigen Bábi erbetene türkische Naturalisierung. Vgl. E. G. Browne, A Traveller’s Narrative.



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