Sonne der Wahrheit/Jahrgang 12/Heft 4/Text

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SONNE

DER

WAHRHEIT
 
ORGAN DER DEUTSCHEN BAHAI
 
HEFT 4 12. JAHRGANG JUNI 1932
 


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Abdu’l-Bahás Erläuterung der Bahá’i-Prinzipien[Bearbeiten]

1. Die ganze Menschheit muss als Einheit betrachtet werden.

Bahá’u’lláh wandte Sich an die gesamte Menschheit mit den Worten: „Ihr seid alle die Blätter eines Zweigs und die Früchte eines Baumes“. Das heißt: die Menschheit gleicht einem Baum und die Nationen oder Völker gleichen den verschiedenen Aesten und Zweigen; die einzelnen Menschen aber gleichen den Blüten und Früchten dieses Baumes. In dieser Weise stellte Bahá’u’lláh das Prinzip der Einheit der Menschheit dar. Bahá’u’lláh verkündigte die Einheit der ganzen Menschheit, er versenkte sie alle im Meer der göttlichen Gnade.


2. Alle Menschen sollen die Wahrheit selbständig erforschen.

In religiösen Fragen sollte niemand blindlings seinen Eltern und Voreltern folgen. Jeder muß mit eigenen Augen sehen, mit eigenen Ohren hören und die Wahrheit suchen, denn die Religionen sind häufig nichts anderes als Nachahmungen des von den Eltern und Voreltern übernommenen Glaubens.


3. Alle Religionen haben eine gemeinsame Grundlage.

Alle göttlichen Verordnungen beruhen auf ein und derselben Wirklichkeit. Diese Grundlage ist die Wahrheit und bildet eine Einheit, nicht eine Mehrheit. Daher beruhen alle Religionen auf einer einheitlichen Grundlage. Im Laufe der Zeit sind gewisse Formen und Zeremonien der Religion beigefügt worden. Dieses bigotte menschliche Beiwerk ist unwesentlich und nebensächlich und verursacht die Abweichungen und Streitigkeiten unter den Religionen. Wenn wir aber diese äußere Form beiseite legen und die Wirklichkeit suchen, so zeigt sich, daß es nur eine göttliche Religion gibt.


4. Die Religion muss die Ursache der Einigkeit und Eintracht unter den Menschen sein.

Die Religion ist für die Menschheit die größte göttliche Gabe, die Ursache des wahren Lebens und hohen sittlichen Wertes; sie führt den Menschen zum ewigen Leben. Die Religion sollte weder Haß und Feindschaft noch Tyrannei und Ungerechtigkeiten verursachen. Gegenüber einer Religion, die zu Mißhelligkeit und Zwietracht, zu Spaltungen und Streitigkeiten führt, wäre Religionslosigkeit vorzuziehen. Die religiösen Lehren sind für die Seele das, was die Arznei für den Kranken ist. Wenn aber ein Heilmittel die Krankheit verschlimmert, so ist es besser, es nicht anzuwenden.


5. Die Religion muss mit Wissenschaft und Vernunft übereinstimmen.

Die Religion muß mit der Wissenschaft übereinstimmen und der Vernunft entsprechen, so daß die Wissenschaft die Religion, die Religion die Wissenschaft stützt. Diese beiden müssen unauflöslich miteinander verbunden sein.


6. Mann und Frau haben gleiche Rechte.

Dies ist eine besondere Lehre Bahá’u’lláhs, denn die früheren Religionen stellen die Männer über die Frauen. Töchter und Söhne müssen gleichwertige Erziehung und Bildung genießen. Dies wird viel zum Fortschritt und zur Einigung der Menschheit beitragen.


7. Vorurteile jeglicher Art müssen abgelegt werden.

Alle Propheten Gottes kamen, um die Menschen zu einigen, nicht um sie zu trennen. Sie kamen, um das Gesetz der Liebe zu verwirklichen, nicht um Feindschaft unter sie zu bringen. Daher müssen alle Vorurteile rassischer, völkischer, politischer oder religiöser Art abgelegt werden. Wir müssen zur Ursache der Einigung der ganzen Menschheit werden.


8. Der Weltfriede muss verwirklicht werden.

Alle Menschen und Nationen sollen sich bemühen, Frieden unter sich zu schließen. Sie sollen darnach streben, daß der universale Friede zwischen allen Regierungen, Religionen, Rassen und zwischen den Bewohnern der ganzen Welt verwirklicht wird. Die Errichtung des Weltfriedens ist heutzutage die wichtigste Angelegenheit. Die Verwirklichung dieses Prinzips ist eine schreiende Notwendigkeit unserer Zeit.


9. Beide Geschlechter sollen die beste geistige und sittliche Bildung und Erziehung geniessen.

Alle Menschen müssen erzogen und belehrt werden. Eine Forderung der Religion ist, daß jedermann erzogen werde und daß er die Möglichkeit habe, Wissen und Kenntnisse zu erwerben. Die Erziehung jedes Kindes ist unerläßliche Pflicht. Für Elternlose und Unbemittelte hat die Gemeinde zu sorgen.


10. Die soziale Frage muss gelöst werden.

Keiner der früheren Religionsstifter hat die soziale Frage in so umfassender, vergeistigter Weise gelöst wie Bahá’u’lláh. Er hat Anordnungen getroffen, welche die Wohlfahrt und das Glück der ganzen Menschheit sichern. Wenn sich der Reiche eines schönen, sorglosen Lebens erfreut, so hat auch der Arme ein Anrecht auf ein trautes Heim und ein sorgenfreies Dasein. Solange die bisherigen Verhältnisse dauern, wird kein wahrhaft glücklicher Zustand für den Menschen erreicht werden. Vor Gott sind alle Menschen gleich berechtigt, vor Ihm gibt es kein Ansehen der Person; alle stehen im Schutze seiner Gerechtigkeit.


11. Es muss eine Einheitssprache und Einheitsschrift eingeführt werden.

Bahá’u’lláh befahl die Einführung einer Welteinheitssprache. Es muß aus allen Ländern ein Ausschuß zusammentreten, der zur Erleichterung des internationalen Verkehrs entweder eine schon bestehende Sprache zur Weltsprache erklären oder eine neue Sprache als Weltsprache schaffen soll; diese Sprache muß in allen Schulen und Hochschulen der Welt gelehrt werden, damit dann niemand mehr nötig hat, außer dieser Sprache und seiner Muttersprache eine weitere zu erlernen.


12. Es muss ein Weltschiedsgerichtshof eingesetzt werden.

Nach dem Gebot Gottes soll durch das ernstliche Bestreben aller Menschen ein Weltschiedsgerichtshof geschaffen werden, der die Streitigkeiten aller Nationen schlichten soll und dessen Entscheidung sich jedermann unterzuordnen hat.

Vor mehr als 50 Jahren befahl Bahá’u’lláh der Menschheit, den Weltfrieden aufzurichten und rief alle Nationen zum „internationalen Ausgleich“, damit alle Grenzfragen sowie die Fragen nationaler Ehre, nationalen Eigentums und aller internationalen Lebensinteressen durch ein schiedsrichterliches „Haus der Gerechtigkeit" entschieden werden können.

Bahá’u’lláh verkündigte diese Prinzipien allen Herrschern der Welt. Sie sind der Geist und das Licht dieses Zeitalters. Von ihrer Verwirklichung hängt das Wohlergehen für unsere Zeit und das der gesamten Menschheit ab.


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SONNE DER WAHRHEIT
Organ der deutschen Bahá’i
Verantwortliche Schriftleitung: Alice Schwarz-Solivo, Stuttgart, Alexanderstraße 3
Preis vierteljährlich 1.80 Goldmark, im Ausland 2.– Goldmark
Heft 4 Stuttgart, im Juni 1932
Rahmat — (Barmherzigkeit) 89
12. Jahrgang

Motto: Einheit der Menschheit — Universaler Friede — Universale Religion


Inhalt: Tablet von ‘Abdu’l-Bahá. — Aus dem Schatz der Erinnerungen an Abbas Effendi, ‘Abdu’l-Bahá. Haifa 1906—11. — Weltenwende. — Das Leben nach dem Tode. — Das Licht im Osten.



Der schlimmste Sorgengeist ist die Angst vor der Zukunft. Zugleich ist diese Angst vor der Zukunft eine kleingläubige Absage von Gott, dem Herrn der Welt! Waren wir nicht gestern und ehegestern in Seiner sicheren Hut, sind wir nicht heute in Seiner treuen Hand? Werden wir nicht morgen und übermorgen und über alle Zeit hinaus in Seinem barmherzigen Schoße ruhen?

Worte von ‘Abdu’l-Bahá Abbas Effendi zu Miss Stevens, Haifa 1910


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Tablet von ‘Abdu’l-Bahá[Bearbeiten]

An die Zentralorganisation für einen dauernden Frieden

An das Sekretariat, 19. Prinsessegracht, Den Haag, Holland


Das Ausführende Komitee:

Dr. H. C. Dresselhuys, Präsident (Holland)

Th. Baron Adelswaerd (Schweden)

Prof. R. Altamire (Spanien)

Mrs. Fannie Fern Andrews (Amerika)

G. Lowes Dickinson (Großbritannien)

Mgr. Dr. A. Gießwein (Ungarn)

Prof. Dr. H. Koht (Norwegen)

Prof. Dr. H. Lammasch (Österreich)

Prof. Dr. Achille Loria (Italien)

Paul Otlet (Belgien)

J. Scherrer-Fullemann (Schweden)

Prof. Dr. Walther Schücking (Deutschland)

Th. Stauning (Dänemark)

Jhr. Dr. B. de Jong van Beek en Donk, Generalsekretär (Den Haag).

———————


O ihr Hochgeehrten, die ihr Pioniere seid unter den Wohlwollenden in der Welt der Menschheit!

Die Briefe, die ihr während des Kriegs (an mich) gesandt habt, sind nicht eingetroffen, ein Brief aber vom 11. Februar 1916 hat mich soeben erreicht und darauf folgt umgehend eine Antwort. Eure Absicht verdient tausendfältiges Lob; denn ihr dient der Menschenwelt, und dies führt zu Glück und Wohlergehen aller. Dieser letzte Krieg hat der Welt und den Völkern bewiesen, daß Krieg Vernichtung ist, Weltfriede dagegen Aufbau. Krieg ist Tod, Friede hingegen Leben. Krieg ist Raubsucht und Blutgier, Friede indessen Wohltätigkeit und Menschlichkeit; Krieg gehört der Welt der Natur an, Friede aber zu den Grundlagen der Religion Gottes; Krieg ist Finsternis über Finsternis, während Friede Himmlisches Licht ist; Krieg ist Zerstörer des Menschengebäudes, Friede das Ewige Leben der Menschenwelt; Krieg ist wie ein reißender Wolf, Friede aber den Engeln des Himmels gleich; Krieg ist Kampf ums Dasein, während Friede wechselseitige Hilfe und Zusammenarbeit unter den Völkern der Welt und die Ursache des Wohlgefallens des Einen Wahren im Himmlischen Reiche ist.

Es gibt keine Seele, deren Bewußtsein nicht bezeugte, daß es heutigen Tages keine wichtigere Sache auf der Welt gibt, als den Weltfrieden. Jeder rechtlich denkende Mensch bestätigt dies und schätzt diese geehrte Gemeinschaft hoch; denn sie verfolgt das Ziel, diese Finsternis in Licht, diesen Blutdurst in Güte, diese Folter in Gebete, dieses Elend in Wohlfahrt und diese Feindschaft und diesen Haß in Kameradschaft und Liebe zu verwandeln. Daher ist die Bemühung dieser geachteten Seelen des Preises und Lobes wert.

Jedoch, weise Seelen, welche der wesenhaften Beziehungen, die von der Wirklichkeit der Dinge ausgehen, gewahr sind, betrachten wohl, daß eine einzelne Sache an sich die menschliche Wirklichkeit nicht so beeinflussen kann, wie es sein müßte und sollte, denn ehe die Gesinnung der Menschen nicht geeinigt wird, kann keine wichtige Angelegenheit durchgeführt werden. Heute ist der Weltfriede eine Sache von großer Wichtigkeit, aber die Einheit des Bewußtseins ist dabei wesentlich, so daß die Grundlage dieser Sache gesichert, ihre Aufrichtung fest und ihr Aufbau stark sein möge.

Darum erklärte Seine Heiligkeit Bahá’u’lláh vor 50 Jahren diese Frage des Weltfriedens zu einer Zeit, als Er in der Festung Akka in strenger Haft Unrecht erduldete und eingekerkert war. Er schrieb über diese wichtige Angelegenheit, den Weltfrieden, an alle großen Herrscher der Welt und verwirklichte ihn im Kreise Seiner Freunde im Orient. Der Horizont des Ostens war in tiefstem Dunkel, Völker entfalteten stärksten Haß und Feindschaft untereinander, Religionen lechzten nach dem Blut der andern — es herrschte Finsternis über Finsternis. In einer solchen Zeit erstrahlte Seine Heiligkeit Bahá’u’lláh der Sonne gleich vom Horizont des Ostens und erhellte Persien mit den Strahlen dieser Lehren.

Eine Seiner Lehren war die Erklärung des Weltfriedens. Menschen verschiedener [Seite 39] Völker, Religionen und Sekten, die Ihm nachfolgten, traten sich in solchem Maße nahe, daß bemerkenswerte Versammlungen zustande kamen, die aus verschiedenen Völkern und Religionen des Ostens zusammengesetzt waren. Jede Seele, welche diese Versammlungen besuchte, sah nur ein Volk, eine Lehre, einen Pfad, ein Gebot, denn die Lehren Seiner Heiligkeit Bahá’u’lláh waren ja nicht auf die Errichtung des Weltfriedens beschränkt; sie umfaßten vielmehr viele Lehren, welche die des Weltfriedens ergänzten und stützten.

Eine dieser Lehren ist: das selbständige Erforschen der Wirklichkeit, so daß die Menschenwelt aus dem Dunkel der Nachahmung erlöst werde und zur Wahrheit gelange, daß sie das zerlumpte und abgetragene Kleid von tausend Jahren abreiße und wegwerfe und ein Gewand anlege, welches in höchster Reinheit und Heiligkeit auf dem Webstuhl der Wirklichkeit gewoben ist. Da Wirklichkeit eines ist und Vielfältigkeit nicht zulassen kann, darum müssen verschiedene Ansichten schließlich in einer aufgehen.

Unter den Lehren Seiner Heiligkeit Bahá’u’lláh findet sich auch die der Einheit der Menschenwelt, nämlich, daß alle menschlichen Geschöpfe die Schafe Gottes sind und Er der gütige Hirte. Dieser Hirte ist gut zu allen Schafen, denn Er schuf sie alle, erzog sie, sorgte für sie und beschützte sie. Da besteht also kein Zweifel, daß der Hirte gütig ist zu allen Schafen, und sollten unter diesen Unwissende sein, so müssen sie belehrt werden; sind Kinder darunter, so müssen sie erzogen werden, bis sie die Reife erlangen; sind Kranke darunter, so müssen sie geheilt werden. Doch darf es keinen Haß und keine Feindschaft geben. Wie von einem gütigen Arzt müssen diese Unwissenden und Kranken behandelt werden.

Eine weitere Lehre Seiner Heiligkeit Bahá’u’lláh ist, daß Religion die Ursache von Kameradschaft und Liebe sein muß. Wird sie Ursache der Entfremdung, dann bedarf man ihrer nicht, denn Religion ist wie ein Heilmittel; verschlimmert sie das Leiden, dann wird sie hinfällig.

Unter den Lehren von Bahá’u’lláh finden wir, daß Religion mit Wissenschaft und Vernunft in Einklang sein muß, so daß sie in die Menschenherzen strömt. Die Grundlage muß festgefügt sein und darf nicht aus Nachahmungen bestehen.

Und wieder eine der Lehren von Bahá’u’lláh ist, daß religiöse, rassische, politische, wirtschaftliche und vaterländische Vorurteile das Gebäude der Menschheit zerstören. Solange diese Vorurteile herrschen, so lange wird die Menschenwelt nicht Ruhe finden. Über einen Zeitraum von 6000 Jahren berichtet uns die Geschichte von der Menschheit. Während dieser 6000 Jahre ist die Menschenwelt nicht frei geworden von Krieg, Streit, Mord und Blutgier. In jedem Zeitabschnitt ist Krieg geführt worden in diesem oder jenem Land und dieser Krieg war entweder aus religiösem Vorurteil entstanden, oder aus rassischem Vorurteil, aus politischem Vorurteil oder aus vaterländischem Vorurteil. Es ist darum erfahrungsgemäß bewiesen, daß alle Vorurteile zerstörend auf den Bau der Menschheit wirken. Solange diese Vorurteile weiterbestehen, muß der Kampf ums Dasein vorherrschen und Blutdurst und Raubgier fortdauern. Deshalb kann, ebenso wie es in der Vergangenheit schon der Fall war, die Menschheit aus der Finsternis der Erdgebundenheit nicht errettet werden und kann keine Erleuchtung empfangen, es sei denn, daß sie die Vorurteile ablegen und die Tugenden des Gottesreiches erwerben.

Wenn solches Vorurteil und Feindseligkeit auf Kosten der Religion entstehen, (so bedenkt, daß) die Religion die Ursache der Freundschaft sein sollte; sonst ist sie fruchtlos. Und wenn das Vorurteil völkischer Natur ist, (so bedenkt, daß) alle Menschen einem Volke angehören. Alle sind dem Baume Adams entsprossen und Adam ist die Wurzel des Baumes. Dieser Baum ist einer und alle die Völker sind den Ästen gleich, während die einzelnen Menschen den Blättern, Blüten und Früchten daran gleichen. So ist also die Abgrenzung verschiedener Völker und das davon herrührende Blutvergießen und Zerstörungswerk am Bau der Menschheit nur menschlicher Unwissenheit und eigennützigen Trieben entsprungen.

Was das vaterländische Vorurteil betrifft, so entstammt auch dieses völliger Unwissenheit, denn die Erdoberfläche ist ein Heimatland. [Seite 40] Ein jeder Mensch kann an jedem beliebigen Ort des Erdballs leben. Darum ist die ganze Welt des Menschen Vaterstatt. Diese Grenzlinien und Grenzgebilde sind durch den Menschen ersonnen worden. In der Schöpfung sind solche Grenzen und Hoheitsgebiete nicht verzeichnet. Europa ist ein Erdteil, Asien ist ein Erdteil, Afrika ist ein Erdteil, Australien ist ein Erdteil, aber einige Seelen haben aus persönlichen Trieben und aus Eigennutz einen jeden dieser Erdteile zerteilt und einen bestimmten Teil als ihr eigenes Land betrachtet. Gott hat keine Grenzen zwischen Frankreich und Deutschland gezogen: sie gehen ineinander über. Fürwahr, in den ersten Jahrhunderten haben selbstsüchtige Seelen um ihrer eigenen Vorteile willen Grenzen und Umrisse gezogen und haben Tag für Tag dem mehr Gewicht beigelegt, bis dies schließlich zu heftiger Feindschaft, Blutvergießen und Raubgier in den folgenden Jahrhunderten führte. Auf diese Weise wird es unabsehbar weitergehen, und wenn dieser Begriff von Vaterlandsliebe innerhalb eines gewissen Kreises beschränkt bleibt, so wird dies die Hauptursache der Weltzerstörung sein. Kein kluger und gerechter Mensch wird diese eingebildeten Unterscheidungen anerkennen. Ein jeweilig begrenztes Stück Fläche, welches wir unser Vaterland nennen, betrachten wir als unser Heimatland — wogegen der Erdball doch aller Heimatland ist, nicht aber ein eingeengter Raum. Kurz gesagt: nur wenige Tage leben wir auf dieser Erde und werden wohl auch in ihr bestattet, sie ist unser dauerndes Grab. Ist es darum wert, daß wir uns in Blutvergießen einlassen und einander um dieses Dauergrabes willen in Stücke reißen? Nein fürwahr, weit davon entfernt: weder kann ein solches Verhalten vor Gott gefallen, noch könnte es ein klar denkender Mensch gut heißen.

(Fortsetzung folgt.)



Aus dem Schatz der Erinnerungen an Abbas Effendi, 'Abdu'l-Bahá. Haifa 1906 - 11[Bearbeiten]

Neunzehnter Brief von Frau Dr. J. F. an Frau A. Schwarz, Stuttgart


Philosophische Gespräche des Meisters mit einem französischen Konsulatsbeamten. Außer Dr. F. sind noch persische und arabische Bahá’is da.

Ort: Empfangsraum des Meisters.

Zeit: Januar 1910.

Sprache: Ausschließlich Arabisch.

Hauptsächliches Thema: Darwinistische Gedankengänge in der islamitischen Philosophie und in der Bahá’i-Lehre.

Der Franzose: „Exzellenz, moderne Gelehrte, wie Prof. Browne, Ethé, Goldziher, Houtsma usw. behaupten, daß die Bahá’i-Lehre viele Anschauungen aus der Entwicklungs- und Deszendenztheorie von Darwin entlehnt hat und darin abendländisch und nicht morgenländisch anmutet. Ist es so?“

Der Meister: Die gesegnete Schönheit Bahá’u’lláh hat die orientalische Naturlehre, wie wir sie mit den persischen Sufis teilen, in Seinen Schriften niedergelegt. Diese Naturlehre, welche auch die arabischen Philosophen*) anerkennen, hat einige Ähnlichkeit mit der Darwinschen Entwicklungs- und Deszendenztheorie: Im Abendland, so wurde ich belehrt, gilt Darwins Lehre als eine materialistische, als eine atheistische! Das orthodoxe (strenggläubige) Christentum macht dem Darwinismus den Vorwurf, daß die Deszendenzlehre den Begriff eines allmächtigen persönlichen Schöpfers als überflüssig darlege.

*) Arab. Philosophen muslimitischen Glaubens, wie Kindi, Farabi, ibn Sina und Gazali, um nur die Wichtigsten zu nennen.


Genau so geschah es in Persien. Nämlich unter dem aufgeklärten Sasanidenfürst Jezdegerd II, der von 438/9-—-457 herrschte, bekam die Lehre des Zrwanismus (ausgesprochen wie Swanismus) die Oberhand über alle andern Religionssysteme. In dieser Religion galt als oberstes Prinzip die endlose Zeit [Seite 41] (persisch zrwan, swan — Zeit, auf Arabisch dahr — Zeit**)). Diese Zeitkategorie war astrologisch begründet und verknüpft mit der endlosen Bewegung des Himmels. Die Gestirne der Himmelsphäre stellten die Urelemente oder die Urkräfte dar. Die Sonne, die zeitlose Sonne war gleichsam die höchste, die Urpotenz und einer unpersönlichen, ewigen, menschenfernen, unbegreiflichen Gottheit zu vergleichen. Die Anhänger dieser Lehre, Swanisten genannt, nannten sich auch Bekenner der Einheit, im Gegensatz zu den dualistischen Zoroastern, die ein gutes und ein böses Prinzip als Gottheit annahmen. Die Swanisten waren also gleichsam die Monisten, welche die Eigenschaftslosigkeit einer unpersönlichen Urpotenz oder Gottheit predigten. Der Sasanidenfürst Jezdegerd II selbst soll gesagt haben: „Über die ewige Gottheit läßt sich nur Negatives aussagen. Sie ist der Inbegriff der ewigen Zeit, erhaben über Raum, Bewegung, Licht und Kraft.“ Wohl muß die sichtbare Welt, die gegenwärtige Natur ein Schöpfungsakt dieser Gottheit sein und ist somit die irdishe Schöpfung eine zeitlich begrenzte. Die, der Natur innewohnende Schöpfungskraft des Ewigen, d. h. Zeitlosen, wirkt fortzeugend dynamisch, so daß aus einer Urzelle sich progressiv und potenzial alle irdischen Wesen entwickelt haben. Hier finden wir die Darwinsche Entwicklungs- und Deszendenzlehre schon im Keime. Diese Vorstellung von Schöpfer und Welt konnte nur philosophischen Köpfen zusagen. Die große Masse der Alltagsmenschen wollte aber für ihre frommen Glaubensbedürfnisse keine hochgeistigen Theorien, keine logischen Schlußfolgerungen, sie wollte keine philosophische Aufklärung, sondern eine Religion. Auf die Swanisten folgten die Quadariten, auf diese die Mutaziliten. Alle diese drei Kategorien von Freidenkern setzten sich über religiöse Überlieferungen, über das Wort Gottes in den Heiligen Büchern (Avesta, Koran usw.) allzuleicht hinweg. Die Vernunft galt mehr als das offenbarte Buch! Zum Beispiel lehrten die orthodoxen (rechtgläubigen) Moslems, daß der Koran zwar dem Propheten zu einer gewissen Zeit geoffenbart worden sei, aber er, der Koran, als Wort Gottes, stamme aus der Ewigkeit her, er sei eines der ewigen Attribute Gottes. Die Freidenker jedoch, die Mutaliziten sagten, es zieme sich nicht, neben Allah noch an einen ewigen Koran zu glauben. Das sei Abgötterei und widerspreche dem Begriff der absoluten Einheit, absoluten Ewigkeit, absoluten Unteilbarkeit Gottes! Obgleich die mutazilitischen Kalifen es als Staatsdogma verkündigen ließen, daß der Koran geschaffen worden sei, wollte die große Masse des Volkes nichts davon wissen. Sogar die öffentliche Bestrafung eines Leugners dieses Staatsdogmas wirkte nicht nur nicht abschreckend, sondern anfeuernd, denn: „Märtyrer machen Schule!“

**) Ein Swanist ist also gleichbedeutend mit einem Dahriten. Die arabische Philosophie ist immer muslimitisch und lehnt deswegen das dahritische System, das keinen persönlichen Weltenschöpfer kennt, ab. Die dahritischen Philosophen zeigten kein Bedürfnis, alles Seiende auf ein geistiges Wesen zurückzuführen, welches sich persönlich zu den Geschöpfen stellte und als ein schaffendes, festlaufendes Wirken sich äußerte.


Die Natur- und Vernunftreligion der Freidenker galt damals als reiner und höher stehend als die Erkenntnis der Offenbarungslehren im Koran, welche als erworbenes, sekundäres, angelerntes Wissen hingestellt wurde. Die bekanntesten Mutaziliten (Freidenker) sind Abu-l-Hudhail al-Allaf († 950), dann Al-Nazzam, ein Zeitgenosse des vorigen, Dschahiz, der Schüler des letzteren. Al-Nazzam war ein ganzer Darwinist. Hören wir nur, was er aussagt: „Die Schöpfung ist ein einmaliger Akt, mit dem der Ewige, Zeitlose alles zugleich erschaffen hat, so daß Eins im Andern enthalten ist und im Laufe der Jahrhunderte und Jahrtausende die verschiedenen Exemplare von Mineralien, Pflanzen und Tieren, sowie die Menschen, nach und nach aus ihrem latenten Zustande in die sichtbare Erscheinung treten.“ Al Nazzam geht aber noch weiter. Er behauptet: „Das Feuer, das heißt die Wärme, ist z. B. latent im Holze enthalten, wird aber frei, wenn durch mechanisches Reiben sein Antagonist, das Kalte, mehr und mehr verschwindet. Es findet dabei eine Bewegung, eine Kraftumsetzung statt, aber keine qualitative Veränderung.“ Die sinnlichen Qualitäten, wie Farben, Geschmäcker, Gerüche sind — nach Al Nazzam — Körper. [Seite 42]

Der Meister: „Meine deutsche Freundin“, — zu mir gewendet — „sind das nicht die modernen Gedanken eures deutschen Physikers, wie heißt er denn gleich? Ober-Eier?” — „Robert Mayer“, verbessere ich und bestätige gerne dem Meister, daß solche Vorstellungen einem modernen Physiker ganz gut anständen.

Al Nazzam war auch der erste arabische Religionsphilosoph, der darlegte, daß Muhammed, der Prophet, eine Mission für die ganze Menschheit habe (wie einst Christus auch). Gott sendet von Zeit zu Zeit seine Propheten zur ganzen Menschheit. Sein Schüler Dschahiz († 869), ein Schöngeist und Naturphilosoph, verlangte: „Ein echter Gelehrter habe das Studium der Theologie mit dem der Naturwissenschaft zu verknüpfen! Des Menschen einziges Verdienst — sagt Dschahiz — besteht darin, das Gute und Vollkommene zu wollen und zu erstreben!“

Aus der Freidenkerschule von Bagdad (um das Jahr 900) stammen noch andere materialistische, naturphilosophische Gelehrte wie Muammar, Abu Hashim von Basra († 933) und andere. Sie lehrten — neben vielen anderen: „Der Zweifel an allem Göttlichen und Menschlichen ist lobens- und empfehlenswert, denn der Zweifel ruft den Wissensdurst, den Erkenntnistrieb, den Glaubenshunger hervor!“

Doch wie schon gesagt, setzten sich die Freidenker und Darwinisten — trotz Staatsunterstützung — beim Volke, der großen Masse, nicht durch. Unser Herr Muhammed hatte in weiser Menschenkenntnis in seinem heiligen Buch, im Koran, den Gläubigen eine Religion, nicht eine bloße Lehre gegeben, Er hatte im Koran Gesetze und keine Dogmen niedergelegt. „Der Glaube aber soll Gehorsam sein, nicht Erkenntnis.“ Allerdings wird dem vollendeten Glaubensgehorsam die Erkenntnis nicht mehr schaden! Der große Prophet, unser Herr Muhammed, hat selbst gesagt: „Das erste, was Gott geschaffen hat, ist das Wissen oder besser gesagt: das Erkenntnisvermögen der Vernunft!“ Doch soll der Glaubensgehorsam vorausgehen, sonst wird Wissen und Erkenntnis zum fatalen Apfel des verbotenen Paradiesbaumes! Wir Bahá'i können dem zustimmen: „Erst Glaubensgehorsam, dann Erkenntnis und aus der Erkenntnis sprießt ganz von selbst die Toleranz, die Friedfertigkeit und Brüderlichkeit und daraus die Welteinheit.“

Es ist spät geworden, vielleicht können wir bald wieder einmal auf dieses Thema zurückgreifen. Alláhu Abhá!

Die Anwesenden sind entlassen — der Meister behält allein den französischen Konsulatsbeamten noch zurück, der heute den Vorzug genießen darf, mit dem Meister zu speisen. — Zwei Tage später treffe ich den Franzosen am Meeresstrand. Er erzählte mir, der Meister habe eingewilligt, in Bälde — in einer der nächsten Audienzen, allerdings nur im intimeren Kreis — nochmals über orientalischen Darwinismus zu reden. Zuerst wolle der Meister über Al-Aschari (875—935) sprechen, dem arabischen Religionsphilosophen, welcher die Brücke zwischen der materialistischen Lehre, „der Mutaziliten“, und der rechtgläubigen Lehre, der „Glaubensgehorsamen“, zu schlagen vermochte. Würde die Zeit langen, so würde der Meister auch noch uns belehren über die Sekte der treuen Brüder von Basra und die Karmatenpartei des Abdallah ibn Maimun, welche beide als die Darwinisten des zehnten Jahrhunderts bezeichnet würden. — Wir zweifelten zwar, ob wir den Meister so lange ungestört bei einem Thema genießen könnten? Trotzdem freuten wir uns auf diese Aussicht, denn ein lebendiges Wissen, meisterhaft vorgetragen, hat unendlich mehr Wert als ein Schulwissen aus Büchern! Inschallah — so hofften wir — würde uns dieser Genuß nicht entgehen.



Weltenwende[Bearbeiten]

Ein Brief von Shoghi Effendi an die Freunde im Abendland (Fortsetzung)

Bahá’u’lláhs Ruf ist in erster Linie gegen jede Form von Provinzialismus, Abschließung oder Vorurteile gerichtet. Wenn langgepflegte Ideale und altehrwürdige [Seite 43]Weltenwende Einrichtungen, gewisse soziale Annahmen und religiöse Formeln aufgehört haben, der allgemeinen menschlichen Wohlfahrt zu dienen, wenn sie den Bedürfnissen einer sich ständig fortentwickelnden Menschheit nicht mehr genügen, so mögen sie hinweggefegt und in die Rumpelkammer veralteter und vergessener Lehrsätze geworfen werden. Warum sollten sie in einer Welt, die dem unwandelbaren Gesetz der Veränderung und Vergänglichkeit unterworfen ist, allein von der Entartung ausgenommen sein, die jede menschliche Einrichtung befallen muß? Denn rechtliche Grundsätze, Staats- und Wirtschaftstheorien haben lediglich die Aufgabe, die Interessen der Menschheit als Ganzes zu wahren, nicht aber die Menschheit um der Unverletzlichkeit irgend eines besonderen Gesetzes oder Lehrsatzes willen ans Kreuz schlagen.

Irren wir uns nicht! Der Grundsatz der menschlichen Einheit — der Angelpunkt, um den sich alle Lehren Bahá’u’lláhs drehen — ist kein bloßer Ausbruch unkundiger Gefühlsseligkeit, noch ein Ausdruck unklarer frommer Hoffnung. Sein Ruf ist nicht gleichbedeutend mit einer bloßen Wiedererweckung des Geistes der Bruderschaft und des guten Willens unter den Menschen, er zielt nicht nur auf die Förderung harmonischer Beziehungen unter den einzelnen Völkern und Ländern ab, seine Ausfolgerungen gehen vielmehr tiefer, ihre Tragweite ist größer als sie je von den Propheten der Vergangenheit gefordert werden durfte. Seine Botschaft läßt sich nicht nur auf den Einzelnen anwenden, sondern befaßt sich in erster Linie mit dem Wesen derjenigen grundlegenden Beziehungen, die alle Länder und Völker als Glieder einer menschlichen Familie zusammenschließen müssen. Sein Ruf richtet nicht nur ein Ideal auf, sondern ist untrennbar mit einer Einrichtung verbunden, die geeignet ist, seine Wahrheit zu verkörpern, ihre Gültigkeit darzutun und ihrem Einfluß Dauer zu verleihen. Er ruft eine organische Veränderung in der Struktur der heutigen Gesellschaft hervor, wie sie die Welt noch nicht erfahren hat. Er fordert kühn und weltumfassend dazu heraus, nationalen Glaubensbekenntnissen abzuschwören, die ihre Zeit gehabt haben, und im normalen Verlauf der Dinge, wie es von der Vorsehung vorgezeichnet und gewollt ist, einem neuen Evangelium Platz machen müssen, das sich grundlegend von dem, das der Welt bereits bekannt ist, unterscheidet und ihm unendlich überlegen ist. Er fordert nichts geringeres als den Wiederaufbau und die Entmilitarisierung der ganzen Kulturwelt — einer Welt, die in allen wesentlichen Lebensfragen, ihrem politischen Mechanismus, geistigen Streben, Handel und Finanzwesen, ihrer Schrift und Sprache organisch zusammengewachsen und doch von einer unendlichen Mannigfaltigkeit an nationalen Eigentümlichkeiten ihrer verbündeten Staatenglieder ist.

Er stellt die Vollendung der menschlichen Entwickelung dar — einer Entwickelung, die ihre frühesten Anfänge in der Entstehung des Familienlebens gehabt hat, sich über das Stammesbewußtsein zur Bildung von Stadtherrschaften fortgesetzt hat, um schließlich zur Errichtung unabhängiger, unumschränkter Staaten zu führen.

Der Grundsatz der menschlichen Einheit, wie er von Bahá’u’lláh verkündet worden ist, enthält nicht mehr und nicht weniger als die feierliche Versicherung, daß die letzte Stufe dieser erstaunlichen Entwickelung nicht nur erreicht werden muß, sondern daß sie unvermeidlich ist, daß sie bald erreicht werden wird, und daß nur eine Macht, die von Gott kommt, sie mit Erfolg begründen kann.

Dieser wunderbare Gedanke findet seinen unmittelbaren Ausdruck in den bewußten Bemühungen und bescheidenen Anfängen der erklärten Anhänger des Glaubens Bahá’u’lláhs, die sich der Erhabenheit ihrer Berufung bewußt und mit den veredelnden Grundsätzen Seiner Verwaltung vertraut sind und darnach streben, Sein Reich auf Erden zu errichten. Er findet seinen mittelbaren Ausdruck in der allmählichen Ausbreitung des Weltgemeinschaftsgeistes, der unwillkürlich aus den Umwälzungen der aufgelösten Gesellschaftsordnung hervorwächst.

Es wäre anregend, die Geschichte des Wachstums und der Entwickelung dieser hohen Begriffe zu verfolgen, das in wachsendem Maße die Aufmerksamkeit der [Seite 44] verantwortlichen Hüter der Völkerschicksale auf sich lenken muß. Den Staaten und Ländern, die gerade aus dem Wirrwar der großen napoleonischen Umwälzungen herausgefunden hatten und nun vor allem darnach trachteten, entweder ihr Recht auf ein unabhängiges Dasein zurückzugewinnen oder zur nationalen Einheit zu kommen, erschien der Begriff der Weltverbundenheit nicht nur fremd, sondern auch unbegreiflich. Erst als die nationalen Kräfte die Grundfesten der Heiligen Allianz erschüttert hatten, die ihre aufsteigende Macht zu beschränken versucht hatte, konnte auf die Möglichkeit einer Weltordnung ernstlich eingegangen werden, die über die von den Ländern geschaffenen politischen Einrichtungen hinausging. Bis zum Ende des Weltkrieges betrachteten die Vertreter eines anmaßenden Nationalismuses eine solche Ordnung als verderbliche Lehre, die darauf abzielte, die notwendige Untertanentreue zu untergraben, auf der die Fortdauer ihres nationalen Seins begründet war. Mit einer Energie, die an die Zähigkeit erinnert, mit der die Mitglieder der Heiligen Allianz versucht hatten, den Geist des entstehenden Nationalismuses unter den vom napoleonischen Joch befreiten Völkern zu ersticken, haben die Verfechter ungehemmter nationaler Unantastbarkeit ihrerseits daran gearbeitet und arbeiten noch daran, diejenigen Grundsätze in Verruf zu bringen, von denen ihre eigene Rettung letzten Endes abhängt.

Die heftige Opposition, die der mißlungene Entwurf des Genfer Protokolls hervorrief, die spöttischen Ergüsse über den Vorschlag eines Paneuropa, und der Fehlschlag des allgemeinen Planes für die wirtschaftliche Vereinigung Europas mögen als Rückschläge in der Arbeit einer Handvoll weitsichtiger Menschen erscheinen, die ernsthaft bemüht sind, dieses edle Ideal zu fördern. Und doch, lassen wir uns nicht mit Recht aufs neue durch die Feststellung entmutigen, daß allein schon die Erörterung solcher Vorschläge ein Beweis für deren ständiges Wachstum in den Gemütern und Herzen der Menschen ist?

Um nur ein Beispiel herauszugreifen: Welche dreiste Behauptungen sind in den Tagen, die der Vereinigung der Staaten des nordamerikanischen Kontinentes vorausgingen, bezüglich der unüberwindlichen Schranken gemacht worden, die ihrer schließlichen Verbündung im Wege standen! War nicht ausführlich und eindrücklich erklärt worden, daß die widerstreitenden Interessen, das gegenseitige Mißtrauen, die Unterschiede in der Regierungsform und in den Gewohnheiten, die die Staaten trennten, so schwerwiegend wären, daß keine geistige oder weltliche Kraft je hoffen könnte, sie in Einklang zu bringen oder zu beschränken? Und wie verschieden sind doch die Zustände vor hundertfünfzig Jahren von denen gewesen, die die heutige Gemeinschaft kennzeichnen. Es wäre sogar nicht übertrieben, zu behaupten, daß das Problem des Zusammenschlusses der amerikanischen Staaten zu einem einzigen Bund, obgleich sie eine gewisse gemeinsame Überlieferung hatten, durch das Fehlen aller Erleichterungen, die der moderne wissenschaftliche Fortschritt heute in den Dienst der Menschheit gestellt hat, eine unendlich schwierigere Aufgabe war, als diejenige, der sich die entzweite Welt in ihren Anstrengungen, die ganze Menschheit zu vereinigen, gegenübersieht.

(Fortsetzung folgt.)




Das Leben nach dem Tode.[Bearbeiten]

I. Teil.

Zusammengestellt von der Arbeitsgemeinschaft Müritz (Mecklenburg). (Fortsetzung)


Die Unsterblichkeit des Geistes.

„Der Körper wird in die Erde gebettet, woher er kam, und zu der er zurückkehrt. Alles, was du erblickst, kehrt zu seinem ursprünglichen Stoff zurück. Da der menschliche Körper aus Staub gebaut ist, kehrt er wieder zum Staube zurück. Der menschliche Geist aber kommt von Gott, und zu Ihm kehrt er wieder zurück.“

(Aus „Vom Tod und vom ewigen Leben“, „Sonne der Wahrheit“, Januar 1924, S. 163.)

„Du fragtest über den Geist des Menschen [Seite 45] an. Der Geist des Menschen wird keineswegs vernichtet. Er ist unsterblich. Der Geist der heiligen Seelen wird ewiges Leben finden, d. h. er wird zu den höchsten und größten Entwickelungsstufen gelangen. Aber der Geist der achtlosen Seelen ist, trotzdem sie unsterblich sind, in einer Welt der Unvollkommenheit, der Verborgenheit und der Unwissenheit. Dies ist eine Antwort in Kürze. Beschäftige dich mit dieser Frage und denke darüber nach, damit du die Wirklichkeit der Geheimnisse im einzelnen erkennen mögest. Zum Beispiel ist das Mineralreich, so viel es auch Existenz und Leben besitzt, im Vergleich mit dem Menschen völlig nichtexistierend und leblos. Wenn sich im Menschen die Umwandlung vom Leben zum Tod vollzieht, so ist vergleichsweise seine Stufe wie die der mineralischen Existenz. Hier stellt das mineralische Leben den Tod des Menschen dar. Dies ist eine kurze Erklärung.

Wir können in dieser Welt die Gnade Gottes nicht begreifen, noch Seine Liebe schätzen. In der nächsten Welt erst werden wir es vermögen.“

(Aus „Vom Tod und vom ewigen Leben“, „Sonne der Wahrheit“, Januar 1924, Seite 164/165.)


Die Betätigung der Seele.

„... In der physischen Welt wirkt die Seele mit Hilfe des Körpers. Wenn sie vom Körper getrennt ist, handelt sie ohne eine Vermittlung. Wir sehen mit unseren physischen Augen, aber mit unseren Gedanken können wir andere Länder sehen. Amerika wurde durch den Geist entdeckt. An dem Tage, an dem die Seele vom Körper losgelöst wird, besitzt sie nur noch das zweite Mittel der Betätigung, nämlich das ohne Vermittler.

So ist es auch mit den Heiligen Manifestationen, wenn sie diese Erde verlassen haben. Christus handelt heute ohne einen Vermittler. Er bringt sich auf zahlreiche Arten und Weisen zum Ausdruck. Die Sonne scheint das eine Mal durch einen Vermittler, einen Spiegel, das andere Mal ohne diesen. Jetzt schauen wir auf die Sonne, die im Spiegel widergespiegelt wird, und wenn der Spiegel zerbrochen ist, blicken wir auf die Sonne selbst. Der Körper ist das Pferd, die Seele ist der Reiter, und manches Mal bewegt sich der Reiter, ohne auf dem Pferde zu sitzen. Menschen, die nicht darüber nachdenken, sagen, daß wenn die Seele den Körper verlassen habe, sie nicht mehr handeln könne. Die Göttlichen Manifestationen handeln nach der Trennung der Seele vom Körper mächtiger. Bei Lebzeiten von Christus war es Ihm nicht möglich, viele Menschen zu beeinflussen. Heute ist Sein Einfluß weit verbreitet. Der Geist bedarf keines Körpers. — Denket über dieses Thema nach.

(Aus „Die Wechselwirkung der Seele“, „Sonne der Wahrheit“, Januar 1924, S. 162.)


Was wird aus der menschlichen Seele nach ihrer Trennung vom Körper?

„Diese Frage bezieht sich sowohl auf dasjenige, welches einen Raum einnimmt, als auch auf dasjenige, welches raumlos ist. Der menschliche Körper ist im Raume. Die Seele nimmt keinen Platz im Raume ein. Raum gehört zu den materiellen Dingen, und dasjenige, welches immateriell ist, gehört nicht zum Raum. Die Seele ist, gleich dem Intellekt, eine Abstraktion. Die Intelligenz hat nichts mit der Eigenschaft des Raumes zu tun, sie ist aber verbunden mit des Menschen Gehirn. Der Intellekt wohnt dort, aber nicht materiell. Suche im Gehirn, und du wirst den Intellekt nirgends finden. So ist es auch mit der Seele. Obschon sie eine Bewohnerin des Körpers ist, ist sie doch nirgends im Körper zu finden.

Wenn der Mensch stirbt, hört seine Beziehung zu dem Körper auf. Wenn die Sonne im Spiegel widergespiegelt wird, gibt dieser das Licht und den Glanz der Sonne wieder, die Sonne selbst ist aber nicht im Spiegel. In gleicher Weise zeigt sich die Seele im Körper, sie tritt aber weder in denselben ein, noch aus ihm heraus. Wenn der Spiegel zerbrochen ist, stirbt darum die Sonne nicht. Der Körper ist der zeitweilige Spiegel. Die geistige Seele erleidet keine Veränderung, ebensowenig wie die Sonne, die ewig in ihrer eigenen Wesensart verbleibt. Es ist hier wie in der Traumwelt: wenn alle physischen Fähigkeiten im Zustande der Untätigkeit sind, wandert die Seele in alle Reiche, sie sieht, hört und spricht. Selbst wenn der [Seite 46] physische Körper aufgelöst wird, so wird die Seele hiervon nicht berührt . . .“

(Aus „Die Wechselwirkung der Seele“, „Sonne der Wahrheit“, Januar 1924, S, 162.)


Das Erkennen in der geistigen Welt.

". . . Bezüglich der Frage, ob sich Seelen untereinander in der geistigen Welt erkennen, ist zu sagen: Diese Tatsache ist gewiß, denn das Königreich Gottes ist die Welt des Schauens aller verborgenen Wirklichkeiten. Wenn der Mensch die verborgenen Dinge, über welche er während seines irdischen Daseins achtlos hinweggeht, in der himmlischen Welt entdeckt und ihre Wesenheit erkennt, wieviel mehr wird er die Personen, mit denen er hier verkehrte, wiedererkennen. Ohne Zweifel werden diese heiligen Seelen, die mit reinen Augen und geistigem Gesicht begabt sind, in alle Geheimnisse des ganzen Königreiches des Lichtes eingeweiht werden und die geoffenbarte Schönheit Gottes schauen. Gleicherweise werden sie allen Freunden Gottes der vergangenen und der gegenwärtigen Zeiten in der himmlischen Versammlung begegnen .. .“

(Aus „Antwort 'Abdu’l-Bahás auf verschiedene Fragen“, „Sonne der Wahrheit“, Mai 1921, Seite 47.)

Frage: „Werde ich meine verstorbene Mutter wieder sehen?“

Antwort ‘Abdu’l-Bahás: „Sicherlich, eine Trennung gibt es nur dem Körper nach.“

(Aus „Begegnung mit ‘Abdu’l-Bahá am See Genezareth“, „Sonne der Wahrheit“, Januar 1922, Seite 180.)

In London wurde ‘Abdu’l-Bahá gefragt, ob man nach dem Tode sogleich wieder mit bereits verstorbenen Angehörigen vereint werden könnte.

Er antwortete, daß diese Vereinigung von der betreffenden Stufe der Seelen dieser beiden abhängig wäre. Wenn beide den gleichen Entwickelungsgrad besitzen, so werden sie nach dem Tode unverzüglich miteinander vereint.

Eine andere Anwesende fragte, wie dieser Zustand der Entwickelung zu erlangen wäre.

‘Abdu’l-Bahá antwortete: „Durch unablässiges Bemühen und Suchen, das Rechte zu tun und sich geistige Eigenschaften anzueignen."

Die Fragestellerin erwähnt weiter, daß manche Menschen dächten, daß alle Seelen genau die gleiche Vollkommenheit und Reinheit erlangten, daß alle gleich und unterschiedslos sein würden.

'Abdu'l-Bahá erwiderte, daß ebenso wie auch in dieser Welt vielerlei und unterschiedliche Grade erlangt werden könnten.

Es wurde die Frage gestellt, wie man ohne materiellen Körper verschiedene Wesenheiten und Charaktere erkennen könnte, wenn sich alle im gleichen Zustand und auf derselben Stufe der Existenz befänden.

'Abdu'l-Bahá sagte: „Wenn mehrere Menschen im selben Augenblick in einen Spiegel schauen, so sehen sie alle die verschiedenen Persönlichkeiten, ihre Merkmale und Bewegungen, aber dennoch ist es nur ein Spiegelglas. In eurem Sinne tragt ihr vielerlei Gedanken, aber alle diese sind einzeln und getrennt. Du magst vielleicht hunderte von Freunden haben. Rufst du sie dir aber ins Gedächtnis, so verwechselst du den einen nicht mit dem anderen. Ein jeder ist für sich und gesondert, da jeder seine persönlichen Eigenheiten und Merkmale hat... .“

(Aus „Das Leben nach dem Tode“, „Sonne der Wahrheit“, April 1923, Seite 21.)


Die Stufe des armen Lazarus und des reichen Mannes.

". . . In bezug auf die Verschiedenheit der Stufe des armen Lazarus und des reichen Mannes ist zu sagen: der erste war geistig, während der zweite materiell war. Der eine war auf der höchsten Stufe der Erkenntnis, der andere dagegen in dem tiefsten Abgrund der Unwissenheit. Dieser Unterschied wird sicherlich von allen Menschen, nachdem sie diese irdische Welt verlassen haben, erkannt werden. Diese Verschiedenheit bezieht sich aber nicht auf einen Ort, sondern auf den Zustand der Seele und auf das Bewußtsein, denn das Königreich Gottes ist über Raum und Zeit erhaben. Es ist eine andere Welt und ein anderes Universum. Aber den heiligen Seelen ist die Gabe der Vermittlung der Erkenntnis verheißen und sei versichert, daß die geistig Geliebten in der göttlichen Welt einander erkennen werden. Sie werden auch die Vereinigung untereinander suchen, aber eine geistige Vereinigung. [Seite 47] Ich hoffe, daß wir in allen göttlichen Welten beisammen sein werden. . ."

(Aus „Antwort ‘Abdu’l-Bahás auf verschiedene Fragen“, „Sonne der Wahrheit“, Mai 1921, Seite 47.)


Sei nicht traurig!

». . . Sei über den Tod deiner lieben Tochter nicht traurig! Dieser göttliche Vogel flog in den Rosenhain des Barmherzigen hinweg und diese Menschenblume eilte zu dem Garten des Reiches El Abhas*). Dieser Tropfen kehrte zum größten Meer zurück. Dieser Lichtstrahl ging in das größte Königreich zurück. Sei glücklich und dankbar, denn du wirst ihr Antlitz im göttlichen Reich leuchten sehen, und wirst sie als eine Leuchte unter der Gemeinschaft der himmlischen Geister sehen . . .“

(Aus „Tablets**) ‘Abdu’l-Bahás nach Amerika“, „Sonne der Wahrheit“, April 1923.)

*) El Abha ist der größte Name Gottes, der in diesem neuen Zeitalter geoffenbart wurde. Vgl. „Sonne der Wahrheit“, Juni 1923, Seite 50.

**) Sendschreiben.


Verbindung mit Verstorbenen.

Während der Anwesenheit ‘Abdu’l-Bahás in London wurde die Frage an Ihn gerichtet, ob es möglich wäre, eine Verbindung mit Toten herzustellen, und ob es klug und ratsam wäre, spiritistischen Sitzungen beizuwohnen oder sich mit Tischrücken, Geisterklopfen usw. zu befassen.

‘Abdu’l-Bahá antwortete, daß dieses Klopfen usw. materieller Art wäre und vom Stofflichen ausginge. Notwendig wäre, sich über das Materielle zu den Reichen der reinen Geistigkeit zu erheben. Tischrücken und ähnliches wäre materiell, ein natürliches Ergebnis und nichts Geistiges.

Es wäre aber möglich, mit den Toten geistig (durch den Zustand des Gemütes und des Herzens) zu verkehren.

(Aus „Abdu’l-Bahá in London“, „Sonne der Wahrheit“, April 1923, Seite 20.)

Eine weitere Frage beantwortend, sagte ‘Abdu’l-Bahá, daß wenn zwei Menschen, zum Beispiel Mann und Frau, vollständig miteinander in diesem Leben verbunden waren, ihre Seelen alsdann wie eine Seele wäre. Diese Einigung des Herzens und der Seele wird, wenn einer von ihnen stirbt, nicht gestört.

(Aus „Abdu’l-Bahá in London“, „Sonne der Wahrheit“, April 1923, Seite 21.)

»... Im Gebet entsteht eine Vereinigung der Stufen, ein Verschmelzen der Zustände. Bete für die Verstorbenen, wie sie für dich beten! Wenn du es nicht gewahrst, und du dich in einem aufnahmefähigen Zustand befindest, ist es ihnen möglich, sich dir zu verstehen zu geben, besonders wenn du in Nöten bist. Dies kann sich manchmal im Schlaf ereignen. Es besteht aber keine phänomenale Verbindung. Das, welches eine phänomenale Verbindung zu sein scheint, benötigt einer anderen Erklärung.“

Der Fragesteller erklärte: „Aber ich habe eine Stimme gehört!“

'Abdu'l-Bahá erwiderte: „Ja, das ist möglich. Wir hören im Traum deutlich Stimmen. Wir hören sie nicht mit dem leiblichen Ohr. Der Geist der Abgeschiedenen ist von den äußeren Sinnen befreit und gebraucht keine körperlichen Mittel. Es ist nicht möglich, solch eine große Sache in menschliche Worte zu kleiden. Die Sprache der Menschen ist ein Kinderlallen, und die Erklärung der Menschen geht oftmals in die Irre.“

Andere Anwesende fragten, wie es käme, daß sich das Herz im Gebet und in der Andacht mit einem instinktiven Ruf an gewisse verstorbene Freunde wendete.

‘Abdu’l-Bahá erklärte: „Es beruht auf einem Gesetz in Gottes Schöpfung, daß sich der Schwache auf den Starken stützen soll. Die, zu denen du dich wendest, mögen für dich Vermittler der göttlichen Kraft sein, ebenso wie es auf Erden ist. Der heilige Geist ist es aber, der allen Menschen Kraft verleiht.“

(Aus „Abdu’l-Bahá in London“, „Sonne der Wahrheit“, August 1923, Seite 85.)

Frage: „Verkehren die abgeschiedenen Seelen mit den Lebenden?“

Antwort ‘Abdu’l-Bahás: „Ja, aber nicht durch Medien, noch in materieller Weise, sondern auf geistige Art.“

(Aus „‘Abdu’l-Bahás Antwort auf verschiedene Fragen“, „Sonne der Wahrheit“, Oktober 1929, Seite 114.)

[Seite 48]

Die Abgeschiedenen und die Lehren Bahá’u’lláh.

Frage: „Wenn jemand die Sache Bahá’u’lláhs während seiner Lebzeit verwirft, darf er alsdann nach seinem Tode von ihr hören?“

Antwort ‘Abdu’l-Bahás: "Ja, er wird in der anderen Welt von ihr hören, aber nur dank der Barmherzigkeit Gottes, nicht durch eigenes Verdienst.“

Frage: „Können wir nicht durch Glauben und Liebe bewirken, daß die, welche sich im Jenseits befinden und im diesseitigen Leben nichts von der Sache Bahá’u’lláhs hörten, nun mit ihr bekannt werden?“

Antwort ‘Abdu’l-Bahás: „Ja, sicherlich! Aufrichtige Gebete haben stets ihre Wirkung. Sie haben in der anderen Welt einen großen Einfluß. Wir sind niemals von denen getrennt, die dort sind.“

(Aus einer Unterredung mit 'Abdu'l-Bahá in Paris, „Sonne der Wahrheit“, August 1921, Seite 91.)

(Fortsetzung folgt.)



Das Licht im Osten[Bearbeiten]

Von Else Budie-Klauke, Berlin


Vom Horizont des Ostens nahm den Lauf

ein wunderbares Licht, ein Gottesbote!

Zum Leben weckt sein Ruf Verlorne, Tote,

und schließt der Heil’gen Schriften Deutung auf:


Bestätigt Christi heilige Mission

und jeden Spruch aus der Propheten Munde,

der Buddhaworte hocherhabne Kunde,

die Sendung Muhammeds vom höchsten Thron.


Wer naht mit solcher Botschaft unsrer Zeit?

Wer darf die Glaubenslehren kühn verbinden,

im Namen Gottes ihre Einheit künden?

Gewaltig überschauend Raum und Zeit?


Wer hat gelitten so wie Christus litt?

Sein Leben lassend für die höchsten Güter,

der ew’gen Wahrheit unerschrockner Hüter?

Riß durch sein Beispiel Jüngerscharen mit?


Wer ward verfolgt, verbannt wie Muhammed?

Wer ging wie Buddha einsam in die Wüste,

wo ihn die Weihe der Erleuchtung grüßte?

Wer stand vor Gott wie Moses im Gebet?


In Heil’gen Geistes Opferglut entbrannt,

den Zwist der Religionen zu beenden,

der Menschheit unheilvollen Lauf zu wenden,

stieg leuchtend und errettend, gottgesandt


ein Dreigestirn in unsre Zeitlichkeit,

die schwer erbebt im Zeichen des Gerichtes:

Als Herold vor dem hohen Tag des Lichtes

erschien der {{Sperrsatz|}Báb} in seiner Heiligkeit!


Ihm folgte Bahá’u’lláhs Majestät,

weltüberstrahlend, eine geist’ge Sonne —

Sein edler Sohn ward aller Herzen Wonne:

‘Abdu’l-Bahá, der Meister, der Prophet!


Wir neigen uns dem dreifach heil’gen Klang,

wir danken Gott für Seine große Gnade,

wir wollen wandeln auf des Lichtes Pfade,

der Wahrheit Bannerträger lebenslang.



Berichtigung: In dem Gedicht „Erleuchtung des Báb“ in der Maiausgabe ist ein Druckfehler unterlaufen: in der vierten Strophe des ersten Verses muß es heißen: an der Imamz-ad (Grabdenkmal eines Imam).



In der Sonne der Wahrheit finden nur solche Manuskripte Veröffentlichung, bezüglich deren Weiterverbreitung keine Vorbehalte gemacht werden. — Anfragen, schriftliche Beiträge und alle die Schriftleitung betreffenden Zuschriften beliebe man an die Schriftleitung: Stuttgart, Alexanderstr. 3 zu senden. — Bestellungen von Abonnements, Büchern und Broschüren sowie Geldsendungen sind an das Bahá’i-Bureau Stuttgart, Alexanderstr. 3, Nebengebäude, zu richten.


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Geschichte und Bedeutung der Bahá’i-Lehre[Bearbeiten]

Die Bahá’i-Bewegung tritt vor allem ein für die „Universale Religion" und den „Universalen Frieden“ — die Hoffnung aller Zeitalter. Sie zeigt den Weg und die Mittel, die zur Einigung der Menschheit unter dem hohen Banner der Liebe, Wahrheit, Gerechtigkeit und Barmherzigkeit führen. Sie ist göttlich ihrem Ursprung nach, menschlich in ihrer Darstellung, praktisch für jede Lebenslage. In Glaubenssachen gilt bei ihr nichts als die Wahrheit, in den Handlungen nichts als das Gute, in ihren Beziehungen zu den Menschen nichts als liebevoller Dienst.

Zur Aufklärung für diejenigen, die noch wenig oder nichts von der Bahá’i-Bewegung wissen, führen wir hier Folgendes an: „Die Bahá’i-Religion ging aus dem Babismus hervor. Sie ist die Religion der Nachfolger Bahá’u’lláhs. Mirza Hussein Ali Nuri (welches sein eigentlicher Name war) wurde im Jahre 1817 in Teheran (Persien) geboren. Vom Jahr 1844 an war er einer der angesehensten Anhänger des Bab und widmete sich der Verbreitung seiner Lehren in Persien. Nach dem Märtyrertod des Bab wurde er mit den Hauptanhängern desselben von der türkischen Regierung nach Bagdad und später nach Konstantinopel und Adrianopel verbannt. In Bagdad verkündete er seine göttliche Sendung (als „Der, den Gott offenbaren werde") und erklärte, daß er der sei, den der Bab in seinen Schriften als die „Große Manifestation", die in den letzten Tagen kommen werde, angekündigt und verheißen hatte. In seinen Briefen an die Regenten der bedeutendsten Staaten Europas forderte er diese auf, sie möchten ihm bei der Hochhaltung der Religion und bei der Einführung des universalen Friedens beistehen. Nach dem öffentlichen Hervortreten Bahá’u’lláhs wurden seine Anhänger, die ihn als den Verheißenen anerkannten, Bahá’i (Kinder des Lichts) genannt. Im Jahr 1868 wurde Bahá’u’lláh vom Sultan der Türkei nach Akka in Syrien verbannt, wo er den größten Teil seiner lehrreichen Werke verfaßte und wo er am 28. Mai 1892 starb. Zuvor übertrug er seinem Sohn Abbas Effendi ('Abdu'l-Bahá) die Verbreitung seiner Lehre und bestimmte ihn zum Mittelpunkt und Lehrer für alle Bahá’i der Welt.

Es gibt nicht nur in den mohammedanischen Ländern Bahá’i, sondern auch in allen Ländern Europas, sowie in Amerika, Japan, Indien, China usw. Dies kommt daher, daß Bahá’u’lláh den Babismus, der mehr nationale Bedeutung hatte, in eine universale Religion umwandelte, die als die Erfüllung und Vollendung aller bisherigen Religionen gelten kann. Die Juden erwarten den Messias, die Christen das Wiederkommen Christi, die Mohammedaner den Mahdi, die Buddhisten den fünften Buddha, die Zoroastrier den Schah Bahram, die Hindus die Wiederverkörperung Krischnas und die Atheisten — eine bessere soziale Organisation.

In Bahá’u’lláh sind alle diese Erwartungen erfüllt. Seine Lehre beseitigt alle Eifersucht und Feindseligkeit, die zwischen den verschiedenen Religionen besteht; sie befreit die Religionen von ihren Verfälschungen, die im Lauf der Zeit durch Einführung von Dogmen und Riten entstanden und bringt sie alle durch Wiederherstellung ihrer ursprünglichen Reinheit in Einklang. Das einzige Dogma der Lehre ist der Glaube an den einigen Gott und an seine Manifestationen (Zoroaster, Buddha, Mose, Jesus, Mohammed, Bahá’u’lláh).

Die Hauptschriften Bahá’u’lláhs sind der Kitab el Ighan (Buch der Gewißheit), der Kitab el Akdas (größtes heiliges Buch), der Kitab el Ahd (Buch des Bundes) und zahlreiche Sendschreiben, genannt „Tablets“, die er an die wichtigsten Herrscher oder an Privatpersonen richtete. Rituale haben keinen Platz in dieser Religion; letztere muß vielmehr in allen Handlungen des Lebens zum Ausdruck kommen und in wahrer Gottes- und Nächstenliebe gipfeln. Jedermann muß einen Beruf haben und ihn ausüben. Gute Erziehung der Kinder ist zur Pflicht gemacht und geregelt.

Streitfragen, welche nicht anders beigelegt werden können, sind der Entscheidung des Zivilgesetzes jeden Landes und dem Bait’ul’Adl oder „Haus der Gerechtigkeit“, das durch Bahá’u’lláh eingesetzt wurde, unterworfen. Achtung gegenüber jeder Regierungs- und Staatseinrichtung ist als einem Teil der Achtung, die wir Gott schulden, gefordert. Um die Kriege aus der Welt zu schaffen, ist ein internationaler Schiedsgerichtshof zu errichten. Auch soll neben der Muttersprache eine universale Einheitssprache eingeführt werden. „Ihr seid alle die Blätter eines Baumes und die Tropfen eines Meeres“ sagt Bahá’u’lláh.

Es ist also weniger die Einführung einer neuen Religion, als die Erneuerung und Vereinigung aller Religionen, was heute von 'Abdu'l-Bahá erstrebt wird. (Vgl. Nouveau, Larousse, illustré supplement, Seite 66.)


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Verlag des Deutschen Bahá’i-Bundes G.m.b.H., Stuttgart

Fernsprecher Nr. 26168 / Postscheckkonto 25419 Stuttgart / Alexanderstr. 3, Nebengebäude

In unserem Verlag sind erschienen:


Bücher:

Verborgene Worte von Bahá’u’lláh. Worte der Weisheit und Gebete . . . —.80

Bahá’u’lláh, Frohe Botschaften, Worte des Paradieses, Tablet Tarasat, Tablet Taschalliat, Tablet Ischrakat. In Halbleinen gebunden . . . . . 2.00

in feinstem Ganzleinen gebunden . . . . . 2.50

'Abdu'l-Bahá Abbas, Ansprachen in Paris über die Bahá’i-Lehre . . . . . . 2.50

Geschichte und Wahrheitsbeweise der Bahá’i-Religion, von Mirza Abul Fazl. . . . . 2.50

'Abdu'l-Bahá Abbas’ Leben und Lehren, von Myron H. Phelps. In Ganzleinen gebunden . . . . . 3.--

Die Bahá’i-Offenbarung, ein Lehrbuch von Thornton Chase. Kartoniert M. 3.--, in Halbleinen gebunden . . . . 3.50

Bahá’u’lláh und das neue Zeitalter, ein Lehrbuch von Dr. J. E. Esslemont. In Ganzleinen gebunden . . . . . 3.50

Beantwortete Fragen 'Abdu'l-Bahá Abbas', gesammelt von L. Clifford Barney . . . . 3.50


Broschüren:

Einheitsreligion. Ihre Wirkung auf Staat, Erziehung, Sozialpolitik, Frauenrechte und die einzelne Persönlichkeit. Von Dr. jur. H. Dreyfus . . . -.30

Das Hinscheiden 'Abdu'l-Bahás, ("The Passing of 'Abdu'l-Bahá") . . . -.30

Das neue Zeitalter von Ch. M. Remey . . . . —.30

Die soziale Frage und ihre Lösung im Sinne der Bahá’i-Lehre von Dr. Hermann Grossmann, Weinheim (Bergstrasse) . . . . —.20

Die Bahá’i-Bewegung, Geschichte, Lehren und Bedeutung. von Dr. Hermann Grossmann, Weinheim (Bergstrasse) . . . . —.20

Sonne der Wahrheit, in Halbleinen gebunden je . . . . 6.--


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