Sonne der Wahrheit/Jahrgang 12/Heft 8/Text

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SONNE

DER

WAHRHEIT
 
ORGAN DER DEUTSCHEN BAHAI
 
HEFT 8 12. JAHRGANG OKT. 1932
 


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Abdu’l-Bahás Erläuterung der Bahá’i-Prinzipien[Bearbeiten]

1. Die ganze Menschheit muss als Einheit betrachtet werden.

Bahá’u’lláh wandte Sich an die gesamte Menschheit mit den Worten: „Ihr seid alle die Blätter eines Zweigs und die Früchte eines Baumes“. Das heißt: die Menschheit gleicht einem Baum und die Nationen oder Völker gleichen den verschiedenen Aesten und Zweigen; die einzelnen Menschen aber gleichen den Blüten und Früchten dieses Baumes. In dieser Weise stellte Bahá’u’lláh das Prinzip der Einheit der Menschheit dar. Bahá’u’lláh verkündigte die Einheit der ganzen Menschheit, er versenkte sie alle im Meer der göttlichen Gnade.


2. Alle Menschen sollen die Wahrheit selbständig erforschen.

In religiösen Fragen sollte niemand blindlings seinen Eltern und Voreltern folgen. Jeder muß mit eigenen Augen sehen, mit eigenen Ohren hören und die Wahrheit suchen, denn die Religionen sind häufig nichts anderes als Nachahmungen des von den Eltern und Voreltern übernommenen Glaubens.


3. Alle Religionen haben eine gemeinsame Grundlage.

Alle göttlichen Verordnungen beruhen auf ein und derselben Wirklichkeit. Diese Grundlage ist die Wahrheit und bildet eine Einheit, nicht eine Mehrheit. Daher beruhen alle Religionen auf einer einheitlichen Grundlage. Im Laufe der Zeit sind gewisse Formen und Zeremonien der Religion beigefügt worden. Dieses bigotte menschliche Beiwerk ist unwesentlich und nebensächlich und verursacht die Abweichungen und Streitigkeiten unter den Religionen. Wenn wir aber diese äußere Form beiseite legen und die Wirklichkeit suchen, so zeigt sich, daß es nur eine göttliche Religion gibt.


4. Die Religion muss die Ursache der Einigkeit und Eintracht unter den Menschen sein.

Die Religion ist für die Menschheit die größte göttliche Gabe, die Ursache des wahren Lebens und hohen sittlichen Wertes; sie führt den Menschen zum ewigen Leben. Die Religion sollte weder Haß und Feindschaft noch Tyrannei und Ungerechtigkeiten verursachen. Gegenüber einer Religion, die zu Mißhelligkeit und Zwietracht, zu Spaltungen und Streitigkeiten führt, wäre Religionslosigkeit vorzuziehen. Die religiösen Lehren sind für die Seele das, was die Arznei für den Kranken ist. Wenn aber ein Heilmittel die Krankheit verschlimmert, so ist es besser, es nicht anzuwenden.


5. Die Religion muss mit Wissenschaft und Vernunft übereinstimmen.

Die Religion muß mit der Wissenschaft übereinstimmen und der Vernunft entsprechen, so daß die Wissenschaft die Religion, die Religion die Wissenschaft stützt. Diese beiden müssen unauflöslich miteinander verbunden sein.


6. Mann und Frau haben gleiche Rechte.

Dies ist eine besondere Lehre Bahá’u’lláhs, denn die früheren Religionen stellen die Männer über die Frauen. Töchter und Söhne müssen gleichwertige Erziehung und Bildung genießen. Dies wird viel zum Fortschritt und zur Einigung der Menschheit beitragen.


7. Vorurteile jeglicher Art müssen abgelegt werden.

Alle Propheten Gottes kamen, um die Menschen zu einigen, nicht um sie zu trennen. Sie kamen, um das Gesetz der Liebe zu verwirklichen, nicht um Feindschaft unter sie zu bringen. Daher müssen alle Vorurteile rassischer, völkischer, politischer oder religiöser Art abgelegt werden. Wir müssen zur Ursache der Einigung der ganzen Menschheit werden.


8. Der Weltfriede muss verwirklicht werden.

Alle Menschen und Nationen sollen sich bemühen, Frieden unter sich zu schließen. Sie sollen darnach streben, daß der universale Friede zwischen allen Regierungen, Religionen, Rassen und zwischen den Bewohnern der ganzen Welt verwirklicht wird. Die Errichtung des Weltfriedens ist heutzutage die wichtigste Angelegenheit. Die Verwirklichung dieses Prinzips ist eine schreiende Notwendigkeit unserer Zeit.


9. Beide Geschlechter sollen die beste geistige und sittliche Bildung und Erziehung geniessen.

Alle Menschen müssen erzogen und belehrt werden. Eine Forderung der Religion ist, daß jedermann erzogen werde und daß er die Möglichkeit habe, Wissen und Kenntnisse zu erwerben. Die Erziehung jedes Kindes ist unerläßliche Pflicht. Für Elternlose und Unbemittelte hat die Gemeinde zu sorgen.


10. Die soziale Frage muss gelöst werden.

Keiner der früheren Religionsstifter hat die soziale Frage in so umfassender, vergeistigter Weise gelöst wie Bahá’u’lláh. Er hat Anordnungen getroffen, welche die Wohlfahrt und das Glück der ganzen Menschheit sichern. Wenn sich der Reiche eines schönen, sorglosen Lebens erfreut, so hat auch der Arme ein Anrecht auf ein trautes Heim und ein sorgenfreies Dasein. Solange die bisherigen Verhältnisse dauern, wird kein wahrhaft glücklicher Zustand für den Menschen erreicht werden. Vor Gott sind alle Menschen gleich berechtigt, vor Ihm gibt es kein Ansehen der Person; alle stehen im Schutze seiner Gerechtigkeit.


11. Es muss eine Einheitssprache und Einheitsschrift eingeführt werden.

Bahá’u’lláh befahl die Einführung einer Welteinheitssprache. Es muß aus allen Ländern ein Ausschuß zusammentreten, der zur Erleichterung des internationalen Verkehrs entweder eine schon bestehende Sprache zur Weltsprache erklären oder eine neue Sprache als Weltsprache schaffen soll; diese Sprache muß in allen Schulen und Hochschulen der Welt gelehrt werden, damit dann niemand mehr nötig hat, außer dieser Sprache und seiner Muttersprache eine weitere zu erlernen.


12. Es muss ein Weltschiedsgerichtshof eingesetzt werden.

Nach dem Gebot Gottes soll durch das ernstliche Bestreben aller Menschen ein Weltschiedsgerichtshof geschaffen werden, der die Streitigkeiten aller Nationen schlichten soll und dessen Entscheidung sich jedermann unterzuordnen hat.

Vor mehr als 50 Jahren befahl Bahá’u’lláh der Menschheit, den Weltfrieden aufzurichten und rief alle Nationen zum „internationalen Ausgleich“, damit alle Grenzfragen sowie die Fragen nationaler Ehre, nationalen Eigentums und aller internationalen Lebensinteressen durch ein schiedsrichterliches „Haus der Gerechtigkeit" entschieden werden können.

Bahá’u’lláh verkündigte diese Prinzipien allen Herrschern der Welt. Sie sind der Geist und das Licht dieses Zeitalters. Von ihrer Verwirklichung hängt das Wohlergehen für unsere Zeit und das der gesamten Menschheit ab.


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SONNE DER WAHRHEIT
Organ der deutschen Bahá’i
Verantwortliche Schriftleitung: Alice Schwarz-Solivo, Stuttgart, Alexanderstraße 3
Preis vierteljährlich 1.80 Goldmark, im Ausland 2.– Goldmark
Heft 8 Stuttgart, im Oktober 1932
’Ilm — Erkenntnis 89
12. Jahrgang

Motto: Einheit der Menschheit — Universaler Friede — Universale Religion


Inhalt: Gericht und Liebe — „Tröstet, tröstet Mein Volk“. — Das Leben nach dem Tode. — Göttliche Lebenskunst.



Über das Beten

Des Menschen Herz gleicht einem Spiegel, auf dem sich immer wieder Staub ansammelt. Um ein reines Herz zu erlangen, muß der Mensch beständig Gott bitten, daß Er es rein mache. Durch das Gebet werden die irdischen Wünsche aus dem Herzen genommen, wie der Staub vom Spiegel durch gründliches Polieren entfernt wird. Ohne Gebet hört das Herz auf, ein Spiegel für die göttliche Vollkommenheit zu sein; es wird wie ein rauher, ungeschliffener Stein. Die Freude am Gebet löst das Herz von der Welt. Das Gebet ist der Schlüssel, mit dem die Tore des himmlischen Königreichs geöffnet werden. Es gibt viele Fragen, die schwer für den Menschen zu lösen sind; durch das Gebet aber werden sie enthüllt. Es gibt nichts, das der Mensch nicht durch das Gebet lernen könnte. Muhammed sagte: „Das Gebet ist eine Leiter, auf der der Mensch zum Himmel gelangen kann.“

Wenn das menschliche Herz vom Hang an diese Welt befreit ist, so ist das Gebet ein Akt, der zu Gott erhebt. Wir sollen aber allein aus Liebe zu Gott beten, nicht weil wir dadurch die Gaben Gottes oder den Himmel zu erlangen hoffen.

‘Abdu’l-Bahá



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Gericht und Liebe — „Tröstet, tröstet Mein Volk“[Bearbeiten]

Von Emil Jörn, Warnemünde

„Warum toben die Heiden und die Völker reden so vergeblich? Die Könige der Erde lehnen sich auf, und die Herren ratschlagen miteinander wider den Herrn und Seinen Gesalbten: Laßt uns zerreißen ihre Bande und von uns werfen ihre Seile.“ Psalm 2.

„Warum empören sich die Nationen, und die Völker nehmen vor, was umsonst ist?“ Apostelgeschichte 4, 25.

Schon oft war das die Frage der Menschen und Völker, und heute tritt sie wiederum mit größtem Nachdruck in das Bewußtsein aller. Die Erde bebt, und mancher aufrichtig Suchende ist über diese Fragen verzweifelt, weil er eine befriedigende Antwort nicht finden konnte. Wir sehen es jeden Tag.

„Die Welt steht im Zeichen des Aufruhrs, und die Aufwiegelung nimmt Tag um Tag zu. Ihr Antlitz ist der Abirrung und der Religionslosigkeit zugewandt. Ihr Zustand wird so traurig werden, daß es heute zu enthüllen nicht angemessen und nicht angängig wäre. Gar manche Tage werden darüber hingehen, bis sie erlöst ist von ihrer schweren Last.“ Bahá’u’lláh.

„Denn der Tag des Herrn Zebaoth wird gehen über alles Hoffärtige und Hohe und über alles Erhabene, daß es erniedrigt werde; auch über alle hohen und erhabenen Zedern auf dem Libanon und über alle Eichen in Casan; über alle hohen Berge und über alle erhabenen Hügel; über alle hohen Türme und über alle festen Mauern; über alle Schiffe im Meere und über alle köstliche Arbeit, daß sich bücken muß alle Höhe der Menschen und demütigen, die hohe Männer sind und der Herr allein hoch sei zu der Zeit. Und mit den Götzen wird es ganz aus sein. Da wird man in der Felsen Höhlen gehen und in der Erde Klüfte vor der Furcht des Herrn und vor Seiner herrlichen Majestät, wenn Er sich aufmachen wird, zu schrecken die Erde.“ Jesaja 2.

„Darum, daß die Töchter Zions stolz sind und gehen mit aufgerichtetem Halse, mit geschminkten Gesichtern, treten einher und schwänzen und haben köstliche Schuhe an den Füßen, so wird der Herr die Scheitel der Töchter Zions kahl machen, und der Herr wird ihr Geschmeide wegnehmen. Zu der Zeit wird der Herr den Schmuck an den köstlichen Schuhen wegnehmen, und die Heftspangen, die Kettlein, die Armspangen, die Hauben, die Ringe, die Haarbänder, die Feierkleider, die Mäntel, die Schleier, die Beutel, die Spiegel, die Koller, die Borten, die Überwürfe.“ Jesaja 3.

„Das sollst du aber wissen, daß in den letzten Tagen werden greuliche Zeiten kommen. Denn es werden Menschen sein, die viel von sich halten, geizig, ruhmredig, hoffärtig, Lästerer, den Eltern ungehorsam, undankbar, ungeistlich, lieblos, unversöhnlich, Verleumder, unkeusch, wild, ungütig, Verräter, Frevler, aufgeblasen, die die Wollust mehr lieben als Gott, die da haben den Schein eines gottseligen Wesens, aber seine Kraft verleugnen sie.“ 2. Timotheus 3.

Das ist die Dunkelheit dieser Jahrzehnte, die wir erleben. Wir sehen es auf Schritt und Tritt. Die ganze Erde ist erschüttert davon. Böse Zeiten gab es schon viele, aber heute ist das Böse organisiert, und diese Organisationen des Bösen sind sehr mächtig. Wenige sind es, die da widerstehen, wenn sie ihren Zwang und ihre Lockmittel ausstreuen.

„Nur noch eine kleine Weile, so erschüttere Ich den Himmel und die Erde, das Meer und das Trockene. Ich bringe alle Völker in Erregung, daß die Kleinodien aller Völker herbeikommen sollen, und Ich fülle dies Haus mit Herrlichkeit, spricht Jahwe der Heerscharen. Mein ist das Silber, Mein ist das Gold.“ Haggai 2. (Kautzsch.)

„Siehe, es kommt ein Tag, der brennen soll wie ein Ofen, da werden alle Verächter und Gottlosen Stroh sein, und der künftige Tag wird sie anzünden, spricht der Herr Zebaoth, und wird ihnen weder Wurzel noch Zweig lassen.“ Maleachi 3.

„Und soll geschehen in dem ganzen Lande, spricht der Herr, daß zwei Teile drinnen sollen ausgerottet werden und untergehen, und das dritte Teil soll überbleiben. Und Ich will dasselbe dritte Teil durchs Feuer führen und läutern, wie man Silber läutert, und [Seite 87] prüfen, wie man Gold prüfet. Die werden dann Meinen Namen anrufen und Ich will sie erhören. Ich will sagen: Es ist Mein Volk; und sie werden sagen: Herr, mein Gott!“ Sacharia 13.

„Dann werden zwei auf dem Felde sein; einer wird angenommen, und das andere wird verlassen werden. Zwei werden mahlen auf der Mühle, eine wird angenommen, und die andere wird verlassen werden.“ Matth. 24, 40 und 41.

„So nehmt nun zu Herzen, daß ihr nicht sorgt, wie ihr euch verantworten sollt. Denn Ich will euch Mund und Weisheit. geben, welcher nicht sollen widersprechen können noch widerstehen alle eure Widersacher.“

„Ihr werdet aber überantwortet werden von den Eltern, Brüdern, Gefreunden und Freunden, und sie werden euer etliche töten. Und ihr werdet gehaßt werden um Meines Namens willen.“ Lukas 21.

Das alles sind Worte, die vor zweitausend Jahren den Vätern verkündet sind, und es wäre ein leichtes, sie unter dem gleichen Gesichtspunkt zu vermehren. Auch im Koran finden wir eine große Zahl von ähnlichen Hinweisen und Warnungen -—- fast in jeder Sura, besonders in der zweiten Hälfte des heiligen Buches, wird hingewiesen auf „die Stunde“.

„O ihr Menschen, fürchtet euren Herrn und scheuet den Tag, an dem nicht einstehen wird ein Vater für seinen Sohn und kein Kind etwas ausrichten wird für den Vater... Wahrlich, bei Gott ist Kenntnis der Stunde!“ S. 31, 32.

„Am Tag, an dem die Stunde herankommt, verzweifeln die Sünder. Kein Fürsprecher wird ihnen vor ihren Götzen sein, sie werden ihre Götzen verleugnen.“ S. 30, 13.

„Siehst du den, der sein Gelüste zu seinem Gott nimmt? Willst du ihm Anwalt sein? Oder meinst du wohl, daß die meisten ihrer hören und begreifen werden? Sie sind wie die Tiere, ja, noch verirrter sind sie vom Pfad.“ S. 27, 24.

Immer wieder ermahnt der Prophet mit einem Nachdruck ohnegleichen: Fürchtet Gott und gesellet Ihm nichts bei, nicht euren Besitz und nicht eure Kinder.“

Gar manche möchten wohl den Weg des Geistes gehen, aber um ihrer Kinder willen, in ungeistiger Liebe zu ihnen, „kehren sie zurück in den Schlaf“. „Genießet nur, dereinst werdet ihr es wissen.“ S. 30, 33.

„So laß tören und tändeln, bis sie zusammentreffen mit dem Tag, der ihnen angedroht. S. 43, 83.

„Die Freunde sind an jenem Tag einander feind, ausgenommen die Gottesfürchtigen.“ S. 43, 67.

„Ja, die ungläubig sind, sind in Hochmut und Spaltung.“ S. 38, 1.

Ganz gewiß, das sehen wir alles heute wahr werden. O Menschheit, verhülle dein Haupt! —

„An jenem Tag werden wir die Berge wandern machen, die Erde wirst du offen hervortreten sehen, wir werden sie sammeln und ihrer nicht einen übersehen. Sie werden vor dem Herrn in einer Reihe aufgestellt werden: Nun seid ihr zu Uns gekommen, wie Wir euch ehemals erschufen. Ja, ihr glaubet wohl, Wir würden die Worte nicht wahrnehmen. Vorgelegt wird das Buch, und du wirst die Sünder zittern sehen vor dem, was darin. Sie werden sprechen: O wehe uns, was soll dieses Buch.“ S. 18, 45 ff.

Aber es gehört Mut dazu, so heilig ernste Worte, die doch denen der Bibel aufs Haar gleichen, noch weiter zu zitieren. Kein Aufrichtiger kann solche Verse lesen, ohne in eine tiefernste Selbstprüfung zu kommen. Wie sind wir alle abgewichen und noch ständig in Gefahr, den Weg des Fleisches weiter zu gehen. „Die Nachfolger Gottes“ werden zuerst geprüft werden. „Fanget aber an an Meinem Heiligtum“, läßt Hesekiel den Strafengel sagen (9, 6). „Siehe, in der Stadt, die nach Meinem Namen genannt ist, fange Ich an zu plagen.” Jer. 25, 29. „Es ist die Zeit, daß anfanget das Gericht an dem Hause Gottes. So aber zuerst an uns, was wird’s für ein Ende haben mit denen, die dem Evangelium Gottes nicht glauben.“ 1. Petr. 4, 17.

„Und wäre nicht die Gnade Gottes und Seine Barmherzigkeit über euch, nie wäre einer von euch rein. Aber Gott reinigt, wen Er will, und Gott ist allhörend und allwissend.“ Koran 24, 21.

Wohl dem, der immer bereit ist, sich reinigen zu lassen und in jeder Lebenslage sein Gesicht Gott, dem Beleber aller Geschöpfe, [Seite 88] zuzuwenden! Wo ist heute ein Geistesmensch, ein ernster Gottgläubiger, der ohne Leid ist, ein aufrichtiger Wahrheitsucher, der keine Schwierigkeiten hat? Gott ist der allein Weise.

„Deine Unreinigkeit ist so verhärtet, daß, ob Ich dich gleich gern reinigen wollte, dennoch du nicht dich willst reinigen lassen. Darum kannst du hinfort nicht rein werden, bis Mein Grimm sich an dir gekühlet habe.“ Hesekiel 24, 13.

„Das Volk spricht: Die Zeit ist noch nicht da, daß man des Herrn Haus baue. .... Aber eure Zeit ist da, daß ihr in getäfelten Häusern wohnet — und dies Haus muß wüste stehen? Nun, so spricht der Herr Zebaoth: Schauet, wie es euch geht. Ihr säet viel und bringet wenig ein; ihr eßt und werdet doch nicht satt; ihr trinket und werdet doch nicht trunken; ihr kleidet euch und könnt euch doch nicht erwärmen; und welcher Geld verdienet, der legt’s in einen löchrigen Beutel.“ „Und ob ihr’s schon heimbringt, zerstäube Ich es doch. Warum das? spricht der Herr Zebaoth. Darum, daß Mein Haus so wüste stehet und ein jeglicher eilet auf sein Haus.“ Haggai 1, 2 ff.

Da haben wir den tiefsten Grund auch für unsere wirtschaftlichen Nöte. Wenn die Menschheit es doch erkannte! Wenn wir es doch ganz erkannten! Wir bitten Gott in größter Demut, daß Er uns von allem verborgenen Egoismus und Atheismus — beides kommt in jeder Not und Sorge als letztes Motiv immer wieder hervor — erlöse, damit wir befähigt werden, an der Verwirklichung des göttlichen Königreiches und der wahren Bruderschaft mitzuarbeiten. Seht, wie wüste ist doch alles um uns herum! Wie leiden die Menschen unter ihrem Haß und ihren Einbildungen! Sie nehmen das Wasser aus Pfützen und glauben, es sei der wahre Quell. „Sie essen Unrat und trinken einer des andern Blut.“ Das hat schon Tolstoi gesehen. Es sehen heißt, bewußt darunter mitleiden wollen.

Das ist aber das Gericht, daß das Licht in die Welt gekommen ist.“ Ev. Joh. 3, 19.

Wo die Güte rein ins Leben tritt, da regen sich immer die Mächte der Finsternis. Das hat die Welt beim Auftreten jeder Manifestation erlebt, und heute sieht sie es allgemein, weil eben das Licht auch allgemein ist und alle Horizonte erhellet hat.

„Gott selbst hat bezeugt, daß außer Ihm kein Gott ist. Sein sind die Gebote, Sein ist die Schöpfung. Er hat den Dämmerungsort und den Sprecher des Berges geoffenbart, durch den das erhabene Licht leuchtete. Der Sadrat el Montaha sprach, und die Stimme des Herrn verkündigte zwischen Himmel und Erde: Der König ist gekommen! Das Königreich und die Kraft und die Herrlichkeit und die Majestät sind Sein. Er ist der Herr der Menschheit, der Herrscher der Throne und des Staubes.“ Verborgene Worte.

„Das Gericht Gottes ist gekommen, hört auf den Ruf Gottes! Horchet, o horchet auf die Melodien Gottes! Erfrischet und belebet euch an den Düften Gottes! Seid erleuchtet, seid erleuchtet durch das Licht von dem Angesichte Bahá’u’lláhs! Die Verheißungen der Propheten sind erfüllt, die Prophezeiungen des himmlischen Botschafters sind verwirklicht, der Tag des Gerichts ist gekommen, und die Menschheit steht vor dem Herrn der Geschöpfe!“ 'Abdu'l-Bahá.

„Licht über -Licht! Er erleuchtet mit Seinem Licht, wen Er will.“ Sura 24, 35. Ja, das Licht ist die Ursache davon, daß das Böse so tobt. Es muß sich erst austoben, ehe es sich für besiegt erklärt.

„Wahrlich, die Gnade ist gleich den Versen, die vom Himmel herniederkamen, und aus ihnen trinken die an den alleinigen Gott Glaubenden den auserlesenen Wein des Lebens, während die Götzendiener von dem feurigen Wasser Hameen trinken. Wenn ihnen diese Verse Gottes verkündet werden, wird das Feuer des Hasses in ihrer Brust entfacht.“ (Buch vom Zweig.)

Aber auch die, denen die Verse noch gar nicht verkündet sind, ahnen es, welche Stunde es für die Welt geschlagen hat. Gott klopft an alle Herzen, und die Strahlen der Sonne der Wahrheit gehen über die ganze Welt. Die Sehnsucht nach einem neuen Sinn des Lebens, einer neuen Reinheit, der Gedanke des Friedens besonders regt sich in allen Köpfen und in allen Gewissen. Es muß nur alles erst durchgekämpft werden.

„Dies ist die Sache, von welcher eure Erdichtungen und Götzen erschüttert werden.“ [Seite 89] Aqdas 415. „Die Ordnung ist von dieser höchsten Ordnung zerrüttet, und die Einrichtung ist geändert durch diese neue Einrichtung, gleich welcher das Auge der neuen Welt nichts gesehen hat. Vertieft euch in das Meer Meiner Erläuterung, vielleicht werdet ihr über das unterrichtet, was in ihm an Perlen der Weisheit und der Geheimnisse enthalten ist.“ Aqdas 449.

Das Licht ist Leben und Führung für die Menschen, höchste Gnade für die Suchenden, aber es ist auch „die Waage der Vergeltung", das Gericht. Beide, Gericht und Liebe sind immer miteinander verbunden. Sein Gericht ist Liebe, und Seine Liebe ist irgendwie auch immer Gericht. Er ist der Arzt, der allweise Erzieher für die Menschheit wie für jeden Einzelnen. „Zu derselben Zeit wirst du sagen: Ich danke dir, Herr, daß du über mich zornig gewesen bist und dein Zorn sich gewendet hat und tröstest mich.“ Jes. 12.

Wohl dem, der für jedes Abweichen gleich seine Erinnerung, seine Zurechtweisung bekommt. Er steht in der Führung Gottes.

„Tröstet, tröstet Mein Volk, redet mit Jerusalem freundlich und predigt ihr, daß ihre Ritterschaft ein Ende hat, denn ihre Missetat ist vergeben.“ Jes. 40.

Nun ist der Beweis erschienen, die Bestätigung erbracht, denn die Lehren Bahá’u’lláhs und ‘Abdu’l-Bahás sind „Geist und Leben“, sonnenhelle Unsterblichkeit — ganz der Geist unseres Herrn Jesu Christi. Ja, in der Bahá’i-Lehre ist unser ehrwürdiges, liebes Evangelium in einer Weise auf den Thron der Macht und Konsequenz erhoben, daß alle heimlichen Götzendiener aufs äußerste erschrecken. Denn ihr Toben ist nur der Ausdruck tief innerer Beunruhigung und Friedlosigkeit. Alle einzelnen Bahá’i-Lehren sind nur Konsequenzen und Erfüllungen beziehungsweise einfache Erneuerungen der Lehre Jesu, auch des Alten Testaments und des Korans, der an sich schon die denkbar beste „Erklärung“ des Evangeliums ist. Das ließe sich an vielen Beispielen nachweisen, bedarf vielmehr für den, der aufgeschlossenen Sinnes, sagen wir lieber mit betendem Herzen gelesen hat, keines Beweises. „Meine Worte sind Mein Beweis“, sagt Bahá’u’lláh.

Hingewiesen sei nur noch auf die 98. Sura des Korans, die Lehre vom klaren Beweis, in der es also heißt: „Im Namen Gottes des Allerbarmers, des Allbarmherzigen: die ungläubig sind von den Schriftleuten und die Götzendiener waren nicht eher schwankend, als bis ihnen kam der klare Beweis: ein Gesandter von Gott, der verliest geläuterte Schriften, worinnen geistige Vorschriften. Und die die (bisherigen) Schriften empfingen, spalteten sich erst dann, nachdem ihnen der klare Beweis geworden. Und doch ist ihnen nichts anderes befohlen (in der neuen Offenbarung), als daß sie (wirklich) Gott verehren, ihm rechtgläubig die Religion rein haltend, das Gebet verrichten und den Armenbeitrag entrichten. Und das ist die wahrhafte Religion.“

Also das Erscheinen der neuen Manifestation, ihr Rufen und ihr Ruf, ihre Botschaft selber sind die Ursache davon, daß die einen jauchzen und die andern bestürzt sind. Gott selber hat gesprochen. Er hat Seinem Sprecher Vollmacht gegeben. Jesus sagt: „Derselbige wird Mich verklären; denn von dem Meinen wird Er es nehmen und euch verkündigen.“ Joh. 16, 14. Und in Hebräer 9, 28 heißt es: „Christus ist einmal geopfert, wegzunehmen vieler Sünden; zum andern Mal wird Er ohne Sünde erscheinen denen, die auf Ihn warten zur Seligkeit.“

„Es werden vor Ihm alle Völker versammelt werden, und Er wird sie voneinander scheiden, wie ein Hirte die Schafe von den Böcken scheidet, und wird die Schafe zu Seiner Rechten und die Böcke zu Seiner Linken stellen.“ Matth. 25, 32.

Gesegnet sind die „Elenden Gottes“, die Sanftmütigen, Demütigen, Geistiggesinnten, sie werden bald Sieg und Herrschaft haben, wenn sie auch noch so sehr von den Gewaltgläubigen unterdrückt und verfolgt werden. „Und Sein Name wird an ihren Stirnen sein."

„Wann nun der Tag der Auferstehung? Wenn das Auge blitzgeblendet, der Mond versenkt und Sonne und Mond zusammen kommen. Dann spricht der Mensch: Wo ist der Zufluchtsort? Es gibt keine Zuflucht. Vor deinem Herrn ist dann der Stand.“ Sura 75, 6 ff. Wenn die allgemeine Lehre (die Widerstrahlung) versinkt, dann werden zwei Manifestationen zu gleicher Zeit erscheinen, und dieser Überfülle von Licht wird der Erde [Seite 90] und der Welt eine andere Gestalt geben. Das ist der Sinn dieser Worte, die heute erfüllt sind. — Wollen wir uns nun des Lichtes nicht freuen? Wollen wir es nicht immer mehr zu erkennen versuchen? Wollen wir nicht seine Diener werden? „Gibt es einen außer Gott, der die Schwierigkeiten hinwegräumen kann? Preis sei Gott! Er ist Gott! Alle sind Seine Diener, und alle stehen unter Seinem Gesetz!“ (Worte des Báb.) —

Wie aber wollen wir den vielen, vielen helfen, die den hohen Geist nicht erfassen, den Pfad nicht zu finden vermögen?

Obwohl es oftmals heißen wird: „Hüte deine Schätze!“ wollen wir doch immer wieder Liebe üben, Nächsten- und Feindesliebe. Und wollen alle bitten, doch darin mit uns denselben Weg zu gehen, daß wir uns vom bloßen Buchstabenglauben zu einer wirklichen Nachfolge im Geist und in der Wahrheit erheben — in unentwegtem, tapferem Glauben an das Wort Jesu: „Wer die Wahrheit tut, der kommt (irgendwie) an das Licht.“ Dabei müssen wir es immer mehr lernen, mit jedem in seiner Sprache zu reden, also „ein Stern zu werden für jeden Horizont“. Stets möge uns dabei das Koranwort bewußt bleiben: „Wir erhoben die einen über die andern um Stufen.“ S. 43, 31. Und das andere: „Gott liebt die Geduldigen.“ S. 2, 250.

„Ruhm sei Dir, o Gott, für Deine Offenbarung der Liebe an die Menschheit! O Du, der Du unser Leben und unser Licht bist! Führe Deine Diener zu Deinem Pfad hin und laß sie in Dir reich und von allem außer Dir frei sein! O Gott, lehre sie Deine Alleinheit und gib ihnen einen Begriff Deiner Einheit, so daß sie niemanden sehen als Dich. Du bist der Barmherzige, der Geber der Güte!”



Das Leben nach dem Tode.[Bearbeiten]

II. Teil.

Zusammengestellt von den Bahá’i in Müritz (Mecklenburg)


Der physische Körper

„Der physische Körper ist für die Unsterblichkeit nicht geeignet, weil er eine aus Atomen und Molekülen aufgebaute Zusammensetzung ist, die gleich allen Dingen, die zusammengesetzt sind, mit der Zeit der Auflösung anheimfällt...“ (‘Abdul’-Bahá.)

(Aus „Bahá’u’lláh und das Neue Zeitalter“, Seite 158.)


Die Entwicklung des Geistes.

„... Es gibt keinen Stillstand in der Natur. Alle existierenden Dinge machen entweder Fortschritte oder sie gehen zugrunde. Sie bewegen sich entweder vorwärts oder rückwärts. Es gibt nichts, das ohne Bewegung ist. Von seiner Geburt an macht der Mensch physische Fortschritte, bis er zur Reife gelangt. Wenn er dann den Höhepunkt seines Lebens erreicht hat, geht er wieder abwärts. Die Kräfte seines Körpers vermindern sich, und allmählich gelangt er bei seiner Todesstunde an. In gleicher Weise macht eine Pflanze vom Samen bis zur Reife Fortschritte. Dann fängt ihr Leben abzunehmen an, bis sie hinwelkt und stirbt. Ein Vogel schwingt sich bis zu einer gewissen Höhe auf. Wenn er in seinem Fluge den höchsten Punkt erreicht hat, dann fliegt er wieder auf die Erde herab.

Somit ist es klar, daß die Bewegung für die ganze Existenz eine Notwendigkeit ist. Alle materiellen Dinge machen bis zu einem gewissen Punkte Fortschritte, dann fangen sie wieder abzunehmen an. Dies ist ein Gesetz, welches die ganze physische Schöpfung regiert.

Laßt uns nun eine Betrachtung über die Seele anstellen. Wir haben gesehen, daß Bewegung für die ganze Existenz erforderlich ist. Alles, was Leben hat, ist in Bewegung. Die ganze Schöpfung — sei es das Mineralreich, das Pflanzenreich oder das Tierreich — ist gezwungen, dem Gesetz der Bewegung zu gehorchen. Es muß bei allem entweder aufwärts oder abwärts gehen. Aber bei der menschlichen Seele gibt es keine Abwärtsbewegung. Sie bewegt sich nur in der Richtung [Seite 91] nach der Vollkommenheit. Wachstum und Fortschritt allein bilden die Bewegung der Seele.

Die Vervollkommnung ist unendlich, deshalb ist der Fortschritt der Seele auch unendlich. Von der ersten Stunde seiner Geburt an macht die Seele des Menschen Fortschritte, der Verstand wächst, und das Wissen nimmt zu. Wenn der Körper stirbt, lebt die Seele weiter. Die verschiedenen Stufen der erschaffenen physischen Wesen sind alle begrenzt, aber die Seele ist ohne Grenzen.

Der Glaube, daß die Seele den Tod und den Körper überlebt, ist in allen Religionen zu finden. Es werden für die geliebten Toten Fürbitten emporgesandt, und es werden Gebete für ihren Fortschritt und für die Vergebung ihrer Sünden dargebracht. Wenn die Seele mit dem Körper sterben würde, dann hätte dies alles keinen Zweck. Ferner, wenn es für die Seele, nachdem sie vom Körper befreit ist, nicht möglich wäre, sich zu vervollkommnen, von welchem Nutzen würden dann alle diese liebevollen Gebete, die ihnen gewidmet werden, sein?

Wir lesen in den heiligen Schriften, daß alle guten Werke ihre eigene Belohnung haben. Wenn nun die Seele den Körper nicht überleben würde, so würde dies ebenfalls nichts zu bedeuten haben.

Schon die Tatsache, daß uns unser geistiger Instinkt, der uns sicherlich nicht vergebens gegeben ist, den Gedanken einflößt, für das Wohlergehen unserer Lieben, die aus dieser materiellen Welt geschieden sind, zu beten, bezeugt die Fortdauer ihrer Existenz.

In der geistigen Welt gibt es kein Zurückgehen. Es ist alles dazu bestimmt, sich in der Richtung zu einem vollkommenen Zustand zu bewegen. In der materiellen Welt kommt der Geist im Fortschritt zum Ausdruck. Die Intelligenz des Menschen, seine Urteilskraft, seine Erkenntnis, seine wissenschaftlichen Errungenschaften sind alles Offenbarungen des Geistes. Sie nehmen an dem unabänderlichen Gesetz des Fortschrittes teil und sind deshalb notwendigerweise unvergänglich.

Ich hoffe, daß ihr in der Welt des Geistes ebenso wie in der materiellen Welt Fortschritte machen werdet, damit eure Intelligenz entwickelt, euer Wissen vergrößert und euer Verständnis erweitert wird. Ihr müßt immer vorwärts dringen, niemals stille stehen. Vermeidet den Stillstand. Er ist der erste Schritt zur Rückwärtsbewegung und zum Verfall.

Die ganze physische Schöpfung ist vergänglich. Die materiellen Körper sind aus Atomen zusammengesetzt. Sobald diese sich trennen, beginnt die Zersetzung, und dann tritt jener Zustand ein, den wir Tod nennen. Diese Zusammensetzung der Atome, die den Körper oder die sterblichen Elemente eines erschaffenen Wesens ausmacht, ist zeitlich. Wenn die Anziehungskraft, die diese Atome zusammenhält, zurückgenommen wird, dann hört der Körper als solcher zu bestehen auf.

Mit der Seele ist es anders. Die Seele ist keine Kombination von Elementen. Sie ist nicht aus vielen Atomen zusammengesetzt. Sie besteht aus einer unteilbaren Substanz und ist deshalb ewig. Sie besteht gänzlich außerhalb der physischen Schöpfung. Sie ist unsterblich. Die wissenschaftliche Philosophie hat bewiesen, daß ein einfaches Element („einfach“ bedeutet in diesem Fall „nicht zusammengesetzt“) unzerstörbar und ewig ist. Die Seele ist ihrem Charakter nach ein einfaches Element und kann deshalb nie zu bestehen aufhören.

Die Seele, die aus dieser unteilbaren Substanz besteht, kann weder der Auflösung noch der Zerstörung unterworfen sein. Deshalb ist kein Grund vorhanden, daß sie ein Ende nehmen müßte. Alle lebenden Dinge offenbaren uns die Zeichen der Existenz der Seele und daraus folgt, daß sie nicht aus sich selbst bestehen können. Ein nicht bestehendes Ding kann natürlich auch kein Zeichen seiner Existenz haben. Die mannigfaltigen Zeichen der Existenz des Geistes sind uns immer vor Augen.

Die Spuren des Geistes Jesu Christi, sowie der Einfluß Seiner göttlichen Lehre sind heute noch unter uns zu finden, und sie werden auch für alle Ewigkeit bleiben.

Die heiligen Schriften, die immer die gleichen Lehren enthalten, beweisen die Fortdauer des Geistes. Es ist klar, daß ein nicht bestehendes Ding durch Zeichen nicht wahrgenommen werden kann. Um schreiben zu können, muß [Seite 92] ein Mensch vorhanden sein. Jemand, der nicht besteht, kann auch nicht schreiben. Das Schreiben ist an sich ein Zeichen der Seele und der Intelligenz des Schreibenden.

Bedenket den Zweck der Schöpfung. Wäre es möglich, daß alles dazu erschaffen sein könnte, um sich durch unzählige Jahrhunderte nur zu diesem untergeordneten Zweck und nur mit Rücksicht auf die wenigen Jahre, die der Mensch auf Erden lebt, zu entwickeln und zu entfalten? Ist es denkbar, daß dies der endgültige Zweck der Existenz sein sollte?

Das Mineral entwickelt sich so lange, bis es in dem Leben der Pflanze aufgeht. Die Pflanze macht Fortschritte, bis sie endlich ihr Leben verliert und in dem Leben des Tieres aufgeht. Das Tier, das einen Teil der Nahrung des Menschen bildet, geht im Leben des Menschen auf. Dadurch ist bewiesen, daß der Mensch die Summe der ganzen Schöpfung und das höchste aller erschaffenen Wesen ist. Er ist das Ziel für das die zahllosen Jahrhunderte der Existenz Fortschritte machten. Der Mensch bringt höchstens 80 bis 90 Jahre in dieser Welt zu, welches in der Tat eine kurze Zeit ist.

Hört denn der Mensch zu existieren auf, wenn er diesen Körper verläßt? Wenn sein Leben damit zu Ende ginge, dann wären alle diese vorausgegangenen Entwickelungen wertlos. Es wäre alles umsonst! Kann sich wirklich jemand denken, daß die Schöpfung keinen höheren Zweck als diesen haben sollte? Die Seele ist ewig, unsterblich!

Die Materialisten fragen: „Wo ist die Seele? Was ist sie? Wir können sie weder sehen noch fühlen.“

Wir müssen ihnen darauf antworten: Das Mineral kann — trotz seines Fortschrittes, den es macht — die Pflanzenwelt nicht begreifen. Dieser Mangel an Fassungskraft ist nun aber nicht imstande, die Nichtexistenz der Pflanze zu beweisen.

In welch hohem Grade sich die Pflanze auch entwickelt haben mag, so ist sie dennoch unfähig, die Tierwelt zu verstehen. Diese Tatsache ist aber kein Beweis dafür, daß das Tier nicht besteht.

Das Tier, welches verhältnismäßig hoch entwickelt ist, kann sich die Intelligenz des Menschen nicht vorstellen, noch kann es sich die Natur seiner Seele ausdenken. Aber auch dies ist wieder kein Beweis, daß der Mensch ohne Verstand oder ohne Seele ist. Es beweist nur, daß die eine Stufe der Existenz unfähig ist, die über ihr stehende zu begreifen.

Diese Blume hier kann sich von einem menschlichen Wesen keinen Begriff machen. Aber die Tatsache dieses Nichtwissens bedeutet keine Verneinung der Existenz des Menschen.

Wenn die Materialisten nicht an die Existenz der Seele glauben, so ist ihr Unglaube ebenfalls kein Beweis dafür, daß es kein Reich des Geistes gibt. Durch die Existenz der Intelligenz des Menschen wird seine Unsterblichkeit bewiesen. Ja noch mehr: die Dunkelheit beweist das Vorhandensein des Lichts, denn ohne Licht würde es keinen Schatten geben. Die Armut beweist das Vorhandensein des Reichtums, denn wie könnten wir von der Armut eine Vorstellung haben, wenn es keinen Reichtum gäbe? Die Unwissenheit ist ein Beweis, daß es Wissen gibt, denn wie könnte es ohne das Vorhandensein von Wissen Unwissenheit geben?

Die Idee der Sterblichkeit hat deshalb die Existenz der Unsterblichkeit zur Voraussetzung. Denn wenn es kein ewiges Leben gäbe, dann könnte es auch keine Vorstellung von dem Leben dieser Welt geben. Wenn der Geist nicht unsterblich wäre, wie könnten dann die Stifter der Religionen Gottes solch schreckliche Trübsale erdulden?

Warum erlitt Jesus Christus den schrecklichen Tod am Kreuz? Warum ertrug Muhammed die Verfolgungen? Warum machte sich der Báb zum höchsten Opfer? Und warum verbrachte Bahá’u’lláh die vielen Jahre Seines Lebens im Gefängnis? Wofür sollten alle diese Leiden gewesen sein, wenn nicht zum Beweis der ewigen Fortdauer des Geistes?

Christus litt und nahm alle Trübsale auf sich, weil Er sich der Unsterblichkeit Seines Geistes bewußt war. Wenn ein Mensch darüber nachdenkt, dann wird er die geistige Bedeutung des Gesetzes der Entwickelung verstehen. Er wird begreifen, wie sich alles von der niedrigsten bis zur höchsten Stufe entfaltet.

Wer über dies alles nachdenkt und dann noch glauben kann, daß der große [Seite 93] Entwickelungsplan der Schöpfung plötzlich aufhört, und die fortschreitende Entwickelung ein solch unangemessenes Ende nimmt, ist eben ein Mensch ohne Intelligenz.

Die Materialisten, die in dieser Weise urteilen und behaupten, daß wir unfähig seien, die Welt des Geistes oder die Segnungen Gottes wahrzunehmen, sind sicherlich wie die unverständigen Tiere. Sie haben Augen und sehen nicht. Sie haben Ohren und hören nicht. Dieser Mangel an Gesicht und Gehör ist ein Beweis ihres niederen Zustandes. Es sind Wesen, von welchen wir auch im Koran lesen: „Sie sind Menschen, die dem Geiste gegenüber blind und taub sind.“ Sie gebrauchen die große Gabe Gottes, die Macht des Verstandes nicht, durch die sie mit den Augen des Geistes sehen und mit den geistigen Ohren hören, oder es mit einem göttlichen Herzen verstehen können.

Die Tatsache, daß das materialistische Denken unfähig ist, die Idee des ewigen Lebens zu erfassen, ist kein Beweis von der Nichtexistenz dieses Lebens. Das Verständnis für jenes andere Leben ist von unserer göttlich-geistigen Geburt abhängig.

Mein Gebet für euch ist, daß sich eure geistigen Fähigkeiten und Bestrebungen täglich mehren möchten, und daß ihr den materiellen Sinnen nie gestattet, euch die Augen gegenüber den Herrlichkeiten der himmlischen Erleuchtung zu verhüllen.“

(Aus „Ansprachen ‘Abdu’l-Bahás in Paris“ Seite 94-101.)

(Fortsetzung folgt)



Göttliche Lebenskunst[Bearbeiten]

Aus den Schriften von ‘Abdu’l-Bahá

Zusammengestellt von Mary M. Rabb (Neuyork, Brentanos Publishers)


1. Kapitel.

Über die Wiedergeburt

Willkomm und Friede über dir! Ich wünsche dir nicht die zeitliche Stärke des vergänglichen Körpers, sondern die ewige Stärke der unsterblichen Seele. Manche Menschen können mit vorbereiteten Lampen verglichen werden, die nur auf den Atem des Geistes warten, um aufzuleuchten, während andere noch unvorbereitet sind. Es gibt Holz, das sofort entflammt werden kann, und es gibt feuchtes, nasses Holz, das erst erwärmt werden muß, ehe die Flamme in das Innere dringen kann. Auch gibt es Holz, so hart wie Stein, und wahrlich, vergeblich wird Hitze und Flamme es berühren. Manche Herzen müssen beackert werden, ehe die Saat gesät werden kann. Manche Pflanzen nehmen Wasser aus der Erde auf, andere bleiben dürr, Öffnet eure Herzen, daß sie gefüllt werden mögen; öffnet eure Seelen, daß das göttliche Licht hineinscheinen möge. Strebet, strebet, um den Geist der Wahrheit zu erlangen. Wahrheit erwartet euren Ruf.

Manche Menschen mit ernsten Krankheiten gehen von einem berühmten Arzt zum anderen, aber sie werden nicht geheilt, denn die Macht ist bei dem Göttlichen. So ist es mit deiner Seele. Dein Herz ist rein und der Geist kann hineinziehen. Trenne dich von der Welt. Bete in dem Größten Namen, dann wird der Odem der Wahrheit und eine Flut von Licht in deine suchende Seele einziehen. Auf Erden und im ganzen Universum ist nichts anderes, was des Suchens wert wäre.

Ja, bleibe hier. Dein Zimmer wird keine weltlichen Bequemlichkeiten haben, aber erfüllt sein von der Liebe Gottes. Während eines schrecklichen Sturmes wanderte Christus auf dem Berge und suchte eine Zuflucht; eine Höhle von wilden Tieren war alles, was Er fand, und Er war der geliebte Sohn Gottes. Die ganze Welt war sein, aber kein weltlicher Reichtum.

Der Geist wird zu dir kommen mit vermehrter Kraft, denn dein Sein muß wie ein Tempel werden, in dem die Wahrheit Gottes wohnen kann.

Lobpreis dem Königreiche Gottes! Selbst wenn du in jedem Augenblick Gott tausendmal danktest für die Gnade, in diesem, dem wunderbarsten Jahrhundert geboren zu sein, und für die große Gunst, daß du in das [Seite 94] gelobte Land kommen durftest, so wäre selbst dies nicht genug Dank.

Dein Glaube ist wie Regen; die ersten Tropfen fallen langsam, aber bald ergießt er sich in Strömen. Dein Glaube ist auch wie eine Saat, die ihre Früchte tragen wird. Leben und Stärke eines Baumes beurteilen wir nach seinem Wachstum; ebenso ist es mit dem Menschen. Die Erkenntnis Gottes erhebt sich in den Herzen wie die Sonne, sie steigt und steigt und verbreitet unvergängliches Licht.

Du mußt im Geiste wiedergeboren werden. Ein Kind im Mutterleib hat Augen und Ohren, lernt sie aber erst gebrauchen, wenn es geboren ist. Fin Mensch kann den Geist nicht begreifen, ehe er weltliche Dinge beiseitegelegt hat.

All die Jahrhunderte sind die Vorbereitung für das zwanzigste. Der tiefste Wunsch vieler großer Menschen war es, in dieser neuen Zeit zu leben ... In früheren Zeiten waren die Leute glücklich, wenn sie im selben Zeitraum mit einem Heiligen leben durften. Wie viel größer ist dein Privilegium! Den Leuten damals war eine Fackel, dir aber ist die Sonne gegeben.

Der Geist erscheint wie ein Bächlein, wenn die Erde die Seele erfüllt. Lege das Irdische ab, und mächtige Ströme lebenden Wassers werden durch deinen befreiten Körper ziehen.

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Wenn auch das Leben der Geschöpfe Leben genannt wird, so ist es doch in Wirklichkeit, verglichen mit dem Leben der Kinder des Königreiches, kein Leben; es ist im Gegenteil der Tod.

Zum Beispiel enthält ein Mineral Leben, aber dieses Leben ist, verglichen mit dem Leben der Pflanzen, Tod; und gleicherweise ist das Leben der Pflanzen im Vergleich zum Leben der Tiere Tod; und gleicherweise ist das Leben der menschlichen Wesen im Vergleich zum Leben der Kinder des Königreiches Tod. Darum sagte Christus: „Laßt die Toten ihre Toten begraben, denn was aus dem Fleisch geboren ist, ist Fleisch, und wer aus dem Geiste geboren ist, ist Geist.“

Darum ist es klar, daß Leben (im wahren Sinne) das Leben des Geistes ist, daß Leben die Liebe zu Gott, göttliche Inspiration, geistige Freuden und die frohen Botschaften von Gott bedeutet. Suche, o Diener Gottes, dieses Leben, bis du Tag und Nacht in grenzenloser Freude verharrst.

————

Das Leben des Menschen wird in dieser Welt schließlich zu Ende gehen. Wir müssen alle aus diesem Leben Früchte gewinnen. Der Baum der Existenz eines jeden muß Früchte tragen. Wenn ein Baum keine Früchte hat, muß er gefällt und verbrannt werden, zu anderem ist er nichts nütze.

Frage: „Was ist die Frucht vom menschlichen Baum?“

Antwort: „Es ist die Liebe zu Gott, es ist die Liebe zur Menschheit, es ist, allen Menschen der Welt Gutes zu wünschen, es ist Dienst an der Menschheit, es ist Wahrhaftigkeit und Ehrlichkeit, es ist Tugend und gute Moral, es ist Ergebung in Gott, es ist die Erziehung der Seelen; so sind die Früchte vom Baume des Menschen. Ohne diese ist er Holz und nichts anderes.“

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Das Herz muß notwendigerweise geistig sein. Ein Baum muß fruchtbar sein; er mag sehr groß und üppig grün sein und doch keine Früchte tragen. Die Früchte des Baumes vom menschlichen Leben sind die Liebe Gottes, magnetische, geistige Empfänglichkeit, himmlische Erleuchtung, Erkenntnis Gottes, lobenswerte Eigenschaften, gute Moral und gutes Betragen. Ein Mensch, dessen Lebensbaum solche Früchte hervorbringt, ist ein Bahá’i; sonst ist er von irdischer Erde, mit sich selbst beschäftigt, folgt den Befehlen seiner eigenen Wünsche und ist Mensch nur dem Namen nach. Wie Christus sagt: „An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen.“

————

Wenn die Frucht der Existenz des Menschen nicht Dienst ist an der Schwelle des Allmächtigen, so erkläre ich bei dem lebendigen, selbstbestehenden Gott, daß Leben Tod ist, Existenz Nichtexistenz, Nichtsein besser als Sein, Vergnügen Pein, Freude Schmerz und Unsterblichkeit Sterblichkeit. An diesem Hofe müssen wir demütig und gelassen sein, tätig und fortschrittlich, hellwach und gedankenvoll, vornehm und gut, gerade und strebsam. Dies ist das Ergebnis des Lebens! Dies ist die Frucht des unaufhörlichen Bestrebens! Dies ist der Preis, der [Seite 95] gewonnen werden soll! Dies ist die Erleuchtung der Welt der Menschheit! Dies ist das ewige Leben! Dies ist die Erhabenheit der menschlichen Natur! Dies ist der himmlische Ruhm! Dies ist die strahlende Krone vom Königreich Abhá! (Der höchsten Schönheit.)

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Die Welt ist sterblich. In einem Augenblick wird sie vergehen; aber der Grundsatz von Ungezwungenheit und Ruhe ist die Seele der ewigen Welt. Wirkliches Leben ist das Leben des Geistes, während der Körper sterben muß, wenn sein Licht herabgebrannt ist. Darum — wie gering ist seine Wichtigkeit!

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Wisse wahrlich, Gott hat die Einsicht der Sehkraft vorgezogen; denn die Sehkraft nimmt die materiellen Dinge wahr, während die Einsicht das Geistige erfaßt. Jene bezeugt die irdische Welt, während diese die Welt des Königreiches erkennt. Das Urteil der Sehkraft ist zeitlich, aber die Vision der Einsicht ist immerwährend.

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Ich hoffe, daß sich bestimmte Seelen erheben und zu leuchtenden Lampen werden für die Welt der Menschheit und zu gnadenvollem Geiste für den wunderbaren Körper; daß sie die Ursache werden mögen zur Reinigung der Seelen und das Mittel zur Heiligung der Herzen; — daß sie diese Welt als fliehenden Schatten erkennen mögen und die Ruhe und Behaglichkeit, die Vergnügungen und Annehmlichkeiten, Reichtum und Macht der Welt als Wogen vom Meer der Einbildungen; daß sie sich in solcher Weise erheben und nach den göttlichen Lehren und Ermahnungen Bahá’u’lláhs leben, daß sie wie der Morgenstern vom Horizont der Heiligkeit strahlen.

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Worte von Bahá’u’lláh:

O meine Diener! Die ewige Schönheit befiehlt: Eilet zur Unsterblichkeit, Nähe und Gnade, weg von Wünschen, von Entfernung und Achtlosigkeit. Seid ergeben wie die Erde, so daß die duftenden, heiligen, vielfarbenen Blüten Meiner Erkenntnis aus dem Boden der Existenz sprießen mögen. Seid entflammt wie das Feuer, so daß ihr die dichten Schleier zu verbrennen und die kalten und verhüllten Körper zu erquicken und beleben vermöget durch die Wärme der göttlichen Liebe. Seid rein wie die Luft, daß ihr in die heilige Stätte Meiner Freundschaft eintreten möget.

O Diener! Wenn ihr Kenntnis hättet von den Wundern Meiner Großmut und Gnade, welche Ich in euch gelegt habe, so würdet ihr euch sicherlich nach allen Richtungen frei machen, und wenn ihr euer eigenes Selbst zu erkennen sucht, das identisch ist mit der Erkenntnis Meines Wesens, so werdet ihr finden, daß ihr unabhängig seid von allem außer Mir, und ihr werdet den Ozean Meiner Vorsehung und die Tiefe Meiner Wohltaten in euch selbst erkennen, mit euren äußeren und inneren Augen, so offenbar und klar, wie die Sonne vom Namen Abhá (der höchsten Schönheit) scheint. Verderbt euch nicht diese höchst wundervolle, heilige Stufe durch die Eingebungen des Aberglaubens und der Blindheit. Ihr seid wie ein Vogel, der in aller Freude und allem Duft in größter Sicherheit in der heiteren Luft des Gepriesenen Einen umherschwebt. In der trügerischen Hoffnung auf Körner wendet er sich dann der Erde zu, und trotz alles Eifers beschmutzt er sich nur mit Staub und Kot. Wenn er dann versucht, wieder aufzufliegen, ist er dazu unfähig und sieht sich als Gefangenen, denn so lange die Schwingen mit Wasser und Schmutz bedeckt sind, sind sie zum Fluge unfähig. So findet sich denn dieser Vogel des erhabenen Himmels als Bewohner der sterblichen Erde!

Nun, o Diener, beschmutzt eure Schwingen nicht mit dem Kot der Achtlosigkeit und der Einbildungen und mit dem Staub von Feindseligkeit und Groll, so daß ihr nicht beraubt und verhindert sein möget, euch in den heiligen Himmel der Erkenntnis emporzuschwingen.

O Diener! Wenn ihr Sehkraft besitzt, so tretet ein in die Stadt des Sehens. Wenn ihr von den Hörenden seid, so schreitet in das Land des Hörens. Und wenn ihr Herzen habt, so wählet eure Stätte in der Feste der Sicheren, so daß ihr in diesen dunklen Tagen nicht abgehalten sein möget, die Lichter von der Schönheit des Allerschönsten zu bezeugen...

O Diener! Schreibet die Ermahnungen des Geistes mit der Feder der Ergebung und der [Seite 96] Tinte der Unterwerfung auf die Tafel eures Herzens und seid ihnen immer zugewandt, damit ihr nicht einen einzigen Buchstaben davon vernachlässigt, und nähert euch dem Wahrhaftigen mit aller Anstrengung, euch von allem außer ihm abwendend. Denn dies ist die Wurzel vom Blatt des Befehles, der auf dem göttlichen Baume gewachsen ist...

Diese Welt ist eine Schaustellung ohne Wirklichkeit und eine Nichtexistenz, in die Form einer Existenz gekleidet. Hänget eure Herzen nicht daran und seid nicht von denen, die achtlos sind.

Wahrlich, Ich sage, die Welt ist wie ein Spiegel, der Wasser widerspiegelt. Die Dürstenden suchen es mit vielen Anstrengungen, aber wenn sie es erreichen, bleibt ihr Sehnen ungestillt. Und weiter ist sie wie das Bild einer Geliebten ohne Leben und Seele; wenn der Liebende zu ihm gelangt, findet er, daß es keinen Wert und Gehalt hat, es gibt ihm nichts als großen Schmerz und Verzweiflung.


————


Zu Beginn seines Lebens war der Mensch im Mutterleibe. In der Welt des Mutterleibes erhielt er Fähigkeiten und Vorbereitung für diese Welt. Die für diese Welt notwendigen Kräfte und Fähigkeiten erlangte er dort. In dieser Welt brauchte er Augen; er erhielt sie, potentiell, in der andern. Er brauchte Ohren, darum erhielt er sie, potentiell, in der Welt des Mutterleibes. Alle Fähigkeiten, deren er in dieser Welt bedurfte, erreicht er potentiell in der Welt des Mutterleibes. In der Welt des Mutterleibes wurde er darum vorbereitet für diese Welt; so fand er, als er in diese Welt kam, daß alle notwendigen Kräfte für ihn vorbereitet waren.

Darum muß er sich in dieser Welt auch vorbereiten und reif werden für das Leben nachher. Das, was er in der Welt des Königreiches braucht, muß er hier erlangen. Gerade wie er sich durch die Erwerbung der notwendigen Kräfte für diese Welt in der Welt des Mutterleibes vorbereitete, ist es notwendig, daß er sich in gleicher Weise für das Königreich vorbereite, — die Kräfte, die er dort braucht, muß er hier erlangen.

Was braucht er im Königreich, nachdem er in die andere Welt versetzt worden ist? Jene Welt ist eine Welt der Heiligkeit; darum ist es notwendig, daß er Heiligkeit in dieser Welt erlange. In jener Welt ist Leuchten notwendig, darum muß Leuchten in dieser Welt erlangt werden. In jener Welt ist Geistigkeit notwendig; darum muß er sie in dieser Welt erlangen. In jener Welt ist Glaube und Sicherheit, die Erkenntnis Gottes, die Liebe zu Gott notwendig. Diese muß er in dieser Welt erlangen, so daß er finden wird, nachdem er von dieser sterblichen zu der unsterblichen aufgestiegen ist, daß alles, was in diesem ewigen Leben notwendig ist, für ihn bereit ist.

Es ist selbstverständlich, daß jene Welt eine Welt des Lichtes ist; darum ist Erleuchtung notwendig. Jene Welt ist eine Welt der Liebe, folglich ist Liebe zu Gott notwendig. Jene Welt ist eine Welt der Vollkommenheit: vollendet gute Eigenschaften müssen erlangt werden. Jene Welt ist eine Welt des Atems des heiligen Geistes, und in dieser Welt muß die Berührung mit Ihm erlangt werden. Jene Welt ist eine Welt des ewigen Lebens. In dieser Welt muß der Mensch es erreichen. Aber wie kann er das? Durch welches Mittel kann er diese Dinge erreichen? Wie kann er diese gnadenvolle Macht erlangen?

Erstens durch die Erkenntnis Gottes. Zweitens durch die Liebe zu Gott. Drittens durch Glauben. Viertens durch menschenfreundliche Taten. Fünftens durch Selbstaufopferung. Sechstens durch Trennung von dieser Welt. Siebtens durch Heiligkeit. Wenn er nicht diese Kräfte erlangt, wenn er nicht diese Forderungen erfüllt, so wird er sicherlich vom ewigen Leben enttäuscht sein. Aber wenn er die Erkenntnis Gottes erlangt, wenn er durch das Feuer der Liebe Gottes entzündet wird, die großen und mächtigen Zeichen bezeugt, die Ursache von Liebe unter den Menschen wird, und in äußerster Heiligkeit lebt, wird er sicherlich die zweite Geburt erreichen, wird mit dem heiligen Geiste getauft werden und ewiges Leben haben.


In der Sonne der Wahrheit finden nur solche Manuskripte Veröffentlichung, bezüglich deren Weiterverbreitung keine Vorbehalte gemacht werden. — Anfragen, schriftliche Beiträge und alle die Schriftleitung betreffenden Zuschriften beliebe man an die Schriftleitung: Stuttgart, Alexanderstr. 3 zu senden. — Bestellungen von Abonnements, Büchern und Broschüren sowie Geldsendungen sind an das Bahá’i-Bureau Stuttgart, Alexanderstr. 3, Nebengebäude, zu richten.


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Geschichte und Bedeutung der Bahá’i-Lehre[Bearbeiten]

Die Bahá’i-Bewegung tritt vor allem ein für die „Universale Religion" und den „Universalen Frieden“ — die Hoffnung aller Zeitalter. Sie zeigt den Weg und die Mittel, die zur Einigung der Menschheit unter dem hohen Banner der Liebe, Wahrheit, Gerechtigkeit und Barmherzigkeit führen. Sie ist göttlich ihrem Ursprung nach, menschlich in ihrer Darstellung, praktisch für jede Lebenslage. In Glaubenssachen gilt bei ihr nichts als die Wahrheit, in den Handlungen nichts als das Gute, in ihren Beziehungen zu den Menschen nichts als liebevoller Dienst.

Zur Aufklärung für diejenigen, die noch wenig oder nichts von der Bahá’i-Bewegung wissen, führen wir hier Folgendes an: „Die Bahá’i-Religion ging aus dem Babismus hervor. Sie ist die Religion der Nachfolger Bahá’u’lláhs. Mirza Hussein Ali Nuri (welches sein eigentlicher Name war) wurde im Jahre 1817 in Teheran (Persien) geboren. Vom Jahr 1844 an war er einer der angesehensten Anhänger des Bab und widmete sich der Verbreitung seiner Lehren in Persien. Nach dem Märtyrertod des Bab wurde er mit den Hauptanhängern desselben von der türkischen Regierung nach Bagdad und später nach Konstantinopel und Adrianopel verbannt. In Bagdad verkündete er seine göttliche Sendung (als „Der, den Gott offenbaren werde") und erklärte, daß er der sei, den der Bab in seinen Schriften als die „Große Manifestation", die in den letzten Tagen kommen werde, angekündigt und verheißen hatte. In seinen Briefen an die Regenten der bedeutendsten Staaten Europas forderte er diese auf, sie möchten ihm bei der Hochhaltung der Religion und bei der Einführung des universalen Friedens beistehen. Nach dem öffentlichen Hervortreten Bahá’u’lláhs wurden seine Anhänger, die ihn als den Verheißenen anerkannten, Bahá’i (Kinder des Lichts) genannt. Im Jahr 1868 wurde Bahá’u’lláh vom Sultan der Türkei nach Akka in Syrien verbannt, wo er den größten Teil seiner lehrreichen Werke verfaßte und wo er am 28. Mai 1892 starb. Zuvor übertrug er seinem Sohn Abbas Effendi ('Abdu'l-Bahá) die Verbreitung seiner Lehre und bestimmte ihn zum Mittelpunkt und Lehrer für alle Bahá’i der Welt.

Es gibt nicht nur in den mohammedanischen Ländern Bahá’i, sondern auch in allen Ländern Europas, sowie in Amerika, Japan, Indien, China usw. Dies kommt daher, daß Bahá’u’lláh den Babismus, der mehr nationale Bedeutung hatte, in eine universale Religion umwandelte, die als die Erfüllung und Vollendung aller bisherigen Religionen gelten kann. Die Juden erwarten den Messias, die Christen das Wiederkommen Christi, die Mohammedaner den Mahdi, die Buddhisten den fünften Buddha, die Zoroastrier den Schah Bahram, die Hindus die Wiederverkörperung Krischnas und die Atheisten — eine bessere soziale Organisation.

In Bahá’u’lláh sind alle diese Erwartungen erfüllt. Seine Lehre beseitigt alle Eifersucht und Feindseligkeit, die zwischen den verschiedenen Religionen besteht; sie befreit die Religionen von ihren Verfälschungen, die im Lauf der Zeit durch Einführung von Dogmen und Riten entstanden und bringt sie alle durch Wiederherstellung ihrer ursprünglichen Reinheit in Einklang. Das einzige Dogma der Lehre ist der Glaube an den einigen Gott und an seine Manifestationen (Zoroaster, Buddha, Mose, Jesus, Mohammed, Bahá’u’lláh).

Die Hauptschriften Bahá’u’lláhs sind der Kitab el Ighan (Buch der Gewißheit), der Kitab el Akdas (größtes heiliges Buch), der Kitab el Ahd (Buch des Bundes) und zahlreiche Sendschreiben, genannt „Tablets“, die er an die wichtigsten Herrscher oder an Privatpersonen richtete. Rituale haben keinen Platz in dieser Religion; letztere muß vielmehr in allen Handlungen des Lebens zum Ausdruck kommen und in wahrer Gottes- und Nächstenliebe gipfeln. Jedermann muß einen Beruf haben und ihn ausüben. Gute Erziehung der Kinder ist zur Pflicht gemacht und geregelt.

Streitfragen, welche nicht anders beigelegt werden können, sind der Entscheidung des Zivilgesetzes jeden Landes und dem Bait’ul’Adl oder „Haus der Gerechtigkeit“, das durch Bahá’u’lláh eingesetzt wurde, unterworfen. Achtung gegenüber jeder Regierungs- und Staatseinrichtung ist als einem Teil der Achtung, die wir Gott schulden, gefordert. Um die Kriege aus der Welt zu schaffen, ist ein internationaler Schiedsgerichtshof zu errichten. Auch soll neben der Muttersprache eine universale Einheitssprache eingeführt werden. „Ihr seid alle die Blätter eines Baumes und die Tropfen eines Meeres“ sagt Bahá’u’lláh.

Es ist also weniger die Einführung einer neuen Religion, als die Erneuerung und Vereinigung aller Religionen, was heute von 'Abdu'l-Bahá erstrebt wird. (Vgl. Nouveau, Larousse, illustré supplement, Seite 66.)


[Seite 98]


Verlag des Deutschen Bahá’i-Bundes G.m.b.H., Stuttgart

Fernsprecher Nr. 26168 / Postscheckkonto 25419 Stuttgart / Alexanderstr. 3, Nebengebäude

In unserem Verlag sind erschienen:


Bücher:

Verborgene Worte von Bahá’u’lláh. Worte der Weisheit und Gebete . . . —.80

Bahá’u’lláh, Frohe Botschaften, Worte des Paradieses, Tablet Tarasat, Tablet Taschalliat, Tablet Ischrakat. In Halbleinen gebunden . . . . . 2.00

in feinstem Ganzleinen gebunden . . . . . 2.50

'Abdu'l-Bahá Abbas, Ansprachen in Paris über die Bahá’i-Lehre . . . . . . 2.50

Geschichte und Wahrheitsbeweise der Bahá’i-Religion, von Mirza Abul Fazl. . . . . 2.50

'Abdu'l-Bahá Abbas’ Leben und Lehren, von Myron H. Phelps. In Ganzleinen gebunden . . . . . 3.--

Die Bahá’i-Offenbarung, ein Lehrbuch von Thornton Chase. Kartoniert M. 3.--, in Halbleinen gebunden . . . . 3.50

Bahá’u’lláh und das neue Zeitalter, ein Lehrbuch von Dr. J. E. Esslemont. In Ganzleinen gebunden . . . . . 3.50

Beantwortete Fragen 'Abdu'l-Bahá Abbas', gesammelt von L. Clifford Barney . . . . 3.50


Broschüren:

Einheitsreligion. Ihre Wirkung auf Staat, Erziehung, Sozialpolitik, Frauenrechte und die einzelne Persönlichkeit. Von Dr. jur. H. Dreyfus . . . -.30

Das Hinscheiden 'Abdu'l-Bahás, ("The Passing of 'Abdu'l-Bahá") . . . -.30

Das neue Zeitalter von Ch. M. Remey . . . . —.30

Die soziale Frage und ihre Lösung im Sinne der Bahá’i-Lehre von Dr. Hermann Grossmann, Weinheim (Bergstrasse) . . . . —.20

Die Bahá’i-Bewegung, Geschichte, Lehren und Bedeutung. von Dr. Hermann Grossmann, Weinheim (Bergstrasse) . . . . —.20

Sonne der Wahrheit, in Halbleinen gebunden je . . . . 6.--


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