Sonne der Wahrheit/Jahrgang 11/Heft 5/Text

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SONNE

DER

WAHRHEIT
 
ORGAN DER DEUTSCHEN BAHAI
 
HEFT 5 11. JAHRGANG JULI 1931
 


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Abdu’l-Bahás Erläuterung der Bahá’i-Prinzipien[Bearbeiten]

1. Die ganze Menschheit muss als Einheit betrachtet werden.


Bahá’u’lláh wandte Sich an die gesamte Menschheit mit den Worten: „Ihr seid alle die Blätter eines Zweigs und die Früchte eines Baumes“. Das heißt: die Menschheit gleicht einem Baum und die Nationen oder Völker gleichen den verschiedenen Aesten und Zweigen; die einzelnen Menschen aber gleichen den Blüten und Früchten dieses Baumes. In dieser Weise stellte Bahá’u’lláh das Prinzip der Einheit der Menschheit dar. Bahá’u’lláh verkündigte die Einheit der ganzen Menschheit, er versenkte sie alle im Meer der göttlichen Gnade.


2. Alle Menschen sollen die Wahrheit selbständig erforschen.

In religiösen Fragen sollte niemand blindlings seinen Eltern und Voreltern folgen. Jeder muß mit eigenen Augen sehen, mit eigenen Ohren hören und die Wahrheit suchen, denn die Religionen sind häufig nichts anderes als Nachahmungen des von den Eltern und Voreltern übernommenen Glaubens.


3. Alle Religionen haben eine gemeinsame Grundlage.

Alle göttlichen Verordnungen beruhen auf ein und derselben Wirklichkeit. Diese Grundlage ist die Wahrheit und bildet eine Einheit, nicht eine Mehrheit. Daher beruhen alle Religionen auf einer einheitlichen Grundlage. Im Laufe der Zeit sind gewisse Formen und Zeremonien der Religion beigefügt worden. Dieses bigotte menschliche Beiwerk ist unwesentlich und nebensächlich und verursacht die Abweichungen und Streitigkeiten unter den Religionen. Wenn wir aber diese äußere Form beiseite legen und die Wirklichkeit suchen, so zeigt sich, daß es nur eine göttliche Religion gibt.


4. Die Religion muss die Ursache der Einigkeit und Eintracht unter den Menschen sein.

Die Religion ist für die Menschheit die größte göttliche Gabe, die Ursache des wahren Lebens und hohen sittlichen Wertes; sie führt den Menschen zum ewigen Leben. Die Religion sollte weder Haß und Feindschaft noch Tyrannei und Ungerechtigkeiten verursachen. Gegenüber einer Religion, die zu Mißhelligkeit und Zwietracht, zu Spaltungen und Streitigkeiten führt, wäre Religionslosigkeit vorzuziehen. Die religiösen Lehren sind für die Seele das, was die Arznei für den Kranken ist. Wenn aber ein Heilmittel die Krankheit verschlimmert, so ist es besser, es nicht anzuwenden.


5. Die Religion muss mit Wissenschaft und Vernunft übereinstimmen.

Die Religion muß mit der Wissenschaft übereinstimmen und der Vernunft entsprechen, so daß die Wissenschaft die Religion, die Religion die Wissenschaft stützt. Diese beiden müssen unauflöslich miteinander verbunden sein.


6. Mann und Frau haben gleiche Rechte.

Dies ist eine besondere Lehre Bahá’u’lláhs, denn die früheren Religionen stellen die Männer über die Frauen. Töchter und Söhne müssen gleichwertige Erziehung und Bildung genießen. Dies wird viel zum Fortschritt und zur Einigung der Menschheit beitragen.


7. Vorurteile jeglicher Art müssen abgelegt werden.

Alle Propheten Gottes kamen, um die Menschen zu einigen, nicht um sie zu trennen. Sie kamen, um das Gesetz der Liebe zu verwirklichen, nicht um Feindschaft unter sie zu bringen. Daher müssen alle Vorurteile rassischer, völkischer, politischer oder religiöser Art abgelegt werden. Wir müssen zur Ursache der Einigung der ganzen Menschheit werden.


8. Der Weltfriede muss verwirklicht werden.

Alle Menschen und Nationen sollen sich bemühen, Frieden unter sich zu schließen. Sie sollen darnach streben, daß der universale Friede zwischen allen Regierungen, Religionen, Rassen und zwischen den Bewohnern der ganzen Welt verwirklicht wird. Die Errichtung des Weltfriedens ist heutzutage die wichtigste Angelegenheit. Die Verwirklichung dieses Prinzips ist eine schreiende Notwendigkeit unserer Zeit.


9. Beide Geschlechter sollen die beste geistige und sittliche Bildung und Erziehung geniessen.

Alle Menschen müssen erzogen und belehrt werden. Eine Forderung der Religion ist, daß jedermann erzogen werde und daß er die Möglichkeit habe, Wissen und Kenntnisse zu erwerben. Die Erziehung jedes Kindes ist unerläßliche Pflicht. Für Elternlose und Unbemittelte hat die Gemeinde zu sorgen.


10. Die soziale Frage muss gelöst werden.

Keiner der früheren Religionsstifter hat die soziale Frage in so umfassender, vergeistigter Weise gelöst wie Bahá’u’lláh. Er hat Anordnungen getroffen, welche die Wohlfahrt und das Glück der ganzen Menschheit sichern. Wenn sich der Reiche eines schönen, sorglosen Lebens erfreut, so hat auch der Arme ein Anrecht auf ein trautes Heim und ein sorgenfreies Dasein. Solange die bisherigen Verhältnisse dauern, wird kein wahrhaft glücklicher Zustand für den Menschen erreicht werden. Vor Gott sind alle Menschen gleich berechtigt, vor Ihm gibt es kein Ansehen der Person; alle stehen im Schutze seiner Gerechtigkeit.


11. Es muss eine Einheitssprache und Einheitsschrift eingeführt werden.

Bahá’u’lláh befahl die Einführung einer Welteinheitssprache. Es muß aus allen Ländern ein Ausschuß zusammentreten, der zur Erleichterung des internationalen Verkehrs entweder eine schon bestehende Sprache zur Weltsprache erklären oder eine neue Sprache als Weltsprache schaffen soll; diese Sprache muß in allen Schulen und Hochschulen der Welt gelehrt werden, damit dann niemand mehr nötig hat, außer dieser Sprache und seiner Muttersprache eine weitere zu erlernen.


12. Es muss ein Weltschiedsgerichtshof eingesetzt werden.

Nach dem Gebot Gottes soll durch das ernstliche Bestreben aller Menschen ein Weltschiedsgerichtshof geschaffen werden, der die Streitigkeiten aller Nationen schlichten soll und dessen Entscheidung sich jedermann unterzuordnen hat.

Vor mehr als 50 Jahren befahl Bahá’u’lláh der Menschheit, den Weltfrieden aufzurichten und rief alle Nationen zum „internationalen Ausgleich“, damit alle Grenzfragen sowie die Fragen nationaler Ehre, nationalen Eigentums und aller internationalen Lebensinteressen durch ein schiedsrichterliches „Haus der Gerechtigkeit" entschieden werden können.

Bahá’u’lláh verkündigte diese Prinzipien allen Herrschern der Welt. Sie sind der Geist und das Licht dieses Zeitalters. Von ihrer Verwirklichung hängt das Wohlergehen für unsere Zeit und das der gesamten Menschheit ab.


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SONNE DER WAHRHEIT
Organ der deutschen Bahá’i
Verantwortliche Schriftleitung: Alice Schwarz-Solivo, Stuttgart, Alexanderstraße 3
Preis vierteljährlich 1.80 Goldmark, im Ausland 2.– Goldmark
Heft 5 Stuttgart, im Juli 1931
Kalimát — Vollkommenheit 88
11. Jahrgang

Motto: Einheit der Menschheit — Universaler Friede — Universale Religion


Inhalt: Das Heilige Buch der Gewißheit. — Erlösung. — Aus dem Schatz der Erinnerungen an Abbas Effendi, ‘Abdu’l-Bahá. — Christus in der Bahá’i-Lehre. — Das „Doppelgesicht des Christentums“


Wann das Friedenszeitalter beginnen wird? so fragt ihr mich; das ist leicht zu sagen. Wann die Frau erwachen und in der Weltgeschichte auftreten wird. Ein Welt-Frauenbund wird den Welt-Friedensbund verbürgen. Jetzt diktiert wohl die Frau einzelne Kapitel der Weltgeschichte, aber der Mann macht sie, die Weltgeschichte im einzelnen und ganzen. Die Frauen haben wohl eine Ahnung von ihrer Bedeutung und Macht in der kleinen Gemeinschaft der Ehe und Familie, aber sie wissen noch nicht, daß sie, zusammengeschlossen in einer Weltgemeinschaft, die Stifterinnen und Hüterinnen von Frieden, Freiheit und Brüderlichkeit sein können und eines Tages werden müssen, die Frauen werden deshalb auch die Bahá’i-Lehre, diese Gedankenhochburg von Liebe und Frieden, zuerst ergreifen und am besten verbreiten.

Worte von 'Abdu'l-Bahá Abbas Effendi zu Miss Stevens in Haifa 1910


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Das Heilige Buch der Gewißheit[Bearbeiten]

(Fortsetzung)

(Kitab-El-Iqan aus der Feder von Bahá’u’lláh)

Aus dem Französischen ins Deutsche übersetzt von Dr. A. Mühlschlegel, Stuttgart


Suche Schutz bei den Gottgesandten, auf daß du so die klare Mahnung des Buches beherzigest: dich zu den Verkündigungen der heiligen Tablette zu erheben, dem Träger des göttlichen Wortes nicht zu widersprechen, die Sache mit ganzem Herzen aufzunehmen und den Geboten mit ganzer Seele zu gehorchen. Dann wirst du in die Lüfte der Barmherzigkeit eintreten und an den Gestaden der Güte wähnen. Denn, wahrlich, Er ist Vergebung und Erbarmen für Seine Diener. „Sprich zu jenen, welche die Schrift empfangen haben: Wollt ihr uns nicht anerkennen, weil wir an Gott glauben, an den, der uns von oben zuteil wurde und der schon ehedem entsandt worden war, und weil die Mehrzahl von euch gottlos ist?“ (Kor. V, 64.)

Diese Verse sind sehr ausführlich und beweisen den Rang dessen, der herabgekommen ist von der Höhe. Sie sind damals offenbart worden, als die Ungläubigen die Moslim mißhandelten, welche in ihrem Glauben den betrügerischen Magiern nicht folgen wollten. Dies war am ersten Beginn des Islam, ehe diese Sache sich gefestigt hatte, damals, als überall die Moslim das Opfer weitverbreiteter Verfolgungen waren. So antworteten die Gläubigen den Götzendienern und bezeugten, an nichts schuldig zu sein als daran, daß sie an die neue, wundersame Offenbarung Muhammeds ebenso glaubten wie an jene der alten Propheten, daß sie glaubten, daß alle von Gott kamen, und daß sie ihnen gehorchten. So stärkte Gott Seine Diener!

Ist es da noch erlaubt, von der neuen Offenbarung, die den Osten und Westen umfaßt, sich abzuwenden und dabei noch weiterhin sich gläubig zu nennen? Kann man andererseits sich weigern, sogar im Gegensatz zu dem Worte Gottes, jene, die an den neuen Propheten geglaubt haben, unter die Gläubigen zu rechnen? Das hieße doch Gottes Willen verkennen, wollte man sich vorstellen, daß Er jene aus Seiner Gnade stößt, die an die Worte der Einheit glauben, oder daß Er jene mit Angst erfüllt, die das feste Beweismittel in die Hand genommen haben. Denn es sind in Wahrheit Seine Worte, welche die Wahrheit begründen, und Seine Zeichen, welche die Sache beweisen. Wahrlich, Er ist der Allmächtige!

„Selbst wenn wir vom Himmel das Buch herabsenden würden, ganz auf eine Rolle geschrieben, selbst wenn die Ungläubigen es mit den Händen betasteten, selbst dann noch würden sie rufen: Das ist ja reine Zauberei.“ (Kor. II, 7.)

Die meisten Verse des Koran bergen in Fülle den gleichen Sinn, doch ich will mich begnügen, diesen einen anzuführen. Wird nicht in allen Büchern ohne Ausnahme das Wort Gottes als einziger Beweis erachtet, der uns die Schönheit einer Offenbarung erkennen und erleben lassen soll? Allezeit, wie du weißt, sind die Abtrünnigen und die Spötter von der Verdammnis bedroht gewesen.

Und wenn heute ein Mann mit Millionen Versen, Tableten und Gebeten käme, die eine Bildung beweisen, wie sie ihm doch nie von einem Lehrer zuteil werden konnte, was für einen Grund haben wir da, ihm zu widersprechen und sich von seiner unermeßlichen Güte abzuwenden? Was werden die Abtrünnigen Gott antworten, wenn ihr Geist ihren verfinsterten Körper verlassen haben wird? Werden sie sagen, sie hätten sich an die Hadiß gehalten, aber ihre wahre Bedeutung nicht erfaßt und darum der Offenbarung dieser Sache widersprochen und sich von Gottes Religion entfernt? Weißt du nicht, daß es gerade die Offenbarung eines Buches ist, welche die Propheten unwiderleglich macht? Wie kann also der erste dahergelaufene Tor einige zweiflerische Reden zusammenreimen und dem Besitzer des Buches widersprechen, den Herzen Zweifel einflößen, die Menschen täuschen und verderben und der Teufel seiner Zeit werden? Wie kann man einem solchen Geschöpf folgen [Seite 51] und sich der Sonne göttlicher Güte berauben?

Noch mehr! Wenn man sich von solch heiligen und göttlichen Seelen abwendet, wem soll man sich dann zuwenden? Gewiß, ein jeder hat ein Stück Himmel, zu welchem Gott ihn leitet. Doch in Wahrheit haben wir euch zwei Wege gezeigt. An euch liegt es zu wählen, wohin ihr wandelt. Also lautet Gottes Wort, und außer ihm gibt es nur Irregehen.

Was ferner noch zugunsten dieser Sache spricht, ist dies: Im allgemeinen haben, so oft die unsichtbare Wesenseinheit in einem Menschenkörper erschienen ist, nur demütige Menschen ohne äußere Hilfe die Begegnung mit Gott erlangt. Sie haben das Sonnenlicht der Verkündung in seiner Pracht erlebt und wurden durch den Mond der Führung geleitet. Die Priester dagegen und die Machthaber verfolgten sie mit Spott. So wird auch von Noah gesagt: „Die Führer der Ungläubigen riefen ihm zu: du bist nur ein Mensch wie wir und wir sehen nur einen häßlichen Pöbel, der dir gedankenlos nachläuft. Dir gebührt gar kein Verdienst, der dich über uns stellt. Ja mehr noch, wir sehen in dir einen Betrüger.“ (Kor. Xl, 29.)

Sie sagten dieser Heiligen Manifestation, nur das gemeine Volk laufe hinter ihr her und die Priester und Großen würden nicht an sie glauben. Sie gedachten so diesem Gerechten einen Betrug nachzuweisen.

Heute dagegen, zur Zeit dieser erhabenen Offenbarung, haben gebildete Priester in großer Zahl, regelrechte Doktoren, unbestrittene Gelehrte aus dem Kelche der Nähe und der Begegnung getrunken und die höchste Wohltat erlangt. Auf dem Wege des Vielgeliebten haben sie Gut und Blut dahingeopfert. Einige ihrer Namen, die euch bekannt sind, werden die Unentschlossenen anfeuern und die, deren Seelen ruhelos sind, beruhigen. Einer von ihnen, Jenab-Mulla-Hussein, wurde die Zierde der Offenbarung: „Gott hat ihn auf Seinen barmherzigen Thron gesetzt und ihn auf ewige Lagerstätten gebettet.“ Jenab-Aga-Seyed-Yahia war unvergleichlich und einzig unter seinen Zeitgenossen. Soll ich noch andere erwähnen? Mulla-Muhammed-Ali-Zendjani, Mulla-Ali-Bastami, Mulla-Said-Barfuruschi, Mulla-Nehmet-Ulla-Mazenderani, Mulla-Yusef-Ardabili, Mulla-Mehdi-Kho’i, Aga-Seyed-Hussein-Tochisi, Mulla-Mehdi-Kandi und sein Bruder Mulla-Bakher, Mulla-Abd’ul-Khalek-Yazdi, Mulla-Ali-Barakani und so viele andere, gegen vierhundert, deren Namen in den von Gott verwahrten Tablets enthalten sind.

Sie alle sind von dieser göttlichen Sonne angezogen worden und haben ihr so sehr gehorcht, daß sie Besitz und Familie verlassen haben, um dem Wunsche „des mit Herrlichkeit Gesegneten“ zu gehorchen. Ihre Herzen haben sich für den Vielgeliebten aufgetan. Sie haben all ihr Eigentum geopfert. Ihre Brust ist eine Zielscheibe für die Pfeile der Abtrünnigen geworden und ihr Haupt ein Schmuck für die Speere der Götzendiener. Keinen Flecken Land gibt es, der nicht das Blut dieser erhabenen Geister getrunken, kein Schwert, das nicht an ihrem Hals erprobt worden. Um die Gerechtigkeit ihrer Sache zu beweisen sprechen ihre Taten.

Das Zeugnis dieser gesegneten Seelen, die zur Bewunderung der ganzen Welt ihr Leben auf dem Wege des Vielgeliebten geopfert haben, kann das dem Andenken jener gegenübergestellt werden, die ihren Glauben um einen Heller verleugnet und das Erdenleben der Unsterblichkeit, bitteres Wasser dem „Kauther“ der Nähe vorgezogen haben, die, von nur irdischem Zauber verlockt, auf immer sich vom Ewigen entfernt und an nichts weiter gedacht haben, als ihresgleichen auszunützen? Können diese uns überzeugen, die ihre Taten ihren Worten gleichen ließen, die nur die eine Lebensregel hatten, die Menschen durch ihre Taten zu gewinnen, die Seelen durch ihre Standhaftigkeit und Geduld mitzureißen? Oder willst du jenen Abtrünnigen mehr Glauben entgegenbringen, die Selbstsucht ausdünsten, die immer in Zweifel und Irrtum verkettet sind, die sich des Morgens nur erheben, um für die Güter dieser Welt zu kämpfen, und die des Abends nur auf möglichst gemeine Verabredungen sinnen, die nur an sich selbst denken und ihre göttliche Bestimmung hintenansetzen, die des Tages nur darnach trachten, ihren tierischen Instinkten zu folgen [Seite 52] und des Nachts ihre verschwenderischen Leidenschaften zu befriedigen?

Gibt es eine Religion oder ein Volk, die sich von solchen Leuten leiten ließen und das Beispiel derer nicht achteten, die Leben und Gut, Name und Ehren geopfert haben auf dem Wege von Gottes Wohlgefallen? Hieß es nicht einstens, keiner sei größer denn der Fürst der Märtyrer, kein Gottgesandter könne ihm verglichen werden an Festigkeit seiner Haltung? Und doch währte die Zeit seiner Martern nicht länger als einen Tag, während seit achtzehn Jahren auf manche dieser herrlichen Wesen die Trübsale wie Regengüsse herabstürzen. Mit welcher Liebe, welcher Hingabe, und mit welcher Freude haben sie ihr Leben auf dem Wege des Herrn geopfert! Ist dies denn nichts? Haben sich jemals im Laufe der Geschichte solch beachtenswerte Dinge ereignet? Wenn diese Jünger nicht wahrhafte Gläubige sind, wer ist dann gläubig? Haben sie nach Ruhm, Macht, Vermögen getrachtet? Hatten sie ein anderes Ziel als Gottes Wohlgefallen? Wenn sie trotz all ihrer bewundernswerten Taten, ihres herrlichen Standhaltens unrecht gehabt hätten, wer hat dann recht? Ich rufe Gott zum Zeugen an. Ihre Taten wären ein hinreichender Beweis und völlig überzeugend für alle Völker der Erde, wenn sich diese in den inneren Sinn der Sache vertiefen wollten. „Wer die Ersten angreift, wird eines Tages erfahren müssen, welches Los seiner wartet.“ (Kor. XXVI, 228.) (Forts. folgt)



Erlösung[Bearbeiten]

Von Marie-Luise Fack


In Deinem Lichte, in Deiner Klarheit

o Gott und Vater, laß mich genesen,

mein ganzes Wesen

erfülle gnädig mit Deiner Wahrheit.


Von allen Schwächen

und allen Gebrechen

hilf mir, mich befreien,

und laß mich in Demut Dein Ebenbild sein.


Daß ich Dein Knecht bin und daß Du mein Herr bist

und hilf mir so handeln, wie es Dir recht ist.

Und gib, daß auch andre Dich freudig erkennen

und Dich in Dankbarkeit Allvater nennen.



Aus dem Schatz der Erinnerungen an Abbas Effendi, 'Abdu'l-Bahá. Haifa 1906 - 11[Bearbeiten]

Achter Brief von Frau Dr. J. F. an Frau A. Schwarz, Stuttgart


Gelegentliche Aussprache ‘Abdu’l-Bahás Abbas Effendi betreffs des Heiligen Buches (Kitab-i-aqdas) und des Hauses der Gerechtigkeit (Beitu’l adl), Akko-Haifa 1909-1910.

Personen wechselnd (meist in Gegenwart von europäischen und amerikanischen Touristen und orientalischen Pilgern).

Der Meister:

1. Seine Heiligkeit „Bahá’u’lláh“ hat ausdrücklich im gesegneten „Kitab i aqdas“ erlaubt: „Ihr (die Bahá’i) mögt alles tun, was nicht dem gesunden Menschenverstand widerstreitet“, doch fügt die allerhöchste Feder (Bahá’u’lláh) hinzu: „Alkohol trinken und Opium rauchen widerspricht dem gesunden Menschenverstand und damit der Hygiene (Sorge für Körper und Geist). Meidet es!“ — Dagegen „dürft ihr (die Bahá’i) euch in vielem der Landessitte anpassen. Im Reiche des Ostens (islamitische Länder) könnt ihr eure Söhne beschneiden lassen, euren Frauen den Schleier gestatten, im Westen (in christlichen Kreisen) dürft ihr [Seite 53] wohl die Kinder christlich taufen, weihen (Konfirmation) und trauen lassen.“

2. Die Wohlhabenden (unter den Bahá’i) sollen außer der einmaligen Kapital- oder Armensteuer — nämlich 1/19 des Besitzes — alle zwei bis drei Jahre vom Vermögenszuwachs 1/5 an das Haus der Gerechtigkeit abgeben.

3. In dem Lande, wo zuerst die aufgehende Sonne ganz anerkannt wird (die Bahá’i-Lehre eingeführt ist), soll jede Stadt, jede Gemeinde ein lokales Haus der Gerechtigkeit errichten, welches die administrative Instanz (Verwaltung) verbindet mit der profanen (weltlichen) wie kirchlichen (religiösen) Gesetzgebung und die Ausführung derselben bewirkt und überwacht.

Vergeßt nicht: „Die Religion ist das Band aller Dinge.“ Jede göttliche Manifestation (Religionsstifter) hat die Einheit aller Lebensgebiete in der Religion gelehrt und befoblen.

4. Wenn mein Amtsnachfolger „Ghusu i azam“ (allerhöchster Zweig = Abbas Effendi ‘Abdu’l-Bahá) mir in die Welt der Wirklichkeit (Jenseits) nachgefolgt ist, so soll das Haus der Gerechtigkeit (beitu’l adl) die heilige Lehre und das göttliche Gesetz des allerhöchsten Propheten (Bahá’i-Lehre und Kitab i aqdas und Bahá’u’lláh) auslegen und die unfehlbare Ergänzung angesichts einzelner neuer moderner Bedürfnisse und zeitgemäßer Entwicklungsstufen der Menschen vernehmen. (Siehe im Buch: „Kalimat i firdausijja“.) Das lokale Haus der Gerechtigkeit stellt eine Kommunalbehörde dar, das nächstoberste ist das nationale Haus der Gerechtigkeit und das allerhöchste muß ein übernationales (kosmopolitisches) sein.

Das Kalifat (Monarchie) oder sonstiges Staatsoberhaupt (Republik?) ist mit dem nationalen beitu’l adl zu kombinieren, so daß der Kalif (Monarch, Staatsoberhaupt) in das nationale Beitu'l adl hineingewählt werden kann (ihm vorstehen kann) oder in dem übernationalen Beitu’l adl amtiert. In die lokalen Häuser der Gerechtigkeit dürfen auch Seyjide (Nachkommen der Prophetenfamilie) hineingewählt werden.

5. Die gesegnete Vollkommenheit Bahá’u’lláh sagte ferner im Traktat Eschrakat:

„Lohn und Strafe sind die Grundpfeiler der Welt.“ Also haben die Häuser der Gerechtigkeit neben den Verwaltungsaufgaben auch die Rechtsprechung zu besorgen. Ebenso wichtig ist die Einrichtung und Überwachung des Schulwesens und der gerechten Armenfürsorge und Wohlfahrtspflege. Das allerwichtigste ist das Hüteramt der Seelen, denn das ist die größte irdische und ewige Ehrensache (geistige Wohlfahrtspflege). Zur Rechtspflege gehören nicht nur zivilrechtliche Fragen, sondern auch das Kriminalrecht, das Handelsrecht, das Familien- und Erbrecht.

6. Das übernationale Haus der Gerechtigkeit hat nicht nur über den Völkerfrieden zu wachen, sondern es soll durch eine Einheitssprache (mit Einheitsschrift) die Verbrüderung aller Völker, aller Rassen und Religionen zustande bringen und zu erhalten suchen. Aus der Verbrüderung aller Menschen ersprießt die Einheitsreligion der größten Manifestation (Bahá’u’lláh). Die Einheit ist sowohl eine theologische (tauhid) und zugleich eine soziologische (ittihad und ittifah).

7. Die Gesetze des Heiligen Buches (Kitab i aqdas) haben Geltung für jeden Bahá’i, auch wenn sie noch nicht durchführbar sind, weil die Heilige Lehre sich noch nirgends in einem Lande ganz durchgesetzt hat. Sollte aber eine wichtige Sache im Heiligen Buche nicht erwähnt sein, oder durch die Entwicklung der Menschheit überholt werden, so darf das beitu’l adl (das nationale oder übernationale) entscheiden, sei es durch die Mehrheit der Stimmen oder gar einstimmig, wie das Heilige Gesetz des Kitab i aqdas zu verstehen oder zu ergänzen oder der Zeit und den Verhältnissen anzupassen ist.

8. Das Hüteramt der Seelen soll stets dem geeignetsten Mitglied des lokalen Beitu’l adl aufgetragen werden. Ein solches Mitglied muß das Licht der gottgesandten Berufung ausstrahlen.

Nach meiner Rückkehr zu Gott dem Herrn, denn „alles entspringt aus Gott und alles kehrt zurück zu Gott“, wird der gesegnete Meister des Geheimnisses Gottes (Aka i sirr Allah Abbas Effendi ‘Abdu’l-Bahá) das Hüteramt der Seelen übernehmen und weiterführen, und wenn einst der Tag anbricht, [Seite 54] da auch dieser „allerhöchste Zweig am Sinaibaum“ (Abbas Effendi ‘Abdu’l-Bahá — Sinaibaum = Bahá’u’lláh) in die Tiefen des Urwillens (Gott) eingegangen ist, so wird er, der vielmal Gesegnete (Abbas Effendi 'Abdu’l-Bahá) vorher bestimmt haben — in einem letzten Tablet (alwah —= Tafeltestament) —, wer von den Mitgliedern des Beitu’l adl das Hüteramt der Seelen übernehmen soll. Die unsichtbare Hand Gottes (Heiliger Geist) wird allezeit die Mitglieder des Beitu’l adl inspirieren, denn sie sind die Beauftragten Gottes („wekil"), daß sie den Würdigsten, den Besten, den Reinsten zum Hüteramt der Seelen berufen. — Beha u’l Abha — (so nennt Sich Bahá’u’lláh selbst).

Damit schließt Abbas Effendi Bahá’u’lláh diese Belehrung in der wesentlich des Propheten Bahá’u’lláhs eigene Worte angeführt worden waren.



Christus in der Bahá’i-Lehre[Bearbeiten]

Zusammengestellt von der Bahá’i-Arbeitsgemeinschaft in Schwerin (Mecklenburg) (Fortsetzung)

‘Abdu’l-Bahá am See Genezareth.

„. . . Dieser See ist sehr gesegnet. Christus und andere Propheten wanderten an seiner Küste entlang. Sie waren ununterbrochen mit Gott in Verbindung und verbreiteten die göttlichen Lehren . . . “ (Aus einem Bericht von Professor Kunz, Urbana |Amerika], „S. d. W.“, Februar 1922, S. 191.)


Der Einfluß Christi.

". . . Christus handelt heute ohne einen Vermittler (Das heißt, nicht in einem physischen Körper.). Er bringt sich auf zahlreiche Arten und Weisen zum Ausdruck ... Bei Lebzeiten Christi war es nicht möglich, viele Menschen zu beeinflussen. Heute ist Sein Einfluß weit verbreitet . . ." ("S. d. W.“, Januar 1924, S. 162.)

". . . Als unser Jesus Christus mit Dornen gekrönt war, wußte Er, daß alle Diademe der Welt zu Seinen Füßen lagen. Alle irdischen Kronen, so mächtig und glänzend sie auch sein mochten, beugten sich später in Anbetung vor der Dornenkrone. Von dieser sicheren und gewissen Erkenntnis ausgehend, sagte Er: ‚Mir ist gegeben alle Gewalt im Himmel und auf Erden.‘ (Matth. 28, 18.) . . .“ („Ansprachen 'Abdu’l-Bahás in Paris“, S. 184.)

". . . Als Christus gekreuzigt war und diese Welt verließ, hatte Er nur elf Jünger und sehr wenige Nachfolger. Er diente aber der Sache der Wahrheit. Und nun blicket auf das Ergebnis Seines Lebenswerkes. Er hat die Welt erleuchtet und einer toten Menschheit Leben gegeben. Nach Seiner Himmelfahrt wuchs Seine Sache allmählich. Die Seelen Seiner Nachfolger wurden mehr und mehr erleuchtet, und der ausgezeichnete Duft ihres heiligen Lebens verbreitete sich nach allen Richtungen . . .“ („Ansprachen ‘Abdu’l-Bahás in Paris", S. 186.)

". . . Betrachtet den Einfluß, den Christus auf Seine Apostel hatte, und denket dann, welche große Wirkungen sie auf die Welt ausübten. Durch die Macht des Heiligen Geistes waren diese einfachen Männer fähig, das Evangelium zu verbreiten. . .“ („Ansprachen 'Abdu’l-Bahás in Paris“, S. 182.)


Die belebende Macht Christi.

". . . Bedenke, wie belebend die Macht Christi war, als Er auf Erden wandelte. Schau auf Seine Jünger! Es waren arme und ungebildete Männer. Aus dem einfachen Fischer machte Er den großen Petrus, und aus dem armen Landmädchen Maria Magdalena machte Er eine Persönlichkeit, die heute in der ganzen Welt bekannt ist. Viele Königinnen, die geschichtlich durch ihre Taten bekannt sind, haben regiert, doch heute weiß niemand mehr von ihnen. Maria Magdalena ist größer als sie alle. Ihre Liebe war es, die die Jünger, als deren Glaube versagte, erstarken ließ. Was sie für die Welt leistete, kann nicht ermessen werden. Schau, welche Kraft durch die göttliche Macht in ihr entzündet wurde.“ ('Abdu'l-Bahá in London, „S. d. W.“, Juni 1923, S. 54/55.)

[Seite 55]

Das Opfer Christi.

"... Jesus Christus opferte Sein Leben. Er hatte die schwerste Erniedrigung in diesem Leben zu ertragen. Sein Haupt wurde mit einer Dornenkrone gekrönt. Er gab Seinen eigenen Frieden dahin, damit die Menschen in der Welt sich wieder vereinigen möchten, und daß die Herzen der Menschen durch Seine Liebe zusammenschmelzen möchten...“ („S. d. W.“, Januar 1924, S. 168.)

„. . . Christus nahm viele Trübsale und Leiden auf sich, um Liebe und Einigkeit unter den Menschen zu schaffen. Viele Tage und Nächte wanderte Er in der Wüste. Er nahm willig jede Trübsal auf sich. Er ertrug alle Verleumdungen, und zuletzt erduldete Er den Tod am Kreuze. Warum tat Er dies alles? Sein Ziel war, die Menschheit zu erleuchten, so daß Einigkeit und Harmonie in ihren Herzen Platz nehmen möchten. Friede und Vergebung sollten in allen Ländern herrschen .. .“ („S. d. W.“, Dezember 1923, S. 152.)


Die zwei Teile der Religion.

... Ich hoffe, daß jeder von euch, die ihr die Botschaft der Einheit der Menschheit vernehmt, diese verkündigt, so daß die Religion Gottes überall verbreitet werde, und daß das Hauptprinzip der Lehren Christi überall beachtet werde. Denn das Fundament der Religion Gottes ist ein und dasselbe... .

Jede Offenbarung der Religion Gottes ist in zwei Teile geteilt. Der erste Teil, der das Fundament der Religion Gottes ist, behandelt die Moral. Er lehrt Vergeistigung. Dieses ist das Wissen von Gott. Es ist die Liebe Gottes. Es ist Mitleid gegen alle Menschen der Welt. Es ist die Einigkeit der Menschheit. Es ist universaler Friede .... Dies ist durch alle Religionen seit Adam bis zur gegenwärtigen Zeit gleichbleibend. Dieser Teil unterliegt keiner Veränderung und keiner Umgestaltung. Dieser ist das Fundament der Religion Gottes. Der zweite Teil ist nicht so wesentlich. Er gehört den äußeren Zeremonien an und unterliegt der Veränderung des Zeitalters und ist der Entwicklungsstufe der Menschheit angepaßt, wie zum Beispiel der des mosaischen Zeitalters.

Der zweite Teil der Religion gehört zu den veränderlichen äußerlichen Verrichtungen. Er unterlag in der Zeit Christi der Veränderung. Zum Beispiel wurde Ehescheidung während des mosaischen Zeitalters ausgeübt. Aber Christus veränderte dieses Gesetz, weil die Menschen von diesem Gesetz bis zum Übermaß Gebrauch machten.

Die Israeliten lebten in den Tagen Moses in der Wildnis. Zu jener Zeit hatten sie keine Besserungs- und Strafanstalten. Deshalb haben wir das mosaische Gesetz, das äußere Gesetz, wie Auge um Auge, Zahn um Zahn. Und wenn damals eine Person nur einen Betrag in der Höhe von zehn Mark stahl, so wurde ihr die Hand abgehauen. Ohne diese äußerlichen strengen Strafen wäre die Erhaltung der Ordnung und des Friedens in ihrer Gemeinschaft unmöglich gewesen. Diese Gesetze wurden im christlichen Zeitalter verändert. Wir finden im Alten Testament zehn Gesetze für die Todesstrafe. Aber dies entsprach nicht dem Geiste Christi in Seiner Zeit. Deshalb sagte Christus, daß diese Gesetze für Sein Zeitalter nicht mehr maßgebend sein sollten. Denn diese Gesetze behandelten nur die äußerlichen Ausübungen und Handlungen der Menschen . . .“ („S. d. W.“, Dezember 1923, S. 152.)


Das Wort Jesu Christi ist das Wort Gottes.

".. . Heutzutage werden im Orient viele herrliche Versammlungen abgehalten, bei denen sich Christen, Juden und Buddhisten in vollkommener Liebe vereinigen. Sie behandeln einander, als ob sie Glieder einer Familie wären. Sie sind immer bereit, sogar ihr Leben für einander zu opfern. Alle die künstlich errichteten Schranken, alle religiösen Trennungen sind von ihnen genommen. Sie fühlen sich wie Schwester und Bruder. Sie glauben an alle Propheten Gottes. Sie glauben an Seine Heiligkeit Christus, und heute wächst diese Liebe und Einigkeit Tag für Tag, denn die Lehre Bahá’u’lláhs wird durch göttliche Macht verbreitet ... Als ich z. B. in San Franzisko war, wurde ich von einem Rabbiner eingeladen, in seiner Synagoge zu sprechen. Vor etwa zweitausend Juden erklärte ich die göttliche Mission Jesu Christi. Es war ein wunderbarer [Seite 56] Anblick. Ich legte die Beweise der Sendung Jesu Christi durch leicht erfaßliche Erklärungen klar. Nicht einer von all diesen Menschen konnte diese Argumente leugnen. Ich erbrachte ihnen den Beweis, daß Seine Heiligkeit Christus der größte Freund Moses war, denn Jesus Christus verbreitete das Alte Testament. Er verbreitete die Namen aller israelitischen Propheten. Ich sagte zu diesen Juden: Seine Heiligkeit Jesus Christus verbreitete die Lehren der israelitischen Propheten. Warum liebt ihr Ihn nicht? Jesus Christus machte die Juden in der ganzen Welt berühmt. Er verursachte, daß alle Nationen die israelitischen Propheten achteten, und Er bewies allen Menschen, daß das Buch Moses das Buch Gottes ist. Durch die Segnungen der Christenheit wurde die Bibel übersetzt und überall verbreitet. Auf diese Weise wurden die Israeliten durch Jesus Christus geehrt. Er hatte so viel Liebe für euch. Warum verleugnet ihr Ihn? Es ist wohl bekannt, daß alle Christen glauben, daß Moses der Prophet Gottes ist, und daß die Bibel das Buch Gottes ist. Alle Christen glauben, daß die Propheten der Juden — Jesaja, Sacharja und andere — Propheten Gottes waren. Verlieren die Christen etwas, wenn sie an die israelitischen Propheten glauben? Jene Israeliten sagten: ‚Nein!' Darauf sagte ihnen ‘Abdu’l-Bahá: Was würdet ihr denn verlieren, wenn ihr sagtet: ‚Jesus war der Prophet Gottes, ebenso wie die Juden glauben, daß Moses und die Propheten des Alten Testamentes Propheten Gottes waren.‘

Diese Feindseligkeiten und Vorurteile, die zweitausend Jahre bestanden haben, werden vergessen sein. Jetzt ist das leuchtende Zeitalter gekommen. Saget, daß das Wort Jesu Christi das Wort Gottes ist, und die Feindseligkeiten zwischen Juden und Christen werden abgetan sein! . . .” („S. d. W.“ Dezember 1923, S. 154.)

". . . Die Juden waren auf einem geistigen Tiefstand angelangt und befanden sich unter Pharao in sklavischem Zustande, als Moses auftrat und sie auf eine hohe Stufe der Zivilisation emporhob, bis unter der Regierung Salomons Wissenschaft und Künste in höchster Blüte standen, so daß selbst griechische Philosophen die salomonischen Lehren studierten. Dadurch ist die göttliche Sendung von Moses als Prophet erwiesen.

Nach einiger Zeit verloren sie ihr Land und wurden Untertanen der Römer und Griechen. Dann stieg Jesus Christus als leuchtender Stern am Horizont des jüdischen Landes auf und brachte der Welt neues Licht, worauf bei allen Religionen, Glaubensrichtungen und Nationen die Lehre von der Liebe und Einigkeit bekannt wurde. Es gibt keinen stärkeren Beweis als diesen, daß Jesus Christus das ‚Wort Gottes’ war...

Wie die Christen an Moses glauben, so sollten die Juden Jesus Christus anerkennen...” („S. d. W.“, Februar 1923, S. 182.)


Die Lehren Christi sind Licht und Liebe.

". . . Seine Heiligkeit Christus sagte zu Petrus: ‚Stecke dein Schwert in die Scheide!‘ Aber das Christentum erklärte den heiligen Krieg, und oft haben wir gehört, wie gegenwärtig die christliche Priesterschaft gegen die Muhammedaner aufsteht. Seht, wie weit wir von den ursprünglichen Lehren Christi entfernt sind! Die Lehren Christi sind Licht und Liebe, heute aber herrscht undurchdringliche Finsternis . . .“ („S. d. W.“, Dezember 1923, 5. 153.)


Die Eigenschaften Christi.

". . . Wenn die Juden Moses wirklich verstanden hätten, so hätten sie Christus angenommen. Aber sie hielten sich an den Namen, nicht an die Wirklichkeit, und als dieser Name wechselte, leugneten sie die Wirklichkeit.

Dasselbe gilt von den Christen heutigen Tages. Wie bedauerlich ist es, daß sie einen Namen anbeten. Sie schauen nur auf das Gewand. Wenn man einen König nur an seinem Kleide erkennen würde, so würde man ihn nicht erkennen, wenn er ein anderes trüge.

Wer ist Christus? Wenn man die Eigenschaften Christi aus einer anderen Lampe leuchten sieht, so muß man doch das Licht erkennen . . .“ („S. d. W.“, Dezember 1923, S. 150.)

". . . Die Juden sahen die Herrlichkeit Christi deshalb nicht, weil sie Moses nicht richtig kannten und somit blind für den Einen waren, den Moses verheißen hatte. [Seite 57] Und auch heute sind die Juden, die Muhammedaner und die Christen, welche die früheren Manifestationen nicht in ihrem wahren Lichte erblickten, blind für die Herrlichkeit Gottes in Bahá’u’lláh . . .“ („S. d. W.“, August 1922, S. 87.)


Verleumderische Angriffe gegen Christus.

". . . Zur Zeit Christi hetzten Hannas und Kaiphas das jüdische Volk gegen Ihn, und die Schriftgelehrten Israels schlossen sich zusammen, um Seine Macht zu brechen.

Es wurden alle Arten von Verleumdungen gegen Ihn in Umlauf gesetzt. Die Schriftgelehrten und Pharisäer boten geeint alles auf, um dem Volke den Glauben beizubringen, Er sei ein Lügner, ein Abtrünniger und ein Gotteslästerer. Sie verbreiteten diese Verleumdungen gegen Christus im ganzen Orient und veranlaßten Seine schmachvolle Verurteilung zum Kreuzestod ...

Wir wissen, daß alle Unwahrheiten, die über Christus und Seine Apostel in Umlauf gesetzt, und alle Bücher, die gegen Ihn geschrieben wurden, das Volk nur zur Erforschung Seiner Lehren trieb. Denn nachdem sie die Schönheit Seiner Lehren einmal erkannt und deren Duft eingeatmet hatten, wandelten sie weiter unter den Rosen und den Früchten des himmlischen Gartens ....

Die Pharisäer sagten wohl von Christus, Er habe den Sabbat gebrochen, Er habe das Gesetz von Moses verletzt, Er habe gedroht, den Tempel und die heilige Stadt Jerusalem zu zerstören und verdiene daher gekreuzigt zu werden. Wir wissen aber, daß alle diese verleumderischen Angriffe nicht imstande waren, die Verbreitung des Evangeliums zu verhindern. Die Sonne von Jesus Christus leuchtete hell am Himmel, und der Odem des Heiligen Geistes wehte über die ganze Welt...“ („Ansprachen 'Abdu’l-Bahás in Paris“, S. 110.)


Christus und Bahá’u’lláh.

Frage: „Worin unterscheiden sich die Lehren Bahá’u’lláhs von der Lehre Christi?“

Antwort ‘Abdu’l-Bahás: „Die Lehren sind in ihrem Fundament und ihrem Aufbau dieselben. Die Wahrheit bleibt immer dieselbe. Sie kann nicht verschiedener Art sein. Die Lehren Jesu sind konzentrierter Art. Die Menschen leben aber leider bis auf den heutigen Tag nicht im Sinne Seiner Worte. Seine Lehren sind wie unentfaltete Blumenknospen. Heute nun entfaltet sich die Knospe zur Blume. Bahá’u’lláh erweiterte und vollendete die Lehren und hat sie alle zumal für die ganze Welt anwendbar gemacht. Es gibt unter den Bahá’is keine Einsiedler und keine Klausner. Der Mensch muß mit seinen Mitmenschen arbeiten. Jeder Mensch — sei er reich oder arm — sollte sich irgend einem Beruf widmen, sei es Handel, Gewerbe oder Kunst, durch den er der Menschheit dient. Dieser Dienst ist als höchste Form der Anbetung vor Gott angenehm.“ („S. d. W.“, August 1923, S. 84.)


Die Jünger Christi.

". . . Du hast gewiß in der Bibel gelesen, wie viel Schmach, Tadel, Verfolgung und Fluch die Jünger Christi zu ertragen hatten, und wie schwer sie von den Pharisäern angegriffen wurden. Dennoch wurde das Banner der Jünger gehißt und das der Pharisäer herabgenommen . . .“ („S. d. W.“, Mai 1922, S. 38.)

". . . Die Jünger Christi waren einfache, geringe Fischer und glaubten doch an Ihn, während die gelehrten Pharisäer Ihn nicht erkannten . . ." („S. d. W.“, Juli 1922, S. 74.)

". . . Während des öffentlichen Auftretens Christi vermochte Er nur elf getreue Jünger zu gewinnen. Das Volk der Juden dachte zu Seiner Zeit, daß mit der Kreuzigung Christi auch Sein Licht verlöschen würde.“ („S. d. W." Juli 1923, S. 71.)

". . . Die Jünger Jesu Christi waren, bevor sie an Ihn glaubten, wie andere Menschen. Sie waren von dieser Welt eingenommen, und jeder Gedanke war, wie bei ihren Nebenmenschen, auf den eigenen Vorteil gerichtet. Sie wußten wenig von Gerechtigkeit, noch war göttliche Vollkommenheit in ihnen. Als sie aber an Christus glaubten und Ihm nachfolgten, trat anstelle ihrer Unwissenheit ein tiefes Verständnis; ihre Ungerechtigkeit wurde in Gerechtigkeit gewandelt, ihre Unaufrichtigkeit in Aufrichtigkeit, ihre Einfalt in Licht. Sie waren weltlich und wurden geistig und erhaben. Sie waren Kinder der Finsternis und wurden Söhne Gottes. Sie wurden Heilige. Strebet danach, in ihre [Seite 58] Fußstapfen zu treten. Laßt alle weltlichen Dinge hinter euch und seid bestrebt, zu dem geistigen Königreich zu gelangen. . ." („Ansprachen ‘Abdu’l-Bahás in Paris“, S. 62.)


Die Stufe der Apostel.

". . . Zur Zeit Christi kamen Seine ersten Anhänger zu hohem Ansehen. Sie wurden zu Führern der Menschheit. Sie waren leuchtende Sterne der Wahrheit, die Fackeln der Führung, weil sie am Tage jener Manifestation aus ihrem Schlafe erwachten. Es war für sie wohl eine Zeit der Prüfungen und der Trübsale, aber später kamen sie zu hohen Ehren, und die Stufe der Apostel war im Vergleich zu den späteren Christen unleugbar höher . . .“ („S. d. W.“, November 1923, S. 135.)


Der Dienst Maria Magdalenas.

". . . Maria Magdalena war nur eine einfache Landbewohnerin. Als aber die Inspiration über sie kam, der Sache Christi zu dienen und sie die Saat in fruchtbaren Boden legte, hat sie eine ungeheure Ernte gesammelt, durch deren Segen heute noch Kirchen erbaut werden, die ihren Namen tragen. In allen Kirchen wird sie von den Menschen verehrt, und viele beten zu ihr. Und heute — nach neunzehnhundert Jahren — weist ‘Abdu’l-Bahá auf ihre erhabene Stellung hin! Er legt Zeugenschaft davon ab, daß sie im Reiche Christi Größeres leistete als die Apostel. Sie veranlaßte Festigung und Stärkung bei den Aposteln, da diese nach dem biblischen Text nach der Kreuzigung Christi in Zweifel geraten waren. Maria Magdalena flößte ihnen neues Vertrauen und neue Festigkeit ein. Denket darüber nach, welch einen Dienst sie dem Reiche Christi erwiesen hat. Sie leuchtet deshalb gleich einem Stern am Horizont der Unendlichkeit . . .“ („S. d. W.“, November 1921, S. 143.)

". . . Laßt uns nun einen Vergleich anstellen mit den Tagen Christi und heute! Er hatte nur elf Apostel, denn der zwölfte wurde mit zur Ursache Seiner Kreuzigung. Der Führer der Apostel war Petrus, und doch wurde sein Glaube in der Nacht vor der Kreuzigung Christi derart erschüttert, daß er Christus dreimal verleugnete. Hernach wurde er aber gefestigt. Außer dem Maria Magdalenas waren zur Zeit der Kreuzigung Jesu der Glaube aller Seiner Anhänger erschüttert. Sie aber war stark wie eine Löwin. Sie versammelte die Jünger um sich und sagte: ‚Warum seid ihr so erschüttert? Hat Christus uns Seine Kreuzigung nicht vorausgesagt? Raffet euch auf und seid getrost! Was sie töteten war nur Sein Leib. Seine Wirklichkeit kann niemals sterben, denn sie ist ewig: das Wort Gottes, der Sohn Gottes. Warum seid ihr so wankelmütig? Dadurch wurde diese Heldin zur Ursache der Wiederaufrichtung des Glaubens der Apostel.

Ich hoffe, daß jedes von euch wie Maria Magdalena handeln wird. Diese Frau war allen Männern ihrer Zeit überlegen; ihr wirkliches Wesen leuchtet für immer am Horizont Christi. . . .“ („S. d. W.“, Dezember 1922, S. 149.)


Die Ausbreitung des Christentumes.

". . . Bedenket, welch eine kleine Zahl von Jüngern sich fünfzig Tage nach der Kreuzigung Christi in der Nähe von Jaffa auf dem Berge der Verklärung trafen. Es waren nur elf Jünger, die sich dort zusammenfanden. Sie waren aber mit reinen Herzen, aufrichtigen Absichten und freudigem Geiste versammelt. Ohne irgendwelche Besorgnisse zu zeigen, und ohne selbstsüchtige Absichten, traf sich diese kleine Schar in größter Aufrichtigkeit auf diesem Berge. Durch die Herzensreinheit dieser Seelen, durch ihre Zuversicht, ihr Vertrauen und die Anziehung, die sie auf die Herzen der Menschen ausübten, wurde die Welt erleuchtet. Das Christentum wurde verbreitet, das römische Reich christianisiert. Mit anderen Worten, die Erleuchtung, die von Christus ausging, erleuchtete alle Regionen. Dies war das gesegnete Ergebnis der Zusammenkunft jener elf Seelen auf dem Berg der Verklärung. Jene Versammlung wurde in größter Reinheit und Aufrichtigkeit, voll Glaubens, voll Eifer und Zuversicht gehalten. Darum verfehlte sie auch ihre Wirkung nicht, denn durch sie wurden die großen Ergebnisse erzielt. . .“ („S. d. W.“, September 1921, S. 116.)

". . . Bedenket, daß die Apostel Christi an Zahl gering waren, sie waren aber bis [Seite 59] zum Überfließen mit Seiner Gnade erfüllt, und der Grundgedanke Seiner Worte und Seiner Gebote kreisten in ihrem Geiste wie das Blut in den Adern, und zwar in einer solchen Weise, daß in ihnen nichts übrig blieb als Seine Liebe. Deshalb machten sie sich auch auf, um die Botschaft weiterzutragen. Es ist bekannt, welches ungeheuere Ergebnis ihr Dienst gezeitigt hat. . .“ („S. d. W.“, Februar 1922, S. 189.)



Das „Doppelgesicht des Christentums“[Bearbeiten]

Von Eugen Schmidt, Stuttgart


Einer der bekanntesten und entschiedensten Leugner der Geschichtlichkeit Jesu, Drews, sagt im Vorwort zum zweiten Band seiner „Christusmythe“ u. a.: ". . . Solange jedoch der Glaube an Jesus in irgendeiner Form das Denken unserer Zeit beherrscht, sind wir unweigerlich dem Banne der Vergangenheit verfallen, die vor neunzehnhundert Jahren einmal Gegenwart war, jetzt aber nur durch das Opfer unseres Intellekts noch künstlich aufrecht erhalten werden kann, solange ist eine Gegenwartsreligion und damit eine wirkliche, uns selbst gemäße Kultur nicht möglich. . . . Dazu muß aber mit dem Jesusglauben in jeder Hinsicht gebrochen werden, denn an diesem hängt die bisherige religiöse Weltanschauung."

Wenn diese extreme Haltung einzig und allein in der Geschichtlichkeit Jesu das Kriterium für den Wahrheitsgehalt des Christentums erblicken will, so haben wir bekanntlich die entgegengesetzte, ebenso extreme Auffassung vom Christentum bei den konservativen Vertretern der kirchlichen Dogmen zu suchen, nach welchen „Christ sein“ mit einem alternativen Bekenntnis konfessioneller Art steht und fällt.

Wir glauben nicht, daß die religiöse Krise der Gegenwart, und besonders die wachsende Abkehr von der christlichen Kirche in den Auswirkungen der Einstellung ersterer Art begründet ist, vielmehr wird die starke Entfremdung von echter Religiosität neben der sozialen und wirtschaftlichen Not nicht zuletzt auf ein gewisses Versagen der Kirche selbst zurückzuführen sein.

Hat nicht der blind übernommene „Glauben“ den Weg zur schicksalwendenden Tat verbaut, hat nicht das religiöse Dogma den menschlichen Intellekt ausgeschaltet und die entscheidenden Willenskräfte gelähmt? Worin bestehen die lähmenden Fesseln, in welche die verkannte Wahrheit des Christentums geschlagen wurde?

Auf alle diese Fragen versucht ein Buch, betitelt: „Das Doppelgesicht des Christentums“ von Pfarrer Dr. G. Schenkel, Verlag Strecker & Schröder, Stuttgart, 1931, eine ebenso offene wie beachtenswerte Antwort zu geben. Da der Verfasser selbst im evangelischen Pfarrdienst steht, darf man hoffen und wünschen, daß sein Buch gerade auch von Angehörigen der Kirche gelesen wird.

Das Buch soll nach dem Vorwort des Autors die Ursachen der vielfachen Unfruchtbarkeit und Ratlosigkeit der christlichen Konfessionen gegenüber den drängenden Gegenwartsfragen untersuchen. Dabei wird der kirchlich internen, theologisch-dialektischen Krisis mit Recht nicht dieselbe Bedeutung beigelegt wie der wirklichen religiösen Krisis unserer Zeit, „die Millionen von Menschen heute durchmachen“; der Verfasser will durch offenes Aufzeigen des Problems zu ernsthafter Stellungnahme drängen und erwartet nur von jenen Lesern seiner Darstellung das richtige Verständnis seiner Absicht, welche „hinter aller Kritik das Ringen um die Neugestaltung des religiösen Lebens und den Willen zur schlichten Nachfolge des großen Meisters“ verspüren.

Den Schlüssel zum Verstehen des Versagens der christlichen Kirchen und ihrer Anhänger gegenüber allen heutigen moralischen und ethischen Fragen des individuellen, gesellschaftlichen und Völkerlebens erkennt Schenkel in dem „Doppelgesicht“ des Christentums. Dieses besteht einerseits in der geistigen Religion, die uns durch die Persönlichkeit und Lehre Jesu übermittelt ist, [Seite 60] andererseits in dem mythologischen Weltbild des primitiven, Fortschritt hemmenden Denkens, wie es teilweise in am Buchstaben haftender Anlehnung an die Bibel vertreten wird.

Diese beiden „Gesichter“ des Christentums werden einander gegenübergestellt, um mit unerbittlichem Scharfsinn und starkem Wahrheitsdrang daraus die Konsequenzen zu ziehen, d. h. den Weg zurückzufinden zur wahren „Botschaft des Meisters“. Diese weist weit hinaus über das immer noch festgehaltene mythologische Weltbild, das durch unsere angewandten und Geisteswissenschaften längst überholt ist, zu einer sittlichen Erneuerung des Menschen. Christus appelliert an die willentliche Entscheidung des Menschen zur diesseitigen Tat. Seine Religion des Geistes ist kein Dogma, sondern geistige Energie. Sie ist keine Theorie, sondern Tat; keine Weltanschauung, sondern Lebensgestaltung; keine Lehre, sondern schöpferisches Wirken; keine Theologie, sondern lebendiger Gottesdienst“. Darum besteht das Wesentliche des Christentums „nicht im Christuskult, sondern in der praktischen Nachfolge, im Wachsein gegenüber den Erfordernissen des Lebens, im geistigen Aufgeschlossensein gegenüber den Problemen der Zeit“.

Der Verfasser versucht, allerdings nicht ohne eine gewisse Leidenschaft, die mythologischen, traditionsschweren Schleier vor dem wahren, geistigen Gesicht des Christentums zu zerreissen, um jenen einsamen Großen wieder möglichst unverfälscht vor uns erstehen zu lassen, als den Menschenfreund, Hirten und Propheten des freien Geistes und der erlösenden Liebe, den „Märtyrer der Geistesfreiheit”, den „Todfeind aller erstarrten und Form gewordenen Frömmigkeit“.

Wir können hier nicht im einzelnen auf die Darstellung und Nachweisung des „Doppelgesichts“ durch Schenkel eingehen. Es wird aus dem Vorstehenden die mutige und begrüßenswerte Einstellung des Verfassers zu lesen sein. Er ruft letzten Endes jeden Einzelnen zu einer Entscheidung im Sinne eines praktischen Christentums auf, der notwendigerweise eine unbedingte Gesinnungswende vorausgehen muß.

Wie man auch zu den einzelnen Kapiteln des Buches stehen mag, jedenfalls möchten wir es nicht unterlassen, an dieser Stelle auf dasselbe besonders hinzuweisen. Wir freuen uns, wenn eine solche Schrift dazu beitragen kann, die unaufschiebbare Auseinandersetzung innerhalb des Christentums zu beschleunigen. Nicht eher kann "die Tragik des Christentums, daß in der apostolischen Tradition und in der kirchlichen Dogmatik die Lehre des Meisters bis zum Gegenteil entstellt ist“, durch das höchste Gebot und „einzige Merkmal des Christentums“, die Liebe als echte Humanität, überwunden werden, zu dessen völkerumspannende Erfüllung uns die Sendung Bahá’u’lláhs und 'Abdu'l-Bahás von neuem ermahnt.



O Bahá’i, Du bist der wahre religiöse Mensch der Gegenwart, entsage eitler und haltloser Abwechslung, inhaltsloser Zerstreuung. Siehe den armen Weltmenschen, er sucht fieberhaft die Leere seines Daseins auszufüllen mit den trügerischen Surrogaten der Sensation des Gesellschaftsabenteuers, des Klatsches, oder aber in der Hast und Hitze des Gelderwerbs, im Taumel des Genießens. Du aber, o Bahá’i, kniest an den Quellen des Lebens! Trinke den göttlichen Trank und gib anderen zu trinken, indem du sie an die Quellen führst.

(’Abdu’l-Bahá zu Miss Stevens, Haifa 1910.)



In der Sonne der Wahrheit finden nur solche Manuskripte Veröffentlichung, bezüglich deren Weiterverbreitung keine Vorbehalte gemacht werden. — Anfragen, schriftliche Beiträge und alle die Schriftleitung betreffenden Zuschriften beliebe man an die Schriftleitung: Stuttgart, Alexanderstr. 3 zu senden. — Bestellungen von Abonnements, Büchern und Broschüren sowie Geldsendungen sind an das Bahá’i-Bureau Stuttgart, Alexanderstr. 3, Nebengebäude, zu richten.


[Seite 61]


Geschichte und Bedeutung der Bahá’i-Lehre[Bearbeiten]

Die Bahá’i-Bewegung tritt vor allem ein für die „Universale Religion" und den „Universalen Frieden“ — die Hoffnung aller Zeitalter. Sie zeigt den Weg und die Mittel, die zur Einigung der Menschheit unter dem hohen Banner der Liebe, Wahrheit, Gerechtigkeit und Barmherzigkeit führen. Sie ist göttlich ihrem Ursprung nach, menschlich in ihrer Darstellung, praktisch für jede Lebenslage. In Glaubenssachen gilt bei ihr nichts als die Wahrheit, in den Handlungen nichts als das Gute, in ihren Beziehungen zu den Menschen nichts als liebevoller Dienst.

Zur Aufklärung für diejenigen, die noch wenig oder nichts von der Bahá’i-Bewegung wissen, führen wir hier Folgendes an: „Die Bahá’i-Religion ging aus dem Babismus hervor. Sie ist die Religion der Nachfolger Bahá’u’lláhs. Mirza Hussein Ali Nuri (welches sein eigentlicher Name war) wurde im Jahre 1817 in Teheran (Persien) geboren. Vom Jahr 1844 an war er einer der angesehensten Anhänger des Bab und widmete sich der Verbreitung seiner Lehren in Persien. Nach dem Märtyrertod des Bab wurde er mit den Hauptanhängern desselben von der türkischen Regierung nach Bagdad und später nach Konstantinopel und Adrianopel verbannt. In Bagdad verkündete er seine göttliche Sendung (als „Der, den Gott offenbaren werde") und erklärte, daß er der sei, den der Bab in seinen Schriften als die „Große Manifestation", die in den letzten Tagen kommen werde, angekündigt und verheißen hatte. In seinen Briefen an die Regenten der bedeutendsten Staaten Europas forderte er diese auf, sie möchten ihm bei der Hochhaltung der Religion und bei der Einführung des universalen Friedens beistehen. Nach dem öffentlichen Hervortreten Bahá’u’lláhs wurden seine Anhänger, die ihn als den Verheißenen anerkannten, Bahá’i (Kinder des Lichts) genannt. Im Jahr 1868 wurde Bahá’u’lláh vom Sultan der Türkei nach Akka in Syrien verbannt, wo er den größten Teil seiner lehrreichen Werke verfaßte und wo er am 28. Mai 1892 starb. Zuvor übertrug er seinem Sohn Abbas Effendi ('Abdu'l-Bahá) die Verbreitung seiner Lehre und bestimmte ihn zum Mittelpunkt und Lehrer für alle Bahá’i der Welt.

Es gibt nicht nur in den mohammedanischen Ländern Bahá’i, sondern auch in allen Ländern Europas, sowie in Amerika, Japan, Indien, China usw. Dies kommt daher, daß Bahá’u’lláh den Babismus, der mehr nationale Bedeutung hatte, in eine universale Religion umwandelte, die als die Erfüllung und Vollendung aller bisherigen Religionen gelten kann. Die Juden erwarten den Messias, die Christen das Wiederkommen Christi, die Mohammedaner den Mahdi, die Buddhisten den fünften Buddha, die Zoroastrier den Schah Bahram, die Hindus die Wiederverkörperung Krischnas und die Atheisten — eine bessere soziale Organisation.

In Bahá’u’lláh sind alle diese Erwartungen erfüllt. Seine Lehre beseitigt alle Eifersucht und Feindseligkeit, die zwischen den verschiedenen Religionen besteht; sie befreit die Religionen von ihren Verfälschungen, die im Lauf der Zeit durch Einführung von Dogmen und Riten entstanden und bringt sie alle durch Wiederherstellung ihrer ursprünglichen Reinheit in Einklang. Das einzige Dogma der Lehre ist der Glaube an den einigen Gott und an seine Manifestationen (Zoroaster, Buddha, Mose, Jesus, Mohammed, Bahá’u’lláh).

Die Hauptschriften Bahá’u’lláhs sind der Kitab el Iqhan (Buch der Gewißheit), der Kitab el Akdas (Buch der Gesetze), der Kitab el Ahd (Buch des Bundes) und zahlreiche Sendschreiben, genannt „Tablets“, die er an die wichtigsten Herrscher oder an Privatpersonen richtete. Rituale haben keinen Platz in dieser Religion; letztere muß vielmehr in allen Handlungen des Lebens zum Ausdruck kommen und in wahrer Gottes- und Nächstenliebe gipfeln. Jedermann muß einen Beruf haben und ihn ausüben. Gute Erziehung der Kinder ist zur Pflicht gemacht und geregelt.

Streitfragen, welche nicht anders beigelegt werden können, sind der Entscheidung des Zivilgesetzes jeden Landes und dem Bait’ul’Adl oder „Haus der Gerechtigkeit“, das durch Bahá’u’lláh eingesetzt wurde, unterworfen. Achtung gegenüber jeder Regierungs- und Staatseinrichtung ist als einem Teil der Achtung, die wir Gott schulden, gefordert. Um die Kriege aus der Welt zu schaffen, ist ein internationaler Schiedsgerichtshof zu errichten. Auch soll neben der Muttersprache eine universale Einheits-Sprache eingeführt werden. „Ihr seid alle die Blätter eines Baumes und die Tropfen eines Meeres“ sagt Bahá’u’lláh.

Es ist also weniger die Einführung einer neuen Religion, als die Erneuerung und Vereinigung aller Religionen, was heute von 'Abdu'l-Bahá erstrebt wird. (Vgl. Nouveau, Larousse, illustré supplement, Seite 66.)


[Seite 62]


Verlag des Deutschen Bahá’i-Bundes G.m.b.H., Stuttgart

Fernsprecher Nr. 26168 / Postscheckkonto 25419 Stuttgart / Alexanderstr. 3, Nebengebäude

In unserem Verlag sind erschienen:


Bücher:

Verborgene Worte von Bahá’u’lláh. Worte der Weisheit und Gebete . . . 1.--

Bahá’u’lláh, Frohe Botschaften, Worte des Paradieses, Tablet Tarasat, Tablet Taschalliat, Tablet Ischrakat. In Halbleinen gebunden . . . . . 2.50

in feinstem Ganzleinen gebunden . . . . . 3.--

'Abdu'l-Bahá Abbas, Ansprachen in Paris über die Bahá’i-Lehre . . . . . . 3.--

Geschichte und Wahrheitsbeweise der Bahá’i-Religion, von Mirza Abul Fazl. . . . . 3.50

'Abdu'l-Bahá Abbas’ Leben und Lehren, von Myron H. Phelps. In Ganzleinen gebunden . . . . . 4.--

Die Bahá’i-Offenbarung, ein Lehrbuch von Thornton Chase. Kartoniert M. 4.--, in Halbleinen gebunden . . . . 4.60

Bahá’u’lláh und das neue Zeitalter, ein Lehrbuch von Dr. J. E. Esslemont. In Ganzleinen gebunden . . . . . 4.50

Beantwortete Fragen 'Abdu'l-Bahá Abbas', gesammelt von L. Clifford Barney . . . . 5.--


Broschüren:

Einheitsreligion. Ihre Wirkung auf Staat, Erziehung, Sozialpolitik, Frauenrechte und die einzelne Persönlichkeit. Von Dr. jur. H. Dreyfus . . . -.50

Das Hinscheiden 'Abdu'l-Bahás, ("The Passing of 'Abdu'l-Bahá") . . . -.50

Das neue Zeitalter von Ch. M. Remey . . . . —.50

Die soziale Frage und ihre Lösung im Sinne der Bahá’i-Lehre von Dr. Hermann Grossmann, Weinheim (Bergstrasse) . . . . —.20

Die Bahá’i-Bewegung, Geschichte, Lehren und Bedeutung. von Dr. Hermann Grossmann, Weinheim (Bergstrasse) . . . . —.20

Sonne der Wahrheit, Jahrgang 3 - 9 in Halbleinen gebunden je . . . . 9.--

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