Sonne der Wahrheit/Jahrgang 12/Heft 10/Text
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SONNE DER WAHRHEIT | ||
ORGAN DER DEUTSCHEN BAHAI | ||
HEFT 10 | 12. JAHRGANG | DEZ. 1932 |
Abdu’l-Bahás Erläuterung der Bahá’i-Prinzipien[Bearbeiten]
1. Die ganze Menschheit muss als Einheit betrachtet werden.
Bahá’u’lláh wandte Sich an die gesamte Menschheit mit den Worten: „Ihr seid alle die Blätter eines Zweigs und die Früchte eines Baumes“. Das heißt: die Menschheit gleicht einem Baum und die Nationen oder Völker gleichen den verschiedenen Aesten und Zweigen; die einzelnen Menschen aber gleichen den Blüten und Früchten dieses Baumes. In dieser Weise stellte Bahá’u’lláh das Prinzip der Einheit der Menschheit dar. Bahá’u’lláh verkündigte die Einheit der ganzen Menschheit, er versenkte sie alle im Meer der göttlichen Gnade.
2. Alle Menschen sollen die Wahrheit selbständig erforschen.
In religiösen Fragen sollte niemand blindlings seinen Eltern und Voreltern folgen. Jeder muß mit eigenen Augen sehen, mit eigenen Ohren hören und die Wahrheit suchen, denn die Religionen sind häufig nichts anderes als Nachahmungen des von den Eltern und Voreltern übernommenen Glaubens.
3. Alle Religionen haben eine gemeinsame Grundlage.
Alle göttlichen Verordnungen beruhen auf ein und derselben Wirklichkeit. Diese Grundlage ist die Wahrheit und bildet eine Einheit, nicht eine Mehrheit. Daher beruhen alle Religionen auf einer einheitlichen Grundlage. Im Laufe der Zeit sind gewisse Formen und Zeremonien der Religion beigefügt worden. Dieses bigotte menschliche Beiwerk ist unwesentlich und nebensächlich und verursacht die Abweichungen und Streitigkeiten unter den Religionen. Wenn wir aber diese äußere Form beiseite legen und die Wirklichkeit suchen, so zeigt sich, daß es nur eine göttliche Religion gibt.
4. Die Religion muss die Ursache der Einigkeit und Eintracht unter den Menschen sein.
Die Religion ist für die Menschheit die größte göttliche Gabe, die Ursache des wahren Lebens und hohen sittlichen Wertes; sie führt den Menschen zum ewigen Leben. Die Religion sollte weder Haß und Feindschaft noch Tyrannei und Ungerechtigkeiten verursachen. Gegenüber einer Religion, die zu Mißhelligkeit und Zwietracht, zu Spaltungen und Streitigkeiten führt, wäre Religionslosigkeit vorzuziehen. Die religiösen Lehren sind für die Seele das, was die Arznei für den Kranken ist. Wenn aber ein Heilmittel die Krankheit verschlimmert, so ist es besser, es nicht anzuwenden.
5. Die Religion muss mit Wissenschaft und Vernunft übereinstimmen.
Die Religion muß mit der Wissenschaft übereinstimmen und der Vernunft entsprechen, so daß die Wissenschaft die Religion, die Religion die Wissenschaft stützt. Diese beiden müssen unauflöslich miteinander verbunden sein.
6. Mann und Frau haben gleiche Rechte.
Dies ist eine besondere Lehre Bahá’u’lláhs, denn die früheren Religionen stellen die Männer über die Frauen. Töchter und Söhne müssen gleichwertige Erziehung und Bildung genießen. Dies wird viel zum Fortschritt und zur Einigung der Menschheit beitragen.
7. Vorurteile jeglicher Art müssen abgelegt werden.
Alle Propheten Gottes kamen, um die Menschen zu einigen, nicht um sie zu trennen. Sie kamen, um das Gesetz der Liebe zu verwirklichen, nicht um Feindschaft unter sie zu bringen. Daher müssen alle Vorurteile rassischer, völkischer, politischer oder religiöser Art abgelegt werden. Wir müssen zur Ursache der Einigung der ganzen Menschheit werden.
8. Der Weltfriede muss verwirklicht werden.
Alle Menschen und Nationen sollen sich bemühen, Frieden unter sich zu schließen. Sie sollen darnach streben, daß der universale Friede zwischen allen Regierungen, Religionen, Rassen und zwischen den Bewohnern der ganzen Welt verwirklicht wird. Die Errichtung des Weltfriedens ist heutzutage die wichtigste Angelegenheit. Die Verwirklichung dieses Prinzips ist eine schreiende Notwendigkeit unserer Zeit.
9. Beide Geschlechter sollen die beste geistige und sittliche Bildung und Erziehung geniessen.
Alle Menschen müssen erzogen und belehrt werden. Eine Forderung der Religion ist, daß jedermann erzogen werde und daß er die Möglichkeit habe, Wissen und Kenntnisse zu erwerben. Die Erziehung jedes Kindes ist unerläßliche Pflicht. Für Elternlose und Unbemittelte hat die Gemeinde zu sorgen.
10. Die soziale Frage muss gelöst werden.
Keiner der früheren Religionsstifter hat die soziale Frage in so umfassender, vergeistigter Weise gelöst wie Bahá’u’lláh. Er hat Anordnungen getroffen, welche die Wohlfahrt und das Glück der ganzen Menschheit sichern. Wenn sich der Reiche eines schönen, sorglosen Lebens erfreut, so hat auch der Arme ein Anrecht auf ein trautes Heim und ein sorgenfreies Dasein. Solange die bisherigen Verhältnisse dauern, wird kein wahrhaft glücklicher Zustand für den Menschen erreicht werden. Vor Gott sind alle Menschen gleich berechtigt, vor Ihm gibt es kein Ansehen der Person; alle stehen im Schutze seiner Gerechtigkeit.
11. Es muss eine Einheitssprache und Einheitsschrift eingeführt werden.
Bahá’u’lláh befahl die Einführung einer Welteinheitssprache. Es muß aus allen Ländern ein Ausschuß zusammentreten, der zur Erleichterung des internationalen Verkehrs entweder eine schon bestehende Sprache zur Weltsprache erklären oder eine neue Sprache als Weltsprache schaffen soll; diese Sprache muß in allen Schulen und Hochschulen der Welt gelehrt werden, damit dann niemand mehr nötig hat, außer dieser Sprache und seiner Muttersprache eine weitere zu erlernen.
12. Es muss ein Weltschiedsgerichtshof eingesetzt werden.
Nach dem Gebot Gottes soll durch das ernstliche Bestreben aller Menschen ein Weltschiedsgerichtshof geschaffen werden, der die Streitigkeiten aller Nationen schlichten soll und dessen Entscheidung sich jedermann unterzuordnen hat.
Vor mehr als 50 Jahren befahl Bahá’u’lláh der Menschheit, den Weltfrieden aufzurichten und rief alle Nationen zum „internationalen Ausgleich“, damit alle Grenzfragen sowie die Fragen nationaler Ehre, nationalen Eigentums und aller internationalen Lebensinteressen durch ein schiedsrichterliches „Haus der Gerechtigkeit" entschieden werden können.
Bahá’u’lláh verkündigte diese Prinzipien allen Herrschern der Welt. Sie sind der Geist und das Licht dieses Zeitalters. Von ihrer Verwirklichung hängt das Wohlergehen für unsere Zeit und das der gesamten Menschheit ab.
SONNE DER WAHRHEIT Organ der deutschen Bahá’i Verantwortliche Schriftleitung: Alice Schwarz-Solivo, Stuttgart, Alexanderstraße 3 Preis vierteljährlich 1.80 Goldmark, im Ausland 2.– Goldmark |
Heft 10 | Stuttgart, im Dezember 1932 Masá’il — Fragen 89 |
12. Jahrgang |
Motto: Einheit der Menschheit — Universaler Friede — Universale Religion
Inhalt: O ihr Geliebten, beschützet die Sache Gottes. — Das Leben nach dem Tode. — Weile Rosen von Persien. — Seine Zeit. — Göttliche Lebenskunst. — Eßlinger Bahá’i-Sommerwoche.
Worte ‘Abdu’l-Bahá’s
Im Heiligtum der Seele liegen Glaubenserfahrungen, die geweihten Erinnerungen an Begegnungen Gottes, des Herrn; die verklärten Erlebnisse mystischer Liebe, sie liegen wie die Perlenmuscheln in der Tiefe. Rühme dich ihrer nicht vor Andern, lasse sie in der Seele ruhen und bringe sie als Lebensfrüchte zu Gott, dem Herrn, in die Ewigkeit hinüber.
Aus den Notizen von Frau Dr. F.
O ihr Geliebten, beschützet die Sache Gottes[Bearbeiten]
(Tablet Seiner Heiligkeit ‘Abdu’l-Bahá’s, geoffenbart in Ridwan 1921. Übersetzt aus dem Originaltext durch Shoghi Rabbani Baliol, Oxford in England. Veröffentlicht in Star of the West, Band XII, Nr. 14.)
An die Geliebten des Herrn, an die wahren Freunde und an die Zeichen des Barmherzigen
im Orient und in der ganzen Welt. Möge die Herrlichkeit Gottes des Höchsten mit
ihnen sein!
- Er ist Gott.
O ihr getreuen Freunde, ihr aufrichtigen Diener Bahá’u’lláhs.
Um Mitternacht, wenn die Menschen die Augen schließen, ihr Haupt zum Schlummer auf ihr Kissen gelegt haben und in tiefen Schlaf versinken, wacht ‘Abdu’l-Bahá am Heiligen Grabe und mit der ganzen Inbrunst seiner Anrufung spricht er folgendes Gebet:
O du gütige, du liebevolle Vorsehung!
Der Orient ist in Bewegung versetzt und der Okzident braust auf, wie die ewigen Wogen des Meeres. Die sanften Brisen der Heiligkeit wehen durch die Lande und aus dem unsichtbaren Reich brechen die Strahlen des Gestirns der Wahrheit leuchtend hervor. Die Melodien der Göttlichen Einheit ertönen und die Fahnen der göttlichen Macht wehen. Die engelreine Stimme ertönt wie das Brüllen des Leviathan mit Ruf nach Selbstlosigkeit und Selbstentsagung. Der Trumpfruf: „O du Herrlichkeit aller Herrlichkeiten“ weckt ein Echo von allen Seiten und der Schrei: „O du Höchster“ setzt sich fort durch alle Regionen.
Kein Anruf, als der an die Herrlichkeit des Einen, Herzbeglückenden ertönt in der Welt und keine Erregung besteht, außer der Brandung der Liebe zu Ihm, dem Unvergleichlichen, dem Vielgeliebten.
Die Geliebten Gottes leuchten mit ihrem muskatduftenden Atem hell wie Lichter in jedem Lande und die Freunde des Barmherzigen sind in allen Regionen, wie sich erschließende Blüten. Sie rasten nicht, sie atmen nur im Gedenken an Dich und flehen nur darum, Dir dienen zu dürfen. Auf den Wiesen der Wahrheit sind sie den Nachtigallen mit ihrem süßen Liede gleich und im Blumengarten der Führung leuchten sie wie farbenprächtige Blumen. Mit geheimnisvollen Blüten schmücken sie die Gartenwege der Wirklichkeit und zieren wie die sich neigenden Zypressen die Uferbänke der Göttlichen Führung. Am Horizont des Seins glitzern sie wie strahlende Sterne und am Firmament der Welt leuchten sie als prachtvolle Gestirne. Sie sind die Offenbarungen der himmlischen Gnade und das Morgenrot des Lichts der Göttlichen Hilfe.
Geruhe Du, o liebender Gott, daß alle fest stehen und standhaft seien und in ewigem Glanz strahlen, daß dadurch die anmutigen Brisen bei jedem Winde sich erheben mögen vom Steuerbord Deiner Liebesfülle.
Vom Ozean Deiner Gnade möge eine Ausstrahlung ausgehen, daß die erquickenden Schauer Deiner Liebe Frische gewähren und der Zephir seine Düfte aus dem Rosengarten der Göttlichen Einheit sende. Bewillige uns, o Du Geliebtester der Welt, einen Strahl von Deinem Glanz und gieße aus über uns das Licht Deines Antlitzes!
O Gott, Du Allmächtiger, schütze uns und sei unser Obdach. O Herr der Geschöpfte, erzeige uns Deine Macht und Deine Herrschaft!
O Du liebevoller Herr!
Die Urheber der Empörung sind in einigen Ländern rege bei Tag und bei Nacht und verursachen schweres Unrecht. Wie Wölfe liegen die Despoten auf der Lauer und die Unrecht erleidende unschuldige Herde ist schutz- und hilflos. Bluthunde sind auf der Fährte der Gazellen, auf den Gefilden Göttlicher Einheit und der Fasane auf den Bergen der himmlischen Führung wird von den Raben der Gegnerschaft verfolgt.
O Du Göttliche Vorsehung!
Behüte und beschütze uns! O Du, der Du unser Schild bist, errette uns und verteidige uns. Halte uns in Deinem Schutze und erlöse uns von allem Übel durch Deine Hilfe. Du bist wahrlich der einzige Beschützer und der unsichtbare Erretter, der himmlische Wächter und der himmlisch liebende Herr!
O ihr Geliebten Gottes!
Einerseits ist die Fahne des Einen lebendigen Gottes entrollt, die Stimme zum Königreich
erschallt und die Gottessache
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verbreitet sich und ist in voller Herrlichkeit geoffenbart als ein Wunder von Oben. Erleuchtet
ist der Orient, durchflutet ist der Okzident, es duftet nach Ambra im Osten und
nach Muskatblüten im Süden. Andererseits wüten die Abtrünnigen in ihrem Haß und
Zorn und stiften kummererregende Aufruhr und Unheil. Es vergeht kein Tag, daß nicht
Männer die Fahne des Aufruhrs wehen lassen und von ihrem Auftraggeber angespornt
in die Arena des Unfriedens reiten. Zu jeder Stunde zeigt die häßliche Otter ihre
Giftzähne und stößt ihr tödliches Gift aus.
Die Geliebten des Herrn sind ganz eingenommen in völliger Aufrichtigkeit und Ergebung und folglich unachtsam dieses tiefen Hasses und dieser Bosheit. Schmeichlerisch und trügerisch sind diese Schlangen, diese Vipern des Übels, geschickt in ihrer Schlauheit und List. Seid auf der Hut und immer wachsam! Rasch im Erkennen und kühn im Intellekt sind die Treuen und beständig und standhaft die Zuversichtlichen! Handelt mit aller Wachsamkeit. „Fürchtet den Scharfsinn des Getreuen, denn er sieht mit Göttlichem Licht!“ (Koran). Hütet euch, damit keine Seele heimlich Verrat begehe oder Streit veranlasse. Seid in der Sache der uneinnehmbaren Festung tapfere Kämpfer und in der Erwähnung Gottes mutige Freunde. Übt die größte Vorsicht und seid Tag und Nacht auf der Hut, daß euch der Wüterich keinen Schaden zufüge. Studiert das Tablet „Der heilige Seemann“, damit ihr die Wahrheit wisset und erkennet, das die Gesegnete Schönheit die kommenden Begebnisse voll vorausgesagt hat. Laßt es dem Erkennenden zur Warnung dienen!
Dem Staube gleich ist 'Abdu'l-Bahá am heiligen Grab bei Tageszeit und zur Nachtstunde in tiefster Ergebenheit und Demut damit beschäftigt, Seine Zeichen zu verbreiten, und wenn er immer Zeit findet, betet er inbrünstig und erleuchtet, indem er sagt: „O Du Göttliche Vorsehung! Elend sind wir — gewähre uns Deinen Beistand; heimatlose Pilger — gib uns Dein Obdach, zerstreut sind wir, führe Du uns zusammen; verirrt sind wir — bringe uns zu der Herde zurück — beraubt sind wir, verleihe Du uns einen Anteil und eine Beteiligung; durstig sind wir — führe uns zu dem Quell des Lebens; gebrechlich sind wir, gib uns Kraft, daß wir uns erheben, um Deine Sache hochzuhalten, und leite Du uns als lebendiges Opfer auf dem Wege der Führungen!“
Die Abtrünnigen jedoch bemühen sich aufs äußerste bei Tag und bei Nacht offen und insgeheim die Grundlagen der heiligen Sache zu erschüttern, den Gesegneten Baum zu entwurzeln, diesen Diener des Dienens zu berauben, im geheimen Aufruhr und Streit anzuzetteln und ‘Abdu’l-Bahá zu vernichten! Nach außen hin erscheinen sie wie Schafe, doch inwendig sind sie reißende Wölfe. Einschmeichelnd mit Worten tragen sie im Herzen jedoch tödliches Gift.
O ihr Geliebten! Behütet die Sache Gottes! Laßt euch nicht durch schöne Worte betören; vielmehr beachtet das Motiv jedes Menschen und denkt über die Gedanken nach, die ihn bewegen. Seid unentwegt achtsam und auf eurer Hut. Meidet sie und greift sie nicht an! Seht ab von aller Verurteilung und vermeidet üble Nachrede! Überlaßt jene der Hand Gottes!
Auf euch sei die Herrlichkeit des Herrlichsten!
(gez.) ‘Abdu’l-Bahá.
Das Leben nach dem Tode.[Bearbeiten]
II. Teil. (Fortsetzung).
Zusammengestellt von den Bahá’i in Müritz (Mecklenburg)
Die Entwicklung des Menschen in der anderen Welt.
„Wisset, daß nichts Bestehendes in einem Zustande der Ruhe verbleibt, d. h. alle Dinge
befinden sich in einem Zustande der Bewegung. Sie sind entweder im Wachstum oder
im Verfall begriffen. Entweder sind sie im Begriff, vom Nichtdasein ins Dasein zu treten
oder von der Existenz in die Nichtexistenz überzugehen. So trat zum Beispiel diese
Hyazinthe von der Welt der Nichtexistenz ins Dasein, und nun ist sie im Begriff, vom
Sein zum Nichtsein überzugehen, Diesen Zustand der Bewegung kennen wir als einen
unbedingt notwendigen, als den natürlichen Zustand. Er kann nicht von den Geschöpfen
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getrennt werden, da er für sie ein unbedingtes Erfordernis ist, wie auch die Glut ein
unbedingtes Erfordernis des Feuers ist. Ohne Zweifel ist also diese Bewegung, die
sich entweder im Wachstum oder im Verfall äußert, für die Existenz notwendig. Da nun
der Geist nach dem Tode weiterlebt, so muß er unbedingt entweder Fortschritte oder
Rückschritte machen. Auch in der anderen Welt ist Stillstand gleichbedeutend mit
Rückgang. Der Geist verläßt aber niemals seine eigene Stufe, innerhalb der er sich beständig
entwickelt. Die Wirklichkeit des Geistes Petri zum Beispiel mag noch so viele Fortschritte
machen, sie wird niemals die Stufe der Wirklichkeit Christi erreichen. Sie macht
nur in ihren eigenen Grenzen Fortschritte. Seht dieses Mineral! Wie weit es sich auch
entwickeln mag, es entwickelt sich immer nur innerhalb seiner eigenen Stufe. Ihr könnt
einen Kristall unmöglich soweit entwickeln, daß er imstande wäre, zu sehen. Ähnlich
verhält es sich auch mit dem Mond am Himmel. Wie weit er sich auch entwickeln mag, eine
leuchtende Sonne wird er niemals werden. Aber innerhalb seiner eigenen Stufe hat er
Zeiten des Abnehmens und Zunehmens. Wie groß die Fortschritte der Jünger auch sein
mögen, wie Christus selbst können sie niemals werden. Die Kohle kann zwar zum
Diamant werden, aber beide befinden sich ja auch auf der Stufe des Minerals, und die
Elemente, aus denen sie zusammengesetzt sind, sind die gleichen.“ ('Abdu'l-Bahá.)
(Aus „Beantwortete Fragen“, S. 295/297.)
Der Fortschritt in der Vervollkommnung nach dem Tode.
»... Die Mission der Propheten ist, die Menschen zu erziehen, damit sich dieses Stückchen Kohle in einen Diamant verwandle und dieser fruchtloser Baum zu einem fruchtbaren veredelt werde, der die süßesten und köstlichsten Früchte trägt. Wenn der Mensch diese edle Stufe im Menschenreich erlangt, dann kann er auch fernerhin in der Vervollkommnung Fortschritte machen, aber nicht über seine Stufe als Mensch hinaus, denn solche Stufen sind begrenzt, aber Gottes Vollkommenheit ist unbegrenzt.
Fortschritt in der Vervollkommnung gibt es sowohl vor als nach der Zeit, in der wir diese materielle Gestalt aufgeben, aber nicht über unsere menschliche Stufe hinaus. Im vollkommenen Menschen sind somit die Geschöpfe vollendet. Es gibt kein anderes Geschöpf, das höher wäre als ein vollkommener Mensch. Wenn aber der Mensch diese Stufe erreicht hat, kann er in der Vervollkommnung immer noch Fortschritte machen, aber nicht über seine Stufe als Mensch hinaus, weil es in der Schöpfung keine höhere Stufe als die eines vollkommenen Menschen gibt, zu der er sich selbst entwickeln kann. Er macht nur Fortschritte in seiner Stufe als Mensch, denn die menschliche Vervollkommnung ist unbegrenzt. So gelehrt ein Mensch auch sein mag, wir können uns immer noch einen gelehrteren Menschen vorstellen.
Da nun die Vervollkommnung des Menschen unbegrenzt ist, so kann der Mensch auch dann noch Fortschritte machen, wenn er diese Welt verlassen hat.“ (‘Abdu’l-Bahá.)
(Aus „Beantwortete Fragen“, S. 300/301.)
Das Beschäftigen mit übersinnlichen Kräften.
„Sich mit übersinnlichen Kräften abzugeben, während man auf dieser Welt weilt, wirkt auf den Zustand der Seele in der nächsten Welt störend. Diese Kräfte sind wirklich, treten aber normalerweise auf dieser Ebene nicht in Erscheinung. Das Kind im Mutterleibe hat seine Augen, Ohren, Hände, Füße usw., aber sie treten nicht in Tätigkeit. Der ganze Zweck des Lebens in der materiellen Welt ist, zur Welt der Wirklichkeit hindurchzudringen, wo diese Kräfte dann in Tätigkeit treten. Sie gehören jener Welt an.“ ('Abdu'l-Bahá.)
(Aus „Bahá’u’lláh und das Neue Zeitalter“, Seite 304.)
(Fortsetzung folgt)
Weiße Rosen von Persien[Bearbeiten]
Von Martha L. Root. Übersetzt von den Bahá’i in Gehlsdorf-Rostock
(Fortsetzung)
Die kleine Gesellschaft blieb mehrere Monate in Akka und in Bahji. Ruhu’llah studierte
jeden Tag persische Schriften, und jeden Freitag pflegte er 'Abdu'l-Bahá eine
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Abschrift von seinen Arbeiten zu zeigen, der sie oftmals lobte. Ruhu’llahs Vater war auf
den Unterricht seiner Söhne sehr bedacht und war sehr strenge, wenn sie nicht lernten,
denn er erkannte wohl die Notwendigkeit ihrer Fortbildung.
Azizollah berichtete über ein weiteres Erlebnis während dieses Besuches: er erzählte, daß, wenn Bahá’u’lláh ein Tablet zu offenbaren (diktieren) wünschte, Er jedermann in größter Eile zu entlassen pflegte. Er sagte: „Eines Tages befand ich mich mit der ganzen Familie in Bahá’u’lláhs Gegenwart, als Er nach dem Sekretär rief, daß dieser schnell Tinte und Papier bringen sollte. Im gleichen Augenblick forderte Er uns alle auf, den Raum zu verlassen. Ich war noch ein Kind, aber da ich diese Eile sah, mit der jedermann entlassen wurde, stieg ein großes Verlangen in mir auf, einmal zugegen zu sein, wenn ein Tablet geoffenbart würde. Ich hatte daher ein Familienmitglied gebeten, Bahá’u’lláh zu befragen, ob ich wohl zugegen sein dürfte, wenn ein Tablet geoffenbart werde. Einige Wochen später, als ich mit Kindern im Garten von Bahji spielte, wurde die Tür des Hauses geöffnet, und ein Angehöriger der Familie rief mich und sagte, daß Bahá’u’lláh mich zu sehen wünsche. Ich lief zu Seinem Wohnraum, und als ich eintrat, sah ich, daß Er Tablets offenbarte und Gedichte sang. Als ich damals Sein Zimmer betrat, glaubte ich, daß es wäre wie an anderen Tagen, nur daß Bahá’u’lláh sänge. Ich blieb an der Tür, durch welche ich eingetreten war, stehen, und war nur wenige Augenblicke anwesend, als ich am ganzen Körper zitterte. Ich fühlte, daß meine Füße mich nicht mehr tragen wollten. Seine Heiligkeit Bahá’u’lláh wandte Sich mir zu und sagte: „Gott befohlen“. Als ich den Vorhang lüftete, um wieder hinauszugehen, fiel ich an der Schwelle bewußtlos nieder. Ich wurde in das Zimmer der Gattin Seiner Heiligkeit Bahá’u’lláhs gebracht, woselbst Rosenwasser und kaltes Wasser in mein Gesicht gesprengt wurde, bis ich mich wieder erholte. Die Angehörigen der heiligen Familie fragten mich, was sich zugetragen hätte, und ich erzählte ihnen, daß ich zu Bahá’u’lláh gegangen wäre, um dem Gesang zu lauschen. Als ich dies berichtete, trat die junge Dame, die mich gerufen hatte, ins Zimmer und sagte: „Du selbst hattest mich gebeten, die Erlaubnis zu erhalten, zugegen zu sein. Das war jetzt eine Stunde, in der ein Tablet geoffenbart wurde.“
Nun verstand ich, warum Bahá’u’lláh jedermann in Eile entließ. Es geschah, weil die Menschen die Kraft, die den Raum erfüllte, nicht ertragen konnten.
Azizollah Vargha sagte, daß sein Vater während eines Besuches in Akka ein ähnliches Erlebnis gehabt habe. Seine eigenen Worte waren: „Mein Vater war von jemanden gebeten worden, in einer gewissen Angelegenheit die Hilfe Bahá’u’lláhs zu erflehen und um die Offenbarung eines Tablets zu bitten. Als mein Vater die diesbezügliche Bittschrift überreichte, rief Bahá’u’lláh einen Sekretär herbei, um Tinte und Papier zu bringen, und gleichzeitig sandte Er auch nach Seinem Bruder Mussa-Kalim und einem anderen Verwandten. Er stützte sich mit den Händen auf die Schulter jener beiden und begann auf und ab zu gehen, indem Er das Tablet offenbarte. Mein Vater begann zu zittern und sagte, er könnte nicht erzählen, was sich ereignet hätte. Er hörte Bahá’u’lláhs Stimme wohl, aber er konnte keines Seiner Worte verstehen. Einige Minuten verstrichen, worauf Er alle Anwesenden entließ. Draußen begannen sie über den Hergang zu sprechen und es stellte sich heraus, daß keiner von den Dreien ein Wort verstanden hatte. Sie hatten nur eine gewaltige Kraft empfunden... Es ist von größtem Interesse, über Bahá’u’lláh von denjenigen zu hören, die Ihn sahen und mit Ihm sprachen. Jene sagten, sie hätten Ihm nicht ins Angesicht schauen können; es war so herrlich: die Augen leuchteten so sehr. Es war eine solche Schwingung vorhanden, daß jeder zu zittern begann und sie Seine Worte nicht verstehen konnten. Solch eine überragende Macht empfanden sie.
Eines Abends berief Bahá’u’lláh in Akka Ali Muhamed Vargha allein in Seine Gegenwart und sagte: „Ich wünsche heute abend allein mit dir zu sprechen. Es gibt etwas im Sein, das Wir in den meisten Tablets ‚den erhabensten Äther‘ genannt haben. Wenn jemand mit jenem Äther ausgestattet ist, werden alle seine Taten und Worte sich in der Welt auswirken.“
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Dann erhob Sich Bahá’u’lláh und ging einige Schritte auf und ab und fuhr fort:
„Sogar dieses Gehen der Manifestation ist wirkungsvoll.“ Darauf setzte Er sich wieder
nieder und sagte: „Christus erklärte Seine Mission. Die Juden kreuzigten Ihn, und sie
dachten, was sie getan hätten, wäre eine sehr unbedeutende Angelegenheit; und Christus
wurde begraben. Da Christus aber mit jenem Äther begnadet war, blieb jener Äther nicht
unter der Erde. Er stieg auf und vollbrachte sein erhabenes Werk in der Welt.“
Dann wandte sich Bahá’u’lláh zu Ali Muhammed Vargha und sagte: "Blicke auf 'Abdu'l-Bahá, den Meister! Welche wunderbare Wirkung haben Seine Taten und Worte in der Welt! Sieh, wie freundlich und geduldig Er jede Schwierigkeit erträgt!“ Der Bahá’i, Ali Muhammed Vargha fühlte, daß Bahá’u’lláh ihm die Stufe von ‘Abdu’l-Bahá damit erklärte, daß Er der Nachfolger sein würde, von dem als der Größte Zweig gesprochen ist. Ali Muhammed Vargha bat darum, ein Märtyrer auf dem Pfade von 'Abdu'l-Bahá zu werden. Die Gesegnete Schönheit Bahá’u’lláh nahm sein Opfer an und versprach dem Pilger, daß er sein Leben im Dienste von ‘Abdu’l-Bahá hingeben dürfe.
(Aus „The Bahá’i Magazine“, Juni 1932, Seite 71 bis 74.) (Fortsetzung folgt)
Seine Zeit.[Bearbeiten]
- Von Karl Goll
Im Jahre Neun, der Prüfungszeit,
Der Sonne der Gerechtigkeit,
Da Er, Gott, Vater selbst gekommen
Und Seinen Thronsitz eingenommen,
In Seiner Herrlichkeit und Kraft —
Uns zu befreien aus der Haft;
Da Er den eigenen Sohn gesendet,
Der also spricht zu uns gewendet:
„Wie kann ich ruh’n und glücklich sein,
Wenn sie nicht alle im Verein
Mit einem ein’gen Munde loben,
Den, der zu ihnen kam von Oben;
Mit einem einz’gen Munde essen,
Um nimmermehr Ihn zu vergessen;
Gemeinsam, eines Sinnes handeln,
Ein Herz und Seel zu ihm zu wandeln“ —
Ich leid, allwo ich Not gefunden
Und freu mich nur, wo sie geschwunden —:
Zu segnen bin ich hergekommen,
Ich habe Dienst bei Ihm genommen,
Bis alle Welt versöhnet ist
Zum Lobe unsres Herrn, dem Christ,
Der heut zu uns am Tage Gottes
Nocheinmal kam trotz Hohn und Spottes
Und kündet wahre Menschlichkeit
Ihn Selbst in Seiner Herrlichkeit,
Die heut in Seines Namens Kraft
Die Welt — durchwandelnd neu erschafft.
- Weihnachten 1932
Göttliche Lebenskunst[Bearbeiten]
Aus den Schriften von ‘Abdu’l-Bahá (Fortsetzung)
Zusammengestellt von Mary M. Rabb (Neuyork, Brentanos Publishers)
Übersetzt von Johanna von Werthern-Stuttgart
Die Regierung hatte Befehl gegeben, daß während unserem Aufenthalt in Akka keiner
mit uns spreche, und daß auch wir nicht untereinander sprechen. Nachdem wir
in Akka angekommen waren, stellte sich heraus, daß nicht genügend Räume in den
Baracken vorhanden waren, um uns einzeln einzusperren, darum wurden wir alle
in zwei Räumen untergebracht, die überhaupt kein Möbelstück enthielten. Der Hof
vor den Baracken bot einen sehr düsteren Anblick. Es waren da drei oder vier
Feigenbäume, auf deren Zweigen mehrere Eulen jede Nacht ihr unheilvolles Geschrei erhoben.
Alle wurden krank und wir hatten weder Vorräte noch Medizin. Am Eingang zu den
Baracken lag das Zimmer eines Leichenbestatters. Es war ein schrecklicher Raum, und
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doch lebte ich dort zwei Jahre in größtem Glück. Bis dahin hatte ich nie Zeit gehabt,
den Koran vom Anfang bis zum Ende zu lesen, aber damals hatte ich reichlich Zeit
und so las ich dieses heilige Buch mit Eifer und Begeisterung. Als ich über die Vorfälle
und Ereignisse aus dem Leben von früheren Propheten las, und fand, wie parallel sie
waren mit denen aus Bahá’u’lláhs Leben, war ich getröstet und ermutigt. Ich las zum
Beispiel den folgenden Vers: „Wie gedankenlos sind doch die Menschen! Wenn immer
ein Prophet ihnen gesandt wird, so verlachen oder verfolgen sie ihn.” Und dann las
ich den Vers: „Wahrlich, unsere Heerscharen werden siegreich sein über sie.”
Ich war sehr glücklich während dieser Zeit, denn ich war ein freier Mann. Eingeschlossen in diesem Raum, schweifte mein Geist durch die Unendlichkeit des Weltenraumes. Zur Nacht stieg ich auf das Dach und hielt Zwiesprache mit den zahllosen Sternen. Welch ein göttliches Fest! Welch eine geistige Freiheit! Welch beseligende Wonne! Welch eine überirdische Herrschaft!
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Gott hat dem Menschen ein Herz gegeben und das Herz muß eine Bindung an irgend etwas haben. Wir haben gesehen, daß nichts der Ergebung unseres Herzens würdig ist, außer der Wirklichkeit, denn alles außer ihr ist der Vergänglichkeit geweiht. Darum kommt das Herz nie zur Ruhe und findet nie wahre Freude und wirkliches Glück, ehe es sich mit dem Ewigen verbindet. Wie töricht der Vogel, der sein Nest auf einem Baume baut, der zugrunde gehen kann, während er dies Nest in einem immergrünen Paradiesgarten bauen könnte!
Der Mensch muß sich an die unendliche Wirklichkeit binden, so daß sein Ruhm, seine Freude und sein Fortschritt unendlich sein mögen. Nur der Geist ist wirklich, alles andere ist schattenhaft. Alle Körper werden schließlich in ihre Bestandteile aufgelöst; nur die Wirklichkeit bleibt bestehen. Alle physische Vollkommenheit geht zu Ende; aber die göttlichen Tugenden sind endlos. Wie viele Könige herrschten in Pracht und Verschwendung, und nach kurzer Zeit war alles verschwunden! Ihr Ruhm und ihre Ehre sind vergessen. Wo sind diese Herrscher jetzt? Aber diejenigen, die Diener der göttlichen Schönheit gewesen sind, werden niemals vergessen. Die Frucht ihres Wirkens ist überall sichtbar. Wo ist der König, der vor zweitausend Jahren lebte und dessen Königreich weiterlebt in den Herzen der Menschen? Aber jene Jünger, die Gott ergeben waren, die weder Vermögen noch Ansehen besaßen, sind heute fruchttragende Bäume. Ihr Banner erhob sich höher Tag für Tag.
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Die Welt braucht mehr Glück und Erleuchtung. Der Stern des Glücklichseins ist in jedem Herzen, nur müssen wir die Wolken vertreiben, damit er strahlend zu leuchten vermag. Glück ist ein innerer Zustand. Wenn er einmal errungen ist, wird der Mensch zu den höchsten Höhen der Glückseligkeit aufsteigen. Ein wirklich glücklicher Mensch wird den Wechselfällen des Lebens nicht mehr untertan sein. Wie ein unvergänglicher König wird er auf dem Thron der festgegründeten Wirklichkeit sitzen. Er wird den äußeren, wechselnden Umständen unzugänglich sein und durch seine Taten und Handlungen andere glücklich machen. Ein Bahai muß glücklich sein, denn die Segnungen Gottes sind ihm verliehen.
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Wisse, daß es zwei Arten von Glück gibt -— eine geistige und eine materielle.
Was das materielle Glück betrifft, so existiert es niemals wirklich; nein, vielmehr ist es nichts als Einbildung, nur ein im Spiegel gesehenes Bild, ein Gespenst und Schatten. Betrachte die Art des materiellen Glückes. Es ist etwas, was kaum unsere Betrübnisse mildern kann; und doch bilden die Menschen sich ein, es sei Freude, Entzücken, Frohlocken und Segnung. Alle materiellen Wohltaten, wie Essen, Trinken und so weiter, zielen nur darauf, Hunger und Durst zu stillen und Müdigkeit zu beheben. Sie geben dem Verstand keine Wonne und der Seele keine Freude, nein, sie dienen nur den körperlichen Bedürfnissen. Darum hat diese Art von Glück keine wirkliche Existenz.
Was das geistige Glück betrifft, so ist es die wirkliche Basis, auf der das
Menschenleben beruht, denn das Leben wurde zum Glück erschaffen, nicht zum Leid; zur Freude,
nicht zum Kummer. Glück ist Leben, Leid
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ist Tod. Geistiges Glück ist ewiges Leben. Dies ist ein Licht, welchem keine Dunkelheit
folgt. Dies ist eine Ehre, welcher keine Schande folgt. Dies ist ein Leben, welchem
kein Tod folgt. Dies ist eine Existenz, welcher keine Vernichtung folgt. Dieser große Segen
und diese kostbare Gabe kann vom Menschen nur durch die Führung Gottes erlangt werden.
Geistiges Glück ist Licht, Leid aber ist Dunkelheit.
Dieses Glück ist frohe Botschaft, Leid aber ist Enttäuschung.
Dieses Glück ist das Königreich, Leid aber ist die irdische Welt.
Dieses Glück ist die Hauptgrundlage, aus der der Mensch erschaffen wurde, aus der Welten entstanden, aus der alle Lebewesen ihre Existenz haben und die Welt Gottes erscheint wie die strahlende Mittagssonne.
Dieses Glück ist die Liebe Gottes.
Dieses Glück ist die ewige Macht, deren glänzende Spuren aus den Tempeln der Einheit hervorscheinen.
Wäre es nicht um dieses Glückes willen, die Welt der Existenz wäre nicht erschaffen worden.
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O mein Bruder, wenn ein Suchender sich den Stufen der Forschung zuwenden und den Pfad der Erkenntnis des Königs der Präexistenz beschreiten will, dann muß er zuerst sein Herz läutern und reinigen — denn das Herz ist die Stätte der Erscheinung und Ausstrahlung des Glanzes der verborgenen Mysterien der Göttlichkeit — und er muß seine Brust verfeinern und läutern — denn sie ist der Thron für den Eintritt und die Errichtung der Liebe des ewigen Geliebten — von allem trüben Staub erworbener Gelehrsamkeit und von den Anspielungen satanischer Erscheinungen. Und ebenso muß er sein Herz von der Bindung an Wasser und Schmutz lösen — d. h. von trügerischen Formen und geisterhaften Vorstellungen, in solcher Weise, daß keine Spur von Liebe oder Haß in dem Herzen verbleibe, damit Liebe ihn nicht veranlasse, sich einer Richtung ohne Führung hinzuneigen, oder der Haß ihn verhindere, sich einer anderen Richtung zuzuwenden, gerade wie in diesen Tagen die meisten des unsterblichen Antlitzes und der Schwelle des Sinnes wegen dieser beiden Neigungen beraubt sind und ohne Hirten in der Wüste des Irrtums und der Vergeßlichkeit umherstreifen. Er sollte allezeit Gott vertrauen und sich abwenden von den Geschöpfen; er sollte getrennt und losgelöst sein von der Welt des Staubes und vereint mit dem König der Könige; nicht sich selbst anderen vorziehen, sondern die Tafel seines Herzens von Hochmut und Aufgeblasenheit reinigen; sein Herz mit Geduld und Selbstbeherrschung erfüllen, Schweigen halten und unnötiges Reden vermeiden, denn die Zunge ist oft ein verzehrendes Feuer und Beredsamkeit ein tödliches Gift. Materielles Feuer verzehrt die Materie, aber das Feuer der Zunge verzehrt Seele und Verstand. Die Wirkung des ersteren vergeht nach kurzer Zeit, aber die des letzteren kann hundert Jahre fortbestehen.
Er sollte Verleumdung als schweren Fehler betrachten und nie in diesen Hof eintreten,
denn Verleumdung erstickt das strahlende Licht des Herzens und läßt das Leben der
Seele erstarren. Er sollte sich mit wenigem begnügen und frei sein von Geiz; er sollte
Nutzen ziehen aus dem Zusammensein mit den Losgelösten und sollte die Zurückgezogenheit
von hochmütigen und mondänen Menschen als Gewinn erachten. In der
Morgendämmerung sollte er sich der Gedächtnisfeier widmen und den einen Geliebten aus
ganzer Seele und mit allen Kräften suchen; er sollte Achtlosigkeit mit dem Feuer der
Liebe und Lobpreisung verzehren; und alles außer Gott sollte er mit der Schnelligkeit des
Blitzes übergehen; er sollte den Armen einen Teil geben und den Unglücklichen Wohltaten
nicht verweigern. Er sollte gütig sein gegen Tiere, wie viel mehr gegen die Menschen,
und besonders gegen die Leute des Beyan; er sollte nicht zögern, sein Leben für den
einen Geliebten zu geben und sich nicht von dem einen Wahren abwenden, wenn die
Menschen ihn tadeln. Er sollte für andere nur wünschen, was er für sich selbst wünscht
und nie versprechen, was er nicht halten kann; er sollte sich mit aller Entschiedenheit
fern halten von Übeltätern und um Gottes Vergebung für sie bitten; er sollte den Sündern
verzeihen und sie nicht verachten, denn unbekannt ist das Ende. Manch ein Sünder
hat das tiefste Wesen des Glaubens erfaßt
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und trinkt zur Stunde seines Todes den Wein der Unsterblichkeit und eilt zur höchsten
Schar; während manch ein Gläubiger und Gehorsamer zur Zeit der Loslösung seiner
Seele entfremdet wird und in den Niederungen des Feuers wohnt. Mit einem Wort,
der Pilger und Sucher sollte wissen, daß alles außer Gott sterblich ist und er sollte alles
außer dem einen Angebeteten als nichts betrachten.
Aus all diesen Bedingungen bilden sich die Eigenschaften der Erhabenen und die Natur der Geistigen. Dies wurde schon erwähnt hinsichtlich der Erfordernisse für den Strebenden und des Verhaltens der Pilger auf dem Höhenpfade positiven Wissens. Wenn diese Bedingungen durch einen aufrichtig Suchenden und einen unaufhaltsam Pilgernden erfüllt werden, dann wird die Bezeichnung „Strebender" wahr für ihn. Wird er bestätigt in der Erfüllung des Verses „Diejenigen, welche in uns streben“, so wird er sich bestimmt auch der frohen Botschaften des Verses erfreuen „Wir werden sie auf unseren Weg führen“.
Wenn die Fackel des Suchens, der Trennung, der Sehnsucht, des Eifers, der Liebe, des Entzückens, des Hingezogenseins und der Ergebung in den Herzen entzündet ist und der Atem der Liebe aus der Himmelsrichtung der Einheit weht, dann wird die Dunkelheit des Irrtums, des Zweifels und der Unsicherheit zerstreut und das Licht des Wissens und der Sicherheit wird alle Pfeiler der Existenz umgeben. Dann wird der ideale Herold wie der helle Morgen mit geistigen frohen Botschaften von der göttlichen Stadt herabkommen und Herz, Seele und Geist aus dem Schlaf der Nachlässigkeit mit der Posaune des Wissens erwecken. Dann werden die Gnaden und Bestätigungen des heiligen Geistes solch ein neues Leben verleihen, daß man bei sich selbst ein neues Seh- und Hörvermögen, ein neues Herz und neuen Verstand finden, und alle Aufmerksamkeit auf die klaren, allumfassenden Zeichen und die verborgenen einzelnen (individuellen) Geheimnisse richten wird. (Bahá’u’lláh.)
(Fortsetzung folgt)
Die Eßlinger Bahá’i-Sommerwoche (13.—21. August 1932)[Bearbeiten]
Anfang Juni wurde die Sommer-Schulwoche für Eßlingen angesagt. Der Tagungsplan hatte die Grundgedanken der Bahái-Weltanschauung und die Einführung in die großen Weltreligionen zum Gegenstand.
Am Abend des 13. August 1932 kamen wir zum erstenmal zusammen in dem heimeligen Häuschen der Eßlinger Bahá’i-Freunde. Es war eine Gruppe von Menschen verschiedenen Alters, Geschlechts, Berufs, die aus verschiedenen Gegenden kam. Im trauten, liebevoll geschmückten Tagesraum saßen wir bei Kerzenschein um eine lange Tafel und waren voller Erwartung. Musikfreunde gaben mit dem Mozartschen „Ave verum“ eine feine Einstimmung. Dieses Ringen um Erlösung und das Ja-Sagen zum Leid, das war der Grundakkord, der musikalisch zum Ausdruck brachte, was uns im Innersten bewegte. Uns so ganz loslösen vom Alltag und Einkehr halten und mit lieben Menschen über die brennendsten Fragen sprechen, das war der tiefe Sinn unseres Zusammenseins.
Schon nach dem ersten Abend waren wir in die tiefsten Probleme hineingeführt worden.
Was wir in Vorträgen und Aussprachen hörten, wurde in kleineren Gruppen in
zwangloser Form nochmal in der Freizeit verarbeitet. Zwei bis drei Vorträge,
eingerahmt von Musikstücken, führten uns täglich zusammen. Dazwischen waren Stunden
des Ausruhens. Wir werden wohl alle der Stunden frohen Spieles im Garten gedenken,
der Abende mit den sternenklaren Nächten und der Abendspaziergänge bei herrlichem
Mondschein. Von unserm schön gelegenen Aussichtshäuschen aus sahen wir Eßlingen
im Tal liegen. Ein Gang durch die Stadt unter fachmännischer Führung machte uns
bekannt mit den geologischen, siedlungsgeschichtlichen und historischen Verhältnissen
dieses altertümlichen Neckarstädtchens. Auch Stuttgart mit seinen kilometerlangen
Anlagen lernten wir kennen; vom Bahnhofsturm aus lag ein großes Häusermeer vor uns,
das sich über den ganzen Talkessel bis zu
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den Anhöhen hinauf ausbreitete, immer wieder durchsetzt mit grünen Inseln und
schönen Bauten.
So langsam anfangs die Tage dahingingen, so rasch verflossen sie zuletzt.
Wehmütig saß die Tafelrunde zum Abschied beisammen. Ein Gefühl tiefer Verbundenheit und großer Dankbarkeit für all die Menschen, die in selbstloser, liebevoller Weise ihr ganzes Ich zur Verfügung stellten, erfüllte uns und klang in dem Wunsch aus, daß derartige Veranstaltungen sich recht oft wiederholen möchten.
Und nun zu den Kursen selbst. Die Veranstaltungen zerfielen in der Hauptsache in zwei Kurse. Den Vormittagskurs hielt Dr. Hermann Großmann, Weinheim, den Nachmittagskurs Dr. Adalbert Mühlschlegel, Stuttgart.
Dr. Großmann führte uns in die Weltanschauung der Bahá’i-Lehre ein. Soweit möglich erarbeiteten wir gemeinsam die einzelnen Themen. Zunächst sprachen wir über die menschliche
Erkenntnis.
Unsere menschliche Erkenntnis bezieht sich auf die materielle und auf die geistige Welt. So spricht ‘Abdu’l-Bahá von zweierlei Arten der Erkenntnis: „Die eine Art ist die Erkenntnis der durch die Sinne wahrnehmbaren Dinge, nämlich der Dinge, die man sehen, hören, schmecken, riechen oder fühlen kann und die man sachlich oder wahrnehmbar nennt.“ (Beantwortete Fragen, Kap. 16.) Diese Erkenntnis dringt also zu der durch die Sinne wahrnehmbaren Erscheinungswelt vor. Sie hat als Gegenstand die sichtbare, materielle Welt. „Die andere Art der menschlichen Erkenntnis ist geistig, d. h. sie ist eine Wirklichkeit des Verstandes, sie hat keine äußere Form und ist an keinen Ort gebunden, auch ist sie nicht durch die Sinne wahrnehmbar.“ (Beantwortete Fragen, Kap. 16.) Gegenstand dieser Erkenntnis ist die geistige Welt, die gekennzeichnet ist durch Einheit und raumzeitliche Unbegrenztheit. Die Grenze zwischen materieller und geistiger Welt ist schwer festzulegen. Sie ist fließend, relativ, abhängig von unserer Erkenntnisstufe. Mit zunehmender Erkenntnisfähigkeit wird die Grenze weiter hinausgeschoben.
Das Ziel der menschlichen Erkenntnis ist das Erfassen der Wirklichkeit, und zwar bedeutet Wirklichkeit nicht das für unsere Sinne wahrnehmbare, veränderliche Sein, sondern gerade das Gegenteil. Wirklichkeit ist das hinter der veränderlichen (materiellen) Erscheinungswelt stehende unveränderliche (geistige) Sein.
Die Wirklichkeit selbst können wir nicht erfassen, weder die Wirklichkeit der einzelnen Erscheinungen, noch die Wirklichkeit aller Wirklichkeiten, Gott selbst. Es ist uns nur möglich, aus den Eigenschaften der Erscheinungswelt auf die Wirklichkeit zu schließen.
Als Quellen der menschlichen Erkenntnis kommen in Betracht:
1. Die Sinneswahrnehmungen. Sie vermitteln uns das Bild der Erscheinungswelt. Alles, was das Auge, das Ohr, der Geschmack, der Geruch und das Gefühl wahrnehmen, wird auf diesem Weg verstanden. Gleichwohl ist diese Erkenntnisquelle vielfach durch Täuschungen getrübt. (Beispiel: Die Fata morgana, die Sonne, die sich scheinbar um die Erde dreht.)
2. Die Erkenntnis durch den Verstand mittels der vernünftigen Schlußfolgerung: auch sie ist unvollkommen und Täuschungen unterworfen. Zahllose Theorien zielen vermittels des Verstandes auf die Erkenntnis der Wahrheit ab, gleichwohl widersprechen sie einander. 'Abdu'l-Bahá sagt, daß die physischen Augen nutzlos seien, ohne das Licht des Verstandes, das uns Erkenntnis und Verständnis der Dinge vermittelt. „Das Licht des Verstandes ist das bedeutendste Licht; denn es ist aus dem göttlichen Licht geboren. Es befähigt uns, alles das, was ist, zu verstehen und zu verwirklichen; aber es ist allein das göttliche Licht, das uns den Blick für die unsichtbaren Dinge öffnet und uns befähigt, Wahrheiten zu schauen.“ (Ansprachen in Paris, Kap. 22.)
3. Die dritte Quelle ist die Überlieferung. Sie ist deshalb keine reine Erkenntnisquelle, weil sie selbst auf andere Erkenntnisquellen zurückgeht und überdies gewöhnlich im Laufe der Zeit entstellt worden ist.
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Keine dieser drei Quellen ist frei von Trübung. „So wisset, was in den Händen der
Menschen liegt, was sie glauben, es ist dem Irrtum unterworfen. Wir sehen also, daß die
Beweisführung durch das Zeugnis unserer Sinne... etwas Unvollkommenes ist. Mit
der Beweisführung durch den Verstand verhält es sich ebenso, und die Beweise, die sich
auf Überlieferung stützen, sind gleichfalls unzuverlässig.“
4. Weitere Quellen sind die der Inspiration und der Intuition. Inspiration bedeutet ein affektiv betontes Ergriffensein, das aus dem Herzen kommt, Intuition dagegen ist die Fähigkeit, verwickelte Beziehungen mit einem Schlage richtig zu erfassen. Übersinnliches, das Wesentliche einer Sache, durch Anschauung unmittelbar zu erkennen. — Ein wesentlicher Unterschied zwischen Inspiration und Intuition besteht also in der denkenden Verarbeitung.
5. Die ungetrübteste Erkenntnis erhalten wir durch sorgfältiges Studium der Lehren der Manifestation unter Verarbeitung der übrigen Quellen.
Daraus ergibt sich zugleich die Forderung der Zusammenarbeit von Religion und Wissenschaft. „Was in Übereinstimmung ist mit der Wissenschaft, ist auch in Übereinstimmung mit der Religion. Was die Intelligenz des Menschen nicht verstehen kann, sollte in die Religion nicht aufgenommen werden. Religion und Wissenschaft gehen Hand in Hand, eine Religion, die der Wissenschaft widerspricht, ist nicht die wahre Religion.“ Bahá’u’lláh versöhnt in seiner „Abhandlung über die Weisheit“ (Lauh i hikmat) Wissenschaft und Glauben, indem er den Emanationsgedanken der Philosophen und Gelehrten mit dem Schöpfungsgedanken der Propheten und Religionsstifter verknüpft.
Das zweite Thema, das wir erarbeiteten, hieß
Gott und die Welt.
Als Ziel der menschlichen Erkenntnis bezeichneten wir das Erfassen der Wahrheit, der Wirklichkeit, d. h. des geistigen Seins. Als Wahrheit aller Wahrheiten, als letzte unteilbare Einheit, die selbst alles in sich schließt, haben wir uns Gott zu denken. Er ist die letzte, für uns Menschen nicht mehr faßbare ursachlose Ursache allen Seins.
Alle Vorstellungen, die wir uns von Gott machen, sind nur Einbildungen. Was wir uns einbilden ist aber nicht die Wirklichkeit Gottes, denn sie ist unsichtbar und unbegreifbar, ein reines Sein, das nicht beschrieben werden kann. Mag der menschliche Verstand noch so hoch entwickelt sein, das Wesen Gottes, seine Größe und seinen Ursprung kann er nicht erfassen, das unendliche Geheimnis kann er niemals ergründen, denn das Wesen und die Eigenschaften des Herrn der Einheit befinden sich auf den Höhen der Heiligkeit.
Der Mensch als das Geschöpf ist kleiner als der Schöpfer und ist deshalb nicht fähig, bis zu ihm vorzudringen, obgleich er von allem uns faßbaren Geschaffenen Gott am nächsten steht. In den verschiedenen Reichen der Schöpfung ist auch die Fassungskraft abgestuft. Keins der höheren Reiche kann von einem der niedrigeren verstanden werden.
Was der Mensch zu verstehen vermag, sind die Eigenschaften der Gottheit, die in den Welten den Seelen sichtbar werden. In ihnen sehen wir klare Zeichen der göttlichen Vollkommenheit, denn die Wirklichkeit der Dinge beweist die allumfassende Wirklichkeit. Die Wirklichkeit der Gottheit wird in der Bahá’i-Lehre vielfach mit der Sonne verglichen, die ihr Licht überallhin ausstrahlt. Jede Seele empfängt einen Teil ihrer Strahlen. Die universale Manifestation aber ist der Spiegel für diese Sonne, die darin erscheint mit ihren Eigenschaften und Zeichen. Deshalb ist die Wirklichkeit Gottes nur durch die göttliche Manifestation zu erkennen. „In der Manifestation Gottes, dem vollkommenen, polierten Spiegel, erscheinen die Eigenschaften der Gottheit in solcher Weise, daß sie vom Menschen begriffen und verstanden werden können.“ (Ansprachen in Paris, Kap. 5.)
Gott, die reine, ursachlose Einheit, begehrte erkannt zu werden und schuf deshalb das
Universum, und zwar durch Emanation. Sein Hauch wurde zum schöpferischen Befehlswort,
zum Logos, welcher formgebend sich auswirkte. Das erst, was von Gott ausgeht, wird von
den Bahá’i „Erster Wille“
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genannt. Bahá’u’lláh lehrte, daß Gott der Welt gegenüber drei Eigenschaften voraushabe:
- 1. Er ist wesentlich zuerst da, weil er die Ursache ist.
- 2. Er ist sich selbst genügend.
- 3. Er ist notwendig, denn ohne ihn, die Ursache, wäre die Welt, die Folge, nicht da.
Emanation steht im Gegensatz zu Offenbarung. Das Hervorgehen durch Emanation gleicht dem Hervorgehen einer Tat aus dem, der die Tat verrichtet. Das Hervorgehen durch Offenbarung ist die Offenbarung der Wirklichkeit eines Wesens in anderer Form.
Gott gibt der geäußerten Welt, der Schöpfung, nichts von seiner Gottheit ab. Er läßt nicht sein Wesen, sondern nur seine Attribute in die Welt ausstrahlen. „Wie das Wort aus dem Redner, die Schrift aus dem Schreibenden, das Werk aus dem Schöpfer hervorgeht, so fließt und strahlt das Stoffliche (das Ding), das Geistige (der Mensch) und das Übergeistige (der Prophet) aus Gott. Gott wirkt in seiner Emanation dynamisch (kraftspendend).“(„Sonne der Wahrheit“, Jahrg. 1, Heft 2.)
Die verschiedenen Zustände innerhalb der geäußerten Schöpfung bezeichnen wir als die Welten Gottes. Sie sind keine Vielheit, sondern nur „verschiedene“ Außerungsformen des einen Äußerungswillens, also Zustände einer Einheit. Wir unterscheiden vor allem die materielle und die geistige Welt. Jede besitzt zahlreiche Stufen. Die Stufen der geistigen Welt sind jedoch für den Menschen ununterscheidbar. In den geistigen Welten Gottes spielt sich die Weiterentwicklung und Läuterung der unvollkommen ausgereiften Seele ab.
Das Verhältnis zwischen Gott und der Welt ist somit das Verhältnis der Ursache zur Wirkung, des Schöpfers zum Geschöpf. Das eine ist ohne das andere undenkbar. Eine Wirkung ohne Ursache ist ebenso unmöglich wie eine Ursache ohne Wirkung, weil sie dann aufhört, Ursache zu sein. Folglich kann nicht die Rede sein von Dualismus. Gott und die Welt bilden eine absolute Einheit. Bahá’u’lláh sagt einmal: „Wahrlich, es ist kein Unterschied zwischen dem Wort Gottes und der Welt.“
Obwohl wir nun nicht sagen können, daß Gott innerhalb oder außerhalb der Schöpfung ist, noch daß er zu ihr herniedersteigt, besteht doch eine dauernde Verbindung durch den göttlichen, absoluten Geist, denn zwischen Ursache und Wirkung steht das, was die Wirkung hervorruft — die wirkende Kraft. Der Plan wird zum Willen und der Wille zur Tat.
Diese Kraft wirkt sich in allen Atomen aus. In dem Mineralreich zeigt sie sich als Erdmagnetismus, im Pflanzenreih als Aufbau und Zersetzung des Zelleiweisses, im animalischen Reich als Nervensubstanz, als Instinkt, im Menschenreich baut sie die Vernunft und Phantasie über dem Instinkt auf. Im geistigen Reich der Auserwählten Gottes gibt es drei Stufen im Einswerden ihres Geistes mit dem absoluten Geist. Die höchste Stufe, die reinste Manifestation des Logos, stellt der Prophet, und zwar der unmittelbare Prophet (die Manifestation) dar. Der Geist durchdringt somit die Materie. Wir unterscheiden daher:
- 1. den Mineralgeist,
- 2. den Pflanzengeist,
- 3. den Tiergeist,
- 4. den Menschengeist (der wiederum zweierlei Ausdruck haben kann, einen göttlichen
und einen satanischen),
- 5. den himmlischen Geist oder den Geist des Glaubens (durch ihn wird der
menschliche Geist mit den göttlichen Geheimnissen bekannt),
- 6. den heiligen Geist. (Er ist der Vermittler zwischen Gott und seinen Geschöpfen
und erscheint in der heiligen Manifestation.)
(Fortsetzung folgt)
In der Sonne der Wahrheit finden nur solche Manuskripte Veröffentlichung, bezüglich deren Weiterverbreitung keine Vorbehalte gemacht werden. — Anfragen, schriftliche Beiträge und alle die Schriftleitung betreffenden Zuschriften beliebe man an die Schriftleitung: Stuttgart, Alexanderstr. 3 zu senden. — Bestellungen von Abonnements, Büchern und Broschüren sowie Geldsendungen sind an das Bahá’i-Bureau Stuttgart, Alexanderstr. 3, Nebengebäude, zu richten.
Geschichte und Bedeutung der Bahá’i-Lehre[Bearbeiten]
Die Bahá’i-Bewegung tritt vor allem ein für die „Universale Religion" und den „Universalen Frieden“ — die Hoffnung aller Zeitalter. Sie zeigt den Weg und die Mittel, die zur Einigung der Menschheit unter dem hohen Banner der Liebe, Wahrheit, Gerechtigkeit und Barmherzigkeit führen. Sie ist göttlich ihrem Ursprung nach, menschlich in ihrer Darstellung, praktisch für jede Lebenslage. In Glaubenssachen gilt bei ihr nichts als die Wahrheit, in den Handlungen nichts als das Gute, in ihren Beziehungen zu den Menschen nichts als liebevoller Dienst.
Zur Aufklärung für diejenigen, die noch wenig oder nichts von der Bahá’i-Bewegung wissen, führen wir hier Folgendes an: „Die Bahá’i-Religion ging aus dem Babismus hervor. Sie ist die Religion der Nachfolger Bahá’u’lláhs. Mirza Hussein Ali Nuri (welches sein eigentlicher Name war) wurde im Jahre 1817 in Teheran (Persien) geboren. Vom Jahr 1844 an war er einer der angesehensten Anhänger des Bab und widmete sich der Verbreitung seiner Lehren in Persien. Nach dem Märtyrertod des Bab wurde er mit den Hauptanhängern desselben von der türkischen Regierung nach Bagdad und später nach Konstantinopel und Adrianopel verbannt. In Bagdad verkündete er seine göttliche Sendung (als „Der, den Gott offenbaren werde") und erklärte, daß er der sei, den der Bab in seinen Schriften als die „Große Manifestation", die in den letzten Tagen kommen werde, angekündigt und verheißen hatte. In seinen Briefen an die Regenten der bedeutendsten Staaten Europas forderte er diese auf, sie möchten ihm bei der Hochhaltung der Religion und bei der Einführung des universalen Friedens beistehen. Nach dem öffentlichen Hervortreten Bahá’u’lláhs wurden seine Anhänger, die ihn als den Verheißenen anerkannten, Bahá’i (Kinder des Lichts) genannt. Im Jahr 1868 wurde Bahá’u’lláh vom Sultan der Türkei nach Akka in Syrien verbannt, wo er den größten Teil seiner lehrreichen Werke verfaßte und wo er am 28. Mai 1892 starb. Zuvor übertrug er seinem Sohn Abbas Effendi ('Abdu'l-Bahá) die Verbreitung seiner Lehre und bestimmte ihn zum Mittelpunkt und Lehrer für alle Bahá’i der Welt.
Es gibt nicht nur in den mohammedanischen Ländern Bahá’i, sondern auch in allen Ländern Europas, sowie in Amerika, Japan, Indien, China usw. Dies kommt daher, daß Bahá’u’lláh den Babismus, der mehr nationale Bedeutung hatte, in eine universale Religion umwandelte, die als die Erfüllung und Vollendung aller bisherigen Religionen gelten kann. Die Juden erwarten den Messias, die Christen das Wiederkommen Christi, die Mohammedaner den Mahdi, die Buddhisten den fünften Buddha, die Zoroastrier den Schah Bahram, die Hindus die Wiederverkörperung Krischnas und die Atheisten — eine bessere soziale Organisation.
In Bahá’u’lláh sind alle diese Erwartungen erfüllt. Seine Lehre beseitigt alle Eifersucht und Feindseligkeit, die zwischen den verschiedenen Religionen besteht; sie befreit die Religionen von ihren Verfälschungen, die im Lauf der Zeit durch Einführung von Dogmen und Riten entstanden und bringt sie alle durch Wiederherstellung ihrer ursprünglichen Reinheit in Einklang. Das einzige Dogma der Lehre ist der Glaube an den einigen Gott und an seine Manifestationen (Zoroaster, Buddha, Mose, Jesus, Mohammed, Bahá’u’lláh).
Die Hauptschriften Bahá’u’lláhs sind der Kitab el Ighan (Buch der Gewißheit), der Kitab el Akdas (größtes heiliges Buch), der Kitab el Ahd (Buch des Bundes) und zahlreiche Sendschreiben, genannt „Tablets“, die er an die wichtigsten Herrscher oder an Privatpersonen richtete. Rituale haben keinen Platz in dieser Religion; letztere muß vielmehr in allen Handlungen des Lebens zum Ausdruck kommen und in wahrer Gottes- und Nächstenliebe gipfeln. Jedermann muß einen Beruf haben und ihn ausüben. Gute Erziehung der Kinder ist zur Pflicht gemacht und geregelt.
Streitfragen, welche nicht anders beigelegt werden können, sind der Entscheidung des Zivilgesetzes jeden Landes und dem Bait’ul’Adl oder „Haus der Gerechtigkeit“, das durch Bahá’u’lláh eingesetzt wurde, unterworfen. Achtung gegenüber jeder Regierungs- und Staatseinrichtung ist als einem Teil der Achtung, die wir Gott schulden, gefordert. Um die Kriege aus der Welt zu schaffen, ist ein internationaler Schiedsgerichtshof zu errichten. Auch soll neben der Muttersprache eine universale Einheitssprache eingeführt werden. „Ihr seid alle die Blätter eines Baumes und die Tropfen eines Meeres“ sagt Bahá’u’lláh.
Es ist also weniger die Einführung einer neuen Religion, als die Erneuerung und Vereinigung aller Religionen, was heute von 'Abdu'l-Bahá erstrebt wird. (Vgl. Nouveau, Larousse, illustré supplement, Seite 66.)
Der Geistige Nationalrat der Deutschen Bahá’i e.V., Stuttgart
Fernsprecher Nr. 26168 / Postscheckkonto 19340 Stuttgart / Alexanderstr. 3, Nebengebäude
Von unserer Verlagsabteilung sind zu beziehen:
Bücher:
Verborgene Worte von Bahá’u’lláh. Worte der Weisheit und Gebete . . . —.80
gebunden 1.--
Bahá’u’lláh, Frohe Botschaften, Worte des Paradieses, Tablet Tarasat, Tablet Taschalliat, Tablet Ischrakat. In Halbleinen gebunden . . . . . 2.00
in feinstem Ganzleinen gebunden . . . . . 2.50
'Abdu'l-Bahá Abbas, Ansprachen in Paris über die Bahá’i-Lehre . . . . . . 2.--
Geschichte und Wahrheitsbeweise der Bahá’i-Religion, von Mirza Abul Fazl. . . . . 2.--
'Abdu'l-Bahá Abbas’ Leben und Lehren, von Myron H. Phelps. In Ganzleinen gebunden . . . . . 2.--
Die Bahá’i-Offenbarung, ein Lehrbuch von Thornton Chase. . . . . . . 2.--
Bahá’u’lláh und das neue Zeitalter, ein Lehrbuch von Dr. J. E. Esslemont. In Ganzleinen gebunden . . . . . 2.50
Beantwortete Fragen 'Abdu'l-Bahá Abbas', gesammelt von L. Clifford Barney . . . . 2.50
Broschüren:
Einheitsreligion. Ihre Wirkung auf Staat, Erziehung, Sozialpolitik, Frauenrechte und die einzelne Persönlichkeit. Von Dr. jur. H. Dreyfus . . . -.30
Das Hinscheiden 'Abdu'l-Bahás, ("The Passing of 'Abdu'l-Bahá") . . . -.30
Das neue Zeitalter von Ch. M. Remey . . . . —.30
Die soziale Frage und ihre Lösung im Sinne der Bahá’i-Lehre von Dr. Hermann Grossmann, Weinheim (Bergstrasse) . . . . —.20
Die Bahá’i-Bewegung, Geschichte, Lehren und Bedeutung. von Dr. Hermann Grossmann, Weinheim (Bergstrasse) . . . . —.20
Sonne der Wahrheit, Jahrgang in Halbleinen gebunden je . . . . 6.--
Sendschreiben 'Abdu'l-Bahá's an die Haager Friedenskonferenz 1919 . . . . . --.30
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