Sonne der Wahrheit/Jahrgang 10/Heft 4/Text

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SONNE

DER

WAHRHEIT
 
ORGAN DER DEUTSCHEN BAHAI
 
HEFT 4 10. JAHRGANG JUNI 1930
 


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Abdu’l-Bahás Erläuterung der Bahá’i-Prinzipien[Bearbeiten]

1. Die ganze Menschheit muss als Einheit betrachtet werden.

Bahá’u’lláh wandte Sich an die gesamte Menschheit mit den Worten: „Ihr seid alle die Blätter eines Zweigs und die Früchte eines Baumes“. Das heißt: die Menschheit gleicht einem Baum und die Nationen oder Völker gleichen den verschiedenen Aesten und Zweigen; die einzelnen Menschen aber gleichen den Blüten und Früchten dieses Baumes. In dieser Weise stellte Bahá’u’lláh das Prinzip der Einheit der Menschheit dar. Bahá’u’lláh verkündigte die Einheit der ganzen Menschheit, er versenkte sie alle im Meer der göttlichen Gnade.


2. Alle Menschen sollen die Wahrheit selbständig erforschen.

In religiösen Fragen sollte niemand blindlings seinen Eltern und Voreltern folgen. Jeder muß mit eigenen Augen sehen, mit eigenen Ohren hören und die Wahrheit suchen, denn die Religionen sind häufig nichts anderes als Nachahmungen des von den Eltern und Voreltern übernommenen Glaubens.


3. Alle Religionen haben eine gemeinsame Grundlage.

Alle göttlichen Verordnungen beruhen auf ein und derselben Wirklichkeit. Diese Grundlage ist die Wahrheit und bildet eine Einheit, nicht eine Mehrheit. Daher beruhen alle Religionen auf einer einheitlichen Grundlage. Im Laufe der Zeit sind gewisse Formen und Zeremonien der Religion beigefügt worden. Dieses bigotte menschliche Beiwerk ist unwesentlich und nebensächlich und verursacht die Abweichungen und Streitigkeiten unter den Religionen. Wenn wir aber diese äußere Form beiseite legen und die Wirklichkeit suchen, so zeigt sich, daß es nur eine göttliche Religion gibt.


4. Die Religion muss die Ursache der Einigkeit und Eintracht unter den Menschen sein.

Die Religion ist für die Menschheit die größte göttliche Gabe, die Ursache des wahren Lebens und hohen sittlichen Wertes; sie führt den Menschen zum ewigen Leben. Die Religion sollte weder Haß und Feindschaft noch Tyrannei und Ungerechtigkeiten verursachen. Gegenüber einer Religion, die zu Mißhelligkeit und Zwietracht, zu Spaltungen und Streitigkeiten führt, wäre Religionslosigkeit vorzuziehen. Die religiösen Lehren sind für die Seele das, was die Arznei für den Kranken ist. Wenn aber ein Heilmittel die Krankheit verschlimmert, so ist es besser, es nicht anzuwenden.


5. Die Religion muss mit Wissenschaft und Vernunft übereinstimmen.

Die Religion muß mit der Wissenschaft übereinstimmen und der Vernunft entsprechen, so daß die Wissenschaft die Religion, die Religion die Wissenschaft stützt. Diese beiden müssen unauflöslich miteinander verbunden sein.


6. Mann und Frau haben gleiche Rechte.

Dies ist eine besondere Lehre Bahá’u’lláhs, denn die früheren Religionen stellen die Männer über die Frauen. Töchter und Söhne müssen gleichwertige Erziehung und Bildung genießen. Dies wird viel zum Fortschritt und zur Einigung der Menschheit beitragen.


7. Vorurteile jeglicher Art müssen abgelegt werden.

Alle Propheten Gottes kamen, um die Menschen zu einigen, nicht um sie zu trennen. Sie kamen, um das Gesetz der Liebe zu verwirklichen, nicht um Feindschaft unter sie zu bringen. Daher müssen alle Vorurteile rassischer, völkischer, politischer oder religiöser Art abgelegt werden. Wir müssen zur Ursache der Einigung der ganzen Menschheit werden.


8. Der Weltfriede muss verwirklicht werden.

Alle Menschen und Nationen sollen sich bemühen, Frieden unter sich zu schließen. Sie sollen darnach streben, daß der universale Friede zwischen allen Regierungen, Religionen, Rassen und zwischen den Bewohnern der ganzen Welt verwirklicht wird. Die Errichtung des Weltfriedens ist heutzutage die wichtigste Angelegenheit. Die Verwirklichung dieses Prinzips ist eine schreiende Notwendigkeit unserer Zeit.


9. Beide Geschlechter sollen die beste geistige und sittliche Bildung und Erziehung geniessen.

Alle Menschen müssen erzogen und belehrt werden. Eine Forderung der Religion ist, daß jedermann erzogen werde und daß er die Möglichkeit habe, Wissen und Kenntnisse zu erwerben. Die Erziehung jedes Kindes ist unerläßliche Pflicht. Für Elternlose und Unbemittelte hat die Gemeinde zu sorgen.


10. Die soziale Frage muss gelöst werden.

Keiner der früheren Religionsstifter hat die soziale Frage in so umfassender, vergeistigter Weise gelöst wie Bahá’u’lláh. Er hat Anordnungen getroffen, welche die Wohlfahrt und das Glück der ganzen Menschheit sichern. Wenn sich der Reiche eines schönen, sorglosen Lebens erfreut, so hat auch der Arme ein Anrecht auf ein trautes Heim und ein sorgenfreies Dasein. Solange die bisherigen Verhältnisse dauern, wird kein wahrhaft glücklicher Zustand für den Menschen erreicht werden. Vor Gott sind alle Menschen gleich berechtigt, vor Ihm gibt es kein Ansehen der Person; alle stehen im Schutze seiner Gerechtigkeit.


11. Es muss eine Einheitssprache und Einheitsschrift eingeführt werden.

Bahá’u’lláh befahl die Einführung einer Welteinheitssprache. Es muß aus allen Ländern ein Ausschuß zusammentreten, der zur Erleichterung des internationalen Verkehrs entweder eine schon bestehende Sprache zur Weltsprache erklären oder eine neue Sprache als Weltsprache schaffen soll; diese Sprache muß in allen Schulen und Hochschulen der Welt gelehrt werden, damit dann niemand mehr nötig hat, außer dieser Sprache und seiner Muttersprache eine weitere zu erlernen.


12. Es muss ein Weltschiedsgerichtshof eingesetzt werden.

Nach dem Gebot Gottes soll durch das ernstliche Bestreben aller Menschen ein Weltschiedsgerichtshof geschaffen werden, der die Streitigkeiten aller Nationen schlichten soll und dessen Entscheidung sich jedermann unterzuordnen hat.

Vor mehr als 50 Jahren befahl Bahá’u’lláh der Menschheit, den Weltfrieden aufzurichten und rief alle Nationen zum „internationalen Ausgleich“, damit alle Grenzfragen sowie die Fragen nationaler Ehre, nationalen Eigentums und aller internationalen Lebensinteressen durch ein schiedsrichterliches „Haus der Gerechtigkeit" entschieden werden können.

Bahá’u’lláh verkündigte diese Prinzipien allen Herrschern der Welt. Sie sind der Geist und das Licht dieses Zeitalters. Von ihrer Verwirklichung hängt das Wohlergehen für unsere Zeit und das der gesamten Menschheit ab.

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SONNE DER WAHRHEIT
Organ der deutschen Bahá’i
Herausgegeben vom Verlag des deutschen Bahá’i-Bundes, Stuttgart
Verantwortliche Schriftleitung: Alice Schwarz-Solivo, Stuttgart, Alexanderstraße 3
Preis vierteljährlich 1.80 Goldmark, im Ausland 2.– Goldmark
Heft 4 Stuttgart, im Juni 1930
Rahmat — Barmherzigkeit 87
10. Jahrgang

Motto: Einheit der Menschheit — Universaler Friede — Universale Religion


Inhalt: Das Heilige Buch der Gewißheit. — Lehre uns beten! — Die dynamische Kraft des Gebets. — Über das Beten. — Sehnsucht.



O Menschen erwachet![Bearbeiten]

”Wenn heute ein Mensch, dessen Seele von der Liebe zu Gott erfüllt ist und der von Begeisterung glüht, zu reden beginnt und seine Ansprachen im Zustand höchster Loslösung hält, so wird dies zweifellos den größten Eindruck auf die Herzen machen. Mit lauter Stimme soll er rufen:

O Menschen, o Völker! Die Sonne der Wirklichkeit ist am Horizont der Welt aufgegangen und wirft ihren Glanz über Ost und West.

O Menschen erwachet, erwachet!

O du, der du dem Reich Gottes gleichgültig gegenüberstehst, erwache, erwache!

O du an die Materie Gebundener! Befreie dich, befreie dich!

O du mit alten Dogmen Beschwerter! Lasse ab von den veralteten Vorstellungen! Werde frei von dieser Hemmung.

O du, der himmlischen Gnade Beraubter! Werde ihrer teilhaftig!

O du, der göttlichen Welt gegenüber Achtloser! Sei neu gefesselt!

Rufe mit lautester Stimme solche Worte in die Scharen der Menschheit!

Der Eindruck eurer Worte hängt vom Grade eurer eigenen Hingabe und Begeisterung ab. Ihr werdet dann inne werden, welchen Erfolg dies haben wird.“


Abdu’l-Bahá Abbas. Auszug aus einem Tablet. Star of the West. 19. Jan. 1915



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Das Heilige Buch der Gewißheit[Bearbeiten]

(Fortsetzung)

(Kitab-El-Iqan aus der Feder von Bahá’u’lláh)

Aus dem Französischen ins Deutsche übersetzt von Dr. A. Mühlschlegel


Bedenket: Hätten die Völker des Evangeliums den Sinn dieser Worte verstanden oder auch nur, von Vorurteil und Widerrede frei, die Manifestationen göttlichen Wissens darum befragt; so würde heute nicht der Zweifel herrschen in ihren Herzen und ihre Seele läge nicht in Finsternis. Da sie das Wissen nicht an seinem Quell geschöpft, sind sie gesiebt worden im schreckensvollen Tal des Unglaubens und der Irrungen. Sie haben nicht gesehen, daß alle Zeichen erschienen sind, daß die verheißene Sonne vom Horizont der Manifestation herabstrahlt, und daß die alten Sonnen und Monde des Wissens und der Führung heute verfinstert, wenn nicht gänzlich erloschen sind.

Nun dringt mit eurer Einsicht und mit eurer Fassungskraft in die Bereiche der Gewißheit vor. Sprich: "Dies ist Gott. Und dann lasse sie in ihren eiteln Reden sich vergnügen.“ (Koran VI, 91.) Seid von denen, die da sprechen: „Unser Herr ist Gott; die sich auf den Weg machen zu Ihm und denen Engel zur Seite stehen.“ (Koran XLI, 30.) Ihr werdet dann all diese Geheimnisse mit eigenen Augen schauen.

O mein Bruder, um mit einem einzigen Schlag jene tiefen Täler der Entfremdung und der Trennung zu überbrücken, um in das Paradies der Einheit und der Nähe eingehen zu können und auf einmal die göttliche Seele zu erfassen, benütze die Flügel des Geistes, denn diese Klüfte sind nicht überschreitbar für ein Wesen des Staubes, dessen Begierden niemals befriedigt würden. Friede sei mit denen, die Gott auf dem rechten Wege folgen und auf den Pfaden Seiner Sache nach den Küsten der Belehrung pilgern und sich an die Tugend Seines Heiligen Namens halten.

Ihr verstehet jetzt die Bedeutung jenes heiligen Verses: „Ich schwöre nicht bei den verschiedenen Osten und Westen.“ (Koran LXX, 40.) Alle diese Sonnen, von denen wir gesprochen haben, haben alle verschiedene Punkte des Aufgangs und des Untergangs. Und da die gelehrten Schriftdeuter nicht die Wirklichkeit dieser Sonnen erfaßten, sind sie auf folgende Erklärungen des Verses gekommen: die Mehrzahl sei hier deshalb angebracht, weil jeden Tag die Sonne ja an einem anderen Orte auf- und untergeht. Oder wenigstens, daß diese Worte sich auf die vier Jahreszeiten beziehen würden, in welchen die Sonne an jeweils verschiedenem Orte auf- und untergehe. Hier endet ihr Wissen. Und wieviel grobe Irrtümer über die Quellen der Weisheit und des Wissens haben sie in die Welt gesetzt!

Dank dieser raschen Ausführung könnt ihr nun gleicherweise die Bedeutung des „Himmels, der in der Stunde der Auferstehung sich spalten muß“ (Koran LXXXII, 1.), begreifen. Dies ist der Himmel der Religion, der zur Zeit einer jeden Manifestation sich aufbaut und der beim Kommen der folgenden sich spaltet, das heißt wertlos wird und zusammenbricht. Ich schwöre bei Gott: wenn wir uns darein vertiefen, so werden wir sehen, daß es ein viel größeres Werk ist, den Himmel einer Religion vergehen zu lassen, wie den Himmel über unserem Haupte zu zerstören. Eine Religion ist einst vor alter Zeit gegründet worden und in ihrem Schatten sind die Völker nach ihren Gesetzen erzogen worden; und so hat man seit vielen Geschlechtern nur von ihr gesprochen, nur auf den Erfolg ihres Einflusses geschaut und nur ihren Gesetzen gehorcht. Da kommt ein einziger Mensch, mit göttlicher Macht versehen, um all dies aufzuheben, all dies abzuschaffen. Ist das nicht noch ungewöhnlicher als das Wunder, auf das der beschränkte Verstand wartet: das tatsächliche Sichöffnen des Himmels?

Betrachtet die Drangsale und Leiden, welche die Manifestationen zu erleiden hatten! Ohne den geringsten Beistand und ohne materielle Hilfe verkünden die Propheten [Seite 3] vor aller Welt die Gebote Gottes, während alle erdenkliche Not auf ihre gesegnete Persönlichkeit herabkommt. Aber sie haben die Kraft, geduldig zu sein und sie ertragen alles, ohne sich dagegen aufzulehnen.

Dies ist, was da heißt: „Die Erde wird vergehen!“ Wenn vom Himmel der Sache Gottes das segenspendende Gewölk wohltätige Regenschauer auf die Herzen fallen läßt, dann wird der dürre Boden dieser Herzen in die Erde der Weisheit und Erkenntnis verwandelt. Wieviele Blumen der Einheit sprießen dann in den Gärten der Herzen, wieviele Anemonen der Weisheit blühen da alsbald auf! Wäre der Boden dieser Herzen nicht erneuert worden, wie hätte es dann geschehen können, daß Menschen, die keinen Unterricht empfangen, keinen Lehrer, keine Schule besucht hatten, mit einem Wissen und einer Autorität zu reden vermochten, die niemand übertreffen konnte? Glaubet darum, aus dem Staub des ewigen Wissens waren sie geformt und mit dem Wasser göttlicher Weisheit waren sie genetzt. „Das Wissen ist ein Licht, das Gott in das Herz legt, wem Er will.“ Wundersam ist solches Wissen und wird es ewig sein. Das Wissen aber, das uns von verschleierten, verwirrten Menschengeistern zukommt, das hat keinen Wert, und nichtig ist es, stolz darauf zu sein. Möge es Gott gefallen, die Herzen von allen unklaren Vorschriften zu reinigen! Dann wird die göttliche Sonne des Wissens sie in wertvolle Edelsteine der ewigen Weisheit verwandeln. Wenn diese unfruchtbaren Erden nicht erneuert worden wären, wie könnten die Geheimnisse der Einheit mit den göttlichen Kleinodien dort erscheinen? So spricht Er: „Der Tag wird kommen, da Erde und Himmel verwandelt sein werden." (Koran XIV, 49.)

Durch den barmherzigen Hauch des Königs des Daseins ist auch die Erde, auf der wir wohnen, erneuert worden. Begreifet doch die Größe und das Geheimnis der gegenwärtigen Manifestationen: „Die ganze Welt wird nur ein Klümpchen Staub in Seiner Hand sein, und die Himmel werden sich falten wie ein Vorhang in Seiner Rechten.“ (Koran XXXIX, 67.)

Um den Sinn dieses Verses zu erfassen, bedarf es einigen Scharfblicks. Würden diese Verse weiter nichts bedeuten, als was man landläufig dabei denkt, wozu wären sie nütze? Bekanntlich hat der Höchste keine Hände; nur die Ungläubigen und Lügner vermögen Ihm solche anzudichten. Wenn ihr sagt, die „Rechte Gottes“ beziehe sich auf Seine Manifestationen, welche am Tage der Auferstehung Seine Macht in Händen halten, so hindert dies nicht, daß es völlig unnütz wäre, sie die ganze Erde mit ihrer Rechten ergreifen zu sehen. „Erde“ ist hier die Erde der Belehrung und des Wissens, „Himmel“ ist der Himmel der Religion.

Sehet an, wie die Erde des Wissens und der Belehrung in der Hand der Macht nicht mehr denn ein Klümpchen Staub geworden ist, und wie Gott eine neue Erde in die Herzen der Menschen gelegt hat, wo sie neue Blumen, wundersame Rosen und hohe Bäume erstehen läßt. Sehet an, wie der Himmel der alten Religionen zerspalten ist von Seiner mächtigen Rechten! Sehet an den Himmel des Beján, geschmückt mit der Sonne, dem Monde und den Sternen der neuen wunderbaren Ausgießung! So leuchtet euch das Geheimnis der Worte auf, wenn eure Augen nicht geschlossen sind für die geistige Morgenröte und wenn ihr durch die Macht der Treue und der Loslösung die Lichter des Zweifels, der Einbildungen und der Unsicherheit auslöschet, um in dem Leuchter eures Herzens die neue Flamme der Zuversicht und der Gewißheit anzuzünden.

All diese sinnbildlichen, rätselvollen Worte, welche vom Ursprung der Ursachen herabkommen, sind dazu bestimmt, die Völker zu prüfen, um die Herzen zu erkennen, die fruchtbar sind und die es nicht sind. So verfährt Gott mit Seinen Völkern, wie man es ja aus den Schriften ersieht. Leset einmal die Verse über die Kebla: Auch nach der Hedschra Mohammeds von Mekka nach Medina pflegte man beim Beten sich gen Jerusalem zu wenden, bis zu dem Tage, da die Juden über den Propheten in Ausdrücken zu reden begannen, die man hier nicht wiedergeben kann und was auch zu weit führen würde. Er wurde dadurch sehr betrübt und, den Blick gen Himmel hebend, frug Er, was [Seite 4] Ihm zu tun gezieme. Da nahte sich Ihm Gabriel und sprach: „Wir haben gesehen, daß du dein Angesicht allen Himmelsrichtungen zuwandtest. Wir wollen, daß du es von nun an nur nach einer Richtung (Kebla) wendest, die dein Gefallen finden wird.“ (Koran II, 139.) Und eines Tages, als Seine Erhabenheit (Mohammed) und einige Seiner Jünger dabei waren, das obligatorische Gebet zu verrichten, und schon zwei Rekhats gemacht hatten, erschien ihnen Gabriel und sprach: „Wendet euch der Richtung der heiligen Moschee zu“ (Koran II, 139.) Und mitten im Gebet wandte sich Seine Erhabenheit von Jerusalem ab und Mekka zu. Da überfielen Furcht und Bestürzung Seine Jünger und etliche von ihnen flohen das Gebet und gingen unter die Ungläubigen.

Diese Verwirrung hatte keinen anderen Zweck, als die Jünger zu prüfen. Wie hätte auch Gott es nötig, die Gebetsrichtung zu ändern, die Er ja immer nach der Stadt Jerusalem hätte belassen können, welcher Er diese Ehre nicht hätte nehmen brauchen. Denn unter keinem der Propheten, die nach Moses entsandt waren, wie David, Jesus und allen denen, welche zwischen diesen beiden Manifestationen kamen, war die Gebetsrichtung gewechselt worden und durch ihre Vermittlung hatte Gott stets den Völkern befohlen, sich im Gebete gen Jerusalem zu wenden. Vor Gott sind alle Länder gleich, wofern sie nicht durch das Erscheinen der Manifestationen besonders geheiligt sind. „Gottes ist der Orient, Gottes ist der Okzident. Wohin ihr euch auch wendet, ihr werdet Sein Antlitz schauen.“ (Koran II, 109.) Warum also die Gebetsrichtung ändern und damit Verwirrung und Bestürzung verbreiten und Zwietracht unter den Menschen entfesseln? Ja, diese Dinge, die Verwirrung hervorrufen, sind für Gott der Prüfstein, womit Er den Aufrichtigen vom Lügner scheidet und trennt.

In diesem Sinne spricht Er: „Wir haben die vorangegangene Gebetsrichtung bestimmt, um unter euch zu scheiden, wer dem Propheten folgt und wer sich von ihm abwendet.“ (Koran II, 158.) Wenn ihr euch darein vertieft, so werdet ihr sehen, wie sich vor euren Augen die Pforten der Erklärung öffnen und die Geheimnisse des Wissens sich enthüllen. Und ihr werdet verstehen: der Sinn dieser Prüfungen ist, die Seelen zu erheben und sie aus dem Kerker der irdischen Lüste und des Eigendünkels zu befreien. Denn Gott ist in Seinem wahren Sein zu allen Zeiten hoch über dem Wissen der ganzen Welt gestanden und wird in Seinem Wesen immer weit über der Anbetung jener sein, die Er erschaffen hat. Ein einziger Hauch Seiner Macht reicht hin, dem Weltall Macht zu geben, ein Tropfen Wassers aus dem Meere Seiner Güte gibt allen ewiges Leben. Er aber will scheiden den Gerechten vom Schlechten, die Sonne vom Schatten, und darum hat Er zu allen Zeiten Seine Prüfungen auf die Menschen niederfallen lassen wie Regen vom Himmel.

Wenn ihr über die Offenbarungen der alten Propheten nachsinnet, dann wird euch alles klar, und auch das, was in ihrem Handeln oder Reden euren Neigungen und Liebhabereien zuwider scheinen mag, wird euch dann nicht mehr von ihrem Pfade abbringen können. Dann werden alle Schleier durch das Feuer der „Bäume der Belehrung“ verzehrt, dann werdet ihr euch auf dem Thron der Stille und der Ruhe finden.

So auch Moses, Imrams Sohn, einer der größten Propheten und Offenbarer eines Buches. Einst, ehe Er sich Seiner göttlichen Sendung bewußt ward, traf Er auf einem offenen Platze zwei Männer, die sich stritten. Der eine rief Ihn zu Hilfe. Seine Erhabenheit eilte herbei und tötete den andern, wie die Schriften es berichten. Die Einzelheiten dieses Zwischenfalls allein würden genügen, uns auf dem Wege des Vielgeliebten aufzuhalten. Das Geschehnis ward im Lande ruchbar und Moses ward, wie wir wissen, von Furcht befallen. Denn eines Tages sagte einer zu Ihm: „Die Obersten beraten, wie sie dich töten!“ (Koran XXVIII, 19.) Da verließ Er das Reich und floh nach dem Lande Midian. Dort blieb Er im Dienste Jethros. Dann kehrte Er zurück in das heilige Tal der Wüste Sinai. Dort, in einem Feuerbusche, der weder im Osten noch im Westen war, sah Er den König der [Seite 5] Einheit erscheinen und in dem göttlichen Feuer, das Ihn verzehrte, hörte Er die geistige Stimme, von der alles Leben kommt. Sie befahl Ihm, die Führung der Völker Pharaos zu übernehmen, sie herbeizurufen aus den Niederungen der Sinnenlust und sie nach den herrlichen Gefilden der Vergeistigung und der Führung zu geleiten und sie so von den Ängsten der Entfremdung zu befreien und nach der friedvollen Stadt der Nähe zu bringen, auf daß sie trinken möchten von dem Wasser des Salsabils der Befreiung.

Doch als Er in den Palast des Pharao kam und Seine Sendung zu erkennen gab, sprach dieser zu Ihm in schmähender Rede: „Bist du nicht jener, der mir einen Mann getötet hat und ein Abtrünniger geworden ist?" Wie auch der Herr im Koran niedergeschrieben hat: „Du hast die Tat begangen, die du kennst, du bist ein Abtrünniger.“ „Ja“, sprach Moses, „ich habe diese Tat begangen; aber damals war ich fern von Gott. Aus Furcht vor euch bin ich geflohen. Da aber hat mich Gott mit Macht bekleidet und mich zu Seinem Gesandten ernannt.“ (Koran XXVlI, 18, 19, 20.)

Denkt doch ein wenig nach über die Prüfungen, die Gott uns auferlegt: Ein Mann, als Mörder bekannt, der sein Verbrechen zugibt, wie geschrieben stehet, der zu allem hin wohl dreißig Jahre im Palaste des Pharao erzogen ward, diesen Mann hat Gott erwählet, um ihm die höchste Macht zu verleihen. Und Er hat Ihn vor den Augen und mit Wissen aller Welt zum Mörder werden lassen und so alle bestürzt, die an Ihn glauben wollten.

Sehet auch Maria an. Unter der Wucht ihres Schicksals suchte dieses bewundernswerte Weib den Tod, wie man es den Heiligen Büchern entnehmen kann. Nach Jesu Geburt ließ sie ihrem Schmerze freien Lauf und rief: „Wollte Gott, ich wäre vor alledem gestorben und läge in ewiger Vergessenheit begraben.“ (Koran XIX, 23) Ich schwöre bei Gott: diese Worte sind gesprochen, die Herzen mit Erbarmen zu erfüllen. Angst und Schmerz hatten sie übermannt durch die Bosheit der Ungläubigen und Schlechten. Was konnte sie dem Volke antworten? Wie ihm sagen, daß dieses Kind von unbekanntem Vater ihr durch den Heiligen Geist geworden war? Sie nahm ihr Kind und kehrte nach Hause zurück. Als ihre Familie sie erblickte, rief sie ihr zu: „O Schwester Aarons, dein Vater war doch kein schlechter Mann gewesen und deine Mutter doch keine Dirne.“ (Koran XIX, 19.) Welch schreckliche Prüfung für sie! Aber Gott machte einen Propheten aus diesem Kinde des Geistes, das, wie man wußte, keinen gesetzmäßigen Vater hatte, und schuf es zu Seinem Zeugnis für alle Völker des Himmels und der Erde. Wie anders sind doch die Wege der göttlichen Manifestationen als unsere Wünsche und Meinungen es fordern!

Wenn ihr das Wesen des Geistes in euch hättet, so würdet ihr die Wünsche des Geliebten klar erkennen. Ihr würdet sehen, daß Seine Worte mit Seinen Taten genau im Einklang stehen und wenn sie auch dem Scheine nach Verwirrung unter den Menschen anrichten, so sind sie doch in Wahrheit den Gerechten ein Quell der Barmherzigkeit. Schauet mit den Augen des Herzens, und ihr werdet sehen, daß solche Worte, die von dem Himmel des Willens Gottes herabgekommen sind, bestätigt waren durch das, was in der Folgezeit geschah.

O mein Bruder, wenn gleiche Ereignisse sich in unserer heutigen Zeit begeben sollten, was würde geschehen? Ich schwöre beim Herrn des Daseins und dem Schöpfer der Welten: Ohne Zaudern würden sie einen Mann wie Jesus als Ungläubigen behandeln und zu Tode führen. Würde man Ihn sagen lassen, Er sei der Hauch des Heiligen Geistes? Würde man heute glauben, Moses besäße die Macht des unwiderstehlichen Gebotes? Tausende von Stimmen könnten es versichern, niemand würde glauben, der Sohn eines unbekannten Vaters könnte ein Entsandter sein, oder ein Mörder hätte in einem Feuerbusche die Stimme Gottes vernommen. Öffnet eure Augen der Gerechtigkeit und ihr werdet sehen, ob es nicht so ist, daß in unseren Tagen genau die gleichen Dinge wiederkehren, ähnliche Ereignisse eintreten und die abgeirrten Menschen weiterhin denen folgen, die Gott ferne sind und deren Lehren nur Zweifel erzeugen.

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Das große Gefängnis in Akka


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Was für Verleumdungen wurden nicht über diese Sache ausgesprochen und wieviel Trübsale sind in unseren Tagen nicht noch hinzugekommen! Niemals bis heute ward ähnliches gesehen: Gott ist groß. Heute werden die geistigen Düfte der ewigen Morgenröte aufs neue verbreitet. Die Morgenwinde des Ostens wehen von der ewigen Stadt Saba, bringen den Herzen frohe Botschaft und dem Geiste unendlichen Sieg. Ein neuer Teppich ist auf die Erde gebreitet. Gaben ohne Zahl kommen auf uns vom Unbekannten Freunde, dessen edle, glänzende Gestalt das Gewand der Worte und der Mantel der Erklärung nicht auszuschmücken vermögen. Ohne Worte werden die Gleichnisse erklärt und die Geheimnisse der Verkündung entschleiert. Auf den äußersten Zweigen des Baumes der Trennung klagt die Nachtigall und schluchzt und sucht den Weg der Liebe und das höchste Glück. Die wundersamen Rosen des Paradieses der Nähe und der Begegnung lauschen den Geheimnissen der herzbezwingenden, süßen Liebkosungen. Die Anemonen im Garten der Liebe kennen die Geheimnisse der Wirklichkeit und im Busen des Liebenden sind die zarten Gleichnisse verwahrt. In dieser Stunde ist solche Liebe in der Welt verbreitet, daß sie wie das Wehen des Heiligen Geistes: ist. Ein Tropfen Wasser hat die Macht der Meereswogen, ein Körnchen Staub den Glanz der Sonne. So groß ist die Gnadenfülle, daß die Mücke den Kehricht verläßt und sich auf einem winzigen Körnchen Moschus niedersetzt, und daß die Fledermaus der Sonne entgegenflattert. Die Toten werden wieder auferweckt in ihren Leibern durch das Wehen des Lebens. Die Unwissenden erringen den Thron des Wissens und die Ungerechten finden ihren Platz auf den Höhen der Gerechtigkeit. Die Schöpfung ist schwanger von all dieser Gnadenfülle und bald werden die Früchte allen sichtbar sein in dieser Welt des Staubes. Dann wird, wer vor Durst verschmachtet, an den Quell des Paradieses des Vielgeliebten gelangen: Jene, welche in den Wüsten der Entfremdung und des Nichtseins verirrt sind, werden zu den Zelten der Nähe und der Gegenwart des Geliebten gelangen. Heilige Saaten werden in den Herzen aufsprießen und die wirklichen, die unsichtbaren Anemonen werden darin aufblühen. Und auch die Bäume der Liebe auf dem Sinai des Wohlwollens werden von solchem Feuer entflammen, daß das Wasser der Ausdeutung sie nicht wird löschen können. Den Durst des Wales wird das ganze Meer nicht stillen und der Salamander wird sich nur noch mit dem Feuer vom Angesichte des Freundes begnügen.

Darum, o mein Bruder, entzünde die Flamme des Geistes in der Lampe deines Herzens. Entzünde das Öl der Weisheit, beschützt durch das Gefäß der Einsicht, und lasse dieses Licht leuchten, daß es der Wind des Unglaubens nicht auszulöschen vermag. So haben wir den Horizont des Himmels des Beján erleuchtet durch das Licht der Weisheit und der Belehrung, auf daß dein Herz Ruhe finde und du unter denen seist, die sich auf den Flügeln der Gewißheit aufschwingen in die Lüfte der Liebe des Barmherzigen Herrn.

(Fortsetzung. folgt.)



Lehre uns beten![Bearbeiten]

Von Bertha Hyde Kirkpatrick. Aus dem Englischen übersetzt von der Geistigen Arbeitsgemeinschaft, Schwerin

„In allen Welten des Seins gibt es nichts Wichtigeres als das Gebet.“

'Abdu'l-Bahá


„Wisse, daß das Gebet unerläßlich und obligatorisch ist und der Mensch unter keinem Vorwande, was sich auch immer zugetragen haben mag, von demselben entbunden ist, es sei denn, er sei geistig erkrankt oder ein unabwendbares Ereignis verhindere ihn.“

Wir wissen, daß das vollkommene Gebet aus eigenem Antriebe aus einem Herzen voller Liebe zu Gott hervorgeht. Jedoch einige von [Seite 8] uns, die darin Anfänger sind, das geistige Leben zu suchen, finden, daß sogar diese höchst wichtige Verrichtung gelernt sein muß, und daß jene Liebe zu Gott, deren Keim in jedes Menschenherz gelegt ist, gepflegt werden muß, um zur Vollkommenheit zu gelangen. So bitten wir wie die Jünger Christi vor alters: „Herr, lehre uns beten.“ Wenn wir nach diesen göttlichen Worten suchen, so finden wir, daß 'Abdu'l-Bahá uns nicht nur die Weisheit, Wichtigkeit und Bedeutung des Gebetes klar machte, sondern daß Er, da Er weiß, daß die meisten von uns nur wie Kinder sind, die dem leuchtenden Pfade folgen, uns liebevoll viele Lehren erteilte, um uns zu helfen, uns zur Befähigung des vollkommenen Gebetes zu entwickeln.

Wo anders finden wir sonst solche gütigen, einfachen, beglückenden Worte wie die von 'Abdu'l-Bahá, die für diejenigen von uns, die tasten und suchen, sicherlich eine erste Anleitung zum Gebet sind:

„Wenn ein Freund Liebe für einen anderen empfindet, wird er auch das Bedürfnis haben, es ihm zu sagen. Obgleich er weiß, daß dem Freund bekannt ist, daß er ihn liebt, wird er dennoch wünschen, dies auszusprechen. Wenn ihr irgend jemand liebt, sucht ihr alsdann nicht eine Gelegenheit, um mit ihm liebevoll zu sprechen, ihm Geschenke zu bringen, an ihn zu schreiben? Wenn ihr diese Wünsche nicht hegt, liebt ihr euren Freund nicht. Gott kennt die Wünsche aller Herzen. Aber das Bedürfnis zu beten ist ein natürliches, das der Liebe des Menschen zu Gott entspringt. Wenn zu dem Gebet kein Verlangen oder kein geistiges Bedürfnis vorhanden ist, dann betet nicht. Das Gebet sollte der Liebe entspringen, dem Wunsche der Persönlichkeit, sich mit Gott zu verbinden. Gerade so wie der Liebende nie aufhört, sich nach Verbindung mit der Geliebten zu sehnen, so wünscht der Gottsucher fortwährend eine Verbindung mit der Gottheit. Das Gebet bedarf keiner Worte, es kann auch in Gedanken und im Gebetsgeist zum Ausdruck kommen. Aber wenn diese Liebe und dieses Verlangen fehlen, ist es nutzlos diese Stimmung zu erzwingen. Worte ohne Liebe bedeuten nichts. Wenn ein Mensch mit euch, wie in Erfüllung einer unfreulichen Pflicht, ohne Liebe oder Freude über seine Begegnung mit euch, spricht, wünscht ihr alsdann euch mit ihm zu unterhalten? Erst sollte man sich bemühen, sich mit Gott zu verbinden.”

‘Abdu’l-Bahá erklärt uns auch kurz, wie dieses Vertrauen zu erlangen ist:

„Erkenntnis ist Liebe. Erforschet die hl. Ermahnungen und höret auf sie; denket über die Weisheit und Herrlichkeit Gottes nach und suchet sie zu begreifen. Der Boden muß fruchtbar gemacht werden, bevor die Saat gesät werden kann!“

Unser allererster Schritt ist also, die „Weisheit und Herrlichkeit“ Gottes zu erforschen. Und von wem sollen wir etwas über Gott erfahren, es sei denn durch die göttlichen Lehrer, die für diesen alleinigen Zweck auf Erden gelebt haben, die vollkommenen Erzieher, die heiligen Manifestationen Gottes: Christus, Mohammed, Bahá’u’lláh?

„Die Quelle aller Weisheit ist die Kenntnis von Gott, und diese kann nur durch das Erkennen Seiner göttlichen Manifestation erlangt werden!“ (Bahá’u’lláh.)

Heute ist den Menschen Gelegenheit geboten wie nie zuvor, die authentischen Worte, das tägliche Leben, die Taten und Handlungen des Großen Lehrers dieses Zeitalters, Bahá’u’lláh, zu studieren. Wir haben nicht nur Sein geoffenbartes Wort, sondern auch die Auslegung Seines Wortes durch den von Ihm eingesetzten Vermittler 'Abdu'l-Bahá.

Sicherlich wird das Vertrautwerden mit diesen beiden Lebensbeispielen, die von Weisheit und Liebe überfließen, uns zu unserem Ziele, dem vollkommenen Gebet, leiten, welches 'Abdu'l-Bahá uns wie folgt lehrt:

„In dem vollkommensten Gebet bitten die Menschen nur um die Liebe Gottes, nicht, weil sie Ihn oder die Hölle fürchten oder eine Wohltat oder den Himmel erhoffen. So sehr sind die Seelen, in deren Innerstem das Feuer der Liebe entzündet ist, von dem demütigen Gebet erfüllt. Das wahre demütige Gebet zu Gott muß daher allein aus der Liebe zu Gott kommen.“

Über eine solche Liebe sagt 'Abdu'l-Bahá:

„Der Gottsucher bittet Ihn und fleht Ihn an, weil Er die Vollkommenheit ist um Seiner Vollkommenheit willen. Liebe sollte das reine Wesen der Liebe an sich sein und nicht von äußeren Geschehnissen abhängen. Der Gottsucher liebt Gott um Gottes willen, nicht aus Eigennutz.“

[Seite 9] Somit ist die vollkommene Liebe das Geheimnis des vollkommenen Gebetes. Was wir auch immer suchen, wir werden beides finden, wenn wir das eine erreichen. Das Gebet an sich wird uns zur Erkenntnis Gottes und zu Seiner Liebe führen, und Erkenntnis und Liebe zu Gott werden uns zu dem vollkommenen Gebet führen. ‘Abdu’l-Bahá sagt uns, wie reichlich wir diese und andere Segnungen empfangen können:

„Erbitte alles, was du wünschest von Bahá’u’lláh. Wenn du nach Glauben verlangst, so bitte Ihn darum. Wenn du dich nach Erkenntnis sehnst, erbitte sie von Ihm, Er wird sie dir gewähren. Wenn du nach der Liebe Gottes Verlangen trägst, wird Er sie dir vermitteln. Er wird auf dich allen Seinen Segen herabsenden.“

Dankbarkeit, Freude und Glück sind in der Gefolgschaft unserer wachsenden Liebe zu Gott und bilden einen unzertrennlichen Bestandteil des andächtigen Geistes:

„Daher mußt du in äußerster Freude, Fröhlichkeit und Munterkeit und in unendlichem Glück deinen Mund zur Danksagung und Verherrlichung des Herrn der Güte auftun und die Ursache der Erleuchtung werden“ schrieb 'Abdu'l-Bahá an einen aufrichtigen Sucher. Dieses Reich der Freude wird für uns durch das folgende, von Bahá’u’lláh geoffenbarte Gebet eröffnet:

„O Du, durch Dessen Namen ein Meer der Freuden bewegt wird und die Düfte des Glückes wehen! Ich bitte Dich, zeige mir aus den Wundern Deiner Gunst, was meine Augen erleuchtet und mein Herz erfreut.“

Wir dürfen uns nicht entmutigt oder beschämt fühlen, daß wir Anfänger sind und jenen Zustand noch nicht erreicht haben. ‘Abdu’l-Bahá erkennt in Seinem tiefen Verstehen, daß wir Sucher und Lernende sind, sonst würde Er uns nicht so geduldig so viele Anleitungen und Belehrungen gegeben haben. Wenn wir hinter dem Ziel zurückbleiben, ermuntert Er uns, auszuharren:

„Näher mein Gott zu Dir“, sagt Er, „verharre in der Gemeinschaft mit dem Herrn, damit das Feuer der Liebe Gottes heller in deinem Herzen aufleuchte, seine Glut zunehme und du Wärme um dich verbreitest, und damit der Klang deines Gebetes die erhabenen Heerscharen erreichen kann.“

Einmal gab 'Abdu'l-Bahá folgende sehr lehrreiche Anweisung, wie eine andächtige Stimmung zu erlangen ist:

„Die Andacht zum Gebet wird auf zweierlei Weise erreicht. Gerade so, wie ein Mensch, der im Begriffe ist, eine Vorlesung zu halten, sich dazu vorbereitet und seine Vorbereitung aus gewissen Betrachtungen und Aufzeichnungen besteht, so ist die Vorbereitung zur Andacht die Befreiung der Seele eines Menschen von allen anderen Gedanken außer dem Gedanken an Gott im Gebet, und wenn er diese andächtige Stimmung erlangt hat, soll er beten.“

Ein andermal erklärt ‘Abdu’l-Bahá noch ausführlicher, wie der Geist der Loslösung zu erlangen ist:

„Wir müssen danach streben, jenen geistigen Zustand dadurch zu erlangen, daß wir von allen Dingen und von den Kindern der Welt unabhängig werden und uns Gott allein zuwenden. Es wird seitens des Menschen einige Anstrengung kosten, jenen Zustand zu erreichen, aber er muß daran arbeiten und darum ringen. Wir können ihn erlangen, wenn wir weniger an Materielles denken und uns darum kümmern, sondern uns mehr um geistige Dinge kümmern. Je weiter wir uns von dem einen Zustand entfernen, desto näher sind wir dem anderen. Die Wahl liegt bei uns! Unser geistiges Wahrnehmungsvermögen, unser inneres Gesicht muß sich auftun, damit wir die Zeichen und Spuren des Geistes Gottes in allem erblicken können. Alles kann auf uns das Licht des Geistes ausstrahlen.“

Wenn wir weiter suchen, so finden wir, daß 'Abdu'l-Bahá noch weitere Belehrungen zur Erlangung des freien Geistes, der das wirksame Gebet ermöglicht, gibt:

„Das Gebet ist die Verbindung mit Gott. Seine Wirkung hängt von der Befreiung des Herzens von falscher Einstellung und weltlichen Gedanken ab. Der Betende muß mit befreitem Geiste, unbedingter Ergebenheit des Willens, konzentrierter Aufmerksamkeit und inbrünstiger Leidenschaft beten. Sein innerstes Wesen muß von dem himmlischen Odem der Heiligkeit erfüllt sein. Wenn der Spiegel seines Wesens von dem Staube aller Wünsche gereinigt ist, wird die Sternenpracht [Seite 10] des Himmels und die ganze Herrlichkeit des Reiches Gottes daraus vollkommen widergestrahlt. Dann wird ihm die Kraft gegeben, diese himmlischen Schönheiten in seinem eigenen täglichen Leben zum Ausdruck zu bringen und auf das Leben vieler Tausende zu übertragen.“

'Abdu'l-Bahá sagt uns folgendes, um uns die Wichtigkeit der Konzentration beim Gebet zu beweisen:

„Das Gebet ist die Zwiesprache mit Gott. Während der Mensch betet, fühlt er sich in der Nähe Gottes. Wenn er seine Aufmerksamkeit konzentriert, wird er im Gebet wirklich inne werden, daß er mit Gott redet.“

In den „Verborgenen Worten“ sagt Bahá’u’lláh:

„O Sohn des Menschen! Vergiß alles andere außer Mir und verbinde dich mit Meinem Geiste. Dies ist das Wesentlichste Meines Gebotes. Richte dich danach.“

In diesem Zusammenhange gibt ‘Abdu’l-Bahá uns auf eine Frage, die viele in Verwirrung bringt, eine einleuchtende Antwort: „Warum soll man durch Christus beten, wie die Christen es tun, oder durch eine andere Manifestation Gottes, und warum sollen wir nicht unmittelbar zu Gott beten?“

„Wenn wir beten wollen, müssen wir eine Vorstellung haben, auf die wir uns konzentrieren. Wenn wir uns Gott zuwenden, müssen wir unsere Herzen auf einen bestimmten Mittelpunkt richten. Wenn ein Mensch Gott anders als durch Seine Manifestation anbetet, muß er sich zuerst eine Vorstellung von Gott bilden, und jene Vorstellung ist durch seinen eigenen Geist geschaffen. Da das Endliche das Unendliche nicht begreifen kann, so ist Gott in dieser Gestalt nicht zu begreifen. Was der Mensch mit seinem eigenen Geist wahrnimmt, begreift er. Gott kann er nicht begreifen. Die Vorstellung, die ein Mensch von Gott hat, ist nur eine Einbildung, ein Begriff, eine Vorstellung, eine Täuschung. Es besteht kein Zusammenhang zwischen solch einer Vorstellung und dem Höchsten Wesen.“

Es gibt auch unwichtige und äußere Hilfsmittel beim Gebet, die zuweilen unseren Bedürfnissen entsprechen. Hin und wieder verhilft uns der Gebrauch der Sprache dazu, Konzentration zu erlangen.

„Warum sollte es nötig sein, Gebete laut herzusagen und mit dem Munde zu sprechen?“ fragt 'Abdu'l-Bahá:

„Ein Grund hierfür ist, daß, wenn das Herz allein spricht, der Geist leichter abgelenkt werden kann. Aber das Sprechen der Worte, wobei Mund und Herz gemeinsam handeln, befähigen den Geist, sich zu konzentrieren. Alsdann ist der ganze Mensch vom Gebetsgeist durchdrungen und sein Gebet ist vollkommener.“

Es sei hier gesagt, daß zwischen Gebet und Meditation, obgleich beide nahe miteinander verwandt sind, ein Unterschied besteht. Das Gebet kann laut oder im Stillen verrichtet werden. Die innere Betrachtung, sagt ‘Abdu’l-Bahá, muß notwendigerweise still sein.

Bahá’u’lláh sagt, daß in jeder Daseinsform ein Zeichen Gottes ist:

„Das Zeichen des Verstandes ist die innere Betrachtung, und das Zeichen der inneren Betrachtung ist Schweigen, denn es ist dem Menschen unmöglich, beides zugleich zu tun. Er kann nicht zugleich sprechen und tief nachdenken. ... Die Fähigkeit der Meditation befreit den Menschen von der tierischen Natur, läßt die Wirklichkeit der Dinge zum Vorschein kommen und bringt den Menschen mit Gott in Verbindung. Sie bringt Wissenschaften und Künste aus dem Unsichtbaren in die Erscheinung. Durch tiefes Versenken werden Erfindungen möglich und umfangreiche Unternehmungen gemacht. Durch tiefes Versenken kommen Eingebungen zu uns. Durch Meditation tritt der Mensch in das wahre Reich Gottes ein. Dennoch sind manche Gedanken für den Menschen unnütz. Sie sind wie Wogen, die sich auf dem Meere ohne Zweck bewegen. Aber wenn die Fähigkeit der Meditation im Licht der Erleuchtung erfolgt und sich durch göttliche Eigenschaften kennzeichnet, so wird das Resultat bestätigt sein.“

Da die andächtige Gebetsstimmung geistig ist, so hilft uns eine ehrerbietige Haltung zweifellos sehr dabei, den andächtigen Geist zu erlangen. 'Abdu'l-Bahá sagte einmal:

„In der Dunkelheit der Nacht stehe ich auf und bete.“

Er selbst hielt oft, wenn Er in der Öffentlichkeit betete, Seine Handflächen emporgereckt. [Seite 11] Dann sang Er mit erhobenem Haupte und erhobenen Händen ein Gebet und einen Segen, wie um dadurch das Einströmen des Heiligen Geistes zu erlangen. So wird ‘Abdu’l-Bahá von jemandem beschrieben, der mit Ihm in Paris war. In einigen von Bahá’u’lláh geoffenbarten Gebeten schreibt Er verschiedene Stellungen vor, die wir einnehmen sollen: die stehende, knieende und sitzende. Jemand hat wunderschön gesagt, daß wir, wenn wir das längere tägliche Gebet mit seinen verschiedenen Stellungen gesprochen haben, empfinden, daß wir ganz Gebet waren, daß Körper und Seele zugleich geläutert wurden zum Dienst Gottes.

Wir sollen zuweilen auch mit anderen in Gemeinschaft beten, wenn wir unseren Gebeten Wirksamkeit verleihen wollen,

„denn, wo viele zusammen wirken, ist die Kraft größer. Einzelne Soldaten, die allein und für sich kämpfen, haben nicht die Kraft einer vereinigten Armee. Wenn alle Streiter sich in diesem geistigen Kampf vereinigen, dann helfen ihre vereinigten geistigen Empfindungen einander und ihre Gebete werden wirkungsvoller."

Wann sollen wir beten? Obgleich 'Abdu'l-Bahá sagt:

„Der Mensch muß stets in einem Gebetszustande leben“,

so wissen wir doch, daß Er besondere Zeiten zum Gebet wählte, und Seine Anweisungen zeigen uns auch, daß ganz bestimmte Zeiten dazu dienlich sind.

„Das demütige Gebet am Morgen und Abend dient den Herzen zur Freude. Versäume nicht in der dunklen Mitternacht am Morgen und am Abend zu beten und zu flehen und deinen Herrn, den Höchsten, zu rühmen! Beim Morgendämmern solltet ihr beten, mit größtem Eifer und größter Kraft nach dem Geliebten verlangen, die Nachlässigkeit mit dem Feuer der Liebe und des Lobes löschen und euch über alles mit der Schnelligkeit des Blitzes hinwegsetzen, um bei Gott zu sein.“ (Bahá’u’lláh.)

Wofür sollen wir beten? Sollen wir für unsere Gesundheit, für unsere täglichen Bedürfnisse, für unser materielles Wohlergehen beten? Sicherlich, denn jeder Wunsch ist eine Bitte „ob wir ihn erwähnen oder nicht“. Wenn wir aber für materiellen Segen beten, sollten wir dies im Gedanken der unbedingten Hingabe an den Willen Gottes tun, Der tut, was Er will, und mit Christus sprechen: „Nicht mein Wille, sondern Dein Wille geschehe.“ Eine der größten Wohltaten ist heute für uns, daß Bahá’u’lláh und ‘Abdu’l-Bahá Gebete geoffenbart haben, durch welche wir näher zu Gott gelangen und mit Ihm in Verbindung sein können. Wenn wir diese beachten, werden wir sehen, daß, wenn auch Gebete für alle materiellen Bedürfnisse und Wohltaten geoffenbart worden sind, diese von den Gebeten um geistige Gaben, um Liebe, Führung, Standhaftigkeit, Ergebenheit, Glauben, geistige Erkenntnis an Zahl weit übertroffen werden. Wir können darüber nicht im Zweifel sein, welches der unvergängliche, bedeutungsvolle Segen ist. ‘Abdu’l-Bahá sagt uns, daß körperliche Beschwerden und Entsagungen, sogar eine schwache Gesundheit, in der Tat wahre geistige Wohltaten sein können.

„Stärke uns, bereichere uns und erhebe uns über alle irdischen Zustände.“

Alle diese geoffenbarten Worte des Gebets sind lebensbejahend und aufbauend, ja, schöpferisch und erheben uns tatsächlich in die Gegenwart Gottes, wenn wir nur wollen. „Die Gebete Bahá’u’lláhs und 'Abdu'l-Bahás verhelfen uns dazu, das Herz in die Gebetsstimmung zu versetzen“, sagt der Bahá'i-Lehrer Jinab-i-Fadil. Und ein anderer hat gesagt: „Die großen Manifestationen Gottes offenbaren Gebete, die mit göttlicher Liebe erfüllt sind, die das Herz berührt und uns in die Nähe des Ewigen führt.“ Da solche Gnadenmittel uns in die Hand gegeben sind, wollen wir diese sehr wichtige Angelegenheit nicht nachlässig behandeln, sondern demütig bitten: „Herr, lehre uns beten!"


Die dynamische Kraft des Gebetes[Bearbeiten]

Von Ruth J. Moffeit. Star of the West, Mai 1930

Übersetzt von der Geistigen Arbeitsgemeinschaft Stuttgart


Die Archäologen haben entdeckt, daß vor Beginn der überlieferten Geschichte selbst der älteste Urmensch ein höheres Wesen verehrt und an die Unsterblichkeit geglaubt hat. Der Neandertalmensch, der jetzt in einer neu eingerichteten Abteilung im [Seite 12] Field-Museum in Chicago gezeigt wird, lebte 50.000 v. Chr. Bei der Entdeckung jener Skelette fand man Spuren von primitiver Verehrung und vom Unsterblichkeitsglauben. Henry Field, der Direktor des Field-Museums, sagt, daß eine viel frühere Entdeckung aufwies, daß eine große Hochflut ungefähr um 4000 v. Chr. und weit früher, 12.000 v. Chr., war. Die Hochflut zur Zeit Noahs, die in der Bibel erwähnt ist, war wahrscheinlich erst um 3000 v. Chr. Bei einer neuerlichen Entdeckung wurde die interessante Eintragung gefunden: „Im Lande Kisch (dies war die erste Hauptstadt nach der ersten Hochflut) sind Spuren alter Rassen, die 30 000 Jahre vor der Zeit dieser Eintragung gelebt haben, vorhanden.“

Aus verschiedenen ausgegrabenen Kunstwerken und Geräten, aus rohen Fresken an den Höhlenwänden, bei Skeletten, die an verschiedenen Stellen gefunden wurden, ist deutlich wahrnehmbar, daß tiefinnerst im menschlichen Wesen die Sehnsucht ihn treibt, hinter dem, was er begreift und was ihm bewußt wird, einen Schöpfer zu sehen, die Sehnsucht, diesen Schöpfer in Zeiten der Not um Hilfe und um Führung in Zeiten der Gefahr anzuflehen. Unsere Vorfahren verehrten diesen Schöpfer im Sturm, im Licht, in der Hungersnot, in der Sonne, im Mond, im Komet, in der Sonnen- oder Mondfinsternis, in allem, was Furcht und Staunen erregte. Allmählich im Verlauf der Zeiten hat sich die Vorstellung dieses erhabenen Wesens im Menschen entwickelt entsprechend seinem zunehmenden Bewußtwerden. Obgleich die Art der Anbetung sich in jeder erdenklichen Form geändert hat, so ist doch der Grundton, der durch alle diese wundervollen Symphonien klingt, durch alle Melodien, Akkorde und Harmonien in geheimnisvoll erhebender Weise weht — das Gebet.

Was ist das Gebet? Es gibt dafür viele wundervolle Deutungen durch die Propheten Gottes. „Das Gebet ist liebender Dienst.“ „Gebet ist das Selbstgespräch der schauenden Seele.“ Aber was ich besonders liebe, ist: „Das Gebet ist die Verwirklichung der Gegenwart Gottes.”

Eine sorgfältige Analyse laßt erkennen, daß es neue Wege gibt, auf denen der Mensch sein Herz Gott zuwenden kann oder die Gegenwart Gottes sich zu verwirklichen sucht. Der uns vertrauteste ist:

Das demütige Gebet. Dies ist eine demütige, ernste Bitte in dem Gefühl der Abhängigkeit von dem, was größer ist als wir selbst. Gedenken wir der Worte des Paulus: „Gott ist eine ewig gegenwärtige Quelle der Hilfe in Zeiten der Not.“ Wir alle haben schon viele Male aus diesem Grund gebetet. Und dann:

Zerknirschung. Diese ist ein Unbehagen des Geistes, das aus Unrechttun hervorgeht. Sie ist ein Gewissensbiß oder eine Art nagende Reue. Dieses Gefühl der Unwürdigkeit finden wir auch in vielen Psalmen: „Nähre mich, o mein Gott, mit dem Brot der Tränen und gib mir unzählige Tränen zu trinken.“ Psalm 140, 5 (Engl. Bibel.). Zerknirschung treibt uns zu beten, ebenso wie die

Sehnsucht. Diese ist ein meist unausgesprochenes Verlangen nach dem, was über unserer derzeitigen Stufe ist, eine Art ungewisses Verlangen nach etwas Reinem, Edlem und Geistigem. Alger sagt: „Nicht die Sehnsucht, sondern der Ehrgeiz ist die Mutter des Elends des Menschen.“ Wir alle tragen dieses unbestimmte Verlangen und diese Sehnsucht in uns, welche uns beten läßt. Das nächste ist die

Fürsprache. Diese ist die Fürbitte für andere. Wir erinnern uns an die bekannten Worte des Geoffenbarten Gottes: ‚Der Dienst für andere wird durch das Gebet vollkommen.“ (‘Abdu’l-Bahá). „Laßt euer Licht leuchten vor den Menschen, damit sie eure guten Werke sehen und euren Vater im Himmel preisen.“ „Was ihr einem der Geringsten unter ihnen getan habt, das habt ihr Mir getan.“ (Christus.) „Versage Meinem Diener nicht, was er von dir wünscht, denn sein Angesicht ist Mein Angesicht und du sollst Mich verehren.“ (Bahá’u’lláh.)

Dankbarkeit. Dankbarkeit ist auch, wie wir wissen, der Anlaß, unser Herz emporzurichten. Sie ist das Gefühl des Dankes für empfangene Gunst- und Gnadenbeweise. Dankbarkeit macht das Herz überfließen und findet ihren Ausdruck im Gebet, wie z.B. in den Worten Davids: „Danket dem [Seite 13] Herrn, denn Er ist freundlich und Seine Güte währet ewiglich.“ Ebenso in den Worten Bahá’u’lláhs: „Gelobt seist Du, o Gott der Namen und Schöpfer des Himmels, Preis sei Dir, denn Du hast Deinen Dienern Deinen Tag kundgetan, an dem der Quell des Lebens aus den Händen Deiner Großmut strömt und der Brunnquell der Offenbarung der Einheit durch Deinen Geoffenbarten kundgetan wurde, für alle, die im Himmel und auf Erden sind. Preis sei Dir, o Du Ersehnter der ganzen Menschheit. Preis sei Dir, o Du Geliebter der sehnsuchtsvollen Herzen.“

Meditation. Meditation und Gebet sind nicht absolut das gleiche. Es ist uns gesagt, daß Meditation das stetige Nachdenken über die Dinge außerhalb der sichtbaren Welt ist. Meditation und Betrachtung sind notwendig, wenn man sich in der Verwirklichung der Gegenwart Gottes übt. Meditation beginnt mit fortgesetzten Erwägungen, wie wir wissen, die zu einem Zustand ruhiger Nachdenklichkeit und ergebenen Nachsinnens über das Wesen der Gedanken, Ideen und Prinzipien über Gott führen. Sie scheint ein hoher intellektueller Prozeß zu sein, während Betrachtung als der Anfang zu dauernder Achtsamkeit beschrieben werden kann, die zu einem Stadium des Erkennens und Schauens Gottes führt, das sich in geistigem Wahrnehmungsvermögen auswirkt. Dies scheint eine Verbindung des höchsten intellektuellen und psychischen Prozesses zu sein. Matra Williams sagt in seinem Buch „Hinduismus“: Ein wahrer Buddhist betet nicht, er meditiert nur über die Vollkommenheit Buddhas und hofft auf das Eingehen ins Nirvana.“

Opfer kann beschrieben werden als die Darbietung eines Opfers in der Anbetung. Da der Menschen Gedanken über Gott sich geändert haben, hat die Form des Opfers sich verwandelt vom Brandopfer aller Arten von Tieren und menschlichen Körpern zu der Opferung von Früchten und Getreide beim Gebet. Späterhin wurden wohlriechende Essenzen verwendet, bis die vorangeschrittenen Seelen lernten, die Selbsterkenntnis der Gotteserkenntnis zu opfern und das eigene Ich in heiliger Aufopferung und fröhlicher Hingabe aufzugeben, wie Bahá’u’lláh sagt: „Näher zu Dir, o Mein göttlicher Mittelpunkt durch die geheiligten Quellen. Meine Existenz, und alle Meine Kraft und Meine Sinne sollen von Deiner lebendigen Kraft angezogen sein!“

Anbetung. Die Anbetung hat eine ganz verschiedene Herzensursache. Sie ist die Art, Gott die Ehre zu bezeugen, dem göttlichen Wesen Ehrfurcht und Ehrerbietung darzubringen. Sie ist ein freudiger spontaner Ausfluß tiefer Gefühle der Liebe, der Bewunderung, der Ehrfurcht und Ergebenheit. Wir, die Diener Gottes, haben viel zu lernen, wie unsere Herzen sich in Anbetung zu Gott wenden können und die wahre Bedeutung der Worte Bahá’u’lláhs zu verstehen, die wir im täglichen Gebet finden: „O Gott, Du hast uns erschaffen, Dich zu erkennen und Dich anzubeten.“

Gemeinschaft mit Gott ist die Verbindung verschiedener oben genannter Veranlassungen zum Gebet. Sie ist die Wechselwirkung oder wechselseitige Verbindung des Geistes, oder die Zwiesprache des Geistes mit Gott. Sie ist die Sehnsucht der Seele nach Weisheit, Führung, Licht und Erleuchtung und nicht danach, Antwort auf diese oder jene nebensächliche Frage zu erhalten, sondern nur, Erleuchtung, Christusgeist oder Logos zu erlangen. „Wie der Hirsch nach Wasser schreit, so verlangt meine Seele, Gott, nach Dir.“ Ps. 42, 1 (Engl. Bibel.). „Meine Liebe ruht in Dir, suche, und du wirst Mich nahe finden. Ich habe in dich Meinen Geist gelegt, damit du mich anbetest. Liebe Mich, damit Ich dich lieben kann. Wenn du Mich nicht liebst, kann Meine Liebe dich niemals erreichen.“ (Bahá’u’lláh) Wir können eine wertvolle Lektion von einem kleinen Mädchen lernen, das, als man es frug, warum es so lange bete, antwortete: „Siehst du, ih mag so gerne solange warten, um zu hören, was Gott zu mir sagt!“

Diese neun Antriebe zum Gebet sind alle notwendig, um die Gegenwart Gottes zu verwirklichen. Gewisse religiöse Gemeinschaften betonen und betätigen eine oder zwei derselben mit Ausschluß aller andern. Jeder Antrieb ist wichtig, und alle sind wesentlich, obgleich nicht alle zur gleichen Zeit betätigt werden brauchen. Ein jeder ist ohne [Seite 14] alle die andern unvollkommen. Der Ausdruck eines jeden deutet den Fortschritt der Seele auf dem Weg zu Gott an.

Das Gebet kann auf viererlei Art ausgedrückt werden. Das Gedankengebet mit mehr oder weniger bestimmten Gedanken und Ideen. Das Gebet des Herzens, das eine unbestimmte, hohe, gefühlsmäßige Sehnsucht ist. Das Willensgebet, das in verschiedenen Formen der feierlichen Versprechung zum Ausdruck kommt, und schließlich das gesprochene Gebet mit dem ausgesprochenen Gedanken, den ausgesprochenen Ideen und Erwartungen des Betenden. Diese sind am besten in den Worten der großen Gottesgesandten zum Ausdruck gebracht. Es liegt eine große Macht in dem gesprochenen Wort und es liegt eine große Weisheit darin, die Worte, die von den großen Weltlehrern offenbart wurden, zu beten, die alle Gebete offenbarten zur Erhebung der Seelen der Menschen. Die Bahá’i-Offenbarung enthält das unerschöpflichste und reichste Material für das Gebetsleben.

Als ich in Haifa war, wies mir der geliebte Beschützer der Sache Bahá’ulláhs, Shoghi Effendi, die zusammengefaßte, vollkommenste und wirkungsvollste Art, die ich je gekannt habe, für die Wirkungskraft des Gebets. Nachdem ich von der Wichtigkeit des größeren Bedürfnisses der Gebete und der Meditation bei den Freunden gesprochen hatte, sagte er, man möchte die nachstehenden fünf Stufen benützen, wenn man irgend eine Frage habe, für die man eine Lösung oder Hilfe erhoffe.

(Erste Stufe): Bete und meditiere darüber. Benütze die Gebete der Manifestation, da sie die größte Macht besitzen. Dann verweile für einige Augenblicke in der Stille der Betrachtung.

(Zweite Stufe): Suche Gewißheit zu erlangen und bleibe dabei. Diese Gewißheit ist meistens das Ergebnis der Betrachtung. Sie mag unerfüllbar erscheinen, wenn sie aber eine Gebetsbeantwortung zu sein scheint oder ein Weg, das Problem zu lösen, so gehe unverzüglich zur nächsten Stufe über.

(Dritte Stufe): Entschließe dich, diese Gewißheit zu betätigen. Viele versagen hier. Die Gewißheit, die nicht zur Entschlossenheit wird, erstickt im Keim und es bleibt beim Wunsch oder bloßen Verlangen. Wenn der Entschluß gefaßt ist, mache sofort den nächsten Schritt.

(Vierte Stufe): Glaube und vertraue, daß die Macht in dich einströmen wird, der rechte Weg sich zeigen wird, die Tore sich öffnen werden, der richtige Gedanke, die richtige Botschaft, das richtige Prinzip oder das richtige Buch dir gegeben wird. Habe Vertrauen, und das Richtige wird dir zu Hilfe kommen. Wenn du dann gebetet hast, unternimm sofort den fünften Schritt.

(Fünfte Stufe): Dann sprach er zuletzt: Handle, handle, als ob alles dir beantwortet sei. Und indem du handelst, wirst du selbst zum Magnet, der immer mehr und mehr Kraft in sein Wesen anzieht, bis du ein Kanal wirst, durch den ungehindert die göttliche Macht strömt. Viele beten, kommen aber nicht bis zur zweiten Hälfte der ersten Stufe, manche, die beten, kommen zu einer Gewißheit, versagen aber schon hier. Wenige sind entschlossen, die Gewißheit zu betätigen, aber noch weniger haben das Vertrauen, daß das Richtige ihnen zu Hilfe kommt. Wie viele aber denken daran, zu handeln, als ob ihnen alles wirklich beantwortet wäre? Wie wahr sind jene Worte: „Größer als die Worte des Gebets ist der Geist, der aus ihnen spricht." Und größer als die Art des Gebetes ist der Geist, in dem es ausgeführt wird. Diese wenigen, einfachen Worte unseres weisen Beschützers strahlen viel Licht aus. Aus dieser Erleuchtung ist eine wirkungsvolle Art der Gebetsverrichtung hervorgegangen, aus der wieder eine lange Reihe von beantworteten Gebeten und gelösten Problemen entspringt. Aus dieser Methode der Gebetsverrichtung ist neues Leben in die religiösen Gebräuche der Gottesverehrung gekommen.

Viele haben gefragt, zu wem sollen wir beten? Alle Gottgesandten gaben dieselbe Antwort — zu Gott — durch den großen Brennpunkt, der zwischen der endlichen und unendlichen absoluten Stufe des Unerfaßbaren steht. So wird es von allen Boten Gottes gelehrt. Die Offenbarung ist der Weg zum Gebet.

[Seite 15] Ich möchte zum Schlusse noch einmal zusammenfassend sagen: Wer beten möchte, bete. Wer zögert, Gott zu bitten, steht auf dem Standpunkt des Stolzes oder ist noch für seine eigenen Bedürfnisse nicht erwacht, oder er hat den großen Wert des Gebets noch nicht erkannt. Er beraubt sich dessen selbst. Deshalb laßt es uns das Wichtigste sein — Gott zu kennen. Je mehr wir Ihn kennen, desto mehr möchten wir von Ihm wissen, desto größer wird unser Verlangen, Ihn zu erkennen. Und da das Wissen der Maßstab der Liebe ist, so ist, je größer und intensiver unser Wissen, desto größer auch unsere Liebe. „Die Wurzel aller Erkenntnis ist die Erkenntnis Gottes.“

Die Gegenwart Gottes ist hiemit verwirklicht, aber sie wird durch einen äußeren Anlaß hervorgerufen. Wenn diese beiden Ströme auf der fünften Stufe zusammenfließen, wie Shoghi Effendi sich ausdrückt, wird unser Leben zum Gebet und wir haben die dynamische Kraft des Gebets oder die Verwirklichung der Gegenwart Gottes erlebt.


Über das Beten[Bearbeiten]

Der Sinn des Gebets ging in unserer westlichen Welt langsam verloren. Es ist bald kaum noch ein Raum mehr dafür übrig in unserer hohen abendländischen Kultur, und in den meisten Kreisen, zu den meisten Zeiten und unter den verschiedensten Umständen wird man erröten wie vor etwas Peinlichem, wenn schon einmal versucht wird, über das Beten zu sprechen. Finden wir aber endlich den Mut, mit ein bißchen Ehrlichkeit zu Gott zu kommen, dann werden wir fühlen, wie erschreckend leer unsere Augen wurden, weil sie es verlernten, das Licht von oben zu suchen und wie unsere Hände noch leerer und trostloser geworden sind, weil sie es nicht mehr fertig bringen, sich zu der einfachen, kindlichen Bitte zusammenzuschließen.

Zu verschiedenen Zeiten gingen die Großen über die Erde, ich meine diejenigen, die Gott am nächsten standen und uns Seine Botschaft übermittelten. Sie selber machten sich zu den geringsten unter Seinen Geschöpfen. Ihre Lehre, die sie von Ihm uns überbrachten, aber wirkte mit einer Kraft, die stärker ist als alles, was von Menschen kommt, und die mit unveränderlicher Macht Erdengeschehen und Menschengeschicke überdauert.

Als Christus im Garten von Gethsemane Sein Haupt neigte und die Worte über Seine Lippen gingen: „Nicht wie ich will, Vater, sondern wie Du willst! Dein Wille geschehe!“ da baute Er die Brücke, über die das Göttliche zum Menschen herabsteigt, über die Gott unser kleines Menschendasein zu Seiner Nähe emporhebt, und mit sterbenden Lippen hat Er sie am Kreuz für uns vollendet: „Vater, in Deine Hände befehle ich meinen Geist!“

Leise spielte der Wind über den Höhen des Ölbergs, ein Murmeln glitt entlang an den Ufern des Jordans, strich über die Wellen des Sees von Genezareth, und die Brücke wuchs über die Stätten des Heiligen Landes, bis an die Enden der Welt...

Die Sterne des Báb und Bahá’u’lláhs erstrahlen seit langem über dem Orient und dem Okzident, und ‘Abdu’l-Bahá hat Sein heiliges Leben am Fuße des Karmel gelebt. Ihre Taten aber waren ein Anhalten am Gebet, Ihr Leben bildete ein beständiges Schreiten über jenen Weg, der die Brücke bildet zwischen Himmel und Erde.

Allen Dingen der göttlichen Schöpfung — und wäre es das geringste unter ihnen — liegt ein verborgener Sinn zu Grunde. Wenn wir diesen verborgenen Sinn nicht erfassen, so liegt das an unserm noch unentwickelten menschlichen Erkennungsvermögen. Jedem der Worte und jeder der Lehren der göttlichen Botschafter, die sie uns von Gott übermitteln, liegt ebenfalls ein verborgener Sinn zu Grunde, und an unserm Fassungsvermögen liegt der Mangel, wenn wir diesen verborgenen Sinn noch nicht erkannt haben. Die göttlichen Manifestationen aller Zeiten haben sich des Gebets als des stärksten Mittels bedient, um mit Gott in unmittelbare Berührung zu gelangen, denn sie erkannten seine geheime, weltenüberwindende Kraft.

Sollen wir noch einmal unser Antlitz in Beschämung neigen, weil wir dastehen mit leeren, trostlosen Händen?

Mit feinen, balsamischen Düften streichelt der Wind über die Gärten am Karmel. Die Weissagungen der Propheten haben sich an den Heiligen Stätten erfüllt und am Ende der Tage ersteht mit erneuter Kraft die Brücke zwischen Gott und dem Menschen.

E. M. Großmann, Hamburg. [Seite 16]


Sehnsucht.[Bearbeiten]

Von Prof. Dr. W. Werckmeister.

Ich sah mich in der Geschichte um. Ich fand: Alle Völker haben von jeher die Sehnsucht gehabt, ihr bewußtes endliches Sein an das ewige unbewußte Leben anzuschließen, das wir als Gott bezeichnen. Diese Sehnsucht hat so schlicht und schön unter zahlreichen anderen der alte epische Dichter Homer in Worte zu kleiden gewußt. Diese Sehnsucht ist auch im Menschengeschlecht die Ursache für die mannigfachsten religiösen Erscheinungen unter den Menschen auf diesem Planeten geworden.

Ich sah aber auch in der Geschichte ebenso wie in der Gegenwart, daß viele meiner Mitmenschen durch die Mannigfaltigkeit der religiösen Erscheinungsformen verwirrt worden sind. Sie meinen, gerade diese Mannigfaltigkeit sei ein Beweis, daß die religiösen Erscheinungsformen auf Täuschungen beruhen.

Aber warum soll die Mannigfaltigkeit der Formen ein Beweis für Täuschung sein, Täuschung, daß in diesen endlichen Bewußtseinsformen nichts anderes als Vergängliches zu suchen sei? Gewiß, wir sehen im Laufe der Geschichte der religiösen Formen überall eine Entwicklung vorwalten, von niederen zu höheren und höchsten Formen. Als die höchsten religiösen Formen werden wir die der großen Erlöserreligionen ansehen: Den Buddhismus, den Mosaismus und das aus dem Mosaismus hervorgegangene Christentum. Denn alle drei Religionsformen stellen die große Frage in den Mittelpunkt: Wie kann ich von den Leiden dieses Daseins befreit werden?

Oder siehst du etwa deine Leiden auch als eine „Täuschung“ an? Täuschung gibt es für uns Menschen nur in unserem bewußten Dasein, in unseren Bewußtseinsinhalten. Das alles ist vergänglich mit unserer gesamten Bewußtseinsorganisation. Aber diese unsere Bewußtseinsorganisation ist ja nur ein Instrument, auf dem unser ewiges Leben spielt. Jenes geheimnisvolle, unbewußte Ewige in uns, um uns und über uns! Das kann nur gelebt werden. Das geheimnisvolle Ewige kann niemals bewußtseinsmäßig vorgestellt und erfaßt werden. Freund, wenn du dies Ewige, dies Göttliche, dies Heilige nicht erlebst, wenn du nicht in ihm und mit ihm lebst — auf die Formen kommt es dabei im Grunde gar nicht an — dann kennst du wahres, wirkliches Leben überhaupt noch nicht.

Unglücklich der Mensch, solange er noch seine Ruhe und seinen Frieden in den vergänglichen Bewußtseinsformen sucht und zu finden wähnt! Unser Leben ist ja viel tausendmal mehr als unser bißchen enges bewußtes Verstandesdasein! Ein Mensch, der noch mit dem Verstande spekuliert, um damit wahres Glück und Frieden zu erlangen, ist wie ein Tier auf dürrer Heide!

Ich will mich diesem ewigen Leben ergeben, mit meiner Sehnsucht, die in mir schreit und geschrien hat von jeher. Jene Sehnsucht, die erst still geworden ist, indem ich mein Leben in Deine Arme warf, Du Ewiges, Du Geheimnisvolles, Du Unbewußtes, das nur erlebt, aber niemals mit den vergänglichen Vorstellungen und Gefühlen meines Bewußtseins gegenständlich erfaßt werden kann, die der Kulturkreis, in dem ich geboren, mir übermittelt hat. Diese Formen, diese Kleider mögen wechseln! Jene Sehnsucht wird bleiben.



Berichtigung.[Bearbeiten]

In Heft II, Seite 12, „Himmel und Hölle“, Abschnitt 2, muß es heißen:

„Das Paradies ist da, wo ich lebe, inmitten Krankheit und Greuel, die Hölle ist da wo du lebst.“


In der Sonne der Wahrheit finden nur solche Manuskripte Veröffentlichung, bezüglich deren Weiterverbreitung keine Vorbehalte gemacht werden. — Anfragen, schriftliche Beiträge und alle die Schriftleitung betreffenden Zuschriften beliebe man an die Schriftleitung: Stuttgart, Alexanderstr. 3 zu senden. — Bestellungen von Abonnements, Büchern und Broschüren sowie Geldsendungen sind an den Verlag des deutschen Bahá’i-Bundes G.m.b.H., Stuttgart, Alexanderstr. 3, Nebengebäude, zu richten.


[Seite 17]

Geschichte und Bedeutung der Bahá’i-Lehre[Bearbeiten]

Die Bahá’i-Bewegung tritt vor allem ein für die „Universale Religion" und den „Universalen Frieden“ — die Hoffnung aller Zeitalter. Sie zeigt den Weg und die Mittel, die zur Einigung der Menschheit unter dem hohen Banner der Liebe, Wahrheit, Gerechtigkeit und Barmherzigkeit führen. Sie ist göttlich ihrem Ursprung nach, menschlich in ihrer Darstellung, praktisch für jede Lebenslage. In Glaubenssachen gilt bei ihr nichts als die Wahrheit, in den Handlungen nichts als das Gute, in ihren Beziehungen zu den Menschen nichts als liebevoller Dienst.

Zur Aufklärung für diejenigen, die noch wenig oder nichts von der Bahá’i-Bewegung wissen, führen wir hier Folgendes an: „Die Bahá’i-Religion ging aus dem Babismus hervor. Sie ist die Religion der Nachfolger Bahá’u’lláhs. Mirza Hussein Ali Nuri (welches sein eigentlicher Name war) wurde im Jahre 1817 in Teheran (Persien) geboren. Vom Jahr 1844 an war er einer der angesehensten Anhänger des Bab und widmete sich der Verbreitung seiner Lehren in Persien. Nach dem Märtyrertod des Bab wurde er mit den Hauptanhängern desselben von der türkischen Regierung nach Bagdad und später nach Konstantinopel und Adrianopel verbannt. In Bagdad verkündete er seine göttliche Sendung (als „Der, den Gott offenbaren werde") und erklärte, daß er der sei, den der Bab in seinen Schriften als die „Große Manifestation", die in den letzten Tagen kommen werde, angekündigt und verheißen hatte. In seinen Briefen an die Regenten der bedeutendsten Staaten Europas forderte er diese auf, sie möchten ihm bei der Hochhaltung der Religion und bei der Einführung des universalen Friedens beistehen. Nach dem öffentlichen Hervortreten Bahá’u’lláhs wurden seine Anhänger, die ihn als den Verheißenen anerkannten, Bahá’i (Kinder des Lichts) genannt. Im Jahr 1868 wurde Bahá’u’lláh vom Sultan der Türkei nach Akka in Syrien verbannt, wo er den größten Teil seiner lehrreichen Werke verfaßte und wo er am 28. Mai 1892 starb. Zuvor übertrug er seinem Sohn Abbas Effendi ('Abdu'l-Bahá) die Verbreitung seiner Lehre und bestimmte ihn zum Mittelpunkt und Lehrer für alle Bahá’i der Welt.

Es gibt nicht nur in den mohammedanischen Ländern Bahá’i, sondern auch in allen Ländern Europas, sowie in Amerika, Japan, Indien, China usw. Dies kommt daher, daß Bahá’u’lláh den Babismus, der mehr nationale Bedeutung hatte, in eine universale Religion umwandelte, die als die Erfüllung und Vollendung aller bisherigen Religionen gelten kann. Die Juden erwarten den Messias, die Christen das Wiederkommen Christi, die Mohammedaner den Mahdi, die Buddhisten den fünften Buddha, die Zoroastrier den Schah Bahram, die Hindus die Wiederverkörperung Krischnas und die Atheisten — eine bessere soziale Organisation.

In Bahá’u’lláh sind alle diese Erwartungen erfüllt. Seine Lehre beseitigt alle Eifersucht und Feindseligkeit, die zwischen den verschiedenen Religionen besteht; sie befreit die Religionen von ihren Verfälschungen, die im Lauf der Zeit durch Einführung von Dogmen und Riten entstanden und bringt sie alle durch Wiederherstellung ihrer ursprünglichen Reinheit in Einklang. Das einzige Dogma der Lehre ist der Glaube an den einigen Gott und an seine Manifestationen (Zoroaster, Buddha, Mose, Jesus, Mohammed, Bahá’u’lláh).

Die Hauptschriften Bahá’u’lláhs sind der Kitab el Iqhan (Buch der Gewißheit), der Kitab el Akdas (Buch der Gesetze), der Kitab el Ahd (Buch des Bundes) und zahlreiche Sendschreiben, genannt „Tablets“, die er an die wichtigsten Herrscher oder an Privatpersonen richtete. Rituale haben keinen Platz in dieser Religion; letztere muß vielmehr in allen Handlungen des Lebens zum Ausdruck kommen und in wahrer Gottes- und Nächstenliebe gipfeln. Jedermann muß einen Beruf haben und ihn ausüben. Gute Erziehung der Kinder ist zur Pflicht gemacht und geregelt.

Streitfragen, welche nicht anders beigelegt werden können, sind der Entscheidung des Zivilgesetzes jeden Landes und dem Bait’ul’Adl oder „Haus der Gerechtigkeit“, das durch Bahá’u’lláh eingesetzt wurde, unterworfen. Achtung gegenüber jeder Regierungs- und Staatseinrichtung ist als einem Teil der Achtung, die wir Gott schulden, gefordert. Um die Kriege aus der Welt zu schaffen, ist ein internationaler Schiedsgerichtshof zu errichten. Auch soll neben der Muttersprache eine universale Einheits-Sprache eingeführt werden. „Ihr seid alle die Blätter eines Baumes und die Tropfen eines Meeres“ sagt Bahá’u’lláh.

Es ist also weniger die Einführung einer neuen Religion, als die Erneuerung und Vereinigung aller Religionen, was heute von 'Abdu'l-Bahá erstrebt wird. (Vgl. Nouveau, Larousse, illustré supplement, Seite 66.)


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In unserem Verlag sind erschienen:


Bücher:

Verborgene Worte von Bahá’u’lláh. Deutsch von A. Schwarz und W. Herrigel, 1924 1.--

Bahá’u’lláh, Frohe Botschaften, Worte des Paradieses, Tablet Tarasat, Tablet Taschalliat, Tablet Ischrakat. Deutsch von Wilhelm Herrigel, 1921, in Halbleinen gebunden . . . 2.50

in feinstem Ganzleinen gebunden . . . . . 3.--

'Abdu'l-Bahá Abbas, Ansprachen über die Bahá’i-Lehre. Deutsch von W. Herrigel, 1921, in Halbleinen gebunden . . . . . 3.00

in festem Ganzleinen gebunden . . . . . 3.50

Geschichte und Wahrheitsbeweise der Bahá’i-Religion, von Mirza Abul Fazl. Deutsch von W. Herrigel, 1919, in Halbleinen geb. . . . . 4.50

In Ganzleinen gebunden . . . . 5.--

'Abdu'l-Bahá Abbas’ Leben und Lehren, von Myron H. Phelps. Deutsch von Wilhelm Herrigel, 1922, in Ganzleinen gebunden . . . . 4.--

Die Bahá’i-Offenbarung, ein Lehrbuch von Thornton Chase, deutsch von W. Herrigel, 1925, kartoniert M. 4.--, in Halbleinen gebunden . . . . 4.60

Bahá’u’lláh und das neue Zeitalter, ein Lehrbuch von Dr. J. E. Esslemont, deutsch von W. Herrigel und H. Küstner. 1927. In Ganzleinen gebunden . . . . . 4.50

Beantwortete Fragen 'Abdu'l-Bahá Abbas', gesammelt und in englischer Sprache herausgegeben von L. Clifford Barney, deutsche Übersetzung von W. Herrigel, 1929 . . . . . 5.--


Broschüren:

Bahá’i-Perlen, Deutsch von Wilhelm Herrigel, 1922 . . . . -.20

Ehe Abraham war, war Ich, v. Thornton Chase. Deutsch v. W.Herrigel, 1911 . . . . -.20

Die Universale Weltreligion, Ein Blick in die Bahai-Lehre von A. T. Schwarz, 1919. . . . -.50

Die Offenbarung Bahá’u’lláhs, von J.D. Brittingham. Deutsch von Wilhelm Herrigel, 1910 . . . -.50

Einheitsreligion. Ihre Wirkung auf Staat, Erziehung, Sozialpolitik, Frauenrechte und die einzelne Persönlichkeit, von Dr. jur. H. Dreyfus, Deutsch von Wilhelm Herrigel. 2. Auflage 1920 . . . -.50

Die Bahá’i-Bewegung im allgemeinen und ihre großen Wirkungen in Indien, nach Berichten eines Amerikaners zusammengestellt und mit Vorwort versehen von Wilhelm Herrigel, Stuttgart 1922 . . . . -.50

Eine Botschaft an die Juden, von Abdul Baha Abbas. Deutsch v. W. Herrigel, 1912 . . . -.20


Das Hinscheiden 'Abdu'l-Bahás, ("The Passing of 'Abdu'l-Bahá") Deutsch von Alice T. Schwarz, 1922 . . . -.50

Das neue Zeitalter von Ch. M. Remey. Deutsch von Wilhelm Herrigel, 1923 . . . . —.50

Die soziale Frage und ihre Lösung im Sinne der Bahá’i-Lehre von Dr. Hermann Grossmann, Hamburg 1923 . . . . —.20

Religiöse Lichtblicke, Einige Erläuterungen zur Bahá’i-Botschaft, aus dem Französ. übersetzt von Albert Renftle, 2. erweiterte Auflage, 1928 . . . . --.30

Die Bahá’i-Bewegung, Geschichte, Lehren und Bedeutung. von Dr. Hermann Großmann-Wandsbek . . . . . --.20

Sonne der Wahrheit, Jahrgang 3 - 8 in Halbleinen gebunden je . . . . 9.--

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