Sonne der Wahrheit/Jahrgang 12/Heft 7/Text

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SONNE

DER

WAHRHEIT
 
ORGAN DER DEUTSCHEN BAHAI
 
HEFT 7 12. JAHRGANG SEPT. 1932
 


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Abdu’l-Bahás Erläuterung der Bahá’i-Prinzipien[Bearbeiten]

1. Die ganze Menschheit muss als Einheit betrachtet werden.

Bahá’u’lláh wandte Sich an die gesamte Menschheit mit den Worten: „Ihr seid alle die Blätter eines Zweigs und die Früchte eines Baumes“. Das heißt: die Menschheit gleicht einem Baum und die Nationen oder Völker gleichen den verschiedenen Aesten und Zweigen; die einzelnen Menschen aber gleichen den Blüten und Früchten dieses Baumes. In dieser Weise stellte Bahá’u’lláh das Prinzip der Einheit der Menschheit dar. Bahá’u’lláh verkündigte die Einheit der ganzen Menschheit, er versenkte sie alle im Meer der göttlichen Gnade.


2. Alle Menschen sollen die Wahrheit selbständig erforschen.

In religiösen Fragen sollte niemand blindlings seinen Eltern und Voreltern folgen. Jeder muß mit eigenen Augen sehen, mit eigenen Ohren hören und die Wahrheit suchen, denn die Religionen sind häufig nichts anderes als Nachahmungen des von den Eltern und Voreltern übernommenen Glaubens.


3. Alle Religionen haben eine gemeinsame Grundlage.

Alle göttlichen Verordnungen beruhen auf ein und derselben Wirklichkeit. Diese Grundlage ist die Wahrheit und bildet eine Einheit, nicht eine Mehrheit. Daher beruhen alle Religionen auf einer einheitlichen Grundlage. Im Laufe der Zeit sind gewisse Formen und Zeremonien der Religion beigefügt worden. Dieses bigotte menschliche Beiwerk ist unwesentlich und nebensächlich und verursacht die Abweichungen und Streitigkeiten unter den Religionen. Wenn wir aber diese äußere Form beiseite legen und die Wirklichkeit suchen, so zeigt sich, daß es nur eine göttliche Religion gibt.


4. Die Religion muss die Ursache der Einigkeit und Eintracht unter den Menschen sein.

Die Religion ist für die Menschheit die größte göttliche Gabe, die Ursache des wahren Lebens und hohen sittlichen Wertes; sie führt den Menschen zum ewigen Leben. Die Religion sollte weder Haß und Feindschaft noch Tyrannei und Ungerechtigkeiten verursachen. Gegenüber einer Religion, die zu Mißhelligkeit und Zwietracht, zu Spaltungen und Streitigkeiten führt, wäre Religionslosigkeit vorzuziehen. Die religiösen Lehren sind für die Seele das, was die Arznei für den Kranken ist. Wenn aber ein Heilmittel die Krankheit verschlimmert, so ist es besser, es nicht anzuwenden.


5. Die Religion muss mit Wissenschaft und Vernunft übereinstimmen.

Die Religion muß mit der Wissenschaft übereinstimmen und der Vernunft entsprechen, so daß die Wissenschaft die Religion, die Religion die Wissenschaft stützt. Diese beiden müssen unauflöslich miteinander verbunden sein.


6. Mann und Frau haben gleiche Rechte.

Dies ist eine besondere Lehre Bahá’u’lláhs, denn die früheren Religionen stellen die Männer über die Frauen. Töchter und Söhne müssen gleichwertige Erziehung und Bildung genießen. Dies wird viel zum Fortschritt und zur Einigung der Menschheit beitragen.


7. Vorurteile jeglicher Art müssen abgelegt werden.

Alle Propheten Gottes kamen, um die Menschen zu einigen, nicht um sie zu trennen. Sie kamen, um das Gesetz der Liebe zu verwirklichen, nicht um Feindschaft unter sie zu bringen. Daher müssen alle Vorurteile rassischer, völkischer, politischer oder religiöser Art abgelegt werden. Wir müssen zur Ursache der Einigung der ganzen Menschheit werden.


8. Der Weltfriede muss verwirklicht werden.

Alle Menschen und Nationen sollen sich bemühen, Frieden unter sich zu schließen. Sie sollen darnach streben, daß der universale Friede zwischen allen Regierungen, Religionen, Rassen und zwischen den Bewohnern der ganzen Welt verwirklicht wird. Die Errichtung des Weltfriedens ist heutzutage die wichtigste Angelegenheit. Die Verwirklichung dieses Prinzips ist eine schreiende Notwendigkeit unserer Zeit.


9. Beide Geschlechter sollen die beste geistige und sittliche Bildung und Erziehung geniessen.

Alle Menschen müssen erzogen und belehrt werden. Eine Forderung der Religion ist, daß jedermann erzogen werde und daß er die Möglichkeit habe, Wissen und Kenntnisse zu erwerben. Die Erziehung jedes Kindes ist unerläßliche Pflicht. Für Elternlose und Unbemittelte hat die Gemeinde zu sorgen.


10. Die soziale Frage muss gelöst werden.

Keiner der früheren Religionsstifter hat die soziale Frage in so umfassender, vergeistigter Weise gelöst wie Bahá’u’lláh. Er hat Anordnungen getroffen, welche die Wohlfahrt und das Glück der ganzen Menschheit sichern. Wenn sich der Reiche eines schönen, sorglosen Lebens erfreut, so hat auch der Arme ein Anrecht auf ein trautes Heim und ein sorgenfreies Dasein. Solange die bisherigen Verhältnisse dauern, wird kein wahrhaft glücklicher Zustand für den Menschen erreicht werden. Vor Gott sind alle Menschen gleich berechtigt, vor Ihm gibt es kein Ansehen der Person; alle stehen im Schutze seiner Gerechtigkeit.


11. Es muss eine Einheitssprache und Einheitsschrift eingeführt werden.

Bahá’u’lláh befahl die Einführung einer Welteinheitssprache. Es muß aus allen Ländern ein Ausschuß zusammentreten, der zur Erleichterung des internationalen Verkehrs entweder eine schon bestehende Sprache zur Weltsprache erklären oder eine neue Sprache als Weltsprache schaffen soll; diese Sprache muß in allen Schulen und Hochschulen der Welt gelehrt werden, damit dann niemand mehr nötig hat, außer dieser Sprache und seiner Muttersprache eine weitere zu erlernen.


12. Es muss ein Weltschiedsgerichtshof eingesetzt werden.

Nach dem Gebot Gottes soll durch das ernstliche Bestreben aller Menschen ein Weltschiedsgerichtshof geschaffen werden, der die Streitigkeiten aller Nationen schlichten soll und dessen Entscheidung sich jedermann unterzuordnen hat.

Vor mehr als 50 Jahren befahl Bahá’u’lláh der Menschheit, den Weltfrieden aufzurichten und rief alle Nationen zum „internationalen Ausgleich“, damit alle Grenzfragen sowie die Fragen nationaler Ehre, nationalen Eigentums und aller internationalen Lebensinteressen durch ein schiedsrichterliches „Haus der Gerechtigkeit" entschieden werden können.

Bahá’u’lláh verkündigte diese Prinzipien allen Herrschern der Welt. Sie sind der Geist und das Licht dieses Zeitalters. Von ihrer Verwirklichung hängt das Wohlergehen für unsere Zeit und das der gesamten Menschheit ab.


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SONNE DER WAHRHEIT
Organ der deutschen Bahá’i
Verantwortliche Schriftleitung: Alice Schwarz-Solivo, Stuttgart, Alexanderstraße 3
Preis vierteljährlich 1.80 Goldmark, im Ausland 2.– Goldmark
Heft 7 Stuttgart, im September 1932
’Izzat — Macht 89
12. Jahrgang

Motto: Einheit der Menschheit — Universaler Friede — Universale Religion


Inhalt: Tablet von ‘Abdu’l-Bahá. — Das Leben nach dem Tode. — Weltgericht. — Bahaiyyih Khanum – das Größte heilige Blatt †. — Das Hinscheiden des Größten Heiligen Blattes. — Stolz oder Ehrfurcht.



Gebet

O Gott, mein Gott! Du siehst mein Verlangen und mein Streben zu Dir und mein Festhalten an Deinem festlichen Gewand. — Erleuchte mein äußeres und mein inneres Wesen mit dem Lichte Deiner Erkenntnis. — O mein Gott! Beraube mich nicht dessen, was Du für Deine Erwählten bestimmt, und verhülle mir nicht, was Du in Deinem Buche geoffenbart hast. —

O mein Gott! Ich bitte Dich bei dem Wort, durch das die Berge des Aberglaubens fallen und die Himmel der Religionen sich spalten, hilf mir, so treu zu Deiner Heiligen Sache zu stehen und so standhaft in der Liebe zu Dir zu verharren, daß der Ruf der Irreführenden mich nicht davon abzuhalten vermag, mich Deinem Horizonte zu nähern, noch daß die Übertretung der Treulosen mich daran hindern kann, mich fest an Dein Buch zu halten. — Wahrlich, Du hast die Macht, alles zu tun, was Du willst. Du bist der alleinige Gott, der Allwissende, der Weise!

(‘Abdu’l-Bahá Abbas)



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Tablet von ‘Abdu'l-Bahá[Bearbeiten]

(Schluß)

An die Zentralorganisation für einen dauernden Frieden

An das Sekretariat, 19. Prinsessegracht, Den Haag, Holland


Anhang:

Vor einiger Zeit, während des Kriegs, wurde ein Brief geschrieben über die Lehren Seiner Heiligkeit Bahá’u’lláh, der geeigneterweise dieser Epistel beigefügt sein möge:


Er ist Gott!

O ihr Völker der Welt! Das Dämmern der Sonne der Wirklichkeit ist eine Gewißheit für die Erleuchtung der Welt und für die Offenbarung der Gnade. In der Vereinigung der Familie Adams zeigen sich lobenswerte Ergebnisse und Früchte, und die heiligen Gaben einer jeden Gnadenfülle sind im Überfluß geschenkt. Sie ist eine unumschränkte Barmherzigkeit und ein vollkommenes Gnadengeschenk: die Erleuchtung der Welt, Kameradschaft und Harmonie, Liebe und Vereinigung; ja viel mehr: Erbarmen und Einheit, die Ausmerzung von Hader und die Einigkeit aller derer, die auf Erden sind, in größter Freiheit und Würde. Die Gesegnete Schönheit sagte: „Alle sind die Früchte eines Baumes und die Blätter eines Zweiges”. Er verglich die Welt des Daseins mit einem Baum und alle Menschen mit Blättern, Blüten und Früchten. Deshalb müssen alle Zweige, Blätter, Blüten und Früchte in größter Frische dastehen, und die Entfaltung dieser Köstlichkeit und Süße hängt von Einheit und Kameradschaft ab. Deshalb müssen sie mit aller Kraft einander helfen und ewiges Leben suchen. So müssen die Freunde Gottes die Barmherzigkeit des mitleidigen Herrn in der Welt des Daseins offenbaren und müssen die Gnadenfülle des sichtbaren und unsichtbaren Königs verkünden. Sie müssen ihre Anschauung läutern und auf die Menschheit als auf die Blätter, Blüten und Früchte am Baume der Schöpfung blicken, und sie müssen stets daran denken, jemandem Gutes zu erweisen in Liebe, Rücksicht, Zuneigung und Hilfe für den Nächsten. Sie dürfen keinen Feind sehen und niemanden als übelwollend betrachten. Sie müssen jedermann auf Erden als Freund betrachten, den Fremden als Vertrauten und den Andersartigen als Genossen. Sie sollen durch kein Band gebunden sein, sondern vielmehr frei werden von jeder Fessel. An diesem Tage ist der, welcher auf der Schwelle der Größe begünstigt ist, auch der, welcher den Kelch der Treue darreicht und die Perle der Gaben dem Feinde gewährt, ja selbst dem gefallenen Bedrücker die hilfreiche Hand reicht und jeden erbitterten Feind als liebevollen Freund erachtet.

Dies sind die Befehle der Gesegneten Schönheit, dies sind die Ratschläge des Größten Namens. O ihr lieben Freunde! Die Welt ist in Krieg und Streit verstrickt, und die Menschheit steht in größtem Konflikt und in Gefahr. Die Dunkelheit der Treulosigkeit hat die Erde umhüllt und das Leuchten der Treue ist verborgen. Alle Nationen und Stämme der Welt haben ihre Klauen geschärft und kämpfen und fechten miteinander. Das Gebäude der Menschen ist erschüttert. Tausende Familien wandern trostlos dahin. Tausend mal Tausende von Seelen weilen, mit Staub und Blut besudelt, auf dem Schlacht- und Kampffeld Jahr um Jahr, und das Zelt des Glücks und des Lebens ist niedergerissen. Prominente Männer werden Befehlshaber und rühmen sich ihres Blutvergießens und sehen ihren Ruhm in der Zerstörung. Der eine sagt: „Ich habe mit meinem Schwert das Haupt vom Rumpf einer Nation getrennt“ und ein anderer: „Ich habe ein Königreich dem Erdboden gleich gemacht“ und wieder ein anderer: „Ich habe die Grundlagen einer Regierung gestürzt“. Dies ist die Achse, um die sich Stolz und Ruhm der Menschheit drehen. In allen Ländern sind Freundschaft und Rechtschaffenheit an den Pranger gestellt, und Versöhnung und Achtung vor der Wahrheit werden verschmäht. Der Herold des Friedens, der Umgestaltung, der Liebe und der Versöhnung ist die Religion der Gesegneten Schönheit, die ihr Zelt auf dem Gipfel der Welt errichtet hat und die ihre Forderungen allen Völkern der Welt verkündet.

Wohlan denn, ihr Freunde Gottes! Schätzet den Wert dieser erhabenen Offenbarung, [Seite 75] regt euch und handelt im Einklang mit ihr und wandelt die gerade Strecke und den richtigen Weg! Weist ihn den Menschen! Singt das Lied vom Königreich und verkündet weit und breit die Lehren und Anweisungen des liebevollen Vaters, auf daß diese Welt eine andere Welt werde, die verdunkelte Erde erleuchtet werde und der tote Körper der Menschheit neues Leben erlange. Jeder Mensch möge ewiges Leben erwerben durch den Hauch des Barmherzigen. Das Leben in dieser vergänglichen Welt ist schnell zu Ende und dieser Erde Ruhm, Reichtum, Behaglichkeit und Glück schwindet rasch dahin und ist nicht mehr. Entbietet die Menschen zu Gott und ruft die Seelen zu Sitten und Betragen der erhabenen Heerscharen. Seid den Waisen ein guter Vater, den Unglücklichen eine Zuflucht und ein Obdach. Für die Armen seid eine Schatzkammer des Reichtums und den Kranken Arznei und Heilung. Seid Helfer eines jeden Bedrückten, Beschützer eines jeden Hilflosen. Seid stets bedacht, irgend einer menschlichen Seele zu dienen. Kümmert euch nicht um Eigennutz, Verwerfung, Anmaßung, Bedrückung und Feindschaft. Hasset sie nicht! Handelt im gegenteiligen Sinn! Seid in Wahrheit gütig, nicht nur dem Anschein nach und nach außen hin. Jede Seele unter den Freunden Gottes muß ihr Gemüt darauf richten, daß sie die Barmherzigkeit Gottes und die Gnadenfülle des Verzeihenden offenbare. Sie muß zu jeder Seele ihrer Umgebung gut sein und Wohltaten erweisen; dadurch wird sie die Moral fördern, die Gedanken ändern, so daß das Licht der Führung zutage treten und die Gnade Seiner Heiligkeit des Allbarmherzigen alles Leben umfassen möge. Liebe ist Licht, in welchem Hause es auch scheine, und Feindseligkeit ist Finsternis, in welcher Behausung sie auch wohnen möge.

O Freunde Gottes! Ringet darum, daß diese Finsternis ganz und gar verschwinde, das verborgene Geheimnis enthüllt und die Wirklichkeit der Dinge augenfällig und offenbar werde.

Haifa, Palästina, 17. Dezember 1919.
Übersetzer: Shoghi Rabbani, Dr. Zia M. Bagdadi, Mirza Lotfullah Hakim, Dr. J. E. Esslemont.



Das Leben nach dem Tode.[Bearbeiten]

I. Teil.

Zusammengestellt von der Arbeitsgemeinschaft Müritz (Mecklenburg). (Schluß)


Wissenschaft und Unsterblichkeit.

Frage: „Die Wissenschaft leugnet die Unsterblichkeit. Wie erkennt der Prophet das Gegenteil?“

Antwort ‘Abdu’l-Bahás: „Die Wissenschaft weiß nichts in dieser Hinsicht, aber die Manifestation macht Entdeckungen durch die Macht des Geistes. Zum Beispiel: Ein Philosoph findet einen Weg mit Hilfe der Induktion (Schlußfolgerung) heraus. Der Prophet aber unterscheidet und erkennt ihn durch das Schauen. Ein Blinder muß seinen Weg Schritt für Schritt mit dem Stock suchen. So ergeht es auch dem Philosophen. Er gelangt durch Argumente von Voraussetzungen zu Schlüssen. Er findet also nichts durch Schauen. Aber die göttlichen Manifestationen sehen mit dem inneren Auge. Sie haben nicht nötig, auf andere Weise Entdeckungen zu machen. Der Wissenschaftler gleicht mit seiner Induktion dem Blinden, der keine zwei Schritte vor sich sehen kann. Der Prophet aber sieht auf weite Entfernung und in die Zukunft.“

(Aus „Begegnung mit 'Abdu’l-Bahá am See Genezareth“, „Sonne der Wahrheit“, Januar 1922, Seite 180.)

„O Sohn Meiner Dienerin!

Würdest du die unsterbliche Herrschaft schauen, dann würdest du darnach streben, von dieser flüchtigen Welt zu scheiden. Aber die eine dir zu verbergen und die andere zu offenbaren, ist ein Geheimnis, das nur die begreifen können, die reines Herzens sind.“ („Verborgene Worte“, Seite 39, Ziffer 41.)


Der Reichtum in der anderen Welt.

„... Da nun der Geist des Menschen, nachdem er diesen materiellen Körper abgelegt [Seite 76] hat, weiterlebt, und daher sicherlich jede Seele fähig ist, Fortschritte zu machen, so ist es erlaubt, für einen Verstorbenen um Förderung, Vergebung, Gnade, Wohlergehen und Segen zu bitten, und dies schon deshalb, weil die Existenz entwickelungsfähig ist. Aus diesem Grunde ist in den Gebeten Bahá’u’lláhs für die Verstorbenen die Bitte um Vergebung der Sünden enthalten. Wenn die Menschen überdies ihres Gottes in dieser Welt bedürfen, so werden sie Ihn auch in der anderen Welt nötig haben. Die Geschöpfe haben ihren Gott immer nötig. Gott aber ist absolut unabhängig, sowohl in dieser als in der anderen Welt.

Der Reichtum in der anderen Welt besteht in der Nähe Gottes. Daher ist es sicher, daß es denjenigen, die in der Nähe Gottes sind, erlaubt ist, zu vermitteln, und diese Vermittlung ist von Gott gebilligt. Aber die Vermittlung in der anderen Welt ist eine andere als die Vermittlung in dieser Welt. Sie ist eine andere Wirklichkeit, die nicht mit Worten zum Ausdruck gebracht werden kann.

Wenn ein Reicher vor seinem Tode den Armen und Bedürftigen eine Gabe vermacht und diesen damit einen Teil seines Reichtumes schenkt, so mag es sein, daß diese Tat zur Ursache seiner Vergebung und seines Fortschrittes im göttlichen Reiche wird.

So ist es auch, wenn Vater und Mutter für ihre Kinder die größten Schwierigkeiten und Mühsale erduldet haben und dann eines Tages, wenn die Kinder erwachsen sind, in die andere Welt hinübergehen. Kaum sind sie dort angelangt, sehen sie in dieser anderen Welt die Belohnung für ihre Mühe und Sorgfalt, die sie den Kindern angedeihen ließen. Deshalb müssen auch die Kinder ihren Eltern für all diese Mühe und Sorgfalt Liebe und Dankbarkeit erzeigen und nach dem Tode derselben um Vergebung und Gnade für sie bitten. Für die Liebe und Güte, die euch von euren Eltern erzeigt wurde, seid ihr auch um ihretwillen verpflichtet, den Armen zu geben und mit größter Ergebenheit und Demut um Vergebung ihrer Sünden und um größte Gnade für sie zu bitten.

Dadurch ist es möglich, daß selbst der Zustand derjenigen, die in Sünden und Unglauben gestorben sind, verändert wird, d.h. es mag ihnen durch die Mildtätigkeit Gottes, nicht durch Seine Gerechtigkeit, Gnade zuteil werden. Denn die Gabe wird ohne Verdienst gegeben. So wie wir die Kraft haben, für die Seelen zu beten, die hier sind, so werden wir in gleicher Weise dieselbe Kraft haben in der anderen Welt, die das Königreich Gottes ist. Sind etwa nicht alle Seelen in jener Welt die Geschöpfe Gottes? Weil sie dies sind, so können sie in jener Welt auch Fortschritte machen. Wie sie hier durch ihre Gebete Licht empfangen können, so können sie auch dort um Vergebung bitten und durch anhaltendes Beten und Flehen Licht empfangen. Wie die Seelen in dieser Welt mit Hilfe demütiger Bitten und anhaltender Gebete heiliger Menschen Entwickelung erlangen können, so ist es dasselbe nach dem Tode. Durch ihre Gebete können sie auch Fortschritte machen, und dies ganz besonders, wenn sie auch noch der Gegenstand der Fürbitte der ‚heiligen Gottgesandten sind.“

(Aus „Die Vervollkommnung ist ohne Grenzen“, „Sonne der Wahrheit“, November 1925, Seite 132/133.)


Die Entwickelung besonderer Eigenschaften.

Frage: „Gibt es besondere Eigenschaften, die der Mensch in sich entwickeln soll, um nah dem Tode besondere Vorzüge oder Kräfte zu erlangen?“

Antwort ‘Abdu’l-Bahás: „Nein, der Mensch sollte alle seine Eigenschaften entwickeln, denn eine jede hat ihren besonderen Wert und ihre besondere Wirksamkeit.“

(Aus „Vom Tode und vom ewigen Leben“, „Sonne der Wahrheit“, Januar 1924, S. 164.)


Was wird aus der Seele eines unentwickelten Kindes?

„Sie ruht in der Barmherzigkeit Gottes, und durch Seine ewige Güte wird sie nie dieser Barmherzigkeit beraubt werden.“

(Aus „Zehn Tage im Lichte Akkas“, „Sonne der Wahrheit“, April 1922, Seite 21.)


Über Seelenwanderung.

So wenig die Seele eines Tieres nach dem Tode (d. h. nach der Auflösung seines Leibes) in den Körper einer Pflanze eingehen kann, ebensowenig kann die Seele eines Menschen nach seinem Tode in den Leib [Seite 77] eines Tieres eintreten. Nein, seine materielle Natur stammt aus der größten Emanationsentfernung von Gott, denn das Stoffliche ist im Emanationsbogen der äußerste Pol. Je mehr ein Geschöpf im Stofflichen gefangen ist, desto größer ist seine Entfernung von Gott im Emanationskreislauf.

Der Vollkommenheit des rein Geistigen steht die Unvollkommenheit der Materie gegenüber. Der Geist des Menschen ist im stofflichen Leib wie in einem Käfig oder in einem Gefängnis gefangen und sehnt sich bewußt oder unbewußt nach dem kosmischen Geist (d. h. Gott) zurück, dessen Ausstrahlung er ist, und der Tod (d. h. der Zerfall des Stofflichen in seine Elemente) ist die Befreiung des erlösten oder noch nicht erlösten Geistes. Hat der Geist während des irdischen Lebens seine Erlösung von der Welt und dem „ich“ nicht erlangt, so wird ihm durch die läuternde Gnade Gottes in den geistigen Welten der Ewigkeit noch Gelegenheit zur Reife und zur Vollendung gegeben . . ."

(Aus „'Abdu'l-Bahá über die Weltschöpfung“, „Sonne der Wahrheit“, April 1921.)

Frage: „Haben die Tiere nach diesem Leben eine Existenz und ist ihre Liebe und Anhänglichkeit, deren sie fähig sind, gänzlich verloren?“

Antwort 'Abdu'l-Bahás: „Die Liebe, die sich in den Tieren zeigt, ist instinktiv und nicht von ihrem eigenen Willen abhängig. Sie sind mit ihren besonderen Eigenschaften ausgestattet und gebrauchen diese nach ihrem Instinkt und nicht durch ihren Willen.

Betrachte eine Blume. Sie gibt ihre Düfte nicht durch ihren eigenen Willen, sondern sie wurde von der Natur mit denselben ausgestattet. Sie hat keine Macht, dieselben zurückzuhalten oder auszugeben. Ein Hund zeigt Anhänglichkeit durch Instinkt und nicht durch Willen. Ein Stück Brot gibt dem Körper nicht durch seinen Willen Kraft, sondern weil es muß.

Die Eigenschaften der Tiere sind ihnen von Gott gegeben. Sollte Er ihnen auch noch eine Belohnung für seine Gabe geben?

Der Mensch ist die einzige Kreatur, die eine Belohnung erhalten kann, da er die Macht besitzt, seine Liebe zu geben, oder sie zurückzuhalten. Er hat die Macht, ewiges Leben zu wählen, oder dasselbe zu verwerfen.“

(Aus „Worte ‘Abdu’l-Bahás“, „Sonne der Wahrheit“, Januar 1922, Seite 170/171.)

„Selbst der entwickeltste Hund hat nicht die unsterbliche Seele eines Menschen, aber der Hund ist auf seiner Stufe vollkommen. Du zürnest dem Rosenstrauch nicht, weil er nicht singen kann.“

(Aus „'Abdu'l-Bahá in London“, „Sonne der Wahrheit“, August 1923, Seite 85.)

Ende des I. Teils.



Weltgericht[Bearbeiten]

Von E.M. Gr.


Hörst du, wie die Wasser steigen?

Stürme brausen durch das All,

Sterne drehen sich im Reigen

Zu der Menschheit Fall...


Und dann lausch’ ich in die stille,

Unergründlich tiefe Nacht,

Fühl’ im Wanken, daß ein Wille,

Letzte Weisheit, über Welten wacht.


Kraftlos fühl’ ich meine Hände:

„Herr, sie kommen schwach und leer,

Deine Waage bringt die Wende:

‚Bleibe!‘ oder ‚Sei nicht mehr‘!“


Was erklang doch aus dem Branden,

Aus den Stürmen um mich her?:

„Jenen, die da heimwärts fanden,

Rechne ihre Schuld nicht mehr!“


Und ich schleppe meine Schritte

An das Tor der Ewigkeit

Mit der letzten, heißen Bitte:

„Frieden, Herr! Geborgenheit! ..."


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'Bahaiyyih Khanum — das Größte Heilige Blatt †[Bearbeiten]

Das Telegramm von Shoghi Effendi, das wir in der Juliausgabe veröffentlichten, kündet uns ein erschütterndes Ereignis in der Geschichte der Bahá’i-Bewegung. Ein Leben von bedeutsamer Wichtigkeit ist in aller Stille an den Gestaden Haifas erloschen. Eine Frau, die eine so große Bedeutung in der Verkündigung und in der Entwicklung einer Weltlehre hatte, die einen so dornenvollen Weg bis zu ihrem heiligen Ziel gegangen ist, hat sich die Krone des Lebens errungen. Uns Frauen im Abendland klingt es wie eine Sage, was dieses heldenhafte Herz zu tragen hatte. Wenige Einzelheiten aus ihrem Leben sind uns nur bekannt aus dem Buch von Myron H. Phelps „‘Abdu’l-Bahá’s Leben und Lehren“. Bahaiyyih Khanum war eine Gestalt von ganz großem Format; mit völliger Hingabe und Selbstverleugnung hat sie sich in den Dienst der großen Verkündigung ihres Vaters und an die Seite ‘Abdu’l-Bahá’s für die ganze Menschheit gestellt.

Ihr Bild steht als leuchtender Stern für alle Zeiten am Firmament unseres Glaubens.



Das Hinscheiden des Größten Heiligen Blattes[Bearbeiten]

Nachruf von Shogbi Effendi

Glaubensbrüder und Mittrauernde in der heiligen Sache Bahá’u’lláhs.

Ein Leid, das in seiner Größe dem tiefen Schmerz, den ‘Abdu’l-Bahás Tod uns gebracht hat, als Er so plötzlich aus unserer Mitte entrückt wurde, gleichkommt, hat die Bahá’i-Welt bis in ihre Fundamente erschüttert. Das Größte Heilige Blatt, die vielgeliebte und unschätzbare, ehrwürdige Tochter von Bahá’u’lláh, die unseren schwachen und unwürdigen Händen durch unseren dahingegangenen Meister anvertraut wurde, — ein Vermächtnis, das keine Zeit verdunkeln kann —, ist in das Ewige All eingegangen.

Die Gemeinschaft, die den Größten Namen auf ihrem Banner trägt, als solche und bis auf den letzten herab, fühlt den Schmerz dieses herben Verlustes. So unabwendbar dieses schmerzliche Ereignis vor uns stand, so klar wir das sichere Herannahen desselben erkannten, so ist uns doch die Tatsache ihres Scheidens in diesen schweren Tagen noch unfaßlich; denn wir, deren Seelen von dem nachhaltigen Einfluß ihrer Liebe durchdrungen sind, fühlen uns trostlos verlassen.

Wie könnte meine unzulängliche und schwache Feder eine so erhabene Stufe, wie die ihre, beschreiben? Sie ist unfähig, die Erlebnisse einer solch hohen Lebensstufe zu schildern und den Segen zu benennen, den sie von meiner frühesten Kindheit an für mich bedeutet. Wie könnte meine Feder eine so große Dankesschuld für alle Liebe abtragen, die ich derjenigen schulde, die meine größte Stütze, meine gütigste Trösterin, die Freude und Inspiration meines Lebens war? Mein Schmerz ist zu tief, meine Gewissensnot zu groß, um heute schon fähig zu sein, den Gefühlen, die mich bewegen, Ausdruck zu verleihen.

Erst fernere Generationen und fähigere Federn, als die meine es ist, können und werden einen würdigen Tribut der erhabenen Größe ihres geistigen Lebens zollen, wie auch der einzigartigen Rolle, die sie in den stürmischen Zeiten der Entwicklung in der Geschichte Bahá’u’lláhs spielte, sowie dem Ausdruck unumschränkten Lobes, das aus der Feder sowohl Bahá’u’lláhs — als auch 'Abdu'l-Bahás — des Mittelpunktes des [Seite 79] Bundes — floß. Wenn auch unerwähnt und in der Hauptsache der Menge ihrer begeisterten Verehrer im Osten und Westen unbekannt, ist doch ihr Anteil, den sie an hauptsächlichen Begebnissen in den Annalen des Glaubens hatte, die Leiden, die sie trug, die Opfer, die sie brachte, die seltenen Gaben unerschöpflichen Mitgefühls, die sie so trefflich entfaltete, — dies und vieles andere so unauslöschlich verwoben mit dem Aufbau der Heiligen Sache selbst, daß kein künftiger Geschichtsschreiber der Lehre von Bahá’u’lláh dies übergehen oder verkleinern könnte.

Als vor langen Jahren die entscheidenden Stadien des Heldentums für die Heilige Sache einsetzten, zur Zeit der Einkerkerung Bahá’u’lláhs in Siyáh-Chál von Teheran, war das Größte Heilige Blatt in frühem Kindesalter schon dazu ausersehen, aus dem Kelch des Leidens, den auch die ersten Gläubigen jenes Verkündigungszeitalters zu kosten bekamen, zu trinken.

Wie wohl erinnere ich mich ihrer Erzählungen aus einer Zeit, da ihre Lebenskraft noch ungeschwächt war, von der nagenden Ungewißheit, die im Herzen derer war, die mit ihr an der Schwelle ihres geplünderten Hauses lebten und die jeden Augenblick die Nachricht von der bevorstehenden Hinrichtung Bahá’u’lláhs zu vernehmen fürchteten. In jenen unheilvollen Stunden — so erzählte sie oft — hatten ihre Eltern so plötzlich allen irdischen Besitz verloren, daß sie im Verlauf eines Tages aus einer der wohlhabendsten Familien in Teheran zu absolut Besitzlosen gemacht wurden. Aller Mittel zum Leben beraubt, gab ihr damals ihre erlauchte Mutter — die berühmte Navváb — eine Handvoll Mehl und sagte ihr, daß dies alles sei, was sie ihr für den Tag als Nahrung geben könne.

Als später dieses hochgeachtete und geliebte Familienglied in die Mädchenjahre kam, wurden ihr durch die führende Hand ihres Vaters Aufgaben erteilt, die kein Mädchen ihres Alters hätte erfüllen wollen noch können. Doch sie nahm mit freudigem Impuls die Gelegenheit wahr und widmete sich der Aufgabe, die ihr anvertraut war. Die Subtilität und die außerordentlich große Wichtigkeit einer Funktion, wie sie eine solche von Zeit zu Zeit zu übernehmen hatte, mußte sie erfüllen, als über Baghdad der Aufruhr, den die Unachtsamkeit und Verderbtheit von Mirzá Yahyá entfesselt hatte, hinbrauste. Die zarte Sorgfalt, die sie trotz ihrer jungen Jahre, während des Zeitabschnitts, der Bahá’u’lláh veranlaßte, Sich in das Gebirge Sulaymáníyyih zurückzuziehen, bewies, bezeichnete sie sowohl für fähig, die Lasten mitzutragen, als auch für willig, das Opfer zu bringen, das ihre hohe Geburt von ihr forderte.

Welchen Halt gab ihr Glaube, wie gelassen war ihr Benehmen, wie verzeihend ihre Einstellung und wie ernst waren ihre Leiden zu der Zeit, als die Macht des Schismas (Glaubensspaltung) die Bande gelöst hatte, welche die kleine Schar der Verbannten, die sich in Adrianopel befanden, einst vereinte, und deren Besitz auf den niedersten Tiefstand gesunken war! Diese Zeit der trostlosesten Leiden zu außergewöhnlich kalter Winterzeit, dazu die schwersten Entbehrungen, ungesunde Unterkunft und schreckliches finanzielles Elend untergruben ihre Gesundheit und benahmen ihr die Lebendigkeit, mit der sie bis dahin jedermann beglückt hatte. Die Schwere und das Ungemach jener Zeit machten einen dauernden Eindruck auf ihr Gemüt und sie trug bis zu ihrem Tod auf ihrem schönen, engelgleichen Antlitz die Merkmale jener entsetzlichen Leidenszeit. Damit nicht genug, denn sie war im Gefolge Bahá’u’lláhs eine Verbannte, verurteilt, in den Mauern der Gefängnisstadt Akka zu leben; hier aber entfaltete sie eine Fülle an Kraft in völliger Hingabe ihrer Liebe an Ihn. Diese einzigartige Hingabe, die sie — neben ‘Abdu’]-Bahá — allein besaß, zeichnete sie von den Mitgliedern der hl. Familie als die leuchtende Verkörperung der Liebe aus, die Gottes ist und die als menschliche Zuneigung in einem Sterblichen fähig ist, sich widerzuspiegeln.

Sie, die von uns ging, enthielt sich in ihrem Sinn jeder Neigung zum Irdischen, verzichtete auf den Gedanken an eine Ehe und stellte sich vielmehr entschlossen an die Seite ihres Bruders, dem sie half und diente; in ihr reifte der Entschluß, ihr ganzes Leben in den Dienst der herrlichen Sache ihres Vaters zu stellen. Ob es nun in der Handhabung [Seite 80] häuslicher Angelegenheiten war, die sie ausgezeichnet besorgte, oder ob es soziale Beziehungen waren, die sie so emsig pflegte, um sowohl Bahá’u’lláh als auch ‘Abdu’l-Bahá zur Seite zu stehen, ob sie den täglichen Ansprüchen ihres Vaters ihre nie versagende Aufmerksamkeit schenkte oder sich in den Zügen von Freigebigkeit, Leutseligkeit und Güte bewährte, — das Größte Heilige Blatt hat damals ihre Würdigkeit, eine der edelsten Gestalten zu sein, bewiesen, die aufs engste mit dem Lebenswerk Bahá’u’lláhs verknüpft ist.

Wie kränkend war die Undankbarkeit, wie blind der Fanatismus, wie beständig die Bosheit der Beamten, deren Frauen und Untergebener, in Erwiderung auf die vielen Freundlichkeiten, welche sie jenen, in enger Verbindung mit ihrem Bruder, so überreich entgegenbrachte! Ihre Geduld, ihre Großmut, ihre Güte, die keinen Unterschied kannte, diente weitentfernt nicht dazu, die Feindseligkeit dieser entarteten Generation zu entwaffnen, sondern entfachte nur noch mehr ihren Zorn, steigerte ihre Eifersucht und verschärfte zugleich ihre Furcht. Das Dunkel, das über dieser kleinen Schar von gefangenen Gläubigen schwebte, die in der Feste von Akka hinsiechten, stand in scharfem Gegensatz zu dem Geist zuversichtlichen Hoffens, dem unverwüstlichen Optimismus, der von ihrem klaren Angesicht leuchtete. Kein Unglück, sei es auch noch so groß, konnte dieses Leuchten auf ihrem frommen Antlitz trüben, und keine Handlung, die sie auch noch so hart traf, konnte die Ruhe ihres gütigen und würdevollen Wesens stören.

Daß ihr empfindsames Herz dauernd auf die kleinste Beleidigung reagierte, die den unbedeutendsten Geschöpfen widerfuhr, gleichwohl ob Freund oder Feind, kann niemand, der sie näher kannte, verneinen. Und dennoch war die Beherrschung ihres Willens so groß, — eines Willens, den der Geist der Selbstverleugnung so oft zu unterdrücken gebot —, daß ein oberflächlicher Beobachter die Intensität ihrer Gemütsbewegung leicht hätte in Frage stellen oder den Grad ihrer Zuneigung hätte unterschätzen können. Durch die Schule der Gegnerschaft gegangen, bereits aber durch die Vorsehung mit der Tugend der Sanftmut und Stärke begabt und durch das Beispiel und die Ermahnungen des Großen Dulders — ihres Vaters — gelehrt, war sie dazu bestimmt, die großen Massen Seiner Nachfolger, lange nach Ihm, zu lehren.

Bewehrt mit der Macht, die ein vertrautes und langes Zusammenleben mit Bahá’u’lláh in ihr gereift hatte, und gesegnet durch das herrliche Beispiel des sich immer vergrößernden Umfangs der Tätigkeit ‘Abdu’l-Bahás, war sie darauf gefaßt, einem Sturm entgegenzusehen, den der Verrat der Beleidiger des Bündnisses hervorgerufen hatte, und gleichzeitig den häßlichen Angriffen entgegenzutreten.

Von Kindheit an waren ihre Leiden groß gewesen, der Schmerz aber für Herz und Gemüt, den ihr der Heimgang Bahá’u’lláhs brachte, zermürbte sie wie nichts zuvor, brachte sie aber zu dem Entschluß, den kein Einwand ändern konnte und der ihre Schwäche Lügen strafte: inmitten eines Aufruhrs, den jene treulose und aufwieglerische Gemeinschaft hervorrief und die in ihrer Heftigkeit viel Staub aufwirbelte, sah sie sich gezwungen, Familienbande und lange vertraute Freundschaft zu lösen, den einen zu entsagen um der höheren Erkenntnis willen, der Heiligen Sache gegenüber, die sie so heiß liebte und der sie so treulich gedient hatte.

Der Riß, der entstand, stellte sie auf Seite dessen, den ihr dahingegangener Vater als den Mittelpunkt des Bundes und als den ermächtigten Verbreiter Seines Wortes bezeichnet hatte. Ihre hochverehrte Mutter, sowie ein hervorragender Verwandter, ein Onkel väterlicherseits, namens Agáy-i-Kalim, die beiden Säulen, die alle Stufen der Verbannung Bahá’u’lláhs aus Seinem Heimatland bis zur letzten Etappe Seiner Gefangenschaft miterlebt hatten, die, wie nicht alle Mitglieder Seiner Familie, mit größter Zähigkeit ihre Treue bewahrt hatten, waren dieser Erde entrückt. Ein tragischer Tod hatte auch den „Reinsten Zweig“, ihren anderen Bruder neben ‘Abdu’l-Bahá, in früherem Alter gefordert. Nun war sie von der Familie Bahá’u’lláhs die einzige, um das Herz zu stählen und um die Bemühungen des „Größten Zweigs“ zu unterstützen, gegen Den sich beinahe die ganze Sippe ungetreuer [Seite 81] Verwandter. stellte. Bei ihrer schwierigen Aufgabe wurde sie durch die unablässigen Bemühungen von Munirih Khanum, der hl. Mutter, und ihren heranwachsenden Töchtern unterstützt, das erstaunliche Werk zu vollbringen, das mit dem Namen ‘Abdu’l-Bahás für alle Zeiten verknüpft sein wird.

Nach dem Hinscheiden Bahá’u’lláhs setzten die schrecklichen Angriffe durch die Verletzer des Bündnisses ein. Nun erbob sich das Größte Heilige Blatt, das auf der Höhe des Lebens stand, zum Gipfel ihrer Bestimmung und zeigte sich ihrer Lebensaufgabe gewachsen. Es würde zu weit führen, wollte ich länger bei den unaufhörlichen Machenschaften verweilen, zu denen Muhammad ’Alí, der gröblichste Verletzer des Bündnisses Bahá’u’lláhs, und seine verächtlichen Genossen ihre erbärmliche Zuflucht nahmen, auf ihre Aufwiegelungen eingehen, die ihren geschickt geleiteten Feldzug der Verdrehung und Verleumdung im Lager, das in engster Verbindung mit Sultan ‘Abdu’l-Hamid und seinen Beratern stand, über die Prüfungen und Verhöre, die daraus erfolgten, über die Härte der Gefangenschaft, die verhängt wurde, und über die Gefahren, die jener heraufbeschwor, zu schreiben. Es genügt zu sagen, daß durch die nimmermüde Achtsamkeit des Größten Heiligen Blattes, ihren Takt, ihre Höflichkeit, ihre außerordentliche Geduld und ihre sieghafte Stärke schlimme Komplikationen vermieden worden sind und dadurch die Bürde, die ‘Abdu’l-Bahá mit besorgter Achtsamkeit trug, wesentlich erleichtert wurde.

Als sich dann die Gewitterwolken am Horizont des hl. Landes schließlich verzogen, der Ruf unseres geliebten ‘Abdu’l-Bahá erscholl und neues Leben in gewissen Städten in Amerika und Europa hervorrief, wurde das Größte Heilige Blatt, die Empfängerin der größten Liebe und des Segens Dessen, Der am besten ihre Tugenden und ihre Verdienste zu ermessen vermochte.

Die Höhe ihres kostbaren Lebens hatte sie damals überschritten und die Beschwerden des herannahenden Alters begannen ihr leuchtendes Antlitz zu überschatten. Ihrer selbst nicht achtend, Ruhe und Behagen von sich weisend, doch mitgenommen von den Ereignissen, die auf ihrem Wege lagen, war sie die hochverehrte Gastgeberin einer stetig zunehmenden Zahl von Pilgern, die nach dem Wohnsitz 'Abdu'l-Bahás von Osten und Westen herbeikamen. Sie blieb ihren Eigenschaften treu, die ihr während ihres ganzen Lebens in so großem Ausmaße höchste Bewunderung und Liebe eingetragen hatten.

Und als nach Gottes unerforschlicher Weisheit die Verbannung von ‘Abdu’l-Bahá aufgehoben wurde und der Plan, den Er seit den schwersten Stunden Seiner Verurteilung in Sich trug, in Erfüllung ging, betraute Er mit rückhaltloser Zuversicht Seine vielerprobte, hochgeschätzte Schwester mit der Verantwortung der Erledigung der tausenderlei Einzelheiten, die sich über Seine lange dauernde Abwesenheit vom hl. Land einstellten.

Kaum hatte ‘Abdu’l-Bahá die Küste Europas und Amerikas erreicht, als unsere geliebte Khanum sich schon mit dringlichen Botschaften überschüttet sah, von der eine jede den stetigen Fortschritt der Heiligen Sache in einer Weise betonte, daß es ihr trotz der vielen Erfahrungen, die sie im Leben gemacht hatte, fast unglaublich erschien. Die Jahre, die sie sich im Licht von ‘Abdu’l-Bahás geistigen Tugenden sonnen durfte, waren vielleicht ihre schönsten und glücklichsten im Leben. Sie hätte sich wohl nicht träumen lassen, als sie als kleines Mädchen in den Hofgärten ihres Vaterhauses in Teheran mit ihrem Bruder umhersprang, daß es dessen Bestimmung sein würde, eines Tages der erwählte Mittelpunkt des unzerstörbaren Bündnisses Gottes zu werden; daß dieser Bruder fähig würde, über Länder und Rassen, die so weit entfernt voneinander sind, solch einen großen und denkwürdigen Sieg zu erringen.

Begeisterung und Freude hob ihre Brust, als sie 'Abdu'l-Bahá nach Seiner siegreichen Rückkehr vom Abendland in der Heimat begrüßte; diesen Augenblick vermag ich nicht zu beschreiben. Sie staunte über Seine Lebendigkeit, daß Er trotz der unaussprechlichen Leiden, die hinter Ihm lagen, sich dieser großen Aufgabe gewachsen zeigte. Sie versank in Bewunderung über die Größe und die Macht, die Seine Worte ausgelöst hatten. Sie war erfüllt von Dank gegen Bahá’u’lláh, daß Er sie befähigte, die Tatsache [Seite 82] eines solchen Sieges Seiner Sache und der Seines Sohnes erleben zu lassen.

Der Ausbruch des großen Krieges gab ihr weitere Gelegenheit, den wahren Wert ihres Charakters zu zeigen und die ruhenden Energien ihres Herzens zu wecken. Der Wohnsitz ‘Abdu’l-Bahás wurde während dieses traurigen Konflikts belagert von einer Menge ausgehungerter Männer, Frauen und Kinder, welche die Mißwirtschaft, die Grausamkeit und die Vernachlässigung der Behörden der Ottomanischen Regierung dazu trieb, eine Erleichterung ihrer Leiden zu suchen. Aus den Händen des Größten Heiligen Blattes, aus der Überfülle ihres Herzens bekamen diese hilflosen Opfer einer verachtungswürdigen Vernachlässigung Tag für Tag unvergeßliche Beweise einer Liebe, die sie ebensosehr beneideten, als auch bewunderten.

Die Worte des Trostes und der Zuspruch, den sie für jedermann hatte, Nahrungsmittel, Geld und Kleidungsstücke, die sie freigebig verteilte, die Arzneien, die sie eigenhändig und nach eigener Zusammenstellung bereitete und weise verwandte, — alles dies trug dazu bei, die Unglücklichen zu trösten, den Blinden Licht zu spenden, den Waisen ein Obdach zu sein, den Kranken ein Heiler und den Heimatlosen und Irrenden eine Hilfe zu bedeuten. Sie hat während der tiefsten Grauen in der Kriegszeit das Ehrenzeichen ihres geistigen Zieles erlangt. Wenige, wenn es überhaupt welche unter den unzähligen Wohltätern der Menschheit gibt, deren Vorrecht es war, auf die mannigfaltigste Weise das Elend und die Leiden, die durch Kriegführung hervorgerufen wurden, zu beheben, konnten so viel Not lindern, gaben so reichlich und uneigennützig, wie sie es tat. Wenige erlebten diese unbeschreibliche Beglückung des Wohltuns am Geben. Die Jahre haben wohl noch die Güte ihres liebevollen Herzens vertieft und immer noch weitere Kreise der Verehrung und Liebe um sie gezogen. Der Anblick der erschreckenden Leiden stählten ihre Energie und lösten Kräfte in ihr aus, wie dies ihre nächste Umgebung niemals erwartet hätte.

Das rasche Hinscheiden ‘Abdu’l-Bahás war ein furchtbarer Schlag, von dessen Folgen sie sich nie mehr völlig erholen konnte. Er, den sie „Aqá“ nannte, war ihre Zuflucht in Zeiten der Anfechtungen. In Ihn hatte sie ihr ganzes Vertrauen gesetzt. In Ihm fand sie vollen Ersatz für die Entbehrungen, die sie zu erdulden hatte, für das Abtrünnigwerden, dessen sie Zeuge war, für die Undankbarkeit, die sie an Freunden und Verwandten erleben mußte. Kein Mensch hätte sich träumen lassen, daß eine Frau ihres Alters, körperlich geschwächt, so empfindsam, so überlastet mit den Beschwerden, die ihre nahezu 80 Jahre mit sich brachten, nach all den unaufhörlichen Belastungen noch so lange diesen erschütternden Schlag überleben würde. In der Weltgeschichte sowohl als in den Annalen unseres unsterblichen Glaubens wird ihr Anteil an der Entwicklung und Konsolidierung der weltweiten Gemeinschaft, die die Hand ‘Abdu’l-Bahás zu formen half, verzeichnet stehen, wie es keinem anderen Hinterbliebenen Seiner Familie zukommt.

Von wie viel Segen, den sie mir brachte, den sie in unermüdlicher Sorgfalt mir in den kritischen und aufregenden Stunden meines Lebens angedeihen ließ, müßte ich hier berichten! Für mich, der ich so notwendig der belebenden Gnade Gottes bedarf, war sie ein lebendiges Symbol von vielen Eigenschaften, die ich in ‘Abdu’l-Bahá so tief zu bewundern gelernt hatte, Sie war mir ein dauerndes Erinnern an Seine mich begeisternde Persönlichkeit, an Seine stille Entsagung, an Seine Freigebigkeit und Seinen Großmut. Für mich war sie die Verkörperung Seiner anziehenden Güte, Seiner allumfassenden Zärtlichkeit und Liebe.

Es würde zu weit führen, auch nur eine kurze Beschreibung der vielen Zwischenfälle in dem Leben der teueren Entschlafenen anzuführen, deren jeder einzelne sie beredt als eine würdige Tochter des beispiellosen Vermächtnisses, das ihr durch Bahá’u’lláh zufiel, kennzeichnet. Die Reinheit ihres Lebens, die sich selbst in den kleinsten Einzelheiten, in ihren täglichen Aufgaben und Pflichten kund tat; eine Empfindsamkeit des Herzens, die jeden Unterschied von Glauben, Klasse und Farbe aufhob; eine Verzichtleistung und Ruhe, die an die stille und heldenhafte Stärke des Báb erinnerte, und eine angeborene Liebe zu Blumen und Kindern, die [Seite 83] Bahá’u’lláh kennzeichnete, waren ihre Merkmale. Sie war von ungewollter Einfachheit in ihrem Wesen, von außerordentlicher Geselligkeit, die sie allen zugänglich machte; sie besaß eine Großmut und Liebe, selbstlos und unterschiedslos; darin spiegelten sich die Eigenschaften von ‘Abdu’l-Bahás Charakter wieder. Sie besaß eine Zartheit des Temperaments, eine Heiterkeit, die keine noch so große Sorgenlast verdüstern konnte, eine ruhige und anspruchslose Veranlagung, die dazu führte, tausendfältig das Vorrecht ihrer hohen Abstammung noch zu erhöhen. Sie besaß eine verzeihende Natur, die dauernd die hartnäckigsten Feinde entwaffnete, — diese große Frau mit den erwähnten Eigenschaften ihres geheiligten Lebens wird die Geschichte einmal „als eine mit himmlischen Mächten, wie sie wenige Helden der Vergangenheit besaßen, Ausgestattete“, bezeichnen müssen.

Ist es zu verwundern, daß Bahá’u’lláh und ‘Abdu’l-Bahá rührende Tribute ihrem Wesen zollten in Tablets, die für alle Zeiten Zeugnis für die Vortrefflichkeit ihres Charakters ablegen und die ihre überragende Stellung unter ihren Familienmitgliedern bezeugen, die sie als Beispiel für ihre Nachwelt bezeichnen und als Ziel würdiger Bewunderung für alle Menschen darstellen?

Ich möchte hier nur einen Teil aus einem Tablet von 'Abdu'l-Bahá an die hl. Mutter (die Gattin ’Abdu’l-Bahá’s) anführen, dessen Sinn unzweideutig den Grad der Zusammengehörigkeit zeigt, der Ihn mit der teueren, Ihm so ergebenen Schwester bekundet:

. . . „Meiner verehrten und einzigen Schwester überbringe den Ausdruck meiner herzlichsten, meiner großen Sehnsucht. Tag und Nacht gedenke ich ihrer. Ich darf nicht von den Gefühlen sprechen, die mein Herz bewegen, gedenke ich unserer Trennung; denn, was ich auch darüber schriebe, würden meine Tränen verwischen, die mir das Heimweh in die Augen treibt!“

Teures und geliebtes Größtes Heiliges Blatt!

Unter Tränen, die mir den Blick verdunkeln, schreibe ich an Dich. Deine edle Gestalt steht vor mir und ich erkenne die Ruhe auf Deinem lieben Antlitz. Ich kann über „die Schatten des Grabes“, das uns voneinander trennt, Deine liebevollen blauen Augen sehen und fühle aus ihrer ruhigen Kraft die unendliche Liebe, die Du für die heilige Sache Deines allmächtigen Vaters empfindest, die Zugehörigkeit, die Dich zu der demütigsten und bescheidensten Seiner Nachfolger macht, und die innige Zuneigung, die Du für mich im Herzen trägst. Der Gedanke an die unauslöschliche Güte Deines Lächelns wird mich immer auf dem dornigen Wege den ich zu gehen bestimmt bin, trösten und stärken. Die Erinnerung an Deinen Händedruck wird mich anspornen, meinen Weg unverwandt zu gehen. Der freundliche Laut Deiner Stimme wird mich in der Stunde des tiefsten Unglücks erinnern, mich fest an „das Gewand“ zu halten, an dem Du Dich so treulich Dein ganzes Leben lang gehalten hast. Vernimm den Ruf von ‘Abdu’l-Bahá, Deinem auserwählten und gottgewollten Bruder: „Wenn über die Heilige Sache, für die Bahá’u’lláh Sich mühte und arbeitete, für welche Du viele Jahre lang die schwersten Leiden ertrugst, um deretwillen Ströme von hl. Blut geflossen sind, in künftigen Tagen noch schwerere Stürme hereinbrechen, als schon über sie hingegangen sind, so beschütze Du mit Deiner allumfassenden Sorgfalt und Deiner Weisheit Dein schwaches, Dein unwürdig berufenes Kind.“

Erflehe, o edles und hochgeschätztes Reis eines himmlischen Vaters, nichts Geringeres für mich, als was Du für die sich abmühende Schar Deiner aufrichtigen Verehrer erbittest, die ewige Ergebenheit Deinem Gedächtnis geschworen haben, deren Seelen durch die Kraft Deiner Liebe genährt wurden, deren Lebensführung durch das einflußreiche Vorbild Deines Lebens geformt wurde und deren Vorstellung durch die unauslöschliche Tatsache Deines lebendigen Glaubens, Deiner unerschütterlichen Beständigkeit, Deines unüberwindlichen Heldentums und Deiner großen Entsagung, angefacht ist.

Was uns auch begegnen möge im Wachsen des sich immer mehr verbreitenden Glaubens an Gott und mit uns geschehe, so werfen wir uns am Thron Deines glorreichen Vaters nieder, um unvermindert und ungeteilt für zukünftige Generationen den Ruhm der [Seite 84] Überlieferung zu hinterlassen, von dem Du das leuchtendste Beispiel warst.

In den tiefsten Tiefen unseres Herzens haben wir für Dich, o Du erhabenes Blatt im Abhá-Paradies, ein leuchtendes Daheim, das die Zeit niemals aufheben kann, geschaffen, einen Schrein, der ewig umrahmt ist von der unvergleichlichen Schönheit Deines Antlitzes, einen Altar, auf dem das Feuer Deiner allumfassenden Liebe ewig brennen wird.“ (gez.) Shoghi.

An die Geliebten des Herrn und an die Dienerinnen des Barmherzigen im Abendland.

17. Juli 1932.



Stolz oder Ehrfurcht.[Bearbeiten]

Von Heinz Helmel, Passau

Stolz gibt's nur dort, wo die Einbildung herrscht. Stolz ist Konzentration auf sein endliches, vergängliches Ich. Wer stolz ist, ist noch nicht hinausgewachsen über sein „ich“, hat immer noch einen Götzen an sich, den er anbetet. Stolz ist nicht Weite und Größe, sondern Enge, ja, oft nur Beschränktheit im Geiste. Der Stolze kennt nur eins, „sich“. „Was nennt ihr mich Meister?“, war die Frage und Absage zugleich, eines Großen, Weisen, Mächtigen und Starken. Alle Größe wurzelt im Glauben an den Meister über ihm. In diesem Glauben wird der Kleinste groß, denn er wächst damit hinein in die Größe seines Meisters. Gibt das Stolz? Nein, aber Glauben und Kraft! Glauben an den unendlich Großen, Erhabenen, über Zeit und Raum Stehenden. Und dieser Glaube? Er macht uns klein und groß zugleich, er pflanzt Ehrfurcht und Stärke in unsere Seele. Er gibt die Kraft des Vollbringens, die Kraft des Heilens, die Stärke des Überwinders. Braucht es da noch Stolz? Wenn es nur Stolz ist und nicht Ehrfurcht, was uns abhält vom üblen Tun, dann ist die Tugend auf schlechte Füße gestellt. „Reißt dem Menschen den Stolz aus der Brust, und er wird zusammenbrechen, oder der Feigheit und Gemeinheit Opfer sein“, heißt es wohl mancherorts. Ich sage: „Nein, aber reißt ihm den Stolz, den harten, egozentrischen, nur sich sehenden heraus und setzt ihm die Ehrfurcht vor sich, seiner Umgebung, Gott und Heimat wieder ein, und er wird einer der Mächtigsten sein.“

Stolz sagt gar nichts. Stolz kann der nichtsnutzigste Mensch sein, aber ehrfürchtig? Ich kann aus Stolz Diebereien, ja Mord und Totschlag verüben, kann mir etwas einbilden auf meine Gaunereien, auf meine Schlauheit und Gerissenheit, aber kann ich Ehrfurcht haben gegen all das? Stolz kennt nur: „unter ihm“, nie aber: „über ihm“. Das macht natürlicherweise despotisch, hart, egozentrisch, verengend, alles bezieht er auf sein „ich“. Und doch, wie klein ist es, dieses „Ich“. Der in Ehrfurcht Stehende hingegen sieht sich eingereiht im großen Wirkens- und Tatenkreis der Schöpfung, des Alls, sieht sich im Dienste des Unendlichen, des Großen, Weiten, Erhabenen. — Stolz kann gemein werden, Ehrfurcht nie. Vielleiht denken einige: Ehrfurcht könne Feigheit und zu große Nachgiebigkeit auslösen, die auf der anderen Seite Frechheit und Gemeinheit züchte. Wahre Ehrfurcht ist der Gegenpol alles Niederen, Gemeinen, und sie wird sich mächtig wehren, so sie oder der Gegenstand der Ehrfurcht in Schmutz gezogen werden sollte. Ehrfurcht ist Erhabenheit und Stärke zugleich. Des Stolzen Geste ist: „Seht, das ist alles von mir“, des Ehrfürchtigen: „Seht, das ist alles von Ihm“. Das eine ist Anmaßung, das andere Gebet. Der eine nimmt, rücksichtslos fordernd, der andere gibt; der eine ist kalt, frostig, unnahbar, der andere aber aufgetan, sonnig und warm. Der eine spricht die Sprache des Verstandes: eisig, überlegen, kalt und nüchtern, der andere spricht die Sprache des Herzens, der Wärme, Klarheit, Liebe und des Lebens.

Sag, welche Sprache sprichst du? Des Scheins oder des Seins? Frage dich selbst, oft, laut, und still zu tiefst innerst: frage! Laß die Antwort werden: lebendig und wahr; es wird. dein Heil sein.



In der Sonne der Wahrheit finden nur solche Manuskripte Veröffentlichung, bezüglich deren Weiterverbreitung keine Vorbehalte gemacht werden. — Anfragen, schriftliche Beiträge und alle die Schriftleitung betreffenden Zuschriften beliebe man an die Schriftleitung: Stuttgart, Alexanderstr. 3 zu senden. — Bestellungen von Abonnements, Büchern und Broschüren sowie Geldsendungen sind an das Bahá’i-Bureau Stuttgart, Alexanderstr. 3, Nebengebäude, zu richten.


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Geschichte und Bedeutung der Bahá’i-Lehre[Bearbeiten]

Die Bahá’i-Bewegung tritt vor allem ein für die „Universale Religion" und den „Universalen Frieden“ — die Hoffnung aller Zeitalter. Sie zeigt den Weg und die Mittel, die zur Einigung der Menschheit unter dem hohen Banner der Liebe, Wahrheit, Gerechtigkeit und Barmherzigkeit führen. Sie ist göttlich ihrem Ursprung nach, menschlich in ihrer Darstellung, praktisch für jede Lebenslage. In Glaubenssachen gilt bei ihr nichts als die Wahrheit, in den Handlungen nichts als das Gute, in ihren Beziehungen zu den Menschen nichts als liebevoller Dienst.

Zur Aufklärung für diejenigen, die noch wenig oder nichts von der Bahá’i-Bewegung wissen, führen wir hier Folgendes an: „Die Bahá’i-Religion ging aus dem Babismus hervor. Sie ist die Religion der Nachfolger Bahá’u’lláhs. Mirza Hussein Ali Nuri (welches sein eigentlicher Name war) wurde im Jahre 1817 in Teheran (Persien) geboren. Vom Jahr 1844 an war er einer der angesehensten Anhänger des Bab und widmete sich der Verbreitung seiner Lehren in Persien. Nach dem Märtyrertod des Bab wurde er mit den Hauptanhängern desselben von der türkischen Regierung nach Bagdad und später nach Konstantinopel und Adrianopel verbannt. In Bagdad verkündete er seine göttliche Sendung (als „Der, den Gott offenbaren werde") und erklärte, daß er der sei, den der Bab in seinen Schriften als die „Große Manifestation", die in den letzten Tagen kommen werde, angekündigt und verheißen hatte. In seinen Briefen an die Regenten der bedeutendsten Staaten Europas forderte er diese auf, sie möchten ihm bei der Hochhaltung der Religion und bei der Einführung des universalen Friedens beistehen. Nach dem öffentlichen Hervortreten Bahá’u’lláhs wurden seine Anhänger, die ihn als den Verheißenen anerkannten, Bahá’i (Kinder des Lichts) genannt. Im Jahr 1868 wurde Bahá’u’lláh vom Sultan der Türkei nach Akka in Syrien verbannt, wo er den größten Teil seiner lehrreichen Werke verfaßte und wo er am 28. Mai 1892 starb. Zuvor übertrug er seinem Sohn Abbas Effendi ('Abdu'l-Bahá) die Verbreitung seiner Lehre und bestimmte ihn zum Mittelpunkt und Lehrer für alle Bahá’i der Welt.

Es gibt nicht nur in den mohammedanischen Ländern Bahá’i, sondern auch in allen Ländern Europas, sowie in Amerika, Japan, Indien, China usw. Dies kommt daher, daß Bahá’u’lláh den Babismus, der mehr nationale Bedeutung hatte, in eine universale Religion umwandelte, die als die Erfüllung und Vollendung aller bisherigen Religionen gelten kann. Die Juden erwarten den Messias, die Christen das Wiederkommen Christi, die Mohammedaner den Mahdi, die Buddhisten den fünften Buddha, die Zoroastrier den Schah Bahram, die Hindus die Wiederverkörperung Krischnas und die Atheisten — eine bessere soziale Organisation.

In Bahá’u’lláh sind alle diese Erwartungen erfüllt. Seine Lehre beseitigt alle Eifersucht und Feindseligkeit, die zwischen den verschiedenen Religionen besteht; sie befreit die Religionen von ihren Verfälschungen, die im Lauf der Zeit durch Einführung von Dogmen und Riten entstanden und bringt sie alle durch Wiederherstellung ihrer ursprünglichen Reinheit in Einklang. Das einzige Dogma der Lehre ist der Glaube an den einigen Gott und an seine Manifestationen (Zoroaster, Buddha, Mose, Jesus, Mohammed, Bahá’u’lláh).

Die Hauptschriften Bahá’u’lláhs sind der Kitab el Ighan (Buch der Gewißheit), der Kitab el Akdas (größtes heiliges Buch), der Kitab el Ahd (Buch des Bundes) und zahlreiche Sendschreiben, genannt „Tablets“, die er an die wichtigsten Herrscher oder an Privatpersonen richtete. Rituale haben keinen Platz in dieser Religion; letztere muß vielmehr in allen Handlungen des Lebens zum Ausdruck kommen und in wahrer Gottes- und Nächstenliebe gipfeln. Jedermann muß einen Beruf haben und ihn ausüben. Gute Erziehung der Kinder ist zur Pflicht gemacht und geregelt.

Streitfragen, welche nicht anders beigelegt werden können, sind der Entscheidung des Zivilgesetzes jeden Landes und dem Bait’ul’Adl oder „Haus der Gerechtigkeit“, das durch Bahá’u’lláh eingesetzt wurde, unterworfen. Achtung gegenüber jeder Regierungs- und Staatseinrichtung ist als einem Teil der Achtung, die wir Gott schulden, gefordert. Um die Kriege aus der Welt zu schaffen, ist ein internationaler Schiedsgerichtshof zu errichten. Auch soll neben der Muttersprache eine universale Einheitssprache eingeführt werden. „Ihr seid alle die Blätter eines Baumes und die Tropfen eines Meeres“ sagt Bahá’u’lláh.

Es ist also weniger die Einführung einer neuen Religion, als die Erneuerung und Vereinigung aller Religionen, was heute von 'Abdu'l-Bahá erstrebt wird. (Vgl. Nouveau, Larousse, illustré supplement, Seite 66.)


[Seite 86]


Verlag des Deutschen Bahá’i-Bundes G.m.b.H., Stuttgart

Fernsprecher Nr. 26168 / Postscheckkonto 25419 Stuttgart / Alexanderstr. 3, Nebengebäude

In unserem Verlag sind erschienen:


Bücher:

Verborgene Worte von Bahá’u’lláh. Worte der Weisheit und Gebete . . . —.80

Bahá’u’lláh, Frohe Botschaften, Worte des Paradieses, Tablet Tarasat, Tablet Taschalliat, Tablet Ischrakat. In Halbleinen gebunden . . . . . 2.00

in feinstem Ganzleinen gebunden . . . . . 2.50

'Abdu'l-Bahá Abbas, Ansprachen in Paris über die Bahá’i-Lehre . . . . . . 2.50

Geschichte und Wahrheitsbeweise der Bahá’i-Religion, von Mirza Abul Fazl. . . . . 2.50

'Abdu'l-Bahá Abbas’ Leben und Lehren, von Myron H. Phelps. In Ganzleinen gebunden . . . . . 3.--

Die Bahá’i-Offenbarung, ein Lehrbuch von Thornton Chase. Kartoniert M. 3.--, in Halbleinen gebunden . . . . 3.50

Bahá’u’lláh und das neue Zeitalter, ein Lehrbuch von Dr. J. E. Esslemont. In Ganzleinen gebunden . . . . . 3.50

Beantwortete Fragen 'Abdu'l-Bahá Abbas', gesammelt von L. Clifford Barney . . . . 3.50


Broschüren:

Einheitsreligion. Ihre Wirkung auf Staat, Erziehung, Sozialpolitik, Frauenrechte und die einzelne Persönlichkeit. Von Dr. jur. H. Dreyfus . . . -.30

Das Hinscheiden 'Abdu'l-Bahás, ("The Passing of 'Abdu'l-Bahá") . . . -.30

Das neue Zeitalter von Ch. M. Remey . . . . —.30

Die soziale Frage und ihre Lösung im Sinne der Bahá’i-Lehre von Dr. Hermann Grossmann, Weinheim (Bergstrasse) . . . . —.20

Die Bahá’i-Bewegung, Geschichte, Lehren und Bedeutung. von Dr. Hermann Grossmann, Weinheim (Bergstrasse) . . . . —.20

Sonne der Wahrheit, in Halbleinen gebunden je . . . . 6.--


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