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SONNE DER WAHRHEIT | ||
ORGAN DER DEUTSCHEN BAHAI | ||
HEFT 9 | 12. JAHRGANG | NOV. 1932 |
Abdu’l-Bahás Erläuterung der Bahá’i-Prinzipien[Bearbeiten]
1. Die ganze Menschheit muss als Einheit betrachtet werden.
Bahá’u’lláh wandte Sich an die gesamte Menschheit mit den Worten: „Ihr seid alle die Blätter eines Zweigs und die Früchte eines Baumes“. Das heißt: die Menschheit gleicht einem Baum und die Nationen oder Völker gleichen den verschiedenen Aesten und Zweigen; die einzelnen Menschen aber gleichen den Blüten und Früchten dieses Baumes. In dieser Weise stellte Bahá’u’lláh das Prinzip der Einheit der Menschheit dar. Bahá’u’lláh verkündigte die Einheit der ganzen Menschheit, er versenkte sie alle im Meer der göttlichen Gnade.
2. Alle Menschen sollen die Wahrheit selbständig erforschen.
In religiösen Fragen sollte niemand blindlings seinen Eltern und Voreltern folgen. Jeder muß mit eigenen Augen sehen, mit eigenen Ohren hören und die Wahrheit suchen, denn die Religionen sind häufig nichts anderes als Nachahmungen des von den Eltern und Voreltern übernommenen Glaubens.
3. Alle Religionen haben eine gemeinsame Grundlage.
Alle göttlichen Verordnungen beruhen auf ein und derselben Wirklichkeit. Diese Grundlage ist die Wahrheit und bildet eine Einheit, nicht eine Mehrheit. Daher beruhen alle Religionen auf einer einheitlichen Grundlage. Im Laufe der Zeit sind gewisse Formen und Zeremonien der Religion beigefügt worden. Dieses bigotte menschliche Beiwerk ist unwesentlich und nebensächlich und verursacht die Abweichungen und Streitigkeiten unter den Religionen. Wenn wir aber diese äußere Form beiseite legen und die Wirklichkeit suchen, so zeigt sich, daß es nur eine göttliche Religion gibt.
4. Die Religion muss die Ursache der Einigkeit und Eintracht unter den Menschen sein.
Die Religion ist für die Menschheit die größte göttliche Gabe, die Ursache des wahren Lebens und hohen sittlichen Wertes; sie führt den Menschen zum ewigen Leben. Die Religion sollte weder Haß und Feindschaft noch Tyrannei und Ungerechtigkeiten verursachen. Gegenüber einer Religion, die zu Mißhelligkeit und Zwietracht, zu Spaltungen und Streitigkeiten führt, wäre Religionslosigkeit vorzuziehen. Die religiösen Lehren sind für die Seele das, was die Arznei für den Kranken ist. Wenn aber ein Heilmittel die Krankheit verschlimmert, so ist es besser, es nicht anzuwenden.
5. Die Religion muss mit Wissenschaft und Vernunft übereinstimmen.
Die Religion muß mit der Wissenschaft übereinstimmen und der Vernunft entsprechen, so daß die Wissenschaft die Religion, die Religion die Wissenschaft stützt. Diese beiden müssen unauflöslich miteinander verbunden sein.
6. Mann und Frau haben gleiche Rechte.
Dies ist eine besondere Lehre Bahá’u’lláhs, denn die früheren Religionen stellen die Männer über die Frauen. Töchter und Söhne müssen gleichwertige Erziehung und Bildung genießen. Dies wird viel zum Fortschritt und zur Einigung der Menschheit beitragen.
7. Vorurteile jeglicher Art müssen abgelegt werden.
Alle Propheten Gottes kamen, um die Menschen zu einigen, nicht um sie zu trennen. Sie kamen, um das Gesetz der Liebe zu verwirklichen, nicht um Feindschaft unter sie zu bringen. Daher müssen alle Vorurteile rassischer, völkischer, politischer oder religiöser Art abgelegt werden. Wir müssen zur Ursache der Einigung der ganzen Menschheit werden.
8. Der Weltfriede muss verwirklicht werden.
Alle Menschen und Nationen sollen sich bemühen, Frieden unter sich zu schließen. Sie sollen darnach streben, daß der universale Friede zwischen allen Regierungen, Religionen, Rassen und zwischen den Bewohnern der ganzen Welt verwirklicht wird. Die Errichtung des Weltfriedens ist heutzutage die wichtigste Angelegenheit. Die Verwirklichung dieses Prinzips ist eine schreiende Notwendigkeit unserer Zeit.
9. Beide Geschlechter sollen die beste geistige und sittliche Bildung und Erziehung geniessen.
Alle Menschen müssen erzogen und belehrt werden. Eine Forderung der Religion ist, daß jedermann erzogen werde und daß er die Möglichkeit habe, Wissen und Kenntnisse zu erwerben. Die Erziehung jedes Kindes ist unerläßliche Pflicht. Für Elternlose und Unbemittelte hat die Gemeinde zu sorgen.
10. Die soziale Frage muss gelöst werden.
Keiner der früheren Religionsstifter hat die soziale Frage in so umfassender, vergeistigter Weise gelöst wie Bahá’u’lláh. Er hat Anordnungen getroffen, welche die Wohlfahrt und das Glück der ganzen Menschheit sichern. Wenn sich der Reiche eines schönen, sorglosen Lebens erfreut, so hat auch der Arme ein Anrecht auf ein trautes Heim und ein sorgenfreies Dasein. Solange die bisherigen Verhältnisse dauern, wird kein wahrhaft glücklicher Zustand für den Menschen erreicht werden. Vor Gott sind alle Menschen gleich berechtigt, vor Ihm gibt es kein Ansehen der Person; alle stehen im Schutze seiner Gerechtigkeit.
11. Es muss eine Einheitssprache und Einheitsschrift eingeführt werden.
Bahá’u’lláh befahl die Einführung einer Welteinheitssprache. Es muß aus allen Ländern ein Ausschuß zusammentreten, der zur Erleichterung des internationalen Verkehrs entweder eine schon bestehende Sprache zur Weltsprache erklären oder eine neue Sprache als Weltsprache schaffen soll; diese Sprache muß in allen Schulen und Hochschulen der Welt gelehrt werden, damit dann niemand mehr nötig hat, außer dieser Sprache und seiner Muttersprache eine weitere zu erlernen.
12. Es muss ein Weltschiedsgerichtshof eingesetzt werden.
Nach dem Gebot Gottes soll durch das ernstliche Bestreben aller Menschen ein Weltschiedsgerichtshof geschaffen werden, der die Streitigkeiten aller Nationen schlichten soll und dessen Entscheidung sich jedermann unterzuordnen hat.
Vor mehr als 50 Jahren befahl Bahá’u’lláh der Menschheit, den Weltfrieden aufzurichten und rief alle Nationen zum „internationalen Ausgleich“, damit alle Grenzfragen sowie die Fragen nationaler Ehre, nationalen Eigentums und aller internationalen Lebensinteressen durch ein schiedsrichterliches „Haus der Gerechtigkeit" entschieden werden können.
Bahá’u’lláh verkündigte diese Prinzipien allen Herrschern der Welt. Sie sind der Geist und das Licht dieses Zeitalters. Von ihrer Verwirklichung hängt das Wohlergehen für unsere Zeit und das der gesamten Menschheit ab.
SONNE DER WAHRHEIT Organ der deutschen Bahá’i Verantwortliche Schriftleitung: Alice Schwarz-Solivo, Stuttgart, Alexanderstraße 3 Preis vierteljährlich 1.80 Goldmark, im Ausland 2.– Goldmark |
Heft 9 | Stuttgart, im November 1932 Qúdrat — Stärke 89 |
12. Jahrgang |
Motto: Einheit der Menschheit — Universaler Friede — Universale Religion
Inhalt: Das Leben nach dem Tode. — Zum 12. Nov. 1817, dem Tag der Geburt von Bahá’u’lláh. — Weiße Rosen von Persien. — Die inneren Zusammenhänge in der Natur und die Stellung des Menschen darin. — Göttliche Lebenskunst.
Zum Todestag von ‘Abdu’l-Bahá, 28. November 1921
- „Wie wird uns sein, wenn durch die Himmelsräume
- wir Hand in Hand mit Seligen uns ergeh'n,
- am Strom des Lebens, wo die Lebensbäume
- frisch, wie am dritten Schöpfungstage weh'n !“
Das Leben nach dem Tode.[Bearbeiten]
II. Teil. (Fortsetzung).
Zusammengestellt von den Bahá’i in Müritz (Mecklenburg)
Die Entfaltung der Seele.
„...Der Geist ist unveränderlich, unzerstörbar. Der Fortschritt und die Entwickelung der Seele, ihre Freuden und Sorgen sind unabhängig von dem physischen Körper...
Wenn der Körper eine Veränderung durchmacht, dann ist es nicht nötig, daß der Geist dadurch berührt wird. Wenn ihr ein Glas zerbrechet, auf welches die Sonne scheint, so ist wohl das Glas zerbrochen, aber die Sonne scheint deshalb immer noch. Wenn ein Käfig, in dem sich ein Vogel befindet, zerstört wird, so bleibt der Vogel dennoch unversehrt. Wenn eine Lampe zerbrochen ist, kann die Flamme doch noch hell brennen.
Dieser Vergleich kann auch auf den Geist des Menschen angewendet werden. Obgleich der Tod seinen Körper zerstört, so hat er über seinen Geist doch keine Macht. Dieser ist ewig. Er ist ohne Geburt und ohne Tod.
Was nun die Seele des Menschen nach dem Tode betrifft, so verbleibt diese in dem Grade der Reinheit, die sie zu Lebzeiten im physischen Körper entwickelt hat, und nachdem sie vom Körper befreit ist, wird sie von dem Ozean der Barmherzigkeit Gottes überflutet. Von dem Augenblick an, da die Seele den Körper verläßt und in der himmlischen Welt ankommt, ist ihre Entwickelung geistig, und diese Entwickelung ist „die Annäherung zu Gott“.
In der physischen Schöpfung geht die Entwickelung von einer Stufe der Vollkommenheit zur anderen vor sich. Das Mineral geht in seiner mineralischen Vollkommenheit in die Pflanzenwelt über. Die Pflanze geht in ihrer Vollkommenheit in die Tierwelt und diese auf die Menschheit über. Diese Welt ist voll von scheinbaren Widersprüchen. In jedem dieser Reiche (im Mineralreich, im Pflanzenreich und im Tierreich) existiert das Leben auf seiner eigenen Stufe. Obgleich die Erde, mit dem Leben des Menschen verglichen, scheinbar tot ist, so lebt sie dennoch ebenfalls. Sie hat ihr eigenes Leben. In dieser Welt leben und sterben die Dinge, und sie leben in anderen Formen wieder auf, aber in der Welt des Geistes ist es ganz anders.
Die Seele entwickelt sich nicht gesetzmäßig von Stufe zu Stufe. Durch Gottes Barmherzigkeit und Mildtätigkeit entwickelt sie sich näher zu Gott hin.
Es ist mein ernstes Gebet, daß wir alle in dem Königreich Gottes vereint und Gott nahe sein möchten!“
(Aus „Ansprachen ‘Abdu’l-Bahás in Paris“, Seite 66-68.)
Die Fürbitte der Heiligen und Propheten.
„...Die durch Vermittlung des Propheten vollkommen erlösten Seelen, die auserwählten Gläubigen mit der verliehenen und erworbenen Vollkommenheit haben ihren Eigenwillen in den Willen Gottes versenkt und sind für den unmittelbaren Eintritt in das ewige Reich Gottes reif geworden. Die Menschen aber, die im Sinnlichen leben und vergehen, lassen sich vom Logos nicht zu einer höheren Geistigkeit emporheben. Sie lassen sich vom höheren Licht, von der Geistessonne, nur unvollkommen erleuchten. Sie mögen sich ihrer Unvollkommenheit mehr oder weniger klar bewußt sein. Sie wollen und können sich aber aus der vergänglichen Welt der Sinne und ihrer Begierden nicht völlig losreißen und werden ihre Läuterung noch im Jenseits abschließen müssen. „In meines Vaters Hause sind viele Wohnungen“, sagt Christus. Ja wahrlich, auch für die Schwachen, Unvermögenden und Irrenden ist im Reich Gottes gesorgt. Nicht auf irdischen Planeten spielt sich die Weiterentwickelung und Läuterung der unvollkommen ausgereiften Seelen ab, sondern in den ungezählten geistigen Welten Gottes. Auch nicht in eigener Anstrengung und ermüdender Buße, sondern im schöpferischen Licht, in der verklärenden Barmherzigkeit und der läuternden Gnade Gottes, des Ewigen, Allmächtigen und Allgütigen. Die Fürbitte aller Heiligen und Propheten helfen dem Strebenden aus seiner irdischen Mangelhaftigkeit und begleiten und fördern seine himmlische Läuterung und ewige Vollendung...”
(Aus „'Abdu'l-Bahá über die Weltschöpfung“. „Sonne der Wahrheit“, März 1921, S.10.)
Die Nähe Gottes.
„. . . Es ist sicher, daß die göttliche Allgegenwart eine unbeschränkte ist, sei es in dieser oder in der anderen Welt. Es ist ein Nahesein, welches über alle Fassungskraft der Vernunft erhaben ist. Der Mensch wird um so mehr die Nähe des Lichtes der Sonne der Wahrheit erreichen, je mehr er danach sucht. Die göttliche Nähe hängt von unserer Reinheit und Vollkommenheit ab. Die Entfernung ist die Folge unserer Beschränktheit, Trägheit und Unvollkommenheit...“
(Aus „Antwort 'Abdu'l-Bahás auf verschiedene Fragen“, „Sonne der Wahrheit", Mai 1921, Seite 46/47.)
Die Sonne der Seele
„Du fragst über die Menschen — die Propheten und die Heiligen ausgenommen —, ob diese nach ihrem scheinbaren Tod erhalten bleiben oder verlöschen, und wenn wir sagen, sie bleiben bestehen, ob dann die Empfindung und Wahrnehmung eines zum Beispiel Geisteskranken oder von einer anderen Art von Krankheit Heimgesuchten beendet ist. Wenn nun der Tod die Auflösung der materiellen Zusammensetzung und der Elemente bedeutet, wie kann man nach dem Tode die Art der Persönlichkeit, ihr Empfinden verstehen, begreifen oder sich ausdenken, nachdem die materielle Zusammensetzung aufgelöst ist?
Wisse, daß der Geist unvergänglich und auf seiner Stufe ist, und bei diesen kranken Menschen das Unvermögen die hindernde Ursache bildet. Es kann aber eine körperliche Schwäche niemals den Geist berühren. Wenn du zum Beispiel eine brennende Lampe betrachtest, so siehst du ihr Licht leuchten. Wenn aber ein Gegenstand vor die Lampe gestellt ist, wird das (direkte) Licht abgehalten, aber in seinem Umkreise ist es hell. Durch die Ursache der Abhaltung ist die Flamme gehindert, als solche hell zu erscheinen. Das gleiche ist mit dem Menschen der Fall. Wenn er sich in einem Krankheitszustande befindet, so ist der Ausdruck der Kraft und Macht des Geistes einer Hinderungsursache zufolge gehemmt und verhüllt. Wenn aber der Geist den Körper verlassen hat, geht dieser mit solcher Macht und Überlegenheit aus ihm hervor, daß alle herkömmlichen Vergleiche hierfür unzulänglich sind. — Die auserlesenen, reinen und heiligen Geister werden sich in ihrer Vollkraft und Glückseligkeit befinden.
Wenn beispielsweise eine angezündete Kerze in eine eiserne Blendlaterne gestellt wird, so ist ihr Licht nicht sichtbar. Sie brennt aber dennoch. Schaue nach der Sonne, wenn sie von Wolken bedeckt ist, so strahlt und leuchtet sie dennoch in ihrer Weise, aber der Wolken wegen erscheint ihre Leuchtkraft geschwächt. Nehme nun an, daß der menschliche Geist dieser Sonne gleicht und alles andere der Körper ist, der durch dieses Licht und seine Strahlen hell und erleuchtet wird. Dem ist so, wenn kein Anstoß der Verhinderung vorhanden ist, um das Licht zu verhüllen. Dem Blick erscheint die Sonne matt hinter dem Schleier, wenn sich Wolken vor ihr bilden, obgleich Helle auf der Landschaft liegt. Ziehen aber die Wolken vorüber, wird die Sonne (in ihrer vollen Pracht) wieder sichtbar. In beiden Fällen ist die Sonne sich gleich geblieben. Dem zu vergleichen, ist die „Sonne der Seele“, die immer als der „Geist“ erwähnt und benannt werden wird.
Und wiederum schaue dir die Zartheit des Fruchtknotens an, den der Baum ansetzt, bevor er sich entwickelt. In diesem Fruchtansatz ruht der Baum in einem so zarten Zustand selbst, daß er nicht erkannt werden kann. Wenn der Baum zersägt wird, so ist nicht das kleinste Atom der Frucht noch ihre Form zu finden. Entwickelt sich aber der Fruchtknoten am Baum, so erscheint die Frucht im wundervollen, herrlichen und bunten Kleide in üppiger Pracht, wie es bei allen fruchttragenden Bäumen zu sehen ist.
Manche Früchte reifen erst, nachdem sie vom Baum genommen sind. Nun sind etliche Beispiele angeführt, damit du die Beantwortung deiner Frage verstehen mögest. Ziehe diese in Vergleich zu dem, was du von Gott, deinem Herrn, dem Herrn aller Geschöpfe, erbeten hast. Gott — erhaben ist Sein Name — vermag alles unbegrenzte Wissen in einem der erwähnten Beispiele den Menschen zu offenbaren und zu erklären.
Die Hand der Macht tut sich auf, um jedes Beispiel aufzustellen, und für ein jedes Wort
ist die schützende Hand erhoben, und niemand kann es wissen, „außer dem, dem Gott
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es verleiht“. Und wenn das Siegel, das das Nardengefäß verschließt, durch die Hand
der Macht zerbrochen wird, dann können die Düfte daraus entströmen. Der Befehl ruht
in der mächtigen Hand Gottes. Er verleiht und nimmt zurück. Er schlägt mit Blindheit,
und Er vermag sehend zu machen. Er tut, was Er will und befiehlt, wie Er wünscht.“
(„Sonne der Wahrheit“, August 1929, Seite 85/86.)
Die Existenz der vernünftigen Seele nach dem Tode des Körpers
Frage: „In welchem Zustande lebt die vernünftige Seele, nachdem dieser Körper abgelegt ist und der Geist seine Freiheit erlangt hat, unter der Annahme, daß die Seelen, die durch die Gaben des Heiligen Geistes unterstützt werden, zur wahren Existenz und zum ewigen Leben gelangen. Was wird aber aus den anderen Seelen, d. h. aus den verhüllten Seelen?“
Antwort 'Abdu'l-Bahás: „Manche Menschen glauben, der Körper sei der unabhängige, der wesentliche Bestandteil, der Geist dagegen sei unwesentlich und vom Körper abhängig. Aber das Gegenteil ist der Fall. Die vernünftige Seele ist der wesentliche Bestandteil, und der Körper ist von ihr abhängig. Wenn das Unwesentliche, d. h. der Körper, sich auflöst, so besteht der Geist weiter.
Die vernünftige Seele oder der menschliche Geist kommt nicht herab, um in den Körper einzutreten, denn sowohl Herabkommen als Eintreten sind Merkmale des Körpers, die für die Seele nicht in Frage kommen. Der Geist tritt niemals in den Körper ein und verläßt ihn auch nicht. Er hat keinen Wohnort nötig. Nein, der Geist ist mit dem Körper verbunden, wie dieses Licht hier mit diesem Spiegel verbunden ist. Wenn der Spiegel rein und gut ist, dann wird das Licht der Lampe in ihm sichtbar. Wenn aber der Spiegel mit Staub bedeckt ist oder zerbricht, dann widerstrahlt er kein Licht.
Die vernünftige Seele oder der menschliche Geist ist weder in diesen Körper eingetreten, noch verdankt er ihm sein Dasein. Wie sollte daher die Seele nach der Auflösung des Körpers einen Stoff nötig haben, durch den sie weiterbestehen könnte? Im Gegenteil, die Seele ist das Wesen, durch das der Körper seine Existenz erlangt. Die Persönlichkeit der vernünftigen Seele ist von Anfang an vorhanden, sie ist nicht von dem Werkzeug — genannt Körper — abhängig. Aber dem Zustand und der Individualität der vernünftigen Seele ist in dieser Welt Gelegenheit geboten, sich zu entfalten. Sie wird entweder Fortschritte machen und die Stufe der Vollkommenheit erreichen, oder sie wird in den tiefsten Tiefen der Unwissenheit verbleiben, wo selbst ihr die Zeichen Gottes verhüllt sind.“
Frage: „Wodurch kann der Geist des Menschen, d. h. die vernünftige Seele, nachdem sie diese sterbliche Welt verlassen hat, Fortschritte machen?“
Antwort ’Abdu’l-Bahás: „In der göttlichen Welt ist der Fortschritt des menschlichen Geistes allein von den Gaben und der Gnade des Herrn abhängig oder aber von der Vermittelung und den aufrichtigen Gebeten anderer menschlicher Seelen und ebenso von Wohltaten und wertvollen guten Werken, die im Namen der betreffenden Seele verrichtet werden.“
Frage: „In welchem Zustande befinden sich Kinder, die in frühem Alter sterben oder tot geboren werden?“
Antwort ’Abdu’l-Bahás: „Diese Kinder stehen unter dem Schatten der Gunst Gottes, da sie keine Sünde begangen haben und nicht von den Unreinheiten der Welt befleckt sind, sind sie Mittelpunkte der Offenbarung göttlicher Mildtätigkeit. Das Auge des Barmherzigen ruht auf ihnen.“
(Aus „Beantwortete Fragen“, Seite 302/305.)
Die Welten Gottes
Diejenigen, denen Weisheit mangelt, glauben, die Welten Gottes seien auf das materielle Universum beschränkt. Sie leugnen das Bestehen der geistigen Reiche. Diese frohen Botschaften drangen noch nicht zu ihren Ohren. Sie haben die Düfte der anderen Welten noch nicht genossen.
Den Zustand des Menschen in dieser Welt können wir mit dem Zustand des Kindes im
Mutterleib vergleichen. Dieses Kind kennt noch keine andere Welt als die des
Mutterleibes. Es kann sich noch keine größere und
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bessere Welt vorstellen. Wenn ihm jemand sagen könnte: „Es gibt eine irdische Welt
mit einer reinen Atmosphäre, einer ungeheuren Oberfläche, herrlichen Meeren, Flüssen,
Gärten, Obstanlagen und Palästen, einen sich froh und weit ausdehnenden Himmel
mit leuchtenden Sternen. Warum bleibst du in dieser düsteren und unangenehmen Welt,
in der deine Nahrung aus dem Blut deiner Mutter besteht? Verlasse diese Welt und
komme in die andere!“ So würde das Kind, das sich diese Dinge nicht vorstellen könnte,
vielleicht antworten: „Es kann keine bessere Welt geben als diese. Ich kann mir keine
angenehmere und geräumigere denken, auch kann ich mir keine bessere Nahrung vorstellen
als die, welche ich jetzt habe. Dies ist die einzige Welt.“
Wenn aber das Kind von seiner begrenzten Welt in die ihm geschilderte Welt kommt, so sieht es in der Tat, daß diese Welt im Vergleich mit der vorigen ein Paradies ist. Es sieht ein, daß es sich im Mutterleib diese Welt noch nicht vorstellen konnte.
Es mag vorkommen, daß ein Kind im Mutterleib unvollkommen ist, daß ihm Augen, Ohren, Glieder fehlen. Trotzdem wird es sich seiner Blindheit, seiner Taubheit oder seiner sonstigen Mängel nicht bewußt. Es kann weder seine Vollkommenheit noch seine Unvollkommenheit beurteilen. Wenn es jedoch in diese Welt kommt, so wird ihm sowohl seine Vollkommenheit als auch seine Unvollkommenheit offenbar. Wenn es blind ist, wird es als blind erkannt, wenn es taub ist, als taub, und so ist es mit all seinen anderen Unvollkommenheiten. Wenn es geboren ist mit dem Gesichts- und Gehörsinn, sowie mit den anderen Segnungen einer vollkommenen Entwicklung, so zeigt sich die Vollkommenheit dieser Organe und ihrer Fähigkeiten. Diejenigen, welche sich der Segnungen der Vollkommenheit erfreuen, erkennen ihre Segnungen. Diejenigen, welche unvollkommen sind, werden sich ihrer Unvollkommenheit bewußt, wenn sie aus der Welt des Mutterleibes in diese Welt kommen. Zuvor erkannten sie dieselbe nicht.
So ist es auch in bezug auf die anderen Welten. Solange wir in dieser materiellen Welt leben, können sich die, welche Gott kennen, die Segnungen, die Er für sie vorgesehen hat, nicht ausdenken, noch können sich diejenigen, die Ihn nicht kennen, die Fehlerhaftigkeit ihres Zustandes vorstellen. Wenn sie aber diese Welt verlassen, um in die geistigen Reiche einzugehen, werden denen, die zu Gott gelangen, die ihnen von Ihm verliehenen Gaben offenbar, während denen, welche in der Finsternis wandeln, deren Gesicht Gott gegenüber verhüllt ist, und die durch die Anhänglichkeit an diese Welt gebunden sind, ihre Unvollkommenheit ebenso offenbar wird.
Solange der Mensch im Mutterleib ist, hat er auch Augen und Ohren, aber dieser begrenzte Zustand gibt ihm keine Gelegenheit, diese Organe zu gebrauchen. Wenn er jedoch in die weite und freie Welt kommt, kann er seine Fähigkeiten anwenden und werden die ihm von Gott verliehenen Segnungen sichtbar. Während der Mensch im Mutterleib ist, mangeln ihm diese Fähigkeiten. Er kennt sie nicht. Wenn er aber in diese Welt kommt, fühlt er ihre Notwendigkeit, und dann wird er erst gewahr, wenn ihm eine dieser Fähigkeiten abgeht.
Wenn die materielle Welt das einzige Reich der Existenz wäre, dann wäre das Leben fruchtlos und das Universum ohne Zweck: die zahllosen Wesen hätten vergeblich gelebt.
Von allen Wesen ist der Mensch das höchste, und doch ist des Menschen Leben von seiner Geburt bis zu seinem Ende Schmerz. Bald ist er krank, bald mit Sorgen erfüllt, bald ist sein Freund davon betroffen, bald stirbt eines seiner Lieben, bald erleidet er einen Verlust, jetzt wird ihm sein Haus zerstört, jetzt scheitert sein Schiff, jetzt gerät er in Armut, jetzt hat er einen Streit, jetzt sieht er andere leiden.
Diese Welt ist eine Welt der Leiden. Wenn es keine andere Welt gäbe, so wäre das Leiden das einzige Ergebnis — die einzige Frucht der Existenz. Wäre dies der Fall, so könnte es nichts Sinnloseres geben als das Universum.
Wie wir erst in dieser Welt die Früchte des Zustandes genießen, den wir im Mutterleib hatten, so gelangen wir erst in den geistigen Reichen in den Genuß des Zustandes, in dem wir uns in diesem Leben befanden.
(Aus „'Abdu'l-Bahá-Abbas’ Leben und Lehren“, Seite 192—195.) (Fortsetzung folgt)
Zum 12. Nov. 1817, dem Tag der Geburt von Bahá’u’lláh[Bearbeiten]
„Der Mensch ist Mein Geheimnis
Und Ich bin sein Geheimnis.“
Bahá’u’lláh.
- Geheimnis Gottes —
- Fest der Seele
- Im Innersten
- Geoffenbart.
- Trotz Hohn
- Und Spottes
- Ihm erwähle
- Dem Sein-Erinnern
- Sonderart —
- Dem Fest der Einheit
- Ohnegleichen
- Dem Tempel
- Deiner Seele du,
- Ein ewig Denkmal
- In den Reichen
- Der Herrlichkeit
- Des Geist's
- Im Nu.
Karl Goll.
Weiße Rosen von Persien[Bearbeiten]
Von Martha L. Root. Übersetzt von den Bahá’i in Gehlsdorf-Rostock
Persien, insbesondere Teheran, hat so viele gläubige Bahá’i-Familien, daß man sagen
möchte: „O Persien, der berückende Duft, der dein Land durchzieht, stammt nicht allein
von deinen Rosen. Der Wohlgeruch, der sich durch das Wesen deiner Gläubigen ausbreitet,
ist ein Duft, der seinesgleichen in anderen Ländern nicht hat.“ Ob es wohl einen
bedeutsameren Ausdruck der Ergebenheit zu ‘Abdu’l-Bahá und der großen Bahá’i-Sache
gibt, als uns das Beispiel von Ali Muhammed Vargha und seines kleinen Sohnes
Ruhu’llah Vargha von Persien zeigt, weiß ich nicht. Als ich in Teheran war, suchte ich
verschiedentlich Azizollah Vargha und seinen jüngeren Bruder Valiollah Vargha, Söhne
von Ali Muhammed Vargha, auf, und benutzte dabei die Gelegenheit, sie nach Vater
und Bruder zu befragen. Der hier folgende Bericht ist durchaus wahrheitsgetreu. Der
Leser wird daraus entnehmen, wie Gott Seelen vorbereitet, um in der Welt zu wirken.
Ali Muhammed Vargha war ein eifriger Bahá’i in Täbriz (Persien) zu der Zeit, als Bahá’u’lláh Gefangener in Akka in Palästina von 1868 bis zu Seinem Hinscheiden im Jahre 1892 war. Bahá’u’lláh wurde verbannt und eingekerkert, weil Seine Lehren, die jetzt von verschiedenen Herrschern, vielen Staatsmännern und Millionen anderen Menschen erforscht werden, gleich denjenigen anderer Weltlehrer Seiner Zeit weit voraus waren. Ali Muhammed Vargha hatte einen Sohn von zwei Jahren namens Azizollah, als ihm im April ein weiterer kleiner Sohn geschenkt wurde. Dieses Kind erhielt den Namen Ruhu’llah, was „der Geist von Gott“ bedeutet.
Es herrschte große Freude, als Bahá’u’lláh den Eltern von Akka aus ein Tablet (Sendschreiben) für dieses neugeborene Kind sandte, mit dem diese bedeutungsvolle Erzählung anhebt. Bahá’u’lláh schrieb:
„O Vargha! Es liegt dir ob, in die beiden Ohren dieses Kleinen dreimal zu singen: ‚Wahrlich, du bist durch den Befehl Gottes in die Welt gekommen! Du bist erschienen, um von Ihm zu zeugen, du bist erschaffen worden, Ihm zu dienen, der der Treue, der Geliebte ist!‘
Wir erwähnten dies, bevor seine Mutter Uns anrief, und jetzt wiederholen Wir diese Worte nochmals. Wir sind der Großmütige und der Geber!“
(Seine Mutter hatte keine Bittschrift an Bahá’u’lláh gesandt, aber es mag sein, daß sie, als das Kind zur Welt kam, Bahá’u’lláh laut anrief.)
Als Ruhu’llah noch ein kleines Kind war, sandte Bahá’u’lláh ein zweites Tablet. Es lautete:
„Er ist der Hörende und der Sehende!
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Gesegnet bist du, denn du hast die Erhabenheit und Größe Gottes bezeugt, obgleich du noch ein Kind bist. Gesegnet ist die Mutter, die dich nährte und sich aufgemacht hat, dich, ihr Kind, zu pflegen, das sie geboren! Wir bitten Gott, für dich durch Seine Größte Feder das, was Seiner Freigebigkeit, Seiner Güte und Gunst entspricht, niederzuschreiben. Wahrlich, Er ist der Großmütige, der Freigebige! Gelobt sei Gott, der Herr der Welten!“
Ein anderes Tablet von Bahá’u’lláh an Ruhu’llah lautete:
„O Ruhu’llah! Wahrlich, der Größte Geist hat sich zu dir aus dem Gefängnis gewandt und erwähnt dich in solch einem Grade, daß der Wohlgeruch hiervon ebenso lange wie Mein Königreich anhalten und wie Meine Erhabenheit andauern wird! Ruhu’llah, wenn du (die Erwähnung) findest und dann sie in dir aufnimmst, so sage: ‚Lob sei Dir, o Ozean der Güte! Dank sei Dir, daß Du mich veranlaßt hast, daß ich ins Leben trat und in meinen frühesten Tagen Deine Erwähnung und Dein Lob anstimmen darf. Wahrlich, Du bist der Vergebende und der Mitleidige!“
Später kam ein dritter kleiner Sohn zur Welt, zum Segen der Familie; er wurde Valiollah genannt.
Wie war nun Ali Muhammed Vargha als Bahá’i-Vater? möget ihr wohl fragen; wie erzog er seine Söhne auf geistigem Gebiet? Jedermann, der diesen Bericht liest, wird in dem Leben dieses Persers das höchste Ideal von Vaterschaft erkennen; eine Stufe, die nicht in jeder Familie erreicht wird, und auch zu hoch, um von vielen Vätern verstanden zu werden. Er selbst war Bahá’i-Lehrer.
Das Bildnis des Báb ist der Welt heute nur deshalb erhalten, weil Ali Muhammed Vargha einen bedeutenden Maler vom Bahá’i-Glauben überzeugte. Die Geschichte der Familie Yazdi, die sich in Ägypten in ihrem Bahá’i-Dienst so ausgezeichnet hat, ist eine weitere Folge davon, neben den vielen Seelen, denen er die Lehre in Persien zuerst übermittelte. Er ging nicht außer Land, es sei denn, daß er nach Palästina reiste, seine Schüler aber haben im Osten und in Europa mit Ruhm der heiligen Sache gedient.
Da er ein kluger junger Vater war und erkannte, worin die vornehmste Erziehung in Wirklichkeit besteht, nahm er seine beiden kleinen Söhne, Azizollah und Ruhu’llah (der kleine Valiollah war zu jener Zeit noch ein Säugling) mit auf eine Pilgerreise zu Bahá’u’lláh nach Akka. Andere Eltern könnten diesem Vorbild nachfolgen und heute ihre Kinder zu einer Pilgerreise mitnehmen, um mit Shoghi Effendi, dem Hüter der Bahá’i-Sache, in Haifa-Palästina zusammenzutreffen. Wenn Kinder die höchsten Ideale vor Augen sehen, während sie noch jung sind, können diese Ideale zu ihrem erstrebenswertesten Vorbild ihres ganzen Lebens werden. Hier sei erwähnt, wie ein kleiner Knabe sich zu einem Lehrer, einem Dichter, einem großen Philosophen, zu einem Welthelden entwickelte, bevor er kaum die Schwelle des zwölften Lebensjahres überschritten. Zugleich mögen die Erzieher in diesem Knaben die erstaunliche Macht, die von den Lehren Bahá’u’lláhs ausgeht, erkennen!
Es gab manche unvergeßliche Erlebnisse bei jenem historischen Besuch bei Bahá’u’lláh, aber ich will hier nur einige herausgreifen. Azizollah Vargha erzählte, daß, als der Großvater mütterlicherseits, der Vater und die beiden Knaben in Akka ankamen, sie sich sogleich in das Zimmer des Sekretärs von Bahá’u’lláh begaben. Es war mit einer Matte ausgestattet, und sie setzten sich darauf nieder, denn es war ihnen gesagt worden, daß Bahá’u’lláh in diesen Raum kommen würde, um mit ihnen zu reden. Am unteren Ende des Zimmers führten Stufen zu einem höher gelegenen Raum, und der Vater wies Azizollah an, an diesen Stufen zu warten, um das Nahen der Gesegneten Schönheit zu hören und sie unverzüglich davon zu verständigen. Das Kind gehorchte, aber als es Bahá’u’lláh auf den obersten Stufen sah, ging es die Treppe hinauf und kniete zu den Füßen seines Herrn nieder. Er schrie laut auf und war aufs tiefste erschüttert. Bahá’u’lláh blieb stehen und streichelte es, und sie kamen die Treppe zusammen herab; der kleine Knabe dicht hinter Bahá’u’lláh. Es war eine erhebende Begegnung, doch als das Zusammensein beendet war, sagte der Vater zu seinem kleinen Sohn: „Warum tatest du nicht, wie ich dir gesagt hatte? Warum liefst du nicht zurück und benachrichtigtest uns?“ Azizollah erwiderte:
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„Ich weiß es nicht. Ich weiß nicht, wie ich jene Stufen hinaufgekommen bin. Ich war
mir nicht bewußt, daß ich die Treppen hinaufging.“ Wir wissen, wie bewegt Professor
Edward G. Browne von der Universität in Cambridge-England war, als er das erstemal
mit Bahá’u’lláh zusammentraf, aber hier ist berichtet, was diese Begegnung für einen
Eindruck auf das Gemüt eines sehr jungen persischen Knaben machte.
Am nächsten Tage waren sie alle — der Großvater, der Vater und die beiden kleinen Söhne — eingeladen, Bahá’u’lláh in Seinem eigenen Gemache aufzusuchen. Als der Besuch beendet war, wurden die beiden Knaben in das Zimmer von Bahá’u’lláhs Tochter, Baháiyyih Khanum gerufen, die in der Bahá’i-Welt als „das Größte Heilige Blatt“ bekannt ist. Sie war damals vielleicht fünfundvierzig Jahre alt. Sie sagte zu ihren kleinen Gästen: „Was macht ihr in Persien?" und Ruhu’llah erwiderte: „Wir lehren die Bahá’i-Sache in Persien.“ „Was sagt ihr, wenn ihr mit den Menschen sprecht?“ fragte sie, und Ruhu’llah antwortete: „Ich sage ihnen, daß Gott auf dieser Erde wieder erschienen ist.“ Das Größte Heilige Blatt lächelte und sagte: „Wenn du davon sprichst, mußt du dies nicht so offen heraus sagen.“ Das Kind erwiderte: „Ich sage es nicht zu jedermann. Ich weiß immer, zu wem ich dies sagen darf.“ „Woran erkennst du die Menschen, zu denen du so sprechen kannst?“ fuhr sie fort, und der Junge antwortete: „Ich erkenne die Menschen an ihren Augen. Wenn ich ihre Augen sehe, weiß ich Bescheid.“ Scherzend sagte Bahá’u’lláhs erwählte Tochter: „Ruhu’llah, sieh in meine Augen und sage, ob du mit mir so sprechen könntest!“ Unbefangen forschte das Kind in ihren Augen und sagte: „Nein, ich kann mit dir nicht darüber sprechen, da du alles weißt.“
Zwei junge Menschen, die in demselben weitläufigen Raum saßen und mit Niederschriften beschäftigt waren, begannen über die Unterhaltung zu lachen, und das Größte Heilige Blatt sagte: „Blicke in die Augen jener beiden und sieh, ob du zu ihnen sprechen und sie überzeugen könntest.“ Das Kind sah lange und aufmerksam nach ihnen hin und antwortete: „Dies ist sehr schwierig, und es hat keinen Zweck, zu versuchen, sie zu überzeugen.“ (Diese beiden jungen Menschen waren Ziaullah und Badiullah, die sich später gegen die heilige Sache wandten.) Als diese Unterhaltung Bahá’u’lláh berichtet wurde, sagte Er: „Ruhu’allah ist ein Bahá’iLehrer.“
(Fortsetzung folgt)
Die inneren Zusammenhänge in der Natur und die Stellung des Menschen darin[Bearbeiten]
Zusammengestellt von Annel Großmann, Weinheim
‘Abdu’l-Bahá:
Die Natur ist diejenige Gegebenheit, diejenige Wirklichkeit, die als Leben und Tod oder, anders ausgedrückt, als Zusammensetzung und Auflösung aller Dinge in Erscheinung tritt. (1.)
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Die Ursache aller Erscheinungen ist die Liebe, und deren Abwesenheit die Ursache der Auflösung und des Nicht-Seins. Wenn wir das Weltall betrachten, so erkennen wir, daß alle zusammengesetzten Wesen oder Erscheinungen letzten Endes aus einfachen Elementen bestehen, die durch eine anziehende Kraft zusammengehalten werden. Durch diese Anziehungskraft tritt der Zusammenschluß zwischen den Atomen der einzelnen Elemente in die Erscheinung. (2.)
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In der materiellen Schöpfung verdanken alle Dinge ihr gegenwärtiges Leben der
Verbindung. Die Elemente, aus denen das Holz, die Mineralien oder die Steine zusammengesetzt
sind, werden durch das Gesetz der Anziehung zusammengehalten. Würde dieses
Gesetz auch nur einen Augenblick zu wirken aufhören, so würden diese Elemente nicht
mehr zusammengehalten werden, sie würden auseinanderfallen und der Gegenstand als
Ganzes zu bestehen aufhören. Das Prinzip
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der Anziehung hat gewisse Elemente in Form dieser schönen Blume zusammengebracht,
wenn aber das Gesetz der Anziehung aus dem Mittelpunkt dieser Blume zurückgezogen
würde, so würde sie zerfallen und aufhören, Blume zu sein. So ist es auch mit dem
großen Körper der Menschheit. Das Gesetz der Anziehung, Harmonie und Einigkeit hält
diese wunderbare Shöpfung zusammen. Wie es mit dem Ganzen ist, so ist es auch mit den
Teilen. Dies gilt von der Blume wie vom menschlichen Körper: wenn das Prinzip der
Anziehung von ihnen zurückgezogen wird, stirbt sowohl die Blume als auch der Mensch.
Es ist daher klar, daß Anziehung, Harmonie, Einigkeit und Liebe die Ursachen des Lebens
sind, während Abstoßung, Uneinigkeit, Haß und Trennung den Tod bringen. (3.)
Liebe ist das höchste Gesetz in diesem weiten Weltall Gottes, Liebe ist das eine Gesetz, das die Ordnung unter den bestehenden Atomen hervorruft und erhält, Liebe ist die allgemeine anziehende Kraft zwischen den Planeten und Gestirnen, die im hohen Himmelsraume leuchten.*) (4.)
*) ‘Abdu’l-Bahá verwendet hier also das Wort „Liebe“ im Sinne der allgemein in der Natur bestehenden Anziehung. Dies entspricht auch durchaus seiner Bedeutung im üblichen, auf den Menschen bezogenen Sinne. Damit gibt ‘Abdu’l-Bahá diesem sonst mehr gefühlsmäßig angewandten Begriff eine allgemeingültige naturwissenschaftliche Bedeutung.
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Die Natur ist einem absoluten (d. i. unbedingten, unumschränkten) inneren Zusammenhang, festliegenden Gesetzen, einer allumfassenden Ordnung und einem abgeschlossenen Plan unterworfen, wovon sie nie abweichen wird. Sie ist dies in der Tat in solchem Maße, daß wir bei sorgfältigem geistigem Schauen alles in der Welt des Seins vom kleinsten, unsichtbaren Atom bis zu so großen Körpern wie dem Sonnenball oder den anderen großen Sternen und leuchtenden Gestirnen — sei es in bezug auf Anordnung, Aufbau, Gestalt oder Bewegung — als im höchsten Maße organisiert und unter einem absoluten Gesetz stehend erkennen, von dem es niemals abgehen wird. (1.)
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Dieses unendliche Weltall ist gleich dem menschlichen Körper, dessen sämtliche
Glieder miteinander aufs stärkste verbunden sind. Wie sehr sind die Organe, Glieder und
Körperteile vermischt und zu gegenseitiger Hilfe verbunden und wie sehr beeinflussen
sie sich gegenseitig! In gleicher Weise sind die Glieder und Elemente des großen Weltalls
miteinander verbunden und beeinflussen sich gegenseitig geistig und materiell. So
sieht das Auge, es beeinflußt den ganzen Körper, das Ohr hört und alle Glieder des
Körpers geraten in Bewegung. Dies steht für uns fest, und das Weltall ist gleich einem
lebenden Menschen. Die Verbindung, die zwischen den Gliedern der Wesen besteht,
muß notwendigerweise auch eine Wirkung oder einen Eindruck hervorrufen, sei es nun
materiell oder geistig. Für diejenigen, die den geistigen Einfluß durch materielle Dinge
leugnen, sei nur kurz das folgende Beispiel angeführt: die wundervollen Klänge und
Töne, Melodien und entzückenden Stimmen sind Erscheinungen, die die Luft erregen — denn
Klang ist der Ausdruck für Luftschwingungen —, und durch diese Luftschwingungen werden
die Nerven des Trommelfells im Ohr beeinflußt, und man hört sie. Bedenkt
nun, daß die Luftschwingungen, die bedeutungslose Erscheinungen sind, den menschlichen
Geist anziehen und verwirren können und einen beträchtlichen Einfluß auf ihn
haben: sie machen ihn weinen oder lachen und üben unter Umständen einen solchen
Einfluß auf ihn aus, daß er in Gefahr kommt. Erkennt daraus die Beziehung, die
zwischen dem menschlichen Geist und den atmosphärischen Schwingungen besteht, so
daß die Bewegung der Luft als Ursache ihn von einem Zustand in den andern versetzt
und ihn gänzlich überwältigt, ihm Ruhe und Geduld nimmt. Bedenkt, wie seltsam dies
ist; geht doch nichts vom Sänger aus, was in das Ohr des Zuhörenden eintritt, und doch
übt es einen beträchtlichen geistigen Einfluß aus. Die Wesen, ob groß oder klein, hängen
durch die vollkommene Weisheit Gottes untereinander zusammen, Wenn dem nicht
so wäre, würde im universalen System und in der allgemeinen Ordnung allen Seins
Unordnung und Unvollkommenheit herrschen. Da aber die Wesen mit größter Kraft
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miteinander verbunden sind, so befindet sich jedes geordnet und vollkommen
an seinem Platz. (5.)
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Aber wenn wir die Natur selbst anschauen, finden wir, daß sie keine bewußte Vernunft, keinen eigenen Willen besitzt. So ist es z. B. die Natur des Feuers, zu brennen: es brennt ohne Willen oder bewußte Vernunft; die Natur des Wassers ist es, zu fließen, und es fließt gleichfalls ohne eigenen Willen oder bewußte Vernunft; die Natur der Sonne ist, zu scheinen: sie scheint ohne Willen oder bewußte Vernunft; die Natur des Dampfes ist, aufzusteigen: er steigt ohne Willen oder bewußte Vernunft auf. So zeigt sich deutlich, daß die natürlichen Regungen aller Dinge zwangsläufig erfolgen, der Mensch dagegen ist befähigt, von der Natur abzuweichen und ihr zu widerstehen, weil er die Beschaffenheit der Dinge erkennt, und dadurch befiehlt er den Kräften der Natur. Alle Erfindungen, die er gemacht hat, sind dieser Entdeckung der Beschaffenheit der Dinge zuzuschreiben. (1.)
Die große Sonne, die unzähligen Sterne, die Meere und Seen, die Berge, Flüsse, die Bäume und alle Tiere, groß und klein, können sich dem Naturgesetz nicht entziehen. Der Mensch allein hat Freiheit und mittels seines Verstandes hat er versucht, die Kontrolle über einige dieser Naturgesetze zu gewinnen und sie seinen Bedürfnissen dienstbar zu machen. Durch seine Verstandeskraft hat er die Mittel herausgefunden, durch die er nicht nur weite Landstriche im Expreßzug durchreisen und große Meere in Schiffen durchkreuzen kann, sondern sogar wie ein Fisch in Unterseebooten unter dem Wasser schwimmen und, den Vogel nachahmend, in Luftfahrzeugen durch die Luft fliegen kann. Es ist dem Menschen geglückt, die Elektrizität auf verschiedene Art und Weise zu verwenden, für Beleuchtungs- und Kraftzwecke, um Nachrichten von einem Ende der Erde zum andern zu senden und sogar eine Stimme auf viele Meilen Entfernung zu hören. Durch die Gabe des Verstandes ist der Mensch auch befähigt worden, die Strahlen der Sonne zu verwenden, um Menschen und Gegenstände zu photographieren und selbst die Gestalt weit entfernter Himmelskörper festzuhalten. Wir sehen, in wie vielfacher Weise der Mensch die Kräfte der Natur seinem Willen hat untertan machen können. (6.)
Literaturnachweis:
- 1) Beantwortete Fragen, Kap. 1.
- 2) Divine Art of Living, S. 97.
- 3) Ansprachen in Paris, Kap. 42.
- 4) Divine Art of Living, S. 102.
- 5) Beantwortete Fragen, Kap. 69.
- 6) Ansprachen in Paris, Kap. 11.
Göttliche Lebenskunst[Bearbeiten]
Aus den Schriften von ‘Abdu’l-Bahá (Fortsetzung)
Zusammengestellt von Mary M. Rabb (Neuyork, Brentanos Publishers)
Übersetzt von Johanna von Werthern-Stuttgart
Lob und Preis sei Gott, daß Bahá’u’lláh einen Tisch vor uns ausgebreitet hat, auf dem jede Art von Nahrung zu finden ist. Da ist die Speise des Glaubens und der Sicherheit, die Nahrung der göttlichen Tugenden, das Brot der Liebe Gottes, das Fleisch der frohen Botschaften vom Königreiche Abhá (der höchsten Schönheit), die Lebensmittel der Trennung (von den vergänglichen Dingen), die Speisen von Entzündung und Hingezogensein (zum Göttlichen), die Nahrung von Heiligung und Heiligkeit, das Gericht der Verbundenheit mit den Wohlgerüchen vom Wesen Gottes, die Nahrung vom Atem des heiligen Geistes, die Speise ewigen Lebens und die Nahrung vom Lehren der Sache Gottes und der Verbreitung der Religion Gottes. Kurz, es finden sich auf diesem Tisch alle Arten von geistiger Nahrung, welche das wirkliche Mahl des Herrn bilden.
Ein materieller Mensch läßt sich quälen und beunruhigen durch Kleinigkeiten, aber
ein geistiger Mensch ist immer, unter allen Umständen, gelassen und ruhig.
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Wenn ein Mensch im Dienste am Königreich bestätigt wird, so haben seine weltlichen Angelegenheiten nur untergeordnete Bedeutung. Die größte Gabe, die eine Seele in dieser Welt erlangen kann, ist es, das Leben, alle Kräfte, alle Güter, den Leib, Herz und Geist auf dem Pfade des Dienstes der Gesegneten Vollkommenheit einzusetzen und am Lebensabend den Kelch des Märtyrertums zu trinken. Dies ist wahrlich die gesegnetste Stufe, der erhabenste Gipfel der Vervollkommnung!
Gibt es eine größere und marternde Reue in der Welt, als seine körperlichen Kräfte auf dem schlimmen Wege der Gier, sündiger Leidenschaften, zügelloser Wünsche und den Leichtfertigkeiten der Zeit vergeudet zu haben! Ich erkläre es bei Gott! Und wie kläglich, den letzten Hoffnungsschimmer in solchem Leben ersterben zu sehen! Denn wenn der letzte Vorhang fällt über solch einem verfehlten Leben, so findet der Mensch mit größter Gewissensreue seine Nerven zugrunde gerichtet, seine Hilfsquellen versiegt, sein Vermögen zerstört, seine Hoffnungen unerfüllt, seine Möglichkeiten verpaßt, seine Träume unverwirklicht, seine Energien verschwendet und das Licht seines Geistes erloschen! Was waren die Resultate seiner Taten? Was die Endsumme seiner Gedanken? Was die Ernte aus der Saat wilden Hafers? Wo ist der Mensch mit dem Streben seiner Jugend? In welchen Haufen von Schmutz und Wasser warf er die strahlenden Edelsteine seiner Ideale? Was tat er mit seiner von Gott gegebenen Intelligenz? Er hat in der Tat ein unfruchtbares Leben gelebt und sich an die Einflüsterungen seiner Leidenschaften und die Befriedung von selbstischen Neigungen gehalten. Sein Leben kam zu einem tragischen Ende, erfüllt von Bedauern und Reue! Wahrlich, dies ist ein klarer, schneidender Verlust!
Aber, auf der andern Seite, wie ruhmreich ist das Leben eines Menschen, wenn er gegen die letzten Tage seiner irdischen Existenz mit tiefer Freude sagen kann, daß er, gelobt sei Gott, durch den Beistand des Allmächtigen, glücklich gewesen ist und all seine Güter, sein Leben, seinen Geist, seinen Körper und all seine Fähigkeiten im Pfade der Liebe Gottes hingegeben hat, und dabei alle Arten von Verfolgungen, Schmähungen und Leiden mit der Ruhe der bewußten Sicherheit hingenommen hat und standhaft und fest in der Sache Gottes gewesen ist bis zu seinem letzten Atemzug...
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Als wir in Bagdad lebten, kam einer der angesehensten Männer von Persien dorthin. Er sprach bei Bahá’u’lláh vor, und da er oft zu kommen pflegte, schloß ich mich ihm an. Schließlich liebte ich ihn sehr und da er kein Bahai war, sprach ich mit ihm über die Sache. Ich sagte ihm folgendes:
„Mein Freund, das Ziel dieses Lebens ist nicht die Erlangung von Reichtum, Ehre und Ruhm, nicht die Entfaltung der tierischen Eigenschaften wie essen, schlafen und weltlichen Vergnügungen nachzugehen. Solches zweck- und geschmackloses Streben schickt sich nicht für den Menschen, welcher mit göttlichem Glanz und leuchtender Sehnsucht begabt wurde. Das Ziel dieses Lebens ist die Erlangung des Geistes, die Offenbarung der Gottesfurcht, die Erlangung der Kenntnis Gottes, das Erreichen der Liebe zu Gott, die Erwerbung des Wohlgefallens des Herrn der Menschheit. Wenn ein Mensch sich mit diesen Gott-ähnlichen Eigenschaften kennzeichnet, so wird er von allen Fesseln dieser sterblichen Welt frei werden, das Licht Gottes wird in seinem Herzen scheinen, er wird die Stimme der himmlischen Engel hören, er wird umgeben sein von den Bestätigungen des heiligen Geistes, er wird ein strahlender Mittelpunkt der vollkommenen Namen und Eigenschaften des Gnadenvollen werden und ein Licht, durch das die Dunkelheit der Welt der Menschheit zerstreut wird.“
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Wenn ein Mensch durstig ist, trinkt er Wasser. Wenn er hungrig ist, nimmt er Speise zu sich. Aber wenn ein Mensch nicht durstig ist, so freut er sich nicht über Wasser, und wenn sein Hunger gestillt ist, so widersteht ihm die Speise.
Dies ist nicht so mit geistigen Freuden. Geistige Genüsse bringen immer Freude. Die
Liebe Gottes bringt endloses Glück. Dies sind Freuden, die durch sich selbst bestehen
und nicht nur Erleichterungen. Das Leben der Tiere ist einfacher als das der Menschen.
Für alles, was die Tiere bedürfen, ist ihnen
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vorgesorgt. Alle Gräser der Wiesen sind ihnen bestimmt. Die Vögel bauen ihre Nester
in den Ästen der Bäume und die Paläste der Könige sind nicht so schön. Wenn irdische
Bedürfnisse alles wären, so wären die Tiere besser versorgt als die Menschen. Aber
die Menschen haben eine andere Speise, das himmlische Manna der Kenntnis Gottes. Alle
die göttlichen Propheten und alle Offenbarungen erschienen in der Welt, damit dieses
himmlische Manna den Menschen gegeben werden möge. Dies ist die Speise, welche
geistiges Wachstum und Stärke bewirkt, und reine Erleuchtung der Seelen der Menschen
bringt. Sie werden erfüllt von dem Atem des heiligen Geistes. Sie wachsen in der
Kenntnis Gottes und in jenen Tugenden, welche zur wahren Menschlichkeit gehören.
Sie kommen dem Bild und Gleichnis Gotte nahe.
Welche Freude könnte größer sein als diese? Wenn sie um Gottes Gunst an der göttlichen Schwelle flehen, so wird ihr Geist frei, sie gehen ein in geistige Freuden und machen Entdeckungen. Dadurch erfreuen sie sich an Verzückungen des Geistes und sehen die Welt erleuchtet. Sie sind ganz auf die Güte Gottes gestimmt und sehen sie von Angesicht zu Angesicht, und erlangen in sich die Tugenden der Offenbarer. Dies ist es, was der Mensch erreichen soll, nach der höchsten Hoffnung der Heiligen.
Wenn der Mensch nicht diese Erleuchtung und diese Gaben erreichen könnte, wäre das Mineralreich besser als er, denn dieses ist in keiner Weise fehlerhaft. Wenn der Mensch der Erleuchtung Gottes ermangelt, so fühlt er seinerseits Mangel und Unzulänglichkeit.
Gott legt den heiligen Geist in uns, — den menschlichen Geist mit seinen Verstandesfähigkeiten, welche über den Fähigkeiten der Natur stehen. Durch diese genießt er die Verzückungen des Geistes und sieht die Welt erleuchtet. Der Baum und der Stein haben nicht diese Fähigkeit; sie haben keinen Verstand und keine Seele; darum haben sie keine Verpflichtung. Wir aber haben Verpflichtungen. Diese Macht gibt dem Menschen wirkliche Kontrolle über die Natur. Sie befähigt ihn, Gesetze zu entdecken und Unsichtbares in den Bereich des Sichtbaren zu bringen. Ebenso ist er durch sie befähigt, dem Willen Gottes Gehorsam zu leisten und das Materielle nach ihm zu gestalten. Dies ist es, was Bahá’u’lláh meint, wenn Er sagt: „Wahrlich, wir haben dich reich erschaffen, warum machst du dich selbst arm?“ Und Jesus Christus, wenn Er sagte: „Der Vater ist in mir und ich bin in euch.“ Es war durch diese Macht, daß Bahá’u’lláh sagte: „Edel habe ich euch erschaffen, warum erniedrigt ihr euch selbst?“ Durch diese Macht seid ihr von allen anderen Geschöpfen unterschieden, warum wendet ihr sie nur in euren materiellen Angelegenheiten an? Diese Macht ist es, welche zur Erlangung und zur Offenbarung der Gaben Gottes gebraucht werden sollte, damit ihr das Königreich Gottes unter den Menschen errichten und Glück in beiden Welten, der sichtbaren und der unsichtbaren, erreichen möget.
Auf die Frage: „Wie kann ein Mensch, der Gott nicht kennt, es als Strafe empfinden, ohne diese Kenntnis zu sein?“ antwortete 'Abdu'l-Bahá:
„Kein Mensch kann glücklich sein ohne Gott, wenn er auch nicht wissen mag, weshalb er sich elend fühlt.“
Die Seele des Menschen sollte glücklich sein, gleichgültig, wo er sich befindet. Man muß zu einem solchen Zustand von innerer Glückseligkeit und innerem Frieden gelangen, daß äußere Umstände die geistige Gemütsruhe und Freudigkeit nicht zu verändern vermögen. Niemand kann sich einen schlimmeren Ort vorstellen als die Baracken von Akka. Das Klima war schlecht, das Wasser war nicht besser. Die Umgebung war verschmutzt und unsauber, die Behandlung durch die Beamten unerträglich, und wir galten als Feinde der Religion und Verderber der Moral.
(Fortsetzung folgt)
In der Sonne der Wahrheit finden nur solche Manuskripte Veröffentlichung, bezüglich deren Weiterverbreitung keine Vorbehalte gemacht werden. — Anfragen, schriftliche Beiträge und alle die Schriftleitung betreffenden Zuschriften beliebe man an die Schriftleitung: Stuttgart, Alexanderstr. 3 zu senden. — Bestellungen von Abonnements, Büchern und Broschüren sowie Geldsendungen sind an das Bahá’i-Bureau Stuttgart, Alexanderstr. 3, Nebengebäude, zu richten.
Geschichte und Bedeutung der Bahá’i-Lehre[Bearbeiten]
Die Bahá’i-Bewegung tritt vor allem ein für die „Universale Religion" und den „Universalen Frieden“ — die Hoffnung aller Zeitalter. Sie zeigt den Weg und die Mittel, die zur Einigung der Menschheit unter dem hohen Banner der Liebe, Wahrheit, Gerechtigkeit und Barmherzigkeit führen. Sie ist göttlich ihrem Ursprung nach, menschlich in ihrer Darstellung, praktisch für jede Lebenslage. In Glaubenssachen gilt bei ihr nichts als die Wahrheit, in den Handlungen nichts als das Gute, in ihren Beziehungen zu den Menschen nichts als liebevoller Dienst.
Zur Aufklärung für diejenigen, die noch wenig oder nichts von der Bahá’i-Bewegung wissen, führen wir hier Folgendes an: „Die Bahá’i-Religion ging aus dem Babismus hervor. Sie ist die Religion der Nachfolger Bahá’u’lláhs. Mirza Hussein Ali Nuri (welches sein eigentlicher Name war) wurde im Jahre 1817 in Teheran (Persien) geboren. Vom Jahr 1844 an war er einer der angesehensten Anhänger des Bab und widmete sich der Verbreitung seiner Lehren in Persien. Nach dem Märtyrertod des Bab wurde er mit den Hauptanhängern desselben von der türkischen Regierung nach Bagdad und später nach Konstantinopel und Adrianopel verbannt. In Bagdad verkündete er seine göttliche Sendung (als „Der, den Gott offenbaren werde") und erklärte, daß er der sei, den der Bab in seinen Schriften als die „Große Manifestation", die in den letzten Tagen kommen werde, angekündigt und verheißen hatte. In seinen Briefen an die Regenten der bedeutendsten Staaten Europas forderte er diese auf, sie möchten ihm bei der Hochhaltung der Religion und bei der Einführung des universalen Friedens beistehen. Nach dem öffentlichen Hervortreten Bahá’u’lláhs wurden seine Anhänger, die ihn als den Verheißenen anerkannten, Bahá’i (Kinder des Lichts) genannt. Im Jahr 1868 wurde Bahá’u’lláh vom Sultan der Türkei nach Akka in Syrien verbannt, wo er den größten Teil seiner lehrreichen Werke verfaßte und wo er am 28. Mai 1892 starb. Zuvor übertrug er seinem Sohn Abbas Effendi ('Abdu'l-Bahá) die Verbreitung seiner Lehre und bestimmte ihn zum Mittelpunkt und Lehrer für alle Bahá’i der Welt.
Es gibt nicht nur in den mohammedanischen Ländern Bahá’i, sondern auch in allen Ländern Europas, sowie in Amerika, Japan, Indien, China usw. Dies kommt daher, daß Bahá’u’lláh den Babismus, der mehr nationale Bedeutung hatte, in eine universale Religion umwandelte, die als die Erfüllung und Vollendung aller bisherigen Religionen gelten kann. Die Juden erwarten den Messias, die Christen das Wiederkommen Christi, die Mohammedaner den Mahdi, die Buddhisten den fünften Buddha, die Zoroastrier den Schah Bahram, die Hindus die Wiederverkörperung Krischnas und die Atheisten — eine bessere soziale Organisation.
In Bahá’u’lláh sind alle diese Erwartungen erfüllt. Seine Lehre beseitigt alle Eifersucht und Feindseligkeit, die zwischen den verschiedenen Religionen besteht; sie befreit die Religionen von ihren Verfälschungen, die im Lauf der Zeit durch Einführung von Dogmen und Riten entstanden und bringt sie alle durch Wiederherstellung ihrer ursprünglichen Reinheit in Einklang. Das einzige Dogma der Lehre ist der Glaube an den einigen Gott und an seine Manifestationen (Zoroaster, Buddha, Mose, Jesus, Mohammed, Bahá’u’lláh).
Die Hauptschriften Bahá’u’lláhs sind der Kitab el Ighan (Buch der Gewißheit), der Kitab el Akdas (größtes heiliges Buch), der Kitab el Ahd (Buch des Bundes) und zahlreiche Sendschreiben, genannt „Tablets“, die er an die wichtigsten Herrscher oder an Privatpersonen richtete. Rituale haben keinen Platz in dieser Religion; letztere muß vielmehr in allen Handlungen des Lebens zum Ausdruck kommen und in wahrer Gottes- und Nächstenliebe gipfeln. Jedermann muß einen Beruf haben und ihn ausüben. Gute Erziehung der Kinder ist zur Pflicht gemacht und geregelt.
Streitfragen, welche nicht anders beigelegt werden können, sind der Entscheidung des Zivilgesetzes jeden Landes und dem Bait’ul’Adl oder „Haus der Gerechtigkeit“, das durch Bahá’u’lláh eingesetzt wurde, unterworfen. Achtung gegenüber jeder Regierungs- und Staatseinrichtung ist als einem Teil der Achtung, die wir Gott schulden, gefordert. Um die Kriege aus der Welt zu schaffen, ist ein internationaler Schiedsgerichtshof zu errichten. Auch soll neben der Muttersprache eine universale Einheitssprache eingeführt werden. „Ihr seid alle die Blätter eines Baumes und die Tropfen eines Meeres“ sagt Bahá’u’lláh.
Es ist also weniger die Einführung einer neuen Religion, als die Erneuerung und Vereinigung aller Religionen, was heute von 'Abdu'l-Bahá erstrebt wird. (Vgl. Nouveau, Larousse, illustré supplement, Seite 66.)
Verlag des Deutschen Bahá’i-Bundes G.m.b.H., Stuttgart
Fernsprecher Nr. 26168 / Postscheckkonto 25419 Stuttgart / Alexanderstr. 3, Nebengebäude
In unserem Verlag sind erschienen:
Bücher:
Verborgene Worte von Bahá’u’lláh. Worte der Weisheit und Gebete . . . —.80
Bahá’u’lláh, Frohe Botschaften, Worte des Paradieses, Tablet Tarasat, Tablet Taschalliat, Tablet Ischrakat. In Halbleinen gebunden . . . . . 2.00
in feinstem Ganzleinen gebunden . . . . . 2.50
'Abdu'l-Bahá Abbas, Ansprachen in Paris über die Bahá’i-Lehre . . . . . . 2.50
Geschichte und Wahrheitsbeweise der Bahá’i-Religion, von Mirza Abul Fazl. . . . . 2.50
'Abdu'l-Bahá Abbas’ Leben und Lehren, von Myron H. Phelps. In Ganzleinen gebunden . . . . . 3.--
Die Bahá’i-Offenbarung, ein Lehrbuch von Thornton Chase. Kartoniert M. 3.--, in Halbleinen gebunden . . . . 3.50
Bahá’u’lláh und das neue Zeitalter, ein Lehrbuch von Dr. J. E. Esslemont. In Ganzleinen gebunden . . . . . 3.50
Beantwortete Fragen 'Abdu'l-Bahá Abbas', gesammelt von L. Clifford Barney . . . . 3.50
Broschüren:
Einheitsreligion. Ihre Wirkung auf Staat, Erziehung, Sozialpolitik, Frauenrechte und die einzelne Persönlichkeit. Von Dr. jur. H. Dreyfus . . . -.30
Das Hinscheiden 'Abdu'l-Bahás, ("The Passing of 'Abdu'l-Bahá") . . . -.30
Das neue Zeitalter von Ch. M. Remey . . . . —.30
Die soziale Frage und ihre Lösung im Sinne der Bahá’i-Lehre von Dr. Hermann Grossmann, Weinheim (Bergstrasse) . . . . —.20
Die Bahá’i-Bewegung, Geschichte, Lehren und Bedeutung. von Dr. Hermann Grossmann, Weinheim (Bergstrasse) . . . . —.20
Sonne der Wahrheit, in Halbleinen gebunden je . . . . 6.--
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