SONNE DER WAHRHEIT | ||
ORGAN DER DEUTSCHEN BAHAI | ||
HEFT 1 | 13. JAHRGANG | MÄRZ 1933 |
Abdu’l-Bahás Erläuterung der Bahá’i-Prinzipien[Bearbeiten]
1. Die ganze Menschheit muss als Einheit betrachtet werden.
Bahá’u’lláh wandte Sich an die gesamte Menschheit mit den Worten: „Ihr seid alle die Blätter eines Zweigs und die Früchte eines Baumes“. Das heißt: die Menschheit gleicht einem Baum und die Nationen oder Völker gleichen den verschiedenen Ästen und Zweigen; die einzelnen Menschen aber gleichen den Blüten und Früchten dieses Baumes. In dieser Weise stellte Bahá’u’lláh das Prinzip der Einheit der Menschheit dar. Bahá’u’lláh verkündigte die Einheit der ganzen Menschheit, er versenkte sie alle im Meer der göttlichen Gnade.
2. Alle Menschen sollen die Wahrheit selbständig erforschen.
In religiösen Fragen sollte niemand blindlings seinen Eltern und Voreltern folgen. Jeder muß mit eigenen Augen sehen, mit eigenen Ohren hören und die Wahrheit suchen, denn die Religionen sind häufig nichts anderes als Nachahmungen des von den Eltern und Voreltern übernommenen Glaubens.
3. Alle Religionen haben eine gemeinsame Grundlage.
Alle göttlichen Verordnungen beruhen auf ein und derselben Wirklichkeit. Diese Grundlage ist die Wahrheit und bildet eine Einheit, nicht eine Mehrheit. Daher beruhen alle Religionen auf einer einheitlichen Grundlage. Im Laufe der Zeit sind gewisse Formen und Zeremonien der Religion beigefügt worden. Dieses bigotte menschliche Beiwerk ist unwesentlich und nebensächlich und verursacht die Abweichungen und Streitigkeiten unter den Religionen. Wenn wir aber diese äußere Form beiseite legen und die Wirklichkeit suchen, so zeigt sich, daß es nur eine göttliche Religion gibt.
4. Die Religion muss die Ursache der Einigkeit und Eintracht unter den Menschen sein.
Die Religion ist für die Menschheit die größte göttliche Gabe, die Ursache des wahren Lebens und hohen sittlichen Wertes; sie führt den Menschen zum ewigen Leben. Die Religion sollte weder Haß und Feindschaft noch Tyrannei und Ungerechtigkeiten verursachen. Gegenüber einer Religion, die zu Mißhelligkeit und Zwietracht, zu Spaltungen und Streitigkeiten führt, wäre Religionslosigkeit vorzuziehen. Die religiösen Lehren sind für die Seele das, was die Arznei für den Kranken ist. Wenn aber ein Heilmittel die Krankheit verschlimmert, so ist es besser, es nicht anzuwenden.
5. Die Religion muss mit Wissenschaft und Vernunft übereinstimmen.
Die Religion muß mit der Wissenschaft übereinstimmen und der Vernunft entsprechen, so daß die Wissenschaft die Religion, die Religion die Wissenschaft stützt. Diese beiden müssen unauflöslich miteinander verbunden sein.
6. Mann und Frau haben gleiche Rechte.
Dies ist eine besondere Lehre Bahá’u’lláhs, denn die früheren Religionen stellen die Männer über die Frauen. Töchter und Söhne müssen gleichwertige Erziehung und Bildung genießen. Dies wird viel zum Fortschritt und zur Einigung der Menschheit beitragen.
7. Vorurteile jeglicher Art müssen abgelegt werden.
Alle Propheten Gottes kamen, um die Menschen zu einigen, nicht um sie zu trennen. Sie kamen, um das Gesetz der Liebe zu verwirklichen, nicht um Feindschaft unter sie zu bringen. Daher müssen alle Vorurteile rassischer, völkischer, politischer oder religiöser Art abgelegt werden. Wir müssen zur Ursache der Einigung der ganzen Menschheit werden.
8. Der Weltfriede muss verwirklicht werden.
Alle Menschen und Nationen sollen sich bemühen, Frieden unter sich zu schließen. Sie sollen darnach streben, daß der universale Friede zwischen allen Regierungen, Religionen, Rassen und zwischen den Bewohnern der ganzen Welt verwirklicht wird. Die Errichtung des Weltfriedens ist heutzutage die wichtigste Angelegenheit. Die Verwirklichung dieses Prinzips ist eine schreiende Notwendigkeit unserer Zeit.
9. Beide Geschlechter sollen die beste geistige und sittliche Bildung und Erziehung geniessen.
Alle Menschen müssen erzogen und belehrt werden. Eine Forderung der Religion ist, daß jedermann erzogen werde und daß er die Möglichkeit habe, Wissen und Kenntnisse zu erwerben. Die Erziehung jedes Kindes ist unerläßliche Pflicht. Für Elternlose und Unbemittelte hat die Gemeinde zu sorgen.
10. Die soziale Frage muss gelöst werden.
Keiner der früheren Religionsstifter hat die soziale Frage in so umfassender, vergeistigter Weise gelöst wie Bahá’u’lláh. Er hat Anordnungen getroffen, welche die Wohlfahrt und das Glück der ganzen Menschheit sichern. Wenn sich der Reiche eines schönen, sorglosen Lebens erfreut, so hat auch der Arme ein Anrecht auf ein trautes Heim und ein sorgenfreies Dasein. Solange die bisherigen Verhältnisse dauern, wird kein wahrhaft glücklicher Zustand für den Menschen erreicht werden. Vor Gott sind alle Menschen gleich berechtigt, vor Ihm gibt es kein Ansehen der Person; alle stehen im Schutze seiner Gerechtigkeit.
11. Es muss eine Einheitssprache und Einheitsschrift eingeführt werden.
Bahá’u’lláh befahl die Einführung einer Welteinheitssprache. Es muß aus allen Ländern ein Ausschuß zusammentreten, der zur Erleichterung des internationalen Verkehrs entweder eine schon bestehende Sprache zur Weltsprache erklären oder eine neue Sprache als Weltsprache schaffen soll; diese Sprache muß in allen Schulen und Hochschulen der Welt gelehrt werden, damit dann niemand mehr nötig hat, außer dieser Sprache und seiner Muttersprache eine weitere zu erlernen.
12. Es muss ein Weltschiedsgerichtshof eingesetzt werden.
Nach dem Gebot Gottes soll durch das ernstliche Bestreben aller Menschen ein Weltschiedsgerichtshof geschaffen werden, der die Streitigkeiten aller Nationen schlichten soll und dessen Entscheidung sich jedermann unterzuordnen hat.
Vor mehr als 50 Jahren befahl Bahá’u’lláh der Menschheit, den Weltfrieden aufzurichten und rief alle Nationen zum „internationalen Ausgleich“, damit alle Grenzfragen sowie die Fragen nationaler Ehre, nationalen Eigentums und aller internationalen Lebensinteressen durch ein schiedsrichterliches „Haus der Gerechtigkeit" entschieden werden können.
Bahá’u’lláh verkündigte diese Prinzipien allen Herrschern der Welt. Sie sind der Geist und das Licht dieses Zeitalters. Von ihrer Verwirklichung hängt das Wohlergehen für unsere Zeit und das der gesamten Menschheit ab.
SONNE DER WAHRHEIT Organ der deutschen Bahá’i Verantwortliche Schriftleitung: Alice Schwarz-Solivo, Stuttgart, Alexanderstraße 3 Preis vierteljährlich 1.80 Goldmark, im Ausland 2.– Goldmark |
Heft 1 | Stuttgart, im März 1933 Bahá — (Herrlichkeit) 90 |
13. Jahrgang |
Motto: Einheit der Menschheit — Universaler Friede — Universale Religion
Inhalt: Das Leben nach dem Tode. — Göttliche Lebenskunst. — Frühling. — Weiße Rosen von Persien. — Die Eßlinger Bahá’i-Sommerwoche.
Gebet
O Gott, o Gott! Laß mich aus dem Kelch Deiner Führung und Gnade trinken. Mache mich fest in Deinem Ewigen Bund. Gestatte mir, einer Deiner aufrichtigen Diener zu werden. Öffne vor meinem Angesicht die Tore zum geistigen Schauen. Bereite mir die Mittel zu meinem Leben vor und gib mir mein Brot aus Deinen himmlischen Schatzkammern auf den nur Dir bekannten Wegen. Gewähre mir die Kraft, mein Angesicht Deinem gnadenvollen Antlitz zuzuwenden und Deiner Sache treu zu sein. O Du barmherziger und mitleidvoller Gott! Wahrlich, Du bist gnädig denen, die fest sind in Deinem starken unüberwindlichen Bunde.
Preis sei Gott, dem Herrn aller Welten!
‘Abdu’l-Bahá
Das Leben nach dem Tode.[Bearbeiten]
III. Teil (Schluß)
Zusammengestellt von den Bahá’i in Müritz (Mecklenburg)
Beweise für die Unsterblichkeit des Geistes.
„Nachdem wir gezeigt haben, daß der Geist des Menschen existiert, müssen wir seine Unsterblichkeit auch beweisen.
Die Unsterblichkeit des Geistes geht aus allen heiligen Büchern hervor. Sie ist die Hauptgrundlage der göttlichen Religionen. Es heißt darin, daß es zweierlei Arten von Bestrafung und Belohnung gibt. Erstens die Belohnung und Bestrafung in diesem Leben und zweitens die Belohnung und Bestrafung in der anderen Welt. Aber sowohl das Paradies als die Hölle sind in allen Welten Gottes zu finden, sei es in dieser oder in den geistigen, himmlischen Welten. Diese Belohnung zu erlangen, heißt das ewige Leben erlangen. Deshalb sagte Christus: „Handelt so, daß ihr das ewige Leben ererbet, und daß ihr aus Wasser und Geist wiedergeboren werdet, damit ihr ins Himmelreich eintretet.“
Die Belohnung in diesem Leben sind die Tugenden und vortrefflichen Eigenschaften, die das Wesen des Menschen schmücken. Der Verdunkelte zum Beispiel wird erleuchtet. Der Unwissende wird weise. Der Nachlässige wird aufmerksam. Der Schlafende wird wach. Der Tote wird lebendig. Der Blinde wird sehend. Der Taube wird hörend. Der irdisch Gesinnte wird himmlisch gesinnt. Der Materialist wird geistig. Durch diese Belohnung gelangt der Mensch zur geistigen Geburt und wird ein neues Wesen. Er wird zur Offenbarung der Worte des Evangeliums: „Welche nicht von dem Geblüt, noch von dem Willen des Fleisches, noch von dem Willen eines Mannes, sondern von Gott geboren sind", d. h. sie wurden von tierischen Merkmalen und Eigenschaften, die auch die Merkmale der menschlichen Natur sind, befreit, und sie wurden mit göttlichen Kennzeichen, die die Gaben Gottes sind, ausgestattet. Dies ist die Bedeutung der zweiten Geburt. Für solche Menschen gibt es keine größere Qual, als von Gott getrennt zu sein, und keine härtere Strafe als die, wieder zu den sinnlichen Lastern, schlimmen Eigenschaften und zu der niederen Natur, die voll fleischlicher Begierden ist, zurückzukehren. Wenn sie durch das Licht des Glaubens von der Finsternis dieser Laster befreit sind, von den Strahlen der Sonne der Wirklichkeit erleuchtet werden und mit allen Tugenden ausgestattet sind, dann sehen sie dies als die größte Belohnung an und wissen, daß dies das wahre Paradies ist. So glauben sie auch, daß die geistige Bestrafung, d. h. Qualen und Bestrafung des Daseins, die ist: der weltlichen Natur unterworfen, von Gott getrennt, roh und unwissend zu sein, in sinnliche Lüste zu geraten, in tierischen Schwächen aufzugehen, mit schlimmen Eigenschaften, wie Falschheit, Tyrannei und Grausamkeit gekennzeichnet zu sein, an den Dingen dieser Welt zu hängen und in satanische Gedanken versunken zu sein. Für sie sind dies die größten Bestrafungen und Qualen.
Ebenso ist die Belohnung in der anderen Welt das ewige Leben, welches deutlich aus
allen heiligen Büchern hervorgeht. Es besteht in himmlischer Vervollkommnung, ewiger
Belohnung und immerwährender Glückseligkeit. Die Belohnungen in der anderen Welt
sind die Vollkommenheit und der Friede, die wir in den geistigen Welten erlangen,
nachdem wir diese Welt verlassen haben. Die Belohnung dieses Lebens dagegen sind in dieser
Welt bereits verwirklichten, glänzenden und erhabenen Eigenschaften. Sie sind für
uns die Ursache des ewigen Lebens, denn sie bilden den wirklichen Fortschritt im Dasein.
Dies gleicht der Entwickelung des Menschen vom Embryo bis zur Reife, da er zur
Offenbarung der Worte wird: „Gesegnet sei Gott, der beste der Schöpfer.“ Die Belohnungen
in der anderen Welt sind Friede, geistiger Liebreiz, die verschiedenen geistigen Gaben
in dem Königreich Gottes, die Erfüllung der Wünsche von Herz und Seele und die Begegnung
mit Gott in der ewigen Welt. Die Strafen aber in der anderen Welt; d. h. die
Qualen, bestehen darin, daß die Seelen der besonderen göttlichen Segnungen und der
unumschränkten Gaben beraubt sind, und daß sie auf die niedrigsten Stufen der Existenz
herabsinken. Wer dieser göttlichen Gunst beraubt ist, wird von dem Volk der
[Seite 3]
Wahrheit als tot betrachtet, obwohl er nach dem Tode des Körpers weiterlebt.
Der logische Beweis für die Unsterblichkeit des Geistes ist, daß von etwas Nichtexistierendem keine Zeichen hervorgehen können, denn Zeichen sind die Folgen von etwas Vorhandenem, und eine Folge ist von dem Vorhandensein der Grundursache abhängig. So kann zum Beispiel von einer nicht vorhandenen Sonne kein Licht ausstrahlen, auf einem nicht vorhandenen Meere können keine Wogen erscheinen, aus einer nicht vorhandenen Wolke kann kein Regen fallen, ein nicht vorhandener Baum kann keine Früchte tragen, ein nicht vorhandener Mensch kann weder etwas offenbaren noch erzeugen. Solange daher Zeichen einer Existenz erscheinen, sind sie ein Beweis, daß dasjenige, von dem die Zeichen ausgehen, auch existiert.
Bedenket, daß das Reich Christi heute noch besteht. Hätte auch von einem nicht existierenden König ein so großes Reich entstehen können? Wie könnten sich von einem nicht vorhandenen Meere die Wogen so hoch erheben? Wie könnte ein nicht vorhandener Garten so wohlriechende Düfte ausströmen? Bedenket, daß keine Wirkung, keine Spur und kein Einfluß von irgend einem Geschöpf übrig bleibt, nachdem seine Glieder zerstreut und seine Elemente aufgelöst sind, einerlei, ob es ein Mensch, eine Pflanze oder ein Tier ist. Allein das Wesen und der Geist des Menschen bestehen nach der Auflösung der Glieder, der Zerstreuung der Atome und der Zerteilung der Zusammensetzung weiter und fahren fort, zu handeln, ohne ihre Kraft zu verlieren.
Dies ist eine sehr ernste Frage, denket aufmerksam darüber nach. Der hier gegebene Beweis ist ein vernünftiger Beweis, damit ihn der Weise auf der Waage der Vernunft und Gerechtigkeit abwäge. Wenn sich aber der Geist des Menschen des Königreiches Gottes erfreut und zu ihm hingezogen ist, wenn sein inneres Gesicht geöffnet, sein geistiges Gehör geschärft wird und sein geistiges Gefühl vorherrscht, dann wird er die Unsterblichkeit des Geistes so klar wie die Sonne sehen, und die frohen Botschaften und Zeichen Gottes werden mit ihm sein .. .“
- —————
»... Wisset, daß die Macht und Fassungskraft des menschlichen Geistes von zweierlei Art ist. Der Geist empfindet und handelt auf zwei verschiedene Arten. Einmal geschieht dies durch Werkzeuge, durch Organe. Zum Beispiel mit dem Auge sieht er, mit dem Ohr hört er, mit der Zunge spricht er. Solcher Art sind die Handlungen des menschlichen Geistes und die Wahrnehmungen des menschlichen Wesens mittels der Organe. Damit will ich sagen, der Geist sieht durch das Auge, der Geist hört durch das Ohr, der Geist spricht durch die Zunge.
Die andere Art der Offenbarung der Kräfte und Handlungen des Geistes geschieht ohne Organe und Werkzeuge. Im Schlaf zum Beispiel sieht er ohne Augen, hört er ohne Ohren, spricht er ohne Zunge und geht ohne Füße. Kurz, dies alles geht ohne das Mittel der Organe vor sich. Wie oft kommt es vor, daß der Geist im Traume etwas sieht, dessen Bedeutung sich erst zwei Jahre später in entsprechenden Ereignissen offenbart. Wie oft wird auch eine Frage, die im wachen Zustande nicht gelöst werden konnte, im Traume gelöst. Im wachen Zustand sieht das Auge nur auf eine kurze Entfernung, aber im Traume sieht es von Osten bis zum Westen. Wachend sieht es die Gegenwart, schlafend sieht es die Zukunft. Im wachen Zustand kann der Mensch mittels der schnellsten Beförderungsmittel höchstens 150 Kilometer in der Stunde reisen. Im Schlaf dagegen durchkreuzt er in einem Augenblick den Osten und den Westen. Denn der Geist reist auf zwei verschiedene Arten, ohne Beförderungsmittel, also geistig, und mit Beförderungsmitteln, also irdisch. Dies ähnelt einem Vogel, der fliegt, aber auch getragen werden kann.
Im Schlaf ist dieser Körper gleichsam tot. Er sieht nichts, er hört nichts, er fühlt nichts.
Er hat kein Bewußtsein und keine Empfindung, d. h. die Kräfte des Menschen sind
außer Tätigkeit, aber der Geist lebt und besteht. Ja, sein Scharfsinn ist sogar erweitert,
sein Flug höher und seine Intelligenz größer. Der Gedanke, der Geist werde nach dem
Tode des Körpers umkommen, wäre der Einbildung gleich, daß ein Vogel, der in einem
Käfig ist, vernichtet werde, wenn man den Käfig zerbricht, obwohl der Vogel von der
[Seite 4]
Zerstörung des Käfigs nichts zu fürchten hat. Unser Körper gleicht dem Käfig und unser
Geist dem Vogel. Wir sehen, daß dieser Vogel im Schlaf ohne den Körper fliegt. Wenn
daher der Käfig zerbrochen ist, so wird der Vogel dennoch weiter leben. Seine Gefühle
werden noch stärker, sein Empfindungsvermögen noch größer sein, und seine Glückseligkeit
wird zunehmen. In Wirklichkeit gelangt er von einer Hölle in ein Paradies der
Freude, weil es für den dankbaren Vogel kein größeres Paradies gibt, als die Befreiung
aus seinem Käfig. Daher kommt es, daß die Märtyrer mit größter Freude und
Glückseligkeit zu der Ebene der Selbstaufopferung hineilen.
Im wachen Zustand sieht das Auge des Menschen höchstens auf die Entfernung einer Wegstunde, weil die Macht des Geistes durch die Vermittelung des Körpers so beschränkt ist, aber mit dem geistigen Auge sieht er ferne Kontinente und kann wahrnehmen, was dort geschieht. Auch kann er die Beschaffenheit der Dinge entdecken und gewisse Anordnungen treffen. Wenn daher der Geist dem Körper gleich wäre, so müßte notwendigerweise die Kraft des inneren Gesichtes im gleichen Verhältnis mit dem Körper stehen. Deshalb ist es klar, daß dieser Geist etwas anderes als der Körper ist, daß der Vogel etwas anderes als der Käfig ist, und daß die Macht und Durchdringungskraft des Geistes ohne die Vermittelung des Körpers stärker ist. Wenn nun das Werkzeug beiseitegelegt ist, so wird der Besitzer des Werkzeuges dennoch fortfahren zu handeln. Wenn zum Beispiel die Feder beiseitegelegt oder zerbrochen ist, so wird der Schreiber dennoch am Leben bleiben und gegenwärtig sein. Wenn ein Haus niedergerissen wird, so bleibt der Besitzer doch am Leben. Dies ist einer der logischen Beweise für die Unsterblichkeit der Seele.
Es gibt noch einen anderen Beweis: Dieser Körper wird manchmal schwach, schwerfällig oder krank, oder er befindet sich manchmal im Zustand der Genesung. Er wird müde, oder er ruht. Ja, es mag ihm eine Hand oder ein Bein abgenommen werden, oder er ist sonst verkrüppelt. Er wird blind, taub oder stumm, seine Glieder werden gelähmt. Kurz, der Körper kann in jeder Beziehung unvollkommen sein. Der Geist indessen wird in seinem ursprünglichen Zustand, in seiner eigenen geistigen Wahrnehmung ewig bleiben und fortdauern. Er befindet sich weder in irgend welcher Unvollkommenheit, noch wird er verkrüppelt. Wenn aber der Körper gänzlich der Krankheit und dem Unglück unterworfen ist, so ist er der Gaben des Geistes beraubt. Er ist wie ein Spiegel, der, wenn er zerbrochen, staubig oder blind ist, die Strahlen der Sonne nicht widerspiegeln kann, noch ihre Gaben zu zeigen vermag.
Wir erklärten bereits, daß der Geist des Menschen nicht im Körper ist, weil er befreit und über Eintritt und Austritt geheiligt ist, denn dies sind körperliche Zustände. Die Verbindung des Geistes mit dem Körper gleicht der der Sonne mit dem Spiegel. Kurz, der menschliche Geist bleibt im gleichen Zustand. Er wird nie krank, wenn der Körper krank ist, und nie gesund, wenn der Körper genest. Er wird weder krank noch schwach, weder elend noch arm, weder leicht noch klein. Das heißt, der Geist wird nie von der Gebrechlichkeit des Körpers beeinträchtigt, und bei ihm wird selbst dann keine Wirkung wahrgenommen, wenn der Körper schwach wird, oder wenn die Hände, die Füße und die Zunge abgeschnitten werden, oder wenn Gehör und Gesicht verloren gehen. Deshalb ist es klar und gewiß, daß der Geist etwas anderes als der Körper ist, und daß seine Fortdauer nicht vom Körper abhängig ist. Im Gegenteil, der Geist beherrscht den Körper mit größter Macht, und seine Macht und sein Einfluß zeigen sich in ihm, wie die Eigenschaften der Sonne im Spiegel zum Vorschein kommen. Wenn aber der Spiegel staubig wird oder zerbricht, kann er die Strahlen der Sonne nicht mehr widerspiegeln.“
(Aus „Beantwortete Fragen“, S. 282/291.)
Visionen und Verkehr mit Geistern.
Frage: „Manche Menschen glauben, sie machen in der geistigen Welt Entdeckungen, das bedeutet aber, daß sie mit Geistern verkehren. Welcher Art ist dieser Verkehr?“
Antwort ‘Abdu’l-Bahás: „Es gibt zweierlei Arten geistiger Entdeckungen. Die eine
beruht auf Einbildung und wird auch nur von wenigen Menschen behauptet. Die [Seite 5]
andere gleicht der Inspiration, und diese ist wirklich, so wie die Offenbarung des
Jesajas, des Jeremias und des Johannes wirklich sind.
Bedenket, daß des Menschen Denkweise von zweierlei Art ist. Die eine ist wahr, wenn sie mit absoluter Wahrheit übereinstimmt. Diese Vorstellungen finden in der irdischen Welt ihre Verwirklichung in richtigen Ansichten, korrekten Theorien, wissenschaftlichen Entdeckungen und Erfindungen.
Die andere Art der Vorstellungen beruht auf leeren Gedanken und nutzlosen Ideen, die weder Früchte tragen noch Resultate hervorbringen, und die keine Wirklichkeit haben. Nein, diese Einbildungen schwellen gleich den Wogen des Meeres an und vergehen wie eitle Träume.
So gibt es auch zwei Arten von geistigen Entdeckungen. Die eine Art besteht in den Offenbarungen der Propheten und den geistigen Entdeckungen der Auserwählten. Die Visionen der Propheten sind keine Träume. Nein, sie sind geistige Entdeckungen. Sie haben Wirklichkeit. Sie sagen zum Beispiel: „Ich sah jemand in einer gewissen Gestalt, und ich sprach zu ihm und erhielt Antwort.“ Eine solche Vision geht im wachen Zustande vor sich und nicht im Schlaf. Sie ist eine geistige Entdeckung, die sich zeigt, als ob sie eine Erscheinung im Traume sei.
Die andere Art der geistigen Entdeckungen beruht lediglich auf Einbildungen. Aber diese Einbildungen werden derart verkörpert, daß arglose Menschen glauben, sie haben Wirklichkeit. Der klarste Beweis hierfür ist, daß von diesem Geisterzitieren noch niemals Resultate oder Früchte hervorgebracht worden sind. Nein, es sind nur Erzählungen und Gerüchte.
Wisset, daß der Mensch die Dinge in ihrem Wesen erfaßt und ihre Wahrheiten, Eigenheiten und Geheimnisse entdeckt. So wurden zum Beispiel alle Künste, Erfindungen, Wissenschaften und Kenntnisse durch das menschliche Wesen entdeckt. Diese Wissenschaften, Kenntnisse, Erfindungen Künste waren einst alle verborgen und verhüllt, bis der Mensch sie allmählich entdeckte und sie aus dem Reich des Unsichtbaren auf die Ebene des Sichtbaren führte. Daraus geht hervor, daß das Wesen des Menschen die Dinge umfaßt. Der Mensch zum Beispiel weilte in Europa und entdeckte Amerika. Er lebt auf der Erde und macht Entdeckungen am Himmel. Er bringt die Geheimnisse der Dinge ans Licht und erkennt das Wesen alles Existierenden. Diese, der Wirklichkeit entsprechenden Entdeckungen sind der Offenbarung ähnlich, die sich im geistigen Verstehen, göttlicher Inspiration und der Verbindung der menschlichen Gedanken äußert. Der Prophet sagt zum Beispiel: „Ich sah, ich hörte, ich sagte dieses und jenes.“ Es ist deshalb offenbar, daß der Geist ein großes Wahrnehmungsvermögen besitzt, und zwar ohne die Vermittelung eines der fünf Sinne, wie Gesicht oder Gehör usw. Zwischen den geistigen Seelen gibt es geistiges Verstehen, geistige Wahrnehmung und Gemeinschaft, die von Einbildungen und Phantasiegebilden rein ist, eine Vereinigung, die über Zeit und Raum geheiligt ist. So steht in den Evangelien geschrieben, daß Moses und Elias auf dem Berge Tabor zu Christus kamen, und es ist klar, daß dies keine materielle Zusammenkunft war. Es war ein geistiger Zustand, der wie eine physische Zusammenkunft zum Ausdruck kam.
Eine andere Art von Umgang, Anwesenheit und Verkehr mit Geistern beruht auf Einbildungen und Phantasiegebilden, die nur scheinbar eine Wirklichkeit haben.
Der Geist, der Gedanke des Menschen entdeckt zuweilen Wahrheiten, und von diesem Gedanken und dieser Entdeckung gehen Zeichen und Resultate hervor. Dieser Gedanke hat eine Grundlage: Es geht aber vieles von dem Geist des Menschen aus, das den Wogen der See der Einbildung gleicht und keine Früchte, keine Resultate hervorbringt. So sieht der Mensch zum Beispiel im Schlaf eine Vision, die sich später genau erfüllt, ein andermal aber hat er einen Traum, dem keinerlei Erfüllung folgt.
Der Sinn unserer Ausführungen ist, daß dasjenige, welches wir Umgang und Verkehr
mit Geistern nennen, von zweierlei Art ist. Die eine Art ist nichts als Einbildung
und die andere gleicht den in den heiligen Büchern erwähnten Visionen wie den
Offenbarungen des Johannes, des Jesajas und der Begegnung Christi mit Moses und
Elias. Diese haben Wirklichkeit. Sie rufen in den
[Seite 6]
Gemütern und Gedanken der Menschen wunderbare Wirkungen hervor und verursachen,
daß die Herzen angezogen werden.“
(Aus „Beantwortete Fragen“, S. 317/321.)
„Die Getreuen werden immer durch die Gegenwart der Erhabenen Heerscharen gestützt. Bei diesen ist Jesus und Moses, Elias und Bahá’u’lláh und andere erhabene Seelen, auch die Märtyrer gehören dazu.” ('Abdu'l-Bahá.)
(„Sonne der Wahrheit“, August 1923, S. 85.)
Göttliche Lebenskunst[Bearbeiten]
Aus den Schriften von ‘Abdu’l-Bahá (Fortsetzung)
Zusammengestellt von Mary M. Rabb (Neuyork, Brentanos Publishers)
Übersetzt von Johanna von Werthern-Stuttgart
2. Kapitel: Einige Eigenschaften göttlicher Seelen
Wenn das Leben eines Menschen rein moralisch ist, wenn seine täglichen Handlungen
durch ethische Kräfte bewegt werden, so wird er das Leben derer, die mit ihm in
Berührung kommen, gewaltig beeinflussen. Der unaufrichtige Mensch lernt von ihm
Aufrichtigkeit, der Untreue wird treu, der Unwissende weise und der Feige mutig.
- —————
All diese Wünsche sind des Bittens wohl wert, besonders der um Befreiung von der Eigenliebe. Sie ist ein merkwürdiger Charakterzug und die Ursache der Zerstörung vieler bedeutender Seelen. Wenn ein Mensch alle guten Eigenschaften besitzt, dabei aber selbstsüchtig ist, werden alle anderen Tugenden verblassen oder verschwinden, und möglicherweise wird er schlimmer werden als zuvor.
Ich hoffe, daß die Geliebten Gottes und die Dienerinnen des Barmherzigen ganz von der Eigenliebe befreit werden. Wird ihnen dieses Freisein zur Natur, so werden sie in Wirklichkeit Offenbarungen großer Gaben, und die Tore göttlicher Gnaden werden sich ihnen auftun.
- —————
Unzufriedenheit mit sich selbst ist ein Zeichen des Fortschrittes. Die Seele, die mit sich selbst zufrieden ist, ist eine Offenbarung des Satans, und der mit sich Unzufriedene eine Offenbarung des Einen Gütigen (Gottes). Wenn ein Mensch tausend gute Eigenschaften hat, soll er nicht auf diese blicken; er soll vielmehr bestrebt sein, seine Fehler und Unvollkommenheiten zu finden. Zum Beispiel, wenn ein Mensch einen palastartigen Wohnsitz hat, der die kostbarsten Möbel birgt und mit den erlesensten Kunstwerken geschmückt ist, wird er zweifellos all diese Pracht vergessen, sobald er bemerkt, daß eine Spalte in der Mauer oder der Zimmerdecke ist, und ohne Zeit zu verlieren, wird er sich daran machen, den Schaden zu beseitigen. Andererseits ist Vollkommenheit dem Menschen unerreichbar. Wie viel ein Mensch Fortschritte machen möge, er ist doch unvollkommen, denn immer ist eine Stufe über ihm. Er blickt nicht eher auf diese, als er mit seinem eigenen Zustande unzufrieden wird, und jene zu erreichen strebt. Christus wollte uns dies deutlich machen, als ihn jemand ansprach: „Guter Meister.“ Er antwortete: „Was nennst du mich gut? Niemand ist gut, denn allein der Vater im Himmel!“
- —————
Sich selbst zu rühmen ist ein Zeichen von Selbstsucht. Anderen zu befehlen ist kein Passierschein zum Lande geistigen Fortschrittes. Vergleiche einen Menschen, der nur wenig spricht, dabei aber immer arbeitet und alle seine Pflichten erfüllt, mit einem, der herumsitzt, fortwährend redet und sich vergangener Heldentaten rühmt!
- —————
Es gibt Menschen, die diese kurze Lebensspanne sich und anderen jämmerlich machen,
weil ihre Herzen voll Neid sind. Neid ist die kläglichste, verabscheuungswürdigste
Eigenschaft im Menschen. Manche sind so erfüllt von Neid, daß sie es nicht ertragen, irgend
einen ihrer Freunde größere Annehmlichkeiten oder höhere Ehren als sie selbst im
Leben erreichen zu sehen. Wie Gift tötet der
[Seite 7]
Neid all ihre edleren Gefühle. Neid erniedrigt den Menschen und macht ihn zum größten
Egoisten und Selbstmittelpunkt. Wenn der Mensch sich von den Klauen dieses gemeinen
Ungeheuers frei macht, hat er die Macht Satans gebrochen. Dann wird er Ruhe
und Frieden der Seele gewinnen. Der Mensch muß sich selbst verleugnen, dann werden
alle Schwierigkeiten und Mühsale der Welt ihn nicht mehr berühren. Er wird wie das
Meer werden, wenn auch auf der Oberfläche der Sturm wütet und Wellenberge sich erheben,
so ist doch in seiner Tiefe völlig Ruhe und Stille.
- —————
Gottes Wohlgefallen zu erlangen, sollte des Menschen einziges Ziel sein.
Bist du dir deiner Mängel und Fehler bewußt? Man muß immer seine Mängel zu erkennen versuchen, um sie an der Schwelle der Einheit zu bereuen und beschützt und beschirmt zu werden; sonst werden Stolz und Hochmut das Herz beherrschen und dadurch wird es der Gnade vom Hofe der Einzigkeit verlustig gehen.
- —————
Sei rein — rein sein heißt selbstlos sein.
- —————
Euer Wort sei eindeutig und stimme überein mit eueren Ansichten, und euere Morgenstunden seien besser als der Vorabend und euer Morgen wertvoller als das Gestern. Der Wert des Menschen hängt von seinem Dienst und seinen Vorzügen ab, nicht von Reichtum und Prunk. Laßt euere Rede frei sein von Falschheit und Begierde, und euere Handlungen erhaben über allen Verdacht und frei von Heuchelei. Wahrlich! Vergeudet nicht den Reichtum eueres kostbaren Lebens an wollüstige Wünsche und beschränkt euere Angelegenheiten nicht nur auf persönlich Interessen, sondern gebt, wenn ihr habt, und seid geduldig, wenn ihr nicht habt. Dem Unglück folgt Überfluß und der Verwirrung Klarheit. Vermeidet die Lüge und Faulheit und haltet euch an das, was den Menschen, ob jung oder alt, bejahrt oder verwitwet, Gutes bringt.
Wahrlich! Hütet euch, die Saat der Zwietracht unter den Geschöpfen zu säen, oder den Stachel des Zweifels und Verdachtes in reine und strahlende Herzen zu senken. Wahrlich, o ihr Geliebten Gottes! Begehet nicht, was die Reinheit des klaren Wassers der Liebe trüben oder die leuchtenden Bande der Freundschaft zerstören könnte. Bei meinem Leben, ihr seid zur Liebe und Zuneigung erschaffen, und nicht zum Haß oder Starrsinn. Rühmet euch nicht der Liebe zu euerem Heimatlande, sondern der Liebe zur ganzen Welt.
Euere Augen seien keusch, euere Hände treu, euere Zunge wahr und euer Sinn weise. Erniedrigt nicht den glorreichen Stand der Gelehrten und vermindert nicht die Ehre der führenden Männer, welche gerecht unter euch richten.
Laßt Unparteilichkeit euere Armee sein, Vernunft euere Waffen und Vergebung euer Zeugnis und euere Natur... Seht nicht auf das Volk und seine Handlungen, blickt vielmehr auf die Wahrheit und ihre Herrschaft; trinket das reine Wasser der Freude aus dem Kelch der Äußerungen vom Dämmerungsort der Offenbarung, welche dich ermahnt aus dieser starken Festung. Scheue keine Anstrengung, die in deiner Macht liegt, um die Wahrheit durch Weisheit und Erklärungen aufzurichten und Falschheit unter den Geschöpfen zu zerstören.
Worte von Bahá’u’lláh.
- —————
Wenn ein Mensch sich ein Vergehen zu Schulden kommen läßt, so war er ungerecht zu sich selbst und bald wird er sich in augenscheinlicher Reue und Bedauern befinden.
- —————
Das dünne Augenlid verhindert das Auge, die Welt und alles, was in ihr ist, zu sehen. Nun bedenke, was geschieht, wenn der Vorhang der Habgier das Sehen des Herzens verhindert. Wahrlich, o Völker! Die Dunkelheit der Habgier und des Neides verdunkelt das Licht der Seele, wie die Wolke das Durchbrechen der Sonnenstrahlen verhindert.
- —————
Ein dankbarer Mensch ist unter allen Umständen dankbar. Eine mürrische Seele
murrt, selbst wenn sie im Paradiese lebte... Wenn wir nicht dankbar sind, wer sollte
dann dankbar sein? Sind wir nicht umgeben von den Gnaden Gottes? Sind wir nicht
umhüllt von Segnungen der Gesegneten Vollkommenheit? Hat nicht Er eine strahlende
[Seite 8]
Lampe in unserem Heim entzündet? .... Bedenket, wie ein jeder einzelne von uns
umgeben ist von Seinen Gunstbezeugungen! Wieviel göttliche Gnade strömt auf uns
herab! Wie oft antwortet unser Herz Seinem Ruf! ... Wenn wir nicht freudevoll sind.
wer sollte es dann sein?
Mündlicher Dank ist fruchtlos. Dank kann auf zweierlei Weise wirksam dargebracht werden. Erstens durch die Verwirklichung geistiger Empfänglichkeit, welche die Herzen mit den hellen Sternen des Glückes erleuchtet und mit den frohen Botschaften des Barmherzigen erfreut. Zweitens durch Taten, d. h. nach dem Wohlgefallen des Herrn zu leben, unser Wesen mit Seinen himmlischen Eigenschaften zu schmücken und zu versuchen, das Leid und Elend der Menschen zu mildern.
Wenn ein Mensch dies nicht tut, selbst wenn er Gott preist und Ihm hunderttausend Danksagungen darbringt, so wird er davon nicht den kleinsten Erfolg haben, denn es sind Worte ohne Licht. Darum müssen wir sehr glücklich, sehr froh, sehr vergnügt, sehr zufrieden, sehr freudig sein, denn wir sind versenkt in den Ozean der Gaben Bahá’u’lláhs . . . Ein nachdenklicher Mensch erfreut sich der Gaben und Segnungen Gottes.
- —————
Der Mensch, als individuelle Einheit der menschlichen Gesellschaft, sollte seine Taten nicht auf das Gesetz der Widervergeltung gründen. Er muß vergeben, wie Gott die Sünde und Übertretungen Seiner Geschöpfe vergibt.
(Fortsetzung folgt.)
Frühling[Bearbeiten]
Von Karl Klitzing, Gehlsdorf-Rostock
Alles in der irdischen Welt kann als Symbol für die geistige Welt dienen, So ist z.B.
das Licht ein Symbol für das Licht der Führung in der geistigen Welt. In der irdischen
Welt gibt es vier Jahreszeiten, aber auch die geistige Welt kennt verschiedene Zeiten,
Wir befinden uns jetzt in der Frühlingszeit. Vor kurzem war der Erdboden noch grau und kahl, aber wie durch ein Wunder ist plötzlich eine große Veränderung eingetreten. Die Erde ist mit frischem Grün und bunten Blumen bedeckt. Die Bäume treiben Blätter und Blüten. Die Tiere auf dem Felde sind neu belebt. Die Vögel in der Luft erfreuen uns durch ihren lieblichen Gesang, und wie Uhland sagt:
- „Die Welt wird schöner mit jedem Tag,
- man weiß nicht, was noch werden mag;
- das Blüten will nicht enden.
- Es blüht das fernste, tiefste Tal.
- Nun, armes Herz, vergiß der Qual!
- Nun muß sich alles, alles wenden.“
Aber wir stehen nicht nur an der Wende der irdischen Jahreszeiten, sondern nach der
Bahá’i-Lehre auch an einem Wendepunkte des Geistes. Auch hier beginnt sich wie durch
ein Wunder eine große Veränderung bemerkbar zu machen. Die Welt regt sich zu
neuem Leben und wird von neuen Idealen und Hoffnungen erfüllt. Vorurteile und
Gehässigkeiten werden schwinden und dem Geiste des Verständnisses und der
Brüderlichkeit Raum geben.
‘Abdu’l-Bahá sagt: „Dieser Zeitabschnitt ist das verheißene Zeitalter: die
Zusammenberufung der menschlichen Rasse zum ‚Auferstehungstage‘, und jetzt ist der große
‚Tag des Gerichtes‘. Bald wird die ganze Welt ihr Aussehen wie im Frühling verändern. Das
Absterben und Fallen der Blätter des Herbstes ist vorbei und die Kälte des Winters ist
vorüber. Das neue Jahr ist erschienen und die geistige Frühlingszeit ist da. Die dunkle
Erde ist ein blühender Garten geworden. Die Täler und Berge sind mit bunten Blumen
geschmückt. An den Rändern der Wüste stehen die hohen Gräser wie vorgeschobene
Posten vor den Zypressen und Jasminsträuchern, während die Vögel in den Rosensträuchern
wie die Engel im höchsten Himmel laut singen, indem sie die frohe Botschaft von
dem Nahen jenes geistigen Frühlings verkünden, und die liebliche Musik ihrer Stimmen
ist fähig, das wirkliche Wesen aller Dinge zu bewegen und zu berühren.
[Seite 9]
O mein geistiger Freund! Weißt du, aus welchen Weisen die von diesen Vögeln gesungenen Töne stammen? Es sind die Weisen des Friedens und der Versöhnung, der Liebe und Einheit, der Gerechtigkeit und Sicherheit und der Eintracht und Harmonie. Binnen kurzem wird dieser himmlische Gesang die ganze Menschheit erfüllen. Die Ursache der Feindschaft soll zerstört werden. Eintracht und Liebe wird in jeder Versammlung zum Ausdruck gebracht werden, und die Freunde der Liebe Gottes werden an diesen großen Festtagen ihre Freude erleben. Denke daher darüber nach, welchen Lebensgeist Gott ausgegossen hat, daß die Menschheit auf der ganzen Welt ewiges Leben erwerben kann. Das Paradies Abhás wird bald ein Zelt am Polarstern der Welt*) aufrichten, in dessen Schutz der Gläubige sich freuen und sich die reinen Seelen in Frieden aufhalten sollen.“
*) Der Leitstern für die Menschheit, Bahá’u’lláh.
Weiße Rosen von Persien[Bearbeiten]
Von Martha L. Root. Veröffentlicht in englisch im Star of the West, Bd. 23, Nr. 6 und 7
(Fortsetzung)
Ruhu’lláh, Du bist tausendmal mehr wert als Násr-ed-Din Sháh. Násr-ed-Din Sháh
war Sháhansháh (der König der Könige), der zur Zeit des Báb lebte, als auf diesen ein
Kugelregen fiel, ebenso als über Bahá’u’lláh und Seine Familie der Bann ausgesprochen
wurde, und er war noch an der Regierung zu Zeiten Ruhu’lláhs.
In Zenján nahmen die Verfolgungen plötzlich an Heftigkeit zu und Ali Muhammed Varqá sah sich genötigt, seine Familie in Sicherheit zu bringen und nach Tihrán zu gehen, um die Bahá’i-Lehre dort zu verkünden. Er schickte den damals 14jährigen Azizolláh voraus zu seinem Großvater und er und Ruhu’lláh reisten erst einen Monat später. Auf halbem Wege nach Tihrán wurden sie mit anderen Bahá’i zusammen festgenommen und nach Zanján in schweren Halsketten und die Füße im Stock zurückgebracht. Der Gouverneur von Zanján redete mit ihnen und stellte die Frage an sie, ob sie Bahá’i seien. Ali Muhammed Varqá sprach zuerst und bejahte dies. Als der kleine Ruhu’lláh gefragt wurde, sagte er: „Ja, ich bin Bahá’i.“ Ein alter Mann aber leugnete seinen Glauben und sagte: „O nein, ich bin kein Anhänger.“ Der Gouverneur zeigte ihm seine Verachtung und sprach streng: „Jedermann weiß, daß du dich Bahá’i nennst und nun leugnest du es; dieser kleine Junge aber, der am Anfang seines Lebens steht und vor dem die Welt offenliegt, besitzt den Mut zu sagen, daß er Bahá’i ist.“
Der Gouverneur bat die Mullahs zu kommen, um mit diesen Bahá’i zu sprechen. Die
Mullah sagten, daß diese Männer ihres Glaubens willen getötet werden müßten, ihre
Lehre verstieße gegen den Islam. Der Gouverneur sandte zu dem Premierminister in
Tihrán und frug an, was nun zu geschehen habe, und dieser schickte die Bahá’i-Gefangenen
nach der Hauptstadt. So gelangten sie in Ketten in Tihrán an, und ein Photograph
nahm daselbst ein Bild von ihnen auf. Es war üblich, die Gefangenen zu photographieren
und die Bilder an die staatliche Stelle zu senden. Eine Beschreibung wurde auf die
Bilder selbst gemacht. Ruhu’lláhs Aba (Rock) und Kulah (Hut) waren ihm fortgenommen
worden, und was der Junge auf dem Bilde trägt, war rasch bei anderen Gefangenen
entlehnt und dem Knaben angezogen worden. Die Kleidungsstücke waren ihm viel zu groß.
Es sind also nicht seine alltäglichen eigenen Kleider. Heute hat die Familie die
Originalaufnahmen, auf der der Gefängnisbericht vermerkt ist, in Besitz. Während der
Revolution von 1908, bei der alle die alten Archive und Niederschriften hinausgeworfen
wurden, sah ein Bahá’i-Beamter dieses Bild und brachte es Azizollah Varqá. Die
Aufzeichnung des Verbrechens lautet, daß diese Leute Bahá’i, Bábi, geworden waren. Nach
der Festnahme von Ali Muhammed Varqá war die Wache nach Hause gegangen und
hatte das wundervolle Gemälde von Báb
[Seite 10]
(von dem nur ein einziges Exemplar noch existiert) zugleich mit vielen wertvollen
Tablets, die Familienbücher, ja sogar die Geburtsverzeichnisse, mitgenommen, so daß
manche Familienmitglieder nicht wissen, wann ihr Geburtstag ist. Ihren ganzen Besitz
aber konfiszierte man.
Als sich dieses alles zutrug und sie im Gefängnis untergebracht waren, gelang es Azizolláh die Erlaubnis zu erhalten, Vater und Bruder im Gefängnis zu besuchen: „Ruhu’lláh, was brauchst Du, was kann ich Dir bringen?“ frug Azizolláh, und sein kleiner Bruder sagte voll Verlangen: „Bitte, bring mir ein Buch mit Tablets und das Gebetbuch, damit ich im Gefängnis lesen kann; denn sie haben mir alle meine Bücher weggenommen.“ — Die Ernährung in diesem Gefängnis war sehr schlecht und der Knabe besaß auch kaum ein Kleidungsstück, er bat aber nicht um irgend etwas dergleichen.
Einer der Mitgefangenen, der heute noch lebt, erzählte Azizolláh Varqá, daß er eines Nachts im Kerker, als alle anderen schliefen, beobachtete, wie sich Ali Muhammed Varqá über seinen kleinen Sohn Ruhu’lláh beugte, ihn lange liebevoll anschaute, betete und dann sagte: „O Bahá’u’lláh, ich danke Dir, daß Du unser Opfer annimmst!" Dies war keine irdische Liebe mehr für seinen Sohn. Es war vollkommene Hingebung an Gott.
Ali Muhammed Varqá war 38 Jahre alt und sein Sohn stand im Anfang seines zwölften Jahres. Sie waren genau zwei Monate in Tihrán im Gefängnis, als an einem Freitag sich Násr-ed-Din Sháh, der Beherrscher Persiens, nach Sháh Zadeh Aledu’l Azim, einem Dorf bei Tihrán, zu einem muhammedanischen hl. Grab begab. Dort schoß ein revolutionärer Muselmann auf ihn und traf ihn tödlich. Er hatte von 1844—1896 regiert.
Alles, was sich zu jener Zeit in Persien an Übeltaten zutrug, wurde den Bahá’i in die Schuhe geschoben. Der Premierminister wußte wohl, daß der Mörder ein Muslem gewesen war und sprach dies auch aus. Aber der oberste Richter befahl dem Scharfrichter, ohne sich mit dem Premierminister ins Benehmen gesetzt zu haben, ihn in ein Gelaß des Gefängnisses zu führen und die Bahá’i-Gefangenen sich in einem langen dunklen Gang, der zu der Zelle führte, aufstellen zu lassen. Die Männer standen hier, einer hinter dem andern, und warteten darauf, in die Zelle gerufen zu werden. Der erste, der einzutreten hatte, war Ali Muhammed Varqá, der kleine Ruhullláh hatte in der offenen Türe zu stehen, da er der zweite sein sollte. Der oberste Richter beleidigte Ali Muhammed Varqá, indem er sagte: „Ihr Bahá’is seid es, die den Schah getötet habt!” Die Gefangenen hatten keine Ahnung, daß der Schah am selben Tag erschossen worden war. Ali Muhammed Varqá antwortete: „Ein Bahá’i würde niemals Seine Königl. Majestät den Sháhansháh töten!“ Durch die Antwort ärgerlich, befahl der oberste Richter dem Henker, Ali Muhammed mit dem Kopf in den Stock zu spannen und seinen Leib zu zerstückeln. Ruhu’lláh war Zeuge des bewunderungswürdigen Märtyrertums seines Vaters, als dieser seinen Tod auf so entsetzliche Weise erlitt. Dann kehrte sich der oberste Richter zu dem Knaben, der den Raum betreten hatte, um selbst den Tod zu empfangen und sagte: „Du mußt Bahá’u’lláh verwünschen, wenn Du das tust, kannst Du frei ausgehen und ich gebe Dir alles, was Du nur haben willst.“ Ruhu’lláh schaute ihm in die Augen und sagte ernst: „Ich habe Bahá’u’lláh gesehen! Ich könnte Ihn niemals verwünschen! Ich will mit meinem Vater sterben!“
Der oberste Richter flüsterte dem Henker zu, den Knaben zu würgen, um ihn zu schrecken, ihn aber nicht zu töten. Dies geschah. Sie schnürten ihm sein Kleid eng um den Hals, daß er ohnmächtig wurde und es den Anschein hatte, als sei er tot, aber nach und nach kam er wieder zu sich und der oberste Richter befahl ihm nochmals, Bahá’u’lláh zu verwünschen. „Nein, ich werde Ihn niemals verwünschen, ich will mit meinem Vater sterben!“ sagte der Knabe und warf sich unwillkürlich auf die Knie und begann zu Gott zu beten. Der oberste Richter war so wütend und außer Fassung gebracht, daß er dem Henker zuschrie, den Knaben sofort zu töten, er selbst aber rannte aus dem Raum an den andern Gefangenen vorbei und fort in sein Haus. Der Henker durchschnitt rasch die Kehle von Ruhu’lláh und das Opfer zweier großer Helden für 'Abdu'l-Bahá war vollbracht.
(Fortsetzung folgt.)
Die Eßlinger Bahá’i-Sommerwoche (13.—21. Aug. 1932)[Bearbeiten]
(Fortsetzung von Heft 11, 12. Jahrg.)
Unser größtes Bemühen gilt somit der Entwicklung und Vervollkommnung der Seele,
denn sie reicht über unser physisches Sein hinaus, sie ist ewig.
Jeder Fortschritt in der geistigen Welt führt näher zu dem Ziel der Vervollkommnung.
Da nun die Vervollkommnung des Menschentums unbegrenzt ist, so kann der Mensch
auch dann noch Fortschritte machen, wenn er diese Welt verlassen hat. In der göttlichen
Welt ist jedoch die Entwicklung des menschlichen Geistes allein von den Gaben und der
Gnade des Herrn abhängig oder aber von der Vermittlung und den Gebeten anderer
menschlicher Seelen.
Diese Erkenntnis fordert das Gebot der Loslösung, d. h. sie verlangt das Hinwegwenden unseres Bewußtseins und Empfindens vom materiellen zum geistigen Sein, von der Erscheinungswelt zur dahinterstehenden Wirklichkeit. Da wir den Inbegriff der Wirklichkeit Gott nennen, so ist Loslösung gleichbedeutend mit Hinstreben von der Materie zu Gott. ‘Abdu’l-Bahá sagt: „Der Eintritt in das Königreich Gottes erfolgt durch Liebe zu Gott, durch Trennung vom Irdischen, durch Heiligung und Keuschheit, durch Wahrhaftigkeit, Reinheit, Standhaftigkeit, Ehrlichkeit und Aufopferung des Lebens.“
Loslösung ist jedoch nicht gleichbedeutend mit Weltflucht. Wenn wir uns innerlich gelöst haben, dürfen wir uns vielmehr auch an der Materie erfreuen, ohne sie besitzen zu müssen, in dem Gedanken der zeitlichen Nutznießung.
Dr. Arthur Mühlschlegel gab uns in den Nachmittagskursen einen Überblick über die großen Weltreligionen (die wir hier, unter Weglassen des allgemeinen Teiles, im Auszug darstellen).
I. Primitive Religionen.
Religion ist die Rückverbindung mit etwas Höherem. Dieses Höhere ist aber nicht bei allen Völkern und in allen Religionen das gleiche.
Fetischismus. Als die Europäer zum ersten Male mit Afrikas Negervölkern in Berührung kamen, sahen sie, daß diese Steine, Holzstücke, Tierzähne, Vogelfedern usw. anbeteten und als Götter betrachteten. Man nannte ein solches Ding Fetisch und die Religion Fetischismus. Eigentliche Götter sind diese Gegenstände nicht. Sie gehören vielmehr zum Reiche der Natur, wo alle Dinge als beseelt vorgestellt werden. Hat sich eine Sache als besonders glückbringend erwiesen, so wird sie mit größerer Ehrfurcht betrachtet und der einzelne oder der Stamm macht sie zum Fetisch. — Auch bei Bekennern höherer Religionen kann ein Zug von Fetischismus nachgewiesen werden, wo man Glück und Gesundheit an Amulette und Talismane knüpft.
Tabu. Wenn ein Maorikönig auf Neuseeland und seine Königin eine Reise unternehmen, werden sie in Sänften getragen und dürfen nie den Boden betreten, der ihnen nicht persönlich gehört. Tun sie das doch, dann geht der Boden in ihren Besitz über. Bei den Mahlzeiten werden sie mit langen Löffeln gefüttert, um nicht mit ihnen in Berührung zu kommen. Die Gefäße, aus denen sie essen, dürfen ebensowenig berührt werden. Die Reste der Mahlzeit werden vernichtet. Diese königlichen Personen sind von einer Lebenskraft erfüllt, die stärker wirkt als bei gewöhnlichen Menschen. Wenn diese Kraft durch zufällige Berührung auf andere Menschen übertragen wird, werden sie unrein. Dieselbe Kraft also, welche den Häuptling heiligt, macht den gewöhnlichen Menschen unrein. Zauberer, Priester, Häuptlinge und Könige gelten bei vielen Völkern, besonders bei den Melanesiern und Polynesiern in Australien, für tabu (d. h. gezeichnet). Ohne die Machtentfaltung dieser heiligen Personen würde alles mißglücken. Die Melanesier nennen diese Macht Mana. Dies ist ein gewisses Quantum von Kraft, das der Stamm besitzt und als Gottheit betrachtet wird.
Animismus. Als Gottheit können auch persönliche Wesen betrachtet werden, welche
in Tier- oder Menschengestalt oder als Teufel ihr Spiel treiben und die Menschen bedrohen.
Wo die Religion im Glauben an solche Geister besteht, bezeichnet man sie als
[Seite 12]
Animismus (von lat. animus = Geist). In diesem Glauben spielen die Krankheitsgeister
eine große Rolle. Die primitive Heilkunst besteht daher in der Austreibung des
Dämons, von dem der Kranke besessen ist. Oft nimmt der Zauberer oder Priester die
Gestalt eines stärkeren Dämons an, um den schwächeren auszutreiben. Der indianische
„Medizinmann“ verkleidet sich als Jaguar, stürzt sich über den Kranken, um den
schwächeren Tiergeist zu verscheuchen.
Ahnenkult. Einen starken Zuwachs erfuhr die Geisterwelt durch die Verehrung der Seelen der Abgeschiedenen. Diese Seelenverehrung beruht auf dem Glauben, daß die Seele des Menschen ihn überlebt und beim Grab und im Heim bleibt, von wo sie, besonders wenn sie dem abgeschiedenen Hausvater angehörte, weiterhin über das Leben und das Glück der Familie, ihre Besitztümer und Herden, die Fruchtbarkeit der Äcker usw. waltet. Deshalb sucht man durch Totenopfer die Gewohnheit der Seele zu gewinnen. In China bringt man den Ahnen des Hauses täglich Rauchopfer und alljährlich werden große Festgelage auf den Gräbern abgehalten.
Diesen Vorstellungen von der beseelten Natur und den Dämonen entsprechen viele Sitten und Gebräuche, die wir magisch nennen. Durch sie suchen die Primitiven die Natur zu beherrschen und auf ihre menschliche Umgebung einzuwirken.
Totemismus. Die Naturauffassung der Wilden, die zwischen Mensch und Tier keinen wesentlichen Unterschied macht, hat ihren Ausdruck erhalten im sog. Totemismus (von dem indianischen Wort Totem = Abzeichen). Die Stämme der Indianer sind in „Klane“ oder „Sippen“ eingeteilt, die nach irgend einem Tier oder einer Pflanze benannt werden und sich auch zu dieser Art von Tieren zählen. Sie stehen unter dem Schutz ihres Totemtieres und schützen auch dieses. Es ist eine Art Bund mit der Natur zur gegenseitigen Selbsterhaltung. Den Mitgliedern desselben Totems ist es verboten, sich miteinander zu verheiraten, um der Rassenverschlechterung durch Inzucht vorzubeugen. Die gewöhnlichste Form der Ehe ist daher bei den primitiven Völkern die Epogamie, d. i. die Eheschließung zwischen Angehörigen verschiedener Stammesgruppen.
Wollte man bei den primitiven Völkern von Imoralität sprechen, so würde man ihnen Unrecht tun. Ihre moralischen Regeln befolgen sie genau. Sie fürchten durch Ungehorsam den Zorn der Geister heraufzubeschwören. — Ob höhere religiöse Vorstellungen bei ihnen vorhanden sind, bleibt eine Frage.
II. Die Religionsformen in Alt-Amerika.
Maya. Das älteste Kulturvolk in den südmexikanischen Staaten waren die Maya. Sie bildeten ursprünglich in Incatán vier kleine Reiche. Das wichtigste war die Dynastie Cocom in der Stadt Mayapán. 1436 wurde das Maya-Reich zerstört. Die alte Kultur besteht nicht mehr. Von den heute noch lebenden 1 300 000 Mayanesen sind etwa 5000 noch nicht unterworfen. Außer dem Zauberglauben bestand bei ihnen ein ausgeprägter Götterkult mit Kasteiungen, Tier- und Menschenopfern, Räucherungen, Beichten und Fasten.
Als Cortes nach Amerika kam, fand er die Azteken vor. Sie hatten eine tiefstehende Religion. Wegen der übersteigerten Menschenopfer waren sie bei allen ihren Nachbarn verhaßt.
Inka. Höher stehend war in Peru die Religion der Inka. Sie ist der Zarathustra-Religion ähnlich. Gekennzeichnet ist sie durch den ethischen Monotheismus. Sonne und Feuer werden verehrt. Die Inka glaubten schon an die Unsterblichkeit der Seele. Das Kreuz spielte als Symbol der Himmelsrichtungen eine große Rolle. Der Kult des höchsten Gottes war ohne Bild. Die Monarchie der Inka war theokratisch.
(Fortsetzung folgt.)
In der Sonne der Wahrheit finden nur solche Manuskripte Veröffentlichung, bezüglich deren
Weiterverbreitung keine Vorbehalte gemacht werden. — Anfragen, schriftliche Beiträge und alle
die Schriftleitung betreffenden Zuschriften beliebe man an die Schriftleitung: Stuttgart,
Alexanderstr. 3 zu senden. — Bestellungen von Abonnements, Büchern und Broschüren sind an die
Verlagsabteilung des Geistigen Nationalrat der Deutschen Bahá’is e. V. Stuttgart,
Alexanderstraße 3 (Nebengebäude) zu richten. — Alle Zahlungen sind zu leisten an den Geistigen
Nationalrat der Deutschen Bahá’i e. V., Stuttgart, Alexanderstraße 3 (dessen Postscheckkonto
Nr. 19340 Amt Stuttgart). — Druck von J. Fink, Hofbuchdruckerei, Stuttgart.
Geschichte und Bedeutung der Bahá’i-Lehre[Bearbeiten]
Die Bahá’i-Bewegung tritt vor allem ein für die „Universale Religion" und den „Universalen Frieden“ — die Hoffnung aller Zeitalter. Sie zeigt den Weg und die Mittel, die zur Einigung der Menschheit unter dem hohen Banner der Liebe, Wahrheit, Gerechtigkeit und Barmherzigkeit führen. Sie ist göttlich ihrem Ursprung nach, menschlich in ihrer Darstellung, praktisch für jede Lebenslage. In Glaubenssachen gilt bei ihr nichts als die Wahrheit, in den Handlungen nichts als das Gute, in ihren Beziehungen zu den Menschen nichts als liebevoller Dienst.
Zur Aufklärung für diejenigen, die noch wenig oder nichts von der Bahá’i-Bewegung wissen, führen wir hier Folgendes an: „Die Bahá’i-Religion ging aus dem Babismus hervor. Sie ist die Religion der Nachfolger Bahá’u’lláhs. Mirza Hussein Ali Nuri (welches sein eigentlicher Name war) wurde im Jahre 1817 in Teheran (Persien) geboren. Vom Jahr 1844 an war er einer der angesehensten Anhänger des Bab und widmete sich der Verbreitung seiner Lehren in Persien. Nach dem Märtyrertod des Bab wurde er mit den Hauptanhängern desselben von der türkischen Regierung nach Bagdad und später nach Konstantinopel und Adrianopel verbannt. In Bagdad verkündete er seine göttliche Sendung (als „Der, den Gott offenbaren werde") und erklärte, daß er der sei, den der Bab in seinen Schriften als die „Große Manifestation", die in den letzten Tagen kommen werde, angekündigt und verheißen hatte. In seinen Briefen an die Regenten der bedeutendsten Staaten Europas forderte er diese auf, sie möchten ihm bei der Hochhaltung der Religion und bei der Einführung des universalen Friedens beistehen. Nach dem öffentlichen Hervortreten Bahá’u’lláhs wurden seine Anhänger, die ihn als den Verheißenen anerkannten, Bahá’i (Kinder des Lichts) genannt. Im Jahr 1868 wurde Bahá’u’lláh vom Sultan der Türkei nach Akka in Syrien verbannt, wo er den größten Teil seiner lehrreichen Werke verfaßte und wo er am 28. Mai 1892 starb. Zuvor übertrug er seinem Sohn Abbas Effendi ('Abdu'l-Bahá) die Verbreitung seiner Lehre und bestimmte ihn zum Mittelpunkt und Lehrer für alle Bahá’i der Welt.
Es gibt nicht nur in den mohammedanischen Ländern Bahá’i, sondern auch in allen Ländern Europas, sowie in Amerika, Japan, Indien, China usw. Dies kommt daher, daß Bahá’u’lláh den Babismus, der mehr nationale Bedeutung hatte, in eine universale Religion umwandelte, die als die Erfüllung und Vollendung aller bisherigen Religionen gelten kann. Die Juden erwarten den Messias, die Christen das Wiederkommen Christi, die Mohammedaner den Mahdi, die Buddhisten den fünften Buddha, die Zoroastrier den Schah Bahram, die Hindus die Wiederverkörperung Krischnas und die Atheisten — eine bessere soziale Organisation.
In Bahá’u’lláh sind alle diese Erwartungen erfüllt. Seine Lehre beseitigt alle Eifersucht und Feindseligkeit, die zwischen den verschiedenen Religionen besteht, sie befreit die Religionen von ihren Verfälschungen, die im Lauf der Zeit durch Einführung von Dogmen und Riten entstanden und bringt sie alle durch Wiederherstellung ihrer ursprünglichen Reinheit in Einklang. Das einzige Dogma der Lehre ist der Glaube an den einigen Gott und an seine Manifestationen (Zoroaster, Buddha, Mose, Jesus, Mohammed, Bahá’u’lláh).
Die Hauptschriften Bahá’u’lláhs sind der Kitab el Ighan (Buch der Gewißheit), der Kitab el Akdas (größtes heiliges Buch), der Kitab el Ahd (Buch des Bundes) und zahlreiche Sendschreiben, genannt „Tablets“, die er an die wichtigsten Herrscher oder an Privatpersonen richtete. Rituale haben keinen Platz in dieser Religion; letztere muß vielmehr in allen Handlungen des Lebens zum Ausdruck kommen und in wahrer Gottes- und Nächstenliebe gipfeln. Jedermann muß einen Beruf haben und ihn ausüben. Gute Erziehung der Kinder ist zur Pflicht gemacht und geregelt.
Streitfragen, welche nicht anders beigelegt werden können, sind der Entscheidung des Zivilgesetzes jeden Landes und dem Bait’ul’Adl oder „Haus der Gerechtigkeit“, das durch Bahá’u’lláh eingesetzt wurde, unterworfen. Achtung gegenüber jeder Regierungs- und Staatseinrichtung ist als einem Teil der Achtung, die wir Gott schulden, gefordert. Um die Kriege aus der Welt zu schaffen, ist ein internationaler Schiedsgerichtshof zu errichten. Auch soll neben der Muttersprache eine universale Einheitssprache eingeführt werden. „Ihr seid alle die Blätter eines Baumes und die Tropfen eines Meeres“ sagt Bahá’u’lláh.
Es ist also weniger die Einführung einer neuen Religion, als die Erneuerung und Vereinigung aller Religionen, was heute von 'Abdu'l-Bahá erstrebt wird. (Vgl. Nouveau, Larousse, illustré supplement, Seite 66.)
Der Geistige Nationalrat der Deutschen Bahá’i e.V., Stuttgart
Fernsprecher Nr. 26168 / Postscheckkonto 19340 Stuttgart / Alexanderstr. 3, Nebengebäude
Von unserer Verlagsabteilung können bezogen werden:
(Der Versand erfolgt gegen Nachnahme oder gegen Voreinsendung des Betrages)
Bahá’u’lláh
Verborgene Worte.. Worte der Weisheit und Gebete. Geschrieben während seiner Verbannung in Bagdad 1857/58 . . . kart. —.80
gebunden 1.--
Frohe Botschaften. Worte des Paradieses, Tablet Tarasat (Schmuck), Tablet Taschalliat (Lichtstrahlen), Tablet Ischrakat (Glanz). Mahnrufe und Anweisungen an die Völker der Erde . . gebunden 2.00
Ganzleinen 2.50
Buch der Gewißheit oder Kitábu’l-Iqán. Eine Auseinandersetzung mit theologischen Fragen verschiedener Religionen, geschrieben in Bagdad um 1862. Ist fortsetzungsweise in den beiden Jahrgängen X und XI unserer Zeitschrift „Sonne der Wahrheit“ enthalten.
Jahrgang gebunden je 6.--
'Abdu'l-Bahá Abbas
Ansprachen in Paris. ‘Abdu’l-Bahá spricht hier über zahlreiche Fragen, nach deren Klärung die Völker der Erde suchen.
gebunden 2.--
Beantwortete Fragen. Erklärungen zu christlichen und islamischen Fragen, Behandlung allgemeiner weltanschaulicher Probleme . . . . . . Ganzleinen 2.50
Sendschreiben an die Haager Friedenskonferenz 1919 . . . . . --.20
Sonstiges
Geschichte und Wahrheitsbeweise der Bahá’i-Religion, Einführung in die Gedankenwelt der Bahá’i-Lehre von einem orientalischen Gelehrten. Von Mirza Abul Fazl . . . . . gebunden 2.--
Bahá’u’lláh und das neue Zeitalter. ein Lehrbuch von Dr. J. E. Esslemont. Ganzleinen 2.50
'Abdu'l-Bahá Abbas’ Leben und Lehren, von Myron H. Phelps. . . . . .gebunden 2.--
Die Bahá’i-Offenbarung, ein Lehrbuch von Thornton Chase. . . . . . . kart. 2.--
Am Morgen einer neuen Zeit. Untersuchung der geistigen Ursachen der Weltkrise und Beleuchtung der letzthin einzigen Möglichkeit ihrer Überwindung durch die Bahá’i-Lehre. Von Dr. Hermann Großmann . . . . . kart. 1.80
Ganzleinen 2.50
Einheitsreligion. Ihre Wirkung auf Staat, Erziehung, Sozialpolitik, Frauenrechte und die einzelne Persönlichkeit. Von Dr. jur. H. Dreyfus . . . -.30
Das Hinscheiden 'Abdu'l-Bahás, ("The Passing of 'Abdu'l-Bahá") . . . -.30
Das neue Zeitalter von Ch. M. Remey . . . . —.30
Die soziale Frage und ihre Lösung im Sinne der Bahá’i-Lehre von Dr. Hermann Grossmann . . . . —.20
Die Bahá’i-Bewegung, Geschichte, Lehren und Bedeutung. von Dr. Hermann Grossmann . . . . —.20
Sonne der Wahrheit. Bahá'i-Monatszeitschrift.
- Jahrgang III - IX gebunden je 3.--
- Jahrgang X - XII gebunden je 6.--