SONNE DER WAHRHEIT | ||
ORGAN DER DEUTSCHEN BAHAI | ||
HEFT 3 | 10. JAHRGANG | MAI 1930 |
Abdu’l-Bahás Erläuterung der Bahá’i-Prinzipien[Bearbeiten]
1. Die ganze Menschheit muss als Einheit betrachtet werden.
Bahá’u’lláh wandte Sich an die gesamte Menschheit mit den Worten: „Ihr seid alle die Blätter eines Zweigs und die Früchte eines Baumes“. Das heißt: die Menschheit gleicht einem Baum und die Nationen oder Völker gleichen den verschiedenen Aesten und Zweigen; die einzelnen Menschen aber gleichen den Blüten und Früchten dieses Baumes. In dieser Weise stellte Bahá’u’lláh das Prinzip der Einheit der Menschheit dar. Bahá’u’lláh verkündigte die Einheit der ganzen Menschheit, er versenkte sie alle im Meer der göttlichen Gnade.
2. Alle Menschen sollen die Wahrheit selbständig erforschen.
In religiösen Fragen sollte niemand blindlings seinen Eltern und Voreltern folgen. Jeder muß mit eigenen Augen sehen, mit eigenen Ohren hören und die Wahrheit suchen, denn die Religionen sind häufig nichts anderes als Nachahmungen des von den Eltern und Voreltern übernommenen Glaubens.
3. Alle Religionen haben eine gemeinsame Grundlage.
Alle göttlichen Verordnungen beruhen auf ein und derselben Wirklichkeit. Diese Grundlage ist die Wahrheit und bildet eine Einheit, nicht eine Mehrheit. Daher beruhen alle Religionen auf einer einheitlichen Grundlage. Im Laufe der Zeit sind gewisse Formen und Zeremonien der Religion beigefügt worden. Dieses bigotte menschliche Beiwerk ist unwesentlich und nebensächlich und verursacht die Abweichungen und Streitigkeiten unter den Religionen. Wenn wir aber diese äußere Form beiseite legen und die Wirklichkeit suchen, so zeigt sich, daß es nur eine göttliche Religion gibt.
4. Die Religion muss die Ursache der Einigkeit und Eintracht unter den Menschen sein.
Die Religion ist für die Menschheit die größte göttliche Gabe, die Ursache des wahren Lebens und hohen sittlichen Wertes; sie führt den Menschen zum ewigen Leben. Die Religion sollte weder Haß und Feindschaft noch Tyrannei und Ungerechtigkeiten verursachen. Gegenüber einer Religion, die zu Mißhelligkeit und Zwietracht, zu Spaltungen und Streitigkeiten führt, wäre Religionslosigkeit vorzuziehen. Die religiösen Lehren sind für die Seele das, was die Arznei für den Kranken ist. Wenn aber ein Heilmittel die Krankheit verschlimmert, so ist es besser, es nicht anzuwenden.
5. Die Religion muss mit Wissenschaft und Vernunft übereinstimmen.
Die Religion muß mit der Wissenschaft übereinstimmen und der Vernunft entsprechen, so daß die Wissenschaft die Religion, die Religion die Wissenschaft stützt. Diese beiden müssen unauflöslich miteinander verbunden sein.
6. Mann und Frau haben gleiche Rechte.
Dies ist eine besondere Lehre Bahá’u’lláhs, denn die früheren Religionen stellen die Männer über die Frauen. Töchter und Söhne müssen gleichwertige Erziehung und Bildung genießen. Dies wird viel zum Fortschritt und zur Einigung der Menschheit beitragen.
7. Vorurteile jeglicher Art müssen abgelegt werden.
Alle Propheten Gottes kamen, um die Menschen zu einigen, nicht um sie zu trennen. Sie kamen, um das Gesetz der Liebe zu verwirklichen, nicht um Feindschaft unter sie zu bringen. Daher müssen alle Vorurteile rassischer, völkischer, politischer oder religiöser Art abgelegt werden. Wir müssen zur Ursache der Einigung der ganzen Menschheit werden.
8. Der Weltfriede muss verwirklicht werden.
Alle Menschen und Nationen sollen sich bemühen, Frieden unter sich zu schließen. Sie sollen darnach streben, daß der universale Friede zwischen allen Regierungen, Religionen, Rassen und zwischen den Bewohnern der ganzen Welt verwirklicht wird. Die Errichtung des Weltfriedens ist heutzutage die wichtigste Angelegenheit. Die Verwirklichung dieses Prinzips ist eine schreiende Notwendigkeit unserer Zeit.
9. Beide Geschlechter sollen die beste geistige und sittliche Bildung und Erziehung geniessen.
Alle Menschen müssen erzogen und belehrt werden. Eine Forderung der Religion ist, daß jedermann erzogen werde und daß er die Möglichkeit habe, Wissen und Kenntnisse zu erwerben. Die Erziehung jedes Kindes ist unerläßliche Pflicht. Für Elternlose und Unbemittelte hat die Gemeinde zu sorgen.
10. Die soziale Frage muss gelöst werden.
Keiner der früheren Religionsstifter hat die soziale Frage in so umfassender, vergeistigter Weise gelöst wie Bahá’u’lláh. Er hat Anordnungen getroffen, welche die Wohlfahrt und das Glück der ganzen Menschheit sichern. Wenn sich der Reiche eines schönen, sorglosen Lebens erfreut, so hat auch der Arme ein Anrecht auf ein trautes Heim und ein sorgenfreies Dasein. Solange die bisherigen Verhältnisse dauern, wird kein wahrhaft glücklicher Zustand für den Menschen erreicht werden. Vor Gott sind alle Menschen gleich berechtigt, vor Ihm gibt es kein Ansehen der Person; alle stehen im Schutze seiner Gerechtigkeit.
11. Es muss eine Einheitssprache und Einheitsschrift eingeführt werden.
Bahá’u’lláh befahl die Einführung einer Welteinheitssprache. Es muß aus allen Ländern ein Ausschuß zusammentreten, der zur Erleichterung des internationalen Verkehrs entweder eine schon bestehende Sprache zur Weltsprache erklären oder eine neue Sprache als Weltsprache schaffen soll; diese Sprache muß in allen Schulen und Hochschulen der Welt gelehrt werden, damit dann niemand mehr nötig hat, außer dieser Sprache und seiner Muttersprache eine weitere zu erlernen.
12. Es muss ein Weltschiedsgerichtshof eingesetzt werden.
Nach dem Gebot Gottes soll durch das ernstliche Bestreben aller Menschen ein Weltschiedsgerichtshof geschaffen werden, der die Streitigkeiten aller Nationen schlichten soll und dessen Entscheidung sich jedermann unterzuordnen hat.
Vor mehr als 50 Jahren befahl Bahá’u’lláh der Menschheit, den Weltfrieden aufzurichten und rief alle Nationen zum „internationalen Ausgleich“, damit alle Grenzfragen sowie die Fragen nationaler Ehre, nationalen Eigentums und aller internationalen Lebensinteressen durch ein schiedsrichterliches „Haus der Gerechtigkeit" entschieden werden können.
Bahá’u’lláh verkündigte diese Prinzipien allen Herrschern der Welt. Sie sind der Geist und das Licht dieses Zeitalters. Von ihrer Verwirklichung hängt das Wohlergehen für unsere Zeit und das der gesamten Menschheit ab.
SONNE DER WAHRHEIT Organ der deutschen Bahá’i Herausgegeben vom Verlag des deutschen Bahá’i-Bundes, Stuttgart Verantwortliche Schriftleitung: Alice Schwarz-Solivo, Stuttgart, Alexanderstraße 3 Preis vierteljährlich 1.80 Goldmark, im Ausland 2.– Goldmark |
Heft 3 | Stuttgart, im Mai 1930 Jalál (Schönheit) |
10. Jahrgang |
Motto: Einheit der Menschheit — Universaler Friede — Universale Religion
Inhalt: Das Heilige Buch der Gewißheit. — Brief von Shoghi Effendi an die Gläubigen in Stuttgart. — Vom Wesen Gottes — Zum 23. Mai — Bahá’u’lláh — Leid läutert und führt zum Licht. — Bericht über die Bahá’i-Tagung.
Ein Tablet von Bahá’u’lláh an 'Abdu'l-Bahá gerichtet[Bearbeiten]
Im Namen Gottes!
O Du allermächtigster Zweig!
Am Mittwoch sind zwei geschriebene Blättchen von Dir an Mich gelangt und jeder Buchstabe daraus bezeugt die Einheit des göttlichen Wesens und die Heiligkeit Gottes, des allein Wahrhaftigen, Dem nichts ähnlich oder vergleichbar ist. Gesegnet sei Deine Feder, Deine Tinte und Deine Schriftzeichen, die Deine Gedanken zum Ausdruck bringen. Ich bitte Gott, daß Er durch Dich gnädiglich Seine Diener befähige, die Tiefen des Ozeans der göttlichen Einheit zu erforschen, daß Er durch Deine Erwähnung ihnen helfe, einen tiefen Trunk aus dem Strom des ewigen Lebens zu tun und sie durch Deine Worte von dem geheimnisvollen Wein der Weisheit Gottes trinken lasse, daß Er Dir beistehe durch die Heerscharen des Verstehens und der Weisheit zu triumphieren, damit Er durch Dich die Festungen der Welt und der Herzen ruhmreich erobere! Es gibt keinen Gott außer Ihm, dem Barmherzigen, dem Geliebten!
O Du, der Du mein Augapfel bist! Meine Herrlichkeit sei mit Dir. Der Ozean Meiner Herzensgüte, die Sonne Meiner Gnade, die Himmel Meiner Barmherzigkeit seien mit Dir. Wir bitten zu Gott, daß Er die ganze Menschheit erleuchte mit dem Licht Deiner Kenntnisse und Weisheit, daß Er für Dich vorsehe, was Dein Herz erfreut und Deine Augen entzückt!
Er ist mächtig und erhaben über alle Dinge!
Herrlichkeit, Gnade und Lob sei mit Dir und mit jedem, der sich an Dich hält!
Das Heilige Buch der Gewißheit[Bearbeiten]
(Fortsetzung)
(Kitab-El-Iqan) Aus dem Französischen ins Deutsche übersetzt von Dr. A. Mühlschlegel
Einsichtsvolle Menschen wissen, wie einst die Flamme der Liebe Jesu den Aberglauben
der Juden verbrannt hatte und Seine Gebote rasch sich verbreiteten. Und eines Tages, als
diese geheimnisvolle Schönheit, Jesus, von Seinem Weggang zu einem Seiner Jünger
redete und so in ihm der Ängste Feuer entflammte, da sprach Er: „Ich gehe von hinnen
und werde wiederkommen.“ Und abermal: „Ich gehe von hinnen. Ein anderer wird kommen,
der wird euch sagen, was Ich nicht gesagt. Er wird Mein Wort erfüllen.“ Diese
beiden Sprüche sind in Wahrheit eines, wenn ihr mit göttlicher Einsicht in
die Manifestationen der Einheit euch vertieft.
Als später Mohammed erschien, da waren Gesetz und Religion von Jesus Christus stark geworden, und darum sagte jener selbst: Ich bin der Christus. So nahm Er Gesetz und Worte Jesu an, weil sie von Gott gekommen. Kein Unterschied ist darum, weder zwischen ihnen noch zwischen ihren Geboten, denn sie beide verkündeten die Gebote Gottes, der sie ihnen gegeben. Dies ist der Sinn der Worte Jesu, als Er sprach: „Ich gehe von hinnen und werde wiederkommen.“ So ist auch die Sonne die gleiche heute wie gestern und wechselt doch alle Tage, die Tage wiederum sind unter sich verschieden zum wenigsten durch ihre Namen und die Ereignisse, die ihnen eigen, und doch sind sie im Wesen gleich. Erseht daraus den Unterschied und ebenso die Einheit der heiligen Manifestationen und verstehet es, die verborgene Bedeutung dieser Worte des Schöpfers der Namen und Eigenschaften zu erfassen in dem, was Einheit bedeutet und warum die ewige Schönheit sich unter verschiedenen Namen und in verschiedenen Formen geoffenbart hat.
Die Jünger Christi baten oft um Zeichen Seiner Wiederkunft und auch zu welcher Zeit sie wäre und jedesmal gab ihnen Seine Erhabenheit die Antwort, wie sie geschrieben steht in den vier Evangelien. Ich werde eine dieser Antworten euch nennen und werde, bei der Liebe Gottes, den Menschen die verborgenen Wohltaten der heiligen Bäume schenken, auf daß ihre sterblichen Leiber nicht der ewigen Früchte beraubt seien. Vielleicht werden sie so, ohne daß ich den geringsten Lohn erwarte, einige Tropfen Wassers aus den ewigen Strömen der Erhabenheit Gottes erlangen, die jetzt in den Stätten des Friedens in Bagdad dahinfließen. „Wir geben euch diese Speise zu Gottes Wohlgefallen und Wir verlangen von euch weder Lohn noch Taten des Dankes.“ (Koran 76, 9.)
Dies ist die Speise, die dem erleuchteten Geiste und Herzen das ewige Leben geben wird, dies ist das gleiche Abendmahl, von welchem Christus sprach: „Gott, unser Herr, lasse ein Mahl vom Himmel auf uns herabkommen!“ (Koran 5, 114.) Und dieses Mahl wird nie den Völkern mangeln, nie wird es sich erschöpfen, denn immerfort wird es erneut am Baum der Güte, und steigt hernieder vom Himmel der Gerechtigkeit. „Das gute Wort, das ist ein guter Baum. Seine Wurzeln halten fest an der Sonne und seine Zweige ragen gen Himmel. Er trägt Früchte zu jeder Zeit des Jahres.“ (Koran 14, 29.)
Ach, daß der Mensch sich dieses köstlichen Geschenks beraubt und diese ewige Gunst verweigert hat, dieses unsterbliche Leben!
Aber ihr, verstehet es doch, den Wert dieses geistigen Abendmahles zu erkennen, um
die Toten zu erwecken durch die wundersame Güte dieser Sonne der Wahrheit und
den geschwächten Geistern den unendlichen Geist zu geben. O mein Bruder, solange es
noch Zeit ist, laßt uns darnach ringen, aus diesem Kelch zu trinken! Denn nicht immer
werden die geistigen Winde über die vielgeliebte Erde dahinwehen, nicht ewig werden die
Ströme der Erklärung fließen, und nicht zu allen Zeiten werden die Pforten des
Paradieses offen stehen. Die Stunde kommt, da die Nachtigallen des Paradieses dem
reinen Garten entfliegen, göttlichen Nestern zu. Und ihr werdet nicht mehr ihren Gesang
hören und werdet nicht mehr die Schönheit der Rose schauen. Darum ergreifet doch diese
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Gunst, solange die göttlichen Tauben in Liebe singen, solange der göttliche Frühling
die Welt verklärt und erleuchtet, und beraubet euch nicht ihrer Gesänge! Das ist der
Rat dieses demütigen Dieners an euch und alle Gläubigen.
Mögen ihn annehmen, die ihn wünschen, und ihn zurückweisen, die ihn nicht wollen: Gott ist so mächtig, Er kann sie und alles Sichtbare entbehren.
Dies ist der Gesang Jesu, des Sohnes Marias, herrlich gesungen im Garten des Evangeliums zum Zeichen Seiner Wiederkunft.
Im Buche Matthäus sehen wir, daß Er denen, die Ihn darum frugen, zur Antwort gab:
„Bald aber nach der Trübsal derselbigen Zeit werden Sonne und Mond den Schein verlieren und die Sterne werden vom Himmel fallen und die Kräfte der Himmel werden sich bewegen. Und alsdann wird erscheinen das Zeichen des Menschensohns im Himmel. Und alsdann werden heulen alle Geschlechter auf Erden und werden sehen kommen des Menschen Sohn in den Wolken des Himmels mit großer Kraft und Herrlichkeit. Und Er wird senden Seine Engel mit hellen Posaunen.“ (Matth. XXIV, 29-31.)
In den andern Evangelien Lukas, Markus und Johannes finden sich die gleichen Worte, die wir an anderem Ort im einzelnen erläutert haben, und wir begnügen uns mit dieser Anführung. Nie hatten die Priester des Evangeliums verstanden, was diese Worte bedeuten und besagen. Sie waren bei dem buchstäblichen Sinn geblieben. So waren sie des Stroms der Güte Mohammeds beraubt gewesen und der Wolken des Wohlwollens Achmeds (= Mohammed.). Und die Unwissenden, die sich an ihre Priester klammerten, sie schauten ebensowenig die Schönheit des Herrlichen Königs; denn in der Offenbarung der Sonne Achmeds sind die Zeichen, von denen wir gesprochen, nicht zutage getreten. In der Tat, viele Jahrhunderte sind vergangen und dieser Geist vom Geiste ist zu seiner ewigen Wohnstätte zurückgekehrt. Der Hauch eines neuen Geisteswehens hat in die göttliche Posaune gestoßen und die Toten sind versammelt von dem Strande der Nachlässigkeit und der Entfremdung zu dem Lande der Führung und der Küste der Güte. Und dennoch warten diese Völker, die Christen, noch immer auf das Erscheinen der berühmten Zeichen, um das Kommen des Verheißenen zu erkennen und alles ihm zu opfern bis auf ihr Leben und ihre Seele. Auch andere Völker sind durch ähnliche Zweifel dieses Quells von Gottes unendlicher Güte beraubt und klammern sich an ihre Vorstellungen. Hat Jesus in den Evangelien nicht außerdem gesagt: „Himmel und Erde werden vergehen, aber Meine Worte werden nicht vergehen?“ Die Völker des Evangeliums ziehen daraus den Schluß, daß niemals die Verordnungen Christi aufgelöst werden, und daß, wenn irgend wann der Verheißene mit allen Zeichen kommen wird, er dann die Religion des Evangeliums bestätigen muß, so daß dann diese unter Ausschluß aller andern über die Welt verbreitet werde. Und dies ist für sie unbedingte Überzeugung so sehr, daß, wenn zu ihnen einer mit allen verheißenen Zeichen entsandt würde und ihnen Gebote aufstellte, die sich dem Scheine nach von denen des Evangeliums unterscheiden, sie ihm bestimmt nicht gehorchen würden, ungläubig wären und ihn gar verspotteten, wie sie es einst mit Mohammed getan. Und doch — wenn sie in Demut jede Manifestation der Einheit gefragt hätten nach der Bedeutung jener Worte der Heiligen Bücher, die sie nicht verstanden und die der höchsten Verheißung und des Sadratu’l-Muntaha sie nicht teilhaftig machen konnten, so hätten sie sicher das Sonnenlicht der Führung gefunden, und die Geheimnisse der Weisheit und des Wissens wären ihnen bekannt geworden.
Ich will hievon noch einiges erläutern, damit die von Natur aus guten Menschen die Sinnbilder der Heiligen Worte und die Geheimnisse der reinen Manifestationen erfassen und damit sie, die an Worten irre gingen, sich nicht noch mehr vom Meere der Namen und Eigenschaften entfernen und nicht noch fernerhin des Lichtes der Einheit beraubt sind, das Gottes Wesen offenbart.
Die Worte Jesu „nach der Trübsal derselbigen Zeit" bedeuten: wenn die Menschen
von Not und Unglück befallen werden. Dies tritt dann ein, wenn die Spuren der Sonne
der Wirklichkeit verschwinden, die Früchte
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des Baumes der Erkenntnis und Weisheit erschöpft sind und die Menschen von
Unwissenden geführt werden. Dann werden die Tore geschlossen sein, die zur Einheit und
zur Lehre Gottes führen, dem höchsten Ziel der Schöpfung. Dann wird Wissen sich in
Zweifel wandeln und Führung in Elend. Solches ist in unseren Tagen zu sehen. Werden
die Völker nicht von Toren geführt, die sie leiten, wohin sie wollen? Kennen sie von
Gott mehr als den Namen und von Seinem Willen viel mehr als den ersten Buchstaben?
Die Winde der Süchte und Lüste verwüsten so sehr die Welt, daß sie in den Herzen die
Fackel des Wissens und der Einsicht ausgelöscht haben. Und dennoch läge es nur an
den Menschen, daß die Tore göttlichen Wissens aufs neue geöffnet wären durch die
himmlischen Schlüssel der Macht und daß aufs neue die Erwählten durch das Licht der
Weisheit und der Heiligen Güte geleitet würden; dann wäre in jedem Ding eine
Pforte der Erkenntnis zu finden und in jedem Atom die Spur der Sonne zu schauen.
Aber trotz all dieser Offenbarungen des Wissens, die über die Welt gegangen sind, denken die Menschen, das Tor sei verschlossen und die Regengüsse der Barmherzigkeit seien versiegt. Sie wähnen sich der stärksten Stütze des Wissens fern und hängen sich an Aberglauben. Was suchen sie das Wissen nicht aufrichtiger? Sie denken nicht mehr an die Propheten, seit sie durch ihre Vermutungen und Zweifel hindurch Wege gefunden haben sich zu bereichern, und die Manifestationen lehren in ihren Augen nichts als das Opfer des Lebens. So haben sie das wahre Wissen verworfen dem Aberglauben zuliebe.
Und wenn sie auch die Einheit der Befehle Gottes erkannten, so haben sie dennoch den Befehlen der Menschen gehorcht, die von tausenderlei Seiten kamen. Gibt es zwei Menschen, die sich den gleichen Gesetzen fügen? Das rührt daher, daß keiner einen anderen Gott sucht als den seines eigenen Wünschens und keiner eine andere Bahn einschlagen will als die des Schlechten. Die Menschen wähnen, Macht sei das beste Mittel, unsere Wünsche zu befriedigen und Stolz und Hochmut führten sicher zum Geliebten. Höher als Gottes ewiger Wille stehen ihnen die Täuschungen des Selbstes. Sie weisen Demut und Entsagung von sich und geben sich ihren Plänen und Heucheleien hin. Mit allen Kräften verharren sie bei ihrer Haltung, auf daß nur ihre Macht nicht angetastet werde noch ihre Herrlichkeit getrübt. Wäre der Schleier, der ihre Augen bedeckt, durch das Heilwasser göttlicher Erleuchtung behoben, sie würden die Priester, welche sie von der wahren Straße abführten, wie wilde Tiere vor sich sehen, gierig nach Menschenleichen.
Welche Not könnte größer sein denn solche? Ein Mensch, der nach Wahrheit und Wissen sucht, weiß nicht, wohin gehen, noch, wen befragen, so zahlreich und voll Widerspruch sind Meinungen und Wege. Doch immer ist derartiges zu sehen vor dem Kommen einer Manifestation. Sonst wäre ja kein Grund da, daß die Sonne der Wahrheit jemals erschiene.
Denn wahrlich, der Morgen der Führung muß notwendig nach der Nacht des Irrtums aufdämmern. Darum findet man solches in allen Hadish: Unglauben wird die Erde beherrschen und Finsternis wird sie umschließen. All dies ist so bekannt, daß ich es nicht zu wiederholen brauche.
Die „Trübsal der Tage“ hat also keine andere Bedeutung. Alle Auslegungen anderer Art können der Wirklichkeit nicht entsprechen und, wäre es anders, so hätten die Menschen Grund zu sagen: diese Bedingung ist nicht erfüllt. So haben sie bei anderen Geschehnissen des öfteren geredet. Aus Mangel an göttlichem Wissen und an Verständnis der heiligen Worte quillt Trübsal: Sie bricht herein, wenn die Sonne und ihre Spiegel verschwunden sind, wenn die Welt ohne Führer gelassen ist. Dies ist die Erklärung der Worte und das Geheimnis der Weisheit, das wir euch enthüllen, auf daß ihr unter jenen seid, welche vom Kelche des Wissens und der Belehrung trinken.
In dem Ausspruch Jesu „werden Sonne und Mond den Schein verlieren und die
Sterne werden vom Himmel fallen“, bedeuten „Sonne“ und „Mond“ nicht nur die sichtbare
Sonne und den sichtbaren Mond, sondern sie haben zahlreiche Bedeutung, der Stelle
entsprechend, an der sie stehen. „Sonne“ bedeutet manchmal die Sonnen der
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Wirklichkeit, die sich von den ewigen Horizonten erheben und Segen über das Weltall
verbreiten. Sie sind die vollkommenen Manifestationen Gottes in der Welt Seiner Namen
und Eigenschaften. Und gleichwie es das Sonnengestirn ist, welches allem Sichtbaren
Leben schenkt, den Früchten, den Bäumen, den Gesteinen, den Farben und
allem Dasein, so erscheinen auch die Bäume und die Früchte der Einheit, die Blätter der
Loslösung, die Rosen der Erkenntnis und der Gewißheit, die Blumen der Weisheit und des
Wortes durch die Güte und Pflege der geistigen Sonnen. Darum, wenn diese Sonnen
sich erheben, so erneuern sie die Welt und lassen die Fluten des ewigen Lebens
dahinströmen, die Wogen des Meeres der Großmut hervorbrechen, die Wolken der Gnade
erscheinen und die Winde der Barmherzigkeit auf alle Wesen des Daseins wehen.
Durch die Wärme dieser göttlichen Sonnen und dieser geistigen Feuer dringt die Flamme der Gottesliebe in die Glieder der Menschen. Und durch die Güte dieser losgelösten Geister wird der unsterbliche Geist des Lebens den Sterblichen gegeben. Die sichtbare Sonne ist nur ein Teilbild der geistigen Sonne, die ohnegleichen und unvergleichlich ist. Ihrem Wesen entsteigt alles Dasein. Von ihrer Güte stammt jedes Ding und kehrt wieder zu ihr zurück. Und wenn man sagt, diese Sonnen seien verschiedenartig durch ihre Namen und Eigenschaften, so gilt dies nur für schwache und oberflächliche Geister; in Wahrheit sind sie rein von allen Namen und Eigenschaften. Das Wesen der Namen hat nicht Zutritt zu ihrer heiligen Gegenwart und die edlen Benennungen finden keine Aufnahme im herrlichen Königreiche. Danken wir Gott, daß Seine Erwählten durch nichts erkannt werden können als durch sich selbst, noch anderswie bezeichnet als durch ihr Wesen! Sie sind herrlicher als die Menschen sagen oder wissen können.
In der Sprache der Unfehlbaren ist der Name „Sonne“ gleicherweise auch jenen geistigen Leuchten, den Imam, gegeben. So ist in dem Gebete von Notbe gesagt: „Wo sind die Sonnen, die aufgegangen? Wo ist der Glanz der Monde, wo sind die strahlenden Sterne?“
„Sonne, Mond und Sterne“ bedeuten also erstlich die Propheten, ihre Freunde, ihre Jünger. Sie sind es, die durch das Licht ihrer Erkenntnis die sichtbare und unsichtbare Welt erstrahlen lassen.
In zweiter Linie bezieht es sich auf die Gelehrten und Priester der vorangegangenen Manifestation, die in der jetzigen Zeit leben und die Leitung der Religion in den Händen haben. Wenn sie beim Erscheinen der neuen Sonne von deren Lichte widerstrahlen, dann sind sie bestätigt; sie erstehen dann in neuem Glanze. Wenn sie aber im Gegenteil in Gleichgültigkeit verharren, mögen sie wohl dem Scheine nach die Menschen führen, sie bleiben aber in der Nacht. Denn alle diese Zustände von Glauben und Unglauben, Führung und Irren, Glück und Elend, Licht und Finsternis hängen von der Erkenntnis dieser göttlichen und geistigen Sonnen ab. In den Tagen der Verwirrung und der Freude, den Tagen der Manifestationen Gottes sind jene unter den Priestern, die das Geschenk des Glaubens annehmen, die Weisen, die Glücklichen, die Erleuchteten; die andern aber sind die Toren, die Abtrünnigen, die Ungläubigen, die Ungerechten.
Und es ist klar für jeden, der Verständnis hat, daß mit dem Sonnenaufgang das Licht
der Sterne verblaßt. Wenn also die Sonne der Wirklichkeit erscheint, schwinden die
Lichter der Gelehrten und der Priester. Sie sind den Sonnen gleich in ihrem Glanze,
dessen sie sich unter den Menschen ihres Landes erfreuen. Wenn sie durch ihr Verhalten
an die göttliche Sonne erinnern, dann werden auch sie aufgehende Sonnen werden.
Sonst aber werden sie Sonnen der Hölle sein. „Sonne und Mond sind in der
Hölle.“ (Koran LV, 4.) Alle, welche das Licht dieser Sonnen und Monde
der Hölle zurückstrahlen, nehmen die Lüge an und kehren sich von der Wahrheit ab.
Wahrlich, sie kommen aus der Hölle und kehren dorthin zurück. Darum, o Suchender,
laßt uns festhalten an der stärksten Stütze, um von der Nacht des Irrens zum Lichte der
Führung zurückzufinden, um den Schatten der Verleugnung zu verlassen und jenen der
Treue aufzusuchen. Machen wir uns frei vom Feuer der Hölle und seien wir erleuchtet von
der Schönheit des Mildtätigen! Und der Friede sei mit euch! Dies sind die Früchte
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vom Baume der Erkenntnis, die wir euch geben, auf daß ihr euch im Paradiese der
Weisheit des Herrn erfreuet.
An dritter Stelle werden die Worte „Sonne“, „Mond“ und „Sterne“ angewandt, um die Lehren und Gebote auszudrücken, welche in jeder Religion verkündet sind. So waren im Islam nach Mohammeds Hingang Beten und Fasten die Hauptgesetze, wie die Hadis und die Bücher uns lehren. Dies ist so bekannt, daß es unnütz wäre, lange darüber zu sprechen. Zu allen früheren Zeiten wurde das Gebet besonders verordnet, wie es ja Mohammed selbst befohlen hat, und alle Propheten haben darin ähnliche Gebote erlassen, Aber in jedem Zeitalter ward dies den andersartigen Verhältnissen angepaßt. Durch jede neue Manifestation wurden Gebräuche, Gewohnheiten und Lehren, die bis dahin als erhaben betrachtet und in Ehren gehalten waren, umgestaltet; und die sinnbildlichen Worte „Sonne“, „Mond“ und „Sterne“, welche die Manifestationen darauf anwenden, sind bestimmt, die Menschen zu prüfen, „zu sehen, welcher unter euch recht handeln wird“ (Koran LXVII)
Die Hadis enthalten gleicherweise die Namen „Sonne“ und „Mond“ in dem Sinne von „Fasten“ und „Beten“. Fasten ist Klarheit und Beten ist Licht.
Eines Tages ruhte ich im Schatten eines Gartens, als ein berühmter Ulama mich aufsuchte. Nach einiger Zeit der Unterhaltung führte er jenes Wort an und sprach erläuternd: „Das Fasten erwärmt die Gemütsstimmung, darum vergleicht man es mit der Klarheit der Sonne; und das Abendgebet, das uns erfrischt, wird mit dem Lichte des Mondes verglichen.“ Ich sah, daß dieser arme Mensch nicht einen Tropfen Geistigkeit erlangt hatte, noch einen Funken der Flamme von den Bäumen göttlicher Weisheit geschaut. Nach einer Weile gab ich sanft ihm zu erkennen: „O Jenab, deine Auslegung ist die landläufige, aber ich glaube, es gibt noch eine andere: Das Siegel der Propheten, der Herr der Erwählten hat die Religion des Forkan mit dem Himmel verglichen um ihrer Erhabenheit, ihrer Würde und ihrer Größe willen, und weil sie alle andern Religionen einschließt. Und wie es am sichtbaren Himmel zwei Hauptgestirne gibt, die beiden Lichter Sonne und Mond, so sind zwei Lichter am Himmel der Religion geschaffen, Fasten, Beten.
So bedienen sich die Manifestationen Gottes der Bildersprache. Verfinsterung von Sonne und Mond und Herabfallen der Sterne bedeutet also Demütigung der Gelehrten und Abschaffung der Gebote, Niemand vermag aus diesem Kelche die Sinnbilder der Propheten zu trinken, er sei denn gerecht und tugendhaft. „Die Gerechten werden aus Bechern trinken, in welche Kefir gemischt ist.“ (Koran LXXVI, 5.) Wie ihr seht, verfinstert sich die Sonne der Gebote und Verbote der vorangehenden Manifestation mit dem Kommen einer neuen, und auch die Völker, die im Schatten dieser Gebote gelebt haben, sind nun plötzlich gedemütigt: die Gewalt der vorhergehenden Manifestation ist erloschen.
Fortsetzung folgt.
Brief von Shoghi Effendi an die Gläubigen in Stuttgart[Bearbeiten]
Persische Kolonie Haifa, Palästina, 4. April 1930.
Liebe Bahá’i-Schwestern und -Brüder!
Shoghi Effendi bittet mich, den Empfang Eures gemeinsamen Briefes vom 21. März 1930 zu
bestätigen und Euch seiner Gebete zu versichern. Der Grund seiner Betrübnis ist nicht das, was
gegen ihn oder gegen die Ordnung, die er befolgt hat, gesagt wird. Seine Besorgnis ist auch
nicht den Prüfungen zuzuschreiben, denen die deutschen Freunde gegenüberstehen, denn das
Ergebnis wird zuletzt für das Wohl der Sache und für den geistigen Fortschritt der Freunde
sein. Worüber Shoghi Effendi traurig ist, ist, daß Menschen, die eifrige Diener waren und in
früheren Tagen Ausgezeichnetes geleistet haben, diesen Prüfungen zum Opfer fallen mußten,
und anstatt die Freunde zu leiten, sie in die Irre zu führen versuchen. Shoghi Effendi
hofft, daß die Freunde im Gebet dieser Seelen gedenken und um göttliche Führung und Hilfe
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für sie bitten. O, daß sie die Wahrheit sehen und zu ihr kommen möchten. Shoghi Effendi
wünscht keineswegs, daß sie blind zurückkommen sollen. Ein blinder Diener ist schlimmer
als keiner. Was Shoghi Effendi zu tun versucht, ist, die Freunde mit allen Aufschlüssen
zu versehen und sie dann dringend aufzufordern, diese objektiv zu durchdenken und persönliche
Zu- oder Abneigung beiseite zu lassen. Wie uns Bahá’u’lláh oft belehrte, liegt der Hauptgrund,
weshalb die Menschen oft die Wahrheit nicht verstehen können, darin, daß sie diese an ihrem
eigenen vorgefaßten Maßstab messen. Die Institutionen — in all ihren Formen — sind heutzutage
ein Phantom für die Menschen geworden. Die, welche die Wünsche der Leute teilen, loben
diesen Zustand. Andere, die sich über die vorherrschenden sozialen Begriffe erheben können,
beklagen diesen Zustand, und anstatt alle Institutionen zu denunzieren, versuchen sie bloß,
sie von Fehlerhaftigkeiten zu reinigen. Das hat Bahá’u’lláh vorausgesehen. Er ist nicht der alten
Gewohnheit gefolgt und Er hat aus den Institutionen, die Er ins Leben rief, jene Keime der
Fehlerhaftigkeit und Verwirrung ausgemerzt, die in früheren religiösen Institutionen bestanden.
Zum Schluß möchte ich Euch nochmals der Gebete und des herzlichen Gedenkens Shoghi Effendis versichern.
Euer stets aufrichtiger
Ruhi Afnan.
Innig geliebte Mitarbeiter!
In diesen Tagen der Depression und der Prüfungen gedenke ich dauernd der lieben und getreuen Freunde in Stuttgart. Ich bete inbrünstig für einen jeden einzelnen, daß sich ihr Verständnis für die heilige Sache vertiefe, daß sie ihre Wahrheit verkündigen möchten, daß sie ihr Interesse wahrnehmen und schätzen und daß sie deren Gesetze verbreiten und in die Wege leiten. ‘Abdu’l-Bahá wird ganz bestimmt Seine rechtlich denkenden und getreuen Jünger führen, segnen und stützen. Indem ich sehnsuchtsvoll die Nachricht über Eure fortlaufende und sich immer mehrende Tätigkeit erwarte, bin ich
Euer treuer Bruder
Shoghi.
Vom Wesen Gottes[Bearbeiten]
Durch die Jahrtausende hindurch sehen wir die Frage nach dem Göttlichen im Mittelpunkt der religiösen und philosophischen Betrachtungen, oftmals zu Streitigkeiten, Spaltungen und scheinbar unüberbrückbaren Gegensätzen führend. Eine der Ursachen dieses Meinungsstreites haben wir in der geringen Denk-Selbständigkeit der meisten Menschen zu suchen, die sich damit begnügen, Begriffe wie gerade den des Göttlichen ohne eigenes Nachdenken so zu übernehmen, wie sie sie von anderen hören. Sie haben sie nicht mit tieferem Erfassen durchdrungen, glauben aber gleichwohl, die Wahrheit zu besitzen. So verbindet sich bei ihnen mit der Oberflächlichkeit und Unselbständigkeit des Denkens das Vorurteil, das der schlimmste Feind des gegenseitigen Verstehens ist. Es hindert uns daran, die Dinge in ihrer eigentlichen Bedeutung zu erfassen, weil wir sie gar nicht erst sorgfältig oder doch nur durch die Brille unserer vorgefaßten Meinung anschauen. Wir pflegen mit jedem Wort nur einen bestimmten, eng umgrenzten Begriff zu verbinden, obwohl die Sprache mit ein und demselben Wort sehr viele voneinander abweichende Begriffe zu belegen pflegt, und bleiben dadurch am Worte haften, statt seinen eigentlichen Sinn zu verstehen.
Der Gegensatz der Meinungen über das Wesen Gottes hat aber noch einen tieferen Grund,
der in der Begrenztheit der menschlichen Natur liegt. Die verschiedenen Gottesbegriffe stimmen
darin überein, daß sie Gott als etwas annehmen, das außer der Erscheinungswelt besteht,
zwar irgendwie engen Zusammenhang mit ihr besitzt, aber gleichwohl selbst kein Teil der
Erscheinungswelt ist. Dies gilt sowohl für die primitiven Formen der Geister- und Naturgötter
als auch für die entwickelteren Gottesvorstellungen. Dadurch rückt die Frage nach dem Göttlichen
aus dem Bereich des für den Menschen Faßbaren heraus, da unser Begreifen an die Erscheinungswelt
gebunden ist. In allen Religionen knüpft sich z. B. an den Begriff des Göttlichen der Begriff
des „Dauernden“, „Ewigen“, Eigenschaften also, die wir in der Erscheinungswelt, in der alles
dem Werden und Vergehen unterworfen ist, nicht vorfinden. Daher besitzt
das, was wir über Gott aussagen, wie alles, was wir über intellektuelle Dinge aussagen, nur den
Wert eines Gleichnisses. Es ist ein Versuch, von der unvorstellbaren Wirklichkeit eine
subjektive, menschlich gedachte Vorstellung zu erhalten. „Die Vernunft“, sagt Bahá’u’lláh,
„kann Mich (Gott) nicht begreifen, noch das Herz Mich
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einschließen“ (Arab. Verb. Worte 65). Aus dieser Unmöglichkeit, die Wirklichkeit Gottes zu
erfassen, heraus entspringen zahllose Gegensätze und Streitigkeiten. Wenn wir einen Gegenstand
sehen, so streiten wir uns nicht über sein Aussehen, weil wir ihn vor Augen haben. Jeder, der
ihn sieht, kann sich die unmittelbare, gemeinsame Vorstellung von ihm machen. Anders jedoch,
wenn wir den Gegenstand nicht sehen. Dann weckt seine Nennung die verschiedensten
Vorstellungen. So ist es auch mit dem Gottesbegriff.
Wenn wir aber gleich die Wirklichkeit Gottes nicht zu erkennen vermögen, so sind wir doch sehr wohl imstande, uns ein vernünftiges (wenn auch subjektives) Bild von Gott zu machen. Bahá’u’lláh sagt: „Der Eine Wahre steht geheiligt über allem, aber Seine Zeichen sind in allem offenbar. Die Zeichen sind von Ihm — nicht Er selbst — und sie alle sind aufgezeichnet und ersichtlich in dem Buch der Welt. Der Weltenplan ist ein großes Buch, und wer nur zu begreifen vermag, kann daraus entnehmen, was ihn befähigt, auf den rechten Pfad zu kommen. Seht die Strahlen der Sonne an: ihr Licht hat die Welt durchflutet, aber dieser Glanz geht von ihr und ihrer Offenbarung aus, er ist durch sie, doch nicht sie selbst (d. h. ihr Wesen oder Stoff). Was immer auf Erden sichtbar ist, ist Ausdruck Seines Wissens, Seiner Macht und Gnade, indessen Er (Gott) geheiligt über allem steht.“ (Worte des Paradieses, Einleitung.)
Ein subjektives Begreifen Gottes wird selbstverständlich auch begrenzt sein durch die Stufe unseres allgemeinen Begriffsvermögens. Darum sagt Bahá’u’lláh: „Alles, was Ich (Gott) dir durch die Zunge der Macht geoffenbart und für dich mit der Feder der Kraft geschrieben habe, ist entsprechend deinem Maß und deiner Fassungskraft und nicht nach Meiner Stufe und Meiner Ausdrucksfähigkeit „geschehen“ (Arab. Verb. Worte 66). Wenn wir uns diese Tatsache vor Augen bewahren, werden wir nicht mehr über Gottesbegriffe streiten können, sondern jedem Menschen seine Vorstellung lassen. Wir werden aber auch aufhören, uns in mystische Grübeleien über das Göttliche zu verlieren, da unsere Erkenntnis die Grenze zwischen den Welten Gottes und der Welt der Äußerungen nicht zu überschreiten vermag. „Überschreite“, so gebietet Bahá’u’lláh, „die dir gesetzten Grenzen nicht, noch trachte nach dem, was dir nicht ziemt. Wirf dich nieder vor dem Antlitz deines Gottes, des Herrn der Kraft und Macht“ (Arab. Verb. Worte 24).
Hieraus verstehen wir auch, warum weniger entwickelte Religionsstufen an Stelle der Einheit Gottes eine Göttervielheit glauben: ihr primitives Nachdenken über die Zusammenhänge ist noch in stärkstem Maße an die Erscheinungswelt gebunden. Sie sehen die Vielheit der Erscheinungen und vermögen in ihnen noch keine gemeinsamen Gesetze zu erkennen. So schreiben sie jeder ihre eigene Gottheit zu.
Einen weiteren Gegenstand der Gottesbetrachtung bilden die Eigenschaften Gottes, wie „Liebe“, „Allmächtigkeit“, „Barmherzigkeit“ usw. Zu ihrem Verständnis kommen wir aus der Erkenntnis der Tatsache, daß nichts in der Erscheinungswelt absolute Vollkommenheit besitzt noch zu erreichen vermag. Anderseits aber bedingt die Tatsache, daß wir uns der Unvollkommenheit bewußt werden, notwendigerweise die Annahme einer Vollkommenheit, da wir jede Eigenschaft nur aus dem Gegenteil heraus erfahren können. So würde der Mensch z. B. kaum zu der Feststellung gekommen sein, daß die Erde von Luft umgeben ist, wenn er nicht einmal an irgendwelchen Wirkungen zuerst erfahren hätte, daß es einen Abmangel an Luft geben kann. Da aber in der Erscheinungswelt Vollkommenheit nicht zu finden ist, können wir sie nur außerhalb von ihr vermuten. So wird Gott zum Träger aller absoluten Tugenden und damit zum großen erzieherischen Vorbild für die Menschheit: ihm ähnlich zu werden ist das hohe Ziel allen religiösen und ethischen Strebens, jenes „lasset Uns Menschen schaffen nach Unserem Bild und nach Unserer Ähnlichkeit“ der Genesis. Er ist die Summe aller jener Eigenschaften, die der Mensch zu verwirklichen suchen soll, wie Güte, Barmherzigkeit, Milde usw.
Dr. H. Gr.
Zum 23. Mai[Bearbeiten]
Von A.Sch.
In dieser Zeit, da sich das Mysterium Deiner Geburt vollzog, muß ich so viel Deiner
gedenken — o ‘Abdu’l-Bahá, ich möchte meine Hände falten und dem Allmächtigen danken, im
Namen aller Menschen, aller mühsam Beladenen, aller scheinbar Glücklichen, daß Er Dich zu uns
gesandt hat. Wer sich Dir nahen durfte, o ‘Abdu’l-Bahá, wer aus den Quellen Deines Geistes
schöpfen und wer im Sonnenlicht Deiner Liebe gesunden durfte, der ahnt, wer Du bist.
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Welch ein leuchtendes Beispiel der Aufopferung für das große Werk Bahá’u’lláhs hast Du der
Menschheit gegeben, keine Ehrung wolltest Du, keine Anerkennung als Meister — nur Diener
wolltest Du sein, als Du Dich mit der ganzen Hingabe Deiner leuchtenden Seele Bahá’u’lláhs
Werk geweiht hast. Du sahest nur Ihn in der ganzen Größe und Schönheit Seiner Manifestation
und trankst in tiefen Zügen aus dem Quell Seines Geistes, der aus himmlischen Höhen
unerschöpflich strömte. Nicht nahmst Du die Huldigungen für Dich entgegen, die zum 23. Mai
aus Ost und West, Süd und Nord zu Dir gelangten, alle Freude und allen Dank gabst Du
dem Bab, der am gleichen Tag seine Wegbereitung für einen Höheren, für das kommende
Reich Gottes auf Erden, aussprach, Wer könnte sein wie Du — o ‘Abdu’l-Bahá. Du sahest unsere
Fehler nicht, Du sahest uns im Licht der Vollendung. Unser Weg ist weit und steinig ist der
[Seite 10]
Aufstieg, Du aber hast Blumen an des Weges Rand wachsen lassen und hast uns in Deiner
Liebe den Schleier über unsere Blößen gedeckt, hast uns die Hand gereicht, die uns empor führt
zu Bahá’u’lláh. Doch wie könnten wir Ihn fassen ohne Dich als Mittler? Du aber hast uns
gesagt, „was ihr von Bahá’u’lláh für eure geistige Reife erbittet, wird Er euch gewähren“.
So sei denn Du, geliebter Meister, unser Mittler, führe uns zum Ziel auf die Höhen des Lebens — zur Demut und Selbstaufopferung — damit wir, Deinem heiligen Beispiel folgend, als höchstes Ziel unseres Lebens Gott und den Menschen mit freudigem Herzen dienen in Deinem Namen.
Alla’h o Abhá.
Bahá’u’lláh[Bearbeiten]
Erde, weißt du, Wer über dich schritt
vor noch nicht langen Tagen?
Einer, Der mehr als andere litt,
weil Er den Himmel im Herzen getragen.
Sag’, warum haben sie stets verkannt
alles geheiligte Leben,
und die Erlöser, die Gott gesandt,
dem Tode übergeben?
Erde, nun liegst du so schweigend und
ach, deine Kinder schlafen.
Bebtest du nicht, als aus heiligem Mund
Gottes Worte dich trafen?
Über dir öffnet der Himmel sich weit
und schenkt dir neu seinen Segen,
und will deiner Kinder Ewigkeit
in Gottes Hände legen.
Erde, du weißt, Wer über dich schritt
vor noch nicht langen Tagen,
Einer, Der mehr als andere litt,
weil Er zu dir den Himmel getragen.
M.L.F.
Leid läutert und führt zum Licht[Bearbeiten]
Von Ella Groth
„Warum müssen gerade die guten Menschen am meisten leiden?“ Diese Frage hört man immer wieder aufwerfen. Zunächst könnte man die Gegenfrage stellen: „Sind es auch immer gute Menschen?“ oder „Leiden sie wirklich?“ Einige verstehen es so ausgezeichnet, ihren Mitmenschen etwas vorzujammern. Ja, es wird ihnen sogar zur Gewohnheit. Sobald es nämlich nicht nach ihrem Willen geht und ihnen nicht alle ihre Wünsche erfüllt werden, dann denken sie, es geschieht ihnen Unrecht und sie müssen leiden. So fangen sie an zu klagen, machen ihrer Umgebung das Leben schwer, versuchen Mitleid zu erwecken, um dadurch Vorteile für sich zu gewinnen. In Wirklichkeit täuschen sie ihren Nächsten. Sollte nicht jeder mit dem zufrieden sein, was für ihn verordnet ist?
Manches Leid entsteht aber auch durch des Menschen eigene Handlungsweise. In Zeiten seines Wohlstandes wird er leicht übermütig, vergißt dann seinen Gott und verletzt durch seine Unachtsamkeit dann auch die göttlichen Gebote. Dann sind zweifellos Trübsale die Folgen.
Sehr bedauerlich und betrübend ist jedoch, wenn dem Menschen von seinem Nächsten mutwillig Kummer verursacht wird und ihm absichtlich Schwierigkeiten bereitet werden, sei es durch die böse Zunge oder anderes. Möchte es doch jeder bedenken, daß die Geheimnisse des Herzens nicht verborgen bleiben. Hüte man sich also
„...nie die Ursache des Kummers für irgend jemanden zu werden“ ('Abdu'l-Bahá).
Im Innern des Menschen ruht etwas, das ist so fein geschliffen. Wenn dieses nun mit rauher
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Hand gepackt wird, dann zerspringt es gleich einem schön geschliffenen Kristallglas. Nicht
genug kann man die schönen Worte von 'Abdu'l-Bahá beherzigen:
„Hütet euch, daß ihr nicht irgend jemandes Gefühle verletzt, das Herz irgend einer Person betrübt . . .“
Immer wieder sollte man sich einprägen: "Was du nicht willst, das man dir tu‘, das füg’ auch keinem andern zu.“
Andererseits ist aber auch nicht zu verkennen, daß einige Menschen wirklich viel Leid zu tragen haben, indem sie von schweren Schicksalsschlägen betroffen werden. Hier tritt Krankheit ein, dort geschehen Unglücksfälle, andere erleiden Verluste, wieder andere werden durch gewaltige Naturkatastrophen heimgesucht und dergleichen.
„Solche Ereignisse geschehen auf Grund der Verbindung zwischen den Teilen des Universums, denn jeder Teil hat Verbindung mit jedem großen Teil, und was den einen beeinflußt, beeinflußt den andern oder alle andern ...“ (Daily Lessons Akka S. 25, Dr. Esslemont S. 148).
Weil nun diese Verbindung besteht, wir ja alle Tropfen eines Meeres sind, so leiden die Unschuldigen für die Schuldigen mit. Wenn wir in die Religionsgeschichte blicken, so haben wir dort genug Beispiele. Um nur einige herauszugreifen seien genannt: Hiob, Christus, Seine Jünger, Bahá’u’lláh, Seine Familie u. a.
„Gott hat von jeher Seine Geliebten mit Ungemach und Leiden gesegnet, damit sie die göttliche Weisheit erlangen möchten. Er hat sie von der Welt getrennt und hat sie, damit sie nach geistiger Sicherheit trachten möchten, weder irdische Ruhe noch irdische Glückseligkeit finden lassen. Diese Leiden schickte Er ihnen als Prüfungen, damit die Aufrichtigen dadurch in der Standhaftigkeit gestählt, die Unaufrichtigen aber ausgeschieden werden“ (Phelps S. 206).
Wenn den Menschen also irgendein Ungemach überfällt, so sind es Prüfungen, die an ihn herantreten, die jeder durchzumachen hat. Diese dienen zu seiner eigenen Vervollkommnung.
„Jeder Seele, die auf dem Pfade der Führung wandert, harren zweifellos viele Mühsale“ (Divine Pearls).
„Menschen, die kein Leid zu tragen haben, gelangen nicht zur Vervollkommnung... .“ (Ansp. Paris S. 50).
„Was auch immer sich zutragen mag, ist gut, denn selbst Unglück ist eine Schenkung ...“ (Divine Pearls).
In den Verborgenen Worten heißt es:
„Wenn Trübsal auf Meinem Pfad dich nicht befällt, wie willst du dann auf dem Wege von denjenigen wandeln, welche sich in Meinem Willen wohl fühlen? Wenn Kummer dich nicht überfällt in der Sehnsucht, Mir zu begegnen, wie kannst du alsdann zu dem Licht der Liebe Meiner Schönheit gelangen?“ (A. 51). „... Prüfungen führen zur Entwicklung der eiligen Seelen; die Glut der Feuerflamme verursacht den Glanz des reinen Goldes, und die Heftigkeit der Winde ist dem Wachstum und Gedeihen eines fest und gut gewurzelten Baumes dienlich“ (Divine Pearls).
Gewiß ist es nicht immer leicht, wenn man plötzlich vom Mißgeschick betroffen wird, sich durchzuringen. Manches Herz scheint unter der Last zu zerbrechen, denn im Leid ist der Mensch nicht immer so widerstandsfähig.
„Prüfungen und Versuchungen verursachen nur den schwachen Herzen Aufregung. Aber den reinen Seelen sind einhunderttausend Prüfungen nur wie Luftspiegelung, Einbildung und Schatten. Der Schatten kann den Sonnenstrahlen nicht widerstehen, und reiner Duft der Heiligkeit wird nicht durch die Zweifel des Jenseits verborgen werden ..." (Divine Pearls).
„Gesegnet ist die Seele, die auf dem Pfade standhaft ist“ (Divine Pearls).
Was hilft nun über die Kümmernisse hinweg? Daß man sich in die Ecke setzt, die Hände in den Schoß legt und sich seinem Kummer hingibt, ist wertlos. So kommt man nicht vorwärts. Eine gute Ablenkung bietet schon die Arbeit. Sie hilft über manches fort. Aber das schönste ist, man geht einmal in die Stille und richtet seine Blicke aufwärts zu Dem, Der unsere Geschicke lenkt. ‘Abdu’l-Bahá lehrte:
„Vergiß alles andere außer Gott. Sei in Gemeinschaft mit Ihm, bitte demütig und bete zu Ihm, um dich zum Sieger über die materiellen Dinge zu machen“ (Divine Pearls).
„Unser Vertrauen muß auf Gott ruhen. Es
[Seite 12]
gibt keinen Gott außer Ihm, dem Heiler, dem Wissenden, dem Helfer.“
Man richte sein Herz zu der Liebe Gottes, denn „mit der Liebe Gottes ist jede Bitterkeit in Wohlgefallen aufgelöst ... .“ (Divine Pearls).
Man frage sich auch, was hat Gott gewollt? Welche Lehre kann man aus dem Geschehenen ziehen?
„Kummer und Sorgen kommen nicht zufällig über uns, sie sind uns durch die göttliche Barmherzigkeit zu unserer eigenen Vervollkommnung gesandt...“ (Anspr. in Paris S.50). Was einem auch immer begegnen mag, ist dienlich. Vielleiht erkennt man es nicht sogleich, aber in allem liegt eine Weisheit. Gottes Wege sind wunderbar.
„Je mehr ein Mensch heimgesucht wird, desto größer ist die Ernte der geistigen Tugenden, die alsdann bei ihm zum Vorschein kommen“ (Anspr. in Paris S. 50).
„Je öfter das Gold in den Schmelzofen geworfen wird, desto größer wird seine Reinheit und seine Güte werden, und es wird einen höheren Glanz und größere Lauterkeit annehmen“ (Divine Pearls).
„Wenn es keine Proben und Prüfungen, Ungemach und Leiden geben würde, könnte die Anziehungskraft des Herzens nicht verwirklicht werden, die geistigen Wohlgerüche könnten nicht erlangt werden, noch könnte himmlische Glückseligkeit erworben werden, und die Schönheiten der himmlischen Frühlingszeit würden nicht entdeckt worden sein“ (Star of the West, 8, S. 239).
In der Schule des Lebens gibt es eben viele Stürme, und manche Kämpfe sind zu bestehen. Gerade dadurch wird der Mensch geläutert. Mancher besinnt sich in Zeiten der Not seines himmlischen Vaters. Denken wir nur an die Zeit des letzten Weltkrieges. Da füllten sich nach und nach wieder die Gotteshäuser. Die Menschen lernten wieder beten, als sie ihre Lieben in Gefahr wußten. Durch Leid wird mancher wachgerüttelt aus seiner Nachlässigkeit. Die Augen werden ihm geöffnet, und so erkennt er, daß mit seiner Macht nichts getan ist. Der Mensch muß sich mehr und mehr von den materiellen Dingen lösen, sich mit dem Herrn vereinigen und sich bemühen, auf dem Pfade Gottes zu wandeln. Er muß losgelöst und selbstlos sein. Dann werden die Schwierigkeiten und Beschwerden der Welt ihn nicht berühren. Wenn auch nach außen hin die Stürme toben und das Meer braust, so wird in seiner Seele doch Stilles ein.
„Glücklich ist jeder, der an diesem Tage alles, was er von Menschen besitzt, beiseite legt und sich fest an das hält, was von seiten Gottes, des Königs der Namen und Schöpfers aller Dinge, befohlen ist“ (Chase S. 76).
Dies ist allerdings für manchen recht schwer, weil es zuviel Lockendes gibt, an das er gern sein Herz hängt. Doch wer seine Augen und Ohren öffnet, der wird erkennen, daß aus allen Dingen hier auf Erden ein ideales Licht zum Ausdruck kommt. Der wird versuchen, sein Herz zu reinigen und zu lösen und weit, ganz weit zu öffnen, um dieses Licht darin aufzunehmen. Das Licht, aus dem die Wahrheit leuchtet, welche uns alle Manifestationen verkündeten und in diesem Zeitalter Bahá’u’lláh. Ihn sandte Gott, der Allweise, uns frohe Botschaften von Seinem Lichte zu bringen, die uns den Weg weisen, wie wir uns Ihm zuwenden können. Preis sei Gott, Der in Wahrheit erschienen ist mit offenbarer Herrschaft.
Bericht über die Bahá'i-Tagung[Bearbeiten]
Am Samstag, den 19. April, abends 7 Uhr, fand im Bürgermuseum, und zwar in dem Raum, in dem ‘Abdu’l-Bahá im Jahre 1913 verschiedentlich zu Seinen Getreuen sprach, die Eröffnung der Bahá’i-Tagung statt. Ein hübsches Blumenarrangement war aufgebaut, in dessen Mitte uns das wundervolle Bildnis 'Abdu'l-Bahás entgegenleuchtete. Der Geliebte lebt unter uns, ist Er auch ins Reich Seines Vaters zurückgekehrt. Jeder fühlte in seinem Herzen die Liebe und die Segensströme, die auf jene herabkommen, die Ihm in treuer Liebe dienen.
Liebe Freunde und Delegierte aus Stuttgart und Umgebung, aus Rostock, Hamburg, Schwerin,
Karlsruhe, Göppingen, Bissingen und Wien hatten sich eingefunden, und Shoghi Effendi
hatte uns zwei Perser Bahá’i entsandt. Nach der Verlesung eines Gebets ‘Abdu’l-Bahás begrüßte
[Seite 13]
Frau Alice Schwarz im Namen des Vorsitzenden des Nationrats die anwesenden Gäste und verlas
einen Brief desselben:
- „Meine verehrten lieben Freunde!
Leider ist es mir nicht vergönnt, Sie, wie ich gehofft hatte, heute persönlich zu begrüßen. Obschon mein Befinden gottlob besser ist, kann ich noch nicht an Versammlungen außerhalb des Hauses teilnehmen. Meine Frau überbringt Ihnen deshalb meine herzlichsten Wünsche und Grüße für die Tagung.
Dieselbe ist um so wichtiger, als wir in der Zwischenzeit verschiedenes zu bestehen hatten und erleben mußten, was wir früher für unmöglich gehalten hätten. Auf Einzelheiten einzugehen, will ich mir versagen; Sie sind über alles orientiert. Wir stehen treu und ernst zusammen in der Liebe und im Vertrauen zu Shoghi Effendi. Die Angriffe gegen ihn haben unsere Gefühle der Zusammengehörigkeit und der Liebe nur verstärkt. Es handelt sich hier um die erste Prüfung unserer Glaubenstreue. Es ist nicht möglich, der heiligen Sache anzuhängen und gleichzeitig ein Mitglied der heiligen Familie, dem der Meister das überaus schwere Amt des Hüters anvertraut hat, zu bekämpfen. Unsere Liebe und Treue zu dem Hüter muß um so größer werden, wenn wir bedenken, wie viel Vertrauen 'Abdu'l-Bahá Deutschland entgegengebracht hat. Daß Sie alle diese Liebe und Treue zu Shoghi Effendi mit mir teilen, erfüllt mich mit unendlicher Freude. Auf unserer heutigen Zusammenkunft wird der Segen des Meisters ruhen.
Auf Veranlassung von Shoghi Effendi haben wir die Neuwahl des Nationalrats vorzunehmen. Die Frage ist an mich gelangt, ob ich eine Wahl annehmen würde; dies ist bei meinem gegenwärtigen Zustand verständlich. Ich habe lang darüber nachgedacht, und wenn ich die Frage bejahe, so bitte ich überzeugt zu sein, daß es mein Bestreben ist, wie bisher unserer so sehr geliebten Sache zu dienen. Die gegenwärtige Zeit, in der wir noch manche unliebsame Erfahrungen machen werden, verlangt jeden auf seinem Posten, denn die ganze bestehende Organisation wird angegriffen. Wie wäre es aber denkbar, daß ohne eine solche eine große weltweite Sache segenbringend zu einer Einheit führen könnte? Daß diese als unerläßlich bezeichnet wurde, weiß jeder, der die heiligen Schriften Bahá’u’lláhs und ‘Abdu’l-Bahás gelesen hat.
Doch ich will mich, so viel es hier noch zu sagen gäbe, hierüber nicht weiter aussprechen. Meine Freude gilt der Tatsache, daß ein stattlicher Stamm treuer Freunde beisammen ist.
Meine Trauer aber gilt dem Umstand, daß ein so verhältnismäßig geringer Anlaß die Ursache war, die Treue mancher zu erschüttern. Möge für diese der Tag bald kommen, an dem sie sich des Irrweges, den sie gehen, bewußt werden.
Ihnen, liebe Freunde, aber wünsche ich heute ein frohes und gesegnetes Zusammensein. Möge Ihnen unsere diesjährige Tagung in freudiger Erinnerung bleiben. Ich selbst bin mit meinen Gedanken und Segenswünschen bei Ihnen und gedenke auf das herzlichste Ihrer.“
Frau Schwarz sprach über die Größe der Offenbarung Bahá’u’lláhs und über den größten Namen. Anschließend daran verlas sie Worte von Bahá’u’lláh und 'Abdu'l-Bahá, die den tiefen Sinn und die Bedeutung dieser großen heiligen Lehre für die ganze Welt umfassen und auch die Liebe und das Vertrauen zu den Gläubigen in Stuttgart zum Ausdruck brachten.
Herr Dr. Großmann hielt eine längere Ansprache und betonte, daß die Menschen niemals einen Nutzen ziehen aus der Weltgeschichte und daß sich die Begebnisse heute wieder vollziehen wie vor 2000 Jahren.
Herr Goll las hierauf von seinen schönen, selbstverfaßten Gedichten vor.
Mit einem Gebet wurde der offizielle Teil des Abends beendet, an den sich ein zwangloses Beisammensein anschloß.
Am Ostersonntag, den 20. April, begaben sich die zur Wahl delegierten Freunde in die Wohnung von Herrn Konsul Schwarz. Die Delegierten setzen sich zusammen aus:
Frau Dr. Brauns für Karlsruhe, Herrn Stadtrat Brückner für Göppingen, Herrn und Frau Dr. Großmann für Hamburg, Fräulein Horn für Stuttgart, Herrn Klitzing für Schwerin, Herrn Konsul Schwarz und Frau Alice Schwarz für Stuttgart, Frau Dr. Walcker für Rostock.
Der Wahlakt wurde durch ein Gebet 'Abdu'l-Bahás begonnen. Die Wahl ergab alphabetisch folgendes Resultat:
- Frau Dr. Marta Brauns, Karlsruhe
- Herr Julius Brückner, Göppingen
- Herr Paul Gollmer, Stuttgart
- Herr Dr. Hermann Großmann, Weinheim-Hamburg
- Fräulein Edith Horn, Stuttgart
- Fräulein Anna Köstlin, Eßlingen
- Herr Konsul Albert Schwarz
- Frau Alice Schwarz
- Herr Friedrich Schweizer, Zuffenhausen.
Es ist zu bemerken, daß die Wahl, welche den Vorschriften Shoghi Effendis gemäß stattfand, keinen zweiten Wahlgang erforderte insofern, als sämtliche Gewählten mehr als die Stimmenmehrheit erhielten. Die nächsten drei Gewählten waren:
- Herr Albert Renftle
- Herr Hugo Bender
- Herr Karl Klitzing.
Diese Namen wurden deshalb festgestellt, um für den Fall eines Ausscheidens von
Nationalratsmitgliedern bereit zu sein und sind vorschriftsgemäß als Beisitzer zu rechnen. Als
Vorsitzender wurde Herr Konsul Schwarz gewählt. Als Stellvertreter Herr Julius Brückner,
Göppingen. Als zweiter Stellvertreter Herr Paul Gollmer für den Fall, daß Herr Brückner
verhindert wäre; zum Schatzmeister Herr Friedrich Schweizer und zur Sekretärin Frau Alice
Schwarz. Fräulein Horn wurde gebeten, Frau Schwarz bei ihrer sich immer mehr häufenden
Arbeit zu unterstützen.
Über das Ergebnis der Wahl herrschte eine einmütige Harmonie und Befriedigung. Der Vorsitzende erklärte, daß er trotz seiner Indisposition seine ganze Kraft dem Interesse der heiligen Sache widmen werde, namentlich in der jetzigen Zeit. Alle geloben ihre Treue zu Shoghi Effendi. Es wird demnächst eine Zusammenkunft des Nationalrats stattfinden, in welcher alle wichtigen Fragen zur Behandlung kommen sollen. Unterdessen hatte sich eine ansehnliche Anzahl Bahá’i im Bürgermuseum versammelt und wurde durch Herrn Gollmer mit dem letzten ausführlichen Rundschreiben vom April 1930 von Shoghi Effendi an die Welt bekannt gemacht, dessen Inhalt von großer Bedeutung ist.
Zu unserer Freude hatte sich Maxoud Nieron, der schon länger durch unseren Beschützer bei uns angemeldet war, mit dem uns schon lange Jahre befreundeten Ahmedoff bei uns eingefunden. Frau Schwarz stellte ihn den Freunden vor und begrüßte ihn herzlich.
Maxoud Nieron sprach über die Eindrücke, die er in Haifa aufgenommen habe, und im besonderen über Rußland. Er glaubt, daß die Bahá’i-Bewegung in Rußland künftig eine große Rolle spielen wird und daß dazu bereits der Anfang gemacht ist. Ahmedoff übersetzte seine Worte in geläufiges Deutsch; er sagte:
Shoghi Effendi lasse alle deutschen Freunde aufs herzlichste grüßen. Er habe zur Zeit sehr viel zu tun, da die Zahl der Geistigen Arbeitsgemeinschaften, die über die ganze Welt verbreitet seien, immer mehr zunehmen und er mit ihnen in reger Beziehung stehe. Die Freunde in Haifa bewundern die Persönlichkeit Shoghi Effendis, seine Arbeitskraft und sein Verantwortungsgefühl. Er steht allein der großen Aufgabe gegenüber, mit den Freunden in der ganzen Welt organisatorisch und unterstützend zu arbeiten. Nur wenige Stunden der Ruhe könne er sich gönnen und nehme nur einmal täglich eine Mahlzeit zu sich.
Maxoud Nieron betonte die Notwendigkeit der Einigkeit, die heute besonders wichtig sei. Die Worte Bahá’u’lláhs, daß Religion zur Einigkeit führen muß, sollen uns immer vor Augen sein, und ist dies nicht der Fall, so ist es besser, keine Religion zu besitzen. Die Religion soll erzieherisch wirken und den Menschen von Stufe zu Stufe führen. Auf diesem Weg würden uns immer wieder Prüfungen begegnen, mit denen wir zu rechnen haben und die wir bestehen müssen, vor denen wir aber keine Furcht zu haben brauchten. Heute sei es nur die Einigkeit unter den Bahá’i, die das Herz Shoghi Effendis beglücken könne. Es ist der aufrichtige Wunsch Maxoud Nierons, daß eine Verbindung zwischen den deutschen und russischen Bahá’is zustande kommen möge. Er will in Rußland berichten, was er in Deutschland gesehen und erlebt habe. Er beendete seine Ansprache mit dem Wort Alla’h o Abhá.
Herr Brückner gab nun das Wahlergebnis bekannt und hielt folgende Ansprache:
„Meine lieben Freunde! Mit Freude und Genugtuung durften wir Ihnen das Wahlergebnis zum Nationalrat mitteilen. Alle Beteiligten waren sich der Verantwortung voll bewußt. Gleich der erste Wahlgang, eine nach der Vorschrift von Shoghi Effendi vorgenommene Handlung, brachte den Willen zur Einigkeit und Harmonie prächtig zum Ausdruck.
Schwere Jahre der Prüfung liegen hinter uns, sie waren nicht umsonst, wenn wir auch manchen
Verlust zu beklagen, wenn manche lieben Freunde sich auf die Seite gestellt haben. Wir
sind der festen Zuversicht und des unerschütterlichen Glaubens, daß dadurch eine Vertiefung
und Festigung unseres inneren Menschen stattgefunden hat. Wir können freudig und getrost
in die Zukunft blicken, denn unser ist die neue Zeit. Wenn wir die Fortschritte im Sinne der
Bahá’i-Lehre im Weltgeschehen betrachten, überkommt uns tiefe Ehrfurcht über die prophetischen
Weissagungen und Forderungen unseres Meisters: der internationale Gedanke; der
Gedanke der Einheit und Einigkeit; die weltumfassenden Probleme der sozialen Fragen; die
Bestrebungen auf dem Gebiet des Weltfriedens; die Gleichberechtigung der Frau; die
Einheitssprache und die Einheitsschrift; der Weltschiedsgerichtshof
[Seite 15]
usw. Sie sind fast alle in Angriff genommen, sind im Werden, gehen ihrer
Erfüllung entgegen. Der Geist Bahá’u’lláhs ist überall am Werke, bewußt oder unbewußt helfen
Menschen und Völker an der Durchführung dieser Menschheitsprobleme, Der heutige Tag soll
ein Markstein in der Geschichte unserer Bewegung sein. Wir alle sind berufen und haben
die Pflicht, die gewonnene Erkenntnis in die Tat umzusetzen. Eine ganz besondere Freude
wurde uns durch den Besuch zweier lieben Freunde aus Persien zu teil, deren einer uns
die besten Grüße und Wünsche Shoghi Effendis zum heutigen Tag überbrachte. Dem Überbringer
sowohl als auch dem liebenswürdigen Übersetzer unsern herzlichen Dank, sie sehen,
wir haben alle Ursache glücklich zu sein. Unsere Parole muß heißen: Kopf hod, froh
ans Werk und Gott mit uns!“
Es wurden daraufhin noch Worte von Bahá’u’lláh und 'Abdu'l-Bahá von Frau Bopp verlesen und selbstverfaßte Gedichte von Herrn Grünzweig vorgetragen.
Mit einem Gebet fand die Morgenfeier ihre Beendigung.
Im Anschluß an die schönen Kongreßtage in Stuttgart am 19. und 20. April luden die Eßlinger
Bahá’i alle Freunde nach Eßlingen ein anläßlich einer kleinen Feier auf dem Bahá’i-Grundstück.
Trotzdem es an diesen Tagen viel regnete, waren es doch nahezu 60 Personen, die
sich am Eßlinger Bahnhof trafen, wo sie der Autobus hinaufführen sollte auf die Eßlinger
Höhen, die teilweise schon im Blütenschmuck prangten. Und es schien, als wollte der Himmel
seinen besonderen Segen spenden, denn als man oben auf dem Grundstück ankam, strahlte die
Sonne prächtig über das liebliche Neckartal. Schon von ferne winkte die weiße Fahne mit
dem goldig leuchtenden „Größten Namen“. Jedes freute sich der begonnenen Arbeit des
Hausbaus und der Bauplan wurde in Augenschein genommen. Die Eßlinger hatten mit den
Kindern vom „Rosengärtlein“ eine größere Feier vorgesehen, die durch die unsichere Witterung
jedoch vereitelt wurde. Ein kleines Mädchen sprach den Segen:
„Mög’ Gottes Geist nun auf uns sein
Gleich einer weißen Taube,
Sein Friede unser Herz erfreun
Und stark sein unser Glaube.
Wie ist doch Seine Liebe groß,
Sein Beistand uns so nah,
Wir fühlen uns in Gottes Schoß
Im Reich von El Abhá!"
Hierauf sprach Frl. Anna Köstlin folgende Worte:
Liebe Bahá’i-Freunde!
„Was wir vor Stunden kaum noch zu hoffen wagten, ist doch Wahrheit geworden. Wir dürfen hier auf unserem Bahá'i-Grundstück viele liebe Freunde aus fern und nah begrüßen und willkommen heißen unter den verheißungsvollen Strahlen des sehnsüchtig erwarteten Sonnenscheins. — So oft in Stuttgart ein Bahá’i-Kongreß tagte, fand er seinen Ausklang in Eßlingen in einem Kinderfest. Dieses Jahr ist es uns nun nicht möglich, Sie zu einer so lieb gewordenen Feier einzuladen. Wir haben Sie gebeten, an diesem Ridvantag heraufzukommen auf unsere luftige Höhe, wo Sie heute, wenn auch kein fertiges Bahá’i-Heim, so doch die Andeutung eines solchen vor sich sehen. Die Vorbereitungen hierzu haben uns allerdings ein jahrelanges Ringen gekostet. Manche Enttäuschung mußte überwunden und mancherlei Hindernisse erst aus dem Wege geräumt werden. Aber wir freuen uns, heute so weit zu sein, und wir freuen uns, daß Sie alle gekommen sind.
Was wir wünschen und hoffen, ist, daß Sie sich heute mit uns im Gebet vereinen mögen, daß Sie gute Gedanken, Lichtgedanken, in diesen Grund und Boden senken, daß Sie uns helfen, hier eine so geistige Atmosphäre zu schaffen, daß sie fühlbar und anziehend auf alle Menschenherzen einzuwirken vermag.
Anfänglich war das Heim als ausgesprochenes Jugend- und Kinderheim gedacht; der Ernst der Zeit jedoch sowie das naturgemäße Fortstreben der Jugend hat uns den Gedanken unseres lieben und verehrten Dr. Juness Khan, ein Versammlungsheim zu bauen, freudig aufgreifen lassen. Denn, was uns hier tatsächlich fehlt, ist ein Raum, in dem man ungestört sich mit den Freunden vereinen kann, ein Raum, in dem der Geist und die Seele Ruhe zum Beten finden kann, ein Raum für unsere festlichen Zusammenkünfte, ein Platz auch für die Jugend und die Kinder mit ihren mancherlei Anforderungen.
Ein Treffpunkt für die Bahá’i der nahen und ferneren Umgebung möge dieser Platz hier werden und so wie das physische Auge sich erfreut an dem herrlichen Ausblick über die weiten Täler und Höhen möge dem inneren Auge die Schönheiten des Abhá-Reiches geoffenbart werden.
Dies sind unsere Wünsche und Hoffnungen für das werdende Häuslein, und falls sich keine
weiteren und größeren Schwierigkeiten uns in den Weg stellen, hoffen wir mit Gott, dies
Heim im Lauf dieses Jahres fertig stellen zu
[Seite 16]
können und beim nächsten Stuttgarter Bahá’i-Kongreß die Freunde im Heim selbst
bewillkommnen zu können.
Alla’h o Abhá.“
Dr. Großmann sprach hierauf herzliche, ermunternde Worte und gab während dem Hochziehen
der Fahne seiner Hoffnung Ausdruck, daß die Eßlinger Freunde mit ihrem Glauben, ihrer
Treue und Einigkeit ebenso hinausleuchten mögen in die Welt, wie dies gehißte Banner.
Mit Gebet wurde die Feier beendet und ein Dankbrief an den geliebten Hüter Shoghi Effendi geschrieben, den alle Anwesenden unterzeichneten.
Am Ostermontag nachmittag fand nochmals eine Zusammenkunft der Freunde im Bahá’i-Büro, Alexanderstraße 3, statt, wobei besonders unsere persischen Freunde zu Wort kamen. Auch diese Versammlung wurde mit einem Gebet von ‘Abdu’l-Bahá eröffnet. Maxoud Nieron erzählte von dem Besuch von Miß Martha Root in Persien, über den die persischen Zeitungen lange Berichte brachten. Sie erregte durch die umfangreichen Vorbereitungen zu ihrem Empfang von Stadt zu Stadt so großes Aufsehen, daß ihr anonyme Briefe zugestellt wurden, in denen sie aufgefordert wurde, das Land zu verlassen, da sonst ihr Leben gefährdet sei. Die Regierung nahm sich des besonderen Schutzes der Bahá'i an, verlangte, daß die Bevölkerung sich ruhig verhalte und keinerlei Schwierigkeiten den Bahá'i gemacht werden dürften. Martha Root hatte Gelegenheit, mit einem Minister verschiedentlich zu sprechen und wurde auch bei der deutschen Gesandtschaft liebenswürdig empfangen. So haben sich die Zeiten geändert, seitdem so viel unschuldiges Märtyrerblut in jenem Lande für die heilige Sache floß.
Alle Teilnehmer an dieser Ridwan-Tagung waren beglückt durch den Geist der Liebe und des Einklangs und der Freude, von der jedes Beisammensein getragen war. Wirklich, der Segen Bahá’u’lláhs war deutlich fühlbar und Shoghi Effendi, der unser Vermächtnis von ‘Abdu’l-Bahá ist, darf sich auf Seine Getreuen in Deutschland zuversichtlich verlassen.
Eine Antwort auf unsere Ridwan-Grüße traf mit folgendem Wortlaut ein:
„Loving appreciation ridvan greetings fervently supplicating beloved continued blessings upon his dearly beloved loyal and valiant followers in that land. Shoghi.“ „Liebevolle Würdigung der Ridwan-Grüße, inbrünstiges Gebet um des Geliebten fortdauernde Segnungen auf Seine innig geliebten getreuen und mutigen Nachfolger in Eurem Lande. Shoghi.“
Ein jedes von uns hat in seinem Herzen gelobt, sich immer tiefer in die heiligen Schriften zu versenken, immer selbstloser zu werden, um würdig zu sein, der heiligen Sache zu dienen.
Ein zweites Telegramm an den Vorsitzenden folgte, mit dem Inhalt:
„Convey bahá'i congress my admiration for their loyality nobel endeavour praying for harmony yours selection spiritual national assembly deepest love ridwan-greetings Shoghi.“ „Ubermittle dem Bahá’i-Kongreß meine Bewunderung ihrer Treue und edlen Bemühens bete um Einigkeit für Eure Wahl des Geistigen Nationalrats. Innigste Liebe, Ridwan-Grüße, Shoghi.“
Wir waren beglückt über diesen Beweis der Liebe und Anerkennung unseres geliebten Beschützers und wir sagen ihm den innigsten und aufrichtigsten Dank im Namen aller Freunde, die der Ridwan-Tagung beiwohnten oder in Gedanken bei uns waren.
An den Deutschen Geistigen Nationalrat traf am 29. April folgendes Telegramm ein:
„Rejoice announce sacred and impressive ceremony inaugurating resumption temple construction ridwan greetings = american national spiritual assembly.“
„Freuen uns von der heiligen und eindrucksvollen Feier des Beginns der Wiederaufnahme des Tempelbaues berichten zu können. Ridwan-Grüße
Amerikanische Geistige Nationalrat.“
In der Sonne der Wahrheit finden nur solche Manuskripte Veröffentlichung, bezüglich deren Weiterverbreitung keine Vorbehalte gemacht werden. — Anfragen, schriftliche Beiträge und alle die Schriftleitung betreffenden Zuschriften beliebe man an die Schriftleitung: Stuttgart, Alexanderstr. 3 zu senden. — Bestellungen von Abonnements, Büchern und Broschüren sowie Geldsendungen sind an den Verlag des deutschen Bahá’i-Bundes G.m.b.H., Stuttgart, Alexanderstr. 3, Nebengebäude, zu richten.
Geschichte und Bedeutung der Bahá’i-Lehre[Bearbeiten]
Die Bahá’i-Bewegung tritt vor allem ein für die „Universale Religion" und den „Universalen Frieden“ — die Hoffnung aller Zeitalter. Sie zeigt den Weg und die Mittel, die zur Einigung der Menschheit unter dem hohen Banner der Liebe, Wahrheit, Gerechtigkeit und Barmherzigkeit führen. Sie ist göttlich ihrem Ursprung nach, menschlich in ihrer Darstellung, praktisch für jede Lebenslage. In Glaubenssachen gilt bei ihr nichts als die Wahrheit, in den Handlungen nichts als das Gute, in ihren Beziehungen zu den Menschen nichts als liebevoller Dienst.
Zur Aufklärung für diejenigen, die noch wenig oder nichts von der Bahá’i-Bewegung wissen, führen wir hier Folgendes an: „Die Bahá’i-Religion ging aus dem Babismus hervor. Sie ist die Religion der Nachfolger Bahá’u’lláhs. Mirza Hussein Ali Nuri (welches sein eigentlicher Name war) wurde im Jahre 1817 in Teheran (Persien) geboren. Vom Jahr 1844 an war er einer der angesehensten Anhänger des Bab und widmete sich der Verbreitung seiner Lehren in Persien. Nach dem Märtyrertod des Bab wurde er mit den Hauptanhängern desselben von der türkischen Regierung nach Bagdad und später nach Konstantinopel und Adrianopel verbannt. In Bagdad verkündete er seine göttliche Sendung (als „Der, den Gott offenbaren werde") und erklärte, daß er der sei, den der Bab in seinen Schriften als die „Große Manifestation", die in den letzten Tagen kommen werde, angekündigt und verheißen hatte. In seinen Briefen an die Regenten der bedeutendsten Staaten Europas forderte er diese auf, sie möchten ihm bei der Hochhaltung der Religion und bei der Einführung des universalen Friedens beistehen. Nach dem öffentlichen Hervortreten Bahá’u’lláhs wurden seine Anhänger, die ihn als den Verheißenen anerkannten, Bahá’i (Kinder des Lichts) genannt. Im Jahr 1868 wurde Bahá’u’lláh vom Sultan der Türkei nach Akka in Syrien verbannt, wo er den größten Teil seiner lehrreichen Werke verfaßte und wo er am 28. Mai 1892 starb. Zuvor übertrug er seinem Sohn Abbas Effendi ('Abdu'l-Bahá) die Verbreitung seiner Lehre und bestimmte ihn zum Mittelpunkt und Lehrer für alle Bahá’i der Welt.
Es gibt nicht nur in den mohammedanischen Ländern Bahá’i, sondern auch in allen Ländern Europas, sowie in Amerika, Japan, Indien, China usw. Dies kommt daher, daß Bahá’u’lláh den Babismus, der mehr nationale Bedeutung hatte, in eine universale Religion umwandelte, die als die Erfüllung und Vollendung aller bisherigen Religionen gelten kann. Die Juden erwarten den Messias, die Christen das Wiederkommen Christi, die Mohammedaner den Mahdi, die Buddhisten den fünften Buddha, die Zoroastrier den Schah Bahram, die Hindus die Wiederverkörperung Krischnas und die Atheisten — eine bessere soziale Organisation.
In Bahá’u’lláh sind alle diese Erwartungen erfüllt. Seine Lehre beseitigt alle Eifersucht und Feindseligkeit, die zwischen den verschiedenen Religionen besteht; sie befreit die Religionen von ihren Verfälschungen, die im Lauf der Zeit durch Einführung von Dogmen und Riten entstanden und bringt sie alle durch Wiederherstellung ihrer ursprünglichen Reinheit in Einklang. Das einzige Dogma der Lehre ist der Glaube an den einigen Gott und an seine Manifestationen (Zoroaster, Buddha, Mose, Jesus, Mohammed, Bahá’u’lláh).
Die Hauptschriften Bahá’u’lláhs sind der Kitab el Iqhan (Buch der Gewißheit), der Kitab el Akdas (Buch der Gesetze), der Kitab el Ahd (Buch des Bundes) und zahlreiche Sendschreiben, genannt „Tablets“, die er an die wichtigsten Herrscher oder an Privatpersonen richtete. Rituale haben keinen Platz in dieser Religion; letztere muß vielmehr in allen Handlungen des Lebens zum Ausdruck kommen und in wahrer Gottes- und Nächstenliebe gipfeln. Jedermann muß einen Beruf haben und ihn ausüben. Gute Erziehung der Kinder ist zur Pflicht gemacht und geregelt.
Streitfragen, welche nicht anders beigelegt werden können, sind der Entscheidung des Zivilgesetzes jeden Landes und dem Bait’ul’Adl oder „Haus der Gerechtigkeit“, das durch Bahá’u’lláh eingesetzt wurde, unterworfen. Achtung gegenüber jeder Regierungs- und Staatseinrichtung ist als einem Teil der Achtung, die wir Gott schulden, gefordert. Um die Kriege aus der Welt zu schaffen, ist ein internationaler Schiedsgerichtshof zu errichten. Auch soll neben der Muttersprache eine universale Einheits-Sprache eingeführt werden. „Ihr seid alle die Blätter eines Baumes und die Tropfen eines Meeres“ sagt Bahá’u’lláh.
Es ist also weniger die Einführung einer neuen Religion, als die Erneuerung und Vereinigung aller Religionen, was heute von 'Abdu'l-Bahá erstrebt wird. (Vgl. Nouveau, Larousse, illustré supplement, Seite 66.)
Verlag des Deutschen Bahá’i-Bundes G.m.b.H., Stuttgart
Fernsprecher Nr. 26168 — — Postscheckkonto 25419 Stuttgart — — Alexanderstr. 3, Nebengebäude
In unserem Verlag sind erschienen:
Bücher:
Verborgene Worte von Bahá’u’lláh. Deutsch von A. Schwarz und W. Herrigel, 1924 1.--
Bahá’u’lláh, Frohe Botschaften, Worte des Paradieses, Tablet Tarasat, Tablet Taschalliat, Tablet Ischrakat. Deutsch von Wilhelm Herrigel, 1921, in Halbleinen gebunden . . . 2.50
in feinstem Ganzleinen gebunden . . . . . 3.--
'Abdu'l-Bahá Abbas, Ansprachen über die Bahá’i-Lehre. Deutsch von W. Herrigel, 1921, in Halbleinen gebunden . . . . . 3.00
in festem Ganzleinen gebunden . . . . . 3.50
Geschichte und Wahrheitsbeweise der Bahá’i-Religion, von Mirza Abul Fazl. Deutsch von W. Herrigel, 1919, in Halbleinen geb. . . . . 4.50
In Ganzleinen gebunden . . . . 5.--
'Abdu'l-Bahá Abbas’ Leben und Lehren, von Myron H. Phelps. Deutsch von Wilhelm Herrigel, 1922, in Ganzleinen gebunden . . . . 4.--
Die Bahá’i-Offenbarung, ein Lehrbuch von Thornton Chase, deutsch von W. Herrigel, 1925, kartoniert M. 4.--, in Halbleinen gebunden . . . . 4.60
Bahá’u’lláh und das neue Zeitalter, ein Lehrbuch von Dr. J. E. Esslemont, deutsch von W. Herrigel und H. Küstner. 1927. In Ganzleinen gebunden . . . . . 4.50
Beantwortete Fragen 'Abdu'l-Bahá Abbas', gesammelt und in englischer Sprache herausgegeben von L. Clifford Barney, deutsche Übersetzung von W. Herrigel, 1929 . . . . . 5.--
Broschüren:
Bahá’i-Perlen, Deutsch von Wilhelm Herrigel, 1922 . . . . -.20
Ehe Abraham war, war Ich, v. Thornton Chase. Deutsch v. W.Herrigel, 1911 . . . . -.20
Die Universale Weltreligion, Ein Blick in die Bahai-Lehre von A. T. Schwarz, 1919. . . . -.50
Die Offenbarung Bahá’u’lláhs, von J.D. Brittingham. Deutsch von Wilhelm Herrigel, 1910 . . . -.50
Einheitsreligion. Ihre Wirkung auf Staat, Erziehung, Sozialpolitik, Frauenrechte und die einzelne Persönlichkeit, von Dr. jur. H. Dreyfus, Deutsch von Wilhelm Herrigel. 2. Auflage 1920 . . . -.50
Die Bahá’i-Bewegung im allgemeinen und ihre großen Wirkungen in Indien, nach Berichten eines Amerikaners zusammengestellt und mit Vorwort versehen von Wilhelm Herrigel, Stuttgart 1922 . . . . -.50
Eine Botschaft an die Juden, von Abdul Baha Abbas. Deutsch v. W. Herrigel, 1912 . . . -.20
Das Hinscheiden 'Abdu'l-Bahás, ("The Passing of 'Abdu'l-Bahá") Deutsch von Alice T. Schwarz, 1922 . . . -.50
Das neue Zeitalter von Ch. M. Remey. Deutsch von Wilhelm Herrigel, 1923 . . . . —.50
Die soziale Frage und ihre Lösung im Sinne der Bahá’i-Lehre von Dr. Hermann Grossmann, Hamburg 1923 . . . . —.20
Religiöse Lichtblicke, Einige Erläuterungen zur Bahá’i-Botschaft, aus dem Französ. übersetzt von Albert Renftle, 2. erweiterte Auflage, 1928 . . . . --.30
Die Bahá’i-Bewegung, Geschichte, Lehren und Bedeutung. von Dr. Hermann Großmann-Wandsbek . . . . . --.20
Sonne der Wahrheit, Jahrgang 3 - 8 in Halbleinen gebunden je . . . . 9.--
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