SONNE DER WAHRHEIT | ||
ORGAN DER DEUTSCHEN BAHAI | ||
HEFT 2 | 13. JAHRGANG | APRIL 1933 |
Abdu’l-Bahás Erläuterung der Bahá’i-Prinzipien[Bearbeiten]
1. Die ganze Menschheit muss als Einheit betrachtet werden.
Bahá’u’lláh wandte Sich an die gesamte Menschheit mit den Worten: „Ihr seid alle die Blätter eines Zweigs und die Früchte eines Baumes“. Das heißt: die Menschheit gleicht einem Baum und die Nationen oder Völker gleichen den verschiedenen Ästen und Zweigen; die einzelnen Menschen aber gleichen den Blüten und Früchten dieses Baumes. In dieser Weise stellte Bahá’u’lláh das Prinzip der Einheit der Menschheit dar. Bahá’u’lláh verkündigte die Einheit der ganzen Menschheit, er versenkte sie alle im Meer der göttlichen Gnade.
2. Alle Menschen sollen die Wahrheit selbständig erforschen.
In religiösen Fragen sollte niemand blindlings seinen Eltern und Voreltern folgen. Jeder muß mit eigenen Augen sehen, mit eigenen Ohren hören und die Wahrheit suchen, denn die Religionen sind häufig nichts anderes als Nachahmungen des von den Eltern und Voreltern übernommenen Glaubens.
3. Alle Religionen haben eine gemeinsame Grundlage.
Alle göttlichen Verordnungen beruhen auf ein und derselben Wirklichkeit. Diese Grundlage ist die Wahrheit und bildet eine Einheit, nicht eine Mehrheit. Daher beruhen alle Religionen auf einer einheitlichen Grundlage. Im Laufe der Zeit sind gewisse Formen und Zeremonien der Religion beigefügt worden. Dieses bigotte menschliche Beiwerk ist unwesentlich und nebensächlich und verursacht die Abweichungen und Streitigkeiten unter den Religionen. Wenn wir aber diese äußere Form beiseite legen und die Wirklichkeit suchen, so zeigt sich, daß es nur eine göttliche Religion gibt.
4. Die Religion muss die Ursache der Einigkeit und Eintracht unter den Menschen sein.
Die Religion ist für die Menschheit die größte göttliche Gabe, die Ursache des wahren Lebens und hohen sittlichen Wertes; sie führt den Menschen zum ewigen Leben. Die Religion sollte weder Haß und Feindschaft noch Tyrannei und Ungerechtigkeiten verursachen. Gegenüber einer Religion, die zu Mißhelligkeit und Zwietracht, zu Spaltungen und Streitigkeiten führt, wäre Religionslosigkeit vorzuziehen. Die religiösen Lehren sind für die Seele das, was die Arznei für den Kranken ist. Wenn aber ein Heilmittel die Krankheit verschlimmert, so ist es besser, es nicht anzuwenden.
5. Die Religion muss mit Wissenschaft und Vernunft übereinstimmen.
Die Religion muß mit der Wissenschaft übereinstimmen und der Vernunft entsprechen, so daß die Wissenschaft die Religion, die Religion die Wissenschaft stützt. Diese beiden müssen unauflöslich miteinander verbunden sein.
6. Mann und Frau haben gleiche Rechte.
Dies ist eine besondere Lehre Bahá’u’lláhs, denn die früheren Religionen stellen die Männer über die Frauen. Töchter und Söhne müssen gleichwertige Erziehung und Bildung genießen. Dies wird viel zum Fortschritt und zur Einigung der Menschheit beitragen.
7. Vorurteile jeglicher Art müssen abgelegt werden.
Alle Propheten Gottes kamen, um die Menschen zu einigen, nicht um sie zu trennen. Sie kamen, um das Gesetz der Liebe zu verwirklichen, nicht um Feindschaft unter sie zu bringen. Daher müssen alle Vorurteile rassischer, völkischer, politischer oder religiöser Art abgelegt werden. Wir müssen zur Ursache der Einigung der ganzen Menschheit werden.
8. Der Weltfriede muss verwirklicht werden.
Alle Menschen und Nationen sollen sich bemühen, Frieden unter sich zu schließen. Sie sollen darnach streben, daß der universale Friede zwischen allen Regierungen, Religionen, Rassen und zwischen den Bewohnern der ganzen Welt verwirklicht wird. Die Errichtung des Weltfriedens ist heutzutage die wichtigste Angelegenheit. Die Verwirklichung dieses Prinzips ist eine schreiende Notwendigkeit unserer Zeit.
9. Beide Geschlechter sollen die beste geistige und sittliche Bildung und Erziehung geniessen.
Alle Menschen müssen erzogen und belehrt werden. Eine Forderung der Religion ist, daß jedermann erzogen werde und daß er die Möglichkeit habe, Wissen und Kenntnisse zu erwerben. Die Erziehung jedes Kindes ist unerläßliche Pflicht. Für Elternlose und Unbemittelte hat die Gemeinde zu sorgen.
10. Die soziale Frage muss gelöst werden.
Keiner der früheren Religionsstifter hat die soziale Frage in so umfassender, vergeistigter Weise gelöst wie Bahá’u’lláh. Er hat Anordnungen getroffen, welche die Wohlfahrt und das Glück der ganzen Menschheit sichern. Wenn sich der Reiche eines schönen, sorglosen Lebens erfreut, so hat auch der Arme ein Anrecht auf ein trautes Heim und ein sorgenfreies Dasein. Solange die bisherigen Verhältnisse dauern, wird kein wahrhaft glücklicher Zustand für den Menschen erreicht werden. Vor Gott sind alle Menschen gleich berechtigt, vor Ihm gibt es kein Ansehen der Person; alle stehen im Schutze seiner Gerechtigkeit.
11. Es muss eine Einheitssprache und Einheitsschrift eingeführt werden.
Bahá’u’lláh befahl die Einführung einer Welteinheitssprache. Es muß aus allen Ländern ein Ausschuß zusammentreten, der zur Erleichterung des internationalen Verkehrs entweder eine schon bestehende Sprache zur Weltsprache erklären oder eine neue Sprache als Weltsprache schaffen soll; diese Sprache muß in allen Schulen und Hochschulen der Welt gelehrt werden, damit dann niemand mehr nötig hat, außer dieser Sprache und seiner Muttersprache eine weitere zu erlernen.
12. Es muss ein Weltschiedsgerichtshof eingesetzt werden.
Nach dem Gebot Gottes soll durch das ernstliche Bestreben aller Menschen ein Weltschiedsgerichtshof geschaffen werden, der die Streitigkeiten aller Nationen schlichten soll und dessen Entscheidung sich jedermann unterzuordnen hat.
Vor mehr als 50 Jahren befahl Bahá’u’lláh der Menschheit, den Weltfrieden aufzurichten und rief alle Nationen zum „internationalen Ausgleich“, damit alle Grenzfragen sowie die Fragen nationaler Ehre, nationalen Eigentums und aller internationalen Lebensinteressen durch ein schiedsrichterliches „Haus der Gerechtigkeit" entschieden werden können.
Bahá’u’lláh verkündigte diese Prinzipien allen Herrschern der Welt. Sie sind der Geist und das Licht dieses Zeitalters. Von ihrer Verwirklichung hängt das Wohlergehen für unsere Zeit und das der gesamten Menschheit ab.
SONNE DER WAHRHEIT Organ der deutschen Bahá’i Verantwortliche Schriftleitung: Alice Schwarz-Solivo, Stuttgart, Alexanderstraße 3 Preis vierteljährlich 1.80 Goldmark, im Ausland 2.– Goldmark |
Heft 2 | Stuttgart, im April 1933 Jal’al — (Ruhm) 90 |
13. Jahrgang |
Motto: Einheit der Menschheit — Universaler Friede — Universale Religion
Inhalt: Göttliche Lebenskunst. — Sendschreiben Seiner Heiligkeit Bahá’u’lláh an Kaiser Alexander II. von Rußland. — Aus dem Schatz der Erinnerungen an Abbas Effendi, ’Abdu’l-Bahá, 1906—1911 — Weiße Rosen von Persien. — Die Eßlinger Bahá’i-Sommerwoche. — Bahá’i-Tagung in Karlsruhe in B.
Und ‘Abdu'l-Bahá sprach:
Mirza Ali kam zu mir und jammerte: Wer wird mir helfen? Wer wird mich trösten? Was wird mir Kraft geben? Wer wird mich aus der Not, die mich niederdrückt, erretten? Ich aber nahm seine beiden Hände in die meinen und schaute in seine Augen und frug ihn: O mein Bruder. Wer hat dir bis jetzt geholfen? Wer hat dich bis auf diesen Tag erhalten? Wer hat dir bis jetzt deine Kraft verliehen? - Er schwieg und wir knieten nieder und dankten Gott für den Kelch des Leidens und befahlen uns Ihm und Seiner ewigen Gnade. Es wurde Licht um uns und der Tag ging hin und sagte es der Nacht und die Nacht umhüllte uns und es wurde Tag, und wie der Tag kam, kam auch die Kraft - und die Kraft Gottes wuchs und zerteilte die Wolken und die Sonne der Befreiung trat hervor. Und nun zu Ali: Geht hin nach Teheran, dort lebt und wirkt er in Frieden und Segen. Sein Fragen ist für immer beantwortet.
Zu Miss St., 21. März 1910
Göttliche Lebenskunst[Bearbeiten]
Aus den Schriften von ‘Abdu’l-Bahá (Fortsetzung)
Zusammengestellt von Mary M. Rabb (Neuyork, Brentanos Publishers)
Übersetzt von Johanna von Werthern-Stuttgart
2. Kapitel: Einige Eigenschaften göttlicher Seelen
Niedergeschlagenheit und Kummer kommen vom Zustande des Unzufriedenseins mit
dem, was Gott für uns verordnet hat. Wer sich Gott anheimgibt, ist glücklich.
Ein Mann frug einen anderen: „Wie fühlst du dich?“ Er antwortete: „Vollkommen glücklich.“ „Weshalb bist du so glücklich?“ Er antwortete: „Weil alle existierenden Dinge sich meinem Willen gemäß verhalten; darum finde ich nichts, was meinem Wunsche zuwider läuft: folglich habe ich keine Trübsal. Zweifellos geschehen alle Dinge nach dem Willen Gottes, und ich habe meinen eigenen Willen aufgegeben und verlange nach dem Willen Gottes, folglich wird mein Wille zum Willen Gottes, denn nichts ist von mir selbst. Alles geschieht nach Seinem Willen, darum geschieht es nach meinem Willen. In diesem Zustand bin ich sehr glücklich.“ Wenn der Mensch sich ergibt, wird alles nach seinem Willen geschehen.
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Der Mensch muß eine Fundgrube von Mitleid und Mitgefühl sein. Er muß sich mit der ganzen Menschheit in Freude und Sympathie verbinden. Er darf sein Antlitz von keiner Seele abwenden. Er muß die Gefallenen aufrichten und die Hoffnungslosen trösten. Er muß beiden, Freund und Fremdling, mit Güte begegnen.
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O ihr Freunde Gottes! Zeiget ein solches Betragen, daß alle Nationen und Vereinigungen der Welt, und selbst die Feinde, ihr Vertrauen und ihre Hoffnung auf euch setzen, daß, wenn ein Mensch hunderttausendmal irrt, er euch doch sein Antlitz in der Hoffnung zuwendet, ihr möget ihm vergeben; denn er soll nicht hoffnungslos werden, auch nicht gramzerrissen oder verzweifelt. Dies ist das Betragen und die Art des Volkes Bahás (der Schönheit)! Ihr solltet euer Betragen den Ratschlägen ‘Abdu’l-Bahás anpassen!
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Mögen sie einen solch hohen Grad von Uneigennützigkeit erlangen, daß sie ihr Leben füreinander opfern! Dies ist das wahre Leben der Menschheit!
Dies ist in Übereinstimmung mit dem Wohlgefallen der Gesegneten Vollkommenheit!
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Der Mensch sollte sich immer zu denen gesellen, von welchen er Licht empfangen, oder zu denen, welchen er Licht geben kann. Er sollte Förderung entweder empfangen oder geben; mit Menschen zusammen zu sein ohne eine dieser beiden Möglichkeiten ist Zeitverschwendung um nichts, und damit gewinnt weder er selbst noch veranlaßt er andere, etwas zu gewinnen.
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O du Dienerin! Sei immer sehr großherzig, dann wirst du an der Schwelle des Barmherzigen begünstigt werden. Dein Streben sei erhaben, dann wirst du ewiges Leben im Königreich Gottes erlangen.
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Es ist möglich, sich selbst so zur Betätigung des Seelenadels einzustellen, daß seine Atmosphäre alle unsere Handlungen umgibt und beeinflußt. Wenn diese Handlungen gewohnheitsmäßig und gewissenhaft nach edlen Regeln eingestellt sind, ohne Gedanken an Worte, die sie kund machen könnten, dann wird der Seelenadel zum Impuls des Lebens. Auf einer solchen Stufe der Erhebung braucht man sich kaum mehr zu bemühen, gut zu sein; alle unsere Taten sind zum klaren Ausdruck des Seelenadels geworden.
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Der wirkliche König ist heute, wer allen dient, und wertvoll, wer demütig ist gegenüber
der Menschheit. Je demütiger und bescheidener ein Mensch sein wird, um so näher und
willkommener ist er dem Throne Gottes.
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„Die Schönheit des Allerschönsten“, Bahá’u’lláh, sagte, der Nächste der Schwelle Gottes sei der, welcher allen dient und sich selbst als unendlich klein und nichtexistierend betrachtet, der sich selbst vergißt, sich zu Gott allein wendet und der ganzen Menschheit dient.
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O Völker der Erde! Ich befehle euch, was die Ursache zur Erhebung eurer Stufe ist. Haltet fest an göttlichem Mitleid und laßt nicht von dem, was recht ist. Wahrlich, Ich sage, die Zunge wurde für ehrenhafte Aussage erschaffen, befleckt sie nicht mit übler Rede. Gott hat das Vergangene vergeben. Von nun an müßt ihr alle nur reden, was wahr und richtig ist. Enthaltet euch des Fluchens, des Schmähens und alles dessen, was den Menschen belästigt.
Worte von Bahá’u’lláh.
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Arbeitet um Gottes, und um der Vervollkommnung der Menschheit willen, ohne jede Erwartung von Ruhm oder Vergeltung. Die Gegenwart ist immer unwichtig, aber wir müssen unsere Tage so mit mächtigen, uneigennützigen Taten erfüllen, daß sie bezeichnendes Gewicht und große Bedeutsamkeit für die Zukunft gewinnen.
Wille ist das Zentrum oder der Brennpunkt menschlichen Verstehens. Wir müssen den Willen haben, Gott zu erkennen, gerade wie wir den Willen zum Leben haben müssen, das Er uns gegeben hat. Der Wille des Menschen muß dem Willen Gottes unterstellt und von ihm geschult und erzogen werden. Starken Willen zu haben, ist eine große Kraft, doch größer ist es, diesen Willen Gott zu ergeben. Der Wille ist, was wir tun, das Verstehende, was wir wissen. Wille und Verstehen müssen eins werden in der Sache Gottes. Fester Vorsatz führt zum Erreichen des Zieles.
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In der Welt der Menschheit ist die rechte Absicht das stärkste Mittel zu persönlicher Entwickelung. Wenn ein Mensch richtige Absichten hat, wird er in allen seinen Unternehmungen erfolgreich sein.
(Ende des 2. Kapitels.)
Sendschreiben Seiner Heiligkeit Bahá’u’lláh an Kaiser Alexander II. von Rußland1)[Bearbeiten]
O Kaiser von Rußland! Höre auf den Ruf Alláhs, des Heiligen Königs, und schreite hin zum Paradiese, wo Der thronet, Den man in der Allerhöchsten Versammlung bei den Schönheitsnamen nennt und in der Welt der Schöpfung bei dem Namen Alláh Al Bahia’l Abhá. Hab acht, daß deine Leidenschaften dich nicht abhalten, dich deinem Herrn, dem barmherzigen Rahman2) zuzuwenden. Wir haben gehört, was du von deinem Herrn in deinem Innersten erbeten hast3): auch hat der Wohlgeruch Meiner Gunst sich verbreitet, und das Meer Meiner Barmherzigkeit hebt seine Wogen. Wir haben dich wahrlich erhört, denn dein Herr ist der Wissende, der Weise.
Einer deiner Gesandten ist Mir zuhilfe gekommen, als Ich im Gefängnis in Ketten
und Halseisen lag4). Dafür hat Gott dich durch Erteilung einer Stufe
begünstigt, die keiner kennt außer Ihm: hüte dich, diese wunderbare Stufe herabzusetzen.
Wahrlich, dein Herr ist allmächtig. Er vernichtet oder stärkt, was Er will, und die Allwissenheit
ist mit Ihm in einem verwahrten Tablet. Hab acht, daß das Königtum dich nicht des
Königs beraube, denn Er ist gekommen mit Seinem Königreich, und alle Atome verkünden:
„Der Herr ist in der höchsten Herrlichkeit erschienen! Der Vater ist gekommen,
und der Sohn ruft aus im heiligen Tal: hier bin ich, o mein Gott, hier bin ich!“ Und der
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Sinaï umwandelt Seine Wohnstatt; der brennende Busch verkündet mit lauter Stimme:
„Der Gnadenspender ist gekommen, thronend auf den Wolken! Gesegnet, wer sich
Ihm genaht, und wehe den Ihm Ferngerückten!“
Erhebe dich unter den Menschen für diese wirklichkeitsechte Sache und rufe die Nationen zu Gott, dem Höchsten, dem Allerhöchsten. Zähle nicht zu jenen, die Gott bei einem Seiner Namen anrufen und dann, wenn Er kommt, Den sie anrufen, Ihn verleugnen, sich von Ihm abwenden und mit offensichtlicher Ungerechtigkeit das Urteil gegen Ihn verkünden. Überlege, und denke zurück an die Tage, da Christus kam und Herodes gegen Ihn das Urteil fällte. Da half Ihm Gott mit den Heerscharen des Unsichtbaren, beschirmte Ihn wahrhaftig und sandte Ihn gemäß Seiner Verheißung in ein anderes Land. Wahrlich, Er befiehlt, was Fr will. Dein Herr beschützt den, von dem Er wünscht, daß er weile auf dem Grunde des Meeres, im Rachen des Drachens oder unter den Schwertern der Tyrannen. Segen auf einen König, den die Schleier «der Hoheit nicht haben abhalten können, sich dem Aufgangsorte der Schönheit zuzuwenden, und der auf der Suche nach dem, was bei Gott ist, verworfen hat, was er besaß! Wisse, daß er in den Augen des Höchsten das beste der Geschöpfe ist und daß die Völker des Paradieses, die Tag und Nacht den Thron umgeben, für ihn bitten.
Höre nochmals auf Meinen Ruf, der aus Meinem Kerker kommt, damit Ich dir zeige, was Meiner Schönheit infolge der Kundgebungen Meiner Größe widerfahren ist, und du ersehen mögest, wie groß Meine Geduld ist trotz Meiner Kraft und wie groß Meine Gelassenheit trotz Meiner Macht. Bei Mir Selbst! verstündest du, was Meine Feder geoffenbart hat, und hättest du Kenntnis von den Schätzen Meiner Sache, von den Perlen Meiner Geheimnisse, die in den Meeren Meiner Namen verborgen ruhen, und von den Urnen Meiner Worte, dann würdest du dich aufopfern auf Meinem Pfade, aus Liebe zu Meinem Namen und in glühender Sehnsucht nach Meinem Königreiche, des Starken, des Mächtigen. Wisse, daß Mein Körper unter den Schwertern der Feinde zahllosen Drangsalen unterworfen ist: Mein Geist aber ist in einer Freude, der das Glück der ganzen Welt nicht gleichkommt!
Eile im Herzen zum Mittelpunkte der Welt und rufe: „O Völker der Erde, wollt ihr Den verleugnen, Der sich auf dem Wege Gottes geopfert hat, da Er in Wahrheit kommt mit der Verkündigung eures Herrn, des Großen, des Allerhöchsten?“ Dies ist die frohe Botschaft, die die Herzen der Propheten und der Gesandten von einst erfreute. Er ist der Gegenstand der Gebete der Weltseele und der Verheißungen der Bücher Gottes, des Starken, des Weisen. Um die Begegnung mit Ihm haben sich die Hände der Propheten demütig flehend zu Gott, dem Starken, dem Gepriesenen erhoben. Der Beweis dafür ist das, was in den Tablets geoffenbart worden ist von seiten des Unabhängigen, des Allmächtigen. Unter diesen Propheten haben einige ihr Getrenntsein von Mir beweint, andere haben die Trübsal auf Meinem Pfade gesucht, andere endlich haben ihr Leben für Meine Schönheit geopfert, — — so ihr zu denen zählt, die wissend sind. Wahrlich, Ich habe nicht darnach getrachtet, Mir Attribute zu geben, sondern die Eigenschaften Gottes zu offenbaren, — so du gerecht bist. Man sieht in Mir nur Gott und Seine Sache, so du zu jenen gehörst, die zu sehen wissen. Ich bin es, Den die Verse Jesajas verkünden, und Bibel und Evangelium sind mit Meinem Namen geschmückt. Also ward der Befehl erlassen in den Tablets deines Herrn, des Barmherzigen. Wahrlich, Er legt Zeugnis für Mich ab und Ich zeuge für Ihn und Gott ist Zeuge für das, was Ich sage. Die heiligen Bücher sind nur zu Meiner Verkündigung geoffenbart, und jedes erleuchtete Wesen empfindet Freude, den Wohlgeruch Meines Namens und Meiner Erwähnung darin zu finden; wer immer das Ohr seines Herzens öffnet, vernimmt aus allen ihren Worten: der Wahre ist gekommen, Er ist der Vielgeliebte der Welten.
Wahrlich, Meine Zunge ermahnt dich nur zur Liebe zu Gott, und Meine Feder bewegt
sich nur, um dein Erinnern wachzurufen; denn alle Übel und alle Feindschaft der Erde
können Mir nicht schaden, so wenig wie Mir die Gefolgschaft aller Geschöpfe nützen
kann. Wir sagen euch, was zu sagen Wir in
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Auftrag bekommen haben, und Wir wünschen nichts von euch, als euch dem näher
kommen zu sehen, was euch in dieser und der anderen Welt von Nutzen sein kann.
Sprich: wollt ihr Den töten, Der euch zur Unsterblichkeit ruft? Fürchtet Gott und
folgt nicht jedem irrgläubigen Empörer. O Völker der Verblendung, könnt ihr euch in
Schlössern wohnen sehen, während der König der Offenbarung in der verfallensten
Behausung weilt? Nein, bei Mir Selbst! Ihr seid in euren Gräbern, — so ihr Sehvermögen
hättet; denn wer durch das sanfte Wehen Alláhs in Seinen Tagen nicht bewegt wird,
ist für Gott, den König der Namen und Attribute, ein Toter. Erhebt euch aus den
Gräbern eurer Leidenschaften und wendet euch dem Königreiche eures Herrn zu, Dem der
Thron und die Erde gehört, und beachtet, was euch von eurem Herrn, dem Wissenden
verheißen wurde. Glaubt ihr, daß das, was ihr habt, euch nützen wird? Bald werdet
ihr das alles büßen und werdet unvermeidlich in den Staub zurückkehren.
Also ermahnt dich die Allerhöchste Feder mit der Erlaubnis deines Herrn Abhá. Sprich: „Ruhm sei Dir, o Gott des Weltalls, ob dem, was Du mir durch den Mund Deiner Manifestation zu wissen getan hast, da Sie zur Erlösung der Welt in dem Größten Gefängnis eingeschlossen war!“ Segen auf einen König, den sein Königtum nicht ferngehalten hat von seinem Gebieter, und der mit ganzem Herzen Gott entgegengeeilt ist: er hat wahrhaftig den Wunsch Gottes, des Starken, des Weisen verwirklicht! Du wirst ihn unter den Königen des Königreiches sehen. Wahrlich, dein Herr ist der Mächtige über das, was Er will. Er verleiht, was Er will, wem Er will, und entzieht, wem Ihm gefällt, das was Ihm gutdünkt. Er ist der Allmächtige, der Gebieter!
1) Ins Deutsche übersetzt aus der französischen Übertragung des Dr. Hippolyte Dreyfus, L’oeuvre de Bahá’u’lláh, tome deuxième, Editions Ernest Leroux, Paris, 28 rue Bonaparte, 1924.
2) Rahman = der Barmherzige.
3) Den Sieg über die Türken.
4) In Teheran, vor der Verbannung Seiner Heiligkeit Bahá’u’lláh nach Bagdad.
Aus dem Schatz der Erinnerungen an Abbas Effendi, 'Abdu'l-Bahá. 1906 - 1911[Bearbeiten]
21. Brief von Frau Dr. J. F. † an Frau A. Schwarz, Stuttgart
Ort: Berg Karmel, am Grab des Báb.
Zeit: Erste Märzwoche 1910, später Nachmittag.
Personen: Der Meister 'Abdu'l-Bahá Abbas Effendi, Miß Stevens und Frau Dr. J. F.
Sprache: Persisch mit englischer Übertragung.
Miß Stevens: „Wie stellt sich die erhabene Lehre der Manifestation Bahá’u’lláh zu dem Widerspruch zwischen Destination (Schicksalsbestimmung) und freiem Willen des Menschen (seiner Selbstbestimmung). Wie geschah es z. B., daß ich als weibliches Wesen, als Engländerin, als Christin, im 19. Jahrhundert zur Welt kam; warum bin ich z. B. nicht männlich, Chinese, Konfuzianer im Jahr 1000 geboren?“
Der Meister: „O meine Tochter, du frägst so viel, daß Seine Heiligkeit Bahá’u’lláh dich viele Tage und Wochen belehren könnte! Trotz der Kürze der Zeit — schon haben wir 10 Uhr (5 Uhr nachmittags) — will ich aber versuchen, dem wißbegierigen Klopfer das Tor der Erkenntnis zu öffnen.
Es hat Gott dem Herrn gefallen, dem Menschenkind drei große Mysterien (Geheimnisse, Rätsel) mit auf den Lebensweg zu geben. Die restlose Entschleierung derselben erfolgt erst, wenn unsere Seele die irdische Leiblichkeit abgestreift hat. Die drei Mysterien sind:
- 1. Das große Geheimnis von Gut und Böse.
- 2. Das Mysterium des Leidens der Unmündigen und des Tieres (d. h. des unschuldigen Geschöpfs).
- 3. Das Rätsel des menschlichen Selbstbestimmungsrechts — des freien Willens.
Alle großen Offenbarer (Manifestationen Gottes), sei es Moses, Christus, Muhammed,
Bahá’u’lláh usw. zeigen, daß diese drei schweren Fragen miteinander verknüpft sind. Da
uns der rasch dahineilende Sonnenball eine karge Zeit zumißt, wollen wir uns nun in
großen Zügen über das Rätsel des
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menschlichen Willens unterhalten, in der Hoffnung, daß uns Gott der Herr wieder
einmal eine schöne Stunde schenkt, da wir uns in die ewigen Gesetze des Lebens und Sterbens
vertiefen dürfen. So hört denn, meine Kinder: die menschliche Seele ist einem Weber
zu vergleichen, das menschliche Leben aber einem Gewebe; der menschliche Leib,
vorab das Gehirn, ist das Werkzeug, das Organ, womit gewoben wird. Gott, der Herr,
der Werkmeister, bespannt den Webstuhl (das menschliche Milieu) mit den
Grundfäden des Schicksals. Damit wird dem menschlichen Wesen der Ort, die Zeit,
die Eltern, Konfession, Nationalität, Gesellschaft, Anlagen usw. aufgenötigt. Die
menschliche Seele zieht dann mit dem Weberschiffchen der Sinne, der Vorstellung,
der Tat, die Querfäden des Gewebes, wodurch bis an das Lebensende — so sagen wir — Kunstwerke
des menschlichen Lebens entstehen. Das Material zum Weben, sei es Hanf, Garn, Wolle oder
Seide, oder ein anderes Gemisch, kann die Seele nicht auswählen, auch nicht das Werkzeug, sondern
nur die Art und Weise des Webens, soweit sie nicht durch das Material
selbst, bis zu einem gewissen Grade, bereits bestimmt ist. Das Material stellt unsere, von den
Vorfahren überkommene Körperorganisation dar. Was ist also Willensfreiheit,
Destination, Determination? Das menschliche Wesen ist absolut determiniert
von seiten der Erblichkeit und von seiten des Instinkts. — Eure modernen,
europäischen Philosophen und Mediziner bezeichnen den Instinkt neuerdings, wie man mir
sagt, mit dem Worte Unterbewußtsein (oder wie die Alten sagten: Sympathismus,
Herrschaftsdomäne). Das menschliche Wesen hat aber eine relative Freiheit
des Willens, besser gesagt, eine Wahlfreiheit, eine Wollensvariation. Der Mensch vermag
dem Zwang des Instinkts, den triebhaften Impulsen, die aus Erkenntnis und Vorstellung
geborene Fähigkeit, Motive, nämlich Ursachen und Folgen abzuschätzen, entgegenzusetzen.
O ihr Kinder des Okzidents, ich gebe euch noch ein modernes Gleichnis — Erblichkeit und Instinkt ist das feste, unverrückbare Geleise, in dem der Eisenbahnzug des Lebens dahinfahren muß. Aber der Lokomotivführer — die Seele —, welcher über die Lokomotive verfügt und sie lenkt, kann vor- oder rückwärtsfahren; er vermag verschiedene Zeitgeschwindigkeiten anzuschlagen, er kann auf Nebengleise sich verfahren, er hält an Haupt- und Nebenstationen, oder versäumt es, er befolgt oder mißachtet die technischen und geschäftlichen, d. h. Betriebs- oder Fahrgesetze usw. Ihr müßt es besser verstehen als ich, da ich noch nie Eisenbahn gefahren bin. —
Herrscht aber im Menschen eine Harmonie, eine stille Eintracht, kurz, die Einheit zwischen freien und unfreien Vorgängen, zwischen bewußtem und unbewußtem Wollen, so entsteht Übereinstimmung von menschlichem und göttlichem Willen, oder besser gesagt: die Einswerdung des menschlichen Tatwillens mit dem ewigen Willen Gottes, was die Gewissensruhe des Menschen, sein höchstes irdisches Gut zufolge hat. Unser Sollen liegt zwischen Wollen und Müssen und Gott, der Herr allein kann die Verantwortlichkeit unseres freien Wollens gegenüber dem, von Erblichkeit und Instinkt bedingten Müssen — in Seiner ewigen Gerechtigkeit — abwägen und abschätzen. Wem Gott der Herr viel in die Wiege gelegt hat, von dem wird Er einst viel fordern müssen.“
Gebet der Fürbitte. (Verborgene Worte Seite 101, Seite 38, V. 29.)
Weiße Rosen von Persien[Bearbeiten]
Von Martha L. Root. Veröffentlicht in englisch im Star of the West, Bd. 23, Nr. 6 und 7
(Schluß)
Viele Menschen sind um ihres Glaubens willen den Märtyrertod gestorben, den
Ruhm aber, den Ali Muhammed Varqá und der junge Ruhu’lláh für sich voraus haben,
ist, daß sie ihr Leben freiwillig für die hl. Sache des Báb, Bahá’u’lláhs und
'Abdu'l-Bahás hingaben.
Die anderen gefangenen Bahá’i, die in dem
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Gange, ihres Urteils gewärtig, gestanden hatten, wurden wieder in Freiheit gesetzt. Der
Premierminister war sehr erzürnt über den Obersten des Gerichtshofs, berief ihn zu sich
und verlangte Auskunft, weshalb er diese verabscheuungswürdige Tat vollbracht habe.
Die einzige Antwort war: „Ich dachte, daß vielleicht ein Bahá'i den König getötet hätte
und mich verlangte nach Rache!“ Der Premierminister antwortete: „Du weißt genau,
daß der Mörder ein Moslem war!“
Dieser einstmals oberste Richter irrt heute noch durch die Straßen von Teheran als ein armseliger, unglücklicher Mann, der zittert, sobald der Name Varqá erwähnt wird.
Der Bericht über den Märtyrertod von Ali Muhammed und Ruhu’lláh Varqá ist durchaus wahrheitsgetreu. Er wurde von dem Gefangenen, der als Dritter in der Kette in dem dunkeln Gefängnisgang, seines Urteils gewärtig, hinter Ruhu’lláh stand, bezeugt. Dieser Mann lebte bis vor zwei Jahren in Zanján.
Das Oberhaupt eines großen Bachtiari-Stammes, dessen Sohn heute eine bedeutende Regierungsstelle inne hat, lud vor einigen Jahren jenen obersten Richter in sein Haus ein, um die Wahrheit über dieses ungeheuerliche Verbrechen von ihm selbst zu vernehmen. Die Söhne des Gastgebers und einige männliche Verwandte der Familie waren zugegen. Sie ersuchten den Mann, ihnen die volle Wahrheit über die Tötung von Varqá Vater und Sohn zu erzählen. Ihr Wunsch, die Wahrheit zu erfahren, lag darin begründet, daß der Bruder des Gastgebers vor Jahren durch Ali Muhammed Varqá belehrt, zum Bahá’i geworden war. Der frühere oberste Richter erzählte den Hergang wahrheitsgetreu und genau so, wie ihn der dritte Gefangene und Augenzeuge berichtet hatte. Der Bachtiari-Älteste und seine Verwandten waren tief erschüttert und zugleich derartig erbittert über die Grausamkeit dieses Richters, daß sie ihn körperlich züchtigten und zum Hause hinaus stießen.
33 Jahre sind vergangen, seitdem das Blut dieser beiden Märtyrer geflossen ist, aber seit jener Zeit wird eine weiße Rose in Persien gepflegt, eine Rose, deren Duft mehr besagt, als alle Düfte Iráns, denn es ist die Rose der Toleranz in der Sache der Religionsfrage. Tausend Jahre lang blieb diese Rose unbekannt.
Ich hatte Sehnsucht darnach, die Grabstätte der beiden Märtyrer aufzusuchen, um mein Haupt in tiefer Ehrerbietung zu beugen an der Stelle, wo sie zur Ruhe gebettet sind. Eines Tages ergab sich ganz unerwartet die Gelegenheit hiezu. Wir waren ausgefahren, um den Bahá’i-Friedhof zu sehen und die Freunde sagten: "Dort, wo in der Ferne die hohen Bäume stehen, liegt der Garten mit dem Mausoleum von Ali Muhammed Varqá und seinem Sohn Ruhu’lláh, wir führen Sie dorthin, wenn wir den Bahá’i-Friedhof besucht haben!“ Ich hatte eigentlich beabsichtigt, mit der Familie Varqá dorthin zu gehen, aber meine Zeit war so knapp bemessen bei den vielen Vorträgen und schriftlichen Arbeiten, daß mir bisher keine freie Stunde hiezu geblieben war, somit hieß ich den Vorschlag sehr willkommen. Zur Zeit als diese Männer starben, gab es noch keinen Bahá’i-Friedhof und ihre Überreste blieben jahrelang verborgen. Später kauften Azizulláh Varqá und sein jüngerer Bruder Valiolláh ein Grundstück bei Tihran, das mit dem Auto in 20 Minuten von der Jussef Abad Gate in der Hauptstadt, zu erreichen ist. Das Grundstück ist von hohen Mauern umgeben und wieder durch hohe Mauern in zwei Teile getrennt. Der erste Teil gleicht einer Miniaturfarm, er bildet einen großen Garten, worin kleine Häuser für den Beschließer und seine Familie stehen. Diese bäuerliche Familie machte einen überaus sauberen und sympathischen Eindruck, man empfand, daß sie veredelt und verfeinert waren durch den Liebesdienst, der Pflege des Gartens, in dem so ruhmreiche Heilige ruhen.
Der Durchgang vom ersten zum zweiten Garten ist so lieblich angelegt, als ob er in
ein Paradies führte. Wohl war es Winter, aber die Bäume, die Schlingpflanzen, die
Rosenhecken deuteten darauf hin, daß im Frühjahr und Sommer dieser Ort ein Paradies
an Schatten und an Düften sein muß. Es ist ein typisch persischer Garten mit einem
kleinen See. Die Vögel sangen leise. Das Mausoleum selbst ist ein wundervolles
Gebäude mit neun Fronten, zu denen neun
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Wege führen, innerhalb sind neun Sitze, das Ganze ist in leuchtendem Weiß gehalten.
Welch ein wundervoller Friede herrscht an diesem Ort. Die Sonne warf ihre Strahlen durch die Fenster, als ob sie hier nie mehr scheiden wolle. Ich kniete nieder zum Beten und flüsterte: „O Bahá’u’lláh, Du bist hier bei ihnen! Es herrscht der gleiche Friede hier, wie ich ihn in Bahaji an Deinem Grab empfand! Du hast sie nie verlassen, nicht im Leben und nicht im Tod, nun sind sie für immer bei Dir!“
Es war eine geistige Vereinigung an dieser Stätte durch das Gebet! Still verließen wir dies geweihte Grab, drückten den freundlichen Beschließern die Hand und kehrten zurück zu unserem Dienst nach Tihrán.
Das Leben des Ali Muhammed Varqá und des kleinen Ruhu’lláh widerspiegelt so ganz die Macht und Erhabenheit der Bahá’i-Lehre.
Als Nachtrag möchte ich noch von den beiden überlebenden Söhnen, von Azizulláh und Valiolláh sprechen. Sie beide gehören zu den vergeistigsten und erfolgreichsten Bahá’i von Tihrán. Azizulláh ging nach Paris um 'Abdu'l-Bahá zu dienen, als Er in Europa war, und Valiolláh wurde als Sekretär für die historische Reise in den Vereinigten Staaten und Großbritannien 1912 von 'Abdu'l-Bahá berufen. Die Freunde in New York werden sich erinnern, daß am Abend, bevor 'Abdu’l-Bahá nach Kalifornien abreiste, eine große Anzahl von Freunden zum Abschiednehmen in das Hotel gekommen waren. Valiolláh Varqá begrüßte diese im unteren Empfangszimmer und bot ihnen Tee an. ‘Abdu’l-Bahá kam die Treppe herab aus Seinem Zimmer in den Empfangsraum und rief aus: „Valiolláh komm, meine Seele, mein Lieber!“ Er nahm seine Hand. Dann schritt Er durch den Raum, nahm am Fenster Platz und redete die Freunde mit folgenden Worten an: „Heute abend möchte ich euch mit Mirza Valiolláh Khan Varqá bekannt machen. Er ist mein Sohn, was er sagt, ist wahr. Glaubet es!“ Dann erzählte 'Abdu'l-Bahá die Geschichte des Großvaters von Valiolláh, die Geschichte seines Vaters und seines Bruders Ruhu’lláh und schloß mit deren Märtyrertod. Als Er beendet hatte, stieg Er die Treppe wieder hinan; die zurückbleibenden Gäste waren Zeuge Seiner tiefen Ergriffenheit.
Lieber junger Ruhu’lláh, Du und Dein Vater, ihr lehrtet die Bahá’i-Lehre nicht nur in Persien, ihr lehrt sie in allen Weltteilen und durch Jahrhunderte hindurch. Jeder Freund, der von euch hört, wird angespornt zu neuer, reger Tätigkeit.
Die Eßlinger Bahá’i-Sommerwoche (13.—21. Aug. 1932)[Bearbeiten]
(Fortsetzung)
III. Die Religion in Ostasien.
China. Die Chinesen traten lange vor den Indogermanen in der Geschichte auf. China ist das einzige von den alten Kulturreichen, das sich unzerstört erhalten hat.
Das chinesische Familienleben ist die Grundfeste der Religion und des Staates.
Das männliche Oberhaupt der Familie genießt Verehrung im Leben und wird nach
dem Tode angebetet. Allgemein wird geglaubt, daß sich die Seelen der abgeschiedenen
Väter im Hause, im Grab und im Totenreiche aufhalten. Jeden Morgen bezeugt deshalb
der Hausvater seine Verehrung vor den „Seelentafeln“, die im Hause jedes Chinesen
aufgestellt sind. Wichtiger jedoch ist die Verehrung, die am Grabe geleistet wird. Ein
alljährliches Opferfest auf dem Begräbnisplatz ist heilige Pflicht der Chinesen. Die härteste
Strafe für ihn ist daher auch die Zerstörung seiner Gräber. Der Einfluß der abgeschiedenen
Vorfahren auf das Wohl und Wehe der Familie hört damit auf. — Die Staatsreligion
besteht hauptsächlich in der Verehrung des Himmels (T’ien) oder des Himmelsbeherrschers
(Schang-ti). Diese Himmelsverehrung ist eine Staatsangelegenheit und nur der
Kaiser kann Schang-ti opfern, wodurch er den Willen des Himmels günstig zu
beeinflussen sucht. Der Zorn des Himmels äußert sich durch Unglücksfälle in Natur und
Staat und muß durch Opfer, Reformen im Staatsleben und Besserung der Sitten abgewendet
werden. — Zu den Mächten der Natur
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gehören auch Götter und Dämonen. — Die chinesische Frömmigkeit ist mehr eine
institutionelle als eine persönliche und besteht im wesentlichen in äußeren Handlungen,
die notwendig sind, um die Harmonie zwischen Staat und Familie und dem Willen
des Himmels zu bewahren.
Die chinesische Philosophie sammelt die persönlichen und unpersönlichen Mächte des Daseins unter ein gemeinsames Prinzip (Tao), welches das Universum beherrscht und alle Ereignisse bestimmt.
Die religiösen Lehrer der Chinesen waren nicht Propheten, sondern gelehrte Staatsmänner und Philosophen. Als ersten nenne ich Kung-tse (Konfuzius, 551—478 v. Chr.). Er wollte sein Vaterland zur alten Sitte und Ordnung zurückführen und das Volk zu höheren Interessen als zu dem des Totenkults emporführen. Der Kern seiner Lehre ist die feste Moral, die nicht nur Pietät, Gehorsam und Höflichkeit — die altchinesischen Tugenden — einschärft, sondern auch Gerechtigkeit, Wahrhaftigkeit und Fleiß. Der Weg zur Tugend ist das Wissen. Höher als das theoretische Wissen schätzte er aber die praktisch-ethische Weisheit. Als ihn einmal ein Schüler fragte: Gibt es wohl ein Wort, das das ganze Leben hindurch dem Handeln als Richtmaß dienen kann? — gab er zur Antwort: Allenfalls tätige Nächstenliebe. Die Verehrung der Chinesen für ihren großen Lehrer erlitt unter dem Kaiser Schi-ho-ang-ti eine verhängnisvolle Unterbrechung. Er ließ alle konfuzianischen Schriften, deren er habhaft werden konnte, verbrennen und beabsichtigte damit den Konfuzianismus auszurotten. Später jedoch wuchs sich das Ansehen des Kung-tse zur religiösen Verehrung aus.
Nicht alle Chinesen hat diese Moralreligion befriedigt. Es hat auch solche gegeben, die die Lösung des Welträtsels auf anderem Wege finden wollten. Zu ihnen gehört Lao-tse (6. Jahrhundert v. Chr). Sein Buch „Taote-king” ist wohl die tiefgründende Schrift Chinas. Was Konzentration und Inhalt anbelangt, könnte sie mit den „Verborgenen Worten“ Bahá’u’lláhs verglichen werden. An einer Stelle heißt es dort: „Richtmaß dem Menschen ist die Erde, der Erde Richtmaß ist der Himmel, des Himmels Richtmaß ist das Tao, des Tao Richtmaß ist sein Selbst.“ — Lao-tses Lehren haben sich nicht rein erhalten können. Der Taoismus ist im Laufe der Zeiten in abergläubischen Mystizismus und plumpe Magie verfallen. Obgleich er in dieser Form in China eine verbotene Sekte ist, übt er großen Einfluß aus und Lao-tses philosophische Mystik hat in der konfuzianischen Lehre tiefe Spuren hinterlassen.
Neben dem Konfuzianismus und dem Taoismus ist der Buddhismus in China eine verbreitete Religion.
Japan. Als die Japaner nach den Inseln vordrangen, brachten sie eine Religion mit, die sich trotz ihrer Primitivität sehr lange erhalten hat (bis etwa 600 n. Chr.) Shin-to (Weg der Götter) nennt man sie. An Hand alter Dokumente läßt sich die Geschichte dieser Religion zurückverfolgen. In diesen Büchern tritt uns ein polytheistischer Naturdienst entgegen.
Die japanische Religion ist sehr verschieden von der chinesischen. Während diese sich einerseits auf die Familie und den Grabkult, andererseits auf das Universum, die Grundgesetze des Weltganzen und die moralischen Gebote konzentriert, richten sich die religiösen Gedanken des Japaners auf die einzelnen Erscheinungen der Natur. Die Totalität, die er sucht, findet er mehr in der Geschichte des Volkes als in irgend einem System. Der Shintoismus kennt keine Moralgebote. Die Vorschriften im Shinto gehören fast durchweg der Welt Tabu zu.
Als im 6. Jahrhundert der Buddhismus nach Japan kam, konnte diese Religion den
Japanern dadurch das Leben erleichtern, daß sie das Todesritual übernahm. Noch heute
sind die Geburtszeremonien shintoistisch und die Bestattungsgebräuche buddhistisch.
Die beiden Religionen haben sich mehr und mehr vermischt. Die erfreulichen Seiten des
Lebens werden von der alten Volksreligion gepflegt, das Ernste fällt der Religionspraxis
des Buddhismus zu. — Da der Shinto selbst keine eigentliche Ethik besitzt, hatten fremde
Faktoren immer die Möglichkeit, sich der moralischen Erziehung des Volkes zu bemächtigen.
Schon früh tat der Konfuzianismus das seine. Mit dem Auftreten des Buddhismus machten
sich seine Ideale geltend
[Seite 22]
und heute wirkt das Christentum auf Läuterung der allgemeinen Moral hin.
IV. 1. Die Religion der Ägypter.
Ägypten ist eines der ältesten Kulturländer der Welt. Bis zum Jahre 4000 v. Chr. läßt sich seine Geschichte zurück verfolgen. Es hatte große Städte, ein hochentwickeltes Gesellschaftsleben und Industrie zu einer Zeit, da der Bau der griechischen Städte noch kaum begonnen hatte. Die Ägypter widmeten sich der Bestellung ihrer Felder und bewahrten den Charakter eines fleißigen Bauernvolkes.
Die ägyptischen Götter waren ursprünglich kleine Lokalgötter, von denen jeder in seiner Provinz herrschte. Mit der politischen Entwicklung Ägyptens veränderte sich die Stellung einzelner dieser Götter. Gelang es einem Fürsten sich über andere zu erheben, so stieg seine Stadt und damit deren Gott im Ansehen. Dieser entwickelte sich auf Kosten der anderen Götter, Er vermählte sich mit den Göttinnen der Nachbarstädte und machte deren Könige zu seinen Vasallen. Er selbst trat als König auf, warf die Tiergestalt ab oder behielt nur noch den Tierkopf als letzten Rest davon. Jede von den Hauptstädten in den größeren Provinzen hatte ihren mächtigen Hauptgott. Amon herrschte in Theben, Ptah in Memphis, Re in Heliopolis. Wie sich die Götter über den Boden, den sie ursprünglich beherrscht hatten, erhoben, nahmen sie einen Platz in der Ordnung der Natur ein und erhielten ein Stück davon zugeteilt; z. B. einen Himmelskörper. Die Sonne und den Mond dachte man sich als Sitz einer Gottheit. — Osiris entwickelte sich in seiner Weise zu einer höheren, allumfassenden Gottheit und auch andere von den größeren Göttern nahmen einen mehr geistigen Charakter an. Durch gekünstelte Systeme suchte man die Götterwelt übersichtlich zu machen. Schließlich wurden aber die Götter doch durcheinandergebracht und die Unterschiede zwischen den einzelnen verwischt. Es war ein und dieselbe göttliche Macht, die sie alle beseelte.
Eine berühmte Epoche in der ägyptischen Theologie bildet die Reformation des Königs Amenophis IV. Er wollte das ganze Land zu einer politischen Einheit sammeln. Um dieses Ziel zu erreichen, suchte er den Kultus des mächtigen Gottes Amon auszurotten und damit zugleich die Macht der Priester zu brechen. Den Namen des Gottes ließ er aus allen Inschriften entfernen und führte eine unmittelbare Verehrung der Sonnenscheibe (Aton) ein. Er selbst nahm den Namen Achn-aton an. Seine Versuche sind aber an der Geistlichkeit gescheitert.
Wenn wir die ägyptische Religion überschauen, so läßt sich eine Entwicklung feststellen, wie ursprüngliche Lokalkulte, die oft nur auf einen Gott gerichtet sind (Monolatrie), durch politische und priesterliche Kombination zur Vielgötterei (Polytheismus) werden, aus der sich schließlich ein Pantheismus entwickelt, die Verehrung einer unpersönlichen göttlichen Macht, die mehr oder minder mit der Natur verschmilzt. Die Reform des Königs Amenophis kann man als Ansatz zu einem Monotheismus betrachten.
Die Ägypter glaubten an das Fortleben der Seele nach dem Tode. Deshalb balsamierten sie die Leichen ein, damit sie eine dauerhafte Wohnung für die Seele bildet, darum machten sie die Grabkammern in Felsen und bauten den Königen die Pyramiden. Den Toten gaben sie Gefäße und Kleider, Speise und Trank mit, damit die Seele freundlich über ihre Angehörigen wacht. Nach der Vorstellung der Ägypter muß die Seele vor Osiris’ Richtstuhl auf zahlreiche Fragen antworten, um zu beweisen, daß sie rein ist von Verbrechen und Sünde. Um diese Fragen leichter beantworten zu können, bekamen die Toten das sog. Totenbuch mit ins Grab.
Die Moral der Ägypter entwickelte sich zu einer wahren Menschenfreundlichkeit und erzeugte feste Begriffe von Wahrheit und Gerechtigkeit.
2. Die griechische Religion.
Die älteste griechische Gottesverehrung hat einen sehr primitiven Charakter. Es ist
anzunehmen, daß vieles davon den Volksstämmen angehörte, die vor der Einwanderung
der hellenischen Stämme die Halbinsel bewohnten. — Von den frühesten Formen
hellenischer Gottesverehrung berichten die griechischen Schriften nicht viel. Die Funde,
welche der Erde entnommen werden, geben uns einen besseren Einblick.
[Seite 23]
Auch dieses Volk bedurfte des Schutzes der abgeschiedenen Häuptlinge. Der Altar bei den Gräbern hatte die Form eines Brunnens. Dort wurde den Unterirdischen geopfert. Das Blut der geopferten Tiere mußte in die Erde rinnen, um die Geister zu sättigen. Ein solcher Geist hieß Heros. Dieses Wort hat auch eine animistische Bedeutung. — Ebenso alt wie der animistische Heroskult ist der sog. chthonische Kult (von chthon, die Erdentiefe), die Verehrung von Erdgöttern, die man sich in oder auf der Erde weilend vorstellte. Die Schlangen sind die Tiere und Symbole dieser Götter. Den chthonischen Mächten wurde bei Nacht unter Stillschweigen geopfert. Es wurde ihnen eine doppelte Wirksamkeit zugesprochen: aus der Unterwelt schickten sie die Fruchtbarkeit und das Wachstum auf die Erde, — in die Erde sammelten sie die Seelen der Abgeschiedenen. — Die Fruchtbarkeit strömte aber nicht nur aus der Unterwelt, sondern wurde auch von freundlichen Gottheiten gefördert, die sich im Wald oder auf dem Acker aufhielten. Sobald sich in Griechenland der Ackerbau auszubreiten beginnt, treten Götter und Kulturheroen auf, die das tätige Leben des Bauern fördern. Demeter wird jetzt als die Göttin des Ackers und der Halmfrucht, umgeben von Pflug- und Erntegöttern, gedacht, der Weinbau erhält seinen Schutzgott in Dionysos, die Olivenhaine in Athene.
Die meisten Götter waren Lokalgötter. Jede Stadt und jeder kleine Staat hatte seinen Hauptgott. Noch mannigfaltiger wurde die Götterwelt durch die zahlreichen Sondergötter. Jeden Vorgang in der Natur und im Menschenleben dachte man sich von irgend einer Gottheit verursacht und beschützt. Die großen Götter nahmen die kleinen in sich auf und die einzelnen Beobachtungen und engen Begriffe vom Gang der Natur und des Lebens sammelten sich zu Ideen von der Weltordnung und den ewigen Mächten.
Die homerische Dichtung hat für die griechische Mythologie insofern Bedeutung, als sie die vielen getrennten Lokalgötter zu einem Pantheon sammelte und dieses zu einem Kreis von Idealgestalten ausbildete. Eine eigentliche Frömmigkeit hat dagegen Homer nicht geschaffen. Die homerische Mythologie wurde von frommen Griechen oft getadelt wegen ihrer allzu menschlichen Vorstellungen von den Göttern.
Einen gesammelten Kult erreichten die Griechen nicht, wohl aber schuf die Religion Formen, die die Hellenen in gewissem Maße vereinigen konnten, z. B. die großen Spiele, die immer auch ein religiöses Gepräge trugen, ferner das alte Orakel in Delphi. Dort vermittelte die Priesterin der Göttin Ge den Willen und die Weisheit der unterirdischen Mächte, ihren Rat und ihre Strafe.
Um das Jahr 800 v. Chr. trat eine Sekte auf, die sich Orphiker nannte, nach dem mythischen Sänger Orpheus. Sie lehrte, daß die Seele himmlischen Ursprungs sei und nur durch Unglück auf die Erde herabgestürzt wurde. Aufgabe des Lebens ist es nun, die Seele durch Überwindung der Körperlichkeit zu befreien. Die Priester und Priesterinnen des Dionysos glaubten die dämonische Natur im Menschen dadurch zu besiegen, daß sie in ekstatischem Zustand das blutige Fleisch eines Tieres aßen, um so der Gottheit teilhaftig zu werden.
In den Kreisen der Philosophen entwickelten sich höhere Vorstellungen von dem Göttlichen,
als die Mythologie sie kannte, Die bedeutendsten Philosophen Griechenlands waren
Sokrates, Plato und Aristoteles. Sokrates’ Lehre vom Denken und von den
Begriffen hatte neue Wege gewiesen. In den Begriffen war etwas Allgemeingültiges
erkannt. Für Sokrates galt dies freilich nur innerhalb unseres Gedankenkreises. Plato,
dessen Art mehr auf das Kosmische gerichtet ist, ging einen Schritt weiter. Er meint, der
Begriff könne nur dann wahr sein, wenn er über den Menschen hinausreiche und eine
Wirklichkeit der Dinge übermittle. So wie der schwankenden Meinung gegenüber ein
Wissen mit festen Begriffen besteht, so gibt es für ihn im All eine umwandelbare
Wirklichkeit übersinnlicher Art, ein Reich von Gedankengrößen jenseits der fließenden
Sinnenwelt. Das Wort „Idee“ bezeichnet ein wandelloses nur dem Denken zugängliches
Sein. Die Erkennbarkeit der Dinge bemißt sich nach der geistigen Durchsichtigkeit. Das
Erkennen führt vom Schein der Sinne zum Reich des Wesens. Das Reich des Seins ist
[Seite 24]
für Plato zugleich das Gute. Dies Zusammenfallen des Wesenhaften mit dem Guten
erzeugt einen festen Glauben an eine Vernunft im Grunde der Wirklichkeit. Er gibt dem
Streben Antrieb. — Bei Plato verbleibt neben der höheren Welt eine niedere, in der
die Gedanken nur getrübt zur Wirkung gelangen. Rudolf Eucken sagt über die Ideenlehre
Platos: „Mag an der Ideenlehre Platos manches angreifbar sein, sie enthält
eine Grundwahrheit, die sich nicht wieder aufgeben läßt. Das ist die Überzeugung, daß
ein Reich der Wahrheit jenseits des Beliebens der Menschheit besteht, daß die Wahrheiten
nicht wegen unserer Zustimmung, sondern durch sich selber gelten, daß ihr Reich
alles menschliche Meinen und Mögen weit überragt. — Plato ist eine religiöse Natur.
Das Angewiesensein des Menschen auf das All wird vollauf von ihm anerkannt. Das
Bewußtsein, von der Gottheit behütet zu sein, erfüllt das Gemüt des Denkers mit
Frömmigkeit. Dem Metaphysiker Plato ist die Forschung selbst wahre Religion. Gott
ist das umwandelbare Wesen, aus dem alle Unwandelbarkeit und Wahrheit stammt. Er
ist das Maß aller Dinge. — Nach der anderen Richtung ist Gott das Ideal der sittlichen
Vollkommenheit, der gerechte und gütige Geist. Gott ähnlich werden, heißt mit Einsicht
fromm und gerecht werden. Kern der Überzeugung ist die Idee der gerechten
Vergeltung von Gutem und Bösem. Obwohl Plato eine Gerechtigkeit schon in diesem
Leben walten läßt, erhofft er ihren Sieg doch erst im Jenseits. Die Gerechtigkeit des
Platonischen Glaubens überwiegt die Liebe. — Bei aller Verfechtung einer weltbeherrschenden
Einheit gibt Plato keineswegs die Vielheit göttlicher Kräfte auf und verpflanzt die
mythologischen Vorstellungen auf den Boden der Philosophie.
Neben Plato steht gleichwertig in seiner Bedeutung aber verschieden in seiner Art Aristoteles. Während Plato über den Dingen seinen Platz wählt, sucht ihn Aristoteles in den Dingen. Goethe sagt einmal von den beiden großen Philosophen, daß Aristoteles einem Baumeister zu vergleichen sei, der einen großen Grundkreis für sein Gebäude zieht, Material herbeischafft, es ordnet und aufschichtet und so in regelmäßiger Form pyramidenförmig in die Höhe steigt, während Plato einem Obelisken, ja einer spitzen Flamme gleich den Himmel sucht.
(Fortsetzung folgt.)
Bahá’i-Tagung in Karlsruhe i. B. am 29. und 30. April 1933[Bearbeiten]
Samstag, 29. April, 20 Uhr: Begrüßung der Freunde durch die Vorsitzende des Geistigen Nationalrats der deutschen Bahá’i, Frau Alice Schwarz, Stuttgart.
20.30 Uhr: Referat von Dr. A. Mühlschlegel, Stuttgart. Thema: Einheit und Gegenseitigkeit im Weltall.
Sonntag, 30.April, vor geladenen Gästen, Anfang 9 Uhr: 1. Referat von Dr. Großmann, Weinheim. Thema: Die Einheit in Religion und Glauben. 2. Referat von Dr. Eugen Schmidt, Stuttgart. Thema: Der Gedanke der Einheit in der Gesellschaftsordnung.
13 Uhr: Neuwahl des Geistigen Nationalrats der deutschen Bahá’i durch die Delegierten.
14 Uhr: Aussprache zu den Referaten.
Anmeldungen zu der Tagung sind zu richten an Frau Martha Brauns, Karlsruhe-Rüppur,
Resedaweg 70.
In der Sonne der Wahrheit finden nur solche Manuskripte Veröffentlichung, bezüglich deren Weiterverbreitung keine Vorbehalte gemacht werden. — Anfragen, schriftliche Beiträge und alle die Schriftleitung betreffenden Zuschriften beliebe man an die Schriftleitung: Stuttgart, Alexanderstr. 3 zu senden. — Bestellungen von Abonnements, Büchern und Broschüren sind an die Verlagsabteilung des Geistigen Nationalrat der Deutschen Bahá’is e. V. Stuttgart, Alexanderstraße 3 (Nebengebäude) zu richten. — Alle Zahlungen sind zu leisten an den Geistigen Nationalrat der Deutschen Bahá’i e. V., Stuttgart, Alexanderstraße 3 (dessen Postscheckkonto Nr. 19340 Amt Stuttgart). — Druck von J. Fink, Hofbuchdruckerei, Stuttgart.
Geschichte und Bedeutung der Bahá’i-Lehre[Bearbeiten]
Die Bahá’i-Bewegung tritt vor allem ein für die „Universale Religion" und den „Universalen Frieden“ — die Hoffnung aller Zeitalter. Sie zeigt den Weg und die Mittel, die zur Einigung der Menschheit unter dem hohen Banner der Liebe, Wahrheit, Gerechtigkeit und Barmherzigkeit führen. Sie ist göttlich ihrem Ursprung nach, menschlich in ihrer Darstellung, praktisch für jede Lebenslage. In Glaubenssachen gilt bei ihr nichts als die Wahrheit, in den Handlungen nichts als das Gute, in ihren Beziehungen zu den Menschen nichts als liebevoller Dienst.
Zur Aufklärung für diejenigen, die noch wenig oder nichts von der Bahá’i-Bewegung wissen, führen wir hier Folgendes an: „Die Bahá’i-Religion ging aus dem Babismus hervor. Sie ist die Religion der Nachfolger Bahá’u’lláhs. Mirza Hussein Ali Nuri (welches sein eigentlicher Name war) wurde im Jahre 1817 in Teheran (Persien) geboren. Vom Jahr 1844 an war er einer der angesehensten Anhänger des Bab und widmete sich der Verbreitung seiner Lehren in Persien. Nach dem Märtyrertod des Bab wurde er mit den Hauptanhängern desselben von der türkischen Regierung nach Bagdad und später nach Konstantinopel und Adrianopel verbannt. In Bagdad verkündete er seine göttliche Sendung (als „Der, den Gott offenbaren werde") und erklärte, daß er der sei, den der Bab in seinen Schriften als die „Große Manifestation", die in den letzten Tagen kommen werde, angekündigt und verheißen hatte. In seinen Briefen an die Regenten der bedeutendsten Staaten Europas forderte er diese auf, sie möchten ihm bei der Hochhaltung der Religion und bei der Einführung des universalen Friedens beistehen. Nach dem öffentlichen Hervortreten Bahá’u’lláhs wurden seine Anhänger, die ihn als den Verheißenen anerkannten, Bahá’i (Kinder des Lichts) genannt. Im Jahr 1868 wurde Bahá’u’lláh vom Sultan der Türkei nach Akka in Syrien verbannt, wo er den größten Teil seiner lehrreichen Werke verfaßte und wo er am 28. Mai 1892 starb. Zuvor übertrug er seinem Sohn Abbas Effendi ('Abdu'l-Bahá) die Verbreitung seiner Lehre und bestimmte ihn zum Mittelpunkt und Lehrer für alle Bahá’i der Welt.
Es gibt nicht nur in den mohammedanischen Ländern Bahá’i, sondern auch in allen Ländern Europas, sowie in Amerika, Japan, Indien, China usw. Dies kommt daher, daß Bahá’u’lláh den Babismus, der mehr nationale Bedeutung hatte, in eine universale Religion umwandelte, die als die Erfüllung und Vollendung aller bisherigen Religionen gelten kann. Die Juden erwarten den Messias, die Christen das Wiederkommen Christi, die Mohammedaner den Mahdi, die Buddhisten den fünften Buddha, die Zoroastrier den Schah Bahram, die Hindus die Wiederverkörperung Krischnas und die Atheisten — eine bessere soziale Organisation.
In Bahá’u’lláh sind alle diese Erwartungen erfüllt. Seine Lehre beseitigt alle Eifersucht und Feindseligkeit, die zwischen den verschiedenen Religionen besteht, sie befreit die Religionen von ihren Verfälschungen, die im Lauf der Zeit durch Einführung von Dogmen und Riten entstanden und bringt sie alle durch Wiederherstellung ihrer ursprünglichen Reinheit in Einklang. Das einzige Dogma der Lehre ist der Glaube an den einigen Gott und an seine Manifestationen (Zoroaster, Buddha, Mose, Jesus, Mohammed, Bahá’u’lláh).
Die Hauptschriften Bahá’u’lláhs sind der Kitab el Ighan (Buch der Gewißheit), der Kitab el Akdas (größtes heiliges Buch), der Kitab el Ahd (Buch des Bundes) und zahlreiche Sendschreiben, genannt „Tablets“, die er an die wichtigsten Herrscher oder an Privatpersonen richtete. Rituale haben keinen Platz in dieser Religion; letztere muß vielmehr in allen Handlungen des Lebens zum Ausdruck kommen und in wahrer Gottes- und Nächstenliebe gipfeln. Jedermann muß einen Beruf haben und ihn ausüben. Gute Erziehung der Kinder ist zur Pflicht gemacht und geregelt.
Streitfragen, welche nicht anders beigelegt werden können, sind der Entscheidung des Zivilgesetzes jeden Landes und dem Bait’ul’Adl oder „Haus der Gerechtigkeit“, das durch Bahá’u’lláh eingesetzt wurde, unterworfen. Achtung gegenüber jeder Regierungs- und Staatseinrichtung ist als einem Teil der Achtung, die wir Gott schulden, gefordert. Um die Kriege aus der Welt zu schaffen, ist ein internationaler Schiedsgerichtshof zu errichten. Auch soll neben der Muttersprache eine universale Einheitssprache eingeführt werden. „Ihr seid alle die Blätter eines Baumes und die Tropfen eines Meeres“ sagt Bahá’u’lláh.
Es ist also weniger die Einführung einer neuen Religion, als die Erneuerung und Vereinigung aller Religionen, was heute von 'Abdu'l-Bahá erstrebt wird. (Vgl. Nouveau, Larousse, illustré supplement, Seite 66.)
Der Geistige Nationalrat der Deutschen Bahá’i e.V., Stuttgart
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Bahá’u’lláh
Verborgene Worte.. Worte der Weisheit und Gebete. Geschrieben während seiner Verbannung in Bagdad 1857/58 . . . kart. —.80
gebunden 1.--
Frohe Botschaften. Worte des Paradieses, Tablet Tarasat (Schmuck), Tablet Taschalliat (Lichtstrahlen), Tablet Ischrakat (Glanz). Mahnrufe und Anweisungen an die Völker der Erde . . gebunden 2.00
Ganzleinen 2.50
Buch der Gewißheit oder Kitábu’l-Iqán. Eine Auseinandersetzung mit theologischen Fragen verschiedener Religionen, geschrieben in Bagdad um 1862. Ist fortsetzungsweise in den beiden Jahrgängen X und XI unserer Zeitschrift „Sonne der Wahrheit“ enthalten.
Jahrgang gebunden je 6.--
'Abdu'l-Bahá Abbas
Ansprachen in Paris. ‘Abdu’l-Bahá spricht hier über zahlreiche Fragen, nach deren Klärung die Völker der Erde suchen.
gebunden 2.--
Beantwortete Fragen. Erklärungen zu christlichen und islamischen Fragen, Behandlung allgemeiner weltanschaulicher Probleme . . . . . . Ganzleinen 2.50
Sendschreiben an die Haager Friedenskonferenz 1919 . . . . . --.20
Sonstiges
Geschichte und Wahrheitsbeweise der Bahá’i-Religion, Einführung in die Gedankenwelt der Bahá’i-Lehre von einem orientalischen Gelehrten. Von Mirza Abul Fazl . . . . . gebunden 2.--
Bahá’u’lláh und das neue Zeitalter. ein Lehrbuch von Dr. J. E. Esslemont. Ganzleinen 2.50
'Abdu'l-Bahá Abbas’ Leben und Lehren, von Myron H. Phelps. . . . . .gebunden 2.--
Die Bahá’i-Offenbarung, ein Lehrbuch von Thornton Chase. . . . . . . kart. 2.--
Am Morgen einer neuen Zeit. Untersuchung der geistigen Ursachen der Weltkrise und Beleuchtung der letzthin einzigen Möglichkeit ihrer Überwindung durch die Bahá’i-Lehre. Von Dr. Hermann Großmann . . . . . kart. 1.80
Ganzleinen 2.50
Einheitsreligion. Ihre Wirkung auf Staat, Erziehung, Sozialpolitik, Frauenrechte und die einzelne Persönlichkeit. Von Dr. jur. H. Dreyfus . . . -.30
Das Hinscheiden 'Abdu'l-Bahás, ("The Passing of 'Abdu'l-Bahá") . . . -.30
Das neue Zeitalter von Ch. M. Remey . . . . —.30
Die soziale Frage und ihre Lösung im Sinne der Bahá’i-Lehre von Dr. Hermann Grossmann . . . . —.20
Die Bahá’i-Bewegung, Geschichte, Lehren und Bedeutung. von Dr. Hermann Grossmann . . . . —.20
Sonne der Wahrheit. Bahá'i-Monatszeitschrift.
- Jahrgang III - IX gebunden je 3.--
- Jahrgang X - XII gebunden je 6.--